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Von Silvia Marko Von Hauptwil nach ...
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Silvia Marko
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Vorwort
1.
Grosseltern und Familie
2.
Eltern und Kindheit
3.
In die grosse Welt von St. Gallen und Zürich
4.
Die Ehe mit Urs
5.
Witwe
6.
Die Ehe mit Peter
7.
Die Jahre in der Praxis - Zweisimmen
8.
Die Jahre in der Praxis - Romanshorn
9.
Praxisvertretungen
10.
Wieder eine eigene Praxis
11.
Weihnachtskarten Corinne
12.
Rentner - Weihnachtsbriefe
13.
Zusatz (-erklärung).
In Erinnerung an meine Eltern für unsere Nachkommen.
Vorwort
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  Vorwort



Wer seine Wurzeln verliert, kann nicht gedeihen.

Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Verhaltensforscher

*

Die Erinnerung holt die Toten zurück.

Beatrice von Matt, Neu Zürcher Zeitung 9.6.2018
Grosseltern und Familie
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1.  Grosseltern und Familie

Obwohl ich in eine traurige Zeit hineingeboren wurde, denn am 5.1.1940 befand man sich im Krieg, spürte ich als Kind nicht viel davon, mindestens ist es mir nicht bewusst in meinem Gedächtnis hängen geblieben. Man musste zwar hie und da bei Bombenalarm wegen der Flugzeuge aus Sicherheitsgründen in den Keller, denn wir waren nicht weit von Deutschland entfernt. Ich war aber noch zu klein, um deswegen Angst zu bekommen. Es gab nicht so viel zu essen, eingekauft wurde mit Nahrungsmittelmarken, von einer Bratwurst bekamen wir immer nur ein kleines Stück, aber das Essen war mir schon damals nicht das Wichtigste im Leben. Ausserdem pflanzte meine Mutter Gemüse, Beeren und Kartoffeln an, wo sie nur konnte. Wir wohnten zwar auf dem Lande, aber unser Haus lag nicht nur an der Hauptstrasse, sondern auch noch an einer Kreuzung mitten im Dorf. Für einen Garten war dort nicht viel Platz vorhanden. Nur hinter dem Haus hatten wir einen kleinen Gemüsegarten, ein weiteres Stück Land wurde oberhalb der Käserei, an der Strasse nach Bischofszell angebaut und weiter unten zwischen der Sornthalerstrasse und dem Dorfbach bewirtschafteten wir nochmals einen etwas grösseren Garten. Daneben war eine Scheune, die meinem Grossvater gehörte. Darin war eine sogenannte Lohnmostpresse installiert, d.h. jeder konnte sein Obst damit pressen und Saft herstellen, musste dann aber für die Benützung bezahlen. So brachten die Bauern jeweils ihre Apfel, um hier den bekannten Thurgauer Apfelsaft oder Süssmost herzustellen. Selbstverständlich war das für uns Kinder eine hochinteressante Angelegenheit, obwohl wir meistens von den Erwachsenen vertrieben wurden, denn es war nicht ungefährlich. Auch meine Mutter musste als Kind für ihre Neugier büssen, denn sie fiel kopfüber in den Trichter, in den das Obst geworfen und unten, quasi im Keller der Scheune, durch die Presse gedrückt, sowie der Saft aufgefangen wurde, um sie dann in Fässer und Flaschen abzufüllen. Sicher gleich mehrere Schutzengel haben meine Mutter gleichzeitig bewacht, denn genau in diesem Moment ihres Sturzes stoppten die Männer zufällig die Maschine, sodass sie mit dem Schrecken davonkam und sich auch nicht erheblich verletzte, da die Äpfel, die noch über der Presse lagen, ihren Sturz auffingen, sonst wäre sie samt den Äpfeln zermalmt worden. Diese Scheune war zwischen unserem unteren Garten und dem Gebäude, in dem der Posthalter Kern, seine Frau sowie ihre Kinder Jörg und Annemarie wohnten, das in einem rechten Winkel zu unserem Haus angebaut worden war. Mein Grossvater, später mein Vater, lagerten in der Scheune verschiedene Landwirtschaftsmaschinen, und in der oberen Etage wohnte ein Verwandter meiner Grossmutter in einem bescheidenen Zimmer mit Kochgelegenheit. 



(1) Links: Ecke von unserem Garten. Anschliessend Scheune, in der die Mostpresse installiert war und rechts, in der der Verwandte Bossart wohnte und die offensichtlich später einmal brannte (Vater beim Feuerlöschen). Links hinten damaliges Konsumgebäude, rechts damaliges Postgebäude. Jetzt gehört es meinem Bruder Armin.

Links: Ecke von unserem Garten. Anschliessend Scheune, in der die Mostpresse installiert war und rechts, in der der Verwandte Bossart wohnte und die offensichtlich später einmal brannte (Vater beim Feuerlöschen). Links hinten damaliges Konsumgebäude, rechts damaliges Postgebäude. Jetzt gehört es meinem Bruder Armin.

 
Unser Haus (zu dem auch das angebaute Gebäude gehört mit der damaligen Post ) war auch das Elternhaus meiner Mutter. Ihr Vater, Gallus Anton Scheiwiller (geb. 29.11.1873), hatte die Dorfschmiede am 30. Juli 1897 gekauft und betrieb während 39 Jahren nebst dem Huf- und Wagenschmiedehandwerk einen regen Handel mit den neu aufgekommenen Landmaschinen. Er importierte amerikanische Maschinen sogar waggonweise.


(2) Eisenbahnwagen voll Landmaschinen.

Eisenbahnwagen voll Landmaschinen.

 

Die Schmiede war im Parterre des Hausteiles neben der Hauptstrasse eingerichtet, der Eingang befand sich aber an der Sornthalerstrasse. Rund um die Schmiede war genug Platz vorhanden, sodass Maschinen dort ausgestellt oder die Hufe der Pferde problemlos vor der
Schmiede beschlagen werden konnten.


(3) Grossvaters Schmiede und Maschinenhandlung mit internationaler Verbindung.

Grossvaters Schmiede und Maschinenhandlung mit internationaler Verbindung.

 

Ausserdem war Grossvater auch Spritzenmeister in der Feuerwehr, damals noch mit der Handpumpe.


(4) Vor der Schmiede. (Hinter unserem Haus das Konsumgebäude, dahinter das Schulhaus).

Vor der Schmiede. (Hinter unserem Haus das Konsumgebäude, dahinter das Schulhaus).

 

Er beschäftige immer drei bis vier Arbeiter, die meine Grossmutter, eine geborene Maria Rosa Bossart (geb. 5.7.1874), mittags und abends ebenfalls verköstigen musste. Gottlob war sie gelernte Damenschneiderin, denn es gab bestimmt immer Verschiedenes zu flicken und zu nähen bei so einem grossen Haushalt. Früher war sie eine hübsche Frau, später sah sie auf allen Fotos immer ernst, vor allem traurig aus.  Sicher hatte sie es nicht leicht, nicht nur wegen der vielen Arbeit, aber auch wegen der Sorgen, die ihr unser Grossvater wegen seiner Gutmütigkeit bereitet hatte, denn wenn jemand Geld brauchte, fragten sie immer ihn um Bürgschaft, die er nie ablehnen konnte.


(5) Grosseltern Scheiwiller.

Grosseltern Scheiwiller.

 

So wuchs schlussendlich sein Schuldenberg bei der Bank, weil die Fragesteller ihre Zahlungsversprechen nicht einlösten, und meine Grossmutter konnte sich die Haare raufen, denn schliesslich hatten sie sieben Kinder zu ernähren. Die Trauer und der Schmerz über den Verlust ihrer drei Kinder prägten sich sicher in ihrem Gesicht und in ihrer Haltung ein. Anton I, der als Erstgeborener am 30. Juli 1900 auf die Welt kam, starb leider bereits mit 5 Jahren am 9. April 1905 wegen eines Krupphustens.


(6) Anton I.

Anton I.


(7) Karl.

Karl.

 

Am 25. Februar 1902 wurde Karl geboren. Leider wurde er auch nicht mit Glück überschüttet, denn am 14. Mai 1923 starb er wegen eines Hirntumors. Grossmutter war damals überzeugt, dass die Frau vom Horbacher Weiher, die dort mit einem Siegenthaler
zusammen wohnte, angeblich das Buch Moses besass und aus Karten las, Karl verhexte, während er in Gottshaus bei einem Bauer arbeitete. Die Bauern beklagten sich
ebenfalls über diese Hexe, sie hätte alles durcheinander gebracht, die Kühe hätten sich sogar plötzlich wie Hund und Katze auf ihre Hintern gesetzt. Mein Bruder Ernst erfuhr von einem späteren Arbeiter, dieselbe Hexe hätte seine Familie geplagt, die Tochter sei sogar krank geworden, und nur ein Heilpraktiker aus Appenzell hätte sie von ihr befreien können. Auch dem Siegenthaler hätte man nicht trauen und in die Augen schauen können, denn die seien eiskalt gewesen.

Anneli war das 6. Kind und hatte am 18. Juni 1908 Geburtstag. Leider litt sie unter einer für damalige Zeiten unheilbaren
Infektionskrankheit und unterlag ihr mit bereits 12 Jahren am 14. Aug. 1920.


(8) Anneli bei der Erstkommunion.

Anneli bei der Erstkommunion.

 

(9) Tante Rosa und Onkel Adolf.

Tante Rosa und Onkel Adolf.

 

Von den übrigen Geschwistern blieben Rosa, geb. 19. April 1903, die Drittälteste, meine spätere Tante Gotte, die Onkel Adolf Lüthi heiratete. Er war ein begnadeter Koch und Bäcker, bei dem man nicht nur das beste Brot weit und breit bekam, sondern auch die feinsten Poulets in der ganzen Umgebung, denn er führte nach der Hochzeit zusammen mit seiner Rosa das gemütlichste Restaurant mit Bäckerei, genannt Höfli, mit einer traumhaften Gartenwirtschaft im Sornthal.

Sie hatten zusammen vier Kinder: Adolf, der auch Bäcker wurde, Kurt, der später bei meinem Vater arbeitete und irgendwann eine Familie gründete, Leo, der ebenfalls Bäcker wurde, später bei Coop arbeitete und die Freundin (wie war 20 Jahre älter als Leo) meiner Mutter heiratete, nachdem sie starb mit einer gehbehinderten viel jüngeren Frau zusammen lebte, die seit seinem Tod in einem Heim neben Amriswil wohnt, um die sich nun Maria kümmert; Rosmarie, die mit 18 Jahren Paolo Visini kennen lernte und ihn bald heiratete, obwohl die Eltern nicht begeistert waren, weil er Italiener war. So konnte sie jedoch mit ihrer jungen Liebe zusammenleben und musste nicht mehr im Restaurant der Eltern servieren. Nicht lange darnach bekamen sie die kleine Romy. Sie wohnten zuerst in Waldkirch, wo ich sie oft als damals erst Siebenjährige zu Fuss alleine besuchte, als Romy noch ein Baby war. Sie fanden dann eine Wohnung in Hauptwil im sogenannten Bankhaus, das mein Vater irgendwann kaufte, denn Paolo arbeitete in der Weberei Brunschweiler in  Sornthal. Anfangs zahlten sie ihm nur einen Stundenlohn von 90 Rappen.



(10) Hauptwil mit Bankhaus von hinten und von vorne.

Hauptwil mit Bankhaus von hinten und von vorne.

 

Daher versuchte Rosmarie auch etwas Geld zu verdienen, indem sie strickte und den Italienern in Hauptwil Deutschunterricht erteilte. Romy bekam noch ein Schwesterchen namens Anita. Erst als Paolo schon nicht mehr in Sornthal arbeitete und sie daher nach Wald ZH zügelten, erhielt die Familie noch Zuwachs und die zwei Schwestern einen Bruder namens Paolo, als ich mit Daniel schwanger war. Schlussendlich landeten Rosmarie und Paolo senior in Effretikon, wo Rosmarie kurz vor ihrem 88. Geburtstag starb.

Der jüngste Sohn von Tante Gotte war Guido, mit dem ich oft spielte, wenn ich sie im Höfli besuchte oder bei ihnen in den Ferien weilte, aber da war ich schon in der Schule. Neben dem Schlafzimmer von Guidos Eltern gab es eine Kammer, in der feine Würste und andere geräucherte Fleischwaren hingen. Hie und da gönnten wir uns heimlich so eine Wurst zwischendurch. Guido musste jeweils das Brot zu den abgelegenen Bauernhöfen bringen, die er in einer Zaine auf dem Rücken trug. Auf diesen Touren begleitete ich ihn gerne. Nachdem Onkel Adolf an einem Hirnschlag starb, lernte Tante Rosa noch im Höfli Willhelm Felder kennen und lieben. Er arbeitete als Vertreter bei den Eberle Mühlen in Rickenbach und besuchte daher viele Bäckereien und Restaurants, die Mehl benötigten. Er wurde Wittwer, als seine beiden Söhne erst 14 und 17 Jahre alt waren. Wann meine Gotte Willi Felder heiratete, weiss ich nicht mehr. Jedenfalls zogen sie noch vor der Heirat nach Wil in die oberste Wohnung in einem Haus direkt neben der Schule, wo Guido dann unterrichtet wurde und lebten dort fortan glücklich zusammen.
Leider dauerte dieser Glückszustand nicht sehr lange, denn auch er starb viel zu früh. Erst seit mein jüngster Bruder Walter Ulla Ammann kennenlernte, erfuhr ich, das Willi Felber mit Ulla verwandt war.

Der älteste Sohn von Tante Rosa, Adolf, übernahm nach dem Tod seines Vaters das Restaurant Höfli samt Bäckerei wenigstens vorerst, später zog er mit seiner Frau nach St. Gallen, wo er früh wegen eines Kehlkopfkrebses starb. Leider dauerte es nachher nicht allzu lange und es gab fortan kein so gemütliches, wunderschönes Restaurant Höfli mehr.


(11) Onkel Paul.

Onkel Paul.

 

Als viertes Kind wurde Onkel Paul am 7. Juni 1904 geboren. Er wurde ein ausgezeichneter Schlosser, arbeitete in der Firma Saurer AG in Arbon und zog mit seiner Familie nach Steinach am Bodensee. Onkel Paul, Tante Ida und ihre Töchter Annemarie, Idy und Silvy kamen uns oft in Hauptwil besuchen. Wir spazierten meistens zusammen zu den drei Linden, nicht weit von der Waldschenke entfernt. 



(12) Unsere ganze Familie von links: Silvia, hinten Paul, vorne René, Ernst, Peter von Cousine Silvy getragen, vorne Karl, Maria, hinten meine Mutter sowie Armin von Cousine Annemarie getragen. Nur die dritte Cousine Idy sowie Tante Ida und Onkel Paul fehlen hier. Mit ihnen spazierten wir oft zu den drei Linden. Der Fotograf war offensichtlich unser Vater.

Unsere ganze Familie von links: Silvia, hinten Paul, vorne René, Ernst, Peter von Cousine Silvy getragen, vorne Karl, Maria, hinten meine Mutter sowie Armin von Cousine Annemarie getragen. Nur die dritte Cousine Idy sowie Tante Ida und Onkel Paul fehlen hier. Mit ihnen spazierten wir oft zu den drei Linden. Der Fotograf war offensichtlich unser Vater.

    

Anton II., der spätere Götti von meiner Schwester Maria, wurde am 6. Januar 1906 geboren.

(13) Onkel Anton II.

Onkel Anton II.

 

Er lernte Schuhmacher und eröffnete in Hauptwil eine Schuhmacherwerkstatt als er Frieda heiratete. Sie bekamen zwei Kinder: Tony und Margritli, das leider nicht lange lebte. Sie hatte bei der Geburt ein offenes Rückenmark. Ich kann mich noch erinnern, wenn ich Onkel Anton und Tante Frieda besuchte, sah ich das arme Margritli meistens krank im Bettchen liegen. Aber die 1. Kommunion hatte sie offensichtlich noch erlebt.


(14) Margritli bei der 1. Kommunion.

Margritli bei der 1. Kommunion.

 

Tony war später ein ziemlicher Windhund. Er heiratete Therese Blättler. Sie hatten zusammen drei Kinder. Das erste, ein Mädchen, hiess Andrea, und ich wurde ihre Gotte als ich 18 Jahre alt war. Darüber war ich ganz stolz. Anfangs hatte ich ziemlich Kontakt mit ihnen, aber noch während Therese mit dem dritten Kind schwanger war, liess Tony sie mit den Kindern im Stich. Als er für ihren Unterhalt hätte aufkommen müssen, arbeitete er einfach nicht mehr und zwar so lange, bis Therese und die Behörden es aufgaben, etwas von ihm zu wollen. Gottlob fand sie dann bald einen besseren Mann, der bereit war, für Sie und ihre drei Kinder zu sorgen. Ich hatte dann meine eigenen Probleme, und so verlor ich leider den Kontakt zu ihnen, aber darüber in einem anderen Abschnitt.

Das jüngste Familienmitglied war meine Mutter, Maria Anna, geb. 2.9.1914, genannt Mareli, später Marie.


(15) Mareli als Baby und bei der Erstkommunion.

Mareli als Baby und bei der Erstkommunion.

  

Die Kinder mussten selbstverständlich den Eltern helfen, die Mädchen im Haushalt und die Knaben in der Schmiede, sobald sie dazu fähig waren. Es war früher meistens so, dass die Mädchen keinen Beruf erlernen durften, denn auch Tante Rosa arbeitete zu Hause bis sie heiratete.

Mareli war ein bildhübsches Kind mit kugelrunden, dunklen Augen und dichtem, dunkelbraunem Haar, das sie während der Schulzeit zu Zöpfen flocht. Wie sollte da Grossvater ihr widerstehen können, wenn sie sich etwas wünschte. So durfte sie auch die katholische Mädchensekundarschule in Gossau besuchen (meine Grossmutter war streng katholisch), was damals schon etwas Besonderes war, denn erstens hätte es auch eine Sekundarschule in Bischofszell gegeben, die zum Kanton Thurgau gehörte und zweitens war es eher üblich, dass die Mädchen einfach die Primarschule beendeten, so wie auch ihre Schwester Rosa, deswegen war sie auch immer eifersüchtig auf meine Mutter. Mareli begann anschliessend zuerst eine Lehre als Coiffeuse und beherrschte das Handwerk schon nach kürzester Zeit. Sie konnte sich sogar selbst ihre Haare schneiden und legen. Der „Bubikopf“ war damals Mode, mit gross angelegten Wellen. Aber fähige Leute haben auch ihre Neider, und weil ihr Chef wahrscheinlich ganz in sie vernarrt war, wurde sie von der Angestellten geplagt und schikaniert (heute würde man sagen gemobbt), worauf sie zu Hause verkündete, sie wolle die Lehre nicht mehr fortsetzen. Ihr Vater erfüllte auch diesmal seinem Augenstern den Wunsch und hielt nach einer neuen Lehrstelle Ausschau. Sie war ein Glückspilz, denn im Nachbarstädtchen Bischofszell konnte sie in der Drogerie zum oberen Turm, schräg vis-à-vis der Apotheke, eine neue Lehre beginnen. Damals war es noch interessanter, denn es wurden nicht nur Fertigprodukte verkauft, meine Mutter lernte auch, welche Kräuter für welche Teemischungen verwendet wurden, wie sie hiessen und woher sie stammten. So verbrachte sie viel Zeit im Alpsteingebiet, um sie frisch an Ort uns Stelle zu pflücken, zu trocknen und zu verarbeiten. Die Arbeit für ihre Lehrabschlussprüfung war ein Alpenrelief mit einem Kräutergarten. In der Drogerie wurden damals auch noch Farben gemischt. Sie lernte ebenfalls damit umzugehen, was ihr später beim Malen, sei es der Bilder oder unseres Hauses sehr zustatten kam.


(16) Marie als Malerin am Haus.

Marie als Malerin am Haus.

 

Nach der Lehre wollte sie noch ins Welschland, um die französische Sprache zu erlernen. Sie bekam eine Stelle als Küchenmädchen in einem Gasthaus, die Chefin war aber ziemlich eklig. Also wechselte sie in ein anderes Gasthaus, wo sie entdeckte, dass Tomaten wunderbar schmeckten, denn sie kannte sie vorher nicht, weil ihre Mutter sie nicht mochte. Man konnte mit ihnen fantastische und abwechslungsreiche Gerichte kochen. Ihre Chefin zeigte ihr aber auch, dass man Krebse und Hummer lebend ins heisse Wasser warf und wie andere Meeresfrüchte sowie auch Froschschenkel zubereitet wurden. Für uns Kinder war es aber wesentlich, dass sie dort die besten Gnocchi der Welt machen lernte. Ausserdem haben sie im Gasthaus bemerkt, dass meine Mutter leidenschaftlich gerne zeichnete, daher bekam sie den Auftrag, jeweils die Gerichte, die im Restaurant konsumiert werden konnten, auf die Fensterscheiben zu malen. Die befreundete Serviertochter machte sie mit einem Professor bekannt, der ihr Malunterricht erteilte und wie mit allem, machte sie riesige Fortschritte, so dass sie Ölbilder verkaufen und dadurch ihr Taschengeld etwas aufbessern konnte. Leider blieben von dieser für sie überglücklichen Zeit nur gerade vier Bilder übrig.


(17) Ein Stilleben (1932), Genfersee mit Segelschiff (1935) von einer Karte aus Sehnsucht(?) abgemalt.

Ein Stilleben (1932), Genfersee mit Segelschiff (1935) von einer Karte aus Sehnsucht(?) abgemalt.

 

Wie das Leben manchmal brutal mit einem verfährt, musste sie plötzlich dieses Paradies verlassen. Ein Hirnschlag hatte ihrem Vater gesundheitlich ziemlich zugesetzt, so dass meine Grossmutter Hilfe bei der Pflege und im Haushalt dringend nötig
hatte. Er erholte sich zwar wieder einigermassen, es war aber nicht sein letztes Schlägli. 


(18) Stilleben mit Rosen und eines mit einer Kanne (1932).

Stilleben mit Rosen und eines mit einer Kanne (1932).

  
Mein Vater wurde am 21. August 1910 und vor ihm seine Schwester Emma Bertha am 2. April 1909 in Winterthur geboren. Dann zogen die Grosseltern Nater (Ernst Nater, geb. 29.1.1875, gest. 26.12.1939 und 


(19) Grossvater und Grossmutter Nater.

Grossvater und Grossmutter Nater.

 

Bertha Nater-Güttinger, geb. 21.6.1888 in Opfikon ZH (später verheiratet mit Hans Holzer und gestorben am 25.10.1977 in Roggwil TG) anscheinend um, denn Emil wurde am 25. Januar 1913 in Töss geboren, Walter am 3. September 1914 in Zürich, Paul Norbert am 10. November 1915 in Winterthur und Nelly am 4. August 1918 in Guntershausen (im Zivilstandsamt fanden sie es nicht für nötig, einzutragen, in welchem Guntershausen, in demjenigen bei Aadorf oder bei Berg TG). Da Guntershausen bei Aadorf näher zu Winterthur ist, vermute ich eher das letztere, obwohl Vater später als Verdingkind zu einem Bauer in Guntershausen bei Berg geschickt wurde. Wie dem auch sei, alle Kinder konnten sich keiner glücklichen Jugend rühmen, denn ihr Vater, von Beruf Metzger, war oft im Wirtshaus und sah wahrscheinlich nicht nur gerne den Frauenröcken nach, sodass ihre Muttern nichts mehr von ihm wissen wollte. Vielleicht war er aber auch nie richtig verliebt gewesen und wurde eher zu einer Heirat gezwungen, denn es scheint mir, dass er für seine Einwilligung zur Hochzeit etwas viel Zeit brauchte, wenn man bedenkt, dass sie am 11. Februar 1909 heirateten und am 2. April 1909 bekamen sie schon Zuwachs durch Klein-Emma. Es war in der damaligen Zeit unvorstellbar schwierig, sechs Kinder alleine zu erziehen. Unsere Grossmutter Nater war eine gute Köchin und fand gottlob bald eine Stelle in einem Restaurant. Sie war natürlich jeden Tag (auch sonntags) bis spät abends weg von zu Hause. Die Gemeindebehörde hatte beschlossen, dass die Knaben in verschiedenen Bauernfamilien untergebracht wurden. Die Bauern waren immer froh um eine billige Arbeitskraft, und so ein Kind kostete sie ja nicht viel, denn meistens mussten sie irgendwo in der Scheune im Heu schlafen (ein eigenes Zimmer bekamen sie nicht und mit den Kindern des Bauern durften sie auch nicht zusammen spielen). Sie hatten nicht einmal Zeit, nach der Schule die Hausaufgaben zu machen, da sie sofort im Stall oder auf den Feldern helfen mussten. Es gab immer viel Arbeit, z.B. den Stall sauber halten, d.h. er musste ausgemistet, für die Kühe frisches Stroh gegeben werden, damit sie darauf schlafen konnten, sowie die Futterkrippe mit frischem Gras oder Heu füllen. Meistens durften die Kühe damals aber noch auf der Wiese weiden und sich satt essen, so dass sie später im Stall, wenn sie sich ausruhten, Zeit hatten das ganze Gras, welches sie nur so schnell in sich hinein gestopft hatten, wieder heraufzuholen und nochmals zu kauen. Auf diese Weise wurde es besser verdaut und produzierte schlussendlich die gute Milch. Auf den Feldern gab es natürlich auch viel zu tun, denn im Frühjahr hiess es z.B. Kartoffeln stecken, damit daraus neue Kartoffelstauden wuchsen, von denen wiederum später pro Stock mindestens 20 neue Kartoffeln entstanden oder von den Bäumen Apfel, Birnen oder Zwetschgen pflücken, Beeren von den Sträuchern ablesen usw. Es gab damals noch keine Maschinen, die diese Arbeiten erledigten. Diese Kinder kamen nie dazu, irgend ein Buch oder ein Heftchen zu lesen, erhielten nie ein Spielzeug, durften auch keine Freunde haben oder mit Schulkameraden spielen.

Die beiden Schwestern hatten Glück, denn ihre jeweilige Gotte war so lieb, sie aufzunehmen. Also mussten sie nicht in eine fremde Familie, wo sie nur als Arbeitskraft geduldet waren. Trotzdem wären sie natürlich lieber bei ihrer Mutter geblieben und hatten bestimmt auch Heimweh. Ob Tante Emma, die ältere der beiden Schwestern, später deswegen psychische Probleme hatte, weiss man nicht. Einen richtigen Beruf lernen durfte sie jedenfalls nicht. Sie arbeitete fast bis zu ihrem Lebensende als Küchenhilfe in Restaurants wie im Hecht in Ermatingen und zuletzt im Hotel Schiff in Mannenbach. Sie konnte am Laufmeter Witze erzählen, unzählig viele Gedichte aufsagen und im Kartoffelschälen und Pommes frites-Schneiden war niemand imstande, es mit ihr aufzunehmen. Sie kam uns oft besuchen und war froh, wenn sie etwas bei uns verweilen durfte.

Wie Tante Nelly ihre Jugendzeit verbrachte, ist mir nicht bekannt, ich weiss nur dass sie mit Leo Bruggesser verheiratet war und sie mit ihren beiden Töchtern in Arbon wohnten. Obwohl ich erst 6 Jahre alt war, kann ich mich noch erinnern, dass mir meine Mutter erzählte, Nelly sei im Bodensee ertrunken, als sie mit ihren beiden Töchtern Doris und Regula sowie mit dem Zimmerherr, der bei ihnen wohnte, am 14. Juli 1946 mit dem Ruderboot auf dem Bodensee hinausgefahren sei. Zuerst hätte der Zimmerherr schwimmen wollen und hätte einen Köpfler gemacht und als er nicht auftauchte (angeblich konnte er nicht gut schwimmen), sei auch die Mutter ins Wasser gesprungen, um ihn zu retten. Vorher hätte sie aber ihren beiden kleinen Mädchen eingeschärft, sich ruhig zu verhalten und schön im Boot zu bleiben. Wie mir Doris Jahrzehnte später erzählte, sah sie nach einer Weile die Mutter unter der Wasseroberfläche. Sie habe noch ihre offenen Augen gesehen. Sie dachte sich (ein Kind von nicht einmal 6 Jahren), sie wolle mit ihr Versteckis spielen und lehnte sich etwas zurück, damit die Mutter sie nicht mehr sehen konnte, und als sie sich wieder nach vorne beugte, sei die Mutter nicht mehr dort gewesen und nicht mehr erschienen. Langsam bekamen sie es mit der Angst zu tun, weil ihre Mutter nicht mehr auftauchte, und Doris begann um Hilfe zu rufen. So trieben sie die längste Zeit dahin, bis sie jemand entdeckte und auf ihre Rufe reagierte. Als die Polizei endlich erschien, brachten sie die beiden Mädchen an Land, nahmen dann aber Doris gleich wieder mit, weil sie ihnen zeigen wollte, wo die Mutter ins Wasser sprang. Sie führte sie tatsächlich zu der Stelle hin, wo sie die beiden dann nur etwa 100 m entfernt davon fanden. Wahrscheinlich hatte sich der Zimmerherr zu sehr an Nelly geklammert und sie eher nach unten gezogen, statt dass sie ihn hätte nach oben bringen können. So wurden meine kleinen Cousinchen schon früh Halbwaisen. Es war für die beiden Mädchen schrecklich, dass sie ihre Mutter nicht mehr sehen konnten, um sich von ihr zu verabschieden. Den Sarg in der Wohnung bemerkten sie zwar, wussten aber nicht, dass die Mutter drin war. Als sie fragten, wo denn ihre Mutter jetzt sei, erhielten sie die Antwort: „Im Himmel“. Gottlob wohnte ihre Grossmutter väterlicherseits bei ihnen, die sie liebten. Nach einem Jahr heiratete der Vater wieder, aber ihre Stiefmutter erlaubte ihnen keinen Kontakt mehr mit uns, da wir angeblich zu wenig katholisch waren. Sie hätte Doris auch nie ein Foto von ihrer Mutter gezeigt. Erst Jahrzehnte später kramte endlich der Stiefbruder ein Album mit Fotos hervor, nachdem die Stiefmutter schon gestorben war, weil sich Doris bei ihm beklagt hatte. Der Vater kümmerte sich nicht sehr um die beiden Mädchen. Für ihn war nur seine Arbeit wichtig. Ihre richtige Mutter war ja die Schwester von meinem Vater, also evangelisch. Nun mussten sie aber in den katholischen Religionsunterricht und dort lernten sie, dass wenn jemand gut gelebt habe, nach dem Tod in den Himmel komme. So streckte Klein-Doris die Hand auf und meldete: „Unsere Mutter ist auch im Himmel“, worauf doch der Pfarrer diesem Kind sagen konnte: „Deine Mutter ist sicher nicht im Himmel, denn sie war ja nicht katholisch.“ Wir sehen es ja selbst in der heutigen Zeit, was die Religion anrichten kann. Nelly war übrigens die Gotte von meinem Bruder René. Er hatte sie wenigstens 5 Jahre, ich meinen Götti nur knapp 2 Monate. René hätte so gerne mit dieser Familie Kontakt gehabt, aber auch das blieb ihm wegen der Stiefmutter versagt.


(20) Unser Vater.

Unser Vater.

 

Ernst, mein Vater hatte noch einigermassen Glück, denn seine Bauernfamilie plagte ihn nicht noch zusätzlich, aber viel zu essen bekam er offensichtlich ebenfalls nicht, denn auch er versteckte Äpfel im Heustock, damit er im Winter hie und da eine Frucht essen konnte. Der Bauernhof war in Guntershausen bei Berg TG, wo er die Primarschule besuchte. Es blieb ihm nie Zeit, Schulaufgaben zu machen, denn er musste im Stall und auf dem Feld helfen. Nur am Sonntag durfte er sich etwas den Träumen hingeben. Dafür verbrachte er die meiste Zeit an der Bahnlinie und schaute den Zügen zu. Wie fast jeder Knabe, wollte er einmal Lokomotivführer werden. Am meisten bedauerte er, dass er die Sekundarschule nicht besuchen konnte. Auch eine höhere Schule hätte er sicher problemlos bewältigt, aber nach seinen Wünschen fragte ihn niemand. Im Gegenteil, er musste froh und dankbar sein, dass er überhaupt eine Lehre absolvieren durfte. Weil gerade eine Lehrstelle bei einem Schmied frei war, wurde er schlussendlich Schmiedemeister.


(21) Onkel Emil.

Onkel Emil.

 

Sein Bruder Emil hielt es nie lange in einer Familie aus, er traf es auch nie gut. Wegen der schlechten Ernährung war er klein und dünn und wurde auch oft verprügelt. Es war für ihn nicht auszuhalten. Er erzählte uns, dass er abgehauen sei, als es ihm zu viel wurde. Er habe sich oft nachts in einem Häuschen von einem Eisenbahnwagen versteckt, der auf einem Abstellgleis stand. Dort habe er geschlafen und tagsüber sei er im Wald untergetaucht. Eines morgens kamen aber die Bahnarbeiter bevor er richtig wach war, und so rannte er wie ein Pfeil aus dem Wagen und in den nächsten Wald. Leider fand ihn die Polizei dann aber trotzdem. Er sagte ihnen, sie können mit ihm machen, was sie wollen, aber er gehe nicht mehr zu diesem Bauer zurück. Gottlob fand die Gemeinde einen Platz bei einem Schreiner für ihn. Der fragte ihn, ob er gewillt sei, sich anzustrengen und ein braver Schreiner zu werden. Er war damit einverstanden, und so begann für ihn eine bessere Zeit. Er bekam normale Mahlzeiten, und die Arbeit als Schreiner gefiel ihm. Sein Meister war zwar sehr streng und ein äusserst kurliger Typ, so hielt es auch kaum jemand sehr lange bei ihm aus. Emil akzeptierte aber seine Marotten, zum Beispiel jeden Samstag, nachdem in der Werkstatt alles sauber gemacht wurde, mussten die Angestellten des Meisters Militärgeschichten anhören, was Emil bald als einziger ohne zu murren über sich ergehen liess. Dafür hatte er schlussendlich den Abschluss eines Schreiners in der Tasche.
Er heiratete später Hedy Heer und wohnte mit ihr in Hauptwil im Haus, gleich vor der kleinen Brücke, die über den Dorfbach führt, schräg vis-à-vis, wo René, mein Bruder, jetzt wohnt neben der katholischen Kapelle, die es damals noch nicht gab. Bevor man zu René's Haus kommt, steht auch immer noch das Gebäude, in dem Onkel Emil damals seine Schreinerwerkstatt hatte. Später liess er sich von Hedy scheiden und heiratete Bertha Stürm. Sie zogen dann aber von Hauptwil weg nach Zihlschlacht, hatten zusammen einen Sohn, natürlich namens Emil. Dieser übernahm den Betrieb seines Vaters, den sie eine Zeit lang zusammen erfolgreich führten und wohnt mit seiner Frau Bernadette und den Kindern immer noch dort.



(22) Onkel Walter.

Onkel Walter.

 

Von Walter weiss ich nur, dass er ebenfalls in irgend einer Bauernfamilie unterkam. Ich fragte ihn einmal, als mein Vater schon tot war, ob er mir nicht mehr über diese Zeit erzählen möchte, aber er wollte nicht daran erinnert werden. Sie war zu schrecklich für ihn. Er sagte nur, der Hunger hätte sie eigentlich dauernd geplagt, oft hätten sie nur von den Früchten der Bäume und Sträucher gelebt. Sie seien so arm gewesen, dass nicht einmal ihre Verwandtschaft etwas von ihnen wissen wollte. Er wurde auch nie dick in seinem Leben. Er absolvierte dann in Basel eine Coiffeurlehre. Dort vernahm er auch die Nachricht über den Tod seines Vaters in der Psychiatrischen Klinik in Münsterlingen. Wieso er eingewiesen wurde, wusste er aber nicht, er vermutete wegen Alkoholabusus. Komisch war nur, dass er auf dem WC starb, nach Onkel Walter wegen eines Asthmaanfalles und nach Onkel Emil, weil er sich das Leben nahm, indem er in der verstopften und mit Wasser gefüllten WC-Schüssel den Kopfstand machte. Mein Vater brachte es dagegen mit seinen Stuhlproblemen in Zusammenhang. Einmal fiel mein Vater bei einer seiner häufigen Koliken ohnmächtig über meinem Bett zusammen (das WC lag gleich neben dem Mädchenschlafzimmer), so dass er mir erzählte, sein Vater sei auf diese Weise auf der Toilette gestorben. Wirklichen Kontakt hatten leider mit ihm jedoch weder mein Vater noch seine Geschwister.

Dafür hatte Walter später Glück bei seiner Partnerwahl. Er heiratete Rösli Hungerbühler, die am 14. April 1909 in Langgreut bei Romanshorn zur Welt kam. Ihr Vater war Zimmermann und ehelichte mit 36 ihre damals 21-jährige Mutter im Jahre 1904. Zuerst wohnten sie in Egnach. Dort arbeitete er als Zimmermann. Dann kauften sie das Bauernhaus in Langgreut, und er wurde Bauer, half aber immer bei Bedarf aus, wenn irgendwo dringend Zimmerarbeiten gemacht werden mussten. Tante Rösli erinnerte sich noch gut, als ihr Vater im Haus das elektrische Licht installieren liess. Es kam ihr immer wie ein Wunder vor, dass man nur auf einen Schalter zu drücken brauchte, um ein ganzes Zimmer in Licht zu tauchen. Vorher mussten sie Petrollampen aufstellen, damit es einigermassen hell war. Noch früher hatte man sogar nur Kerzenbeleuchtung. Es gab bei ihnen auf dem Hof fast alles an Obst, wie Kirschen, Pflaumen, Zwetschgen, Aepfel, Birnen und natürlich auch Beeren, so bekam sie als Kind immer genug Gemüse und Früchte im Unterschied zu ihrem Mann, Onkel Walter und seinen Geschwistern, die oft froh gewesen wären, wenn sie nur einen Apfel erhalten hätten.


(23) Onkel Paul, mein Götti.

Onkel Paul, mein Götti.

 

Der jüngste Bruder Paul war mein Götti, aber leider nur für nicht einmal drei Monate. Ich wurde am 5.1.1940 geboren, und er starb am 1. März 1940. Er war Metzger wie sein Vater, nachdem er wie die andern bei einem Bauer seine Kindheit und Schulzeit verbrachte. Er ass natürlich gerne Fleisch. Nur hatte er das Pech, dass er mit einem Bissen Fleisch gleichzeitig ein Knöchlein verschluckte, das ihm dann im Hals stecken blieb. Nach den Erzählungen meiner Mutter starb er an Speiseröhrenkrebs. Er hinterliess seine traurige Frau Emma mit Töchterchen Emmeli, die nicht viel älter war als ich. Als Andenken an meinen Götti blieben mir die sechs silberne Kaffeelöffel, sein Geschenk zu meiner Geburt.

 

Eltern und Kindheit
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2.  Eltern und Kindheit

Während mein Vater in Affoltern im Kanton Zürich tätig war, schrieb ihm seine Mutter im Frühjahr 1935, er solle sich mit Herrn Hauser, ihr damaliger Nachbar in Roggwil, der Strasseninspektor im Kanton Thurgau war, in Verbindung setzen, denn in Hauptwil würde wegen des schrecklichen Hochwassers dringend seine Hilfe gebraucht und eventuell bestehe auch die Möglichkeit, die Schmiede im Dorf zu übernehmen. Also machte er sich auf den Weg dorthin. Seine Aufgabe war vorerst einmal, bei der Wiederaufrichtung des Eisenbahndamms zwischen der Stickerei und dem Tunnel, unter dem die Strasse von Hauptwil nach Arnegg Richtung Gossau SG führte, zu helfen. Das Hochwasser hatte ihn fast völlig zerstört sowie auch die Wiese des Bauers Niederer und bestimmt auch die unteren Stockwerke seines Hauses und seine Scheunen überschwemmt. Selbstverständlich trat auch der Dorfbach beim Kaufhaus über die Ufer und kam wegen des engen Bachbettes zwischen Kaufhaus, Restaurant und Bäckerei Dintheer sowie Esther Brunschweilers Haus so richtig in Fahrt, um sich dort noch einer weiteren Richtung zuzuwenden, nämlich direkt auf unser Haus und die Sornthalerstrasse zu. Das tobende Wasser riss die Strasse mindestens einen Meter tief gleich mit sich, so dass alle Häuser, inklusive unserem fast völlig freigelegt wurden. Bei Etters vor der Scheune des Tierhändlers Inauen war die Sornthalerstrasse bis auf die Grundmauern des Hauses weggefegt. So gab es natürlich im ganzen Dorf sehr viel zu tun. Ausserdem bekam mein Vater dadurch auch Kontakt mit der Schmiede und meinem Grossvater, der ihn fragte, ob er wegen seines Gesundheitszustandes nicht sein Geschäft übernehmen möchte. Es stand nicht nur eine Schmiede in Aussicht, sondern auch noch eine hübsche Tochter, die er mit der Uebernahme der Schmiede gleichzeitig heiraten sollte. Dagegen hatte er eigentlich nichts. Trotzdem fragte er seine Mutter: „Was meinst Du, soll ich Maria einen Heiratsantrag machen, dabei aber auch die Verpflichtung eingehen, die Schmiede samt Haus mit Schulden zu übernehmen?“ „Ich würde es wagen, denn so eine Gelegenheit bekommst Du kaum wieder“, war ihre Antwort.


(1) Hochzeitsanzeige.

Hochzeitsanzeige.

 

Am 14. Oktober 1935 läuteten die Hochzeitsglocken. Meine Mutter war gerade 21 und mein Vater 25 Jahre alt. Für heutige Verhältnisse sehr jung. So hatte mein Vater wieder eine neue Herausforderung - eine eigene Schmiede zu leiten und dazu eine Familie zu gründen. Es ist unglaublich, was er in den sehr schwierigen Zeiten alles zustande gebracht hatte. Er meisterte den Schmiedebetrieb problemlos, sorgte dafür dass auch seine Schwiegereltern im selben Haus wohnen konnten, beschlug nicht nur die Pferde mit neuen Hufen, sondern reparierte auch die landwirtschaftlichen Geräte der Bauern, verkaufte ihnen auch neue, wenn sie welche benötigten. Meine Mutter war auch nicht tatenlos. Damit sie auch etwas dazu verdienen konnte, öffnete sie im unteren Teil des Hauses neben der Post, einen Haushalts- und Spielwarenladen.

Trotz der vielen Arbeit, die zu erledigen war, fand meine Mutter auch etwas Zeit, um sich der Malerei zu widmen, wenigstens zu Beginn,


(2) Bild von meiner Mutter von der Abbiegung nach Schlatt auf dem Fussweg von Hauptwil nach Bischofszell.

Bild von meiner Mutter von der Abbiegung nach Schlatt auf dem Fussweg von Hauptwil nach Bischofszell.

    
denn ein Jahr nach der Hochzeit, am 3. November 1936 kam Ernst zur Welt, gut ein Jahr später, am 19. Dezember 1937, Paul. Ernst hatte fast pechschwarzes, wunderschönes Haar und dunkle Augen, Paul hingegen blaue Augen mit beinahe weissblonden Locken. Aus meiner Sicht hat er diesbezüglich die Gene von Onkel Walter geerbt, der ebenfalls blonde Locken und blaue Augen hatte, sowie sein Sohn Walter. Paul musste sich später in der Schule viel von den Mädchen anhören, ob er jeweils am Morgen zuerst die Haare eingewickelt habe, damit er so schöne Locken bekomme. Paul wie Ernst waren bildhübsche Knaben, was von so gut aussehenden Eltern gar nicht anders zu erwarten war. 

Ernst und Paul mit polnischen und französischen Internierten.

 

Es blieb meiner Mutter wahrscheinlich damals nicht viel anderes übrig, als meinen Vater zu heiraten, denn nur sie konnte so das Elternhaus und das Geschäft retten und dafür sorgen, dass ihre Mutter und ihr schwer kranker Vater nicht daraus vertrieben wurden, aber sicher hatte ihr der rassige Handwerker schon auch gefallen. Ende Januar 1939 erlitt Grossvater einen erneuten Hirnschlag, der ihn völlig lähmte. Er war auch nicht mehr bei Bewusstsein, nur sein Herz pochte noch laut gegen den Brustkasten, bis es nach vier Tagen und fünf Nächten am 4. Februar 1939 den Kampf gegen den Tod aufgab.

Für Grossmutter wurde im zweiten Stock eine kleine Wohnung eingerichtet, ein Wohnzimmer, ein ziemlich geräumiges mit einem Erker und einem abgeschrägten Raum, um Sachen aufzubewahren, sowie ein schmales Schlafzimmer mit Blick auf die Hauptstrasse und Schulplatz (von wo aus sie uns später immer beobachten konnte, ob wir ja sofort nach der Schule nach Hause gingen) und eine kleine Küche, neben der ebenfalls ein abgeschrägter Raum zur Verfügung stand. Das Bad musste sie im unteren Stock benützen. Ausser ihren Zimmern gab es noch drei weitere für Angestellte und einen breiten Korridor, von dem aus auch eine Treppe in den Estrich führte. Wir hatten in der Zeit
immer ein Dienstmädchen, um diesen grossen Haushalt zu bewältigen und dazu noch die Kocherei für so viele Leute. Auch zwei bis drei Polen und Franzosen arbeiteten in den Kriegszeiten bei unserem Vater. Sie waren interniert und unterstanden der örtlichen Ortswehr. Vater war Kommandant. Es war überhaupt viel Militär im Dorf. Die Polen wollten einmal streiken, weil sie nicht mittags und abends Fleisch zu essen bekamen, aber damals konnte man ja Lebensmittel nur mit Lebensmittelmarken erwerben. Jede Familie erhielt von der Gemeinde je nach Grösse der Familie eine gewisse Anzahl davon, mit denen man im Konsum, in der Bäckerei oder Metzgerei einkaufen konnte.

So wie Grossvater wohlbeleibt war, mit einem kugelrunden Kopf und Schnurrbart und einem ebenso runden Bauch - dafür war er bestimmt sehr gemütlich - , so war meine Grossmutter hager, nicht sehr gross, jedoch mit stämmigen Beinen, einem schmalen, nicht hässlichen Gesicht. Leider bekam sie ein paar Kummerfalten, wegen der vielen Sorgen, die ihr Mann ihr bereitete. Sie hatte aber noch volles, schönes, weisses Haar. Wenn die beiden Frauen, Mutter und Tochter, auch nicht immer gut miteinander auskamen, was ja selten auf die Dauer gut geht, wenn zwei Generationen unter dem gleichen Dach wohnen, war Grossmutter doch eine grosse Hilfe. Sie rüstete Berge von Gemüse und Kartoffeln, wusch mit meiner Mutter und der Haushaltshilfe zusammen die Wäsche und bestrickte uns von Kopf bis Fuss. Damals gab es noch keine Waschmaschine, alles musste von Hand gewaschen werden. Nur die weisse Wäsche wurde in einem riesigen Kessel in der Waschküche im Keller gekocht, d.h. unter diesem Kessel war ein Ofen, den man vorher einheizen musste. Dann holte man die heisse Wäsche mit einem Stecken aus dem Kochtopf und warf sie in einen mit klarem Wasser gefüllten Bottich, sogenannte „Gelte“, rührte mit dem Stecken darin herum, anschliessend wurde sie ausgewrungen und noch zwei- bis dreimal mit neuem Wasser durchgespült und schlussendlich in die Auswinde gegeben. Dafür gab es ein Gerät, das auf dem Boden angemauert war (sicher für die damalige Zeit schon eine Neuigkeit), das schleuderte dann die Wäsche so stark, bis das überflüssige Wasser entfernt wurde, so wie jetzt auch in den modernen Waschmaschinen. Nur war das Gerät oben offen, und es war nicht am Strom angeschlossen, sondern am Wasserhahn. Wenn man diesen stark oder weniger stark aufdrehte, schleuderte es schneller oder langsamer. Bei der langsameren Variante konnte man als Kind drin sitzen und kam sich vor wie in einem kleinen Karussell. Selbstverständlich war das verboten, aber von uns Kindern wurde es halt doch praktiziert. Für die Wäsche musste man den Hahn stark aufdrehen, und erst wenn die Maschine abgestellt war und die Drehungen etwas nachliessen, konnte man sie von Hand ganz stoppen. Die bunte, schmutzige Wäsche wurde auf einem Waschbrett mit Seife eingerieben und darauf so lange gerubbelt, bis sie sauber war. Dementsprechend litten auch die Hände darunter.


(4) Schloss Hauptwil.

Schloss Hauptwil.

 

Wir wohnten zwar auf dem Lande, aber in einem sehr schönen, speziellen Dorf. "Hauptwil  wurde", wie es dem Geschichtsbuch von Dr. Ernst Menolfi, Hauptwil-Gottshaus, zu entnehmen ist, "durch die Leinenweberei und die Bleichereien der Gebrüder Hans Jacob und Bartholome von Gonzenbach, die ihren Wohn-, Produktions- und Handelssitz von St. Gallen nach Hauptwil verlegten, sprunghaft zu einem bekannten Industrieort. Ausschlaggebend für den Entscheid dieser initiativen Unternehmer waren die einengenden Zunftvorschriften ihrer Vaterstadt. Für Hauptwil sprach zudem das Wasserangebot, das sich mit einem ausgeklügelten Kanal- und Wehrsystem bestens nutzen und regulieren liess. Dazu gehörte der Hauptwiler Weiher als dem untersten der fünf Karpfenweiher, welche das Chorherrenstift Bischofszell um 1430 errichten liess, sowie der südlich des Ortes gelegene Niederwiler Weiher. Innerhalb weniger Jahre erstellten die Gonzenbach eine Leinenmanufaktur mit rund vierzig Gebäuden, was für die damalige Zeit ein einmaliges Ereignis darstellte und weit reichende Auswirkungen für die Textilindustrie der ganzen Ostschweiz hatte. Teil dieser äusserst repräsentativen Anlage waren unter anderem das neue Schloss, das Tortürmchen, das Kaufhaus oder untere Schloss, den Gasthof Löwen,
sowie den Langbau, der heute als ältestes noch erhaltene Arbeiterwohnhaus dieser
Art in der Schweiz gilt.


(5) Tortürmchen, gemalt von meinem Bruder René, der auch das Talent unserer Mutter geerbt hat.

Tortürmchen, gemalt von meinem Bruder René, der auch das Talent unserer Mutter geerbt hat.

  

Dem Unternehmen war vorerst ein ausserordentlicher Erfolg beschieden, und es stieg rasch zu den führenden Handelshäusern der Eidgenossenschaft auf. 1693 teilten die beiden Familien das Unternehmen und sämtliche Gebäude des Ortes unter sich auf und bekämpften sich in der Folge während mehreren Jahrzehnten. Der Zweig Hans Jacob im Neuen Schloss führte bis zur Betriebsschliessung kurz vor 1800 den Leinwandhandel fort. Die Anton'sche Linie im alten Schloss und Kaufhaus wandte sich hingegen dem modischen Indienne-Stoffdruck zu und brachte ihr Unternehmen zu grosser Blüte. Zeugnis davon gibt das aus dem Jahre 1780 stammende spätbarocke Fabrikgebäude ("Gelbbau") am Hölderlinweg. Es war auch Anton Gonzenbach, der 1801 den Dichter Friedrich Hölderlin für einige Monate als Hauslehrer einstellte."

Gemäss der Hölderlin Gesellschaft schrieb 1801 Hölderlin an seinen Freund Christian Landauer, Stuttgart im Februar 1801, StA 6.1, Nr.229, S.416, Z.30-33:
„… Die grosse Natur in diesen Gegenden erhebt und befriediget meine Seele wunderbar. Du würdest auch so betroffen, wie ich, vor diesen glänzenden ewigen Gebirgen stehn, und wenn der Gott der Macht einen Thron hat auf der Erde, so ist es über diesen herrlichen Gipfeln. Ich kann nur dastehn, wie ein Kind, und staunen und stille mich freuen, wenn ich draussen bin, auf dem nächsten Hügel, und wie vom Aether herab die Höhen alle näher und näher niedersteigen bis in dieses freundliche Tal, das überall an seinen Seiten mit den immergrünen Tannenwäldchen umkränzt, und in der Tiefe mit Seen und Bächen durchstömt ist, und da wohne ich, in einem Garten, wo unter meinem Fenster Weiden und Pappeln an einem klaren Wasser stehen, das mir gar wohl gefällt des Nachts mit seinem Rauschen, wenn alles still ist, und ich vor dem heiteren Sternenhimmel dichte und sinne.“


(6) Flugaufnahme von Hauptwil;vorne rechts der Strasse "Kaufhaus", gegenüber links der Strasse Haus der Familie Brunschweiler, anschliessend Restaurant "Löwen", unser Haus mit Post, dahinter damaliges Konsumgebäude, links dahinter Schulgebäude, weiter rechts hinten Mehrfamilienhaus neben Türmchen, links von der Kirche das Schloss. Rechts hinter dem Kaufhaus, damaliges Restaurant und Bäckerei Dintheer, etwas mehr rechts das Schlössli mit der Hölderlin-Tafel, weiter rechts das längliche Gebäude, damalige Schreinerei von Onkel Emil, rechts dahinter jetziges Haus von Bruder René, beim hinteren rechten Bildrand Langbauten für die Arbeiterfamilien.

Flugaufnahme von Hauptwil;vorne rechts der Strasse "Kaufhaus", gegenüber links der Strasse Haus der Familie Brunschweiler, anschliessend Restaurant "Löwen", unser Haus mit Post, dahinter damaliges Konsumgebäude, links dahinter Schulgebäude, weiter rechts hinten Mehrfamilienhaus neben Türmchen, links von der Kirche das Schloss. Rechts hinter dem Kaufhaus, damaliges Restaurant und Bäckerei Dintheer, etwas mehr rechts das Schlössli mit der Hölderlin-Tafel, weiter rechts das längliche Gebäude, damalige Schreinerei von Onkel Emil, rechts dahinter jetziges Haus von Bruder René, beim hinteren rechten Bildrand Langbauten für die Arbeiterfamilien.

  

Weiter berichtet Dr. E. Menolfi:
"Während der Zeit der Helvetischen Republik (1798-1803) geriet Hauptwil in den Brennpunkt der Politik. Hans Jacob IV Gonzenbach im Oberen Schloss und die beiden Brüder Johann Joachim und Enoch Brunnschweiler, Färbereiunternehmer im „Spittel“, trieben die Befreiung des Thurgaus aus eidgenössischer Untertanenschaft voran. Später erwarb die Familie Brunnschweiler viele wichtige Gebäude in Hauptwil und wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts mit ihrer renommierten Rotfärberei zur eigentlichen Nachfolgerin der Gonzenbachs. Bei Neubauten bevorzugte sie eine traditionelle Lehmbauweise (Pisé), welche heute als ein Charakteristikum von Hauptwil gilt. Nachdem sich die Familien Brunnschweiler im 19. Jahrhundert dem Pietismus zugewandt hatten, wurde Hauptwil ein regionales Zentrum der freikirchlichen Bewegung, die heute im ehemaligen Webereigebäude Niederer, Oberdorfstrasse 4, ihren Gottesdienstraum hat.



Aus dem NZZ Artikel v. 25.9.1995:Von der Leinwand zum Papier. Eröffnung des Industrielehrpfads Hauptwil-Bischofszell.


Ein Meilenstein war 1876 die Inbetriebnahme der Bahnlinie Sulgen-Hauptwil-Gossau, welche wesentlich zur damaligen Verbreitung der Stickereiindustrie in Heimarbeit beitrug. Das Ende des Textilgewerbes, das den Ruf Hauptwils einst begründete, kam mit der Schliessung der Fäberei Brunschweiler (1984) und dem Wegzug der Stickerei Anderegg (1994)."


(8) Hauptwil in der Zeit von Hölderlin; rechts Blick auf den Säntis vom "Chüngeliberg".

Hauptwil in der Zeit von Hölderlin; rechts Blick auf den Säntis vom "Chüngeliberg".

 

Aus dem Schloss entstand igendwann die Haushaltungsschule und ab 1952 das Altersheim, das nun leider aus finanziellen Gründen verkauft werden muss. 
 
Im Parterre des Schlössli, über deren Eingang die Hölderlintafel befestigt ist, durften die Katholiken jeden Mittwochmorgen und jeden 2. Sonntag die Kapelle für den Gottesdienst benützen. Entweder kam ein Kaplan aus Bischofszell, aber meistens ein Pater aus Gossau, um die Messe zu lesen. So mussten wir wenigstens nicht immer nach Bischofszell pilgern. Viel später, irgendwann in den 1960-iger Jahren, bauten die Katholiken eine Kapelle neben dem Haus, in dem René jetzt wohnt.


(9) Von links Vater, Mutter, Dienstmädchen sowie internierte Polen und Franzosen, vorne Paul und Ernst.

Von links Vater, Mutter, Dienstmädchen sowie internierte Polen und Franzosen, vorne Paul und Ernst.

  

(10) Von links Paul und Ernst auf Dressine.

Von links Paul und Ernst auf Dressine.

 

Es entstanden noch die Portraits von Ernst und Paul. Später fehlte Mutter die nötige Zeit dazu. Leider musste sie ihre künstlerischen Fähigkeiten begraben. Sie hatte aber noch ein Talent, sie konnte gut singen und hatte eine wunderbare Stimme. Sie war eine fröhliche junge Frau, immer gut gelaunt und so sang sie oft während sie die langweiligen Hausarbeiten verrichten musste. Die erledigten sich dadurch fast von selbst und für uns Kinder war es schön. Wir lernten auf diese Weise auch viele Lieder kennen. Wenigstens das Singen konnte ihr niemand nehmen.


(11) Grossmutter mit Ernst, Paul und Klein-Silvia sowie Ernst und Paul an der Ecke der Schmiede.

Grossmutter mit Ernst, Paul und Klein-Silvia sowie Ernst und Paul an der Ecke der Schmiede.

  

Wir wurden alle im Caritasheim St. Theresia in Niederuzwil SG geboren, das Nonnen gehörte und auch von ihnen geführt wurde, so auch ich am 5.1.1940. Als meine Mutter während meines Säuglingsalters krank wurde, brachten sie mich dorthin, ins dazugehörige Kinderheim, damit sich meine Mutter schneller hätte erholen können, aber so leicht liess ich mich nicht abschieben. Ich verweigerte so lange die Nahrung, bis sie zu Hause anriefen, sie müssten mich wieder holen. Wahrscheinlich sträubte ich mich schon damals instinktiv gegen Milch, auf die ich später überempfindlich reagierte.

Kaum dass ich auf meinen krummen Beinchen stehen konnte, brachte meine Mutter unser Brüderchen René aus der Klinik nach Hause. Er war auch ein hübscher Knabe mit blonden gelockten Haaren, die sich später zum Entzücken meiner Mutter zu wunderschönen Zapfenlocken formen liessen, nicht wie mit meinen dunkelbraunen Haaren, die sich widerborstig auf der einen Seite nach innen und auf der anderen Seite nach aussen drehten. Anscheinend wohnte damals auch ein interniertes französisches Ehepaar bei uns, als René geboren wurde, denn der Franzose wurde Renés Götti (daher bekam er auch den französichen Namen) und Vaters Schwester Nelly seine Gotte. Er kann sich noch erinnern, wie er als Baby im Bett von seinem Götti und seiner Frau, vor allem zwischen ihren grossen Busen, schlief. Mit René hatte ich bald einen Spielkameraden, denn für Ernst und Paul waren wir vorläufig nicht besonders interessant.


(12) René (links) und Silvia.

René (links) und Silvia.

 

Als wir schon etwas grösser waren, jedoch noch nicht gehen konnten, spielte Ernst hie und da mit uns Eisenbahn. Die Rinnen am Strassenrand waren die Schienen und der Kinderwagen die Bahn (Trottoirs gab es damals noch nicht, nur so halbrunde Rinnen, die das Regenwasser auffingen). Für Ernst waren es die idealen Eisenbahnschienen und so rannte er mit mir oder später mit René diesen Rinnen entlang. Er musste nur achten, dass der Wagen nicht kippte. Später, als wir ca. 2-3 Jahre alt waren, fuhr er mit uns in einen Leiterwagen auf dem Schulhausplatz im Kreis herum, immer schneller, rechnete aber nicht mit der Zentrifugalkraft, die so stark wurde, dass wir plötzlich im hohen Bogen aus dem Leiterwagen geschleudert wurden. Wir hatten das Pech, dass wir auf unsere Gesichter fielen, aus der Nase bluteten und die Lippen total geschwollen und aufgeschlagen waren. Unsere Eltern hatten eben nicht Zeit, dauernd auf uns acht zu geben und aufzupassen, damit ja nichts geschah.

Damals gab es noch keine Zentralheizung. In der Stube war ein grüner Kachelofen, der von der grossen Küche nebenan geheizt wurde. Dieser hatte auf der einen Seite in der Mitte eine Oeffnung, die mit einem Eisentürchen geschlossen wurde und in der man z.B. fantastische Bratäpfel machen konnte. Auf der anderen Seite des Kachelofens war am Boden eine halbrunde Oeffnung, wie eine kleine Höhle. Meine Grosseltern hielten damals noch einen Hund. Als dieser einmal Junge hatte, brachte er sie in diese Oeffnung, damit die Hundebabies dort schön an der Wärme waren. Nur hatten sie leider Pech. Als ihre Hundemutter einmal nicht bei ihnen weilte, wollte Klein-Paul mit ihnen spielen, packte sie wahrscheinlich etwas zu fest um den Hals, sodass sie erstickten. Seither gab es keine Hunde mehr in unserem Haushalt.

Ueber dem gleichen Feuer, von dem aus der Kachelofen geheizt wurde, konnte man auch kochen. Das Feuer des Kochherdes wärmte also gleichzeitig auch den Kachelofen und damit unsere Stube, was sehr praktisch und sparsam war. In den Schlafzimmern war es hingegen sehr kalt. Deshalb befestigte man im Winter immer Vorfenster vor die normalen Fenstern, damit die Kälte besser abgehalten wurde. Kein Wunder gab es dann an den Fensterscheiben auch immer so wunderschöne Eisbilder, weil sich durch die äussere Kälte und die innere Wärme Kondenswasser bildete und dadurch die Eiskristalle entstanden. Jeder hatte auch eine dicke Federdecke, ein Oberleintuch und eine Wolldecke, damit man von allen Seiten vor der Kälte geschützt war, sowie eine Bettflasche aus Eisen, ein grosses halb ovales Ding, das oben eine Oeffnung hatte, um das heisse Wasser einzufüllen. Dazu trugen wir Bettsocken, um sich nicht die Füsse daran zu verbrennen, solange sie noch heiß war. Ich liebte es immer, wenn unser Vater abends noch zu uns ins Zimmer kam und uns rundherum gut zudeckte, damit ja von keiner Seite Kälte unter die Decke kam. So konnte ich immer getrost und selig einschlafen.

Wenn wir schon an der Hauptstrasse wohnten, so war unsere Terrasse über der Schmiede, in der Grösse zweier Zimmer, für meine Mutter eine Riesenerleichterung, denn das Laufgitter konnte dort für mich aufgestellt werden und meine grösseren Brüder hatten auch genug Bewegungsfreiheit. Sie entdeckten aber bald, dass man über das Geländer und dem Dachkännel entlang nach unten klettern konnte. Um die Schmiede herum gab es ja so viel Interessanteres zu erkunden. Ich thronte derweil auf der grossen Holzlokomotive (mindestens so eine musste her, wenn mein Vater schon nicht Lokomotivführer werden konnte).


(13) Silvia auf der Loki.

Silvia auf der Loki.

Solche Prachtsspielsachen bekamen meine Eltern günstiger (trotzdem kam es nicht oft vor), weil meine Mutter, wie bereits erwähnt, im Parterre neben der Schmiede einen Spielwaren- und Haushaltsgeräteladen eingerichtet hatte, wahrscheinlich nicht nur als zusätzliche Einnahmequelle, aber sicher auch als Abwechslung. Sie hatte jeweils sogar einen Stand am Jahrmarkt in Bischofszell.


(14) Von links Paul, Silvia, Ernst.

Von links Paul, Silvia, Ernst.

 

Man konnte also bei uns nicht nur wunderschöne Holzspielsachen, sondern auch Kinderwagen, Eisenwaren und die ersten Dampfkochtöpfe kaufen, was meinen Vater im Krieg sicher auf die Idee gebracht hatte, selbst Riesendampfkochtöpfe für Käsereien herzustellen. Für die Schweine gab es nicht genügend Futter, Mais konnte ja nicht mehr importiert werden, daher fütterte man sie mit gekochten Kartoffeln. Die lange Kochzeit verursachte jedoch ein Problem, das mit den Riesendampfkochtöpfen gelöst werden konnte. Weder ihm noch meiner Mutter fehlte es an guten Einfällen. Mein Vater stellte die Dämpfer an der grössten landwirtschaftlichen Ausstellung der Schweiz, in der Olma in St. Gallen, aus. Da mein Vater nun aber den Platz für die Produktion der Dämpfer benötigte, wurde leider der Laden dafür geopfert. 
 

(15) Ernst (mit verletztem Fuss), Jörg (Nachbarskind) und Silvia neben dem Dampfkochkessel.

Ernst (mit verletztem Fuss), Jörg (Nachbarskind) und Silvia neben dem Dampfkochkessel.

 

1943 nahmen wir eine jüdische Mutter mit ihren beiden Kindern Arno und Riri auf. Riri war ein hübscher, kleiner Knabe mit schwarzem Lockenkopf, etwa im gleichen Alter wie René, also zweijährig. Der Vater wurde wahrscheinlich in ein Lager abtransportiert und vergast oder kam auf andere Weise ums Leben, denn meine Mutter diskutierte stundenlang mit der Flüchtlingsfrau (leider weiss ich nicht mehr, wie sie hiess) über Gräber. „Wenn ich doch wenigstens ein Grab hätte, zu dem ich gehen und das ich pflegen könnte, wenn ich schon meinen Liebsten verlieren musste“, jammerte sie immer wieder. Meine Mutter hingegen meinte, das Grab sei nicht das Wichtigste, die Hauptsache sei doch, dass er im Himmel sei, man könne doch auch so mit ihm sprechen, ihm nahe sein.


(16) Arno.

Arno.

Arno hatte schwarze, gewellte Haare, war für uns schon sehr gross, hatte ein schmales Gesicht, war wahrscheinlich ca. 9 jährig und fuhr schon bald zu seinem Onkel (wahrscheinlich der Bruder der Mutter) nach Paris, damit er bei ihm die Schule besuchen konnte. Später studierte er Arzt.


(17) Arno mit Mutter und Onkel in Paris 1965.

Arno mit Mutter und Onkel in Paris 1965.

 

Wann ihm seine Mutter mit Riri folgten, weiss ich nicht, sie weilten aber schon so lange bei uns, dass sie uns in Erinnerung blieben, obwohl René und ich erst zwei beziehungsweise drei Jahre alt waren.


(18) Riri sowie René mit Riri und Silvia.

Riri sowie René mit Riri und Silvia.

 

Ernst erinnerte sich noch genau, wo er war, als der Krieg zu Ende ging. Die Kirchenglocken läuteten, und er stand hinter dem Haus beim Gemüsegarten und wusste, jetzt ist der Krieg vorbei und vor den vielen „Brummern“ am Himmel musste man sich nicht mehr fürchten. In der Schule lernte er die Flugzeugtypen zu unterscheiden, die wir auch hie und da zu sehen bekamen, da ja Hauptwil luftlinienmässig nicht so weit von Deutschland entfernt war.


(19) Panzerabwehr von unserer Terrasse aufgenommen.

Panzerabwehr von unserer Terrasse aufgenommen.

 

Bald nach dem Krieg kamen neue Flüchtlinge zu uns, Georg und Anny Lux, ein Ehepaar aus Schlesien. Frau Lux half meiner Mutter im Haushalt und Herr Lux arbeitete bei meinem Vater in der Schmiede, später in der Werkstatt. Es waren angenehme Leute, mit denen man gut auskommen konnte. Anny Lux war eine grosse Stütze und Hilfe für meine Mutter. Zuerst wohnten sie bei uns. Als sie Kinder bekamen, zuerst Marianne, später Bärbel, wechselten sie in eine eigene Wohnung. Sobald die Mädchen grösser wurden, zogen sie nach Stuttgart in Deutschland. Wir besuchten sie sogar einmal dort. Für meine Mutter war Anny Lux schlussendlich eine Freundin. Sie machten auch Ausflüge zusammen.


(20) Ausflug mit Frau Lux: links Frau Lux mit unserer Mutter, rechtes Frau Lux auf einem Schiff.

Ausflug mit Frau Lux: links Frau Lux mit unserer Mutter, rechtes Frau Lux auf einem Schiff.

 

Wegen Riris krausen Haaren hatte sicher unsere Mutter René die Zapfenlocken gemacht, worauf alle Leute glaubten, er sei ein Mädchen. Wir tauften ihn sogar Vreneli und zogen ihm Mädchenkleider an. Mutter war immer sehr darauf erpicht, uns Kinder schön anzuziehen, so bekamen René und ich, als wir 4-5-jährig waren, einen Matrosenanzug mit dem dazu passenden blauen Hut, René kurze Hosen, ich Jupe und beide ein Jäckli mit weissem Kragen. Selbstverständlich durften wir es nur sonntags tragen. Während wir warten mussten, bis die Eltern für den üblichen Sonntagsspaziergang bereit waren, sagte ich zu René: „Komm, wir gehen schon mal alleine etwas raus“. Hand in Hand spazierten wir stolz hinter dem Haus Richtung Färberei über die kleine Brücke des Dorfbaches und fühlten uns wie die Grossen, in so einem feinen Anzug und den wunderschönen Hüten. Werktags liefen wir natürlich nur in Kleidern rum, die auch schmutzig werden durften. Ob Sommer oder Winter, die Knaben trugen stets kurze Hosen, die Mädchen meistens Jupe und Pulli, darüber eine Schürze. Im Winter mussten alle Kinder handgestrickte Strümpfe, die mit einem Strumpfhalter, sogenanntem „G’stältli“ oben gehalten wurden, anziehen. Später gab es dann gottlob Strumpfhosen, die Grossmutter strickte, bis sie starb. Leider konnte man diese immer wieder verlängern, und in der Wäsche wuchsen sie jeweils ebenfalls in die Länge, sodass ich sie noch in der Sekundarschule tragen musste. Die Knaben bekamen sogar handgestrickte Hosen. Meine Mutter kaufte später eine Handstrickmaschine, damit die Pullis schneller fertig wurden.


(21) Dreilindenausflug. Linkes Bild: Hinter dem Baum Cousine Silvy, vorne Peter, rechts Karl. 2. Bild: liegend unser Vater, auf ihm v.l.: Armin, Karl und Peter, hinten: René, Maria und Cousine Silvy, 3.Bild: Cousine Annemarie und Onkel Anton, 4. Bild: hintere Reihe: Onkel Paul, Onkel Anton, Vater, vordere Reihe: Tante Ida, Tante Frieda, Karl und unsere Mutter.

Dreilindenausflug. Linkes Bild: Hinter dem Baum Cousine Silvy, vorne Peter, rechts Karl. 2. Bild: liegend unser Vater, auf ihm v.l.: Armin, Karl und Peter, hinten: René, Maria und Cousine Silvy, 3.Bild: Cousine Annemarie und Onkel Anton, 4. Bild: hintere Reihe: Onkel Paul, Onkel Anton, Vater, vordere Reihe: Tante Ida, Tante Frieda, Karl und unsere Mutter.

 

Ein Auto besassen wir damals noch nicht. Darum unternahmen wir meistens grosse Sonntagsspaziergänge, entweder zu den drei Linden oder in die Waldschenke, wo wir Kinder uns auf den verschiedenen Schaukeln vergnügen konnten, oder wir wanderten den fünf Weihern entlang. Da gab es unterwegs immer etwas anzuschauen und zu entdecken. In Gottshaus, oberhalb des fünften Weihers, bekamen wir in der Wirtschaft jeweils ein Vivi-Cola, das schäumte wie Bier und das wir über alles liebten, weil wir uns gross wähnten wie die Erwachsenen, die einen Kaffee oder ein Bier tranken. Dazu durften wir einen feinen Nussgipfel essen. An den Wochenenden besuchten uns oft unsere Verwandten. Auf diese Weise gab es für uns Kinder auch etwas Abwechslung und Gesellschaft. Ausserdem wurde dabei viel gesungen, meine Mutter liebte es sowieso. Sie hatte auch eine gute Stimme. Sie verrichtete keine Arbeit, ob in der Küche oder beim Wäschewaschen, ohne dabei zu jodeln oder ein Lied zu singen. Sie war überhaupt eine fröhliche, aufgestellte Person, auch wenn wir sie ärgerten, war sie nie lange böse. Sie schimpfte zwar, wenn wir etwas anstellten, lachte aber auch bald wieder.


(22) Hintere Reihe: Vater, Mutter, Ernst, Silvia mit rausgestreckter Zunge, Paul, René, vordere Reihe: Maria mit Walter, Peter, Armin, Karl. Bild rechts: V.links: Armin, Peter, Karl, Maria, René, Silvia, Paul, Ernst.

Hintere Reihe: Vater, Mutter, Ernst, Silvia mit rausgestreckter Zunge, Paul, René, vordere Reihe: Maria mit Walter, Peter, Armin, Karl. Bild rechts: V.links: Armin, Peter, Karl, Maria, René, Silvia, Paul, Ernst.

   

Genauso gerne spazierten halb Hauptwil und halb Bischofszell am Sonntag zum „Höfli“ im Sornthal, wo meine Patentante Rosa und Onkel Adolf zu Hause waren und mit viel Freude, wie schon erwähnt, eine Wirtschaft und eine Bäckerei betrieben. Obwohl Sornthal nur ein kleiner Weiler war mit einem Bauernhof, der Weberei der Firma Brunschweiler und ein paar Häusern, fehlte es ihnen nie an Kunden, denn ihre Küche wie ihr Brot waren weit herum bekannt. Ob drinnen oder draussen in der Gartenwirtschaft, es ging immer lustig zu und her und für uns Kinder war hier das Paradies. Für die Erwachsenen gab es eine Kegelbahn und für uns vom Dach dieser Kegelbahn aus eine Rutschbahn, ausserdem auch eine grosse Schaukel mit mehreren Plätzen, viele Tiere, Schweine, Kaninchen, Truthähne, alle mögliche Sorten von Hühnern, Enten und Gänse, die irgendwann in Onkel Adolfs Bratpfanne landeten, zur Freude der Gäste. Da er aber auch gut backen konnte, schickten mich meine Brüder Ernst und Paul zu meiner Patentante, genannt „Tante Gotte“. „Sag ihr, Du hättest gerne ein „Guetzli““. Ich zupfte Tante Rosa am Schürzenzipfel und bat: „Tante Dotte, demer ä Duuzeli“, das „G“ konnte ich noch nicht aussprechen. Selbstverständlich bekam ich immer eines, das dann meine Brüder mit Genuss verzehrten.

Da Ernst im November geboren wurde, durfte er im darauf folgenden Frühling mit sechs schon in die Schule. Auch Paul musste nicht länger warten, so wie ich, die erst mit sieben die Erlaubnis bekam, weil ich im Januar Geburtstag hatte und das Schuljahr damals im Frühjahr begann. Dafür durfte ich mit vier in den Kindergarten. Dort konnte ich malen, basteln, Theater spielen, was mein Herz begehrte. Einmal spielte ich sogar das Rotkäppchen bei einer Theateraufführung. Im Kindergarten hatte ich auch meinen ersten Verehrer, Ruedi, der mir irgendwannn sogar eine Puppe aus Schokolade schenkte. Bis er 32 war, gab er seine Hoffnung, mein Herz einmal zu erobern, nicht auf.

Der Kindergarten befand sich im Oberdorf im Gemeindehaus, sowie die Turnhalle, das Handarbeitsschulzimmer und die Lehrerwohnungen. Für den Turnunterricht oder die Handarbeit mussten wir also immer ins Oberdorf. Während wir Mädchen Handarbeitsunterricht hatten, lernten die Knaben Geometrie. Damals fand man, dass sei nichts für Mädchen.

Unsere Kindergartentante hiess Fräulein Meier. Wir nannten sie aber nur Tante, und ich liebte sie heiss. Bei einer Klassenzusammenkunft etwa fünzig Jahre später war ich erstaunt, dass sie sich noch an mich erinnern konnte. Für uns Kinder war sie mit ca.35 Jahren schon alt, aber unendlich lieb und geduldig und erzählte wunderschöne Geschichten, die wir zu Hause nie zu hören bekamen, denn erstens waren weder Grossmutter noch Mutter Geschichtenerzählerinnen, noch hatte man für solche Träumereien und Fantastereien überhaupt Zeit. Meine Mutter betete als gute Katholikin vor dem Einschlafen mit uns und wenn wir Glück hatten sang sie noch ein Kinderlied, aber für eine Geschichte reichte die Zeit nicht. Dafür kam immer noch Vater ans Bett und deckte uns gut zu.

Wir Kinder benützten selten die Strasse ins Oberdorf, bezw. in den Kindergarten, sondern zogen es vor, dem Kanal entlang zu bummeln, denn das war viel spannender. Im Kanal gab es Kaulquappen, die im Wasser herumschwänzelten, und die man auch fangen konnte. Man musste allerdings vorsichtig sein, denn wenn man barfuss (und das waren wir im Sommer immer) im Bach herum waten wollte, war es gut möglich, dass die Beine nachher voller Blutegel waren, deshalb überliess ich es eher meinen Brüdern und beschränkte mich auf das Beobachten. Kurz vor dem Weiher kletterten wir einen kurzen Hang hinauf. Aus einer Röhre, die durch diesen Hang bis zum Weiher führte, sprudelte auch das Wasser in den Kanal, der dort tief in der Erde eingebettet war und dann teilweise unter der Erde durchfloss, bis er erst etwa 100m weiter wieder ans Tageslicht kam. Einmal wollten René und ich uns genauer anschauen, wie das Weiherwasser aus der Erde kam. Plötzlich verlor René das Gleichgewicht und fiel ins Wasser, das gottlob nicht so tief war. Nur wie kam er jetzt wieder aus dem Loch heraus, denn René war höchstens vier und ich fünf Jahre alt, ausserdem war es noch früh im Frühling und ziemlich kalt. Ich legte mich auf den Bauch und probierte, ihn heraufzuziehen, aber ich hatte nicht genügend Kraft. Ratlos schauten wir einander an, bis mir eine Idee kam. „Warte nur einen Moment, ich hole gleich Hilfe“, beruhigte ich René und kletterte schnell den Hang hinauf zur Strasse beim Weiher. Vis-à-vis des Gemeindehauses und der Villa Brunschweiler gab es einen kleinen Dorfladen. Dort trat ich ein und bat die Besitzerin, ob sie nicht meinen Bruder aus dem Loch, beziehungsweise aus dem Wasser, fischen könnte. Eine Frau, die dort einkaufte, erklärte sich bereit, uns zu helfen, damit der Laden nicht unbeaufsichtigt gelassen werden musste. Selbstverständlich konnten wir, so wie wir aussahen, mit Dreck verschmiert und René dazu noch ganz nass und schlotternd, nicht in den Kindergarten gehen. Also rannten wir schnell nochmals nach Hause und baten unsere Mutter, uns neue Kleider zu geben. „Was habt ihr denn jetzt wieder angestellt, könnt ihr nicht wie die anderen Kinder und wie es sich gehört, auf der normalen Strasse gehen?“, schimpfte sie, zog uns gleichzeitig um und schickte uns mit einem Klaps auf den Popo wieder in den Kindergarten.

Wie ich schon erwähnte, wohnte neben uns der Posthalter Heinrich Kern mit seiner Familie. Sie hatten zwei Kinder, Jörg und Annemarie, die den gleichen Namen hatte wie ihre Mutter. Wir spielten oft zusammen, denn Jörg war nicht einmal ein Jahr älter als ich und Annemarie zwei Jahre jünger. So hatte ich zu Beginn meine drei Brüder und Jörg zum Spielen. Selbstverständlich war ich froh, dass ich mit Annemarie auch bald eine Spielgefährtin und Freundin bekam. Ich war fast öfters bei ihnen zu Hause als bei uns, denn Frau Kern hatte mehr Zeit für uns als unsere Mutter, die ständig soviel Arbeit zu bewältigen hatte. In der relativ grossen Küche von Kerns durften wir auf einem Spielzeugherd köchelen, das liebten wir über alles. Frau Kern konnte auch Klavier spielen, so musizierten wir später oft zusammen, als ich Geige spielen lernte und es etwas besser konnte. Dank ihr bekam ich Bücher zum Lesen. Ohne sie hätte ich nicht die Möglichkeit dazu gehabt. Erst in der Sekundarschule konnten wir welche ausleihen, aber natürlich nur ganz religiöse.

Damit sich meine Mutter etwas erholen konnte, durften wir mit ihr im Sommer einmal auf der Hochalp bei einem Senn in einer Sennhütte, der für uns kochte, Ferien machen. Wir schliefen im Heu und tagsüber suchten wir Heidelbeeren, mit denen wir ganze Milchkessel füllten und die wir dann Vater mitgaben, als er uns am Wochenende besuchte. Meine Mutter benützte die Gelegenheit und malte zur Abwechslung wieder einmal. Da es auf der Alp auch Pilze, vor allem Eierschwämme, gab, bekamen wir auch davon zu essen, nur schmeckten sie mir nicht besonders, sodass ich sie, wenn weder der Senn noch meine Mutter es sehen konnten, hinter meinem Rücken aus dem Fenster warf. Dieser Aufenthalt auf der Alp war schon eine Ausnahme. Meine Eltern konnten sich noch lange keine Ferien leisten.

Am 8. Mai 1946 bekamen wir ein kleines Schwesterchen namens Maria Emanuela. Nach der Geburt von René gab es eine längere Pause, weil meine Mutter zwei Fehlgeburten hatte. Ich war damals 6 Jahre alt und kann mich noch gut an das wunderschöne Baby erinnern mit einer tollen Locke auf dem Kopf und Grübchen in beiden Wangen, wenn sie lachte.


(23) Maria.

Maria.

 

1947 war es endlich so weit, ich durfte nach Ostern in die Schule. Es nervte mich schrecklich, dass Jörg, unser Nachbar nebenan, schon ein Jahr vor mir in die 1. Klasse konnte. Er hatte eben am 24.3.1939 Geburtstag und nicht erst am 5.1.1940 wie ich. Aber nun ging mein Traum doch noch in Erfüllung. Ich freute mich riesig. Ich fand es in der Schule jeden Tag spannend, und wir Mädchen liebten unsere Lehrerin. Wir durften sie auch oft nach Hause begleiten. Ihre Wohnung befand sich im Gemeindehaus, wie schon beschrieben. Das war für uns immer ein freudiges Ereignis. In der Schule wurden auch die Freundschaften mit den Schulkameraden inniger.

Da ich angeblich für mein Alter zu dünn war, schickten mich meine Eltern zur Erholung nach St. Jakobsbad im Kanton Appenzell, wo die Nonnen ein Kloster hatten und auch ein Erholungsheim für Kinder führten. Damit ich mich dort nicht allzu einsam fühlte, beschlossen sie, Paul solle mich begleiten. An sehr viel erinnere ich mich nicht, ausser dass wir täglich in der schönen Umgebung spazieren gingen, auf den Wiesen spielten, die aber voll von Kerbel waren, die für mich wie Kümmel rochen, was ich gar nicht mochte. Es wurde mir fast übel davon. Daher war ich auch nicht imstande, den Randensalat, der mit Kümmel übersät war, zu essen. Die Nonnen bestanden aber darauf. Da ich mich strikt weigerte, musste ich eine Stunde in der Ecke des Speisezimmers stehen und bekam zur Strafe kein Mittagessen und auch keinen Nachtisch, was mich aber nicht weiter störte. Das Problem war nur, dass ich so nicht zunehmen konnte, denn es gab auch oft Rhabarberkompott, von dem ich eher Durchfall bekam, als dass ich dadurch dicker wurde. Die Nonnen waren nicht nur mit mir streng. Die Knaben, die nicht gehorchten, wurden in den dunklen Kohlenkeller gesperrt. Sie kamen jeweils wie Kaminfeger herauf, mit von Tränen und Russ verschmierten Gesichtern, nachdem sie endlich wieder befreit wurden. Schlussendlich kam ich dünner nach Hause als ich gegangen war.

Meine Mutter hatte Grosses mit uns im Sinn. Sie stellte sich vor, dass wir mit der Zeit ein Familienorchester gründen könnten. Also wollte meine Mutter, dass wir ein Musikinstrument lernten. Ernst bekam eine Klavierhandorgel, mich fragten sie, was für ein Instrument ich gerne spielen möchte. Mir schwebte ein Instrument, das am schönsten tönte, vor. Meine Mutter meinte, das sei die Geige, worauf sie für mich eine kleine kauften, die aber doch nicht passte. Paul erhielt diese an meiner Stelle und für mich besorgten sie eine Achtelgeige, die kleinste, die es überhaupt gab. Für den Musikunterricht mussten wir allerdings zu Fräulein Fischer ins Grubschulhaus in Bischofszell. Das ist das Haus links vor dem Turm, wo meine Mutter auf der anderen Seite des Turmes die Drogerielehre absolviert hatte. Da ich noch so klein war, gab sich Fräulein Fischer die Mühe und malte die Noten farbig an. Jeder Finger bekam eine Farbe und dementsprechend auch die Noten. So lernte ich die Noten leichter kennen und konnte besser ab Blatt spielen. Ich hatte es mir allerdings einfacher vorgestellt, und es schien mir auch nicht, dass es so wunderschön tönte, vor allem zu Beginn war es enorm schwierig, einen klaren Ton hervor zu zaubern. Mit der Zeit ging es immer besser. So begeistert war ich jedoch nicht, denn man musste sehr viel üben. Paul war diesbezüglich besser. Die Klavierhandorgel von Ernst tönte natürlich von Anfang an perfekt. Die beiden waren ja auch schon älter. Immerhin irgendwann schafften wir es auch, zusammen zu spielen.

Später spielten wir als Engel verkleidet an Weihnachten im Spital für die Patienten, um den Kranken mit unserem Musikspiel eine Freude zu machen. Mutter fand sogar noch Zeit, für uns Engelkleider zu nähen und fertigte goldene Flügel an, damit wir wenigstens äusserlich wie Engel aussahen. Wahrscheinlich kam sie auf diese Idee, weil unsere Grossmutter, als ich in der 5. Klasse war, wegen Magenkrebs für lange Zeit im Spital war. Sie starb dann auch dort am 25.8.1951. Die Beerdigung war ziemlich beeindruckend. Alle Trauernden versammelten sich vor unserem Haus. Den Leichenzug führte der Pfarrer mit den Ministranten an, dann folgten vier Männer, die den Sarg trugen, anschliessend die Trauerfamilie und schlussendlich alle Freunde und Bekannten. Der Weg führte wie gewohnt beim Türmli unten durch, über den Berg nach Bischofszell zuerst auf den Friedhof, um sie dort zu bestatten, anschliessend in die Kirche, wo noch eine Messe gelesen wurde. Zuletzt traf sich der engere Familien- und Freundeskreis in einem Restaurant zu einem kleinen Imbiss. Inzwischen hütete ich Maria, Karl, Peter und Armin, der gut acht Monate alt war, da wir nun keine Grossmutter mehr hatten, die in so einem Falle dieses Amt übernahm und machte mich etwas später mit Ihnen auf den Weg nach Bischofszell, um die Familie im Restaurant zu treffen. Maria protestierte jedoch und wollte auf keinen Fall am Leichenmahl teilnehmen. Wir konnten sie dann jedoch überzeugen, dass sie keine Angst haben müsse und nichts dergleichen geschehe. Als Kinder staunten wir, wie fröhlich die Erwachsenen mit der Zeit wurden trotz dieses traurigen Ereignisses.

Die Milch holten wir jeden Abend in der Käserei, die sich oberhalb der Kirche an der Strasse nach Bischofszell befand, nachdem alle Bauern die von den Kühen gemolkene Milch dort ablieferten. Es gab zwei speziell dafür vorgesehene Milchkannen aus Metall. Selbstverständlich kauften alle Einwohner im Dorf die Milch in der Käserei. Wie meistens in solchen Fällen, kam es den Knaben in den Sinn, eine Wette abzuschliessen, wer es zustande bringe, so eine Kanne voll mit Milch rundherum zu schwingen, ohne Milch auszuschütten. Man musste sofort zügig und gleichmässig schwingen. Meistens gelang es, aber einmal passierte es halt doch, und unsere Milch wurde dabei ausgegossen, was zu Hause nicht mit Freude aufgenommen wurde. Was für eine Strafe es dafür gab, weiss ich nicht mehr. Sicher ist, dass der Betreffende nochmals in die Käserei gehen durfte. 

In den Sommerferien gab es für uns Kinder damals auch noch eine gute Beschäftigung. Wir sammelten für die Schweinemast der Käserei Eicheln in der Umgebung. Für jedes Kilo bekamen wir 10 Rappen. Wir waren nicht nur tagelang damit beschäftigt, die Säcke zu füllen, wir wanderten so auch weit herum, denn in Hauptwil gab es nicht genug Eichelbäume. Ein Velo hatten wir nicht. So machten wir uns jeweils zu Fuss auf den Weg nach Sornthal. Hinter der Eisenbahnbrücke zweigte der Weg nach links ab, Richtung Landguet, wo wir den ersten Eichelbaum vorfanden und endlich mit dem Sammeln beginnen konnten. Es dauerte wieder etwas, bis wir beim nächsten Baum ankamen und weiter suchen konnten. So erreichten wir Wältishus, Grauhusen und Loch, wo wir auf die normale Strasse, die von Arnegg nach Hauptwil führte, einbogen. Inzwischen hatte jeder von uns, Ernst, Paul, René, Jörg, später auch Annemarie und ich unsere Säcke so weit voll, dass wir sie noch tragen konnten. Wir verbrachten also ganze Nachmittage, um schlussendlich höchstens 30-50 Rappen pro Kind zu erhalten, aber für uns war das damals viel Geld und ausserdem machte es Spass. Wir waren selbständig, konnten so weit ohne Eltern wandern, noch dazu genossen wir es, in einer Gruppe zusammen etwas zu leisten und fühlten uns dabei auch wie die Grossen. Zur Abwechslung klopften wir alle Wälder in der Umgebung ab und füllten die Milchkessel voll mit Walderdbeeren und Brombeeren, die sich ganz besonders für feine Confitüre oder Birchermüesli eigneten. Bei so einer grossen Familie brauchte es von allem grosse Mengen.

Langweilig wurde es uns nie, da sowieso fast jedes oder mindestens jedes 2. Jahr wieder ein neues Familienmitglied erschien. Meine Mutter wurde immer molliger, sodass man kaum feststellte, dass sie schwanger, war und irgendwann kam sie mit einem neuen Baby aus Uzwil wieder nach Hause. Das war schon immer eine Aufregung. Der Stubenwagen musste hergerichtet werden, auf dem Stubentisch wurde jeweils gewickelt. Natürlich wurde das frisch angekommene Baby von allen Anwesenden gebührend bewundert, wie auch bei Karl, der am 21.11.1947 geboren wurde. Er war das schwerste Baby von allen. Er brachte 9 Pfund auf die Waage. Da ich inzwischen schon bald acht Jahre alt war, wurde ich nun auch eingespannt, um auf die kleineren Geschwister aufzupassen. 


(24) Linkes Bild: Karl bereits in der Schule. Rechtes Bild: Zeitungsausschnitt über die Rettung von Karl links, rechts Markus Wartenweiler, sein Retter, darüber später.

Linkes Bild: Karl bereits in der Schule. Rechtes Bild: Zeitungsausschnitt über die Rettung von Karl links, rechts Markus Wartenweiler, sein Retter, darüber später.

   

Wir hatten zwar nicht so viele Spielsachen wie die heutigen Kinder, dafür aber ein ziemlich freies Leben. Das ganze Dorf samt Umgebung mit den Hügeln, den Weihern, dem Dorfbach, hatten wir als Spielraum. Das damalige Primarschulhaus mit dem grossen Schulhausplatz befand sich von unserem Haus aus direkt auf der anderen Seite des Dorfbaches. Im Sommer konnten wir in den nahen Wiesen wunderschöne Blumensträusse sammeln, denn die waren noch voll von Margriten, blauen Glocken-, roten Fleischblumen etc. In der Heusaison benützten wir die Heuhaufen, die auf einem dreieckigen Holzgestell trockneten, sodass wir darunter kriechen konnten, als Häuschen.


(25) Heuhaufen.

Heuhaufen.

 

Oft spielten wir auch Verstecken, nur musste der Arme, der uns finden sollte, ziemlich weit herum suchen. Hie und da rannten wir bis zur Rotfärberei, eine Fabrik der Familie Brunschweiler, neben dem das von uns genannte "alte Spital" (untere Walche) stand, wo meine Freundin Marlies wohnte, auf der anderen Seite des Dorfbaches, den man hinter unserem Haus auf einer kleinen Brücke überqueren konnte. Auf dem hinteren Teil der Fabrik, wo der Ofen für die Färberei eingeheizt wurde, gab es ein Gebäude, in dem unten Holz und andere Sachen gelagert wurden und im sogenannten Estrich war der ganze Boden fast vollständig mit Heu bedeckt. In diesem Heuhaufen versteckten wir uns auch hie und da, was der Heizer gar nicht gerne sah. Sobald er uns hörte, kam er schimpfend und fluchend herauf. Wenn er uns erwische, werde er uns grün und blau zusammenschlagen, sagte er. Meistens waren wir schon so weit unter das Dach hinter dem Heuhaufen gekrochen, dass wir von dort auf den Platz zwischen der Fabrik und dem Schopf hinunterschauen konnten, wo normalerweise der Heizer arbeitete. Trotzdem klopfte uns das Herz bis zum Hals, und wir sassen wie erstarrt dort und warteten der Dinge die da kamen. Er durchwühlte und stampfte auf dem ganzen Heustock herum, fand uns gottlob aber nicht. So verliess er ihn fluchend wieder, und wir krochen vorsichtig und so leise wie möglich, dass er uns ja nicht hören konnte, heraus und rannten wie der Blitz über das Brücklein nach Hause. Manchmal machten wir uns auch auf eine Entdeckungsreise im Dorfbach, wenn er nicht so viel Wasser hatte. Es kam natürlich schon hie und da vor, dass jemand ausrutschte und sich dabei verletzte. Meistens blieb es aber bei einem aufgeschürften Knie. 

Selbstverständlich war unsere Mutter nicht immer zufrieden mit uns, wenn wir irgend etwas anstellten, was wir nicht sollten, dann mussten wir uns entweder in der noch alten, grossen Küche in Reih' und Glied aufstellen und eine Ohrfeige einkassieren oder als Strafe zusätzliche Ämtli übernehmen. Vor dem St. Nikolaus hatte ich auch einen grossen Respekt, denn der kam noch nebst Sack mit dicken, grossen Eisenketten daher und verlangte von meinen Brüdern, sie sollen sich schon einmal die Schuhe anziehen, damit er sie dann gleich mitnehmen könne. Ich bekam jeweils fast Zustände vor Angst, sodass, als es wieder einmal hiess, der St. Nikolaus komme, ich mich in die Abstellkammer einsperrte (wo später die neue Küche war) und mich nur mit der Zusicherung herauslocken liess, dass ich bei Papa auf den Schultern sitzen durfte. Dort fühlte ich mich sicher, dort konnte mir sogar der Samichlaus nichts anhaben. Schlussendlich schüttete er aber doch den Sack aus, und alle bekamen einen Grittibänz, Guetzli und Mandarinen. René erzählte mir, dass er einmal tatsächlich mitgehen musste, angekettet an die grosse Eisenkette. Erst auf dem Brüggli hinter dem Haus, hätte er ihn laufen lassen. Anscheinend war er vorher hartnäckig und kam täglich trotz der elterlichen Mahnungen immer wieder mit durchnässten und total schmutzigen Schuhen nach Hause, weil er es einfach zu spannend fand, im Sumpf und Dreck darin herum zu stochern. 

Einmal aber sollte ich Karl hüten. Er war vielleicht etwa 1 ½ Jahre alt. Damit es mir nicht zu langweilig wurde fuhr ich mit ihm im Kinderwagen zu meiner Freundin Marlies im "alten Spital". Die hatte gerade eine tote Maus gefunden und meinte, wir sollten sie begraben. Hinter einem Stapel von Holz wollten wir ein Loch machen, die Maus dort begraben und ein Holzkreuz am Rande des Grabes einstecken. Die Holzbeige war oberhalb des Hanges, der zum Dorfbach runter führte und Karl stellten wir im Sportwagen, der noch so schön mit buntem Fasnachtspapier geschmückt war, neben uns hin. Wir waren ganz mit dem Begräbnis beschäftigt und wollten eben unser selbstgebasteltes Kreuz einstecken, als ich plötzlich mit Schrecken bemerkte, dass Karl samt Wagen in immer grösserem Tempo den Hang Richtung Bach hinunter fuhr. Ich rannte sofort hinterher, aber es nützte nichts mehr. Wir kamen zwar gleichzeitig beim Bach unten an, aber Karl landete kopfüber mit dem Gesicht im Wasser und wurde unter dem Wagen begraben. Selbstverständlich befreite ich ihn sofort aus dieser misslichen Lage, vor Schreck weinte er nicht einmal. Nur eine Frau, die das Ganze aus einem Fenster des "alten Spitals" beobachtet hatte, schrie und schimpfte. Nachdem ich festgestellt hatte, dass Karl mindestens äusserlich nichts fehlte, putzte ich schnell den Wagen, der wegen der Papierstreifen ganz farbig war und ging mit Karl nach Hause, um ihn umzuziehen. Meine Mutter hatte selbstverständlich wieder keine Freude, aber sie war auch froh, dass mit ihm alles in Ordnung war und er viele Schutzengel hatte, die auf ihn aufpassten.

In der zweiten Klasse bekam ich nebst Marlies und Susanne noch eine zusätzliche Schulfreundin, nämlich Helga. Ihre Eltern kamen auch aus Schlesien zu uns, denn mein Vater brauchte Arbeitskräfte. Sie wohnten gleich nebenan in der Wohnung oberhalb des Konsums.


(26) Mit Helga (li) nach der Erstkommunion.

Mit Helga (li) nach der Erstkommunion.

 

Da sie als einzige katholisch war von meinen Schulkameradinnen, hatte ich auch eine Freundin, die mit mir in den Religionsunterricht nach Bischofszell und später zu den Nonnen in die Sekundarschule nach Gossau kam. Da meine Mutter schon dort die Schule besuchte, mussten ihre Töchter selbstverständlich die Tradition fortsetzen. Die Mehrheit der Einwohner in Hauptwil war ja protestantisch, also durften wir katholischen Kinder jeden Mittwochnachmittag über den Berg zu Fuss nach Bischofszell in den Religionsunterricht sowie hie und da an den Sonntagen den Gottesdienst in der Kirche dort besuchen.

In der dritten und vierten Klasse unterrichtete uns Lehrer Hohl. Er wohnte meiner Meinung nach am schönsten Ort in Hauptwil, etwas in erhöhter Lage oberhalb des Weihers. Der Weg zu seinem Haus führte auch zum Wald, in dem ich im Sommer die Kinder hütete. Er war als Lehrer sehr streng. Wir liebten ihn nicht sehr. Wenn wir nicht genug aufpassten, war er im Stande, seinen Lineal durch das ganze Schulzimmer auf einen Schüler zu werfen. Er schlug die Schüler auch gerne damit. In meiner Klasse waren wir vier Mädchen und drei Knaben. Die letzteren waren nicht die besten Schüler weder im Lesen noch im Rechnen, so war der Lehrer diesbezüglich vorbildlich und gab uns Mädchen andere Aufgaben. Bis er mühsam mit diesen dreien vorwärts kam, lösten wir inzwischen schwierigere Rechenaufgaben, mussten einen Aufsatz schreiben oder ein Bild malen.

Sogar während der Schulpause hatten wir im Winter eine spezielle Gelegenheit, denn ganz in der Nähe, gleich hinter dem Türmli bezw. hinter dem Schloss, war der „Chüngeli“-Berg. Dort konnte man auf dem unteren Teil schlitteln oder wenn man nicht zu bequem war, die Skis den Berg hinaufzutragen, auch skifahren. Zum Schlitteln benützten wir in der freien Zeit eher den Naturweg Hauptwil-Bischofszell, der nach dem Türmli auf dem Schulplatz endete, sodass diejenigen, die mit dem Schlitten zu schnell den Berg runter kamen, der Hauptstrasse und somit den Autos ausweichen konnten. Aber die Knaben waren so frech, dass sie einen Aufpasser an die Strasse stellten und wenn diese frei war, sie kreuzten und sogar bis zum Haus mit der Höderlin-Tafel kamen. Oft lagen wir bäuchlings auf dem Schlitten, hängten einer bei dem anderen ein und bildeten so eine Schlange. Das förderte das Tempo, und der Vorderste musste gut steuern können. Manchmal landeten wir halt alle im Graben. Es passierten jedoch sehr selten wirkliche Unfälle mit Verletzungen. Im Winter nahmen wir den Schlitten auch mit, wenn wir nach Bischofszell in den Unterricht gingen. Nur René hatte einmal Pech, als wir auf der Bischofszeller Seite mit dem Schlitten den Berg runter sausten, war er zu schnell, bekam den Rank nicht in den Griff und fuhr in den Zaun am Wegrand. Zum Glück trug er aber nur ein paar Quetschungen davon. Damals gab es meistens richtige Sommer zum Baden im Weiher und gute Winter, so dass wir darauf auch Schlittschuh laufen konnten. Nur hiess es aufpassen, denn das Eis war nicht überall gleich dick. Wahrscheinlich brach jeder meiner Brüder mal im Eis ein. Sofern er nicht fähig war, alleine aus dem Loch zu kommen, musste der Helfer auf dem Bauch langsam in die Nähe des Loches kriechen, um den anderen rauszuziehen. Angenehm war es sicher nicht, in so ein eiskaltes Wasser zu tauchen und auch gefährlich. Es galt, sofort die Arme auszubreiten und zu achten, dass sie nicht ganz unters Wasser gerieten und möglichst schnell nach Hause gingen, um die Kleider zu wechseln, worüber meine Mutter bestimmt keine Freude hatte.

Unsere Handarbeitslehrerin war zwar etwas altmodisch. Sie war jedoch sicher nicht schlecht und brachte uns bei, wie man strickte, häkelte und nähte, las uns sogar hie und da Geschichten vor, während wir irgend eine Handarbeit ausführten, aber manchmal gab es doch Unstimmigkeiten. Entweder redeten wir für sie zu viel, oder es gab sonst Schwierigkeiten. Dann stellte sie die betreffenden Mädchen vor die Tür. Es kam auch vor, dass mehrere bestraft wurden. Dann war die Versuchung zu gross für uns, als dass wir brav vor der Tür stehen blieben. Wir benützten die Gelegenheit und machten einen kleinen Ausflug in einen der vielen Wälder in der Umgebung. Selbstverständlich beklagte sich unsere Handarbeitslehrerin bei unserem Hauptlehrer, und wir mussten uns dann mit ihm auseinandersetzen, wurden dafür auch bestraft. Sie hatte es wahrlich nicht einfach mit uns. In der Pause spielten wir vorne auf dem Platz vor dem Gemeindehaus oder beim Weiher. Oft war dort auch ein Floss angemacht, auf das wir vom Weiherrand aus darauf springen und es als Schaukel benützten konnten. Die einen standen auf der einen, die anderen auf der anderen Seite und im Rhythmus begannen wir zu schaukeln, bis dann unsere Mitschülerin Dorli,  die Tochter des Schlossgärtners, die damals mit uns in der 2. Klasse war (meistens musste sie immer eine Klasse wiederholen, weil sie sprachlich behindert war), ins Wasser fiel. Mit gemeinsamen Kräften zogen wir sie wieder an Land, aber unsere Handarbeitslehrerin hatte wieder einmal keine Freude.


(27) St. Pelagiberg mit Kurhaus Marienburg; mit Dank der Spitex St. Pelagiberg für die Erlaubnis, das Bild hier zu benützen.

St. Pelagiberg mit Kurhaus Marienburg; mit Dank der Spitex St. Pelagiberg für die Erlaubnis, das Bild hier zu benützen.

 

Meine Mutter kannte eine Frau Dr. Meier, die im Kurhaus Marienburg in St. Pelagiberg arbeitete, das von Ordensschwestern geführt wurde. Für meine Mutter war es wichtig, dass sie mit ihr über Heilkräuter sprechen konnte und darüber, welche Krankheiten am besten damit kuriert wurden. So kam es oft vor, dass wir an den Sonntagen den Gottesdienst in der Kirche in St. Pelagiberg besuchten und nachher im Kurhaus noch etwas konsumierten. Als Erwachsene pilgerten meine Brüder später auch sehr gerne nach St. Pelagiberg, aber nicht wegen der Kirche, sondern weil es dort ein weit herum bekanntes Gourmetrestaurant gab. 

Im Sommer 1947 wurde Paul vom Vetter unserer Grossmutter nach Osterfingen in die Ferien eingeladen. Wahrscheinlich weil er oft mit unserer Mutter den Verwandten Bossart in der Scheune besuchte, der sich immer freute, wenn er auch dabei war. Grossmutter kümmerte sich nicht um ihn, weil er nicht katholisch war. Jedenfalls genoss Paul diese Ferien sehr. Für ihn war es die schönste Zeit, die er je irgendwo verbracht hatte. Sicher verwöhnten sie ihn nach Strich und Faden, wahrscheinlich auch weil sie keine Kinder hatten. Was ihn auch sehr beeindruckte, es war der trockenste Sommer, den er je erlebt hatte. Die Wiesen und Rebberge waren ganz gelb, also komplett verdorrt. 

Im Frühjahr 1949 war es Zeit, dass Ernst in die Sekundarschule kam. Meine Mutter hoffte als gute Katholikin, dass aus Ernst vielleicht ein Pfarrer oder ein Pater werden könnte, daher schickte sie ihn vorsorglich schon einmal nach Gossau ins Friedberg Gymnasium, wo Patres unterrichteten. Zu ihrem Leidwesen wurde daraus aber nichts. Er verliess sogar das Gymnasium und beendete die Sekundarschule am Rosenberg in St. Gallen. Meine Brüder waren nicht so fromme Seelen, wie es Mutter gerne gehabt hätte. Paul bestand die Prüfung in der Bischofszeller Sekundarschule. Er musste dafür bei jedem Wetter mit dem Velo nach Bischofszell fahren, was ihn schön fit hielt.


(28) Von links Maria, Vater, Karl, René, Peter; Peter und Karl mit gestrickten Hosen. Bild rechts: Peter und Karl, dahinter rechts die Untere Walche, das sog. alte Spital, in dem man früher kranke Leute pflegte.

Von links Maria, Vater, Karl, René, Peter; Peter und Karl mit gestrickten Hosen. Bild rechts: Peter und Karl, dahinter rechts die Untere Walche, das sog. alte Spital, in dem man früher kranke Leute pflegte.



(29) Links Peter mit Götti Leo (Sohn von Tante Rosa), rechts Peter einige Jahre später. Hinten li Haus von Esther Brunschweiler, rechts hinten Kaufhaus.

Links Peter mit Götti Leo (Sohn von Tante Rosa), rechts Peter einige Jahre später. Hinten li Haus von Esther Brunschweiler, rechts hinten Kaufhaus.

  

Ungefähr in der Zeit, als Peter geboren wurde (13.6.1949), verkaufte unser Vater die Scheune an unseren Nachbarn Metzger Brenner, der schräg vis-à-vis von uns neben dem Restaurant Löwen wohnte und auch dort seine Metzgerei hatte, bei dem wir oft zuschauten, wie sie die Tiere töteten, aufhängten und dann ausnahmen oder ganze tote Schweine in einen Zuber mit heissem Wasser tauchten, um die Borsten besser entfernen zu können. Mit diesem Geld konnte mein Vater zwischen dem Stall des Viehhändlers Inauen und des Steinmetzes Loacker ein grosses Gebäude mit ziemlich viel Land erwerben, da die Schmiede für seine Arbeiten zu klein wurde.


(30) Vaters neue Werkstatt.

Vaters neue Werkstatt.

 

Es gab auch immer weniger Pferde zu beschlagen, denn die Bauern arbeiteten nun öfters mit Traktoren. So musste mein Vater seinen Aufgabenkreis erweitern. Er installierte auf der linken Seite des Gebäudes, wenn man eintrat, die Schmiede, die er nicht nur für Hufeisen, sondern auch für Schlosserarbeiten benützte. Er kreierte ausserdem sehr schöne schmiedeiserne Gitter, die man als Schutz vor ein Fenster geben konnte, damit man vor Einbrechern geschützt war. Rechts neben dem Eingang war ein kleines Büro und im übrigen Teil wurden Autos repariert oder andere Arbeiten verrichtet. 

Der erste Mechaniker, den Vater einstellte, war Italiener, Primo da Costa aus Como. Von ihm lernte er, wie man die Motoren der Autos auseinandernehmen und wieder zusammensetzen konnte. Vater hatte damals die Gelegenheit, günstig einen Ford Standard, den der Besitzer nach einem Unfall nicht mehr wollte, zu erwerben. Man musste ihn jedoch reparieren. An ihm konnte mein Vater üben, und wir bekamen dadurch unser erstes Auto. Für die Bauern flickte er auch die Traktoren. Die beiden Verwandten Paul Scheiwiller sowie Leo Bruggesser, die bei Saurer AG in Arbon arbeiteten, machten ihren Arbeitgeber auf unseren Vater aufmerksam, so dass er von der Firma Aufträge bekam, zuerst um Chassis für Trolleybusse herzustellen und später sogar ganze Gehäuse. Dafür benötigte er auch immer mehr Angestellte. Es gab Zeiten, da hatte er bis zu 24 Angestellte. Da der Betrieb zu gross wurde für meinen Vater, um die ganze Büroarbeit auch noch zu bewältigen, bestand meine Mutter darauf, dass jemand dafür eingestellt wurde. Daher kam Herr Wötke als Betriebsleiter zu uns, dem aber mein Vater mit der Zeit immer weniger traute. Irgendwann entliess er ihn, musste dann aber leider den ganzen Betrieb wieder verkleinern. Somit wurden nachher nur noch Chassis für Busse hergestellt, und mein Vater schaffte die schriftlichen Arbeiten auch wieder alleine, das hiess aber für ihn morgens um 05.00 aufzustehen und nach dem Abendessen bis um Mitternacht im Büro zu arbeiten. Kein Wunder, dass er davon träumte, dass ich ihm einmal diese Arbeit abnehmen könnte.

(31) Werkstatt von hinten (links) und mit neuem Anbau (rechts).

Werkstatt von hinten (links) und mit neuem Anbau (rechts).

 

Hinter der Werkstatt war ein grösseres Grundstück und dahinter eine Scheune. Dieses Grundstück benützten wir als Gemüsegarten. Umso mehr Arbeit gab es dadurch, denn nun mussten wir an vier Orten anpflanzen und jäten. An zwei Aussenwänden der Werkstatt befanden sich Aprikosenbäume, die uns fantastische Früchte lieferten, von denen nicht nur feine Konfitüre, aber auch fabelhafte Aprikosenkuchen entstanden. In der Scheune konnte mein Vater verschiedene Geräte unterbringen. Neben der Scheune gab es auch noch ein Hühnerhaus und davor einen Kaninchenstall. So schaffte Vater gleich ein paar Hühner so wie Kaninchen an. Eier waren immer gut zum Backen sowie zum Kochen, und die Kaninchen gaben ab und zu ein Festtagsessen. Die Hühner wurden höchstens als Suppenhühner verwendet, wenn sie für das Eierlegen zu alt waren. Ich hasste schon damals den Geruch des Suppenhuhns, der das ganze Haus verpestete. Allein davon verging mir die Lust, die Suppe zu essen, geschweige vom Huhn zu kosten. So ein Kaninchenragout ab und zu war jedoch nicht zu verachten, und meine Mutter war eine gute Köchin. Anscheinend belastete es mich noch Jahrzehnte später, als ich einmal zusah, wie mein Vater einem Huhn den Kopf abschlug und dieses dann ohne Kopf weiter rannte. Seit der kinesiologischen Behandlung, bei der das entdeckt wurde, kann ich wieder problemlos Eier essen. 

Eines Tages kamen wir auf die Idee, auf das Dach der Scheune zu klettern. Wie wir es schafften, weiss ich nicht mehr, ob via Leiter oder Haselnussstrauch. Jedenfalls sprangen wir nachher auf der hinteren Seite Richtung Wiese von dem Viehhändler runter. Leider war diese aber mit einem Stacheldraht zu unserer Scheune abgetrennt, und ich hatte das Pech, dass ich direkt in den Stacheldraht fiel und mir den ganzen Rücken und die Beine verletzte. Selbstverständlich waren auch die Kleider in Fetzen. Es war klar, dass meine Eltern wieder einmal keine Freude hatten.

Ernst und René brachten auch meinen Vater in Rage, als sie Oel von einem Fass in ein anderes umgossen und dabei Feuer machten. Es war ihnen nicht klar, dass das Oel leicht Feuer fängt und sie hätten verbrannt werden können. Damit meine Brüder zwischendurch auch etwas Vernünftiges unternahmen, zerrieben Ernst und Paul beim Steinmetz neben unserer Werkstatt Sandsteine zu Pulver und füllten sie in Säckchen ab, die sie dann in den Haushalten verkauften, da man es für das Pfannenputzen benützen konnte. Es gab damals noch kein Vif. So erhielten sie wieder etwas Taschengeld.

Ernst rauchte einmal Nielen, die man im Kummerswäldli finden konnte. Mutter sollte nichts merken, und daher kam er auf die Idee, die aromatischen und gut riechenden Tujaspitzen vom Friedhof, die aber giftig sind, zu essen. Nachher war ihm dermassen schlecht, dass er dachte, er stirbt. Auch René und ich probierten, Nielen zu rauchen. Die Lust darauf verging uns jedoch bald, weil uns nachher
ebenfalls so übel wurde.

Mit dem neuen Auto konnten wir nun auch weitere Ausflüge als zu den drei Linden machen. So fuhren wir oft in die Schwägalp und verbrachten jeweils den ganzen Sonntag dort. Mutter konnte sich auf diese Weise auch etwas erholen, da sie nicht kochen musste. Es machte sowieso mehr Spass zu picknicken oder Würste zu braten. Ausserdem gab es genug grössere und kleinere Felsen, auf denen man rumklettern konnte. Je grösser wir älteren Geschwister wurden, umso mehr bekamen wir Lust, einmal auf den Säntis zu wandern, was wir später mit grosser Freude nachholten, und das ganze Gebiet, wo man nur konnte, abklapperten. Wenn wir grössere Touren unternahmen, übernachteten wir auf dem Säntis im Massenlager. Am darauf folgenden Morgen ging es weiter über den Liesengrat auf den Altmann und von dort entweder über den Sämtisersee oder Seealpsee und Wasserauen wieder nach Hause.


(32) Links Vater mit Armin und Walter, rechts Mutter mit Frau Lux und Armin und Walter auf der Schwägalp.

Links Vater mit Armin und Walter, rechts Mutter mit Frau Lux und Armin und Walter auf der Schwägalp.

 

Ca. 1950 wurde unsere Küche und Stube umgebaut, d.h. in unserem Abstellraum entstand unsere neue Küche, die ehemalige Küche wurde zum Wohnsalon und unsere normale Stube zum Esszimmer mit einem eingebauten Wandschrank. Der Kachelofen verschwand. So hatten wir plötzlich viel mehr Platz. Die Küche war schön, geräumig und freundlich. Nebst einem grossen Kühlschrank hatten wir sogar einen kleinen Schrank zum Kühlen, weil an der hinteren Hauswand ein Loch angebracht wurde, das sogar im Sommer frische Luft brachte, denn es war auf der schattigen Seite. So konnte man dort ruhig Gemüse, Früchte und Kartoffeln aufbewahren. 


(33) Armin bereits in der Schule.

Armin bereits in der Schule.

   

Wieder einmal war es so weit und am 4. Januar 1951 wurde unser zweitjüngster Bruder geboren. Langsam hatten die Elten Probleme, einen Namen zu finden. Lange wurde überlegt, wie der Neugeborene heissen soll. Unsere Vorschläge wurden aber nicht akzeptiert. Schlussendlich verkündeten sie, der sechste Sohn soll Armin heissen. Für uns war das ein ungewohnter Name, den wir noch nie gehört hatten. Wir mussten uns daran gewöhnen, aber alle nannten ihn bald nur noch Mindi. Name hin oder her, er war auch ein gelungenes Kind und später das absolute Abbild von unserem Vater. Armin war besonders einfallsreich. Seine Kindergärtnerin konnte darüber das schönste Lied singen. Er erfand tausend Schliche, um nicht in den Kindergarten gehen zu müssen. Er sagte, er müsse aufs Klo und schlüpfte dann durchs WC-Fenster ins Freie, genoss seine dadurch erlangte Freiheit und trieb sich lieber auf Baustellen herum als in dem „doofen“ Kindergarten auszuharren. Peter und Karl begannen anscheinend einmal ein Loch in die Aussenwand zu meisseln. Offensichtlich übten sie schon für ihre späteren Tätigkeiten im Beruf. Gottlob hatten sie eine verständige Kindergärtnerin.  Einmal hatte Armin enormes Glück. Ein Motorradfahrer fuhr von Bischofszell kommend Richtung Sornthal während er genau in dem Moment bei uns über die Strasse rannte und zwar dem Motorradfahrer direkt vor die Räder. Dieser warf ihn mit seinem Motorrad zu Boden und überrollte ihn. Armin stand sofort wieder auf und flitzte davon. Der Motorradfahrer wusste nicht, ob er ihn womöglich schwer verletzt hatte. Er konnte ihn auch nicht finden. So läutete er bei uns und berichtete, er habe soeben ein Kind überfahren, das sei aber auf und davon gerannt. Er würde gerne wissen, ob er verletzt sei. Gegen Abend erschien Armin dann, immer noch bleich wie ein Leintuch. Offensichtlich hatte er unglaubliches Glück und weiss der Kuckuck, wieviele Schutzengel in beschützt hatten. Es fehlte ihm nichts. 

Karl schien immer Glück im Unglück zu haben, denn als er im Sommer 1951 mit seinem Freund Markus Wartenweiler auf dem Floss im Hauptwiler Weiher spielen wollte, rutschte er aus und fiel ins Wasser. Markus erkannte sofort die Gefahr und konnte Karl gerade noch an einem Kleidungsstück erfassen und ihn mit grösster Kraftanstrengung und eigener Lebensgefahr zurück aufs Floss ziehen bevor Karl untertauchte und er nicht selbst auch noch im Wasser landete (siehe Zeitungsausschnitt). Etwas später half ihm Walter Gross, damit er nicht ertrank, weil bei seinem Autoschlauch, den er als Schwimmring benützte, die Luft ausging.

Hingegen hatte Karl Pech, als er einmal in der 1. Klasse die Treppe im Gemeindehaus hinauf rennen wollte und dabei stolperte. Er fiel unglücklich auf die Stiegen, deren Kanten mit Metallbeschlägen geschützt waren und verletzte das Schienbein. Mutter desinfizierte die Wunde bestimmt gut und gab ein Pflaster darauf. Da er aber Probleme mit dem Gehen bekam, liess sie doch den Arzt kommen. Dieser nahm ihn jedoch nicht besonders ernst. Er meinte, er sei ein Simulant, weil Karl wahrscheinlich aus Angst, der Arzt füge ihm noch mehr Schmerzen zu, sich jedes Mal auf die Zähne biss und sich bemühte, normal zu gehen. So versäumte es der Arzt zu lange, ihn richtig zu untersuchen. Es wurde immer schlimmer. Er konnte das Bein absolut nicht mehr belasten. Schlussendlich musste er ins Spital Münsterlingen eingewiesen werden. Dort stellten sie eine bakterielle Knochenmarkentzündung im fortgeschrittenen Stadium fest. Er wurde lange im Spital kuriert sowie anschliessend noch zur Erholung nach Unterägeri geschickt, wo ich ihn auch hie und da besuchte. Weil er so lange von der Schule fern bleiben musste (Ende 1. Klasse bis anfangs 2. Klasse), blieb ihm nichts anderes übrig, als die 2. Klasse nachzuholen. Als er endlich wieder nach Hause durfte, war er für die andern Kinder in Hauptwil schon wie ein Fremder. Es war für ihn bestimmt nicht einfach. Auch vor späteren Kuren wurde er nicht verschont, denn als Ernst wegen seiner Tuberkulose in Davos zur Erholung weilte, war er auch einmal gleichzeitig wegen einer Nachkur dort. Damit er wenigstens nicht nochmals alleine die Sekundarschulzeit in einem Internat verbringen musste, wollten die Eltern, dass Peter zusammen mit Karl diese drei Jahre am gleichen Ort absolvierte, obwohl Peter lieber nach Zug gegangen wäre. Aber auch das haben beide geschafft. Karl liess sich auch im Militärdienst nicht unterkriegen. Er machte alles mit, wie alle anderen auch.

Um meine Mutter etwas zu entlasten hütete ich, als ich alt genug war, die kleinen Geschwister jeweils nach der Schule und während der Schulferien. Ich verbrachte ganze Nachmittage mit ihnen im Wald. Gottlob hatten damals Brenners von der Metzgerei schräg vis-à-vis ein Dienstmädchen, die höchstens 16 Jahre alt war und für die zwei Brenner-Kinder, ein Mädchen und ein Knabe, verantwortlich war. Sie schloss sich mir bei meinen Ausflügen noch so gerne an, denn auch sie hatte so mehr Spass und die Geschwister sowie die Brenner-Kinder ebenfalls. Die ganzen Sommerferien waren meistens heiß, es gab kaum Regen. Darum bevorzugten wir den Platz zum Spielen vor allem im Wald oberhalb des Hügels links vom Weiher, von wo man erstens einen schönen Blick hatte und es zweitens links und rechts des Weges je eine Sitzbank am Schatten gab und auch sonst genug Raum vorhanden war. Wir bauten aus Laub ein Haus mit vielen Zimmern, in dem sie Vater und Mütterlis spielen konnten, sammelten Beeren, die wir schön verteilten, damit jeder etwas davon hatte, und so verging die Zeit im Nu. Ich kann mich nicht erinnern, dass es uns je langweilig war. Abends brachten wir die Kinder wieder nach Hause. Meine Mutter konnte derweil wichtige Arbeiten erledigen, wie z.B. unser Haus von aussen neu anstreichen, während Grossmutter das jüngste Kind hütete, das zwischendurch gestillt werden musste.


(34) Mutter als Hausanstreicherin.

Mutter als Hausanstreicherin.

 

Sobald die jüngeren Geschwister genug gross waren, um selbst zu Fuss eine etwas längere Strecke gehen zu können, ging ich mit ihnen ins Hallertöbeli, meistens kamen sogar Ernst, Paul und René mit, die den Ort auch liebten. Wir benützten den Weg hinter dem „Bankhaus“ hinauf zum Haus des Viehändlers, wo mein Schulkamerad Ruedi wohnte, von dort der Bahnlinie entlang Richtung Bischofszell. Entweder gab es am Bahndamm im Frühjahr wunderschöne goldgelbe Schlüsselblumen, später Teeblumen (die man beide getrocknet für Tee verwenden konnte) oder an einem Hang, der zur Strasse Richtung Sornthal hinunter führte, Walderdbeeren. Um diese zu suchen, kamen wir eher im Frühling oder Frühsommer hierher. Das Hallertöbeli war vor allem im Sommer interessant, wenn man baden konnte. Dafür mussten wir aber fast bis zur Eisenbahnbrücke gehen. Kurz vorher bogen wir links auf einen Weg, der über die Geleise führte und dann gerade weiter in den Wald. Von da war es nicht mehr allzu weit und wir erreichten das Hallertöbeli. Dort gab es einen Bach, der an einer Stelle über einen vom Wasser abgewetzten Felsen floss und dadurch mit der Zeit sogar zwei grosse Badewannen formte, die wir mit Freude zum Baden benützten. Das Wasser war wieder nicht so tief, dass man gross Angst haben musste, dass den Kindern etwas geschehen konnte. Selbstverständlich waren wir Grossen auch dazu da, auf die Kleinen aufzupassen. Jedenfalls verbrachten wir ganze Nachmittage an diesem idyllischen Ort. Weiter hinten im Tal gibt es sogar einen kleinen Wasserfall.
Inzwischen findet man keinen normalen Weg mehr dorthin. Es ist alles zugewachsen wie in einem Urwald. Am ehesten kommt man im Bachbett vorwärts, wenn es nicht viel Wasser hat. Dank Armin und Doris fanden wir überhaupt einen Zugang dorthin. Wie man auf den Bildern sieht, ist es immer noch ein zauberhafter Ort. 



(35) Hallertöbeli Bach im Urwald im Sornthal bei Hauptwil, Wasserfall im Sommer und im Winter.

Hallertöbeli Bach im Urwald im Sornthal bei Hauptwil, Wasserfall im Sommer und im Winter.


(36) Felswände um Wasserfall und kleines Wasserbecken im Hallertöbeli.

Felswände um Wasserfall und kleines Wasserbecken im Hallertöbeli.


Die 5. und 6. Klasse besuchte ich bei Lehrer Thalmann. Er war ein strenger, aber sonst toller Lehrer. Mir sagte er nur einmal, als ich die Hand aufstreckte und etwas sagen wollte, zu dem was er erzählte, er hätte mich nicht als Ruderer angestellt, worüber ich schon beleidigt war und eine Woche lang nicht mehr mit ihm sprach. Wir lernten jedoch sehr viel bei ihm, was gut war, denn in der sechsten Klasse wurde es ernst, wir mussten uns für die Aufnahmeprüfung in die Sekundarschule vorbereiten. Die meisten schafften dank ihm die Prüfung wie auch Helga und ich diejenige der Mädchensekundarschule in Gossau und unsere Freundinnen Susanne und Marlies in Bischofszell. Wir fanden es bei unserem Lehrer besonders toll, dass er mit uns traumhafte Ausflüge machte, im Winter mit den Skis und im Sommer fuhren wir z.B. mit dem Zug und Bus nach Au in der Nähe von Fischingen. Dort wohnten seine Eltern, die luden uns in ihrem Garten zu einem Znüni ein. Anschliessend wanderten wir aufs Hörnli und übernachteten in einer Jugendherberge. Am nächsten Tag kehrten wir ein Stück zu Fuss und den Rest mit dem Zug wieder nach Hauptwil zurück. Ein andermal reisten wir ins Toggenburg und bestiegen von hinten den Leistkamm. Es war ein tolles Gefühl, als wir oben ankamen und auf der anderen Seite den steilen Hang hinunter auf den Walensee schauen konnten. Das waren für uns fantastische Erlebnisse, da unsere Eltern ja keine Zeit hatten, mit uns so etwas zu unternehmen. Ferien kannten sie sowieso nur vom Hörensagen. Das erste Mal seit sie verheiratet waren, fuhren sie einmal im Sommer ins Tessin für ein paar Tage, als ich 15 oder 16 Jahre alt war und ich mich rund um die Uhr um die jüngeren Geschwister kümmern konnte.



(37) Tante Ida, Mutter und Vater mit unserem Standard.

Tante Ida, Mutter und Vater mit unserem Standard.

  

Die Sekundarschule bei den Nonnen in Gossau hat mir sicher nicht geschadet. Wir lernten nicht so viel Geometrie, dafür Kochen, Kleider nähen, Schreibmaschinenschreiben, sowie Steno nebst den normalen Schulfächern, somit viel Nützliches.


(38) Helga und Silvia (im selbstgenähten Deux-Pièces).

Helga und Silvia (im selbstgenähten Deux-Pièces).

 

Unsere Klasse hatte jedoch eine besonders strenge Klassenlehrerin. Wir fuhren mit dem 07.00-Zug nach Gossau, mit dem nächsten wären wir zu spät gewesen. So wurden wir verpflichtet, jeden Morgen die Messe in der Kirche zu besuchen, wo alle Nonnen versammelt waren und kontrollieren konnten, ob wir anwesend waren oder nicht, denn wir durften nur in der Reihe vor ihnen Platz nehmen. Wehe wir erschienen nicht und machten stattdessen noch Hausaufgaben im Wartesaal des Bahnhofs. Dann wurden wir bestraft. Auch nach Schulschluss hiess es im Klassenzimmer zu bleiben und zu arbeiten bis 10 Minuten vor der Abfahrt unseres Zuges, sodass wir fast den ganzen Weg rennen mussten, um den Zug zu erreichen. Wir hätten ja auf der Strasse einen Knaben treffen können oder sonst etwas anstellen. In der Mittagspause nahmen wir anfangs unsere Mahlzeit in einem Schwesternheim ein. Schlecht war es nicht. Es kamen noch andere von uns ältere Mädchen zum Essen, die gerne dazu Musik hörten und uns das Tanzen beibrachten, worüber ich begeistert war. Trotzdem zogen Helga und ich es aber später vor, in einer Bäckerei etwas zum Essen zu kaufen. Selten gingen wir in ein Restaurant, wo es damals ein Mittagsmenu für Fr. 2.50 gab. Streng waren die Nonnen auch bezüglich Kleider. Niemand durfte in Hosen in die Schule kommen, auch diejenigen nicht, die mit dem Velo in die Schule unterwegs waren. Die mussten jeweils vor dem Betreten des Schulzimmers, einen Jupe über die Hosen anziehen. Ich bekam einmal einen schönen Pulli mit Kimonoärmeln, die damals Mode wurden. Selbstverständlich wollte ich mit diesem tollen Pulli auf die geplante Schulreise. Unsere Klassenlehrerin bestimmte, dass ich in so einem unsittlichen Pullover zu Hause bleiben müsse. Hätte mir eine Klassenkameradin nicht angeboten, für mich ein Oberteil mit normalen Aermeln zu holen, da sie vom Versammlungsort nur gerade schräg vis-à-vis wohnte, ich hätte wahrhaftig nicht mitgehen dürfen. Wehe, wir tauschten untereinander Zettel über irgendwelche Knaben aus, mit denen wir in Wirklichkeit gar nichts zu tun hatten, dann wurden die Eltern sofort schriftlich darüber informiert, und mein Vater meinte, weiss der Kuckuck, was für ein schlimmes Mädchen ich sei. Dabei konnten wir gar nicht naiver sein. Aber wie gesagt, wir haben auch viel gelernt und machten das Beste daraus.


(39) Urkunde über die (Wieder-) Aufnahme in die evangelische Kirche am 19. Februar 1967.

Urkunde über die (Wieder-) Aufnahme in die evangelische Kirche am 19. Februar 1967.

 

Während der Sekundarschule merkte ich auch, dass mein Vater wieder die reformierte Kirche besuchte. Er benützte jeweils die Gelegenheit, wenn er mit uns sonntags statt nach Bischofszell, nach Gossau fuhr, damit wir dem Gottesdienst beiwohnen konnten. Nur er ging in die protestantische und wir in die katholische Kirche. Es war für uns Kinder selbstverständlich, dass wir dies für uns behielten und unserer Mutter gegenüber nichts erwähnten.

Täglich übten wir auf unseren Musikinstrumenten, Paul und ich auf der Geige, Ernst Klavierhandorgel und René Klavier. Inzwischen hatten wir eine Musiklehrerin in Gossau, die auch Konzerte im Restaurant zur Sonne in Gossau veranstaltete, an denen wir auch teilnahmen. Soweit hatten wir es wenigstens gebracht mit unserem Musikunterricht. Trotzdem ist René inzwischen der einzige, der noch Klavier spielt und dafür sorgt, dass seine Enkel auch Freude an der Musik bekommen und ein Instrument spielen. Nur Paul möchte es mit 80 Jahren nochmals versuchen, ob er noch einen vernünftigen Ton auf einer Geige spielen kann. Inzwischen nimmt jedoch auch Christian's und Corinne's Tochter Liv Geigenunterricht.

René schickten sie nach Disentis in ein Internat. Auch er war nicht glücklich, dass er so weit weg von daheim in die Schule musste. Er konnte nur in den Ferien nach Hause. Er vermisste nicht nur die Familie, aber auch seine alten Kameraden. Gottlob brachte uns Lehrer Thalmann das Schachspielen bei. Nebst Tischtennis und Fussball, spielte er auch oft Schach. Ich glaube, das half ihm sehr, die Zeit dort oben zu ertragen. Wenigstens waren die Patres anständig und belästigten die Knaben nicht sexuell wie es oft in anderen katholischen Internaten üblich war.

Als meine Mutter während meinem ersten Jahr in der Mädchensekundarschule in Gossau wieder schwanger war, protestierten wir älteren Kinder. Wir schämten uns, dass eine schon so „alte“ Frau wie unsere Mutter wieder einen dicken Bauch bekam. Heutzutage ist es eine Selbstverständlichkeit, denn nicht nur die Männer möchten studieren und Karriere machen, sondern auch die Frauen, und das lässt sich nun mal leichter bewerkstelligen als mit kleinen Babies. Damals war es eher eine Ausnahme. Da es ihr gesundheitlich nicht mehr immer so gut ging, schimpfte sogar unser Hausarzt mit unserem Vater, aber Verhütungsmittel durften sie ja nicht verwenden, und ich weiss auch nicht, ob es schon wirklich welche gab, sicher keine Antibabypillen. Das ganze Lamentieren nützte nichts, am 19. Mai 1953 wurde unser letzter Bruder Walter geboren.


(40) Walter im von Mutter gestrickten Pullover.

Walter im von Mutter gestrickten Pullover.

 

Wieder ein hübscher Knabe, wie konnte es anders sein. Keiner wurde jedoch von allen so verwöhnt wie er. Das Schicksal sorgte diesmal vor, damit es keine weiteren Kinder mehr gab; meine Mutter kam gleich nach der Geburt in die Abänderung. Auch keine einfache Zeit, aber sie brauchte keine Angst mehr zu haben, dass sie nochmals schwanger werden konnte. Beklagt hatte sie sich sowieso nie darüber. Sechs Kinder wollte sie schon immer, nun hatte sie halt drei mehr. Das kam ja nicht so darauf an.

Mit 16 Jahren durfte ich endlich meine Zöpfe abschneiden. Vater hätte es mir vorher nicht erlaubt. Zuerst musste ich jedoch noch zum Fotografen:


(41) Silvia mit Zöpfen.

Silvia mit Zöpfen.

 

Auf dem Land gibt es auch immer wieder irgendwelche Feste, entweder vom Turn-, Musik- oder sonst irgendeinem Verein organisiert. So gab es auch einmal ein Fest in Bischofszell, zu dem mich meine Brüder Ernst und Paul mitnahmen. Dort verloren wir uns aber ziemlich schnell aus den Augen, da jeder mit sich selber beschäftigt war. Ich wurde oft zum Tanz aufgefordert. Einer lenkte die Tanzschritte geschickt so, dass wir etwas abseits vom Rummel kamen und er mich ungeniert küssen konnte. Der Kuss schien mir auch etwas zu lange und zu heftig, wie wenn er mich aufessen wollte. Das war mir nicht mehr ganz geheuer. Ich sagte ihm, ich müsse zu meinen Brüdern und verabschiedete mich umgehend. Selbstverständlich hatte ich keine Ahnung, wo die sich befanden. Ich wollte nur eines, so schnell wie möglich nach Hause. Es blieb mir nichts anderes übrig, als alleine zu Fuss in dieser Dunkelheit heimzukehren. Ich entschied mich für die Hauptstrasse, dort war es nicht so stockdunkel. Der düstere Wald war mir zu unheimlich. Dadurch dauerte es viel länger, bis ich wieder zu Hause war, aber ich kam heil und ganz an. Die Haustüre liessen die Eltern meistens offen. Mitten im Dorf kam kaum ein Einbrecher auf die Idee, ins Haus zu schleichen. Zu holen war sowieso nichts. Mit Schrecken stellte ich im Badezimmer fest, dass ich am Hals einen blauen Fleck hatte, auch der Mund war etwas geschwollen. Was werden nur meine Eltern sagen? Jedenfalls bewunderte ich meine Mutter am nächsten Tag, dass sie so tat, als ob sie nichts sehen würde.


(42) Ehrendamen beim Musikfest am Hauptwiler Bahnhof, links Silvia, dritte von links Ursula.

Ehrendamen beim Musikfest am Hauptwiler Bahnhof, links Silvia, dritte von links Ursula.

 

Wahrscheinlich im Spätsommer desselben Jahres, ich war schon gut 16 Jahre alt, wurde ich vom Musikverein Hauptwil auch als eine der Ehrendamen ausgewählt. Es kamen von weit her verschiedene Musikvereine, die es dann galt, am Bahnhof abzuholen, mit ihnen durchs Dorf zu marschieren und sie so bis ins Festzelt zu begleiten. Für mich war das Beste an der Geschichte, dass ich nachher abends im Festzelt bleiben und dort dann tanzen durfte, was ich für mein Leben gern tat. An so einem Fest lernte ich später auch meinen ersten Schwarm kennen und zwar den Lehrer meiner Schwester Maria. Selbstverständlich konnte er sehr gut tanzen. Da ich zwei ältere Brüder hatte, die eigentlich auf mich aufpassen sollten, erlaubten mir meine Eltern einen beliebig langen Ausgang. Meine Schwester hatte später leider nicht dieses Plus. Es galten bei ihr zu ihrem Leidwesen strengere Regeln. Irgendwann kamen wir früh morgens nach Hause, mussten dann aber trotzdem am Sonntag rechtzeitig aufstehen, da wir den Sonntagsgottesdienst nicht versäumen durften. Wir zogen es sogar vor, die Frühmesse um 07.00 zu besuchen, die war kürzer und wir hatten unsere Pflicht erledigt. Die Geschichte mit Godi, dem Lehrer, dauerte nicht allzu lange, er war ja schon 21 und ich erst 17 und noch zu naiv, um ihm seine Wünsche zu erfüllen. Er flirtete für mich sowieso zuviel mit allen Mädchen im Dorf. Sonst spielte er mit seiner Schwester Dorli in einem Cabaret mit. Mein Bruder Paul verliebte sich in seine Schwester, die ebenfalls in Hauptwil Lehrerin für die 1. und 2. Klasse war. Anscheinend war sie auch Armins Lehrerin, wie ich in seinem Fotoalbum entdeckte. Auch bei Paul wurde aus dieser Beziehung nichts Dauerhaftes.

In die grosse Welt von St. Gallen und Zürich
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3.  In die grosse Welt von St. Gallen und Zürich

Nun übernahm langsam meine Schwester Maria das Amt, sich um die kleineren Geschwister zu kümmern, vor allem wenn ich nicht zu Hause war.

Nach Beendigung der Sekundarschule meinte mein Vater, ich könnte die Büroarbeiten im Geschäft übernehmen. Wahrscheinlich dachte er, ich sollte jetzt wissen, wie man die Lohn- und anderen Abrechnungen für die erledigten Arbeiten, überhaupt die ganze Buchhaltung macht. Ich hätte es vielleicht gelernt, wenn er es mir hätte zeigen können, aber von wo sollte er auch diese Kenntnisse nehmen. Also gab er diese Hoffnung auf und schickte mich nach St. Gallen in die Sekretärinnenschule, die dauerte nicht so lange, wie wenn ich die kaufmännische Lehre hätte absolvieren müssen, wie z.B. meine Schulfreundin Helga es machte. Er hatte nur Pech, dass ich darnach keine Lust mehr hatte, bei ihm im Betrieb zu arbeiten, denn es drängte mich weg von zu Hause. Gleich an der Querstrasse, wo die Handels- und Sprachschule Schedler war, gab es eine Anwaltskanzlei. Im oberen Stock praktizierten Dr. R. Mäder, der damals auch Ständerat war und der Senior Dr. W. Fässler. Im Parterre hatte sein Sohn, Dr. A. Fässler, sein Büro. Ich vernahm in der Schule, dass er eine Sekretärin suchte und mutig wie ich war, meldete ich mich. Prompt stellte er mich ein, für einen Lohn von Fr. 300.00 pro Monat. Schreibmaschinenschreiben konnte ich gottlob schon recht gut. Das half mir sehr, denn Dr. Fässler diktierte seine ganzen Berichte und Abhandlungen direkt in die Maschine. Das dauerte oft so lange, dass meine Gedanken manchmal abschweiften. Trotzdem wussten meine Finger automatisch, was sie tippen sollten. Irgendwie übertrug sich sein Diktat via Hirn direkt in meine Finger. Hie und da rief mich auch sein Vater im oberen Stock zum Diktat. Bei ihm konnte ich meine Stenographiekenntnisse auf die Probe stellen und hoffen, dass alles noch lesbar war, was ich geschrieben hatte. Während er sich überlegte, was er mir diktieren soll, zupfte er sich die Haare aus seinen Nasenlöchern. Wie konnte man in seinem Alter noch so eitel sein, für mich damals unbegreiflich. Für Dr. Mäder arbeitete eine nette junge Sekretärin. Sie hiess Anita und half mir gerne, wenn ich etwas nicht wusste. Irgendwie brachte sie einmal das Gespräch auf Musik. Ob ich auch ein Instrument spiele, wollte Anita wissen. Ich erzählte ihr über meine Versuche mit der Geige. Darüber war sie ganz erfreut, denn auch sie spielte Geige. So meinte sie, wir sollten es einmal zusammen versuchen, aber sie stellte bald fest, dass meine Fähigkeiten eher bescheiden waren. Trotzdem waren wir noch lange befreundet.  

In unserem ersten Auto, dem Standard, machte Paul sowie Ernst noch die Fahrprüfung. René und ich lernten das Autofahren bereits in einem grösseren Plymouth.


(1) Standard Vanguard.

Standard Vanguard.

 

Zuerst brachte uns Ernst oder Paul das Nötigste bei, wie man das Fahrzeug lenken sollte, dann fuhren wir zwei alleine Richtung Sornthal los und übten auf der Strecke Niederbüren-Bischofszell. Es war eine ziemlich riskante Angelegenheit. Ich überholte sogar einmal einen Lastwagen und konnte gerade noch rechtzeitig einschwenken, bevor es zu einem Frontalzusammenstoss mit einem entgegenkommenden Auto kam. Ja, wir hatten manchmal viele Schutzengel, die uns behüteten. Später mussten wir schon noch bei einem Fahrlehrer Stunden nehmen, aber nicht mehr so viele, bis wir die Prüfung bestehen konnten. 


(2) Plymouth mit Silvia und Maria (rechts).

Plymouth mit Silvia und Maria (rechts).

 

Hie und da gab es Theateraufführungen im Restaurant Löwen gleich gegenüber von unserem Elternhaus. Meine Freundin Ursula, deren Eltern den USEGO-Laden in Hauptwil führten, und ich spielten dort auch mit. Anschliessend sass man noch etwas bei einem Glas Wein oder einem Bier zusammen.


(3) Nach Theateraufführung; in weissen Blusen Silvia (links) und Ursula.

Nach Theateraufführung; in weissen Blusen Silvia (links) und Ursula.

 

Mit Bier konnte ich mich schon damals nicht anfreunden, aber auch Wein schmeckte mir
nicht besonders.
Ursula arbeitete ebenfalls in einem Büro in St. Gallen. Mittags traf ich mich immer mit ihr. Damit wir Geld sparen konnten, versuchten wir oft wenig oder gar nichts zu essen. Ich wollte baldmöglichst nach England, um die englische Sprache zu erlernen. Eine innere Stimme sagte mir, dass ich sie einmal sehr gut werde benützen können. Abgesehen davon lockte es mich, ins Ausland zu gehen. Ins Welschland durfte ich wegen meiner Mutter nicht wie die meisten Mädchen nach der Schule, sonst hätte ich schon das Französisch beherrscht. Was weiss ich, was sie dort erlebte, dass weder Maria noch ich diese Möglichkeit bekamen. Jedenfalls schaffte ich es, den Betrag von Fr. 300.-- für den Flug nach England zusammen zu bekommen. Deshalb kündigte ich die Stelle bei Dr. Fässler, der es sehr bedauerte, dass ich schon gehen und mich noch etwas weiterbilden wollte, was er jedoch verstand. Gottlob hatte mein Vater nichts gegen meine Pläne. Meine Mutter verlangte hingegen, dass ich dort in ein Kloster müsse. Ich akzeptierte sogar das, Hauptsache ich kam weg. 

Via Verein der Freundinnen junger Mädchen in Zürich erhielt ich ein Angebot in einem Kloster in Mansfield/Sussex, eine grosse Anlage mit einem Mädcheninternat. Ich konnte mir keinen normalen Flug nach London leisten. Ich bekam jedoch einen Platz in einer kleinen Chartermaschine mit 30 Plätzen. Umso turbulenter war der Flug. Ich hatte mir extra ein schönes Kleid angezogen mit einem warmen Wintermantel. Alle rund um mich herum begannen zu erbrechen, weil das Flugzeug immer wieder ein Stück nach unten fiel, sich dann wieder auffing, und so ging es weiter, bis es schlussendlich auch mich erwischte. Kurz vor der Landung wurde mir übel, musste mich übergeben und verschmutzte mein schönes Kleid. Ich reinigte es gleich nach unserer Ankunft. Ich konnte ja nicht so im Kloster erscheinen. Der Verein aus Zürich sorgte dafür, dass mich jemand aus Mansfield am Flughafen abholte. Es war Hermine, mit der ich später die meiste Zeit zusammen verbrachte. Sobald ich mein Gepäck in Empfang genommen hatte (einen Ueberseekoffer schickte ich direkt ins Kloster), fuhren wir zusammen nach London, wo wir dann bald Anschluss mit dem Zug nach Mansfield hatten. Der Bahnhof in London war riesig. Ich weiss nicht, ob ich mich alleine zurecht gefunden hätte. In Mansfield mussten wir ein ziemliches Stück zu Fuss bis zum Kloster gehen. Hermine führte mich gleich zu Mother Mary Christopher, eine äusserst liebenswürdige Person, die als einzige Nonne einen Hund bei sich hatte und für uns zuständig war.


(4) Mother Mary Christopher mit ihrem Hund.

Mother Mary Christopher mit ihrem Hund.

 

Sie begrüsste mich freundlich und bat Hermine, mir zuerst einmal meine Unterkunft zu zeigen. Sie befand sich in einem kleineren Gebäude, in dem nur die ausländischen Angestellten (Italienerinnen, die in der Küche arbeiteten und Schweizerinnen, die hierher kamen, um Englisch zu lernen) schliefen, ausgenommen einer Nonne als Bewachung, damit wir nichts Dummes anstellen konnten, uns aber auch nichts geschehen würde. Hermine erzählte mir schon einmal, wie unser Tagesablauf aussehen wird und Mother Mary Christopher führte mich später in meinen künftigen Arbeitsbereich ein. Die "Mothers" waren die gebildeten Nonnen, die Lehrpersonen, die Sisters waren eher die ungebildeten Nonnen, die in der Küche arbeiteten oder für die Reinigung zuständig waren. Dementsprechend waren sie auch weniger nett mit uns und viel strenger.  Wir Schweizerinnen mussten unseren Englischunterricht abverdienen, indem wir vormittags etwas arbeiteten, die einen putzten in der Schule, andere halfen in der Küche, und ich war für den Empfang zuständig.  Ich bediente das Telefon, noch ein uraltes Modell, das gewöhnungsbedürftig war. Man nahm mit der linken Hand den Hörer ans Ohr, kurbelte mit der rechten Hand, tippte die Nummer ein, so kam die Verbindung zur Zentralstelle zustande, die einem dann weiter verband. Meine Aufgabe war auch, den Priestern und Bischöfen das Essen in einem dafür speziellen Raum zu servieren. Bei den Bischöfen musste ich zuerst einen Knicks machen und ihren Ring küssen. Zu meinen weiteren Aufgaben gehörte aber auch das Reinigen der grossen Halle und der Turmtreppe. Hie und da wurde ich zusätzlich in den Speisesaal der Internatsschüler geschickt, um beim Verteilen der Speisen zu helfen, wenn jemand krank war. Nachmittags hatten wir dafür Privatunterricht in der englischen Sprache. Jede Schweizerin bekam ihre eigene Lehrerin (selbstverständlich alles Nonnen). So lernten wir die Sprache gründlich und konnten bald auch zur englischen Literatur übergehen. Es machte Spass. Die Wochenende waren zu unserer freien Verfügung. In unserem Häuschen hatten wir auch einen gemeinsamen Wohnraum, der im Winter nur mit dem Cheminée geheizt wurde, das hiess, dass es nur in der Nähe des Cheminées warm war. An unseren freien Tagen konnte wir also unsere Umgebung etwas kennen lernen. Zuerst erkundeten wir sie zu Fuss. Das Dorf Mansfield war herzig.  Die Klosteranlage mit den Schulgebäuden, den Tennisplätzen und unserem Wohnhäuschen war mit einer hohen Mauer umgeben, mit einem Haupteingang vorne an der Dorfstrasse und einem Hintereingang, den man nur auf einer Naturstrasse mit der Durchquerung einer grossen Wiese erreichen konnte. Diese hintere Türe benützten wir vor allem für unsere Erkundungsausflüge zu Fuss. Auf diesem Weg erreichten wir auch die grosse Halle, in der sie am Wochenende oft irgendeine Unterhaltung boten. Es gab auch Tanzabende, an denen wir uns hie und da beteiligten, aber sehr spannend fanden wir es nicht. Mit dem Bus fuhren wir (d.h. meine Mitbewohnerin Hermine und ich) lieber in die nächst grössere Stadt Turnbridgewells.


(5) V.links: Silvia und Hermine.

V.links: Silvia und Hermine.

  

Es gab dort wunderschöne Kleider, die viel günstiger waren als bei uns, z.B. ein fantastisches langes Tüllkleid, das ich zu Hause einmal als Ballkleid benützen wollte.


(6) Hermine im Ballkleid, das ich leider nie benützen konnte, da die Mode änderte.

Hermine im Ballkleid, das ich leider nie benützen konnte, da die Mode änderte.


Also wusste ich, auf was ich hinsparte, bevor ich wieder nach Hause fuhr. Ein Taschengeld von 90 Pfund pro Monat zahlte uns das Kloster für unsere Arbeiten. Davon musste ich aber auch noch die Rückreise finanzieren. Vorerst fuhren wir ohne Einkäufe wieder zurück, kamen jedoch offensichtlich zu spät nach Hause, denn die Eingangstüre an der Hauptstrasse war bereits abgeschlossen. Was machten wir nun? Zudem war es schon dunkel, so dass man nicht viel sehen konnte, denn die Strassenlaternen, die damals noch eine Gasbeleuchtung hatten, waren auch schon gelöscht. Es gab nur eine Möglichkeit, wir mussten über die Mauer klettern. An einer Stelle sahen wir, dass das eventuell möglich wäre, wenn die eine auf die Schultern der anderen stehen würde und so sich an der Mauer hochziehen und dort darauf sitzend die andere ebenfalls hinaufheben konnte. Irgendwie klappte es auf diese Weise. Kaum waren wir aber auf der anderen Seite hinunter gesprungen, merkten wir, dass wir in einem Käfig gefangen waren. Wir landeten nämlich in einer grossen Kompostanlage. Es blieb uns also nichts anderes übrig, als nochmals dieses Hindernis zu überwinden, was uns vielleicht noch besser gelungen wäre, wenn wir nicht wegen unserer Lachanfälle fast in die Hosen gemacht hätten. Nun waren wir zwar wieder im Klostergarten, aber wie kamen wir jetzt in unser Wohnhaus? Selbstverständlich war das Haus abgeschlossen. Wir sahen, dass bei der Nonne, die bei uns schlief, noch Licht war. Wir warfen einen Stein an ihr Fenster und hofften, dass sie uns hört. Tatsächlich öffnete sie das Fenster und fragte, wer da sei. Wir erklärten ihr unser Missgeschick, worauf sie uns dann die Türe öffnete. Wir mussten ihr jedoch versprechen, dass es nicht wieder vorkam, aber sonst war sie wirklich sehr nett. Wenn ich mir vorstellte, wie die Schwestern in Gossau mit uns geschimpft hätten.

Einmal fuhren wir mit dem Zug auch nach Hastings ans Meer und mehr als einmal nach Brighton, wo es einen besonders schönen Sandstrand gab. Zum Baden war es aber meistens zu kalt.


(7) In Brighton mit Steg aufs Meer hinaus.

In Brighton mit Steg aufs Meer hinaus.

 

Das erste Mal war ich an Weihnachten nicht zu Hause. Es gab keine Weihnachtsfeier für uns im Kloster. Sie stellten einen grossen, für unseren Geschmack aber eher kitschig geschmückten Weihnachtsbaum in der Halle auf. Wir lernten einmal ein älteres Ehepaar ohne Kinder kennen, die im Dorf in einem reizenden Häuschen wohnten, die luden uns ein, den Weihnachts- und Silvesterabend bei ihnen zu verbringen und das jeweilige Fernsehprogramm anzuschauen. Ohne das hätten wir wahrscheinlich schon ziemlich Heimweh bekommen. Deshalb ist mir Harry Belafonte noch immer in bester Erinnerung, weil es eine Sendung mit ihm war. Zu Hause feierten sie Weihnachten ohne mich, dafür mit einem Paket von mir, das die jüngeren Geschwister mit Spannung öffneten.


(8) Öffnung meines Weihnachtspakets durch Karl, Peter, Armin, Walter, im Hintergrund sitzend René.

Öffnung meines Weihnachtspakets durch Karl, Peter, Armin, Walter, im Hintergrund sitzend René.

 

Es kamen auch noch andere Mädchen aus der Schweiz in dieses Kloster nach Mansfield, was wieder den Nachteil hatte, dass wir zu oft schweizerdeutsch sprachen. Eine kam aus Rapperswil (die Tochter eines Tierarztes) und eine andere auch vom Zürichseeufer, die erzählte, dass ihre Brüder sagten, sie hätte Elefantenbeine, weil die Oberschenkel etwas währschaft waren und noch eine, Lotti, aus Zürich.


(9) Wir Schweizermädchen im Klosterpark.

Wir Schweizermädchen im Klosterpark.

 

Sie wurde später Nonne in diesem Kloster. Ihr Bruder Alois besuchte sie wohl daher in Mansfield. 


(10) Links im Bild die Tierarzttochter und Lottis Bruder, rechts Lotti als Novizin.

Links im Bild die Tierarzttochter und Lottis Bruder, rechts Lotti als Novizin.

 

Diese beiden Geschwister lud ich später, als ich wieder zu Hause und Lotti auf Heimurlaub in der Schweiz war, zu einer Bergwanderung auf den Säntis ein, was sich als riskantes Unternehmen herausstellte. Der Aufstieg von der Schwägalp auf den Säntis klappte noch ganz gut, auch der steile Abstieg von dort, als wir aber nicht Richtung Schwägalp, sondern den Weg zum Schäfler nehmen wollten, gab es Probleme. Man musste den blauen Schnee runter. Das ist ein steiler Hang, wo es auch ein dickes Seil gab, an dem man sich halten konnte. An diesem musste man sich langsam runter gleiten lassen, bis man unten auf dem normalen Weg ankam. Ich ging voraus, um es ihnen zu zeigen, dann kam Alois, das klappte auch, aber Lotti konnte sich offensichtlich nicht genug halten und sauste im Schnee mit grossem Tempo den Hang runter. Ich stellte mich ihr in den Weg, um sie aufzuhalten, aber sie riss mich nur fast mit. Ich konnte mich gottlob wieder auffangen, sie sauste aber voll in die Geröllhalde, die sie dann gottlob stoppte. Sie verletzte sich sicher weniger, weil ich sie noch abgebremst hatte. Wie sollten wir jetzt mit ihr via Schäfler, Ebenalp nach Wasserauen und wieder nach Hause kommen? Indem Alois und ich sie stützten, erreichten wir langsam den Schäfler. Von dort rief ich meinen Vater an (damals gab es noch kein Handy), ob er uns nicht unten bei der Ebenalpbahn abholen könne, was gottlob klappte. Vorher mussten wir allerdings noch den Weg bis zur Ebenalp schaffen und von dort fuhren wir dann mit der Bahn runter. Wir hatten ja mehr als Glück gehabt. Es hätte viel schlimmer enden können. Offensichtlich war es tatsächlich Lottis Bestimmung, eine Nonne zu werden. So eine Verantwortung wollte ich mir jedenfalls nie mehr aufbürden. 

Für die Abschlussprüfung mussten Hermine und ich nach London. Damals gab es auch in England nur Züge mit Dampflokomotiven. Wenn man also etwas aus dem Fenster schauen wollte, war man nachher dementsprechend schwarz. Da die Prüfung erst am nächsten Tag statt fand und man das Ganze sowieso nicht an einem Tag bewältigen konnte, gaben sie uns die Möglichkeit in einem von Nonnen geführten Heim zu übernachten. Selbstverständlich hatten wir nicht das Geld für ein auswärtiges Abendessen. Also kauften wir eine Dose Thunfisch und Brötchen. Wir wussten nicht, dass es so schwierig war, diese Dose zu öffnen. Ich zerschnitt mir an meiner rechten Hand innen den Zeige-, Mittel- und Ringfinger. Zu unserem Pech, blutete es dermassen, dass die ganze Zimmerwand vollgespritzt wurde, die wir nicht einmal sofort putzen konnten, da wir zuerst die starke Blutung meiner Hand stillen mussten. In einer nahen Apotheke bekamen wir das nötige Verbandsmaterial. Hermine hatte wenigstens beide Hände zur Verfügung, um die Wände zu putzen, ich jedoch nur die linke, denn die rechte war nicht zu benützen. Wie sollte ich mit dieser zerschnittenen Hand am nächsten Tag die Prüfung schreiben können? Es war mir ein Rätsel. Irgendwie schaffte ich es, aber ich hatte wirklich Mühe. Leider musste bald darnach Hermine heimkehren. Sie wollte mit dem Zug nach Dover und von dort mit dem Schiff nach Calais sowie mit dem Zug via Paris nach Hause. Die Nonnen erlaubten es mir, sie bis Dover zu begleiten. Es klappte alles auch bestens und schweren Herzens nahmen wir voneinander Abschied. Ich winkte ihr noch, bis sie mit dem Schiff Richtung Calais verschwand. Dann machte ich mich wieder auf den Weg zur Bahnstation. Dort war es schwierig, jemanden zu finden, der mir sagen konnte, welchen Zug ich nach Mansfield nehmen soll. Schlussendlich sass ich im Richtigen, aber inzwischen wurde es Abend, bis ich dort ankam und das letzte Stück bis zum Kloster unter die Füsse nehmen konnte. Vorher wurde ich gewarnt, ja nicht Autostopp zu machen, denn das sei gefährlich. Selbstverständlich hielten zweei Autofahrer netterweise, die mich mitnehmen wollten, aber ich verneinte dankend, denn ich sei gleich "zu Hause". Es dauerte aber noch eine Weile. Inzwischen wollten sie im Kloster schon eine Vermisstmeldung herausgeben. Sie waren bereits ganz aufgeregt. Gottlob hatten sie diesmal den Haupteingang bei der Klostermauer nicht abgeschlossen, sonst hätte ich keine Ahnung gehabt, wie ich reinkommen sollte. Mit grosser Erleichterung begrüssten sie mich, froh darüber, dass ich wieder zurück war.

Mit Lotti plante ich bereits unsere Rückreise nach Hause, die mit dem Zug über Schottland und Paris in die Schweiz führen sollte. Leider wurde meinerseits daraus nichts, denn Vater schrieb, es gehe meiner Mutter nicht gut, ich solle früher nach Hause kommen. Heute würde man sagen, sie hatte ein Burn-out. Also musste ich einen Flug buchen und baldmöglichst heimkehren, um wieder ein Jahr lang zu Hause den Haushalt zu machen, bis Mutter einigermassen über dem Berg war. In dieser Zeit besuchte mich Hermine mit zwei Amerikanern, die sie irgendwo kennengelernt hatte. Sie erschienen in einem typisch amerikanischen Schlitten, noch dazu ein Cabriolet, an dem speziell meine Geschwister Maria, Karl, Armin und Walter ihre helle Freude hatten. Es war auch klar, dass ich nicht alleine mit meinen Bekannten etwas unternehmen konnte, sie wollten auch mitkommen. Wir hatten, wie man sieht, unseren Spass an diesem kleinen Ausflug.



(11) Ausflug mit Hermine, Amerikanern, ihrem Cabrio, Maria, Karl, Armin und Walter.

Ausflug mit Hermine, Amerikanern, ihrem Cabrio, Maria, Karl, Armin und Walter.

 

Während Ernst 1959 den Feldweibel abverdiente, bekam er nach einer Grippe die Tuberkulose. Nach 4 Wochen Spitalaufenthalt, 7 Monaten Kur in Davos, sowie dreimal Nachkur, fühlte er sich wieder besser. Mit seiner Verlobten aus Frauenfeld, die er während dem Militärdienst dort kennengelernt hatte, besuchte ich ihn einmal in Davos. Aus der Verlobung wurde keine Heirat, weil ihm ihre Schwester zu gut gefallen hatte. Dafür heiratete er am 26.4.1962 Karin aus Deutschland, die in der Nähe arbeitete. Sie schenkte ihm zwei tolle Söhne, Andreas und Roland. Ernst arbeitete seit er von der Kur nach Hause kam, bei Vater im Geschäft. Inzwischen wurde auch die ehemalige Post frei (es entstand vis-à-vis des USEGO-Ladens ein neues Postgebäude), sodass die junge Familie dort wohnen konnte. Leider starb Karin am 23. Juli 1990 bei einer Wanderung zusammen mit Ernst auf den Säntis, weil sie dabei eine Hirnblutung bekam. Zum Glück waren die beiden Söhne Andreas und Roland schon erwachsen und selbständig, trotzdem waren wir alle unendlich traurig.


(12) Vater gemalt von Ernst, der ebenfalls das Talent der Mutter erbte.

Vater gemalt von Ernst, der ebenfalls das Talent der Mutter erbte.

 


Mit der Zeit wurde es Vater zuviel mit der Arbeit im Betrieb. Am liebsten hätte er ihn gerne den Söhnen übergeben. Ernst arbeitete zwar bereits bei ihm, aber er benötigte noch mehr Hilfe. Paul und René erklärten sich bereit, zu kommen. Paul versuchte, das Büro auf Vordermann zu bringen sowie Steinkörbe zu verkaufen und René seinen Garagebetrieb im Rahmen der Firma aufzubauen. Sie feierten noch glücklich das 40-jährige Jubiläum der Firma Nater AG, auch wenn Ernst sich vorher schon verabschiedet hatte, da es für ihn nicht so klappte, wie er sich es vorstellte.


(13) 40-jähriges Firmajubiläum; Mutter und Vater mit Paul, Rösli und René.

40-jähriges Firmajubiläum; Mutter und Vater mit Paul, Rösli und René.

 

Da Paul den Verkauf der Steinkörbe in Eigenregie betreiben wollte, bat René unseren Vater, ihm einen Preis für das ganze Betriebsgebäude anzugeben, denn zu der Zeit war er noch in einem Alter, dass er genug Zeit und die Möglichkeit hatte, eine Garage aufzubauen und die Schulden auch wieder abzutragen. Vater war einverstanden und die beiden einigten sich. Er war glücklich, dass einer der Söhne bereit war, sein Geschäft zu übernehmen. René hatte nun genug Platz für Reparaturen und um seine neuen Autos auszustellen. Vater sowie auch unsere Mutter konnten endlich beginnen, das Leben etwas zu geniessen, was sie mehr als verdient hatten. 


(14) Linkes Bild:Türmli-Garage von René (ehemalige Werkstatt von Vater), rechtes Bild: Hinteransicht mit Neuanbau und Scheune links, statt Garten nun Autoparkplatz. Hinten li sieht man noch das Dach v. Hühnerstall.

Linkes Bild:Türmli-Garage von René (ehemalige Werkstatt von Vater), rechtes Bild: Hinteransicht mit Neuanbau und Scheune links, statt Garten nun Autoparkplatz. Hinten li sieht man noch das Dach v. Hühnerstall.

   
Die jüngeren vier Brüder, Peter (Sanitärinstallateur), Karl, Armin (obwohl die letzten zwei die Goldschmiedelehre absolviert hatten, war es für sie offensichtlich kein Problem) und Walter (Sanitärinstallateur), fragten meinen Vater, ob sie die alte Scheune neben dem Bankhaus, das inzwischen Vater gehörte, für ihr neu zu gründendes Sanitärgeschäft benützen könnten. Vater liess sie gewähren und war gespannt, was daraus wurde. Das Geschäft entwickelte sich immer besser, sodass sie bald in ein grösseres Gebäude umziehen mussten. Die Weberei- und Stickereibetriebe in Hauptwil bekamen zu spüren, dass die Produktionen in der Schweiz zu teuer wurden. Somit rentierte es für sie immer weniger. Für meine jüngeren Brüder kam dafür die gute Gelegenheit, das Fabrikgebäude im Zentrum von Hauptwil, vis-à-vis der Post und der jetzigen Schule, zu erwerben. Sie konnten dort problemlos ihren Betrieb für sanitäre Installationen unterbringen. Es gab sogar noch Platz für das VOLG-Geschäft, als der USEGO-Laden nebenan geschlossen wurde. Bereits die nächste Generation übernahm die AG, denn meine Brüder sind inzwischen alle pensioniert. Bezüglich Alternativheizungsmethoden wie Geothermie sind sie Spitze und werden selbst von der Konkurrenz manchmal um Hilfe gebeten.


(15) Links: Parade der Fahrzeuge vor dem Firmengebäude (ehemalige Weberei der Familie Brunschweiler), rechtes Bild im Hintergrund: links ehemaliges USEGO-Geschäft und rechts ehemaliges Konsumgebäude.

Links: Parade der Fahrzeuge vor dem Firmengebäude (ehemalige Weberei der Familie Brunschweiler), rechtes Bild im Hintergrund: links ehemaliges USEGO-Geschäft und rechts ehemaliges Konsumgebäude.

Die Liebe zur Natur und zum Ort, wo wir aufgewachsen sind, führte Peter und Walter zur Wiederbelebung eines Weihers, an dem wir jeweils sonntags in unserer Kindheit vorbei spazierten, worüber man in der Zeitung lesen konnte:


(16) Meine Brüder v.l. Walter und Peter als Restaurierer des Sorntal-Weihers, rechts Gemeindeammann Franz Müller.

Meine Brüder v.l. Walter und Peter als Restaurierer des Sorntal-Weihers, rechts Gemeindeammann Franz Müller.

"Sorntal-Weiher - ein idyllisches Biotop.


Kein Wunder, dass Schwäne, Blesshühner, Wildenten, Libellen, Fische und Krebse sich den Sorntal-Weiher als neue Heimat ausgesucht haben. Denn abseits des grossen Verkehrs, an idyllischer Lage liegt dieser Weiher, den Walter und Peter Nater in den vergangenen zwei Jahren renaturiert haben.
Marianne Bargagna:
WALDKIRCH. Peter Nater strahlt mit der Sonne um die Wette. Er steht am Sorntaler-Weiher, etwas ausserhalb des Dorfes Hauptwil, auf Boden der Politischen Gemeinde Waldkirch liegend. "Mit der Renaturierung haben wir einen Wunsch des ehemaligen Besitzers erfüllen können", erzählt er, der zusammen mit seinem Bruder Walter das etwa 20000 Quadratmeter grosse Grundstück von Brunnschweilers Erben gekauft hatten.

Bereits einmal einen Weiher 

Peter Nater weiss auch, dass es auf diesem Grundstück vor etwa 20 Jahren bereits einen Weiher gegeben hatte. Er und Gemeindeammann Franz Müller sagen übereinstimmend: "Aber mit der Zeit verlandete der Weiher." Der Einsatz von Naturfreunden war gefragt. Und bei den Brüdern Nater waren Brunnschweilers Erben an der richtigen Adresse. Und darüber wiederum freute sich der Gemeinderat Waldkirch. "Wir waren überglücklich, als Naters das Grundstück übernahmen und Ende 1997 mit der Renaturierung begannen", anerkennt Müller die Privatinitiative. Schmunzelnd fügt er hinzu: "Die Renaturierung hat die Öffentlichkeit keinen Rappen gekostet." Naters ihrerseits geben das Kompliment postwendend zurück. "Die Gemeinde hat sehr schnell reagiert, nachdem wir das Gesuch eingereicht hatten." Das Gebiet rund um den Weiher wird übrigens von Landwirt Emil Mock gehegt und gepflegt und zwar in extensiver Art und Weise. Finanziert wurde die Wiederherstellung des Sorntal-Weihers von Walter und Peter Nater, die beide zusammen mit ihren Familien während der vergangenen Monate wacker Hand angelegt haben.

Natur ist zurückgekehrt

Heute freuen sie sich über die Natur, die zurückgekehrt ist. Ein Schwanenpaar hat hier am Sorntal-Weiher gebrütet und macht nun die Jungen mit der Umgebung bekannt. Und da gibt es vieles zu entdecken. Ein breiter Schilfgürtel, Kanonenputzer - "wir waren überrascht, dass der Kanonenputzer wuchs, ohne, dass wir ausgesät hätten", freut sich Peter Nater -, Blesshühner, schillernde Libellen, die über der etwa 4500 Quadratmeter grossen Wasserfläche tanzen, rund um den Weiher blühende Naturwiesen.
"Die Natur "explodiert"", freuen sich Naters, die nicht nur Naturfreunde sind, sondern als begeisterte Fischer mit dem Sorntal-Weiher auch ein Gewässer geschaffen haben, wo sich Krebse, Muscheln und Fische wohlfühlen können. Peter Nater erwähnt eine spezielle Fischart, den Bitterling, der nur dort laiche, wo es auch Muscheln gebe."
Bild: Marianne Bargagna.

Die beiden Brüder besitzen auch noch den 3. Hauptwiler Weiher, um den sie sich ebenfalls naturschutzmässig kümmern und es zwischendurch auch geniessen, dort zu fischen.

So bald meine Mutter auf meine Hilfe verzichten konnte, suchte ich mir eine Stelle in Zürich. Wieder bei einem Rechtsanwalt, Dr. Etter, der auch zugleich den Schweizer Filmverband vertrat, begann ich am 11. Januar 1960 an der Stadelhoferstrasse 40 die Stelle als seine Sekretärin. Nebenan arbeitete noch ein Anwalt, der auch eine eigene Sekretärin hatte. Diese war bereits verheiratet und wohnte in Zollikerberg. Gottlob brauchte ich nicht lange, um mich einzuarbeiten, denn Arbeit war reichlich vorhanden. Wie üblich musste ich erneut unendliche Abhandlungen und Berichte schreiben, diesmal aber ab Diktiergerät. Nur waren meine Finger wie auch meine Sehnen nicht mehr gewohnt, dass ich so oft und so lange auf diese Schreibmaschinentasten schlagen musste (es war noch eine normale Schreibmaschine). Ich bekam daher eine Sehnenscheideentzündung und wurde dazu verknurrt, den linken Arm für eine gewisse Zeit in einer Schiene zu tragen. Darauf besorgte mir mein Chef baldmöglichst eine elektrische Schreibmaschine, was für mich etwas völlig Neues war. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gab. Da wir wie gesagt auch für den Filmverband tätig waren, schenkte mir mein Chef eine Einladung ans Filmfestival nach Locarno. Ich fragte meine Freundin Ursula, ob sie nicht mitkommen wolle, und so fuhren wir zusammen in den Tessin. Wir sahen zwar einen schönen Film auf einer Riesenleinwand draussen in einem Hotelpark, das war aber auch alles. Irgendwelche Filmstars bekamen wir nicht zu Gesicht (oder wir kannten sie nicht), aber den Aufenthalt im Süden genossen wir.


Die Ehe mit Urs
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4.  Die Ehe mit Urs

Gleich um die Ecke an der Rämistrasse gab es das Café Pony, in dem ich immer mein Mittagessen einnahm. Dort sorgte eine charmante Gerantin, Martha Burkhard, dafür, dass jedermann einen guten Platz bekam. Zuerst setzte sie mich an irgendeinen Tisch, plötzlich jedoch immer zu den gleichen zwei Herren. Ich lernte nicht nur ihren Mann, Hans Burkhard, sondern auch ihren Neffen Urs Rüfenacht besser kennen. Er war Student an der ETH, wollte Bauingenieur werden und rauchte liebend gerne Pfeife wie sein Onkel.


(1) Urs mit Pfeife.

Urs mit Pfeife.

 

Urs wartete meistens geduldig vor meinem Büro, bis ich endlich Feierabend hatte. Mit der Zeit fand er, mein Chef übertreibe, er nütze mich aus, und ich solle kündigen, nur weil er nicht warten wollte, bis er mich endlich wieder sehen konnte. Begeistert war ich nicht von dieser Idee, und so schnell liess ich mich nicht überreden, denn die Arbeit bei Dr. Etter war auch interessant. Der Anwalt wollte mich sogar mit einem super reichen Klienten aus Lachen verkuppeln, aber der war mir zu alt. Ganz abgesehen davon war ich in Urs verliebt, und vorläufig genossen wir diesen Zustand einfach. Also arbeitete ich weiter an der Stadelhoferstrasse. Wir trafen uns mittags immer bei Tante Marthe im Café Pony und abends, sofern Urs nicht am Lernen war, entweder bei ihm in seinem Zimmer oder bei mir an der Seefeldstrasse, wo ich bei der Familie Egloff wohnte. Eher selten konnten wir uns auch einen Kinobesuch leisten oder einmal ins Dancing beim Bellevue gehen, wo damals Hazy Osterwald mit seiner Band spielte und noch nicht so weltbekannt war. Wir fanden ihn super. Selbstverständlich lernte ich auch einige Kollegen von Urs kennen, vor allem Heiner und seine Freundin Gerty, mit der ich mich bald enger befreundete. Sie war ebenfalls Sekretärin. Wir zwei hatten das gleiche Los. Wir arbeiteten, während unsere Männer behaupteten, sie müssten studieren, aber weiss Gott, was sie tagsüber trieben, dass sie dann abends das Versäumte nachzuholen hatten, oder sie waren wie im ersten Sommer unserer Bekanntschaft von der ETH aus in einem Kurs in Klosters, wo sie lernten, Strassen auszumessen. Daher verbrachten wir unsere freie Zeit oft alleine. Urs schwärmte aber bereits schon bevor er nach Klosters abfuhr davon, dass wir zusammen die Sommerferien in Ponte Brolla verbringen würden.


(2) Tante Marthe und Onkel Hans vor dem Haus in Ponte Brolla.

Tante Marthe und Onkel Hans vor dem Haus in Ponte Brolla.

 

Deswegen wollte er mich einmal zu Hause vorstellen. Seine Eltern, beide Ärzte, hatten in Balsthal eine Praxis. Sie hatten keine Lust in den Ferien einen Vertreter einzustellen. Mama Rüfenacht weilte jeweils in den Sommerschulferien mit den Kindern in Ponte Brolla, während Papa Rüfenacht arbeitete und seine Ferien später mit der damaligen Krankenschwester, die ihm in der Praxis half, im Wohnwagen in Frankreich verbrachte und eines oder zwei der Kinder mitnahm. Damals war Urs an der Reihe, als er Semesterferien hatte. In dieser Zeit übernahm Mama Rüfenacht die Arbeit in der Praxis. Wir fuhren also an einem Wochenende nach Balsthal mit seiner Lambretta 175, für die er das Geld noch als Gymnasiast zusammen sparte, indem er während den Ferien auf dem Bau arbeitete. Ich lernte das erste Mal diese Gegend im Kanton Solothurn kennen. Sie hatten ein schönes Haus mit angebauter Praxis und einem Garten, der vor allem aus Rasen bestand, mit Sträuchern am äusseren Rand, sowie einem Blumenbeet unterhalb der Treppe beim Wohnzimmer. Im hinteren Teil des Gartens war noch ein kleines Häuschen im Chalet-Stil, wo früher die Mutter von Mama Rüfenacht wohnte, in dem ich übernachtete. Ich lernte  seine Geschwister Katharina, Dieter und Hans kennen, sowie die Haushaltshilfe Tony, die hervorragend kochen konnte. Die Eltern waren anscheinend ganz mit mir zufrieden. Sie hätten es nur lieber gehabt, wenn ich protestantisch gewesen wäre, aber in unserem ledigen Zustand war es noch kein Problem. Wir beschlossen, dass ich die Sommerferien mit Urs ebenfalls in Ponte Brolla verbringen werde. Sobald Urs mit dem Kurs in Klosters fertig war, reiste ich mit dem Zug dorthin, und wir fuhren zusammen mit der Lambretta Richtung Tessin. Offensichtlich war ich aber nicht warm genug angezogen, denn ich rechnete nicht damit, dass auf dem Pass keine sommerliche Hitze herrschte und man auf einem Roller in dieser Höhe durch den Fahrtwind eher abkühlte. Bis wir auf dem San Bernardino ankamen, war ich jedenfalls bereits halb erfroren. Ich musste mich zuerst im Restaurant auf dem Kachelofen etwas erwärmen, bevor wir weiterfahren konnten. Gottlob war es wenigstens in Ponte Brolla schön warm. Nur das Baden in der Maggia war nicht unbedingt das reine Vergnügen. Mehr als 16° erreichte sie auch im Sommer kaum. Aber auch daran gewöhnte man sich. Es waren tolle Ferien. Mit der Lambretta unternahmen wir Ausflüge in die verschiedenen Täler wie Centovalli, Onsernone-, Maggia- und Verzascatal.

Ferien in Ponte Brolla mit der Lambretta 175.

 

Ausserdem lernte ich damals den Clown Dimitri kennen, der dort gerade begann, seine Karriere aufzubauen. In irgendeiner Grotte konnten wir einmal sogar tanzen.


(4) Beim Tanzen in Ponte Brolla.

Beim Tanzen in Ponte Brolla.

 

Während ich nach diesen schönen Ferien in Ponte Brolla wieder brav bei Dr. Etter arbeitete, fuhr Urs mit seinem Vater und der Praxishilfe im Wohnwagen nach Croix Valmer in Frankreich, lustigerweise genau in den gleichen Ort, wo auch Micheline und Guido Diebold (unsere späteren Freunde mit Peter aus der Zeit von unseren Comino-Ferien) ein Ferienhaus hatten, was ich erst jetzt realisierte. Anschliessend durfte er dann in den Militärdienst, und ich war wieder oft allein, aber es gab das Café Pony, wo man immer wieder Bekannte traf. Irgendwie überlebte ich diese Zeit. Zudem wusste ich, dass es im Herbst den Polyball gab, zu dem Urs unbedingt mit mir hin wollte Für ein Ballkleid fehlte mir das Geld. Das schöne Tüllkleid, das ich aus England mitbrachte, war nicht zu gebrauchen, denn inzwischen hatte sich die Mode geändert. Niemand benützte mehr ein langes Kleid wie auch Hermine damals dasselbe kaufte und bei einer Hochzeit trug. Meine Schlummermutter wusste aber Rat. Sie zeigte mir, wo man Secondhand-Kleider kaufen konnte. Ich fand wirklich eines, musste es nur für mich etwas abändern. Mein erster Ball war natürlich schon ein besonderes Erlebnis für mich. Er fand anfangs November statt, und wir tanzten bis in die frühen Morgenstunden.


(5) Beim Polyball.

Beim Polyball.

 

Mitte November durfte Urs in den Militärdienst einrücken. Er wollte eigentlich nur die Rekrutenschule absolvieren, aber da er ein Student war, erwartete man, dass er mindestens Unteroffizier wurde. Er hatte auch keine Lust, so lange im Militär zu verbringen. Heiner wurde hingegen schon Offizier, denn das war damals für die spätere Karriere wichtig. Ich war froh, hatte Urs es wie meine Brüder: Möglichst wenig Militärdienst, Karriere hin oder her. Wenn man an sein Schicksal denkt, wäre es wirklich vergeudete Zeit gewesen.

Das war es leider auch, was unseren Religionskrieg betraf. Urs war Protestant und ich katholisch. Das gleiche Problem hatten auch Gerty und Heiner. Es gab unendliche Diskussionen, denn Urs wollte mich zwar nicht verlieren, aber katholisch heiraten kam für ihn nicht in Frage. Nicht dass er sehr religiös gewesen wäre, aber so wie wir in Hauptwil als Katholiken in der Minderheit waren, so waren es die Rüfenachts als Protestanten in Balsthal, und obwohl sie liberal waren, war für Urs das religiöse Bewusstsein wichtig.

Da wir ziemlich oft an den Wochenenden auch nach Hauptwil fuhren und meine Eltern Urs ebenfalls kennen lernten, kam ich nicht darum herum, meiner Mutter zu sagen, dass Urs protestantisch sei. Sie war alles andere als begeistert, obwohl Urs bei der ganzen Familie gern gesehen war. So hatte ich diesbezüglich auch seitens meiner Mutter keine Ruhe mehr.

Im März 1961 kündigte ich dann doch die Stelle bei Dr. Etter, weil Urs meinte, der beute mich wirklich nur aus. Also arbeitete ich vorübergehend in einer Firma im Seefeld, bis ich wieder am 1. Mai l961 eine Stelle bei der CIFICO Bank an der Bahnhofstrasse fand. Der Vorteil von diesem Anstellungsort war, dass ich hier Kolleginnen und Kollegen hatte und Neues dazu lernte. Obwohl der Direktor der Bank, eine eigene Sekretärin hatte, arbeitete ich hie und da für ihn wie auch für den Personalchef. Die Direktionssekretärin, stellte gleich von Anfang an fest, dass es sich gehöre, geschminkt zur Arbeit zu kommen. Man könne nicht so „halb nackt“ in einem Büro erscheinen. So wusste ich, was ich zu tun hatte. Mein Arbeitsplatz war in einem kleinen Büro, das ich mit einem Bankmitarbeiter teilen musste. Mit allen kam ich eigentlich sehr gut aus, nur dieser kam mir immer etwas zu nahe, was mir gar nicht passte und mich zunehmend nervte. Dabei war er Vater von mindestens fünf Kindern. Ich ging zum Personalchef und sagte ihm, dass ich kündigen möchte und mir eine neue Stelle suchen wolle. Der Direktor wie der Personalchef versuchten, mich zum Bleiben zu überreden. Ich fand jedoch bald eine viel interessantere Stelle bei der Brunswick AG, Schifflände 22. Dazu konnte ich inzwischen endlich in ein kleines Einzimmerappartement oberhalb eines Chinesischen Restaurants in einem  Seitengässchen zwischen Fraumünsterplatz und St. Peterskirche umziehen. Wenn ich aus dem Fenster schaute, hatte ich direkt das Riesenzifferblatt von der Uhr der St. Peterskirche vor mir. Ein Traum ging für mich in Erfüllung. Endlich selbständig. Vorher war ich nur in einem Zimmer bei einer Familie im Seefeld und bei einer in Neu-Affoltern. Zwischendurch wohnte ich noch für zwei Monate bei Gerty und ihrer Familie (wofür ich ihnen mehr als dankbar war), bis ich schlussendlich diese Bleibe fand und dort einzog. In diesem "Appartement", unter welcher Bezeichnung sie es vermieteten, war die Küche auch noch für zwei weitere Bewohnerinnen zum Treppenhaus offen, das Bad etwas zurückgesetzt vis-à-vis von meinem Zimmer, gleich neben der Treppe. Mein Zimmer war sehr schmale, in dem nur ein normales Bett und vis-à-vis ein kleiner Sekretär Platz hatte, den man runter klappen und so auch als Tischchen zum Essen benützen konnte. Links von der Eingangstüre war ein kleiner Kleiderschrank. Trotzdem war es für mich das A und O, denn nun musste ich nicht immer auswärts essen und Urs konnte, wenn er Zeit und Lust hatte, auch zu mir zum Essen kommen, denn auch er hatte nur ein Zimmer bei einer alten Frau. Dazu wohnte ich mitten in der Stadt, sodass ich sogar zu Fuss das Büro bei der amerikanischen Firma erreichte, wo ich seit 1. September 1962 arbeitete, die unter anderem Bowling-Anlagen produzierte.

In der Brunswick AG war ich als Sekretärin des Vizepräsidenten und European Counsels, James I. Hines, angestellt. Er war Amerikaner, und ich musste mich zuerst einmal an die amerikanischen Ausdrücke gewöhnen. Gottlob gab es hilfreiche Seelen, die mir halfen, mich zurecht zu finden. Mit der Sekretärin des Schweizer Anwaltes, Iris, die ihre Büros auf der gleichen Etage hatten, und einer anderen Sekretärin, Margrith, von einer anderen Abteilung, verkehre ich heute noch. Dank ihnen lebte ich mich schnell ein. Sie halfen mir auch sehr, mich mit all den amerikanischen Ausdrücken anzufreunden. Es war wieder ein sehr spannender Job, denn ich konnte auch Sitzungen und Reisen organisieren. Neben meinem Büro war auch das Büro der Direktionssekretärin, eine für unsere Begriffe schon etwas ältere, deutsche Dame (wahrscheinlich war sie ca. 45 Jahre alt). Wir kamen zwar gut aus zusammen, sehr eng wurde unser Verhältnis aber nicht. Überstunden gab es halt auch hier, daran musste sich Urs gewöhnen. Einmal durften Iris und ich mit ihrem und mit meinem Chef und dessen Jaguar sogar nach Besançon in die dortige Bowling-Anlage fahren. Wir versuchten es mit Bowling-Spielen, vor allem genossen wir aber zusammen ein feines Mittagessen. Eine andere einprägende Erinnerung an den Anwalt Dr. Ferralli von Iris war, dass er uns an Weihnachten zu einem Austernessen ins Gotthard Restaurant an der Bahnhofstrasse in Zürich eingeladen hatte. Er ass mindestens ein Dutzend Austern, bekam aber keine Probleme. Ich ass nur eine, jedoch unter meiner war ein Wurm. Mit Todesverachtung schluckte ich sie ganz runter und spülte mit Champagner nach, kam dafür halb beschwipst nach Hause und war während der ganzen Feiertage verstopft. Iris nahm auch tapfer davon. Sie ass wahrscheinlich mehr als eine, denn ihre Weihnachtstage waren wegen des dauernden Erbrechens keine Freude.

Da wir uns anfangs 1962 verloben wollten, wurden die religiösen Diskussionen immer hitziger. Auch bei Gerty und Heiner war es nicht besser. Es wäre so viel angenehmer gewesen ohne diese ständigen Spannungen und Streitereien. Zudem wurde die Mutter von Gerty noch sehr krank. An ihrem Sterbebett musste Gerty ihr versprechen, dass sie katholisch heiraten werde, was sie später dann doch nicht einhielt. Das sind Zumutungen und Belastungen, die nicht jedermann gleich bewältigen kann. Gottlob hatten wir nicht noch solche Probleme, aber meine Mutter gab mir bekannt, dass der Bischofszeller Pfarrer ihr verboten habe, an unserer Hochzeit teilzunehmen, worauf meine Brüder, vor allem Paul und Ernst sagten, dann würden sie nicht mehr nach Hause kommen. Mein Vater stand als ehemaliger und künftiger Protestant auf unserer Seite. Bevor wir uns aber für ein Hochzeitsdatum entschliessen konnten, heirateten Gerty und Heiner am 22.9.1962 trotz allem nicht katholisch. Gerty fragte mich, ob ich ihre Brautjungfer sein wolle.


(6) Brautführerin bei Gertys Hochzeit (Heiner im Hintergrund).

Brautführerin bei Gertys Hochzeit (Heiner im Hintergrund).

Diese Aufgabe habe ich sehr gerne übernommen. Es gab nur ein Kleiderproblem. In sämtlichen Läden fand ich zwar wunderschöne Kleider, die für mich aber viel zu teuer waren, also nähte ich mir selbst eines. Damals waren wenigstens die Stoffe viel günstiger als heute. Glücklicherweise bekam ich zur Verlobung eine Nähmaschine, von meiner Mutter doch ein Zeichen der Versöhnung. Ich fand einen wunderschönen roten Samt und nähte daraus mein Brautführerinnenkleid.


(7) Silvia als Brautführerin mit Urs bei Gerty und Heiners Hochzeit.

Silvia als Brautführerin mit Urs bei Gerty und Heiners Hochzeit.

 

Auch mein Cousin Guido heiratete seine Rita aus Wil, wo ich oft als Kind bei meiner Gotte, Guidos Mutter, weilte und er mich vermutlich deshalb als Trauzeugin wählte. Gleich nach der Hochzeit zogen sie nach Indien, wo er für die Firma Bühler in Uzwil arbeitete. Der erste Sohn Patrick wurde dort geboren. Sie kehrten dann bald darnach in die Schweiz zurück, und ich wurde Patricks Gotte. Sie wohnten in Wil, während Guido weiter in Uzwil für Bühler arbeitete. Patrick bekam noch zwei Brüder: Roman und Christoph.  Die Ehe hielt leider nicht, vielleicht weil er auch viel unterwegs war.  Er lernte in Prag eine Tschechin kennen und heiratete sie, obwohl sie ihm zuerst verheimlichte, dass sie einen Sohn hatte. Trotzdem adoptierte er ihn. Zusammen wohnten sie in St. Gallen und aus diesem neuen Sohn wurde ein guter Koch. Leider starb Guido am 2.7.2006 mit 66 Jahren an Krebs. 


(8) Guido als James Dean.

Guido als James Dean.

 

Bei Guidos Hochzeit war sein Freund Trauzeuge. Er war bereits Architekt und besass einen kleinen roten Flitzer, einen MC Cabriolet. Mit diesem holte er mich vor Guidos Hochzeit in Zürich ab und meinte sicher, er könne damit bei mir punkten. Ich hatte mich jedoch bemüht, eine schöne Frisur zu machen und dann fuhr er so schnell er konnte mit abgedecktem Dach, sodass ich komplett zerzaust in Wil ankam. Meine ganze Frisur war dahin und musste wieder einigermassen instand gestellt werden. Erfreut war ich also überhaupt nicht. Trotzdem besuchte er mich einmal noch nach der Hochzeit in Zürich. Urs war im Militärdienst, so konnte ich nicht sagen, ich hätte keine Zeit. Er lud mich zum Abendessen ein und anschliessend besuchten wir die Kindli-Bar an der Strehlgasse. Ich weiss nicht, ob es dieses Nachtlokal immer noch gibt. Es traten jeweils Musikensembles sowie Tänzerinnen auf. Sobald diese auf der Bühne waren, hatte er nur noch Augen für die Letztgenannten. Für mich war klar, dass er einmal die Treue nicht sehr ernst nehmen würde. Er war zwar katholisch, was der Wunschtraum meiner Mutter gewesen wäre, obwohl sie gegen Urs als Person nichts einzuwenden hatte. Für mich kam er aber nach diesem Abend überhaupt nicht in Frage, katholisch hin oder her. Urs hingegen hatte Angst, meine Mutter könnte ihn bitten, mich mit seinem Auto nach Zürich zu fahren, wenn ich sie in der Ostschweiz besuchte, da er auch in Zürich arbeitete, aber so weit hätte sie sich dann doch nicht eingemischt. Es war gar nicht so einfach, sich von einer Religion zu lösen, speziell wenn man bei Nonnen in der Schule und in England dazu noch in einem Kloster war. Abgesehen davon wurde einem ständig genug Angst eingebläut und gedroht, dass es böse enden und man dafür bestraft werde, wenn man der katholischen Kirche und ihren Regeln nicht treu ergeben sei, d.h. man werde einmal in der Hölle schmoren und es für immer und ewig bereuen. Selbstverständlich würde ich nicht mehr zur Kommunion zugelassen. Damals wurde man aus der Kirche ausgeschlossen, wenn man nicht katholisch heiratete. Urs wollte keine katholischen Kinder. Also sah ich mit der Zeit ein, dass ich nachgeben musste, wenn wir nicht getrennt werden wollten. Es war weiss Gott keine leichte Zeit. Bevor Urs nicht sein Studium beendetet hatte, konnten wir nicht heiraten, dazu kamen die vielen Militärdienste, die er auch noch absolvieren sollte. Einmal war er sogar in Zweisimmen, damals war es für mich nichts Besonderes.

Da Urs immer so beschäftigt war, hatte er Angst, es könnte mir langweilig werden, oder ich hätte vielleicht zu viel Zeit, und ich würde einen anderen kennenlernen, der sich mir mehr widmen konnte. Also wollte er, dass ich die Mannequinschule besuchte. Er fand heraus, dass es am Rennweg eine gab, bei der ich mich dann seinem Wunsch entsprechend meldete. So war ich nun abends mit dem Vorführen von Kleidern beschäftigt. Etwas sehr Wichtiges war natürlich, wie man möglichst elegant einen Fuss vor den anderen setzte und zugleich das Kleid oder den Mantel den Zuschauern schön präsentierte. Dazu gehörte auch eine schöne Frisur und ein gut geschminktes Gesicht. Irgendwie erfuhr ich dabei, dass es an der Stockerstrasse einen sehr guten Coiffeur gab. Ich liess mir dort einmal eine neue Frisur machen. Der betreffende Coiffeur war so begeistert von meinen Haaren, dass er mich fragte, ob ich nicht sein Model werden wolle. Ich hatte nichts dagegen, denn das hiess, dass ich jede Woche gratis meine Haare, waschen, schneiden und legen lassen konnte. Es gab Modeschauen und viele Fotos, aber für eine spezielle Show mit Fotos war ihm meine Haarfarbe zu dunkel. Er fragte mich, ob ich nicht einverstanden wäre, die Haare zu färben, weil die Frisur dann auf den Bildern besser zur Geltung käme. Ich war immer für etwas Neues zu haben. Also färbte er meine Haare in ein dunkles Blond mit hellen Strähnen. Nachdem die Frisur fertig war, kannte ich mich selbst nicht mehr. Als mich Urs so verändert sah, bekam er zuerst einmal einen Schock, dann wurde er wütend und war auf der Strasse nicht bereit, neben mir zu gehen. Entweder er ging voraus oder hinter mir. Im Büro kannte mich niemand mehr. Keiner grüsste mich. Komisch war nur, dass mein Chef mich nicht fragte, was ich in seinem Büro zu suchen habe. Als ich ihm dann berichtete, dass mein Coiffeur mir nur vorübergehend wegen eines Auftrittes und einiger Fotos die Haare gefärbt habe, fand er es sogar lustig. Er dachte, die Firma hätte irgend eine neue Sekretärin angestellt. Ausser Urs hatten eigentlich alle den Spass daran. Ich sollte diese Farbe für eine Woche tragen, bis die Modeschau und die Bilder erstellt waren, aber das kam für ihn nicht in Frage. Ich musste die Haare sofort wieder umfärben und kurz vor der Modeschau erneut blond machen und natürlich nachher sofort wieder dunkel. Wahrscheinlich hatte ich Glück, dass ich durch diese Prozedur nicht alle Haare verloren hatte, was mir später einmal in Genf passierte, als ich sie strecken lassen wollte, weil gewellte Haare damals nicht Mode waren, aber dann brachen sie ab und ich hatte schlussendlich als Strafe einen Millimeterhaarschnitt, der mir aber auch nicht schlecht stand. Urs sollte mich eben nicht in die Mannequinschule schicken.


(9) Onkel Hans und Tante Marthe in Ponte Brolla mit Blick auf Maggia.

Onkel Hans und Tante Marthe in Ponte Brolla mit Blick auf Maggia.

 

Onkel Hans, der Bruder von Mama Rüfenacht, wurde 60 Jahre alt und lud die ganze Familie zur Feier seines runden Geburtstages ein. Ich wollte ihm auch ein Geschenk machen. Jedoch weder Urs noch ich konnten viel Geld dafür ausgeben. So kam ich auf die Idee, ihm ein Bild seines Dackels zu zeichnen. Gottlob arbeitete ich bei der Brunswick AG. Die hatten eine Graphikerabteilung. Dort zeigten sie mir, wie ich am besten vorgehen sollte, damit mein Vorhaben gelingen konnte, was mir auch einigermassen glückte.

Wahrscheinlich in der Übergangszeit, als ich nicht mehr für Dr. Etter arbeitete und noch nicht im neuen Büro begann, fragte mich Onkel Hans, ob ich mit ihm auf eine Geschäftsreise mitkomme, damit er nicht alleine den weiten Weg fahren müsse. Ich war sofort bereit, und Urs hatte nichts dagegen, da er sowieso viel lernen musste. Onkel Hans liess mich die ganze Strecke seinen Mercedes fahren. So konnte er derweil ausruhen und sich auf seine Geschäfte konzentrieren. Wir fuhren zuerst nach Kufstein und übernachteten dort in einem Hotel. Onkel Hans erledigte seine Geschäfte, während ich mir das Städtchen und die Umgebung anschaute. Am nächsten Tag fuhren wir weiter via München nach Hannover. Auch in diesen beiden Städten traf er irgendwelche Geschäftsleute. In Hannover hatte ich keine Zeit etwas anzuschauen, denn wir fuhren früh am nächste Morgen wieder zurück, und ich hatte die lange Autobahnfahrt vor mir. Daher nahm er mich ja auch mit, weil er die enorme Strecke nicht alleine bewältigen wollte. In meinem Alter war es aber kein Problem. Im Gegenteil, ich war stolz, dass ich es schaffte.

Onkel Hans starb nur einige Jahre später an einer Embolie. Kurz davor liess er bei meinem Vater irgendwelche Stossdämpfer machen, jedenfalls bevor er diese bezahlen konnte. Ob sie schon geliefert wurden, weiss ich nicht. Wie auch immer, mein Vater hatte Probleme mit Tante Marthe wegen der Bezahlung und sie wiederum wegen meinem Vater, da Onkel Hans sie nicht in seine Geschäfte eingeweiht hatte. Mein Vater hatte eine Stinkwut auf sie und verzieh es ihr nie, obwohl man sie auch verstehen musste, denn ihr lieber Mann, der früher ein Haus im Tessin und eine Jacht auf dem See hatte, nur in gehobenen Kreisen verkehrte, so dass Vater Rüfenacht es ungerecht fand, dass er sich abrackerte und nie so viel verdiente, dass er so leben konnte wie diese zwei und offensichtlich noch Schulden hinterliessen. Das Haus im Tessin hatten sie schon längst nicht mehr, auch das Schiff wurde verkauft, eigentlich arbeitete Tante Marthe seit ich sie kannte im Café Pony und verdiente den Lebensunterhalt für beide. So war sie nach seinem Tod auch darauf angewiesen, zu arbeiten, bis sie ihre Pension bekam und auch dann lebte sie nicht in Saus und Braus. Für mich waren jedoch beide zwei wichtige Personen, die ich sehr gerne
mochte.

 
(10) Lumpi - Bild von mir.

Lumpi - Bild von mir.

 

Vorläufig war ich die einzige, die etwas verdiente, daher musste ich noch mehr sparen, damit wir uns die Hochzeit überhaupt leisten konnten und die Möglichkeit hatten, wenigstens ein Schlafzimmer zu kaufen. Immerhin hatten wir eine Wohnung in Zollikerberg in Aussicht. Die Sekretärin von dem Anwalt neben Dr. Etter an der Stadelhoferstrasse besorgte uns eine 3-Zimmer-Wohnung gleich im Block neben ihnen in Zollikerberg, denn schon damals musste man froh sein, überhaupt eine Wohnung zu bekommen und dazu noch so eine fantastisch gelegene wie unsere. Wir zogen dort schon einmal ein, obwohl wir noch nicht alle Zimmer möblieren konnten. Das wäre bei Gerty und Heiner nicht in Frage gekommen. Ihre Wohnung war sofort perfekt eingerichtet. Nun wir lebten auch so glücklich und zufrieden mit einem Schlafzimmer und einigen alten Möbeln aus Balsthal, selig, dass wir endlich zusammen in einer eigenen Wohnung leben konnten. Urs beendete sein Studium und bekam eine Stelle bei der Baufirma Fietz & Leuthold in einem Stollenbau bei Bäretswil, wo Theo Kiefer sein damaliger Chef wurde. 

Im Frühjahr 1963 beendeten Urs und Heiner ihr Studium an der ETH und bekamen ihr Diplom als Bauingineure. Ich kümmerte  mich derweil um mein Brautkleid, das ich selber nähte, obwohl mir jemand sagte, das bringe Unglück. Ich war jedoch nicht abergläubig. Zudem hatte ich keine andere Wahl. Den Brautschleier bekam ich von Pauls erster Frau Annemarie.


(11) Hochzeitspaar.

Hochzeitspaar.

 

Somit stand uns nichts mehr im Wege, dachten wir, als wir am 22. Juni 1963 in der kleinen Kirche auf dem Hügel in Witikon-Zürich heiraten wollten, aber an diesem Vormittag stürzte unser Trauzeuge, als er mit dem Hund draussen war und verletzte sich am Arm, so dass wir schnell einen Ersatz finden mussten. Seine Frau kam hochschwanger zur Ziviltrauung und mein Bruder Paul war bereit, zusammen mit Katharina, der Schwester von Urs, unsere Trauung in der Kirche zu bezeugen.


(12) Hochzeitspaar mit Trauzeugen Katharina und Paul.

Hochzeitspaar mit Trauzeugen Katharina und Paul.

 

Meine Mutter erschien zwar zur Hochzeit, aber sie schluchzte so laut während der Trauungszeremonie, dass es nicht zu überhören war. Bei schönstem Wetter spazierten wir anschliessend den Hügel runter und fuhren zum See, wo wir ein gedecktes Boot bestiegen und damit nach Rapperswil gelangten. Dort gab es im Hotel Schwanen ein feines Essen. Wie gesagt, durften aber meine jüngeren Geschwister nicht an der Hochzeit teilnehmen.


(13) Hochzeitsgesellschaft auf dem Schiff.

Hochzeitsgesellschaft auf dem Schiff.

 

Anschliessend genossen wir zwei wunderschöne Wochen im Ferienhaus in Ponte Brolla. Dann begann wieder der Alltag, d.h. Urs arbeitete im Stollen in Bäretswil, das bedeutete, dass er immer schon um halb sechs aufstand. Um 07.00 begann die Arbeit auf der Baustelle. Ich durfte etwas länger liegen bleiben. Ich hatte das Glück, dass die Amerikaner diesbezüglich etwas angenehmer waren und den Arbeitsbeginn erst um 08.30 ansetzten. Einmal besuchten wir zusammen einen Film von Hitchcock mit Anthony Hopkins, wo eine Frau im Badezimmer umgebracht wurde. Am nächsten morgen duschte ich mich in der Badewanne und plötzlich öffnete sich still und leise die Badezimmertüre. Ich wusste, dass ich alleine in der Wohnung war, Urs war ja schon längst bei der Arbeit. Sofort sah ich wieder die Szene im Film und starb fast vor Angst, aber gottlob war es nur Urs, der etwas vergessen hatte und nochmals zurückkehren musste. 

Für unsere gemeinsamen Weihnachtsferien fuhren wir nach Tschiertschen. Ich kam zwar schon länger nicht mehr dazu, auf den Brettern zu stehen, aber ich hoffte, dass ich es schon irgendwie schaffte mit meinen Skierlebnissen aus Hauptwil. Ich war ziemlich naiv, denn es gab damals noch keinen Lift in Tschiertschen. Wir mussten mit Fellen an den Brettern zuerst den ganzen Hang hinauf stapfen, was im Tiefschnee ziemlich anstrengend war. Für mich war es in den Spuren von Urs etwas einfacher, aber trotzdem. Wie sollte ich nun, oben nach Stunden angekommen, mit schlotternden Knien die nicht gepisteten Hänge runterfahren? Immerhin hatten schon viele vor uns vorgespurt, so dass es nicht mehr so schlimm war, wie komplett im Tiefschnee zu fahren, einfach war es für mich aber keineswegs, denn das waren ja keine schönen Pisten, wie man sie heutzutage hat. So stürzte ich oft und war froh, wenn ich jeweils heil und ganz unten ankam. Das feierten wir dann bei einem guten Kaffee im Café Engi, direkt unterhalb unserer Pension Erika, wo wir einquartiert waren. Wir hatten dort ein angenehmes Zimmer mit Frühstück und Abendessen und lernten so auch den jungen Bauunternehmer Angelo Vanoli mit seiner Frau Yolanda kennen. Zum Glück gab es bald in den kommenden Jahren einen Skilift. 

Eines Tages machte ich auf dem Weg zur Arbeit einen falschen Tritt im Treppenhaus. Ich konnte zwar noch ins Büro, aber mein rechtes Knie schwoll immer mehr an. Die Diagnose des Arztes lautete: Meniscus. Da ich ihn bei einem Misstritt bekam, wurde er als Unfall akzeptiert. Es gab keine andere Wahl, als zu operieren. Urs fand, ich solle ins Kantonsspital Solothurn gehen, sein Vater kenne dort einen guten Operateur und anschliessend habe ich die Möglichkeit, noch etwas bei seinen Eltern zu wohnen, bis ich wieder einigermassen gehen könne. In der Zeit dauerte nicht nur so eine Meniscusoperation viel länger, auch der Aufenthalt im Spital. Dafür bekam ich später nie mehr in einem Spital ein Glas Wein zum Mittagessen wie damals in Solothurn. 

Via Tante Marthe lernten wir auch ihre Freundin Bernadette Dorigo sowie ihren Mann Richard Dorigo kennen. Sie hatten ein Haus an der Tobelhofstrasse in Zürich und verkauften antike Möbel, die Richard jeweils vorher wieder instand stellte. Durch sie bekamen wir Lust auf Stilmöbel, denn die Wohnzimmermöbel, die man sonst kaufen konnte, gefielen uns nicht. Also erwarben wir bei ihnen einen schönen Stilschrank und bestellten gleichzeitig einen Esszimmertisch mit sechs Stühlen und einen Salontisch, die alle von einem speziellen Schreiner von Hand angefertigt wurden. Das Schlafzimmer benützten später einmal noch meine Eltern, aber die übrigen Möbel überlebten all die Jahre und sind in unserer jetzigen Wohnung immer noch brauchbar. 

Im Mai 1964 wurde ich schwanger. Man wusste noch nicht im voraus, ob es ein Knabe oder ein Mädchen werden wird. Ich hatte nur Sorgen, dass ich keine Krampfadern bekam, aber mein damaliger Gynäkologe, bereits ein älterer Herr, meinte, ich werde bestimmt nie welche bekommen und bei Gott, er hatte recht. Sicherheitshalber nahm ich trotzdem Venoruton, weil meine Kolleginnen darauf schwörten.

Gleichzeitig mit mir war auch Trudy Kiefer (die Frau von Theo Kiefer) guter Hoffnung. Sie schenkte einer Tochter im Januar 1965 das Leben, und wir bekamen einen Sohn am 27. Februar 1965. Ohne dass wir es voneinander wussten, gaben sie ihrer Tochter den Namen Daniela, und wir nannten unseren Sohn Daniel. Ich wurde in der Pflegerinnenschule in Zürich entbunden. Die Geburt war alles andere als lustig. Wahrscheinlich war es verheerend, dass ich vorher schon seit längerer Zeit Ballettunterricht nahm, denn meine Muskeln wollten nicht nachgeben. Ich hatte neunzehn Stunden lang schreckliche Wehen, und der arme Daniel steckte mit dem Kopf fest. Kein Wunder leidet er seither unter Platzangst. Mein Schwiegervater, der in Balsthal auch Geburtshelfer war (er hatte unterhalb der Praxis sogar zwei Zimmer, wo die Gebärenden übernachten konnten), ärgerte sich und konnte die Ärztin nicht verstehen, dass sie nicht früher bereit war, nachzuhelfen und den Kanal mit einem Schnitt zu öffnen, was für Daniel wie für mich eine grosse Erleichterung gewesen wäre. Schlussendlich musste sie es ja sowieso machen. Als sie ihn endlich rausgeholt hatte, war er bereits kreidebleich. Normalerweise sind die Babies krebsrot, wenn sie geboren werden. Er erholte sich relativ schnell, und ich war glücklich, dass es vorbei war mit den Schmerzen. Sofort war alles vergessen. Hauptsache wir hatten einen gesunden Sohn. So selbstverständlich war es nicht, denn eine Kollegin von Brunswick, gebar etwas vor mir auch in der Pflegerinnenschule einen Sohn, der hatte aber leider das Rückenmark offen. Er kann noch heute nicht richtig gehen und sich normal bewegen.

Urs wollte auf Nummer sicher gehen und brachte mich für eine Woche zu seinen Eltern, damit ich mich erstens wieder erholen und zweitens seine Mutter mir bei der Pflege helfen konnte. Als Kinderärztin wusste sie, was zu tun war. Ich schlief mit Daniel in einem der Wöchnerinnenzimmer unterhalb der Praxis. Daniel begann anfangs um 02.00 Uhr zu weinen, weil er trinken wollte, aber Oma riet mir, ihn jede Nacht etwas später zu stillen, damit er lerne, die ganze Nacht durchzuschlafen. Also musste ich ihn immer etwas länger weinen lassen, bis er wenigstens erst zwischen 05.00 und 06.00 Uhr seine Milch verlangte. Damals meinte man, die Kinder müssten schon als Babies streng erzogen werden. Mit meiner Stillerei klappte es jedoch nicht, denn ich hatte nicht genug Milch. Daher beschlossen wir, auf Flaschenmilch umzustellen. So bekam ich einen engen Verband um die Brust, damit die Milch definitiv zurückging. Alleine zu Hause hätte ich das alles sicher nicht so gut und problemlos geschafft. Zudem waren alle entzückt von dem kleinen Daniel. Am Wochenende holte mich Urs wieder ab und freute sich, mit uns zusammen zu sein und seinen Sohn in den Armen halten und geniessen zu können. 


(14) Ich mit Daniel, Katharina mit Daniel und mit Oma und Opa.

Ich mit Daniel, Katharina mit Daniel und mit Oma und Opa.

 

Bald darnach war es für uns Zeit, nach Wil umziehen, wo Urs einen neuen Posten bekam. Er wurde Leiter einer Autobahnbaustelle in Henau. Dort sollte er eine Brücke über die Thur für die neue Autobahn bauen. Wir fanden eine Wohnung etwas ausserhalb von Wil. Ich war daran, mich dort einzurichten und einzuleben, kannte die Nachbarn aber noch kaum. Wir genossen es, dass Urs mittags nach Hause kommen konnte. Er berichtete mir immer, wie es bei der Arbeit lief. Ausserdem war er stolz, wie Daniel sich entwickelte. Inzwischen begann er schon Brei zu essen. Ich musste ihn aber auf dem Küchenboden füttern, da er oft, kaum hatte er den vollen Löffel im Mund, niesen musste, so dass jeweils der ganze Boden voll gespritzt war.

Im Juni 1965 hatten wir starken Dauerregen. Die Flüsse schwollen an, und Urs kam nach Hause und jammerte, weil man nicht arbeiten konnte. Als ich ihn am 10. Juni mittags verabschiedete, sagte ich ihm, er solle acht geben. Er meinte, es werde schon nichts passieren, sonst soll ich ihm einen Blechsarg besorgen, damit er höre, wenn es regne. Er war noch jung, sorglos und unbekümmert. Bevor es Abend wurde bekam ich ein Telefon von seinem Chef, dass er ertrunken sei und mit ihm noch zwei Mitarbeiter. Das Wasser in der Thur sei immer mehr gestiegen. Urs habe Angst bekommen, dass der Ponton mit dem teuren Gerät darauf kippen könnte. Er wollte es mit zwei seiner Männer besser befestigen. So habe er alle drei mit dem Kran auf das Floss bringen lassen. Kaum seien sie dort angekommen, um mit der Sicherung zu beginnen, sei die Thur plötzlich dermassen angeschwollen, dass der Ponton kenterte und die drei Männer samt Maschine in den Fluss stürzten. Selbstverständlich seien sie im Nu weggeschwemmt worden. Urs war ein ausgezeichneter Schwimmer, aber alle drei hatten natürlich schwere Regenschutzkleider und Stiefel an, von denen er sich anscheinend noch befreien konnte, aber ein Baumstamm traf ihn am Kopf und verletzte ihn wahrscheinlich so, dass er ohnmächtig wurde. Jedenfalls ertranken alle drei. Sie fanden Urs bald nur einige Kilometer flussabwärts. Die beiden anderen Männer wurden sogar noch weiter weg getrieben. Man entdeckte sie erst nach Tagen. Einen konnten sie schlussendlich in Koblenz bergen. Ich wäre völlig durchgedreht, wenn ich so lange hätte warten müssen, um sicher zu sein, dass man ihn wirklich nicht mehr retten konnte. Noch lange träumte ich, dass ich auf dem Boden eines Flusses war und Urs suchte. Maria, meine Schwester, kam dann sofort zu mir, damit Daniel nicht alleine bleiben musste, während ich darauf wartete, dass ich Urs sehen konnte. Man riet mir davon ab, aber ich musste die Gewissheit haben, dass er wirklich tot war, und man ihm bestimmt nicht mehr helfen konnte. Er war so aufgedunsen, dass man ihn kaum erkannte. Es war schrecklich. Mir blieb nichts anderes übrig, als seinen Eltern die traurige Botschaft mitzuteilen. Oma war dermassen geschockt, dass sie schrie: „Nein, das ist nicht wahr“, daher übergab ich den Hörer lieber Maria. Sie versuchte ihr, zu erklären, wie es dazu kommen konnte. Maria blieb bei mir, bis wir in Wil alle formellen Angelegenheiten erledigt hatten, dann fuhr ich sowieso nach Balsthal, weil Urs dort begraben wurde.

Am 5.6.1965 feierten mein Bruder René und Rösli ihre Verlobung. Daher war Maria zufällig zu Hause und konnte sofort zu mir kommen, denn sonst wäre sie normalerweise in Ingenbol in der Schule gewesen. An diesem Fest entstand die letzte Aufnahme von Urs.


(15) Letztes Bild von Urs.

Letztes Bild von Urs.

 

Es gab ein Riesenbegräbnis mit unendlich vielen Leuten. Für mich war es schlimm. Ich musste nach der Trauerfeier draussen auf dem Friedhof stehen und allen Teilnehmern die Hand drücken, dabei hätte ich mich am liebsten so schnell wie möglich irgendwo verkrochen. Dazu musste ich noch hören, dass ich selber Schuld sei, ich sollte eben nicht so einen Heiden von einem Protestanten heiraten. Nun war die Kirche für mich endgültig gestorben. Ich wollte weder von der einen noch von der anderen etwas wissen. Gottlob war Oma auch keine Kirchgängerin. Nur Opa besuchte jeden Sonntag den reformierten Gottesdienst, er war eben auch Mitglied des Kirchenvorstandes.

Meinem Vater muss es auch ziemlich zugesetzt haben, denn offensichtlich begann er endgültig darüber nachzudenken, wieder in die reformierte Kirche zurück zu kehren. Sicher hatte er noch Probleme, bis er es Mutter definitiv beibringen konnte. Erst als ich diese Aufzeichnungen schrieb und in alten Fotos und Unterlagen stöberte, entdeckte ich, dass er am 19. Februar 1967 sich wieder umtaufen liess und somit erneut reformiert wurde.

Witwe
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5.  Witwe

Da ich auf keinen Fall in Wil bleiben wollte, wo in nächster Nähe das schreckliche Unglück geschah, musste ich für uns eine neue Bleibe finden. Mir schien, dass Daniel der Familie Rüfenacht gut tun würde. Sie hatten von sich aus schon vorgeschlagen, dass ich zu ihnen kommen solle. Anfangs blieb ich auch dort, bis ich mich etwas gefangen hatte, und ich bin ihnen auch dankbar, dass ich mit ihnen zusammen sein durfte, aber ich glaube, Daniel hat ihnen ebenfalls über die schlimmste Zeit hinweg geholfen. Selbstverständlich hätten mich auch meine Eltern aufgenommen, aber das kam für mich nicht in Frage. Das Letzte, was ich jetzt brauchte, waren religiöse Äusserungen meiner Mutter. Trotzdem musste ich die Wohnung in Wil kündigen und die Möbel irgendwo unterbringen. Nachdem ich eine Weile in Balsthal war, hörten wir, dass ein Anbaueinfamilienhäuschen mit einer separaten eigenen Garage am anderen Ende des Dorfes zur Miete ausgeschrieben war. Es war das letzte Doppelhaus an der betreffenden Strasse, also absolut ruhig gelegen und gefiel mir sehr gut. Es hatte sogar ein eigenes Gärtchen. Baldmöglichst besorgte ich einen Umzugswagen und richtete mich in dem herzigen Häuschen ein. Unten war eine kleine Wohnküche mit Ausgang zum Garten und zur Garage, ein Wohnesszimmer, ebenfalls mit einer Türe zum Garten, sowie ein WC. Im oberen Stock gleich rechts, wenn man rauf kam, war das Bad plus WC, vis-à-vis ein kleines Zimmer, nebenan noch ein etwas grösseres Zimmer, indem ich Daniel einquartierte. Dort hatte er auch genug Platz zum Spielen. Dann gab es noch ein Doppelschlafzimmer, in dem ich künftig schlief, später auch mit Maria zusammen. Die Wände waren nicht allzu gut isoliert, aber nebenan wohnte eine sehr nette Familie mit zwei schon etwas grösseren Kindern. So fühlte ich mich auch nicht so alleine.

Es war keine schlechte Idee, dorthin zu ziehen. Ich war in einer komplett neuen Umgebung und konnte jederzeit zu den Schwiegereltern. Oma besuchte jede Woche das Stadttheater in Solothurn. So fragte sie mich, ob ich nicht mitkommen wolle. Für mich war das etwas völlig Neues. Bis jetzt war ich weder in einer Oper noch sonst in einem Konzert. Wir verbrachten viele wunderschöne Abende in dem kleinen Stadttheater, wo es für viele Künstler der Anfang einer erfolgreichen Karriere war. In Solothurn hatte ich auch die Möglichkeit, einen Porzellanmalkurs zu besuchen, der mir viel Abwechslung und Freude bereitete. Daniel gedieh derweil in dieser Umgebung bestens, von allen Seiten gehegt und gepflegt, natürlich auch verwöhnt. Voll ausgelastet war ich mit dem kleinen Daniel sowie mit Haus und Garten nicht. Nachmittags machte er sein Mittagsschläfchen, vor allem waren aber die Abende lang. Da wollte ich irgendeine Beschäftigung, damit ich nicht zuviel Zeit zum Nachdenken hatte. So suchte ich mir eine Arbeit. Irgendwo in einem Büro zu arbeiten, kam für mich nicht in Frage, ich wollte die Schwiegereltern nicht zu viel belasten, sie hatten mit der Praxis genug zu tun. Ich bekam in einer Schule, die Fernunterricht erteilte, die Aufgabe, den Englischunterricht schriftlich zu gestalten. Das war für mich ideal, denn ich konnte in dem kleinen Zimmer neben Daniels Schlaf- und Spielzimmer schreiben, wenn er schlief oder auch einmal alleine für sich schön spielte. Daniel begann früh zu laufen. Mit 8 Monaten sauste er schon um das Laufgitter herum. Heutzutage kennt man es praktisch nicht mehr, aber ich fand es vorteilhaft. Ich konnte es auch im Wohnzimmer oder in der Küche aufstellen, wenn ich unten beschäftigt war. Später musste ich auch ein Gitter bei Daniels Zimmertür befestigen, denn das Treppenhaus war ziemlich steil und kurvig. Ich fiel selbst einmal runter, als ich vor der Badezimmertür, direkt beim Treppenhausabgang ohnmächtig wurde, als ich nachts aufs WC wollte. Gottlob war damals Maria schon bei uns, hörte es und konnte dann Opa benachrichtigen. Ich hatte wieder einmal zu tiefen Blutdruck, dafür mehr als Glück, denn es ist mir nichts passiert.

Es war für mich sowieso eine Riesenerleichterung, dass Maria bereit war, zu uns zu ziehen um ihre erste Stelle als Kindergärtnerin in Biel zu beginnen. Ich hätte diese schwere Zeit nach dem Tod von Urs nie so gut überstanden ohne die Unterstützung der ganzen Familie Rüfenacht sowie Maria und selbstverständlich auch nicht ohne Daniel, der uns immer viel Freude machte.


(1) Daniel mit mir.

Daniel mit mir.

 

Er war auch ein liebes, problemloses Kind. Schlief gut, war fröhlich, immer gut aufgestellt. Wenn man ihn anschaute, konnte man nicht traurig sein. Ich musste mir sogar Mühe geben, dass er von der Trauer nicht zu viel mitbekam. Irgendwie hatte ich den Eindruck, dass er es instinktiv spürte und er daher besonders lieb sein wollte, damit ich wieder fröhlich wurde. Er bereitete uns allen viel Freude. Ausserdem sah er bildhübsch aus mit seinen blonden Locken. Er strahlte auch jeden an, war ein richtiger Charmeur. In den Läden hatte er kein Problem, jeder wollte ihm etwas geben. Auch Toni, das Dienstmädchen von Oma und Opa, liebte ihn.


(2) Daniel mit Pfeife.

Daniel mit Pfeife.

 

Im Dorf tratschten sie zwar schon, dass es an der Zeit für mich wäre, wieder zu arbeiten. Es hat nicht nur Vorteile, in einem Dorf zu wohnen. Viel schlimmer war aber, dass ich ständig von Männern belästigt wurde. Damals war es halt noch Mode, dass man ein Jahr lang Trauerkleider trug, das hiess, ich war von Kopf bis Fuss in Schwarz gekleidet. So wusste jeder, dass ich Witwe war. Egal, ob ich in die Bank, in die Apotheke (die gehörte übrigens der Schwester meines Schwiegervaters) oder in einen Laden musste, entweder wurde ich unterwegs belästigt oder kaum war ich zu Hause, läutete es an der Türe. Dort konnte ich sie wenigstens einfach abwimmeln und ihnen versichern, dass ich ganz gut ohne ihre Fürsorge zu recht kam. Eigentlich war es ein Wunder, wie ich fast ein Jahr nur mit Daniel in diesem Häuschen verbringen konnte, ohne vor Angst zu sterben, denn es war jeweils plötzlich eine Leiter an der Aussenwand aufgestellt oder es klingelte mitten in der Nacht das Telefon und irgend einer meinte, er müsse mich mit Telefonsex unterhalten. Alles, was ich konnte, war einfach wieder aufhängen. Wenn man jetzt so Trump in Amerika hört, meint man, es sei in der Schweiz besser, aber diese Männer dachten damals wie er: sie müssen nur kommen, und wir Frauen kippen gleich um, oder ohne sie könne man nicht leben. Nach diesem schrecklichen Unglück von Urs konnte mich nichts mehr so schnell aus der Fassung bringen. Es kam mir vor, ich sei wie mit einer dicken Mauer umgeben.

Hie und da brauchte ich auch einen Coiffeur. So erfuhr Maria von einem in Solothurn, der gut sein soll. Also meldete ich mich bei ihm an. Da er auch wieder Freude an meinen Haaren bekam, fragte er mich, ob ich nicht bei einer Modeschau mitmachen wolle. Dies gab mir eine gute Ablenkung meiner trüben Gedanken, und so sagte ich zu. Es machte auch Spass, und es gab zur Abwechslung auch wieder etwas zum Lachen.                

Während Maria und ich Daniel einmal bei einem Spaziergang an den Händen haltend zwischen uns in die Höhe schwangen, wie die Kinder es so gerne haben, lachte er plötzlich nicht mehr, sondern begann zu weinen. Natürlich war es Donnerstag und weder Opa zu Hause noch hatte sonst irgend ein anderer Arzt die Praxis offen. Also mussten wir mit ihm bis ins Spital Solothurn. Dort stellten sie fest, dass seine Armkugel ausgerenkt war. Wir hatten Glück, dass sie es problemlos wieder in Ordnung bringen konnten. Seither ist uns die Lust vergangen, ihn zu schwingen, aber auch bei anderen Kindern wurde ich vorsichtiger. Wenn schon sollten wir ihn wenigstens auch an den Oberarmen halten.


(3) Silvia im Ford Taunus mit Annemarie und Paul bei der Hochzeit von René und Rösli.

Silvia im Ford Taunus mit Annemarie und Paul bei der Hochzeit von René und Rösli.

 

Ich hatte damals noch den Ford Taunus. Im darauf folgenden Winter wollten Maria und ich in Hauptwil Weihnachten feiern und anschliessend in Tschiertschen Ski fahren, derweil Daniel bei Oma und Opa blieb. Ausgerechnet vor der Dorfeinfahrt war die Strasse total vereist. Rechts war der Hang, wo wir immer die feinen Walderdbeeren sammelten. Offensichtlich floss von dort Wasser auf die Strasse, das in der Nacht zu Eis erstarrte. Daher kam ich mit meinem Ford Taunus ziemlich ins Schleudern und landete auf der linken Seite in einer Telefonstange, bei der ich gleich einen Meter wegrasierte. Der obere Teil der Stange samt Telefondrähten flog über uns hinweg, während wir mit dem Auto wieder auf der rechten Strassenseite zum Stillstand kamen. Vorne aus der Motorhaupe begann es zu qualmen, denn die Telefonstange hatte die Haube schön in der Mitte so eingedrückt, dass sie wie ein V aussah. Ich stellte sofort den Motor ab, und wir verliessen das Auto so schnell wie möglich, weil wir Angst vor einer Explosion hatten. Da es damals noch kein Handy gab und meine Eltern nicht weit vom Unfallort wohnten, die Werkstatt war sogar noch näher, liessen wir das Auto stehen und holten zu Fuss Hilfe bei meinem Vater. Wir meldeten es dann dort schon auch der Polizei, ich musste aber trotzdem wegen Fahrerflucht in Balsthal vor Gericht, weil erstens nach mir gleich noch ein Motorradfahrer verunglückte und zweitens ich öffentliches Gut (Telefonstange) zerstörte. Wahrscheinlich bekam ich auch eine Busse. Ich weiss es nicht mehr. Für mich war die Hauptsache, dass     uns nichts passierte. Das hinderte Maria und mich aber nicht, trotzdem mit dem Zug nach Tschiertschen, wo ich mit Urs jeweils die Winterferien verbrachte, zu fahren.
                                                                                                                                                                                                                          
Da die Leute im Dorf mit dem Gerede keine Ruhe gaben, dass ich mich wieder betätigen sollte, begannen Maria und ich Pläne zu schmieden. Für mich war klar, dass ich in Balsthal keine passende Arbeit finden würde, und wer sollte dann auf Daniel aufpassen? Irgendwann kamen wir auf die Idee, wir könnten jetzt nachholen, was uns unsere Mutter nicht erlaubt hatte, nämlich ins Welschland zu fahren, um dort Französisch zu lernen. Damit wir sicher auch leben konnten, suchte ich zuerst einmal eine Stelle. Ich fuhr anfangs Jahr nach Genf, während Maria zu Hause Daniel hütete, übernachtete dort in einer Pension und stellte mich bei General Telephone & Electronics vor, die eine Direktionssekretärin suchten. Zuerst musste ich mich bei der Personalchefin melden, die mich dann dem obersten Boss, Hans P. Bryers (einem Holländer), vorstellte. Er nahm sich keine übliche Bedenkzeit, sondern sagte gleich zu (was nicht selbstverständlich war, denn ich arbeitete seit fast zweiundhalb Jahren nicht mehr) und fragte mich, ob ich am 1. Mai 1967 beginnen könne, womit ich einverstanden war. Später schrieb mir die Personalchefin, ob ich schon am 17. April 1967 anfangen würde, was für mich kein Problem war. Maria hatte noch genug Zeit, ihre Stelle in Biel zu kündigen. Wir mussten jedoch eine Wohnung suchen, das war leichter gesagt als getan. Opa war empört. Wie konnte ich so etwas verabreden, bevor wir überhaupt ein Dach über dem Kopf hatten. In Genf selbst fanden wir zwar keine Wohnung, dafür hatten wir in Le Lignon Glück. Nicht weit von der Stadt gab es eine völlig neue Ueberbauung mit zwei Türmen (der grössere gehört mit seinen 91 m immer noch zu den höchsten alleinstehenden Bauten in der Schweiz und beherbergt auf dem Dach einen Swimmingpool mit Rundumsicht) und darum herum ein langgezogenes, mehrstöckiges Gebäude, das längste in ganz Europa. Wir bekamen im 6. Stock des niedrigeren Turmes eine 3-Zimmer-Wohnung mit schönem Blick auf das Rhône-Knie. Später stellte sich heraus, dass in dem langgezogenen Gebäude auch eine Sekretärin von General Telephone wohnte. Sylvia Amann wurde meine beste Freundin in Genf und bis heute treffen wir uns hie und da und halten den Kontakt aufrecht. 

Die beiden Türme und der Langbau in Lignon. Wir wohnten im linken Turm.


Unsere Nachbarn in Balsthal waren mehr als traurig, als wir ihnen erzählten, dass wir nach Genf umsiedelten. Es fiel nicht leicht, uns von dem herzigen Häuschen zu trennen. Trotzdem fanden wir diesen Neuanfang in einer völlig anderen Umgebung optimal, vor allem da ich ja wieder arbeiten wollte, bzw. gemäss Bevölkerung in Balsthal sollte. Für Maria hofften wir, dass sie dann dort in einem Kindergarten eine Stelle finden wird. Zuerst mussten wir aber das Problem des Umzugs lösen. Leider wurde der Neubau in Lignon nicht rechtzeitig fertig, sodass ich vorerst alleine nach Genf fuhr, damit ich mit der Arbeit beginnen konnte. Ich übernachtete wieder in der günstigen Pension und besorgte nach Feierabend einen Kühlschrank sowie einen Herd für die neue Wohnung. In Genf gehörte das nicht zur Einrichtung einer Wohnung. Ausserdem kümmerte ich mich darum, dass die Handwerker zuerst unser neues Heim fertig machten, derweil Maria unsere Sachen in Balsthal packte und zusammen mit der Umzugsfirma und Daniel nach Genf kamen. Schlussendlich klappte alles bestens. Es waren zwar noch nicht alle Stockwerke im Turm fertig. Der Lift funktionierte jedoch, sodass wir uns langsam akklimatisieren konnten. Nur mussten wir uns an den Lärm des nahen Flugplatzes gewöhnen, aber mit der Zeit hörten wir das Starten und Landen auch nachts nicht mehr. Mit der Stelle für Maria funktionierte es leider nicht. In Genf wurde zusätzlich zum Kindergartenseminar noch die Matura verlangt. In der Ostschweiz wollten sie jedoch, dass sie vorher ein Jahr in einer kinderreichen Familie und zusätzlich noch in einem Kinderheim arbeiteten, was nach meiner Meinung sinnvoller war. Eigentlich hätte Daniel dort in einen Kindergarten gehen können, denn im Gegensatz zur Deutschschweiz, war dies schon ab 2 Jahren erlaubt, aber da Maria keine Arbeit hatte, war es mir lieber, sie blieb mit Daniel zu Hause während ich arbeitete. Für den Kindergarten hätte ich auch zahlen müssen, so gab ich lieber Maria stattdessen etwas. Ich war natürlich wahnsinnig froh, dass sie damit einverstanden war, da das Kindergartenseminar ihr bestätigte, dass das Betreuen von Daniel auch als sogenanntes Unterrichtsjahr angerechnet wurde. Also stieg ich erneut ins Berufsleben. Ich hatte kaum wieder die Gelegenheit, so eine interessante Stelle anzutreten. Mein Büro befand sich im 7. Stock des Gebäudes an der Rue du Rhône, d.h. im obersten Stock. Hier war die Direktion, das Personal- und das Anwaltsbüro sowie die oberste Finanzabteilung, mit Bob Richli als Chef, der später seine Pension in Romanshorn verbrachte, wo wir uns nach Jahren dort wieder trafen. So spielen die Zufälle manchmal mit. In den unteren zwei Stockwerken gab es noch andere Abteilungen. Meine Freundin Sylvia war Sekretärin eines Abteilungschefs im 6. Stock. Da die Firma für ganz Europa und den mittleren Osten sowie Asien verantwortlich war, musste mein Chef auch oft reisen. Arbeitslos wurde ich jedoch nicht. Der Anwalt nebenan war froh, wenn ich für ihn einige Briefe schreiben konnte. Ich war zudem für die vielen Gäste verantwortlich, die von überall, auch aus Amerika angereist kamen. Ich besorgte ihnen Unterkünfte, organisierte die Versammlungen, schrieb die Protokolle, alles natürlich nebst der täglichen, normalen Korrespondenz, die es zu bewältigen galt. Freude bereitete mir auch die Vorbereitung der Christmas Party, bei der mir Sylvia gern behilflich war und die wir in einer wunderschönen alten Villa auf der rechten Seite des Genfersees veranstalteten. Wenn man von der Stadt her am Ufer stand, konnte man sie etwas oberhalb am Hang sehen. Man hatte eine traumhafte Aussicht von dort. Wir besorgten für alle Beteiligten ein kleines Geschenk, das dann jeder an seinem Platz vorfand. Solche Parties gab es wohl kaum in irgendeiner Schweizer Firma. Wir organisierten auch Lose und als Preise gab es natürlich Produkte der Firma wie eine Stereoanlage oder ein Fernsehgerät. Es war auch die Gelegenheit, wo der oberste Boss einmal neben dem niedrigsten Angestellten, der die Post verteilte, sitzen und mit ihm sprechen konnte. Alle lernten einander besser kennen. 

Mit der Firma machten wir einmal einen Skiausflug ins Wallis. Privat bevorzugten wir aber Frankreich und fuhren lieber ins Mont Blanc-Gebiet oder nach Mégève.


(5) Daniel mit Bär in Mégève

Daniel mit Bär in Mégève

Ich machte jeweils noch sehr gewagte Sachen. Ich nahm Daniel zum Beispiel samt Ski auf die Schultern und fuhr so mit dem Skilift rauf. Ausgerechnet an einem steilen Hang lehnte er sich zu weit nach hinten, so dass ich fast rückwärts mit ihm runterfiel. Ich bückte mich dann aber rasch nach vorne und sagte, er soll mich am Kopf halten. Irgendwie schafften wir es im letzten Moment, wieder die richtige Stellung einzunehmen, bevor wir oben den Bügel abgeben mussten. In Zukunft nahm ich ihn wieder vorne zwischen die Beine. Auch im Sommer machten wir Ausflüge in diese Regionen. Wir erkundeten ausserdem die Seeseite in Frankreich zum Baden. Es gab etliche schöne Badestrände, nicht nur in Thonon-les-Bains oder Evian-les-Bains. Wir waren aber auch oft in der Genfer Badi, wo Daniel mit allen Leuten Kontakt suchte. Er war kein schüchternes Kind, sondern sehr kontaktfreudig. Als ich einmal alleine mit Daniel dort war, setzte sich ein Herr neben uns und kam mit uns ins Gespräch. Er erzählte, dass er vorher in Amerika war und nun in Genf wohne, sogar in einem Appartement eines Hotels. Das sei praktisch, so müsse er sich nicht ums Frühstück kümmern und sonst esse er sowieso immer auswärts. Er gab keine Ruhe und wollte uns inkl. Maria einmal zu einem Ausflug einladen. Ich weiss nicht mehr, auf welchen Hügel er mit uns an einem schönen Sonntag fuhr, aber es war noch ganz nett. Nur Daniel schaute etwas misstrauisch drein. Immer wieder lud er mich zum Abendessen ein, die aber dann nicht enden wollten und ich meist erst nach Mitternacht nach Hause kam, was ich tagsüber im Büro nicht brauchen konnte, denn ich musste dort meinen Kopf bei der Sache haben.



(6) Daniel mit Apfel.

Daniel mit Apfel.


Er stellte mich auch seiner Familie vor, sein Vater war damals reformierter Pfarrer in Zollikon, sowie seinem Freund, einem Zahnarzt in Thalwil, dessen Frau Airhostess war und seinem Freund, dem ein Warenhaus an der Bahnhofstrasse in Zürich gehörte und der in Witikon etwas weiter Richtung Pfaffhausen eine Villa hatte, wohin wir einmal eingeladen wurden. So lullte er mich langsam ein und fragte mich, wie ich mein Geld angelegt habe, denn er sei diesbezüglich ein Spezialist und hätte auch gute Beziehungen. Er führte mich bei einem speziellen Finanzinstitut ein, wo er behauptete, das Geld sei dort bestimmt besser und ertragreicher angelegt. So gab ich ihm schliesslich die Vollmacht, darüber zu verfügen, bezw. es besser anzulegen. Bald kamen mir aber Zweifel, und mein Bauchgefühl zwang mich, eines mittags spontan in dieses Finanzinstitut zu gehen, worauf die Verantwortlichen mir dort verkündeten, dieser Vogel habe bereits alles abgehoben. Ich kam dann etwas zu spät in die Firma, mein Chef war schon dort. Ich entschuldigte mich bei ihm für die Verspätung, aber ich hätte gerade etwas Schreckliches entdeckt. Er konnte es schon von meinem Gesicht ablesen. Natürlich musste ich ihm alles erzählen. Sofort rief er den Anwalt Mr. Rhodes (ein Engländer) ins Büro, für den ich auch oft Briefe schrieb, und so musste ich es diesem nochmals schildern. Mr. Rhodes setzte sich gleich mit dem Finanzinstitut in Verbindung. Es dauerte nicht allzu lange, und ich bekam mein Geld wieder zurück. Der Schuft musste sein Auto verkaufen, damit er mein Konto wieder ausgleichen konnte. Selbstverständlich habe ich von ihm nie mehr weder etwas gesehen noch gehört. Ich verschob mein Konto sofort wieder vom Finanzinstitut zu einer normalen Bank. Es blieb mir eine Lehre, dass ein gewisses Misstrauen nie schadet. Geschickt hatte er mich auch Leuten wie diesem Warenhausbesitzer vorgestellt, um mein Vertrauen zu gewinnen. 

Maria hatte auch einen Verehrer, von dem sie einmal so einen Rosenstrauss bekam, dass man ihn in den Schirmständer einstellen und Daniel sich dahinter verstecken konnte.



(7) Daniel mit Rosen und Adventskranz.

Daniel mit Rosen und Adventskranz.

  

Als unser Bruder Karl seine Lehre als Goldschmied bei Bolli in St. Gallen fertig hatte, wollte er auch noch etwas anderes erleben sowie seinen Horizont erweitern und fragte uns, ob wir in unserer Wohnung noch Platz für ihn hätten. Als wir zusagten, wechselte er seinen Job zu Bucherer in Genf. Wir warteten immer darauf, dass er eines Tages mit einem hübschen Mädchen nach Hause kam, aber Genf ist offensichtlich kein geeigneter Ort, um jemanden kennen zu lernen. Dafür machte er Bekanntschaft mit einem Seglerfan, mit dem er gerne die Zeit auf dem See verbrachte. Obwohl ja die Wohnung nicht so gross war für drei Erwachsene und ein Kind, hatten wir nie Probleme. Das Zusammenleben funktionierte bestens.

An einer Geschäftsparty lernte ich später den Engländer David kennen, der ebenfalls im 6. Stock arbeitete wie Sylvia. Er konnte sehr gut tanzen, war voll von Sommersprossen und unterhaltsam. Daniel kam prima mit ihm aus. Er besuchte uns auch hie und da, als wir wieder in Zürich wohnten. Wir machten mit ihm von dort aus auch Ausflüge. Als er mir aber einmal beichtete, dass er mit der Telefonistin von GT&E nach Südfrankreich fuhr, weil sie ihn in ihre Ferienwohnung einlud, wollte ich nichts mehr von ihm wissen. Diese Telefonistin war die schlimmste Tratschtante, die es in der GT&E gab. Es hinderte mich aber nicht, mit seiner Schwester den Kontakt aufrecht zu halten. Maria war sogar einmal für zwei oder drei Monate bei seinen Eltern in England zu Gast, damit sie Englisch lernen konnte. Daniel war zwar traurig und in der Hoffnung auf Ersatz, fragte er eifrig alle Männer, ob sie nicht sein Vater werden wollten. 

Für Maria wurde es Zeit, ihren Beruf als Kindergärtnerin endlich richtig auszuüben, in einem Kindergarten zu unterrichten und nicht nur ein einziges Kind zu betreuen. Ich bin ihr unendlich dankbar, dass sie bereit war die Zeit mit mir und Daniel in Genf zu verbringen, denn ohne sie hätte ich nicht bei GT&E (bei der ich sehr viel dazu gelernt hatte) arbeiten können. Alleine hatte ich keine Lust in Genf zu bleiben. Eigentlich wollten wir ja Französisch lernen, was unmöglich war, denn die Genfer sprachen nur Französisch mit einem, wenn man es auch wirklich beherrschte, sonst stellten sie auf Englisch um. Also konnten wir diesbezüglich genauso gut wieder in die Deutschschweiz. Maria suchte sich in der Ostschweiz eine Stelle und ich in Zürich eine Wohnung. Damit das Geld sicherer und besser angelegt war, kaufte ich schlussendlich eine 3-Zimmer-Wohnung in Witikon in Zürich, die mir Richard Dorigo empfahl. Das war schon einmal der erste Schritt in die richtige Richtung, den ich machte. Selbstverständlich musste ich mich wieder um einen Arbeitsplatz und einen Ort für Daniel kümmern. Gottlob war eine Frau Pidun, die nur eine kleine Tochter hatte, bereit, Daniel tagsüber zu hüten. Leider musste er dort ausser normales Fleisch auch Leberli essen, die er gar nicht gern hatte, was ich ihn verstehen konnte. Da sie jedoch bei ihrer Tochter keine Ausnahme machte, konnte ich nicht viel dagegen unternehmen. Jeden Montagmorgen gab es ein kleines Drama, der Rest der Woche war dann kein Problem mehr. Für mich schien es immer noch besser als in einem Kinderheim, weil wir uns so doch täglich sehen und er bei mir schlafen konnte. Eine Krippestelle bekam ich nicht in Zürich, weil ich eine Eigentumswohnung besass. In einer Schweizer Firma fand ich keine Stelle, dafür ab 18.3.1969 beim Präsidenten einer Finanzgesellschaft an der Stockerstrasse als seine Sekretärin und Assistentin. Er war Araber, aber mit einer Schweizerin in der Innerschweiz verheiratet, zudem auch Präsident der Firma in Luzern, die Tragflügelboote herstellte. Daher gab es oft Sitzungen auf dem Bürgenstock, an denen ich auch teilnahm, da ich anschliessend die Protokolle schreiben musste. Der Job war nicht nur interessant, sondern für mich auch praktisch gelegen, weil ich mein Auto in der Garage im Bürogebäude parkieren konnte und Daniel ganz in der Nähe seinen Hüteplatz bei Frau Pidun hatte. Die Sekretärin des Vizepräsidenten war Beatrice. Sie war gerade mit der Ausbildung fertig und glücklich, dass wir nebeneinander arbeiteten und ich ihr hie und da behilflich sein konnte. Plötzlich hiess es, der Vizepräsident verlasse die Firma, und unser Buchhalter informierte uns, dass mein Chef nicht nur saubere Geschäfte abwickelte und wir eventuell auch haftbar gemacht werden könnten. So kündigten wir alle drei. Kürzlich las Beatrice im Internet, dass mein ehemaliger Chef in Indien ermordet wurde. Anscheinend bekam er schlussendlich doch Probleme wegen seiner Geschäfte. 

Zufälligerweise hörte ich aus Genf vom damaligen Personalchef, dass General Telephone and Electronics auch ein Büro in Zürich eröffnen möchte. Ob ich bereit wäre, das einzurichten und dort tätig zu sein. Das kam für mich wie gewünscht, und so sagte ich ihm gleich zu und berichtete ihm, ich würde auch noch eine Sekretärin mitbringen. Zuerst suchte ich passende Büros, die ich in Oerlikon fand. Es waren nur zwei kleine und einen grösseren Raum, aber vorläufig genügte es, da die Chefs sowieso oft auf Reisen waren.  Später suchten wir grössere Räume in den Neubauten in Glattbrugg, die Beatrice und ich dann mit neuen Möbeln ausstatteten.  Es wäre nun zu kompliziert gewesen, Daniel weiterhin zu Frau Pidun zu bringen. Wie durch ein Wunder hatte ich das Glück, dass in der Krippe in Glattbrugg eine Frau arbeitete, die selbst ein Kind hatte, Verständnis für mich aufbrachte und bereit war, Daniel in ihrer Krippe aufzunehmen. So konnten wir vormittags später von zu Hause wegfahren, weil ich nicht mehr im grössten Verkehr quer durch die Stadt über's Bellevue fahren musste, sondern die Krippe wie das Büro via Dübendorf erreichte. Auch abends waren wir früher zu Hause, und Daniel wurde von Frau Pidun und ihren Leberli erlöst. Kindersitze gab es damals nicht. Daniel sass einfach auf dem hinteren Sitz. Da konnte er auch liegen, wenn er müde war oder spielen. Einmal lenkte er mich ab, so dass ich beinahe mit einem entgegenkommenden Auto zusammen gestossen wäre. Es war mir gerade noch möglich, auf die Wiese daneben auszuweichen. Beide hatten wir einen Höllenschreck, der entgegenkommende Fahrer wie ich. Dieser war dann so nett und half mir, mit dem Auto wieder auf die Strasse zu kommen.

Mir schien es angebracht, wieder einmal einen Tapetenwechsel vorzunehmen. Ich entdeckte, dass man günstig mit der African Safari Airways nach Ostafrika fliegen konnte und fragte Maria, ob sie Lust hätte, mitzukommen. Gottlob war sie nicht dagegen. So plante ich die Reise für die Herbstferien. Meine Eltern waren wie immer bereit, Daniel zu
hüten. Meine Mutter hatte nur eine schreckliche Angst. Sie hoffte, dass wir heil und ganz wieder nach Hause kamen. Ausgerechnet in der Zeit waren Spannungen in Libyen. Trotzdem hatten wir den Mut und bestiegen am 3.10.1970 das Flugzeug. In Libyen gab es eine Zwischenlandung, wo die bewaffneten Soldaten Spalier standen, während wir aussteigen und zwischen ihnen ins Flughafengebäude gehen mussten, um dort zu warten, bis das Flugzeug wieder startbereit war. Schlussendlich landeten wir aber bestens nach einem sehr langen Flug, in dem wir auch den Äquator überflogen und dafür eine Urkunde erhielten, in Nairobi.


(8) Urkunde bei der ersten Äquatorüberquerung.

Urkunde bei der ersten Äquatorüberquerung.

 

Von dort fuhren wir mit einem Bus nach Mombasa. Etwas nördlich dieser Stadt war unser Hotel direkt am Meer. Das Watamu Beach Club Centre war für uns der absolute Traum. Dort lernten wir das erste Mal die Frühstücks- und Abendbuffets kennen, mittags gab es ein Buffet am Swimmingpool. Sogar zum Zvieri wurde einem Kaffee und Kuchen direkt zum Liegestuhl gebracht. Es war wie im Paradies. In so einem Schlaraffenland waren wir bis dahin noch nie. Bei Ebbe konnte man weit hinaus gehen und in den vielen Tümpeln Seepferdchen und andere spezielle Meeresbewohner bewundern. Selbstverständlich wollten wir auch eine Safari erleben. Dafür entschlossen wir uns kurzfristig, da gleich am nächsten Tag ein Safaribus von unserem Hotel aus startete. Wir mussten sehr früh aufstehen, verschliefen uns noch dazu und konnten dadurch nur das Nötigste einpacken. Wir fuhren mit dem Bus nach Nairobi. Dort wurden wir je drei bis vier Personen in einen Jeep verfrachtet und los ging es Richtung Kilimandscharo. Schon auf der normalen Strasse begegneten wir Giraffen. Sobald wir auf Naturstrassen in die weite, wilde Prärielandschaft kamen, kreuzten wir dauernd ganze Herden von Zebras, Gnus und Elefanten. Einmal kamen wir einer Elefantenherde etwas zu nahe. Der Chauffeur musste schnell umkehren und wegfahren. Die wären imstande gewesen, uns samt Jeep zu zertrampeln. Wir konnten uns auch in die Nähe von Löwen anschleichen, sogar Nilpferde beobachten. Es war wirklich ein tolles Erlebnis. Übernachtet hatten wir in einem Zelt, an dem man unbedingt den Reisverschluss schliessen musste, sonst räumten einem die Affen alles aus. Die hüpften auch auf den Zelten herum. Hinter jedem Zelt gab es einen kleinen Hinterhof, wo man sich duschen konnte, während einem die Affen zusahen. Der Zeltnachbar vergass, sein Zelt zu schliessen, und ein Affe packte seine Kamera, zerrte den Film heraus und spulte ihn komplett ab. Ja, wir waren wirklich in der Wildnis. Dazu hatten wir aber von dort einen wunderschönen Blick auf den Kilimandscharo. Morgens um 05.00 Uhr wurden wir mit einem Tee geweckt und dann ging es erneut mit dem Jeep auf Pirsch. Nun konnten wir auch die Löwen beobachten, wie sie auf Jagd gingen.


(9) Mit Maria auf Safari, Affe auf dem Zelt und rechts Löwen.

Mit Maria auf Safari, Affe auf dem Zelt und rechts Löwen.

 

Auf dem Rückweg ins Hotel machten wir wieder Halt in Nairobi und übernachteten dort in einem Hotel. Damit hatten wir überhaupt nicht gerechnet. Da wir zu Beginn nicht Zeit hatten, vernünftig zu packen, mussten wir uns zuerst in der Stadt umsehen, wo wir etwas zum Anziehen kaufen konnten. Wir fanden aber auf dem Markt nur ein langes Baumwollgewand wie es die afrikanischen Frauen trugen. Wir kauften uns so eines und Gummischlappen dazu, damit wir uns wenigstens im Hotel zeigen konnten, denn die Jeans und T-Shirts, die wir während der Safari dauernd getragen hatten, waren total verschwitzt und verstaubt. Von Nairobi flogen wir nach Mombasa und schauten uns die Stadt noch etwas an, samt Hafen mit all den verschiedenen Schiffen, dann kehrten wir zufrieden in unsere Traumferienanlage zurück. Die Organisatoren des Hotels wollten uns auch noch das Tauchen beibringen. Wir übten vorerst im Swimming-Pool und dann etwas am Strand und später sollten wir mit einem Schiff hinausfahren und dort tauchen. Das schien mir doch etwas zu riskant. Ich stellte mir vor, wie ich unter Wasser plötzlich die Orientierung verliere und nicht mehr weiss, wo sich das Schiff befindet. So liess ich es lieber bleiben. Auch Maria war nicht so heiß darauf. Wir konnten ja die Unterwasserwelt auch im kleinen Format jedes Mal bei Ebbe bewundern. Unser Rückflug verlief problemlos. Daniel freute sich auch, dass wir heil und ganz nach Hause kamen. Er genoss die Zeit sehr mit meinen jüngeren Brüdern und meinen Eltern in Hauptwil, aber selbstverständlich hatte er nichts dagegen, wieder mit mir nach Zürich zu fahren.

Die Ehe mit Peter
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6.  Die Ehe mit Peter

Irgendwie schien ich es nie sehr lange an einem Ort auszuhalten, obwohl ich mit Beatrice eine sehr gute Zeit hatte und wir bestens zusammen auskamen und auch heute noch miteinander verkehren, jedoch Daniel kam bald in die Schule, und das gab Probleme. In die Schule musste er ja in Witikon, wo sollte er sich dann nebst der Schule aufhalten, wenn ich arbeitete? Mir schwebte eine Stelle vor, an der ich nur arbeitete, während Daniel in der Schule war. Wie durch ein Wunder entdeckte ich ein Inserat, indem das Hirnforschungsinstitut in Zürich genau so jemanden suchte. Professor Mario Wiesendanger benötigte eine Halbtagssekretärin. Das war der zweite Schritt in die richtige Richtung, dass ich mich bei ihm meldete. Zuerst wollte mich Professor Konrad Akert, der Chef des Instituts, sehen. Ich glaube, schon nachdem er meine Geschichte hörte, war es für ihn klar, dass ich die Stelle bekommen sollte. Auch Professor Wiesendanger war einverstanden, mich einzustellen, selbst als ich ihnen sagte, was mir vorschwebte, nämlich dass ich nur in der Zeit arbeiten wollte, während Daniel in der Schule war. Also begann ich am 1. April 1971 die Stelle als Halbtagssekretärin in der HiFo. Gottlob gab es auch noch Tante Marthe, die inzwischen nicht mehr arbeitete und gerne bereit war, Daniel an den Mittwochnachmittagen zu hüten. Sie genoss es direkt und erzählte immer, wie aufgeweckt er sei und wie gut sie sich unterhalten hätten. Da sie nie Kinder hatte, schätzte sie es besonders. Manchmal kam es trotzdem vor, dass ich ihn an einem freien Nachmittag, an dem er nicht bei einem Freund spielen konnte oder Tante Marthe etwas anderes vor hatte, mitnehmen musste. Wenn das Wetter gut war, spielte er lieber draussen oder schaute von dort durch die Fenster, was z.B. Peter Marko im Labor mit den Tauben machte. Ich habe ihn auch schon bei Professor Akert in seinem Büro gefunden, mit dem er sich angeregt unterhielt. An den gemeinsamen Festen und Ausflügen lernte er auch alle Mitarbeiter kennen. Von Professor Akert erhielt er sogar einen persönlichen Brief, indem er ihm schriftlich das Du anbot. Das Wichtigste an dieser Stelle war aber, dass ich meine zweite grosse Liebe kennen lernte. Vorerst aber arbeitete ich fleissig im Untergeschoss für Professor Mario Wiesendanger. Entweder tippte ich wissenschaftliche Berichte (Mario untersuchte Affenhirne) oder ich organisierte Tagungen und Kurse. Später betreute ich auch einen Postgraduate Kurs, in dem auch Peter Zangger mitmachte. Als einziger Kursteilnehmer arbeitete er im Hirnforschungsinstitut. Die anderen waren in anderen Forschungsinstituten verstreut. Einmal plante ich für sie auch eine Reise nach Tübingen, wo sie an der dortigen Universität an einem Symposium teilnahmen. Sie wollten unbedingt, dass ich sie dorthin begleitete. So fuhren wir alle zusammen in diese wunderschöne Stadt. Während sie in der Universität beschäftigt waren, bestaunte ich die Altstadt. Um all diese studierten Leute herum, kam bei mir wieder die Lust, mich weiter zu bilden. Ich begann mit einem Fernstudium bei der AKAD in Zürich und bereitete mich abends für die Matura vor. Peter Zangger half mir oft bei den für mich schwierigen geometrischen Aufgaben, da ich ja in der Sekundarschule nie Geometrie hatte. Zwischendurch machten wir in der Hirnforschung nebst der Arbeit auch viele tolle Ausflüge. Es gab auch lustige Feste. Auf diese Weise lernte ich mit der Zeit auch Peter Marko kennen und lieben. Praktisch war, dass wir beide in Witikon wohnten. Mich beeindruckte sehr, dass er mit mir, als wir zum ersten Mal ausgingen, auf den Hügel stieg, wo Urs und ich uns in der kleinen Kapelle trauen liessen, um mir den schönen Sonnenuntergang zu zeigen. Eine richtig romantische Seele. Für mich jedoch war es, wie wenn Urs mir einen Fingerzeig gegeben hätte, ich sei auf dem richtigen Weg. Das beruhigte mich, vor allem weil Peter nicht lange warten wollte, um vor den Traualtar zu treten. Im September 1972 lernten wir uns näher kennen und im Februar 1973 wollte er schon heiraten. Das war mir schon etwas zu schnell.


(1) Institutsausflug auf dem Vierwaldstättersee; zweite von links Peter, vierte von links halbbedeckt Silvia

Von links 2. Person Peter, 4. Silvia.

 

Ende August 1972 kündigte ich die Stelle in der Hirnforschung, da ich bei der AKAD auf die Tagesschule umstellen musste. Irgendwie klappte es mit dem Schulunterricht von Daniel und meinem zusammen. Jetzt half mir ein anderer Peter bei den Geometrieaufgaben. Ich machte meinen Peter mit Peter Zangger und seiner Familie bekannt. Später wurde ich sogar Gotte von ihrem dritten Kind Annika.

Peter war nun mehr in unserer Wohnung anzutreffen als in seiner, was sogar Prof. Akert realisierte, weil er ihn einmal bei mir suchte, da er das Telefon in seiner Wohnung nicht beantwortete. Dafür konnte sich so auch Daniel mit Peter anfreunden und ihn besser kennen lernen. Aus diesem Grund wollte Peter auch mit uns eine Woche in Südfrankfreich verbringen. Wir hatten im Sinn, mit meinem Sunbeam zu fahren, da ich dachte, wir hätten mehr Platz als in Peters VW-Käfer, bei dem man dazu vorne die Motorhaube mit einer Schnur befestigen musste, damit sie bei der Fahrt nicht hochklappte. Leider streikte mein Auto ausgerechnet, als wir wegfahren wollten, und wir mussten doch den VW nehmen. Wohl fühlte ich mich darin nicht, weil man beim Bremsen das Gefühl hatte, man lande mit dem Fuss auf dem Asphalt, und die Unsicherheit mit der Motorhaube machte es auch nicht besser. Wir schafften aber den ganzen Weg problemlos, übernachteten auf der Hinreise einmal in einem Hotel, dann steuerten wir weiter Richtung Ardèche. Auf einem Zeltplatz neben dem wilden, schönen Fluss richteten wir uns ein. Wir verbrachten zwei Traumtage hier, dachten jedoch, wir könnten auch noch bis zum Meer fahren, damit Daniel es auch kennen lernte. So fuhren wir weiter bis in die Camargue, was landschaftlich ein krasser Unterschied war zu der wunderschönen hügeligen Flusslandschaft, denn in der Camargue war es topfeben. Wir besuchten noch die wunderschöne Stadt Arles, machten eine kleine Wanderung auf einen Hügel mit schönem Blick, wo Daniel leider ausrutschte und sich dabei etwas die Haut aufschürfte. Dies war dann der Grund, der ihn später davon abhielt, im Meer zu baden und darin zu planschen, denn selbstverständlich war seine Verletzung überempfindlich auf das Salzwasser und trieb ihn wie der Blitz wieder aus dem Wasser. Die Zeit verflog nur zu schnell, und so mussten wir bald wieder die Rückreise antreten. Wir genossen diese Woche aber sehr zusammen, lernten uns gegenseitig auch besser kennen.

Maria und ich hatten schon längst eine Woche in Tunesien geplant. So wie ich Peter, lernte Maria kurz vorher Frido kennen. Da wir aber den Flug schon gebucht hatten, blieben wir dabei und verbrachten eine schöne Woche in Tunesien, wo uns sogar ein Wüstenfüchslein immer vor unserem Bungalow besuchen kam. Daniel verbrachte diese Tage wieder bei meinen Eltern in Hauptwil. Unsere Ehemänner in spe erwarteten uns liebenswürdigerweise beide am Flughafen in Zürich und lernten sich dort auch gleich kennen.


(2) Wüstenfüchslein zu Besuch.

Wüstenfüchslein zu Besuch.

 

An Weihnachten 1972 fuhren wir nach Köln, damit Peter mich seinen Eltern vorstellen konnte, die damals dort wohnten. Als Vorspeise gab es Fisch und nachher natürlich Ente, wie war es anders möglich und als Süsspeise bestimmt Starkas berühmten Mohnkuchen. Sie war eine fantastische Köchin, obwohl sie nur eine kleine Küche zur Verfügung hatte. Sie freuten sich, dass Peter endlich heiraten wollte. So feierten wir gemütliche Weihnachten zusammen, und ich hatte dazu auch noch Gelegenheit, den schönen Kölner Dom zu bewundern.

Zuerst heiratete aber noch meine Schwester Maria am 5. Januar 1973 (an meinem Geburtstag) Frido. Peter und ich waren Trauzeugen. Frido war Lehrer in Hauptwil. Maria lernte ihn kennen, weil sie damals in einem Kindergarten in Bischofszell arbeitete und bei den Eltern wohnte. Es wurde ein gelungenes Fest, und meine Mutter war mehr als zufrieden, denn Frido war katholisch. Also war alles im Butter. Peter wollte auch nicht mehr lange warten und so gaben wir bekannt, dass unsere Hochzeit am 10. Februar 1973 stattfinden wird. Diesmal wollte ich mir aber mein Hochzeitskleid nicht mehr selbst nähen. Meine Mutter hatte eine gute Idee. Im kleinen Schlössli in Hauptwil, oberhalb der Kapelle, wohnte eine Schneiderin, die auch spezielle Kleider anfertigte. Sie meinte, ich solle mir doch eines von ihr machen lassen. Das war dann gar nicht nötig, denn sie hatte ein wunderschönes Kleid, das mir perfekt passte. Eigentlich nähte sie es für die Sängerin Anneliese Rothenberger (damals eine bekannte Sängerin), denn sie war ein Fan von ihr. Bis dahin getraute sie sich aber nicht, es ihr anzubieten. Als sie sah, dass es mir so gut stand, war sie bereit, es mir zu verkaufen, und ich war natürlich mehr als froh.

Es war nicht so einfach, einen Pfarrer zu finden, der sich bereit erklärte, uns zu trauen wegen der verschiedenen Konfessionen, dazu wollten wir auch wieder eine schöne Kapelle und ein angenehmes Gasthaus für das Hochzeitsfest. Schlussendlich entschlossen wir uns für das Schloss Sonnenberg bei Winterthur. Ein katholischer Pater und ein protestantischer Pfarrer trauten uns, die beide an der Uni Zürich tätig waren. Für Daniel war es wichtig, dass er mit uns heiratete, d.h. er stand bei der Trauung zwischen uns. Lustigerweise lernten Maria und ich den katholischen Pater schon in Genf kennen, da er uns einmal in Lignon besuchte. So war meine Mutter diesmal zufrieden.


(3) Hochzeitsfotos mit Dani und Trauzeugen.

Hochzeitsfotos mit Dani und Trauzeugen.

 

Unsere Hochzeitsferien verbrachten wir auf Gran Canaria in einem schönen Hotel direkt am Meer mit vielen Sanddünen und traumhaftem Wetter.


(4) Beginn der Flitterwoche.

Beginn der Flitterwoche.

 

Peter verbrachte jedoch noch nie Ferien an einem Ozean. Einmal war das Meer dermassen stürmisch, dass die starken Wellen sogar meinen Bikini auszogen. Das wurde mir zu gefährlich, und so schwamm ich wieder zurück an den Strand. Peter reizte es aber erst recht, trotzdem schwimmen zu gehen. Leider geriet er aber in einen Strudel, der ihn immer wieder unters Wasser zog. Zuerst konnte ich ihn nicht mehr sehen, dann entdeckte ich, dass er immer weiter ins offene Meer hinaus trieb. Natürlich bekam ich es mit der Angst zu tun, denn schliesslich hatte ich bereits einen Mann verloren, weil er ertrunken war. Das wollte ich nicht ein zweites Mal erleben, kaum dass ich wieder verheiratet war. Ich rannte zu der Stelle, wo es mehr Badende am Strand gab und fragte, ob es hier keine Rettungsboote gebe. Sie meinten, das müsste ich im Hotel melden. Also verlor ich sicher eine halbe Stunde, bis ich dort ankam. Hier gaben sie mir bekannt, dass ich höchstens einen Helikopter bestellen könne, der jedoch im Moment im Einsatz sei. Bis dieser schlussendlich erschien, konnte Peter ja längst ertrunken sein. Ich rannte wieder zurück an den Strand. Gottlob dauerte es dann nicht mehr all zu lange, und ich entdeckte, dass er wieder Richtung Ufer schwamm. Er musste sich so weit nach draussen treiben lassen, damit er erstens aus dem Strudel raus- und von den grossen Wellen wegkam, zweitens ruhte er sich dabei auch aus, bis er wieder die Kraft hatte zurück zu schwimmen. War ich glücklich, dass es diesmal so gut endete. Selbstverständlich auch deshalb, weil Peter ein so guter Schwimmer war und immer noch ist.


(5) Die zwei Flitterwöchner beim Diner.

 

Die zwei Flitterwöchner beim Diner.

 

In der Hirnforschung waren alle überzeugt, vor allem Professor Akert, dass ein Baby unterwegs sei, weil wir so schnell heirateten und dazu im Februar. Darauf mussten sie aber noch etwas warten, denn Peter wollte zuerst sicher sein, dass seine Spermien perfekt waren und trank während der ganzen Zeit nach unserer Hochzeit bis ich schwanger wurde, keinen Tropfen Alkohol, sondern nur Milch. Alle seine slowakischen Freunde dachten sich: „Mein Gott, was hat er sich bloss für eine Frau geangelt.“ Als ich dann zum Glück bald schwanger wurde, war es aus mit meinem Studium. Peter konnte zwar wieder Alkohol trinken, aber mir war dermassen übel, dass ich liegen musste. Ich konnte mich anfangs kaum bewegen, musste fast dauernd erbrechen. Der Traum mit AKAD konnte ich an den Nagel hängen, aber wie es sich herausstellte, warteten in Zukunft andere Aufgaben auf mich, denn Peter verkündete mir, dass er keine Lust mehr habe, bei der Forschung zu bleiben. Er würde gerne eine Praxis eröffnen, dafür müsse er aber vorerst wieder Assistenzarzt werden. Also verliess er die Hirnforschung und begann die erste Stelle als Assistent im Spital Lachen.

Vor der Hochzeit zügelten Daniel und ich aber noch von der Oetlisbergstrasse an die Wiesliacherstrasse, wo Peter eine Eigentumswohnung hatte. Unsere Wohnung an der Oetlisbergstrasse konnten wir an ein junges Ehepaar aus Deutschland vermieten, er arbeitete in der Orthopädie im Balgrist, und sie war Bauingenieurin. Unsere Nachbarn, ein irisches Ehepaar mit zwei Kindern, Adrianna und Jimmy waren dagegen traurig. Daniel spielte oft mit den beiden Kindern, vor allem mit der Tochter, die inzwischen im Kanton Schwyz wohnt und selbst sechs Kinder hat. Die Familie kehrte später wieder nach Irland zurück. Der Sohn lebt nun aber in Amerika und arbeitet in der Filmbranche in Hollywood.

Daniel fand es toll, dass wir nicht mehr alleine wohnten und er endlich wieder einen Vater hatte. Wenn wir Gäste bekamen, kochten Peter und Daniel hie und da zusammen und schrieben sogar Menükarten. Wenn Peter an der Reihe war, in Lachen am Wochenende Dienst zu machen, besuchten wir ihn im Spital.

Während Daniels Sommerferien fuhren wir nach Italien in einen Club Méditerranée. Ich war noch nie in so einem Club und konnte mir nichts darunter vorstellen. Ich war ziemlich enttäuscht, als wir dort ankamen und zuerst einmal unsere Unterkunft suchen mussten. Ich rechnete mit einem Hotel und einem angenehmen Zimmer, aber stattdessen erwartete uns eine Hütte mit Strohdach. Drin gab es nur drei simple Bettgestelle, die Kleider, wenn überhaupt, musste man am Dachgebälk aufhängen. Es gab Spinnen und Mäuse, die sogar mein Adressbuch anknabberten. Das WC und die Duschanlagen waren ein Stück von unserer Hütte entfernt. Man konnte nur froh sein, wenn man nachts nicht dorthin wandern musste. Ich war alles andere als erfreut, denn ich war ja mit Corinne im 4. Monat schwanger. Auch liess ich Daniel abends nicht gern alleine in dieser Hütte, wenn Peter noch etwas in den Ausgang gehen wollte. Sonst war die Anlage wunderschön, Peter und Daniel konnten sich in Judo üben, es gab alle möglichen Aktivitäten für Kinder, der Swimmingpool war toll, der Strand und das Meer wunderbar, das Essen wie immer in diesen Clubs fantastisch und abwechslungsreich, wie im Schlaraffenland, es gab klassische Konzerte im Park, nur eben die Unterkünfte waren sehr primitiv, aber ich überlebte auch die Nächte in diesem Urlaub, die Tage waren wunderschön.


(6) Unsere Hütte in Donoratico, Peter mit Dani und beim Sprung ins Wasser.

Unsere Hütte in Donoratico, Peter mit Dani und beim Sprung ins Wasser.

 
Kaum waren wir zu Hause, packten wir wieder unsere sieben Sachen und fuhren nach Beckenried, wo Peter die Praxis eines Arztes während eines Monats vertrat. Daniel bekam von den Behörden die Bewilligung, in dieser Zeit die Schule dort zu besuchen. Diese Vertretung war eine rechte Herausforderung. Die Patienten standen schon früh morgens Schlange vor der Tür. Es gab auch viele Besuche
zu erledigen, noch dazu an Orten, wo er sie kaum finden konnte. Das Arztehepaar wohnte an einem wunderschönen Platz direkt am See. Für mich waren es nochmals zusätzliche Ferien. Nur Peter wusste nicht, wo sein Kopf stand vor lauter Arbeit und Problemen.


(7) Beckenried auf einer damaligen Ansichtskarte.

Beckenried auf einer damaligen Ansichtskarte.

 
Anschliessend war Peter Assistent in der Pflegerinnenschule, wo er auch Urs Kissling kennen lernte. Urs war damals Oberarzt dort. Seine Frau Madeleine war ebenfalls schwanger. Wir trafen uns auch privat und lernten uns so näher kennen, aber nicht im Traum hätten wir daran gedacht, dass wir einmal die Praxis ganz in der Nähe haben werden. Eigentlich begannen meine Wehen schon an meinem Geburtstag, den 5. Januar, aber unsere Tochter Corinne hatte andere Pläne. Sie wollte einen eigenen Geburtstag. Auch dem Arzt passte der 5. Januar nicht, so musste ich mich weiterhin gedulden. Am 6. war es jedoch soweit, und unsere Tochter wurde ein Dreikönigskind. Wir schätzten uns überglücklich, dass sie gesund und alles in Ordnung war. Daniel hatte endlich ein Schwesterchen, war nicht mehr einziges Kind, das freute ihn auch sehr. Da es mit dem Stillen wieder nicht sehr gut klappte, versuchte er, seinem Schwesterchen die Flasche zu geben. Peters Eltern kamen von Köln, denn sie wollten ihr Grosskind auch bewundern. Corinne gedieh soweit prächtig, ausser dass sie einmal Durchfall und mehr als 40° Fieber hatte und wir den Grund zuerst nicht erkennen konnten. Der Kinderarzt verdächtigte vor allem uns und wollte wissen, ob wir auch ihren Schoppen hygienisch genug zubereiteten. Dabei stellte es sich heraus, dass die Firma Wander schuld war, denn ihr Pulver für Corinnes Schoppen enthielt Salmonellen. Also musste die Arme wieder davon befreit werden. Nachher entwickelte sie sich wieder prächtig. Daniel war stolz, dass er seiner kleinen Schwester auch hie und da die Flasche geben und sie ab und zu im Kinderwagen spazieren fahren durfte.


(8) Corinne frisch nach der Geburt und von Dani gefüttert.

Corinne frisch nach der Geburt und von Dani gefüttert.


Die Wohnung an der Wiesliacherstrasse war praktischer für Kinder als an der Oetlisbergstrasse. Es gab einen Spielplatz und viel mehr Raum zwischen den Häusern, bevor man auf die Strasse kam. Der Wald war auch ganz nah. Daniel lernte neue Kameraden kennen. Unter uns wohnte ein Ehepaar, das auch eine kleine Tochter hatte, mit der Corinne später oft spielte. Wir hüteten gegenseitig die Kinder, sofern es nötig war. Zur Abwechslung war ich wieder einmal einfach Hausfrau und Mutter, was Peters Cousine Darina schon etwas erstaunte und mich fragte, wieso ich nicht arbeiten wolle. Gottlob kam ich nicht auf die Idee. Später gab es noch genug zu tun in der Praxis. Vorläufig genoss ich es, einfach für die Familie da zu sein.

Peter bildetete sich auch im Spital Triemli in der Anaesthesie weiter. Wenn er an den Wochenenden Dienst hatte und wir ihn dort besuchten, wollte Corinne nichts von ihm wissen. Der weisse Kittel gefiel ihr nicht sehr. Wer weiss, ob man jemandem in so einem weissen Kittel trauen konnte.


(9) Corinne an ihrem 1. Geburtstag sowie hoch zu Ross und mit Daniel an einem Weihnachtsfest.

Corinne an ihrem 1. Geburtstag sowie hoch zu Ross und mit Daniel an einem Weihnachtsfest.

 
Zwischendurch feierten wir den 80. Geburtstag von Peters Vater (Starky) im Restaurant Ermitage in Küsnacht. Zuerst luden wir aber die ganze Gesellschaft in unsere Wohnung in Witikon zu einem Apero ein.


(10) Von links: Katka, Freund von Darinka, Darinka, (Peters Cousinen), Miso, Sohn von Starkys Cousine Blanka gleich nebenan, Starky; rechtes Bild: Silvia, Starky, Starka, Peter.

Von links: Katka, Freund von Darinka, Darinka, (Peters Cousinen), Miso, Sohn von Starkys Cousine Blanka gleich nebenan, Starky; rechtes Bild: Silvia, Starky, Starka, Peter.

  

(11) Von links: Josias, Freund von Katka und künftiger Vater ihrer Töchter Vanessa und Sarah, Maca und Miki (Bruder von Starka mit seiner Frau); rechtes Bild: Cousin Jano, Starka und Ernest (Ehemann von Blanka).

Von links: Josias, Freund von Katka und künftiger Vater ihrer Töchter Vanessa und Sarah, Maca und Miki (Bruder von Starka mit seiner Frau); rechtes Bild: Cousin Jano, Starka und Ernest (Ehemann von Blanka).

  

(12) Von links: Igor (Sohn von Jano) und Daniel, rechtes Bild: Ernest, Jano, Miso und Igor.

Von links: Igor (Sohn von Jano) und Daniel, rechtes Bild: Ernest, Jano, Miso und Igor.

 

 

 

 




Die Jahre in der Praxis - Zweisimmen
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7.  Die Jahre in der Praxis - Zweisimmen

Während Peter noch im Spital Triemli arbeitete, begannen wir schon, uns um den künftigen Praxisort zu kümmern. Rorschacherberg hätte uns gefallen, aber die Aerzte dort wehrten sich gegen einen neuen Arzt. Dann hätte es noch im Kanton Aargau in Schönenwerd eine Möglichkeit gegeben. Dort war aber nicht nur das Atomkraftwerk sehr nahe, sondern noch ein grosses Gefängnis, und Peter hatte keine Lust, die Insassen womöglich zu behandeln. Schlussendlich bekamen wir einen Hinweis, dass in Zweisimmen im Berner Oberland dringend ein Arzt gesucht wurde. Also meldeten wir uns und besuchten das schöne Simmental. Wir waren von der Landschaft sehr angetan. Es gefiel uns auf Anhieb. Wir wurden auch mit offenen Armen empfangen, nicht so wie in Rorschacherberg. Es war uns klar, was es bedeutete, dort tätig zu sein, aber Peter brauchte Abwechslung. In einer Stadtpraxis zu arbeiten, wäre für ihn ein Gräuel gewesen. Hier wussten wir, dass Peter rund um die Uhr bereit sein musste und das nicht nur in der Praxis, sondern auch im Spital.


(1) Altes Spital Zweisimmen.

Altes Spital Zweisimmen.

 

Da er vorher auch in der Anästhesie tätig war, freute sich der Chirurg schon darauf, dass er künftig auch auf ihn zählen konnte, nicht nur auf die Narkoseärztin aus Saanen und eine schlecht ausgebildete Schwester. Wir bekamen sogar die Möglichkeit, ins alt ehrwürdige Arzthaus von Dr. med. Arnold Stucki an der Lenkstrasse einzuziehen.

Die Witwe Ruth Stucki vermietete die Praxis und die Wohnung darüber, dazu zwei Zimmer im Estrich. Praxis und Wohnung wurden vorher durch den Architekten Sigi Ewald  sogar nach unseren Wünschen umgebaut.


(2) Architekt Sigi Ewald, später unser Freund und Peters Tennislehrer.

Architekt Sigi Ewald, später unser Freund und Peters Tennislehrer.

 
Ruth Stucki wohnte in der Wohnung über der unseren. So freuten wir uns richtig darauf, dorthin umzuziehen. Für so einen Praxisbetrieb benötigten wir auch eine Putzfrau. Daher suchten wir eine via Obersimmentaler Zeitung. Es meldete sich eine Frau Stalder aus Oeschseite, sonst niemand. Also sagten wir ihr zu, wollten sie aber noch persönlich treffen und zwar im Tea Room Sägesser, um alles zu besprechen und fuhren daher extra nach Zweisimmen. Wir erlebten eine schöne Überraschung. Es begrüsste uns eine ziemlich stämmige Person mit einem kräftigen Gesicht, auf dem Kopf thronte eine lustige Mütze, ausserdem besass sie währschafte Elefantenbeine. Sie hatte auch Probleme mit dem Reden, aber sonst schien sie gutmütig zu sein, was sich später bestätigte. Sie wohnte ein Stück hinter dem Restaurant Weyermatte in der Oeschseite, d.h. sie musste genug weit zu Fuss ins Dorf marschieren. Es schien ihr aber keine Probleme zu machen. Jedenfalls hatten wir nicht den Mut, sie nicht einzustellen. Sie putzte dann noch ziemlich lange bei uns, wenn man es putzen nennen konnte. Man musste auch Geduld mit ihr haben, denn schnell war sie nicht, dafür eine seelengute Person und hätte alles für uns getan. Das Treppenhaus hatte eine Holzverkleidung mit breiteren Abstellflächen, die man schwer erreichen konnte. Einmal bat sie mich daher, ich solle auf ihren Rücken steigen während sie sich bückte (der war schön breit!), um die Simse für sie abzustauben. Sie war nicht davon abzubringen. Es war ein Bild für Götter. Man hätte es filmen sollen. Sie half mir sogar im Garten Gemüse anzupflanzen, bis wir dann endlich Frau Schmied kennenlernten, die war doch um einiges schneller und für uns hilfreicher, vor allem machte niemand so gut Ordnung in den Schränken wie sie.


(3) Praxishaus in Zweisimmen.

Praxishaus in Zweisimmen.

 
Im Frühling 1976 war es soweit. Die Wintersaison war praktisch schon vorbei. Wir konnten in Zweisimmen ins neu renovierte Arzthaus einziehen, unsere erste Praxis beginnen, Peter mehr über den Spitalbetrieb erfahren, Daniel sich in der Schule heimisch fühlen und mit den Kindern die Gegend erkunden. Aus Saanen war gottlob Therese Röthlisberger bereit, bei uns als Arztgehilfin tätig zu sein. Ich kümmerte mich vor allem um den schriftlichen Kram und die Abrechnungen. Die Bevölkerung brauchte etwas Zeit, um uns kennen zu lernen. Während den Notfalldiensten kam es automatisch dazu. Es dauerte nicht lange, und wir hatten mehr als genug zu tun. Bevor wir nach Zweisimmen umsiedelten, besuchte ich in Zürich noch einen Kurs für Arztfrauen, wo man Laboruntersuchungen lernte, natürlich auch Blut zu nehmen und andere Hilfeleistungen, die ein Arzt benötigte, was eben auch die Arztgehilfinnen normalerweise erledigen. Trotzdem war ich jeweils froh, wenn ich nicht Blut nehmen musste. Anfangs hatte ich beim Assistieren Mühe (an den Diensttagen waren wir meistens ohne Arztgehilfin). Normale Wundversorgungen waren kein Problem, aber wenn Peter zu lange in einer Wunde „rumstocherte“, kam es vor, dass ich plötzlich schlechter daran war, als der Patient. Es drohte mir, dass ich ohnmächtig wurde. Besonders als er bei einem Patienten bei einer Operationswunde viel Eiter entfernte, was nicht so einfach war und länger dauerte. Ich wurde plötzlich kreidebleich und musste mich im Büro nebenan hinlegen, bis ich mich wieder etwas erholt hatte. Oder als eine Frau wegen einer Allergie so eine Atemnot bekam und Peter in der Apotheke in einem anderen Zimmer eine geeignete Ampulle suchte, die er der Patienten spritzen wollte, wurde mir auch sterbensübel. Ich hatte so eine Angst, sie könnte sterben, bevor Peter zurück war. Gottlob kam er bald mit der Spritze, und die Frau konnte wieder einigermassen atmen, sodass sie sich bald besser fühlte und ich mich somit auch. Einer Arztgehilfin kann es gleichgültig sein, ob der Chef seine Arbeit gut machte, mir aber war es nicht egal, und daher kam auch noch diese Befürchtung dazu, Peter sei dann schuld, wenn etwas passierte. Mit der Zeit wurde ich abgehärteter, aber es gab immer solche Fälle, die einem trotzdem nahe gingen. Die schlimmsten Wundversorgungen waren an den Wochenenden oder abends. Einmal wurde ein Mädchen von einem Bauer mit seinem Traktor angefahren, dabei verletzte es sich an der einen Hand so sehr, dass Peter alle Fingerchen der Länge nach nähen musste. Das war eine langwierige, knifflige Arbeit. Ein anderes Mal kam eine Frau vom Skifahren, die den ganzen Oberschenkel an der Skikante bei einem Sturz aufgeschnitten hatte. Sie merkte es leider nicht sofort, sondern fuhr noch zwei Stunden lang Ski, bis sie es realisierte. Peter hatte wieder eine rechte Operation vor sich, denn es galt reichlich Gewebe herauszuschneiden, das sich in der Zwischenzeit gebildet hatte, bevor die Wunde zugenäht werden konnte. Man könnte viele solche Beispiele aufzählen. Anfangs passierten natürlich auch Missgeschicke. Ich sollte einmal das Blut einer Hepatitispatientin zentrifugieren, dabei fiel mir das Fläschchen auf den Boden, und das ganze infektiöse Blut wurde weit herum verspritzt. Ich putzte alles gleich mit blossen Händen auf. Vor Schreck kam mir gar nicht in den Sinn, Handschuhe anzuziehen. Als Peter von einem Patientenbesuch nach Hause kam, erzählte ich ihm mein Missgeschick. Er war natürlich sehr erschrocken und fürchtete, dass ich nun auch diese Krankheit bekommen würde. Gottlob blieb ich aber gesund. Es war eine rechte Umstellung von der vorherigen Arbeit in der Hirnforschung oder an den anderen Stellen, aber auch hier hatte ich nichts dagegen, wenn ich mich zwischendurch in mein Büro zurückziehen konnte, um einfach Krankenscheine auszufüllen oder Zeugnisse zu schreiben. Froh war ich zu Beginn auch um die Hilfe von Lilly Zimmerli, die ich jederzeit fragen konnte, wenn ich bezüglich Abrechnungen oder anderen Problemen nicht weiter wusste.


(4) Neues Spital Zweisimmen (ab 1977).

Neues Spital Zweisimmen (ab 1977).

 
Von 07.30 – 12.00 und von 13.30 – 18.00 hatte Peter Sprechstunde, ausser er musste notfallmässig im Spital bei einer Operation als Narkosearzt dabei sein. Dann gaben wir den Patienten einen anderen Termin und schickten sie nach Hause. Für Notfallbesuche hatte man immer bereit zu sein. Normalerweise machte Peter seine Hausbesuche abends oder an den sogenannten freien Nachmittagen. Da es in Lenk nur einen Arzt gab, war es Peters Aufgabe, wenn nötig auch dort die Notfallbesuche zu erledigen. Damals gab es in Boltigen noch keinen Arzt, so dass wir Patienten bis Abländschen hinter dem Jaunpass betreuten.
Zu unserem Glück lernten wir bald die Gemeindeschwester Hanny Zeller kennen. Sie gab Peter Tipps, wie er am besten zu den jeweiligen Patienten kam. Sie war uns oft eine grosse Hilfe. Sie und ihr Mann Fred wurden sowieso unsere Freunde, von denen wir auch noch
den Schrank geschenkt bekamen, den meine Mutter ablaugte und mit Hauptwiler Bildern bemalte und der jetzt in unserer Stube steht.


(5) Schrank von unseren Freunden Fred und Hanny Zeller aus Zweisimmen, restauriert von meinem Vater und bemalt von meiner Mutter mit Bildern aus Hauptwil: links oben Schlosstürmli, rechts oben Schloss, links unten "Zur Traube", rechts unten "Untere Walche" (oder "Altes Spital").

Schrank von unseren Freunden Fred und Hanny Zeller aus Zweisimmen, restauriert von meinem Vater und bemalt von meiner Mutter mit Bildern aus Hauptwil: links oben Schlosstürmli, rechts oben Schloss, links unten "Zur Traube", rechts unten "Untere Walche" (oder "Altes Spital").

  
Meine Aufgabe war nachts, wenn Peter notfallmässig irgendwo bei einem Hausbesuch war, ihn dort anzurufen und ihm mitzuteilen, wohin er gleich anschliessend fahren solle (Handys kannte man damals noch nicht), da noch dringend ein Patient auf ihn warte. Damit wir uns zwischendurch doch etwas erholen konnten, fuhren wir anfangs an einem freien Tag an den Thunersee. Mit Daniel hatte Peter während unseren Sommerferien in Pergine am Lago di Levico bei Trento surfen gelernt
.


(6) Vater und Sohn am Anfang ihrer Surfkarriere

Peter und Daniel bei den ersten Surfversuchen.

 

Das war ein tolles Erlebnis und dabei konnte er sich auch am Thunersee bestens erholen. In Zweisimmen gab es auch eine Badeanstalt, landschaftlich schön an der Simme gelegen, etwas abseits vom Dorf. Anfangs hatten wir einmal Wochenenddienst. Es schien nicht viel los zu sein, und Peter wollte nur kurz ins Bad schwimmen gehen. Ausgerechnet in der Zeit läutete jemand Sturm an der Haustür. Eine Frau kam mit einem Kind, das irgend einen schrecklichen Anfall hatte und sofort Hilfe benötigte. Also schickte ich sie direkt ins Spital und berichtete dem Assistenzarzt dort die Situation. Ich fühlte mich nachher ganz mies, weil ich nicht helfen konnte und Peter just in dem Moment nicht da war, was in Zukunft nie mehr vorkam.


(7) Daniel und Corinne (1976).

Daniel und Corinne (1976).

 
Daniel lernte gottlob in der Schule bald Kollegen kennen, die er auch ausserhalb der Schule treffen konnte, z.B. Andy, der Sohn unseres Architekten (Sigi Ewald und seine Frau Esther wurden ebenfalls unsere guten Freunde) sowie der ältere Sohn der Wirtsleute des Hotels Krone nicht weit von uns. Für Corinne war es schon schwieriger. Sie war erst zwei Jahre alt. Daher hatten wir auch im Haushalt ein Mädchen, das sich um Corinne kümmern und mit ihr nachmittags möglichst auf den Spielplatz oberhalb der Kirche oder sonst irgendwohin spazieren gehen musste. Im ersten Jahr war Gaby, ein Patenkind von meiner Schwägerin Rösli Nater bei uns. Sie war eigentlich ideal. Es machte ihr nichts aus, den Haushalt zu erledigen und zwischendurch auf Corinne acht zu geben. Abends las sie gerne Romane, denn viel los war in diesem Dorf schon nicht für junge Leute, aber das störte sie nicht weiter. Im Winter spielte sie fanatisch Eisstockschiessen. Sie lernte aber mit der Zeit die Kronenwirtin kennen, und diese machte sie uns dann abspenstig. Nach einem Jahr wechselte sie in die Gastgeberbranche und arbeitete in der Krone. Sie ist auch heute noch in diesem Gebiet tätig. Sie führte zusammen mit ihrem Mann viele Jahre eigene Lokale. Trotz der Pensionierung ihres Mannes, kann Gaby es noch nicht lassen, denn sie arbeitet inzwischen in der Waldschenke in Hauptwil.  

Etwas Abwechslung brachten uns die Familienangehörigen, die uns im Winter wie im Sommer besuchen kamen. Einmal war auch Tamara, die Tochter von meinem zweitjüngsten Bruder Armin, bei uns in den Ferien. Gleichzeitig hatten wir auch die zwölfjährige Ildiko, die Tochter von Peters Cousine Judit aus Budapest, zu Besuch. Sie sollte mit Corinne und Tamara zum Spielplatz gehen und sie dort beaufsichtigen. Als ich in der Praxis schnell weg konnte, wollte ich sehen, ob die drei Mädchen sich gut vertragen und ging auf dem Spielplatz nachschauen. Von ihnen war dort aber überhaupt keine Spur. Jetzt wurde ich natürlich nervös. Wo konnten sie nur sein? Ich schaute, ob sie beim Friedhof den Weg runter zur Simme genommen hatten oder ob sie Richtung Schule unterwegs waren, fragte alle Leute auf der Strasse, ob sie nicht ein grösseres und zwei kleine Mädchen getroffen hätten. Ich war schon ganz am Verzweifeln, als mir endlich jemand sagte, sie hätte die drei unterwegs Richtung Rinderberg gesehen. Mein Gott, dachte ich mir, wo wollten sie dort hin? Was wird mein Bruder sagen, wenn mit Tamara etwas passierte und wieso liess Ildiko die beiden kleinen Mädchen einfach gewähren, was sie machen wollten? Es war schon gegen Abend, als ich sie tatsächlich endlich etwas unterhalb Fang entdeckte. Ich hatte mir inzwischen schon die schlimmsten Szenarien ausgemalt, aber gottlob waren alle drei wohlauf, und mir schien, Corinne war bereits schon die Tochter ihres Vaters, die den beiden die Schönheiten des Rinderbergs zeigen wollte.


(8) Zweisimmen unter dem Rinderberg. Bild von Bernhard Hunziker, Zweisimmen.

Zweisimmen unter dem Rinderberg. Bild von Bernhard Hunziker, Zweisimmen.

  
Um das schöne Simmental genauer kennenzulernen, nahmen wir am liebsten jeweils wieder einen neuen Weg unter die Füsse, da Peter wie ich gerne wanderten. Für Daniel war es kein Problem, und Corinne musste man unterwegs etwas ablenken, indem man den Blick auf den Weg richtete und schaute, was für wunderschöne Steine man finden konnte, natürlich auch wo es Kühe oder Ziegen zu sehen gab. Dann vergass sie, die Mühsal des Wanderns und freute sich auch, wenn wir besondere Pilze, Heidelbeeren oder einfach schöne Blumen entdeckten. Als Höhepunkt machten wir ein Feuer und grillierten unsere mitgebrachten Würste. Die meisten Gäste waren von unserem Tal genauso begeistert wie wir. Nur Peters Cousine Judit aus Budapest, fand, dass ja eigentlich alle Berge gleich aussehen und es daher keinen Sinn habe, speziell irgendwohin zu fahren, nur um wieder einen Berg zu bewundern. Sie sei gekommen, um uns zu treffen und nicht wegen der Berge. Solche Leute könnten selbstverständlich nicht an so einem Ort wohnen. Wir waren jedoch begeistert. Das einzige, was uns fehlte, war vielleicht der Frühling. Der existierte hier kaum, dafür der Winter umso länger. Bis endlich der ganze Schnee verschwand und die ersten Frühlingsblumen auftauchten, war es urplötzlich gleich Sommer.

Wieder kam eine Sekundarschulabgängerin für ein Haushaltlehrjahr. Sie hiess Bernadette und hatte es etwas schwieriger als ihre Vorgängerin, besonders was das Kochen und Backen anbetrifft. Meistens waren die Kuchen zu schwarz oder käsig, sodass Peter so einen einmal in seiner Wut in den Abfallkorb warf, dabei hätte Daniel ihn so gerne gegessen. Er liebte käsigen Kuchen. Dass Corinne existierte, vergass unser neuer Haushaltstern meistens. Gottlob war die Praxis nur ein Stockwerk tiefer, und Corinne konnte jederzeit runterkommen, wenn sie etwas benötigte. Dadurch lernte Corinne schon früh, selbständig zu sein, ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen und alleine etwas zu unternehmen. Sie konnte wunderbar mit ihren vielen Plüschtieren und Puppen spielen, begann bald zu malen und zu basteln, so dass es ihr trotzdem nie langweilig wurde. Damals lieferten die Firmen die Medikamente noch in grossen Schachteln. Aus diesen liessen sich auch phantastische Sachen basteln. Sie war noch nicht im Kindergarten, malte jedoch bereits ein wunderschönes Weihnachtsbild, das wir dann als Weihnachtskarte verschickten. Später folgten noch viele solche (s. Kapitel 11 - Weihnachtskarten Corinne). 


(9) Gemeinsame Weihnachten mit Starka und Silvias Eltern.

Gemeinsame Weihnachten mit Starka und Silvias Eltern.

 
Es gab in der Praxis hie und da Wechsel mit den Arztgehilfinnen, mit denen wir jedoch gottlob mehr als Glück hatten. Die erste, Therese Röthlisberger aus Saanen, gut ausgebildet in einer Praxis in Gstaad, half die Praxis einrichten. Sie setzte das Mass für ihre Nachfolgerinnen ziemlich hoch. Leider verliess sie uns nach gut einem Jahr, weil sie heiratete. Dann kam Uschi Kipfer aus dem Unterland. Wir verstanden uns auch wieder bestens. Corinne und Daniel hatten ebenfalls ein sehr gutes Verhältnis mit ihr. Corinne schenkte ihr eigentlich das Bild unserer ersten Weihnachtskarte, aber wir durften es kopieren. Sie war sogar in den Sohn Miso von Peters Tante Blanca in Basel verliebt und eine Zeit lang seine Freundin. Er verbrachte vielleicht einmal Weihnachten bei uns, um Ski zu fahren und lernte sie daher kennen, worauf es sofort funkte. So verliebte sich Daniel auch in eine Praktikantin, die wir einstellten, als er etwa 15-jährig war. Wir waren aber nicht wahnsinnig zufrieden und glücklich mit ihr, und ich hatte eine schreckliche Angst, dass sie von ihm schwanger werden könnte. Sie hätte bestimmt nichts dagegen gehabt, aber erstens waren beide viel zu jung und zweitens war uns ihr Vater auch nicht sympathisch. Es war nicht abzusehen, was der uns für Probleme beschert hätte. Wir kündigten ihr lieber baldmöglichst und schauten, dass sie wieder ins Unterland kam. Daniel traf sie noch ein- bis, zweimal dort, aber dann verlief die Beziehung gottlob doch im Sand. Sowieso musste er sich bald entscheiden, ob er eine Lehre absolvieren oder das Gymnasium besuchen wollte. Zuerst wurde er aber noch konfirmiert. Wir hatten wieder einmal eine Gelegenheit, ein schönes Familienfest zu veranstalten. Wir feierten seinen grossen Tag im Restaurant Hüsi in Blankenburg. Der Sohn des Besitzers war Daniels Schulkollege und Mitkonfirmant. 

Da es in Zweisimmen kein Gymnasium gab, war es eher sein Wunsch, eine Lehre zu absolvieren, weil er am liebsten zu Hause geblieben wäre. Nur war das leider kaum möglich. Er stellte sich in einem Architekturbüro vor, wo er eine Bauzeichnerlehre machen wollte. Der Chef meinte, er würde ihn sofort einstellen, aber er sollte doch lieber die Matura machen und studieren. Wir waren froh, dass auch ein Aussenstehender die gleiche Meinung hatte. Jetzt begann die Suche nach dem geeigneten Gymnasium. In Thun hätte er unter der Woche wieder zu einer Schlummermutter gehen müssen, was für ihn nach den Erfahrungen in der frühen Kindheit ein Horror war. Also suchten Peter und Daniel zuerst im Wallis nach Internaten, aber die waren meistens katholisch, und das wollte ich ihm wieder nicht zumuten, aber vielleicht sollte er doch nach Martigny, von wo er öfters hätte nach Hause kommen und wir ihn auch hätten besuchen können, was in Schiers nicht möglich war, wo er schlussendlich landete, uns aber nicht mitteilen konnte, dass er dort todunglücklich sein Leben fristete. Die Wirkung nach dem Tod von Urs war offensichtlich immer noch da, er musste stark und tapfer sein und durchhalten. Nur seinem Freund Andy Ewald in Zweisimmen hatte er es verraten, worauf mich seine Mutter Esther anrief. So fuhr ich selbstverständlich sofort nach Schiers, sprach mit ihm und den Lehrern, und wir beschlossen, dass er von dort weg geht. Als Maria und Frido über diese Schwierigkeiten hörten, machten sie uns den Vorschlag, dass Daniel in Romanshorn die Kantonsschule besuchen und bei ihnen im nahen Amriswil wohnen könnte. Das war ausserordentlich nett, und wir wagten den Versuch auch, aber es klappte nicht. Für ihn stimmte es halt nicht, denn wir waren noch immer zu weit weg. Er überwand sich jetzt jedoch und wohnte mit zwei Kollegen bei einer Schlummermutter in Bern. Dort besuchte er ein Privatgymnasium, wo er auch die für ihn passenderen Lehrer fand, u.a. die Frau von Mani Matter. Von Bern hatte er zudem die Möglichkeit, an den Wochenenden nach Hause zu kommen. Der einzige Nachteil war, er musste die Eidg. Maturitätsprüfung in Basel absolvieren, die er aber bestens bestand. Sie hatte aber den Vorteil, dass er ohne Aufnahmeprüfung an die ETH konnte. Ja, das waren keine glücklichen Zeiten für Daniel, und es tut uns schrecklich leid, dass sie nicht besser lösbar waren.

Vorher kam aber noch Fräulein Herren aus dem Unterland zu uns, um unseren Haushalt zu bewältigen, sowie Daniels Aufenthalt in Schiers ab und zu etwas zu versüssen, denn sie buk ihm so oft wie möglich einen feinen Kuchen. Auch meine Mutter sorgte hie und da für diesbezüglichen Nachschub. Gelegentlich hatte Daniel auch die Möglichkeit, die Wochenende entweder bei meinen Eltern oder bei meinem ältesten Bruder Ernst und seiner Frau Karin zu verbringen, wo er seine beiden Cousins Andreas und Roland wieder einmal traf, die in seinem Alter waren und sich gut verstanden. Während der Ferien kam er immer nach Hause, ausser einmal, als ihn meine Eltern abholten und direkt nach Caslano brachten, um es weniger umständlich zu machen. Zweisimmen lag doch etwas sehr weit von Schiers entfernt, und wir wollten das erste Mal zusammen mit meinen Eltern Caslano, den Monte Caslano und den direkt am See liegenden Swimmingpool, der zu einem Hotel gehörte, geniessen, derweil Peter sich in Novaggio weiterbildete.

Gottlob waren die Probleme betreffs Studium für Corinne noch in weiter Ferne. Wir waren froh, dass sie mit 6 Jahren endlich den Kindergarten besuchen durfte, damit sie etwas mehr mit gleichaltrigen Kindern zusammen kam. In unserer unmittelbaren Nachbarschaft gab es keine Familien mit kleinen Kindern. Gaby, unsere erste Haushaltshilfe, lernte zum Glück beim Eisstockschiessen Frau Reusser kennen, die oberhalb der Post wohnte und auch eine kleine Tochter namens Andrea im Alter von Corinne hatte. Ich rief Frau Reusser  an und brachte sie dazu, dass Corinne hie und da zu ihr durfte oder ihre Tochter zu uns zum Spielen kam. Zudem meldete ich mich bei Frau Gerber, die unterhalb der Kirche zu Hause war,


(10) Praxishaus auf den Bildern des bekannten Malers Karl Gerber, Zweisimmen, Grossvater von Andrea Gerber, der Freundin von Corinne.

Praxishaus auf den Bildern des bekannten Malers Karl Gerber, Zweisimmen, Grossvater von Andrea Gerber, der Freundin von Corinne.

  
ob ihre Andrea, die gleich alt war wie Corinne, nicht ab und zu am Nachmittag zu uns kommen könnte, was bestens klappte, und die Kinder verbrachten viele schöne Stunden zusammen. Im Kindergarten lernte Corinne später noch eine weitere Freundin, Barbara Burkhalter, kennen, mit deren Vater Peter auf eine andere Art Bekanntschaft machte. Peter blieb auf der ziemlich steilen Strasse Richtung Oeschseite im Schnee stecken. Er musste Ketten montieren. Aus dem nahen Haus kam ein Mann und bot ihm seine Hilfe an. So hat Peter Klaus Burkhalter, den Vater von Barbara, kennengelernt. Es entstand wieder eine Freundschaft mit der ganzen Familie, die noch immer besteht. Mit ihnen machten wir viele schöne Wanderungen oder verbrachten sonst eine tolle Zeit zusammen. Die Kinder kamen später auch mit uns nach Montreux.

Starky und Starka wohnten immer noch in Köln. Das war nun für uns schon etwas weit weg, um sie zu besuchen. Das Problem war aber noch zusätzlich, dass Starky immer depressiver wurde und Starka nicht mehr gut alleine mit ihm zu recht kam. Er war zweimal deswegen in einer Klinik in Münchenbuchsee in Behandlung, die konnten ihm zwar etwas helfen, er hatte aber immer wieder Rückfälle. Daher beschlossen wir, für sie ein Altersheim an der Grenze zur Schweiz zu suchen, damit sie besser erreichbar waren und Starka sich nicht mehr um den ganzen Haushalt kümmern musste. Sie hatte zwar noch sehr Angst davor, denn sie schrieb uns einen langen Brief über ihre Sorgen:



(11) Starkas Brief

Starkas Brief


"Liebste Kinder!


Ich weiss gar nicht, wie ich anfangen soll, Euch zu unseren Sorgen und Schwierigkeiten bezüglich des Altersheimes zu schreiben. Für den Entschluss sind viele Sachen, aber auch dagegen.
Im Altersheim wären wir hoffentlich gut versorgt, bis auf das Essen, was uns vielleicht
etwas Schwierigkeiten bereiten würde. Im Krankheitsfall würden wir gepflegt, was eine grosse Sache ist, davon sind wir überzeugt. Die Schwierigkeiten sind eher seelischer Natur. Als Ausländer und noch die Herkunft würde uns gewiss sehr belasten. Man kann nicht mit einer Lüge oder einem Geheimnis leben in unserem Alter, denn man weiss nicht, wann man sich verraten kann, was eventuell ärger wäre als die Wahrheit. Sollen wir es sagen, möglich wäre es besser, aber wer weiss dies, und würden Euch vielleicht belasten, was wir nicht möchten? Jetzt kommen wir etwas mit den Menschen dieses Landes zusammen und wir sehen, was für ein grosser Unterschied zwischen uns ist. Wir können und wollen nicht von unserer Vergangenheit sprechen, wen interessiert das, aber wir haben nur das, bei uns ist schon keine Zukunft. Die Mentalität ist ganz anders, sie schwelgen in dem wie gut es Ihnen geht, sind Familien zusammen. Ihre Vergangenheit ist bei ihnen schön und sehr viele (leider) wünschen sich dies zurück, was bei uns selbstverständlich ein sehr schlechtes Gefühl auslöst. Im Altenheim sind wir davor nicht geschützt. Möglich, dass wir empfindlich sind, aber wir haben den Grund und das Recht dazu.
Ich habe auch Angst von der physischen Belastung, die mir bevorsteht, denn auf Vaters Hilfe kann ich mich überhaupt nicht stützen (gestern war es etwas besser mit ihm, heute ist es wieder schlimm). Wir dürfen die Kölner Wohnung nicht aufgeben, bis wir nicht wissen, ob wir uns in Lörrach gewöhnen. Bis nun hat Vater immer gesagt, er geht im voraus, jetzt weiss er es nicht, ob er dort alleine sein wird, was auch eine Frage ist, bei seinem seelischen Zustand. Zu dem allen schmerzen mich so sehr die Füsse, dass nach einigen Schritten ich solche Schmerzen bekomme, dass ich nicht weiter kann, wie werde ich mit allem fertig. Reichel Margrit hat mir ihre Hilfe angeboten. Wenn ich nach Hause komme muss ich zu einem Arzt. Mit den Möbeln aus Köln muss auch etwas geschehen, denn kaum etwas können wir davon in Lörrach brauchen.
Es ist mir leid, dass ich Euch mit diesem Brief belaste, aber ich muss unsere Schwierigkeiten und Sorgen jemandem anvertrauen und unsere Sorgen sind auch Eure Sorgen.
Wir küssen Euch alle aufs herzlichste
Eure
Starka und Starky
7.8.1978
Montag, den 14.8. sind wir am Abend zu Hause."


Wir fanden dann aber ein sehr schönes Altersheim in Lörrach, das mitten in der Stadt war, wo Starka zu Fuss einkaufen gehen konnte, wenn sie wollte. Es hatte auch einen sehr schönen Innenhof. Für beide war es möglich, ein Zimmer für sich zu haben. Diese waren gleich nebeneinander und ihre Balkone in Richtung Innenhof, also ruhig gelegen. Wir verabredeten baldmöglichst ein Treffen in Lörrach, um ihnen das Heim zu zeigen. Sie fanden es auch nicht schlecht, obwohl sie natürlich noch immer ihre Ängste und Bedenken hatten. Als der Umzugstermin in Sicht war, reiste ich nach Köln, packte ihre Sachen zusammen und reiste mit ihnen nach Lörrach, nachdem die Umzugsfirma alles in ihrem Lastwagen verstaut hatte. Sie nahmen nur wenige Möbel für die beiden Zimmer mit. Wir kauften zwei neue, nicht zu grosse Polstersessel, die Corinne später benützte und die jetzt noch, inzwischen mit einem anderen Stoff überzogen, in unserer Stube stehen. Starka und Starky lebten sich dort schlussendlich gut ein, hatten es auch näher, um zu uns zu kommen, und es war auch für uns einfacher, sie zu besuchen.

In der Praxis gab es unendlich viel zu tun. Computer kannten wir noch nicht. Peter schrieb die Krankengeschichten selbstverständlich alle von Hand. Die durfte ich dann entziffern und entsprechend diesen Angaben die Abrechnungen an die Krankenkassen machen, indem ich sie mühsam von Hand in die von der Krankenkasse vorgegebenen Formulare bezw. Krankenscheine eintrug. Damals war es nur erlaubt, nach drei Monaten Behandlung abzurechnen. Oft waren die Krankenscheine nicht gross, dazu noch klein gedruckt, dass man Mühe hatte, alle nötigen Angaben dort unterzubringen. Anfangs half Daniel mir beim Ausfüllen. Unbeabsichtigt war es die wirksamste Art, ihn vom Arztberuf abzubringen. Zeugnisse gab es auch viele zu schreiben, dafür hatte ich aber wenigstens eine Schreibmaschine. Da wir in einem Ferienort praktizierten, kamen selbstverständlich auch viele unangemeldete Patienten, und weil Peter täglich bis zu 40 Personen behandelte, wussten wir manchmal nicht, wo uns der Kopf stand. So hatten wir nicht immer Freude, wenn auch Einheimische ausserhalb ihrer Termine kamen, sowie z.B. unser Nachbar, den ich wieder nach Hause schicken wollte, denn er hatte sich um einen Tag geirrt. Er meinte aber: „Jetzt gehe ich nicht mehr nach Hause. Ich habe mich extra geduscht. Ich bleibe da. Du kannst mir ja inzwischen einen Schnaps bringen.“ Daher war es auch nötig, noch eine zweite Arztgehilfin einzustellen. Sie kamen teilweise von weit her, z.B. Vreni Probst aus Naters im Wallis und Elsbeth Wieland aus Sufers in Graubünden, die wir sogar nach Jahren wieder trafen, als wir in Splügen eine Vertretung machten (siehe Kap.9). Zuletzt hatten wir das Vergnügen, mit Rebekka Hofer aus dem Saanenland, sowie mit Susanne Hübscher aus Hallau zusammen zu arbeiten. Wir hatten fast mit allen immer ein tolles Verhältnis. Am Ende unserer Praxistätigkeit luden wir alle zu einem Mittagessen in den Schweizerhof in Zürich ein. Peter beschrieb es wie folgt in der Schweizerischen Ärztezeitung (200,81(21):1126-7:

"Während den dreiundzwanzig Jahren haben wir vierzehn Arztgehilfinnen „verschlissen“, elf in Zweisimmen, drei in Romanshorn, zwei davon waren „eigene Brut“, die das Praktikum bei uns absolvierten. Sie alle waren unsere wichtigen, wertvollen Mitarbeiterinnen. Der Praxisverlauf, die Patientenzufriedenheit hing wesentlich von ihnen ab. Mit der Mehrheit entstand eine tiefe, freundschaftliche Beziehung.

In der Mitte des Januarlochs haben wir uns getroffen, um ein bisschen „zu dorfen“: während und nach dem Essen erinnerten wir an gemeinsame Erlebnisse, über Besuche bei abgelegen wohnenden Patienten in tiefem Schnee, an unvergessliche Patienten, berichteten darüber, wie wir uns damals erlebten, über weitere Entwicklungen, Pläne und Aussichten. Für die Jüngeren war es beruhigend zu hören, wie die Älteren das Leben meistern, wie Ihnen die Berufserfahrungen bei der Erziehung der Kinder, Hilfe im Geschäft des Ehemannes oder bei eventuellem Wiedereinstieg in verschiedene Gesundheitsberufe helfen.

Wir erlebten sehr interessante sechs Stunden, die so schnell verliefen, dass man uns aufmerksam machen musste, man brauche den Raum für die nächste Gesellschaft. Es war ein schöner Schlusspunkt unserer Praxistätigkeit."

Wir waren froh, wenn wir ab und zu in die Ferien fahren durften, was nicht so einfach war, weil unser Chirurg im Spital nie sagen konnte oder wollte, wann er Peter im Spital nicht benötigte. Schliesslich hätte er ja in der Zeit die Anästhesieärztin aus Gstaad einsetzen können. Meistens schafften wir es dennoch, im Sommer jeweils mit Corinne und Daniel irgendwo ans Meer zu fliegen oder, als es mit dem Flug nicht klappte, nach Annecy in Frankreich zu fahren.


(12) Unsere wunderschönen Ferien in Annecy: Silvia, Peter, Corinne und Daniel.

Unsere wunderschönen Ferien in Annecy: Silvia, Peter, Corinne und Daniel.

 
Jedoch einmal musste uns die damalige Assistenzärztin Dr. med. Nadia Hermann vertreten, da genau in unseren schon längst gebuchten Ferien auch Dr. Zimmerli weg war und wir
uns nicht mehr bereit erklärten, zu verschieben, weil wir sonst nicht mehr die Möglichkeit gehabt hätten, mit Daniel in den Urlaub zu fahren.
Im Herbst nahmen Peter und ich uns jeweils zwei Wochen eine Auszeit und flogen alleine nach Kreta oder einmal auch nach Senegal, was besonders schöne Ferien waren. Gottlob hatte ich noch keine Rhythmusstörungen, denn als wir ankamen, schlug einem die Hitze dermassen entgegen, dass man kaum Luft bekam. Nichts konnte einem abkühlen, weder das Duschwasser noch der Swimmingpool noch das Meerwasser. Mit der Zeit gewöhnten wir uns aber daran, auch dass unsere Matratzen auf dem Boden lagen und Mäuse darunter verschwanden, sowie Riesenkrabben vor unserer Bungalowtüre auftauchten.

Damit Peters Eltern hie und da länger in Zweisimmen bleiben konnten, mieteten wir zuerst eine Wohnung. Später wurde dann an der Strasse, die ins Oberdorf führte, ein altes Haus in neue Wohnungen umgebaut. Im Parterre richtete unser Zahnarzt Dieter Wende (mit ihm und seiner Familie waren wir inzwischen auch befreundet) seine neue Praxis ein. Oberhalb gab es eine 3-Zimmer-Wohnung. Die kauften wir, und unsere Gäste fühlten sich dort fortan mehr als wohl. Einmal sollten wieder Starka und Starky kommen, und wie es oft der Fall war, konnte sich Starky noch nicht entscheiden, wann sie genau abreisen wollten, da stürzte ein Militärflugzeug (es gibt einen Militärflugplatz in St. Stephan) direkt auf dieses Haus. Wie durch ein Wunder waren Peters Eltern eben noch nicht dort, und ein Patient des Zahnarztes vergass seinen Termin bei ihm und bemerkte es erst, als er mit der Feuerwehr zur Löschung aufgeboten wurde. Der Patient vor ihm verliess noch rechtzeitig die Praxis, und Dieter Wende wie seine Gehilfin waren glücklicherweise im Behandlungsraum und hatten plötzlich eine Feuerwand neben sich. Sie retteten sich, indem sie aus dem Fenster sprangen, was kein Problem war, weil sich die Praxis im Parterre befand. Nur eine alte Frau im 1. Stock konnte nicht gerettet werden, obwohl die Feuerwehr noch eindrang und ihr Möglichstes versuchte. Im Haus gab es auch einen Bunker, den wir als Keller benützten. Dort lagerten wir das schöne alte Porzellan von Starka. Es ist unglaublich, aber wahr, nichts ging kaputt. Der Bunker hielt stand, obwohl das Flugzeug doch wie eine Bombe einschlug. Die Versicherung baute das Haus wieder auf, aber wir hatten keine Lust mehr, die Wohnung weiter zu behalten und verkauften sie. Zufällig entdeckte ich in der Zürcher Zeitung ein Inserat über eine Wohnung in Montreux und zwar im 9. Stock eines Hochhauses praktisch an der Promenade, d.h. nur eine Villa war dazwischen. Da wir Montreux schon von unseren Osteraufenthalten dort kannten (das war unsere praktisch sichere freie Zeit, an Weihnachten hatten wir immer Dienst). Anfangs übernachteten wir
jeweils in einem kleinen Hotel neben dem Baur-au-Lac, später im Hotel Excelsior. Der Osterhase versteckte seine Eier hinter Palmen oder in den Blumenbeeten an der Promenade. Also fuhren wir nach Montreux, um uns die Wohnung anzuschauen. Sie hatte nur 2 Zimmer, 1 Schlaf- und ein Wohnzimmer mit einer kleinen Kochnische, sowie ein kleines Bad, aber die Aussicht vom Balkon im obersten Stock war einfach ein Traum, allein schon der Blick über den See beruhigte. Hier füllten sich die Krankenscheine fast von selbst aus, Hauptsache ich konnte zwischendurch den Blick über den See schweifen lassen. Zudem hatte Peter die Möglichkeit, zu surfen, soviel er wollte, wir konnten Tennisspielen und an der Promenade Rollschuh fahren mit den Kindern.


(13) Von links Corinne auf dem Velo, Silvia und Manuel auf Rollschuhen und Barbara Burkhalter auch auf dem Velo; Daniel beim Service.

Von links Corinne auf dem Velo, Silvia und Manuel auf Rollschuhen und Barbara Burkhalter auch auf dem Velo; Daniel beim Service.

 

Es war auch eine andere Welt als Zweisimmen. Nachdem wir eine Nacht auf dem Wohzimmerboden dort übernachtet hatten, entschlossen wir uns, sie zu kaufen, und wir bereuten es nicht. Ausserdem hatten wir es mehr als praktisch. Wir mussten nicht einmal das Auto nehmen, denn wir konnten die Montreux-Oberlandbahn benützen und unterwegs die wunderschönen Wiesen voll mit Osterglocken bewundern.


(14) Tante Marthe auf einer Wiese in der Oeschseite voll von Osterglocken.

Tante Marthe auf einer Wiese in der Oeschseite voll von Osterglocken.

 
Auch Starky und Starka kamen oft nach Montreux. Sie übernachteten meistens im Golf Hotel. Wir
 genossen Montreux wirklich, so oft es uns möglich war.


(15) Starka und Corinne in Montreux.

Starka und Corinne in Montreux.

 

Als Starky irgend einen runden Geburtstag im Simmental feiern wollte, suchten wir uns dafür die Alte Post in Weissenburg aus. Das Essen war wunderbar und mundete allen sehr. Etwas Abwechslung brachte nur mein Vater in die Geschichte. Meine Eltern sollten nämlich mit Corinne mit dem Zug nach Weissenburg fahren, und Peter hatte die Aufgabe, sie dort auf dem Bahnhof abzuholen, da es im Subaru nicht genug Platz für alle gab. Grossvater behauptete aber im Zug, er müsse nach Weissenbach fahren. Dort fand er natürlich weit und breit keine alte Post. Kurzerhand machten sie daraufhin Autostopp und trafen so fast mit dem Zug in Weissenburg ein. Peter wusste nichts davon, und da der Zug in Weissenburg nur auf Verlangen hin anhält, stoppte er den Zug. Der Lokomotivführer konnte nicht verstehen, warum Peter den Zug anhielt und trotzdem nicht einstieg. So erklärte er ihm, dass jemand aussteigen sollte. Corinne wiederum sagte den Grosseltern:  "Also wenn Ihr nicht wisst, wohin wir fahren müssen, gehe ich nächstes Mal lieber mit dem Auto!“. Als Handybesitzer kann man heutzutage solche Wirrungen nicht mehr erleben.

Vorerst kam aber Corinnes erster Schultag. Darauf freute sie sich schon. Einzig die Erstklasslehrerin war von ihr nicht so begeistert, denn es störte sie, dass Corinne oft zu spät in die Schule kam, weil sie auf dem Weg dorthin vor sich hin träumte und sich Geschichten ausdachte oder was auch immer. In der zweiten Klasse wechselte sie zu Frau Gertrud Züricher. Mit ihr gab es keine Probleme mehr. Im Gegenteil, Frau Züricher schätzte Corinne sehr. Sie war begeistert, wie Corinne malen, aber auch gut schreiben konnte. Von Frau Züricher haben wir auch noch das Buch: Kinderlied und Kinderspiel, das sie herausgegeben hatte. Ihr nächster Lehrer wunderte sich, wie Corinne beim Malen eines Bildes vorging. Sie begann z.B. links unten, dann links oben, fuhr Richtung Mitte weiter, bis sie das ganze Bild fertig hatte. Was sie genau malen wollte, entdeckte man vielleicht erst, wenn es fast fertig war, wie bei ihrem Schneekönig. Corinne hatte das Bild im Kopf und wusste ganz genau, wie es am Ende aussehen wird. Später hätte er gerne dieses erste Bild von ihr gehabt, aber Corinne wollte es ihm dann nicht geben, weil er sie über ihr, nach seiner Meinung, komisches Vorgehen gerügt hatte.


(16) Schneekönig.

Schneekönig.

 

Auch wie sie das Skifahren lernen wollte, hatte sie ihre eigenen Vorstellungen. Sie war noch bereit, in den Kurs für Anfänger hinter der Kirche zu gehen, aber nur deswegen, weil dann alle zusammen picknickten. Irgendwie fand sie das super. So lernte sie immerhin den Stemmbogen kennen und wusste dadurch wie zu bremsen. Alle Zweisimmer Kinder fuhren jeweils schön brav hinter ihren Eltern. Das wäre ihr nie in den Sinn gekommen. Sicher hätte sie von uns auch nicht den besten Stil gelernt, aber ich hätte mich als Kind sicherer gefühlt. Daran dachte sie gar nicht. Während sie fuhr, sang sie vor sich hin oder träumte sich irgend eine Geschichte aus, und so ging es schön langsam, Bögli um Bögli talwärts. Das war am Rinderberg auch problemlos möglich. Hie und da wollten wir aber auch andere Skigebiete kennenlernen wie z.B. die Diablerets, wo es schon sehr steile Hänge gab. Dort musste ich sie wohl oder übel zwischen die Beine nehmen, und ich wundere mich noch heute, wie wir es zusammen überhaupt schafften, heil und ganz unten anzukommen. Daniel hatte keine Probleme, er lernte mit der Schule bestens skifahren.


(17) Corinne als Skirennfahrerin.

Corinne als Skirennfahrerin.

 

Baden konnten wir gottlob auch im Winter. Wir hatten drei Möglichkeiten: es gab in Saanenmöser einen Pool in einem Hotel mit einem zusätzlichen Aussenschwimmbad auch im Winter, dann hatte Gstaad ein fantastisches Schwimm- und Hallenbad, und in Lenk war sogar ein Kurbad schon wegen der vielen Kurgäste. Offensichtlich genoss es Corinne da am meisten und lernte bereits im Kindergarten ohne weiteres eine Länge hin und zurück zu schwimmen. Ihre ersten Züge machte sie aber in Mallorca, noch nicht im Meer, aber im Hotelpool.

Da wir während unseren Sommerferien nun meistens in Montreux weilten, wollten wir im Herbst die Ferien mit der Familie auf einer Insel verbringen. Im Reisekatalog entdeckten wir ein Hotel auf Comino (eine kleine Insel zwischen Malta und Gozo) das anscheinend besonders geeignet war für Familien mit Kindern, und wir wurden nicht enttäuscht. Dort lernten wir auch unsere Freunde Micheline und Guido Diebold sowie ihre Kinder Nicole und Alain kennen. Peter und Guido waren meistens auf den Surfbrettern unterwegs. Auch Daniel und Alain versuchten es, spielten aber auch Tennis zusammen oder unterhielten sich sonst, sowie Corinne und Nicole. Es gab nicht nur wunderbare Buffets dreimal pro Tag, abends sassen wir Erwachsene gemütlich bei einem Glas Wein, und den Kindern wurde es auch nicht langweilig. Es waren dermassen perfekte Ferien, dass Guido und Micheline, so wie auch wir beschlossen, gleich für nächstes Jahr wieder zu buchen.


(18) Abendleben auf Comino. Links in der Mitte Corinne und Nicole Diebold; Peter und Silvia (hier zeigte ich mich schon in grauen Haaren); Daniel beim Kartenspiel.

Abendleben auf Comino. Links in der Mitte Corinne und Nicole Diebold; Peter und Silvia (hier zeigte ich mich schon in grauen Haaren); Daniel beim Kartenspiel.

  

 
(19) Silvia (Seltenheitswert) und Peter surfen; Corinne beobachtet.

Silvia (Seltenheitswert) und Peter surfen; Corinne beobachtet.

 

(20) Vater mit Sohn, Mutter mit Tochter.

Vater mit Sohn, Mutter mit Tochter.

 

Als ich 40 Jahre alt wurde, bekam ich zunehmend Schwierigkeiten beim Haarfärben, sodass ich beschloss, damit aufzuhören. Ich benützte die Gelegenheit, als wir einmal in
Zürich waren und ging dort zu einem guten Coiffeur, der mir einen Kurzhaarschnitt machte, damit praktisch alle gefärbten Haare verschwanden. Vorher hatte ich ziemlich lange Haare. Als ich wieder zurück nach Zweisimmen kam, kannte mich niemand mehr.
Die Patienten meinten, Peter hätte sich eine neue Frau genommen. Corinne hatte gar keine
Freude, dass sie nun plötzlich so eine "alte" Mutter bekam. Was werden nun ihre Schulkameradinnen dazu sagen? Aber schlussendlich gewöhnten sich alle daran. Dazu  hatte ich endlich Ruhe mit der Färberei und auch keine Probleme mehr.

Fast aus Lappland, nämlich aus Gällivare kam unsere neue Haushalthilfe Elena für ein Jahr zu uns. Offensichtlich gedeihen dort nicht sehr viele Früchte. Umsomehr genoss sie diese bei uns. Skifahren war für sie natürlich kein Problem. Mit ihr konnte man überall hin, selbst in die Diablerets. Sie fühlte sich ausgesprochen wohl in Zweisimmen. Es war auch ein angenehmes Jahr mit ihr, und ich glaube, auch Corinne schätzte sie. Sie verbrachte Weihnachten bei uns wie es auch den Arztgehilfinnen nicht anders übrig blieb, da wir


(21) Weihnachten mit Helena.

Weihnachten mit Helena.

 

am 24.12. immer Dienst für das ganze Tal samt Spital hatten. Daher kam das Christkind immer erst am 25. Dezember zu uns, was ja eigentlich nicht so darauf ankam. Aber am 24.12. war immer sehr viel los. In der Praxis sowie im Spital hatte Peter sehr viel zu tun, meistens gab es Arbeit bis spät abends, oft auch nachts. Überhaupt erlebten wir während der Skisaison einiges. Es kam vor, dass Peter sogar mit dem Pistenfahrzeug zu einem Patienten gebracht werden musste, oder er bekam einen Anruf vom Rinderbergrestaurant, ob er kommen könne, er werde gebraucht. Da die Gondeln schon in Ruhestellung waren,
mussten sie deswegen wieder in Betrieb gesetzt werden. Schlussendlich musste er einen total betrunkenen Skifahrer mit der Bahn runter begleiten und konnte nur hoffen, dass dieser sich während der Fahrt einigermassen ruhig verhielt. Auch die Besuche in die abgelegenen Bauernhöfe waren nicht einfach zu bewältigen, denn die Angaben der Patienten, wo sie wohnten und wie sie zu finden waren, galten meistens aus ihrer Sicht und nicht aus der des Besuchers. Die Abzweigungen wurden also umgekehrt angegeben. Als wir nach Zweisimmen kamen, hatten wir einen Saab. Hier gab es jedoch keine Garage für diese Marke. Die nächste Servicestelle dafür war nur in Feutersoey. Wir dachten, das sei ein perfektes Auto, bis Peter mit ihm im Schnee stecken blieb und sich abschleppen lassen musste. Mein Bruder René meinte, wir sollten zu einem Subaru wechseln, was wir dann auch befolgten. Die waren für diese Gegend wirklich perfekt. Die meisten Bauern fuhren auch diese Marke, somit konnten wir den Service auch in Zweisimmen erledigen.

Im Sommer 1982 verbrachte Daniel bei einer Familie Southby in Southbourne, daher fand er, dass er schon des Namens wegen die richtige Familie ausgesucht hatte. Er fühlte sich dort ganz wohl. Hie und da konnte er Fussball spielen. Obwohl die Stadt am Meer lag, gab es offensichtlich keine Gelegenheit zum Surfen. Wahrscheinlich verflog die Zeit auch so, schliesslich war er ja vor allem dort, um Englisch zu lernen. Das Frühstück, das er dort bekam, hat ihm am besten gefallen. Die restlichen Mahlzeiten waren nicht viel anders wie in Schiers.

In unserer Nachbarschaft gab es viele Katzen. Corinne hatte sowieso Berge von Plüschtieren, so hätte sie gerne etwas Lebendiges zum Streicheln gehabt. Zufällig besuchte Peter eine Familie, deren Katze Junge bekam und ihn fragten, ob wir nicht ein Büsi möchten. So erzählte er es uns zu Hause. Corinne war sofort Feuer und Flamme, aber so einfach war das gar nicht, eine Katze im ersten Stock zu haben, denn die wollte auch ihren freien Ausgang.


(22) Schnurrli (Schnurrenberg). Mit Dank aus dem Nachlass von Corinnes Klassenlehrer, K. Abgottspon in Romanshorn (von seiner Frau zur Verfügung gestellt).

Schnurrli (Schnurrenberg). Mit Dank aus dem Nachlass von Corinnes Klassenlehrer, K. Abgottspon in Romanshorn (von seiner Frau zur Verfügung gestellt).

 
Also installierten wir eine Katzenleiter vom Garten zu unserem Balkon rauf, sodass unser Schnurrli, wie wir den Kater nannten, einen Zugang zum oberen Stock bekam. Dort musste Corinne ihn jeweils abholen, wenn sie Schnurrli in der Wohnung haben wollte. Gottlob wusste ich noch nichts über meine Allergien. Ich hatte nur keine Ahnung, wieso mein Blutdruck manchmal dermassen im Keller war, dass ich das Gefühl hatte, ich gehe auf Wolken oder falle demnächst um. Da wir im vorhergehenden Winter bis -30° hatten und praktisch keinen Schnee, schien es, dass sämtliche Mäuse in unser Haus zogen. Es raschelte seither in allen Wänden, und sie fanden bald einmal heraus, wo unsere Küche war. Sie kamen problemlos auch tagsüber zu Besuch und liefen oberhalb der Küchenschranktürchen durch, bis sie etwas Essbares fanden. Einmal war Daniels spätere Freundin, die er in Gstaad kennengelernt hatte, bei uns zu Besuch. Ausgerechnet in dem Moment erwischte Schnurrli eine Maus in der Küche und brachte sie in die Stube. Selbstverständlich spielte sie mit ihr noch das Katz- und Mausspiel: Packen und dann wieder frei lassen, bis die Maus fast ohnmächtig wurde. Die Freundin konnte das schon fast nicht mehr ertragen. So holte Peter ein grosses Fleischmesser und tötete die Maus mit der Rückseite mit einem Schlag. Nun fiel die Freundin erst recht fast in Ohnmacht. Es war für Daniel ein denkbar schlechter Tag, um sein Herzblatt vorzustellen.

Da ich im Januar 1981 Knoten in beiden Brüsten bekam, schickte mich Peter zu einem Arzt in Thun, der wollte sicher sein und wies mich weiter ins Frauenspital nach Bern. Dr. med. Ueli Hermann, ein ehemaliger Assistenzarzt aus Zweisimmen, war nun dort Assistenzarzt, inzwischen ist er Professor und lebt mit seiner Frau Nadja Hermann (ebenfalls ehemalige Assistenzärztin in Zweisimmen) in Biel, und wir treffen sie hie und da im Tessin. Mich untersuchte jedoch der Oberarzt Dr. Walter. Irgendwie war er mir nicht sehr sympathisch, obwohl er mich ganz freundlich begrüsste. Ich war jedoch überglücklich, als er sagte, ich solle zuerst einmal ein Hormongel einreiben, denn ich müsste ja sonst beide Brüste entfernen und das wäre doch schade. Das Hormongel half nicht sehr, aber Peter studierte wie immer wissenschaftliche Berichte und fand in einem, dass Kaffee womöglich der Sündenbock sein könnte. Ich trank damals sicher 6-7 Tassen Kaffee pro Tag. Also gab es künftig nur noch Tee oder Wasser und siehe da, die Knoten verschwanden von selbst. Langsam begann ich zu realisieren, dass ich allergisch war auf gewisse Lebensmittel. Auch meine Migränen wurden zeitweise immer schlimmer. Nach einem Fondue mit Weisswein bekam ich erneut eine schreckliche Attacke. Seither verzichtete ich komplett auf Alkohol und das Kopfweh verschwand zwar nicht ganz, aber die Anfälle waren weniger stark. Ich sollte eben auch noch Milchprodukte meiden, aber darauf kam ich erst viel später. 

Einige Jahre nach meinem Besuch bei Dr. Walter lasen wir in der Zeitung, dass er seine Frau und seine Schwägerin umgebracht, sie zerstückelt und in einem Wald verscharrt hatte. Er entfernte auch vielen Frauen die Gebärmutter oder die Brüste, obwohl es nicht nötig war, nur um bekannt zu werden und als guter Gynäkologe zu gelten. Es wurde sogar über ihn ein Roman geschrieben. Mein misstrauisches Gefühl ihm gegenüber hatte mich nicht getäuscht. Es läuft mir noch immer kalt den Rücken runter, wenn ich daran denke, dass ich es mit so einem schrecklichen Mörder zu tun und mehr als Glück hatte, dass er mich nicht auch operierte.

Ueli Stucki, der Sohn von der Besitzerin unserer Praxis, studierte in Bern ebenfalls Medizin und beendete langsam seine Ausbildung als Arzt. So gab er uns bekannt, dass er auch nach Zweisimmen kommen möchte, um dort als Chirurg tätig zu sein. Wir hatten selbstverständlich nichts dagegen, nur dachten wir logischerweise, er würde gerne in sein Elternhaus einziehen und dort praktizieren. Wir auf der anderen Seite hatten wieder keine Lust, irgendwo im Dorf eine neue Praxis aufzubauen. Also überlegten wir uns, ob wir nicht wieder ins Unterland ziehen sollten, speziell im Hinblick auf Corinnes spätere Schulausbildung, denn bald war es Zeit für sie, das Gymnasium zu besuchen oder was auch immer sie später einmal machen wollte, denn in der Sekundarschule war sie bereits. Da Peter aber noch nicht Schweizer war und er ohne Schweizer Staatsexamen nur in einem Notstandsgebiet die Arztbewilligung bekam, wurde es langsam Zeit, sich um seine Schweizer Staatsbürgerschaft zu bemühen. Corinne riet ihrem Vater schon längst, er sollte endlich schweizerdeutsch lernen, dann wäre er auch Schweizer. So einfach war das aber nicht. Jedenfalls stellten wir in Zweisimmen den Antrag. Es war genau wie im Film „Schweizermacher“. Die ganze Familie wurde auf Herz und Niere untersucht. Sie begutachteten alles, wie wir wohnten, sogar Keller und Estrich wollten sie sehen, ob wir auch genug ordentlich waren, etc. In der Gemeinde gab es deswegen eine spezielle Versammlung, an der abgestimmt wurde, ob die Zweisimmener einwilligten, dass Peter Schweizer wurde. Wir hatten aber das Glück, dass sie nicht dagegen waren. Ein Patient schnitzte für ihn sogar noch ein Holzbrett, das man zum Brot- oder Zopf- (berndeutsch Züpfe) Aufschneiden benützen konnte mit einem wunderschönen Muster versehen und darauf eingeschnitzt: „Zur Einbürgerung in Zweisimmen 1982“.


(23) Geschenk zur Einbürgerung.

Geschenk zur Einbürgerung.

 

Es hängt noch als Andenken in unserer Küche. Diese Hürde hatte er also genommen. Die nächste war aber noch nicht ausgestanden, nämlich das Schweizer Staatsexamen. Er musste sich erkundigen, was dafür alles verlangt wurde und sich dementsprechend dafür vorbereiten, was gar nicht so einfach war nebst all der Arbeit in der Praxis. Ausgerechnet in der Zeit bekam er auch noch Zahnschmerzen. Der Zahnarzt fand aber nichts. Erst als noch hohes Fieber dazu kam, stellte er dann doch eine Zahnwurzelentzündung fest. So musste er Antibiotika und unglaublich hohe Dosen von Schmerzmitteln nehmen, damit er überhaupt fähig war, zu praktizieren. In so einem Zustand sollte er zusätzlich lernen können, und die eine Prüfung über Ohren/Nasen- und Augenheilkunde fand auch noch statt, die er dann aber gottlob trotzdem bestand. Jedenfalls bewältigte er alle Prüfungen und erhielt schlussendlich nebst der Staatsbürgerschaft auch das Diplom des Schweizer Staatsexamens.

Im August 1983 gab es Probleme mit Starky. Er bekam Fieber, hatte Angst vor einer Lungenentzündung und dass er bettlägerig werden könnte sowie für immer ins Pflegeheim wechseln müsste. Dazu hatte er absolut keine Lust. Also beschloss er, nichts mehr zu essen und zu trinken, was Starka gar nicht begreifen wollte und ihn immer wieder versuchte mit einer Suppe oder etwas anderem zum Essen zu animieren. Wir fuhren baldmöglichst nach Lörrach und sprachen mit ihm. Für ihn war es aber klar, er wollte nicht mehr weiter leben und war bereit zu sterben. Peter teilte also der Altersheimleitung mit, dass sie seinen Willen akzeptieren müssen und ihn auch nicht künstlich ernähren dürfen. Er dachte, weil er schon so alt sei, dass es nicht mehr allzu lange dauern wird. Leider war dem aber nicht so. Er konnte sogar am 31. August noch seinen 89. Geburtstag feiern, an dem er ausnahmsweise akzeptierte, mit einem Gläschen Sekt darauf anzustossen. Nachher wollte er aber wieder strikte nichts mehr trinken. Er war selten so gut gelaunt und aufgestellt wie in der Zeit seines Abschieds. Am 13. September 1983 schloss er dann für immer seine Augen. Wir gönnten es ihm, dass er seinen Plan bestens zu Ende bringen konnte. Starka war dann für eine Weile bei uns, bis sie sich etwas gewöhnte hatte, alleine zu sein.


(24) Foto von Corinne Marko und ihrem Vater in der Praxis in St. Gallen im Jahre 2006 mit Dank für Bewilligung des Fotografen Daniel Ammann.

Foto von Corinne Marko und ihrem Vater in der Praxis in St. Gallen im Jahre 2006 mit Dank für Bewilligung des Fotografen Daniel Ammann.

Corinne erinnerte sich 2006 an ihre Zeit in Zweisimmen (Tagesanzeiger vom 9. März 2006, in einem Artikel von Daniel Böniger):

"Mein Vater war der typische Landdoktor. Und als seine Tochter wurde ich natürlich schon einer bestimmten sozialen Schicht zugeordnet. Meine Spielkameraden waren die Lehrerskinder und die Söhne des Pfarrers. Bei Bauernkindern war ich nie zu Hause eingeladen.

Ich glaube schon, dass mich der Beruf des Vaters geprägt hat. Ich habe beispielsweise sehr lange überlegt, ob ich Heilpädagogin werden soll. Als Kind hatte ich eine Zeit lang mein eigenes kleines Spital, wo ich Schmetterlinge und halb tote Mäuse gesund pflegte. Wenn es für ein Tier keine Hoffnung mehr gab, schläferte ich es mit Äther ein. Andere Kinder hätten es in dieser Situation wohl einfach totgeschlagen. An einen Zwischenfall aus meiner Kindheit kann ich mich noch sehr genau erinnern: Meine Eltern waren in der Oper, ich war allein zu Hause. Da klingelte es, und als ich die Tür aufmachte, stand eine tränenüberströmte Frau vor mir. Ihr Mann sei am Sterben, sagte sie schluchzend. Ich erklärte ihr, dass mein Vater nicht da sei und sie zum Dienst habenden Arzt gehen müsse. Danach war ich aufgelöst, dachte, ich wäre schuld, wenn der Mann sterben würde. Und ich war wütend auf meinen Vater, weil er nicht da war, als er gebraucht wurde.
Corinne Marko ist 31-jährig und arbeitet als Künstlerin und Zeichenlehrerin."

Die Jahre in der Praxis - Romanshorn
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8.  Die Jahre in der Praxis - Romanshorn

Wir erfuhren von meiner Schwester, dass man in Romanshorn günstig ein Grundstück kaufen konnte. Schon früher verbrachten wir einmal unsere Ferien im Hotel Inseli, also übernachteten wir auch diesmal wieder dort und schauten uns das Grundstück an. Wir waren nicht abgeneigt, denn das Bauland war nicht weit vom See und auch nahe bei den Tennisplätzen, ausserdem hatte Romanshorn eine Kantonsschule, die Corinne eventuell besuchen konnte, ein Grund mehr, es zu kaufen. Es blieb aber noch eine weitere Hürde: die Bewilligung, um in Romanshorn eine Praxis führen zu dürfen. Immerhin zwei sogenannte Göttis hatte Peter in Romanshorn und Umgebung: Dr. med. Jaro Wiesner, den Peter als Assistent in der Slowakei kennen und schätzen lernte und unser Freund aus der Pflegerinnenschule, Dr. med. Urs Kissling, der in Salmsach eine Praxis hatte. Die anderen Aerzte waren aber trotzdem dagegen. Wir bekamen zwar ein Karenzjahr, hatten aber die Möglichkeit, ein Jahr lang gratis zu arbeiten, d.h. ohne Krankenkassenabrechnungen. Anschliessend musste die Aerztegesellschaft Peter die Praxisbewilligung erteilen.
 
Am 70. Geburtstag meiner Mutter hatten wir wieder die Gelegenheit, in die Ostschweiz zu fahren, denn auf dem Flugplatz Sitterdorf gab es ihr zu Ehren ein grosses Fest. Mein Bruder Karl machte mit ihr sogar einen Rundflug in einem Kleinflugzeug, und sie hatte den Mut auch einzusteigen.


(1) 70. Geburtstag von meiner Mutter; links Mutter mit Karl, rechtes Bild hintere Reihe von links: Vater, Onkel Emil, Onkel Walter, Onkel Hans (Mann von Grossmutter); 2. Reihe von links: Tante Rösli (Frau von Onkel Walter), Tante Emma (Frau von meinem Götti), Mutter, Tante Berta (Frau von Onkel Emil), vorne links Tante Rosa (meine Gotte), Starka.

70. Geburtstag von meiner Mutter; links Mutter mit Karl, rechtes Bild hintere Reihe von links: Vater, Onkel Emil, Onkel Walter, Onkel Hans (Mann von Grossmutter); 2. Reihe von links: Tante Rösli (Frau von Onkel Walter), Tante Emma (Frau von meinem Götti), Mutter, Tante Berta (Frau von Onkel Emil), vorne links Tante Rosa (meine Gotte), Starka.

  

Peter hielt damals folgende Rede:

Meine Frau Silvia hat mich zwar gewarnt, ich solle lieber keine Rede halten, da ich mir wieder nur auf allen Seiten Feinde verschaffe, aber ich glaube, sie schliesst es aus ihren Erfahrungen mit eigenen öffentlichen Auftritten. Ich muss zugeben, diese Gefahr ist gross, wenn man über die Schwiegermutter reden will, aber wie die Anrede zeigt, bist Du, liebe Jubilarin, durch Deine vornehme Zurückhaltung als die liebe, gütige Grossmutter, zu der man wie unter die Flügel einer Glucke flüchtet, in unserer Familie präsent.


(2) Peter redet.

Peter redet.

 

Nicht, dass diese Rolle problemlos wäre. Ich begann unsere Ehe, noch unerfahren wie ich war, in der, wie sich immer mehr zeigt, irrigen Meinung, der Ehemann und Vater habe in der Familie das entscheidende und womöglich auch das letzte Wort. Als ich irgendeinen Entschluss fasste, irgendeine Entscheidung traf, etwas verkündete, was zu folgen gewesen wäre, protestierte Silvia damals noch nicht viel, aber der kleine Dani meldete sich mit immer demselben Wortlaut: „Die Grossmutter sagte… man solle es anders machen“ oder „Die Grossmutter sagte… man darf das nicht“ oder „Die Grossmutter … usw. Ich schluckte ein paar Mal leer und sagte nichts, aber es kochte in mir. Ich dachte, auch falsch, man solle ein Kind einheitlich, in einer Doktrin erziehen und nicht mit verschiedenen Meinungen und Richtlinien verwirren.

Als die Berufungen auf Grossmutter immer häufiger wurden, kein Ende nahmen, ich mich immer eingeengter fühlte, nach mehreren schlaflosen Nächten, wagte ich mit unsicherer Stimme einzuwenden: „Die Grossmutter kann sich auch irren, sie muss nicht immer recht haben.“ Diese ketzerische Verkündigung wurde mir nicht geglaubt und es fingen lange Diskussionen darüber an.


(3) Dani.

Dani.

 

Ich dachte, diese unangenehme, verzwickte Situation entstand dank besonderen Umständen unter denen unser Daniel aufgewachsen war und mit Corinne werde ich es tunlichst vermeiden. Zu meiner unangenehmen Ueberraschung war einer ihrer ersten, äusserlich scheinbar sinnvollen Sätze: „Aber die Grossmutter sagte...“.

Diese Stellung der Grossmutter in unserer Familie, etwas zwischen dem lieben Gott und uns einfachen Menschen, hat sicher viele Gründe. Eine der wichtigsten scheint mir ihre unerschütterliche Sicherheit, mit der sie zu ihren Meinungen steht. Wie könnte sie auch sonst ihre neun Kinder zu anständigen, geraden, festen Menschen erzogen haben? Hätte sie gezweifelt, wäre sie verzweifelt. Soweit ich die Familie überblicke hat diese Eigenschaft, diese tiefe Zuversicht und innere Sicherheit, diese seelische Robustheit von den Enkelkindern die Tamara geerbt.

Erlaubt mir noch eine der vielen wichtigen, guten und besonderen Eigenschaften unserer Jubilarin kurz zu betrachten – die Liebe zum Detail. Sie äussert sich nicht nur in den wunderschönen Bildern, ob auf Leinen oder auf einem alten Schrank, sondern auch in den Schilderungen der verschiedenen abenteuerlichen Touren, ob zu Fuss oder auf den Brettern. Die Grossmutter kann sich zu richtigen Empörungen ereifern über die Basler, die die Loipe bei dem dritten Baum, hinter der zweiten Sennhütte, nach der vierten Kurve ohne Sinn und Zweck durchquert haben, weshalb sie bei der steilen Abfahrt dort gestürzt sei. Es habe ihr nichts gemacht, sie sei sofort aufgestanden und habe das winzige Löchlein mit Schnee ausgeglichen, nicht wie die Holländer, die überall ihre Badewannen hinterliessen, die man dann slalomartig umfahren müsse. Sowieso machen die anderen die Loipe nur kaputt. Bei diesen Schilderungen bekommt man Lust, die Loipe einmal auch selbst durchzulaufen, nicht wegen dem Genuss oder der Gesundheit, sondern dass man bei der Erzählung nächstes Mal mitkommt.

Ich sollte meine Bösartigkeiten lieber beenden, sonst hat Silvia wieder einmal recht, ich schaffe mir nur Feinde.


(4) Mutter und Tochter

Mutter und Tochter

   
Ich wünsche Dir, liebe Grossmutter noch viele Jahre Gesundheit, dass Du mit Deiner Vitalität, Deiner Lebenslust nachholen kannst, was Du früher versäumt hast und Deine künstlerischen Fähigkeiten weiter entfalten kannst. Ich wünsche Dir noch viele schöne und interessante Konzerte mit Deinem Chor, viele schöne Bilder, den fruchtbarsten Garten, viele schöne Bergtouren, Ferien an langen, ruhigen Sandstränden, hunderte Kilometer von frischen, jungfräulichen Loipen. Bei Deinem achzigsten Geburtstag, denk, werden Urgrosskinder dabei sein.“



(5) Grosseltern mit Kindern und Grosskindern.

Grosseltern mit Kindern und Grosskindern.

 

Corinne wäre am liebsten schon damals in der Ostschweiz geblieben, denn es gefiel ihr sehr, mit den vielen Cousinen und Cousins herumzutollen.


(6) Grossvater mit Grosskindern: Links Tamara, Mireille, Corinne, Michi: rechts von links Grossmutter (abgeschnitten), Tamara, Michi, Grossvater, vorne Marco und Marcel, hinten Pirmin, Corinne, Onkel Hans.

Grossvater mit Grosskindern: Links Tamara, Mireille, Corinne, Michi: rechts von links Grossmutter (abgeschnitten), Tamara, Michi, Grossvater, vorne Marco und Marcel, hinten Pirmin, Corinne, Onkel Hans.


Wir beschlossen also, definitiv im Herbst 1986 nach Romanshorn umzuziehen, damit wir aber ein Haus bauen konnten, mussten wir die Wohnung in Montreux verkaufen. Darüber war Corinne gar nicht begeistert. Sie weinte, bettelte und flehte. Sie würde uns das ganze Geld auf ihrem Sparbuch schenken, wenn wir nur Montreux nicht verkaufen würden. Es tat uns ja selbst leid, aber von Romanshorn wären wir wohl kaum nach Montreux in die Ferien gefahren. Es hätte dann nicht mehr den gleichen Zweck erfüllt wie von Zweisimmen aus. Zudem war Romanshorn auch an einem See.


(7) Haus nach dem Bau und später.

Haus nach dem Bau und später.

 

Peter konnte dort genau so gut surfen und das sogar in nächster Nähe. Ausserdem benötigten wir das Geld für den Hausbau. Wir gaben dem Sanitärgeschäft meiner jüngeren Brüder, den Auftrag, für uns dort ein Haus zu bauen. Vorläufig arbeiteten wir aber weiter in Zweisimmen. Zwischendurch pendelten wir hin und her, um für den Bau alles Mögliche auszusuchen und mitzubestimmen (mein Bruder Peter half uns sehr dabei), da wir auch noch eine moderne Heizung installieren wollten, nämlich mit Bodenwärme und Solarzellen, für die meine Brüder auch zuständig waren. Gottlob konnten wir uns komplett auf sie verlassen und auf den von ihnen empfohlenen Architekten. Es entstand ein wunderschönes Haus mit einem Turm, in dem sich Peter seinen Arbeitsplatz einrichten wollte, mit Blick auf den See.


(8) Peter im Turm.

Peter im Turm.

 

Inzwischen hatte mein Vater ein Inserat in der Thurgauer Zeitung entdeckt, in der eine Wohnung in Romanshorn vis-à-vis des Einkaufszentrums ausgeschrieben war, die er für eine Praxis ideal fand. Auch diese begutachteten wir und lernten so unsere Vermieter kennen, die unsere späteren Patienten wurden. Selbstverständlich musste diese Wohnung in eine Praxis umgewandelt werden. Im Röntgenzimmer wurden alle Wände und Decken isoliert, damit alle Nebenräume wegen der Röntgenstrahlen abgeschirmt waren. Ausserdem entstanden je ein Empfangs-, Sprech- und Wartezimmer sowie aus der Küche ein Labor.


(9) Praxishaus (Praxis im Erdgeschoss, darüber Wohnung des Besitzers Herrn Lenggenhager).

Praxishaus (Praxis im Erdgeschoss, darüber Wohnung des Besitzers Herrn Lenggenhager).

Starka, als erfahrene Frau eines Spediteurs, riet uns, lieber eine Umzugsfirma in Romanshorn zu nehmen, denn so hätten sie die Möglichkeit, zuerst das Haus anzuschauen und je nachdem, wohin die Möbel und die Einrichtungen gehen, die Umzugswagen zu laden. Wir erfuhren, dass es in der Nähe von unserem neuen Heim so ein Unternehmen gab. So rief ich dort an und verabredete gleich einen Termin. Später stellten wir fest, dass der Geschäftsführer auch im Holzensteiner Verein war, dem wir später ebenfalls beitraten (unser Haus gehörte zu Holzenstein, ein Quartier von Romanshorn), in dem wir schöne Stunden verbrachten und wieder viele Leute kennen lernten. Er kam nach Zweisimmen und schaute sich alles an. Ich sagte ihm, dass es mir schon Kummer mache, nicht nur den privaten Teil, aber auch noch die ganze Praxis umzuziehen samt der ganzen Apotheke, dem Labor und den beiden Sprechzimmern. Peter hatte absolut keine Zeit, bei der Packerei zu helfen. Er beruhigte mich sofort. Das sei kein Problem. Dafür sei er ja zuständig. Wir entschlossen uns, zuerst einmal die Wohnung plus Estrich und Keller nach Romanshorn zu befördern und erst wenn wir dort eingerichtet waren, noch die Praxis umzuziehen. Peter war für seine Patienten weiterhin da, während ich nebenbei packte. Schlussendlich am Umzugstag, nachdem alles in zwei Lastwagen verpackt worden war, fuhren Daniel (gottlob half er beim Ein- und Ausladen auch kräftig mit) und ich mit unserem sogenannten Privatauto ebenfalls nach Romanshorn. Dieses zweite Auto erstanden wir uns, als Daniel die Fahrprüfung machen wollte. So konnte ich ihm das Fahren etwas beibringen. Mit dem Praxiswagen wäre dies ja nicht möglich gewesen, und Daniel benützte es später für den Ausgang. Es war knallgrün und daher nannten wir es „Frosch“, und machte angeblich Daniel im ganzen Saanenland berühmt.

Wir prüften nochmals, ob überall alles in Ordnung und bereit war und schon kamen auch die Umzugsmenschen, und es begann ein hektisches Treiben. Am Abend war aber alles an Ort und Stelle, wo es sein sollte. Wir konnten uns für die Nacht unsere Betten bereit machen, denn abends wollten wir nicht mehr zurückfahren. Wir hätten uns ja gerne in Romanshorn etwas ausgeruht und das schöne Haus auch genossen, aber in Zweisimmen erwartete uns nochmals ein Berg von Arbeit. Peter beendete inzwischen seine Praxistätigkeit. Er verabschiedete sich von allen Mitkämpfern im Spital und natürlich auch von all seinen Patienten, die mehr als traurig waren, dass er wegzog. Die Praxis- und Wohnräume übergaben wir wieder Ruth Stucki, die sie dann für ihren Sohn bereitstellte. Dank unseren Helfern bewältigten wir auch diesen Umzug bestens. Wir waren glücklich, dass alles so gut klappte.

Einen bedeutenden Abschnitt in unserem Leben hatten wir somit beendet, worüber wir  stolz sein konnten. Es war der Beginn einer eigenen Praxis unter anspruchsvollen Bedingungen. Nun begann eine etwas ruhigere Zeit in Romanshorn. Mit sämtlichen Nachbarn hatten wir sofort guten Kontakt, den wir sogar noch heute pflegen, obwohl wir schon seit 18 Jahren nicht mehr dort wohnen. Es gab zwar nicht viele Familien mit Kindern im Quartier, aber Corinne fand dennoch bald gute Freundinnen in der Schule. In Zweisimmen war sie eigentlich bereits in der Sekundarschule. In Romanshorn musste Corinne wegen der verschiedenen Schulsysteme nochmals für ein halbes Jahr in die Primarschule. Sie war froh, dass sie einen netten Lehrer hatte und in der Klasse gut aufgenommen wurde. So versprach sie ihren neuen Freundinnen bald, dass sie in den kommenden Schulferien ihre Haustiere hüten werde, darunter waren ein paar Mäuse, ein Meerschweinchen, die wir im Büro im Keller unterbrachten und einen Papagei, dessen Käfig wir im Wohnzimmer aufstellten, da wir dachten, dass er doch etwas mehr Gesellschaft brauchte. Es dauerte nicht lange, und ich fing an zu husten. Das schien mir komisch, da ich mich nicht erkältet hatte, und sobald ich mich ausser Haus aufhielt, ging es mir besser. Der Husten blieb, selbst als die Tiere wieder bei ihren Eigentümern waren. Als unser Nachbar jedoch seinen Papagei mit seinem Käfig vor seiner Tür in den Garten stellte und ich praktisch nebenan in meinem Gemüsegarten arbeitete, begann ich auch wieder zu husten. Daher kamen wir auf die Idee, dass mein Husten etwas mit den Tieren zu tun haben könnte. Also liess ich wieder alle Vorhänge reinigen, obwohl wir dies erst gerade vor dem Umzug gemacht hatten, dasselbe mit den Teppichen. Selbst jedes einzelne Buch im Büchergestell wischte ich feucht ab. Auch mein Büro im Keller putzte ich mehr als gründlich. Nach all diesen Massnahmen hörte auch mein Husten auf. Trotzdem bekam ich eines Morgens wieder ein knallrotes Gesicht. Auch die Arme wurden rot, nachdem ich ein Stück Brot mit Sesam zum Frühstück gegessen hatte. Peter war schon in der Praxis. Also rief ich ihn dort an, er kam sofort und gab mir eine Antihistamin-Spritze, darauf verschwand der Ausschlag. So wussten wir, dass es eine Allergie war, aber auf was, war uns noch nicht klar. Als ich erneut einen Ausschlag bekam, hatte Peter diesmal keine Zeit, zu kommen. Nach einer Weile verschwand er jedoch von selbst. Peter liess dann mein Blut untersuchen, und es wurde festgestellt, dass ich keine IGE-Allergie auf Sesam hatte, die damals einzig als Allergie galt, die selten sogar lebensgefährlich sein kann. Einmal las ich in einem Gesundheitsheftchen von einem Arztehepaar in München, die auch IGG-Bestimmungen im Blut untersuchten. Wir meldeten uns zu einem Kurs in München an. Sie konnten in meinem Blut feststellen, wie ich auf welche Lebensmittel mit einer IGG-Allergie reagierte. Auch von manchen Patienten in der Praxis liess Peter dann das Blut in München bestimmen, die merkten, dass sie nach dem Essen Probleme bekamen, aber sie wussten nicht, welche Nahrungsmittel schuld waren.

Kaum hatten wir uns an der Hinterlohstrasse 13 niedergelassen, wurden wir schon von einem ehemaligen Kantonsschullehrer Dr. Hans Bänziger und seiner Frau Claire Bänziger eingeladen. Sie hatten ein Haus direkt am See, waren also nicht unmittelbare Nachbarn. Sie hörten aber von unserem Zuzug und wollten, dass wir uns in Romanshorn baldmöglichst heimisch fühlten. Daraus wurde auch eine spezielle Freundschaft, die bis zu ihrem Tod dauerte. Wir wurden auch Mitglied des Clubs 55, den Hans Bänziger zusammen mit anderen Freunden und Bekannten gegründet hatte. Wir trafen uns meistens im Schloss Hagenwil. Nach einem feinen Abendessen hielt jedes Mal ein Mitglied einen interessanten Vortrag. Unter den Mitgliedern waren Kantonsschullehrer, Psychiater, ein Augenarzt, ein Künstler, ein Allgemeinpraktiker, ein Spitalingenieur usw. Es war also immer spannend zu hören, was jeweils vorgetragen wurde.


(10) Dani und Corinne in der Stube vor dem Cheminée; Corinne in ihrem Zimmer.

Dani und Corinne in der Stube vor dem Cheminée; Corinne in ihrem Zimmer.

  

Die Praxis richteten wir zwar baldmöglichst ein, aber einen grossen Ansturm erwarteten wir nicht, da wir ja ein Karenzjahr hatten, das hiess, wir durften zwar Notfalldienste machen und diese normal abrechnen, jedoch wir bekamen keine Bewilligung, für die laufenden Behandlungen der Patienten die Rechnungen an die Krankenkassen zu stellen. Also klärten wir alle unsere Patienten darüber auf, dass wir ihnen im ersten Jahr nur diesen Prozentsatz abrechnen würden, den sie normalerweise der Krankenkasse bezahlen müssten. Erstaunlicherweise meldeten sich trotzdem immer mehr Patienten. Es blieb uns jedoch genug Zeit, uns daran zu gewöhnen, dass wir nicht mehr von der Wohnung schnell runter in die Praxis konnten. Wir wohnten doch etwa 1 km vom Dorf entfernt. Peter benützte das Auto, damit er für jeden Notfall bereit war. Ich übte mich hingegen wieder im Velofahren. Das war nicht nur praktisch, um schnell an den Arbeitsort zu gelangen, man konnte auch am See entlang schöne Ausflüge machen.

Gottlob hatten wir noch nicht allzu viel zu tun, denn Peter bekam Probleme mit seinen Leistenbrüchen. Er fuhr deswegen nach Bad Lauterberg in Deutschland, weil er erfuhr, dass dort ein Kollege ohne Operation Leistenbrüche heilen konnte. Er musste aber vier Wochen dort verbringen, nur war leider die Kur nicht erfolgreich, weil die alten Brüche bereits mit der Umgebung verwachsen waren. Jahre später wurde er mit der neuen Methode mittels Bauchspiegelung beidseits von den Brüchen befreit.

Während Peter in Bad Lauterberg weilte, wurde es mir nicht langweilig, denn der Garten wollte ebenfalls instand gestellt werden. Ich pflanzte vor allem ein paar Beerensträucher, denn Peter liebte es über alles, die Beeren direkt ab Strauch zu essen. Entlang dem Eingangsweg liessen wir Rosenstöcke einpflanzen, um die er sich später kümmerte. Es war für ihn jeweils eine Erholung von der Praxis. Meine Eltern gaben mir noch Krokuszwiebeln für den Rasen vor dem Haus. Sie halfen mir auch, sie einzustecken und neben der Küche den Gemüsegarten zu gestalten und zu bepflanzen. Damit der Monat für Peter nicht allzu lange wurde, besuchte ich ihn nach zwei Wochen und verbrachte ein verlängertes Wochenende in Bad Lauterberg, während meine Eltern bei Corinne weilten. Es ist ein reizendes Städtchen in einer sehr schönen Umgebung. 

Der Arzt aus Egnach, Dr. med. Rolf Streckeisen, bat Peter zu Beginn, ob er ihn nicht vertreten könnte, er würde gerne in die Ferien. Susanne Brunschweiler arbeitete bei ihm als Praktikantin und fragte Peter während der Zeit direkt, ob er sie nicht als Arztgehilfin einstellen könnte. So hatten wir Glück und bekamen noch dazu eine gute Arbeitskraft, die bei uns blieb, bis sie heiratete. Von ihrem Vater haben wir immer noch ein selbstgemaltes Bild vom Schloss Romanshorn. Wir waren kein schlechtes Team. Sie half Peter, machte das Labor, konnte auch Röntgenbilder und EKGs anfertigen, so dass ich vor allem den Empfang bediente, abrechnete und Berichte schrieb.

Wir lebten uns bestens ein in Romanshorn, immerhin kannten wir hier ja schon zwei Arztfamilien. Das Jahr ohne Krankenkasse ging schnell vorüber und bald hatten wir wieder mehr als genug zu tun. Auch die anderen Kollegen lernten wir mit der Zeit kennen. Wir kamen mit allen gut aus.

Wir freuten uns schon, dass wir nun den Tennisplatz ganz in unserer Nähe hatten und wir öfters spielen konnten, da bekam ich im linken Knie einen Meniscus. Das rechte Knie hatte ich ja schon mit 20 Jahren operiert. Nur damals erhielt ich noch eine Narkose bei einer solchen Operation. Nun wollten sie nur noch eine Spritze ins Rückenmark geben. Inzwischen war ich aber auf die bekanntesten Lokalanästhetika wie Lidocain und Procain überempfindlich. Genau in der Zeit veröffentlichte der Orthopäde des Kantonsspitals Münsterlingen in der Schweizer Illustrierten einen Artikel, es gäbe viel weniger Gelenkprobleme, wenn man gemässigter Fleisch essen würde. Das musste man mir nicht zweimal sagen. Sofort hörte ich damit auf und siehe da, nach einem halben Jahr war mein Knie wieder in Ordnung. Ich konnte wieder Velo sowie Ski fahren, nur zum Tennisspielen kamen wir aus Zeitgründen kaum mehr dazu. 

Corinne hatte das Vergnügen, 1987 nochmals die Aufnahmeprüfung für die Sekundarschule zu absolvieren. Sie bestand sie problemlos. Herr Abgottspon, Ihr Lehrer, war immer sehr begeistert von ihren Aufsätzen. Wie es sich mit der Zeit herausstellte, hatte Corinne keine Lust, die Kantonsschule zu besuchen, sie wollte lieber Lehrerin werden, wahrscheinlich spürte sie, dass sie in diesem Beruf ihre Kreativität am besten ausleben konnte, nur hatte sie Bedenken, ob sie den Test bestehen würde, da sie kein Musikinstrument spielte. Da wir von meinen Eltern ein Klavier bekamen, das sie von einer netten Dame erbten, nahm sie baldmöglichst Klavierstunden. Wir fanden sogar einen Lehrer, der bereit war, sie noch zu unterrichten. Einige meinten, sie sei schon zu alt dafür. Auch bezüglich Sport machte sie sich Sorgen. Sie vergass aber, dass sie dank Zweisimmen ein gutes Training im Schwimmen und Skifahren hatte.


(11) Andrea Bock in Romanshorn.

Andrea Bock in Romanshorn.

  
Im Sommer 1989 kam Andrea Bock, Tochter von Peters Freund Duro Bock noch aus der Zeit der Volksschule in Martin, Slowakei, für zwei Wochen zu uns in die Ferien. Corinne genoss die Zeit sehr mit ihr. Ich brachte Andrea dann mit Jolanda und Corinne zurück nach Bratislava.


(12) Mit Andrea auf der Heimreise in Wien.

Mit Andrea auf der Heimreise in Wien.

 

Am 10. und 11. Januar 1990 bewältigte Corinne die Aufnahmeprüfungen für das Seminar Kreuzlingen problemlos. Am 20. Januar 1990 bekam sie von der Seminardirektion bereits die Bestätigung. Sie hatte während der ganzen Seminarzeit keine Probleme mit irgend einem Fach. Ihr Turnlehrer konnte nicht begreifen, wieso sie beim Schwimmen und Skifahren so gut war, besser als alle anderen, in der Gymnastik aber so mittelmässig. Er zweifelte, ob sie sich auch wirklich genug Mühe gab. Sie hätte aber sicher keine Turnlehrerin abgegeben. Dieses Fach lag ihr schlichtweg nicht.

Ende März 1990 bekamen wir in der Praxis den ersten Computer, vor allem für die Arztgehilfin und mich zum Abrechnen. Das war eine gewaltige Umstellung, nach der Eingewöhnung auch eine fantastische Erleichterung. Allerdings die Terminplanung wollten wir sicherheitshalber beim alten System belassen. Schliesslich kam es genug oft vor, dass der Computer aus irgend einem Grund nicht funktionierte, das hätte dann den ganzen Praxisablauf durcheinander gebracht. Wie ich schon in unserem Weihnachtsbrief schrieb, wünschten wir uns noch ein besseres Textverarbeitungsprogramm, was uns Daniel, unser Computerspezialist, bald zu installieren versprach, vor allem deshalb, damit Corinne ebenfalls für ihre Schule darauf arbeiten konnte.

Wir erlebten in diesem Jahr eigentlich nichts Weltbewegendes, ausser dass Peter im Oktober das erste Mal nach 23 Jahren in der Tschechoslowakei war anlässlich eines Treffens der Hochschulabsolventen, was er auf der einen Seite sehr aufregend fand, auf der anderen Seite stimmten ihn gewisse Zustände dort traurig. Die Praxis lief nun gottlob zufriedenstellend. In den letzten Schulherbstferien, als die meisten Aerzte in den Ferien waren, hatten wir einen solchen Ansturm wie in den schlimmsten Zeiten in Zweisimmen.

Vorläufig wohnte Corinne noch zu Hause und pendelte zwischen Kreuzlingen und Romanshorn. So hatte sie auch Gelegenheit, ihre Schulkameraden besser kennen zu lernen. Am 10. Juni 1990 feierten wir ihre Konfirmation.


(13) Corinne nach der Konfirmation; Festgesellschaft von links vorne Corinne und Starka, 2. Reihe Frido (Götti), Maria (Gotte), Silvia, Grossmutter, Tante Marthe; 3. Reihe Angelo (Cousin), Jolanda (Cousine), Daniel, Ursula (Freundin von Daniel), Grossvater.

Corinne nach der Konfirmation; Festgesellschaft von links vorne Corinne und Starka, 2. Reihe Frido (Götti), Maria (Gotte), Silvia, Grossmutter, Tante Marthe; 3. Reihe Angelo (Cousin), Jolanda (Cousine), Daniel, Ursula (Freundin von Daniel), Grossvater.

 

Da auch bei Corinne die Pubertät keine Ausnahme machte, fand Peter, es sei besser, wenn sie sich selbständig machen und in Kreuzlingen ein Zimmer nehmen würde. Sie überlegte also, mit wem sie zusammen ziehen könnte und begann mit der Suche nach einer geeigneten Wohnung, was nicht so einfach war. So wie wir uns bei Daniel schon Sorgen machten bezüglich Rauchen und vor allem Drogen (es kifften damals schon einige im Internat), so hatte ich schlaflose Nächte, wenn ich hörte, wie viele Kolleginnen und Kollegen von Corinne kifften oder ziemlich Alkohol tranken. Ich schrieb ihr sogar einmal einen Brief deswegen. Corinne hatte aber mich geerbt, sie merkte, dass sie den Alkohol nicht sehr ertrug und trank daher auch kaum etwas davon. Es machte ihr nichts aus, wenn die anderen becherten. Sie konnte sich mit ihnen besser unterhalten, als mit den extrem Religiösen, die sogenannten Fischli-Typen. Aber wie meine Mutter sich umsonst bei mir sorgte, so war es nun dasselbe mit ihr.

Im Juli 1990 flogen wir für eine Woche nach Irland, weil wir Corinne mit Peters Verwandten Jean, Eric, sowie ihren beiden Töchtern Helen und Alison bekannt machen wollten, damit sie dort ihre Sommerferien verbringen konnte. So hatte sie die Möglichkeit, gleichzeitig etwas Englisch zu lernen. Sie genossen jedenfalls die Zeit sehr zusammen. Wir benützten die Gelegenheit und reisten noch auf die andere Seite des Landes, besuchten auch einige schöne Strände im Süden der Insel. Der Westen und der Süden dieses Landes scheint noch so unverdorben zu sein, wie hier vielleicht vor 40 oder 50 Jahren. Zum Baden war das Wasser aber doch meistens zu kalt. Beeindruckend für uns war, dass es in der Trinity College Library praktisch die gleiche Bibliothek gibt wie die Stiftsbibliothek in St. Gallen, nur grösser, aber absolut der gleiche Stil.


(14) Unser Aufenthalt in Irland. Von links Peter, Gerty, Jean, Silvia, Alison, Corinne. Rechtes Bild: v. l. Corinne, Helen + Jean.

Unser Aufenthalt in Irland. Von links Peter, Gerty, Jean, Silvia, Alison, Corinne. Rechtes Bild: v. l. Corinne, Helen Jean.


Kaum kamen wir von Irland nach Hause, besuchten uns Peters Cousinen Darina und Katka mit ihren beiden Töchtern.


(15) Linkes Bild: v.l. Darina, Peter, Silvia, Corinne, Katka. Rechtes Bild: Corinne mit Sarah und Vanessa.

Linkes Bild: v.l. Darina, Peter, Silvia, Corinne, Katka. Rechtes Bild: Corinne mit Sarah und Vanessa.

  
Im Herbst waren wir für zwei Wochen mit meinen Eltern in Tarasp im Engadin, ebenfalls noch ein unverändertes, hübsches Dörfchen. Eigentlich wollten wir mit ihnen nach Kreta fliegen, vor allem Peter sollte als Hausarzt dabei sein. In Anbetracht der damals kritischen Lage in der Golfregion zogen wir es vor, unsere Ferien umzubuchen. Meine Mutter hatte hie und da Herzbeschwerden sowie Durchblutungsstörungen, die aber unter Peters Obhut keine zu grossen Probleme machten. Nur bemerkte man damals schon erste Anzeichen
ihrer beginnenden Demenz, speziell beim Whistspielen. Grössere Sorgen bereitete uns jedoch mein Vater, bei dem man Prostatakrebs entdeckte. Da er bereits Ableger hatte, war es für eine Operation zu spät. Er ertrug aber die 37 Bestrahlungen, die er über sich ergehen lassen musste, sowie die Einnahme der Medikamente gut. Es ging ihm sogar wider Erwarten besser als gedacht. Wir hofften natürlich, dass es noch lange so bleiben wird. 


(16) Links Grossvater, Peter, Grossmutter auf unserer Wanderung in Tarasp, Mitte: Grossmutter und Grossvater vor Ruinen, rechts: Grossvater, Grossmutter und Peter beschäftigt mit einer Ziege auf einer Restaurant-Terrasse.

Links Grossvater, Peter, Grossmutter auf unserer Wanderung in Tarasp, Mitte: Grossmutter und Grossvater vor Ruinen, rechts: Grossvater, Grossmutter und Peter beschäftigt mit einer Ziege auf einer Restaurant-Terrasse.

  

Zufälligerweise verbrachte Corinne ihre Mal- und Wanderwoche mit dem Lehrerseminar Kreuzlingen ebenfalls in Tarasp und zwar nur eine Woche später als wir. Sie war genauso begeistert von der schönen Umgebung. Sie wurde im Seminar ziemlich gefordert, ob sie es fünf Jahre aushalten wird, wussten wir noch nicht. Sie verliess Romanshorn meistens mit dem 07.00 Uhr-Zug und kam erst abends nach 19.00 Uhr nach Hause, zweimal in der Woche sogar erst nach 22.00 Uhr, wobei anschliessend noch Aufgaben zu bewältigen waren. Die Knaben hatten es leichter, da sie dort wohnen konnten (früher schien es nur Lehrer gegeben zu haben), die Mädchen mussten sich entweder eine Wohnung suchen, die es aber kaum in der Nähe der Schule gab oder sie pendelten eben. In sprachlicher Hinsicht konnte sie dieses Jahr ziemlich profitieren, zuerst im Sommer in der englischen Sprache während ihres Irlandaufenthaltes, dann im Herbst im Französischen, da sie von der Schule aus verpflichtet waren, einen vierzehntägigen Landdienst in der welschen Schweiz zu absolvieren.

Daniel studierte immer noch an der ETH in Zürich. Diesen Sommer arbeitete er als Praktikant in der Elektrowatt in Zürich, so konnte er auch wieder einmal das schöne Wetter geniessen und musste nicht dauernd hinter seinen Büchern sitzen wie üblicherweise, weil ja meistens im Herbst die Prüfungen stattfanden. Als Werkstoffingenieur wäre er im kommenden Frühjahr fertig geworden, nun hatte er aber noch Betriebswirtschaft dazu genommen. Also harrte er noch etwas aus. Mit seinen bald 26 Jahren hätte er nichts dagegen, endlich zu den normal arbeitenden Leuten zu gehören.

Die Weihnachtsferien 1990/1991 genossen wir wieder wie im Jahr zuvor in Engelberg. Daniel und Corinne waren ebenfalls mit von der Partie, da unsere Freunde Guido und Micheline mit Nicole und Alain (Bekannte aus unseren Ferien auf Comino bei Malta) in der Zeit auch immer in ihrer Ferienwohnung weilten. Somit war auch für die jungen Leute für Unterhaltung gesorgt. Ausserdem konnte man dort trotz der letzten prekären Schneeverhältnisse skifahren. Sogar Peters Mutter, die mit ihren bereits 87 Jahren noch sehr vital und unternehmungslustig, geistig wie körperlich in einer ausserordentlich guten Verfassung war (sie reiste noch alleine mit der Eisenbahn nach Engelberg), kam wieder mit. Sie freute sich auf das gesellschaftliche Leben dort und auf die schönen Spaziergänge. Engelberg liegt speziell für ältere Leute sehr praktisch, da das Dorf doch auf einer ziemlich flachen Ebene liegt.

Tante Marthe ging es zunehmend schlechter, und da sie in Zürich ganz alleine war und sie eigentlich mit ihrer Verwandtschaft keinen grossen Kontakt hatte, war es schon an mir, mich um sie zu kümmern. Sie war ja schliesslich auch oft genug für Daniel da. Ganz abgesehen davon telefonierten wir regelmässig zusammen, und sie besuchte uns, ob in Zürich, Zweisimmen oder Romanshorn. Ich sah ein, dass es keinen Sinn hatte, sie alleine in der Wohnung in Zürich zu lassen. Daher suchte ich ein Altersheim in unserer Umgebung, das bereit war, sie aufzunehmen. Im privaten Alters- und Pflegeheim in Egnach fand ich schlussendlich ein Plätzchen für sie. Es sah auch nicht so nach Heim aus, denn es war eigentlich ein grösseres Einfamilienhaus in einem wunderschönen Garten. Der Aufenthaltsraum war das Wohn-Esszimmer mit Fernseher und einem grossen gemütlichen Tisch, wo sie alle darum herum sitzen konnten, auch wenn sie einfach zusammen Karten spielen wollten. Genauso hatten sie die Möglichkeit, die Nachmittage im Sommer auf dem Gartensitzplatz zu verbringen. Also sorgte ich im Juni für den Umzug von Zürich nach Egnach und räumte ihre Wohnung. Ihren Schmuck behielt ich bei uns zu Hause, ausser die Ringe, die sie ständig tragen wollte. Wahnsinnig glücklich fühlte sie sich dort nicht, weil das Pflegepersonal sie auch nicht beliebig rauchen liess, und da sie kurz vorher noch das Hüftgelenk gebrochen hatte und im Rollstuhl sitzen musste, meinten gewisse Pflegefachleute, sie hätten die Pflicht, sie anzubinden. Das ertrug sie schon gar nicht. Ich besuchte sie zwar so oft wie möglich, aber glücklich war sie nicht. Sie musste gottlob nicht allzu lange leiden, denn Mitte Januar 1992 wurde sie erlöst, und am 24. Januar 1992 fand ihre Beerdigung statt. Vorher hatte sich niemand von ihrer Verwandtschaft gemeldet, aber als es ums Erben ging, wollten sie wissen, ob ich nicht unrechtmässig etwas für mich auf die Seite gelegt habe, dabei übergab ich dem Anwalt ihre sämtlichen Wertsachen. Ein Ring, den sie immer trug, war leider nicht mehr zu finden. Ausgerechnet dieser wurde im Testament aufgeführt und einer Bekannten vermacht. Im Heim wollte natürlich niemand etwas darüber wissen. So hatten wir keine Ahnung, ob er einfach bei einem Spaziergang im Garten verloren ging (sie hatte zuletzt ziemlich abgenommen, und ihre Finger waren ganz dünn) oder ob ihn jemand gestohlen hatte. Ich musste mit dem Verdacht leben, dass sie meinten, ich sei es gewesen. Dabei hatte ich den ganzen Garten abgesucht, er war jedoch unauffindbar. Das ist der Dankeslohn, den man bekommt, wenn man ein guter Mensch sein möchte.

Als Gegenangebot zu Corinnes Aufenthalt in Irland kamen Ende Juli/anfangs August 1991 die Irländer zu uns nach Romanshorn in die Ferien. Die beiden Töchter Helen und Alison wohnten bei uns während die Eltern im Hotel Schloss logierten. Wir hatten zum Glück super Wetter, sodass sie es richtig geniessen konnten. Wir machten mit ihnen Ausflüge nach Meersburg, Insel Mainau, nach Appenzell, Hohen Kasten und zeigten ihnen sogar Bischofszell und Hauptwil. Jean und Eric genossen es auch, alleine etwas zu unternehmen und andere Gegenden in der Schweiz zu erkunden.

Am 24.8.1991 heiratete unsere Arztgehilfin Susanne. Wir waren auch zur Hochzeit eingeladen und unterhielten uns bestens. Es war ein sehr schönes Fest. Gleich anschliessend fuhren wir nach Deutschland in die Harzgegend. Peter wollte den Kollegen in Bad Lauterberg treffen, wo er schon in unserem Karenzjahr wegen seines Leistenbruchs zur Kur weilte. Da wir wegen der Flitterwoche unserer Arztgehilfin Zwangsferien nehmen mussten, blieben wir ein paar Tage dort (ausgerechnet diesen Ort, wählte jetzt mein drittjüngster Bruder Karl als seine neue Heimat aus, nachdem er zusammen mit Edith einige Jahre in Uruguay gelebt hatte. Während Edith 4 Monate pro Jahr in der Schweiz arbeitet, um ihre Pension nicht zu verlieren, wird es Karl auch nicht langweilig. Er hat  dort erneut die Gelegenheit seinem Hobby zu frönen - Modellflugzeuge herzustellen. Dazu ist er jetzt Mitglied in einem Verein, der von einem Bauer ein Riesengrundstück kaufte, auf dem sie nun einen kleinen Flughafen mit Pisten für ihre Flugzeuge haben.

Endlich kehrte auch in der Praxis wieder der normale Alltag ein, denn die Hochzeit war nun nicht mehr das Hauptthema, höchstens die Hochzeitsreise nach Kenia, die uns auch etwas auf dem Magen lag, da sie erstens dreieinhalb Wochen dauerte und Peter und ich somit nach den Herbstferien (Peter wollte nicht länger als zwei Wochen die Patienten den anderen Kollegen überlassen) alleine die Praxis bewältigen mussten, was mit Röntgen, Labor und Physiotherapie nicht so einfach war. Aber wir brachten auch diese Zeit über die Runden.

Von einer Kollegin erfuhr Corinne, dass sie ihre Wohnung übernehmen könne, denn sie habe zusammen mit zwei anderen Bekannten ein altes Bauernhaus gefunden, was sie renovieren wollten. Wir glaubten schon nicht mehr an so ein Glück, denn es war sehr schwierig, in Kreuzlingen eine günstige Wohnung zu finden. Tatsächlich klappte der Handel, und wir mussten in Windeseile den Umzug organisieren, was blendend in unseren vollgestopften Terminkalender passte. Corinne war nun aber überglücklich und verbrachte die meiste Zeit in ihrer Wohnung. Nun konnte sie morgens eine Stunde länger schlafen, ihre Freundinnen einladen, mit ihnen zusammen auf Prüfungen hin lernen, ausgehen wann und wohin sie wollte, und die Mutter konnte wieder schlafen, denn ich war immer wie auf Nadeln, bis sie jeweils vom Ausgang wieder zu Hause war. Gelegentlich besuchte sie uns an den Wochenenden oder am Mittwochnachmittag. 

Diesmal blieb Starka während den Weihnachtsferien im Altersheim. Sie wurde im Oktober 88 Jahre alt und fürchtete sich begreiflicherweise vor Schnee und Eis. Dafür kam Daniels neue Freundin Monika mit nach Engelberg. Für Daniel gab es im kommenden Jahr einige Aenderungen, denn sein Studium ging zu Ende. Monika schloss ihre Ausbildung als Lehrerin gleichzeitig ab, sodass sie gemeinsam mit voller Kraft ins berufliche Leben einsteigen konnten.

Corinne lernte an ihrem Geburtstag am 6.1.1992 einen Freund kennen und wahrscheinlich nur dank ihm, hielt sie es am Seminar in Kreuzlingen weiter aus (er besuchte auch dort die Schule), denn sie hatte mit ihrer Klasse und mit den Lehrern Pech. Gottlob gab es noch andere Freunde in Kreuzlingen. Manchmal hatte man den Eindruck, dass vor allem das gesellschaftliche Leben zählt, so nebenbei ging man noch zur Schule. Natürlich hofften wir, dass sie weiter die Nerven behielt und das Seminar beendete. Ihr blieb wenigstens ein Ziel vor Augen, sie wollte unbedingt Lehrerin werden, und das half doch sehr.

Daniel erhielt am 1. Dezember endlich sein Diplom, dabei hatte er die letzte Diplomprüfung bereits im Frühjahr gemacht und seine Diplomarbeit im Juli abgegeben. Die ETH organisierte anlässlich der Uebergabe sogar ein Fest, was noch nie vorgekommen war, da es bis dahin die Studienrichtung eines Betriebs- und Produktingenieurs an der ETH in Zürich nicht gab und Daniel einer der ersten 18 war, die fertig wurden. Glücklicherweise gehörte er auch zu denen, die eine Arbeit gefunden hatten. Seit 1. September arbeitete er bei ABB in Thurgi AG. Seine Freundin Monika unterrichtete nun in Bremgarten AG. Daher hätten sie eigentlich besser im Kanton Aargau gewohnt, aber Daniel wollte die Wohnung in Witikon nicht verlassen, in der er schon während seines ganzen Studiums hauste. So hatten eben beide einen Arbeitsweg von mindestens einer Stunde, aber das war ihr Problem. Kaum hatte Daniel sein Diplom in der Tasche, verlobte er sich am Samstag darauf mit Monika. Er gehört eben noch zur altmodischen Sorte, die zuerst einen Schulabschluss und eine Arbeit brauchen, bevor er ans Heiraten denkt, was ja auch nicht schlecht ist. Mit Monika waren wir sehr zufrieden, mit ihrem Vater hatte Peter eher Mühe.

Ende Jahr war Peter in München. Er arbeitete wieder an einem neuen Projekt in Bezug auf Harnsäure und Gicht. Während 10 Tagen durfte er nur Vanillepudding und Maizena mit Sahne essen, wie fein, nicht wahr? Als ob er nicht schon genug damit zu tun hatte, nebst der üblichen Arbeit mit den Patienten, auch noch seine Doktorarbeit über die orale Antikoagulation in der Praxis zu schreiben. Dafür durfte er am 14. Dezember 1992 seinen Schweizer Doktor Titel der Medizin in Bern in Empfang nehmen.

Im Frühjahr 1993 waren wir anlässlich unseres gemeinsamen 20. Hochzeitsjubiläums zusammen mit meiner Schwester Maria und Schwager Frido in Tschechien, d.h. in Prag und Südböhmen. Dank Peters guter Führung auf den ehemaligen Pfaden seines Militärdienstes und den Spuren des braven Soldaten Schwejk, die sich zufälligerweise fast vollständig deckten, wurde diese Reise zu einem herrlich schönen Erlebnis. Prag ist eine traumhaft schöne Stadt und Südböhmen konnte den ursprünglichen Charme und die unverdorbene Schönheit der Landschaft erhalten.


(17) Tschechisch Krumlau und Prag auf zeitgenössischen Ansichtskarten; damals gab es noch kein Handy.

Tschechisch Krumlau und Prag auf zeitgenössischen Ansichtskarten; damals gab es noch kein Handy.

 
Corinne steckte im schwierigsten Jahr ihrer Seminarausbildung, sie kam manchmal kaum zum Schlafen, da sie aber auch öfters unterrichten konnte, fand sie es faszinierend. Sie hatte alle Anzeichen, eine begeisterte Lehrerin zu werden. Für den kommenden Januar nahm sie eine neue Herausforderung an. Alle Schüler ihrer Klasse bekamen die Aufgabe, behinderte Kinder zu unterrichten. Sie suchte sich eine Klasse mit schwer erziehbaren Kindern aus. Trotz Mehrarbeit gefiel es ihr nun im Seminar besser.

Bei Daniel sah es in dieser Hinsicht weniger gut aus. Leider wurde aus der Traumverlobung vor einem Jahr mindestens vorerst keine Traumhochzeit, denn es erschienen einige Wolken am siebten Himmel. Monika wollte sich zuerst noch "verwirklichen", wie man heute so schön sagt und zog daher im kommenden Jahr in eine eigene Wohnung. Auch ein eventuelles Studium kam in Frage. Über seine berufliche Laufbahn konnte sich Daniel allerdings nicht beklagen, denn ca. im Februar 1994 hatte er die Stelle eines Verkaufsleiters in der ABB Birr in Aussicht.

Peter war nach wie vor nebst seiner Praxis mit der Gichtstudie beschäftigt und rannte ausserdem von einer Fortbildung zur anderen. Nur dank der ständigen Sportsendungen des für uns neuen Kabelfernsehens war er mit den Arztberichten (für die er sonst stets einen besonderen Anlauf brauchte, um sie zu erledigen) nun immer à jour, weil er sie jeweils während eines Matches (ohne Lautstärke) diktierte und es ihm durch die Faszination des Spiels weniger schwer fiel, dieser so verhassten Beschäftigung nachzugehen.

Unsere langjährige Arztgehilfin Susanne hatte uns im Februar dieses Jahres wegen der Geburt ihres ersten Kindes verlassen. Gottlob erklärte sich wieder eine junge Dame bereit, uns künftig zu helfen. Seither war ich vermehrt in der Praxis, da Gabriela, unsere neue Assistentin, sich mit Computern noch nicht auskannte und ich ihr zeigte, wie die Leistungen einzugeben waren. Ein Fehler konnte schnell geschehen und das ganze System durcheinander bringen, aber auch daran gewöhnte man sich und bald lief alles bestens.

Peters Mutter wohnte inzwischen bei uns, da sie immer schwächer wurde. Es ging ihr dem Alter entsprechend zwar noch ganz gut, nur merkte man eben, dass sie bald die 90 erreichte, was wir natürlich im Oktober 1993 mit einem entsprechenden Fest und der ganzen Familie sowie ihren lieben Freunden im Restaurant Meerfräulein in Laufenburg feierten. Beeindruckend war vor allem für die ganze Gesellschaft, dass sie ohne Manuskript und ohne Gedächtnisprobleme frei eine Rede halten konnte. Sie bat höchstens, nachdem sie stehend begonnen hatte, ob sie dabei sitzen dürfe. Nach diesem Höhepunkt begann sie aber krank zu werden. Wir wussten zwar, dass sie Brustkrebs hatte. Diese Diagnose war schon länger bekannt, aber wegen ihres fortgeschrittenen Alters wollte sie keine weitere Therapie, nur den Tumor entfernen. Wahrscheinlich hatte sich der Krebs nun doch weiter ausgebreitet. Deswegen beschlossen wir, sie zu uns nach Romanshorn zu nehmen. So hatte sie die Möglichkeit, die letzte Zeit in ihrem Leben noch im Kreise der Familie verbringen zu können. Es dauerte nicht mehr allzu lange, denn am 6. Februar 1994 schlief sie für immer unbemerkt ein. Sie war schon vorher nicht mehr ansprechbar, aber ihr Herz schlug noch weiter, bis auch das schlussendlich den Kampf aufgab.

Peters Rede anlässlich ihrer Beerdigung:

Aurelia Marko, in ihren anderen zwei Muttersprachen Zlatica und Aranyos genannt, wurde als das Mittlere von fünf Kindern in einem kleinen Dorf geboren. Ihre Mutter war eine belesene „Gedankenfrau“, die sich gerne von ihren täglichen Sorgen und dem täglichen Rummel durch das Schreiben von Briefen an ihre grosse, weit verstreute Verwandtschaft entspannte. Ihr Vater war ein aktiver, unruhiger Tatenmensch, für alles Neue, „Bessere“ begeisterungsfähig, der die irrige Meinung teilte, die Gerechtigkeit sollte
schon auf Erden herrschen. Aurelia schrieb zwar auch gerne Briefe, noch lieber verständigte sie sich jedoch mündlich, wozu sich in ihrem offenen Elternhaus mit dauernden Besuchen von Verwandten, Freunden und Bekannten genug Gelegenheit bot. Sonst hat sie aber eher ihren Vater geerbt. Die mittleren Kinder haben es angeblich am Schwierigsten, kommen am ehesten zu kurz, was sie aber mit ihrer Energie und Aktivität mühelos überwunden hat. Nach der Primarschule musste sie das Elternhaus verlassen und während des Schuljahres im 8km entfernten Martin bei Verwandten wohnen, um die Sekundarschule besuchen zu können. Auch die hatten genug Kinder, jedoch wenig Platz, und so musste sie das Bett mit einer Cousine teilen. Es folgten zwei Jahre Handelsschule, dann kehrte sie nach Pribovce zurück und half im elterlichen Geschäft aus. Wahrscheinlich war schon von Anfang an der Austausch von Waren ihr Spezialgebiet, was sich noch verfestigte, als sie einmal in einem Geschäft bei einer solchen Gelegenheit einen ihr sympathischen, angeblich anziehungskräftigen, jungen Mann erblickte. Ihrer Zielstrebigkeit entsprechend wurde er trotz der Einwände der Eltern ihr Ehemann. Seither konnte sie keinen Gegenstand erwerben, ohne ihn nicht mindestens dreimal umzutauschen. Ihrem Mann blieb sie hingegen ihr Leben lang treu. Sie bauten zusammen ein als „Mitgift“ erhaltenes kleines Speditionsunternehmen auf und, auch wenn sie nicht reich wurden, konnten sie von dieser Seite her einigermassen ruhig leben. Sie war stolz darauf, dass sie während der Wirtschaftskrise in den Dreissigerjahren lieber den Gurt enger schnallten, als einen Angestellten zu entlassen. Sie gebar drei Kinder. Einer der drei Söhne ist im Krieg gefallen, einer nach einer zu lang übertragenen Schwangerschaft nach der Geburt gestorben. Im Krieg verlor sie auch noch ihren Vater, ihre Schwester mit der ganzen Familie und viele weitere Verwandte und Freunde.

Ihre Ehe war, ähnlich derjenigen ihrer Eltern, trotz, oder eben wegen der verschiedenen Temperamente und Ansichten und trotz ständiger Auseinandersetzungen glücklich und gut. Was sie eben sicher nicht brauchte und ertrug, war Ruhe und Stille. Sie konnte leider auch nicht lange zufrieden sein. Es überfiel sie dann die Angst, man könnte dadurch abstumpfen, verfaulen, nicht genug wachsam sein, was in dieser Welt voll von Gefahren nicht so gut wäre. Es hing auch mit ihren Minderwertigkeitsgefühlen zusammen, die sie in allen Bereichen hatte, ausser in der Rolle als Frau. Für sie war es selbstverständlich, dass Kochen, Backen, Haushalten, Kinder erziehen mindestens so wichtig sind wie andere Leistungen, und in der Tat, ihre Speisen, ihre Gebäcke und ihre Gastfreundschaft waren weit und breit bekannt. Das heisst nicht, dass sie die anderen Aufgaben nicht meistern konnte. Als man den real existierenden Sozialismus aufzubauen begann und das Geschäft liquidiert wurde, mitverdiente sie das tägliche Brot als Angestellte des staatlichen Zeitungsvertriebes. Sie war eine beliebte Chefin von einem Dutzend von Mitarbeiterinnen, unter anderem auch, weil sie den Gerechtigkeitssinn ihres Vaters geerbt hatte.

Ohne das Land zu verlassen lebte sie in vier Staaten: in Oesterreich-Ungarn, in der ersten Tschechoslowakei, im Slowakischen Staat und in der zweiten Nachkriegs-Tschechoslowakei, die man politisch noch unterteilen konnte in die Republik vor und nach dem kommunistischen Putsch. Als ob es nicht genug damit wäre, emigrierte sie mit 65 Jahren nach Deutschland. Wo und wie sie auch lebte, sie war nicht verloren. Sie fand immer leicht Kontakt und wusste mit den verschiedensten Menschen umzugehen und verstand es, ihr Nest auch unter den gefährlichsten und widerlichsten Umständen aufzubauen, was zu beweisen ihr vor allem der Krieg genug Gelegenheiten bot. Nicht nur beim Einkaufen, sondern allgemein im Leben brauchte sie Alternativen, und sie musste immer überlegen und entscheiden, was wohl das Beste ist. Auf der anderen Seite blieb sie in entscheidenden Augenblicken angstfrei, behielt die Ruhe und wählte instinktiv das Beste. Merkwürdigerweise war für sie die Zeit in Köln am schönsten, wo sie das Leben führte, das ihr wohl am meisten entsprach. Ueber ihre Einstellung zu Menschen und zum Leben zeugt ganz gut folgende Begebenheit: Als man einmal mit ihr im Auto fuhr und beim Tanken damit bezahlte, indem man die Karte in den Automaten schob, fragte sie: „Kommt niemand?“ „Nein.“ „Und ihr spricht mit niemandem dabei?“ „Nein, wozu?“ „Schrecklich, schrecklich, die Welt wird zugrunde gehen.“ Sie konnte sich lange nicht beruhigen, wahrscheinlich zu Recht.

Der familiären Tradition entsprechend wollte sie ständig die Welt und die Menschen bessern. Im Unterschied zu ihren Brüdern nicht in politischer Hinsicht, sondern gemäss ihren Neigungen im zwischenmenschlichen Bereich. Im Grunde genommen war sie ein Aufklärer und meinte, man müsste den Leuten nur zeigen, dass sie etwas falsch gemacht hätten und schon würden sie sich ändern. Da ihre Beobachtungsgabe sehr gut ausgeprägt war, waren ihre Bemerkungen, ihre Kritik nicht grundsätzlich falsch, nur meistens zu früh und ihrer Direktheit entsprechend nicht sehr schonend. Je näher ihr die Menschen standen, desto tiefer waren die Stiche dieser „psychischen Akupunktur“, und sie verstand nicht, warum die Leute so empfindlich reagierten, „sie will doch nur das Beste“. Man spürte die Gutmütigkeit im Hintergrund und nach einer kurzen oder längeren Weile hat man ihr es auch nicht übel genommen. Jedenfalls tat es ihrer Beliebtheit bei den meisten Menschen keinen Abbruch.

Solch psychisch wachen, alten Leute, wie sie es gewesen ist, pflegt man als weise zu bezeichnen. Wegen ihrer Spontanität, ihres Temperamentes, fehlte ihr aber die Zurückhaltung, der Abstand, die Überlegenheit eines weisen Menschen. Gleichgültigkeit war ihr fremd, und sie warf sich mit jugendlichem Elan immer wieder in neue Erlebnisse, Auseinandersetzungen, neue Abenteuer. Ihre Neugier und Direktheit blieben ihr bis zum
Ende erhalten. Kurz vor ihrem Tod fragte sie: „Wie wird es beim Sterben sein, werde ich Schmerzen haben? Nun hat sie auch dies erfahren.“

In der Praxis gab es auch im neuen Jahr wieder sehr viel zu tun. Wir waren mehr als froh, dass die Zusammenarbeit mit Gabriela, der neuen Arztgehilfin, bestens funktionierte und auch die Patienten sie schätzten. Sie war ja auch eine fröhliche, aufgestellte Person.

Eigentlich hatten wir wegen der vielen Arbeit keine grosse Lust zum Reisen. Trotzdem trafen wir uns mit meiner Schwester und Frido in der Slowakei. Zuerst besuchten Peter und ich Bekannte in Wien, mit denen wir Wien und Umgebung etwas näher kennen lernten. Darauf brachte uns der Freund in seinem neuen Wagen nach Bratislava, wo wir weitere Bekannte von Peter sowie Maria und Frido trafen. Mit ihnen fuhren wir in einem gemieteten Auto durch die Slowakei. Peter zeigte uns zuerst die Orte, in denen er und seine Eltern wohnten, als er klein war. Anschliessend wanderten wir im Slowakischen Paradies. Wir hatten eine wunderschöne Zeit, nur sind nicht alle Wanderwege so bequem und einfach wie sie von weitem aussehen. Wenn man die bewaldeten Hügel aus der Ferne sieht, kommt man nicht auf die Idee, dass es auch sehr gefährliche Wanderwege gibt. So schlimm war es allerdings dort nicht. Als aber Maria die steilen Treppen gleich neben dem


(18) Slovakisches Paradies.

Slovakisches Paradies.

 
Fluss und teilweise darüber sah, kehrte sie schnurstracks um und rannte zurück. Sie ist nicht schwindelfrei und bekam es mit der Angst zu tun. Ich konnte sie gar nicht einholen und fragen, ob sie dann den Rückweg finde. Wir hofften es und wanderten weiter. Es war eine spezielle, aber sehr schöne Wanderung. Maria wartete tatsächlich auf dem Parkplatz bei unserem gemieteten Auto. Wir übernachteten noch in einem sehr schönen alten Städtchen namens Levoca in einem zauberhaften Hotel mitten in der Altstadt. Wir wollten auch noch das Gebiet in der Hohen Tatra (ähnlich wie unser Säntisgebiet) kennenlernen. Wir rechneten jedoch nicht damit, dass die Gegend mit Touristen (bis dahin hatten wir nie viele gesehen, wir hatten die Hotels eher für uns alleine) überlaufen war. In der Slowakei gibt es sonst keine anderen hohen Berge, deshalb diese Anziehungskraft. Trotzdem machten wir uns auf die Suche nach einer geeigneten Unterkunft, was nicht so leicht war, da unsere beiden Männer schnarchten und wir am liebsten getrennt schliefen. Wir merkten bald, dass wir keine Auswahl treffen konnten, wir mussten nach stundenlangem Suchen nehmen, was vorhanden war, zwei Zimmer in einem kasernenähnlichen Hotel, zudem sollten wir noch soviel bezahlen wie bei uns in der Schweiz in einem anständigen Hotel z.B. in Davos, was uns dann zur Heimkehr bewegte. Dafür konnte ich zu Hause in Ruhe auspacken und die Post durchsehen. Die Slowakei hat uns sonst sehr gefallen, die Dörfer waren reizend und teilweise sogar nostalgisch und die Landschaften mit den wunderschönen Mohn- und Sonnenblumenfeldern im Wechsel mit den bewaldeten Hügeln bezaubernd.



(19) In Cicmany - einem alten slowakischen Dorf.

In Cicmany - einem alten slowakischen Dorf.

  
Wir schätzten die idyllischen Dörfer abseits des Trubels, in denen man sich wie in ein Bilderbuch des letzten Jahrhunderts zurückversetzt vorkam. Es gab Gänse, die ihr Futter frei im ganzen Dorf oder am Bachufer suchen konnten oder Frauen, die ihre Wäsche noch im Fluss wuschen.


(20) Vazec - Slovakisches Dorf mit Gänsen.

Vazec - Slovakisches Dorf mit Gänsen.

  
Corinne reiste direkt nach unserer Rückkehr nach Spanien. Eigentlich wollte sie nach ihren Prüfungen mit ihrer Freundin Nicole entweder durch Frankreich oder Spanien ziehen, während des Prüfungsstresses klappte das Zusammenleben nicht mehr immer so bestens, sodass sich Nicole entschloss, zu Hause zu bleiben. Da auch Arnos (Freund von Corinne) Ferienpläne mit seinen Kollegen scheiterte, fuhren Corinne und Arno zusammen los. Ursprünglich wollten sie ins Baskenland, aber anscheinend blieben sie nicht lange dort, da es ihnen zu kalt war, sondern reisten gleich weiter nach Portugal.

Nach Starka schien nun mein Vater an der Reihe zu sein. Er litt unter Prostatakrebs und hatte schon überall Metastasen. Wegen der starken Schmerzen wurde er noch operiert und bekam auch eine Chemotherapie, die er gottlob gut ertrug. Meiner Mutter ging es körperlich recht gut, aber ihr Gedächtnis liess sie oft im Stich, sodass wir eine Pflegerin engagierten. An den Wochenenden wechselten wir Geschwister uns ab und kochten bei ihnen oder luden sie zu uns ein, damit sie nicht in ein Heim mussten, da mein Vater lieber gestorben wäre, als von zu Hause wegzuziehen. Trotzdem waren sie aber noch imstande, mehr oder weniger alleine in ihrem grossen Haus zu wirtschaften.

Im Herbst bildete sich Peter weiter, sodass wir keine Ferien mehr nehmen konnten. Wir wohnten zwar während seines Kurses in einer sehr schönen Wohnung in Cademario TI mit einer wunderschönen Aussicht auf Lugano und den See, aber direkt unter unserem Balkon begannen sie am Montag mit dem Aushub, sodass es aus war mit der Ruhe. Seither ist uns die Lust vergangen, irgendwohin zu fahren.

Daher hatten wir die Nase voll von Hotelferien, wo man meistens zuerst um ein besseres und vor allem ruhigeres Zimmer kämpfen musste. Die schöne Wohnung in Cademario mit dem fantastischen Blick verlockte uns, doch wieder etwas Aehnliches wie Montreux zu suchen. Besonders nachdem Peter erneut eine Weiterbildung in Novaggio hatte. Wir schauten verschiedene Wohnungen in der Umgebung dort an, aber irgendwie konnte uns nichts begeistern. Plötzlich entdeckte ich zufällig wieder ein kleines Inserat in der Neuen Zürcher Zeitung. Es war eine Eigentumswohnung in Agra, oberhalb Luino, mit Blick auf den Lago Maggiore, ausgeschrieben. Das mussten wir uns natürlich anschauen. Die wollten wir uns mit dem Geld von Peters Mutter kaufen. Wir verabredeten eine Besichtigung im November 1994, nicht gerade die beste Zeit. Wir hatten tatsächlich auch Pech mit dem Wetter. Das Haus, den Garten mit Swimmingpool und Tennisplatz konnten wir zwar sehen, aber die angebliche Traumaussicht überhaupt nicht, denn alles war in dicken Nebel gehüllt. Wir glaubten aber den Bildern des Bauherrn. Nur hatten wir eine Bedingung. Peter meinte, wenn man schon an so einem normalerweise sonnigen Ort wohne, sollte man schon auch die Sonnenenergie einfangen, so wie wir es in Romanshorn machten. Seine Bedingung war also, dass der Kauf der Wohnung nur zustande käme, wenn die Bauherren so eine Anlage bauen würden. Ein Anteil von Fr. 20'000.-- würden wir auf ein Spezialkonto bei der Schweiz. Kreditanstalt in Lugano einzahlen, das erst abgehoben werden durfte, wenn diese Solaranlage installiert war. Darüber gab es dann noch viele Auseinandersetzungen, aber schlussendlich stimmten sie widerwillig zu. Es wurde sogar ein dementsprechender Vertrag unterzeichnet. Sicherheitshalber fuhren wir einmal noch mit Daniel nach Agra, um ihm die Wohnung und die Anlage auch zu zeigen, weil wir wissen wollten, was für eine Meinung er dazu hatte. Er fand alles wunderschön, als er aber mehr über Herrn Zingerle, den Händler, hörte, der uns die Wohnung verkaufen wollte, meinte er nur, wir können es wagen, wenn es uns nichts ausmache, dass wir wahrscheinlich schon noch einige Problemen zu bekämpfen hätten. Damit hatte er völlig recht. Trotzdem wagten wir den Schritt und unterschrieben am 24. Februar 1995 den Notariatsvertrag. Das Geld mussten wir gleich bar auf den Tisch legen, ausser den Fr. 20'000.--, die wir bereits überwiesen hatten. Es hiess, den Vertrag würden wir dann zugeschickt bekommen. Es wurde nur italienisch gesprochen, jedoch beim Vorlesen deutsch übersetzt. Der Verkäufer rannte zwischendurch immer wieder aus dem Zimmer und traf dort wahrscheinlich jemanden von der Bank. Bestimmt wollte die Bank wissen, ob er endlich seinen Verpflichtungen nachkommen würde. Wir wussten kaum mehr, wo uns der Kopf stand. Sobald wir Richtung Schweiz unterwegs waren, bekam ich es mit der Angst zu tun. Wir hatten so viel bezahlt und nun gar nichts in Händen, nicht einmal eine Bestätigung. Ich konnte nachts darauf nicht schlafen. Am nächsten Morgen fuhr ich gleich wieder nach Luino, tauchte beim Notar auf und verlangte von ihm wenigstens eine schriftliche Bestätigung, dass die Wohnung nun uns gehöre und wir dafür soundsoviel bezahlt haben, wenn wir schon den notariellen Vertrag noch nicht erhalten konnten, weil der zuerst noch nach Mailand geschickt werden musste. Die bekam ich dann auch, und so war ich mindestens vorläufig wieder etwas ruhiger. Immerhin konnten wir uns jetzt mit der Einrichtung befassen. Bei einem Schreiner in Bischofszell liessen wir Bettgestelle nach Mass herstellen, da wir nur noch Hüsler Nest-Matratzen wollten, denn die waren nach unserer Meinung für die Wirbelsäule am besten. Dazu nahmen wir alle nach Mass angefertigten Möbel aus Zweisimmen mit, sowie das damals sehr teuer erworbene Schlaf-Sofa für Montreux. Daher mussten wir auch ein entsprechendes Auto mieten, damit wir diese nach Agra transportieren konnten. Die restlichen Möbel bestellten wir bei der Firma Villa in Dumenza. Herr Zingerle hatte uns natürlich schon mit Herrn Villa bekannt gemacht. Sicher bekam er dafür auch wieder eine Provision. Trotzdem, dafür sind wir ihm noch heute dankbar, denn es ist praktisch, so ein Geschäft in unmittelbarer Nähe zu haben, und was wir bis jetzt von ihm erwarben war zufriedenstellend. Man konnte sämtliche Möbelgeschäfte weit herum absuchen, Villa hatte sowieso Besseres zu bieten. Am 11. März 1995 bewältigten wir den ganzen Umzug dank Angelos grosser Unterstützung und Hilfe sogar mit der Abfertigung am Zoll bei Dirinella am Lago Maggiore. Wir hatten nur ein Wochenende Zeit dafür, denn am Sonntagabend mussten wir wieder zurück sein. Immerhin erlebten wir am 13. Mai 1995 die erste Eigentümerversammlung, die stundenlang dauerte wie alle künftigen ebenfalls und die einem eigentlich die ganze Lust an dieser Ferienwohnung nehmen konnten. Kaum war sie aber jeweils vorbei, und wir sassen auf dem Balkon, bewunderten den traumhaften Blick auf den Lago Maggiore sowie die Berge, waren die Bauherren vergessen. So ging es eigentlich allen Eigentümern. Gottlob waren nur die ersten Versammlungen so schlimm, später besserte es diesbezüglich. Selbstverständlich haben wir bis heute keine Solaranlage. Der Verkäufer legte so etwas Ähnliches oberhalb des Swimmingpools zwar hin, nur funktionierte sie nie und daher unterschrieben wir nicht, dass der Betrag von Fr. 20'000.- ausbezahlt werden durfte. Einmal kam er in unsere Wohnung in Agra und tobte, er hätte die Solaranlage installiert, und wir sollten endlich unterschreiben, damit er das Geld bekomme, sonst bringe er uns um, was wir aber trotzdem nicht machten. Die sogenannte Solaranlage musste man schlussendlich entsorgen. Das Geld auf der Bank benützte die Bank wahrscheinlich für sich, um die Schulden des Verkäufers zu reduzieren, was auch die nicht hätten machen dürfen. Als wir uns einmal bei der Kreditanstalt erkundigten, sagten sie, das Konto existiere nicht mehr. Der Verkäufer verschwand auf Nimmerwiedersehen nach Österreich.


(21) Belvedere in Agra und Blick auf den Lago Maggiore.

Belvedere in Agra und Blick auf den Lago Maggiore.

  
Daniel scheint bei der Arbeit mehr Glück zu haben als in der Liebe. Die Frau für's Leben schien er immer noch nicht gefunden zu haben, aber er wurde in der Firma wieder befördert und zwar zum Leiter des Ressorts Production Engineering. Corinne blieb auch nichts anderes übrig, als ihren ersten Liebeskummer zu bewältigen. Ihr Freund hatte sie nach einer dreijährigen Beziehung ohne Vorwarnung und für sie ohne ersichtlichen Grund verlassen. Er wollte einfach wieder alleine sein und niemandem Rechenschaft ablegen müssen, ob er studieren soll oder nicht. In der Schule ging es ihr aber gut. Das Unterrichten gefiel ihr sehr, und sie hoffte, nächsten Sommer eine geeignete Stelle zu finden.

Corinne schloss 1995 das Lehrerseminar erfolgreich ab. Ausserdem war sie in Tours (Frankreich), um ihre Französischkenntnisse zu vervollkommnen und nebenbei auch noch im Zeichnen und Töpfern dazuzulernen. Wir besuchten sie in dieser schönen Stadt, und die Fahrt entlang der Loire war auch nicht schlecht. Aus Tours haben wir immer noch den Teppich unter dem Esszimmertisch in Agra sowie die grossen Tassen, die uns Corinne mitbrachte, und die wir gerne für unsere Müesli benützen. Sie sammelte anschliessend an einer Aushilfsstelle in Herisau neue Erfahrungen. Dort wollte sie im kommenden Jahr ebenfalls wieder unterrichten.

Daniel war weiterhin fleissig bei ABB tätig und bemühte sich um eine Versetzung ins Ausland. Im Moment war er noch solo, was man von Corinne nicht sagen konnte, denn sie hatte sich, bevor sie nach Frankreich fuhr, in einen jungen Mann verliebt, der als Bankfachmann in der Vermögensberatung tätig war und sich am Seminar Kreuzlingen zum Lehrer ausbilden liess. Also ein ziemlicher Umsteiger!

Peter arbeitete ausser in seiner Praxis immer noch an seiner Gichtstudie, d.h. er musste hie und da für eine Woche eine Diät einhalten, die er auch schon anderen Leuten zugemutet hatte (für Fr. 400.-- konnte sich jeder melden, der bereit war, ebenfalls so eine Diät mitzumachen). Diese bestand aus Vanillepudding, Maizena, Rahm, Voll- oder Trockenmilch, und dazu gab es hie und da Belastungen mit einer gewissen Menge von Eiweiss, Zucker oder Fett. So wollte er auch einmal eine Belastung mit Alkohol machen. Er suchte sich für diesen Test einen Sonntag aus, damit er durch nichts gestört wurde und benützte reinen, 70%-igen Alkohol aus der Praxis, den er mit Wasser verdünnte. Er begann seine „Trinkkur“ morgens um 10.30 Uhr. Mittags sollte ich ihm wieder einen Maizenapudding servieren. Dazu kam ich aber kaum, denn um 11.30 Uhr war er bereits so betrunken, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Mit Müh und Not konnte er noch in den oberen Stock gelangen und sich auf sein Bett fallen lassen, wo er auf der Stelle einschlief. Ich machte mir zunehmend Sorgen, da ich mit „Alkoholikern“ keine Erfahrung hatte und nicht wusste, wie sich der Alkohol weiter auswirkte und wann die Vergiftung begann. Mit meiner Ruhe am Sonntag war es auf jeden Fall aus! Zu meiner Beruhigung rief ich Urs Kissling, unseren Arztfreund in Salmsach an, der sich lieber selbst ein Bild von Peters Zustand machen wollte und uns besuchte. Er meinte, einen normalen Patienten hätte er ins Spital eingewiesen. Peter wurde fürchterlich wütend, weil er geweckt wurde und bereute zutiefst, dass er so eine Frau geheiratet hatte. Nun war es an uns, ihn zu beruhigen. Natürlich hatte ich keine Lust, ihn zu stören, nachdem er endlich wieder eingeschlafen war. Ueberstanden hatte er damit diesen Spass aber noch lange nicht, denn sein Leiden begann erst so richtig abends und dauerte die ganze Nacht (es war ihm sterbensübel). Am Montag wartete um 08.00 Uhr bereits der erste Patient. Sicherheitshalber brachte ich ihn in die Praxis, denn er konnte sich kaum auf den Beinen halten. Den ganzen Vormittag musste er sich zwischen jedem Patienten immer wieder hinlegen, damit er die Kraft hatte, den nächsten anzuhören bzw. zu untersuchen. Ans Essen dachte er die ganze Woche lieber nicht. Selbstverständlich hatte er eingesehen, dass er diese Art von Belastung keinem Diätwilligen zumuten konnte!

Gabriela, unsere perfekte, stets aufgestellte und fröhliche Arztgehilfin wollte leider auch eine Familie gründen. Sie heiratete am 24.6.1995. Wir waren wieder zur Hochzeit eingeladen, die in Dozwil stattfand. Die Ehe hielt leider nicht allzu lange. Sie wohnten anschliessend im Kanton Luzern, wo sie nach der Scheidung in einem Labor arbeitete, damit sie sich mit ihren beiden Söhnen finanziell über Wasser halten konnte. Zufälligerweise musste sie einmal zu einem Augenarzt, der offensichtlich sehr tief in ihre Augen schaute und sie sich so näher kennen lernten. Irgendwann stellte sie uns ihre neue Liebe vor. Wir sind immer noch mit beiden in Kontakt. Gabriela war früher sehr anämisch und bekam in gewissen Abständen Eiseninfusionen. Peter ist ein Gegner dieser Infusionen und erkundigte sich, ob es nicht bessere Eisentabletten gibt, die diese Infusionen ersetzten könnten. Er wurde mit den ProFerrin-Tabletten fündig und wirklich, nach der regelmässigen Einnahme von Proferrin konnte sie auf die Infusionen verzichten, und sie war wieder fit und belastbar wie eh und je. Seither benützt auch der Augenarzt für seine Patienten Proferrin, die er nun ebenfalls für uns aus Amerika kommen lässt.

Also hatten wir wieder das Vergnügen, eine neue Arztgehilfin zu suchen. Gottlob war wieder eine junge Dame, namens Cornelia, bereit, es mit uns zu versuchen.

Seit der Chemotherapie im Herbst 1994 ging es meinem Vater etwas besser. Er bestand zwar langsam nur noch aus Haut und Knochen, hatte jedoch praktisch keine Schmerzen mehr. Nun begannen sie leider wieder. Damit er noch seinen 85. Geburtstag und den 60. Hochzeitstag feiern konnte, bekam er eine Bluttransfusion. Er war jemand wie Peters Mutter, der bis zuletzt selbständig bleiben wollte. Meiner Mutter ging es körperlich blendend, nur das Gedächtnis liess immer mehr zu wünschen übrig, aber so konnten sie sich gegenseitig helfen. Vater mit dem Kopf und Mutter mit den Händen. Trotzdem mussten wir dafür sorgen, dass sie zu Hause Hilfe bekamen. Selbstverständlich besuchte sie täglich jemand von meinen Geschwistern, um zu sehen, ob es ihnen gut geht.


(22) Braut Maria Nater mit Brautführerin Maria Schell, die auch Gotte von meinem Bruder Ernst ist.

Braut Maria Nater mit Brautführerin Maria Schell, die auch Gotte von meinem Bruder Ernst ist.

 
(23) Von links: Onkel Walter (Brautführer), Vater, Mutter, Maria Schell. Mitte: Kutsche mit Brautleuten, rechts: Maria Schell und Vater.

Von links: Onkel Walter (Brautführer), Vater, Mutter, Maria Schell. Mitte: Kutsche mit Brautleuten, rechts: Maria Schell und Vater.

  
Man sollte etwas dagegen unternehmen können, damit sich das Rad der Zeit nicht so schnell dreht und wir in immer rasenderem Tempo älter werden. Das stellten wir erst recht mit Erschrecken fest, als wir sahen, wie unsere Kinder nun ebenso wie wir im Erwerbsleben steckten.

Corinne war 1996 in Wagenhausen (bei Stein am Rhein) so mit ihren Erst- und Drittklässlern beschäftigt, dass sie kaum mehr Zeit für ihren Freund Thomas hatte (mit dem sie sich immer noch gut verstand) und für uns nur noch am Rande von Rio Grande.

Daniel hatte endlich erreicht, was er sich eigentlich schon immer gewünscht hatte, er konnte reisen und dadurch andere Länder und Kulturen kennenlernen. ABB wollte zwar zuerst dafür kein Musikgehör haben, aber es klappte, nachdem er sich im letzten Weihnachtsurlaub in eine Neuseeländerin verliebt hatte und bereit war, für immer nach Neuseeland zu ziehen.  Im April war er zur Probe für fünf Wochen dort. Nur löste sich der Traum bald darnach leider in Luft auf. Das wusste die Firma zwar nicht. Offensichtlich befürchteten sie jedoch, Daniel könnte der ABB für immer den Rücken kehren. Also boten sie ihm eine interessante Stelle als Projektleiter der Reorganisationen der internationalen Verkaufsstellen an, und er pendelte fortan seit September 1996 zwischen Norwegen, Dänemark, Schweden und der Schweiz hin und her, später entschwand er auch noch in andere Länder.

Bei Peter und mir änderte sich in Bezug auf Arbeit nicht viel, höchstens die Zahlungsmoral der Leute wurde immer schlechter und die weitere Entwicklung des Gesundheitswesens auch nicht erfreulicher. Eine besondere Note brachten Peter und unsere jetzige Arztgehilfin mit ihrem Schreibstil in unsere Praxis. Sie korrigierte Peters diktiertes Deutsch manchmal so, dass er es selbst nicht mehr verstand. Zusammen waren sie ein vortreffliches Team, sodass die Resultate oft in einer humoristischen Zeitschrift hätten veröffentlicht werden können. Peter meinte, so würden seine etwas ausgefallenen Berichte von den Kollegen eher gelesen. Cornelia war nicht nur hübsch, sondern auch sehr sympathisch dazu eine ausgezeichnete Hilfe, die in der Praxis mit ihrer lockeren Art eine angenehme Atmosphäre verbreitete.

Peter benötigte für seine Gichtstudie keine weiteren Versuche. Die bisherigen Resultate wurden endlich nach England zur Veröffentlichung geschickt. Als Folge der Antikoagulationsstudie wurde Peter nach Bratislava eingeladen, um dort vor dem Verein der Aerzte darüber einen Vortrag zu halten.

Wenn ich so auf das Jahr 1996 zurückblickte, so hatte sich wieder einiges ereignet, beziehungsweise fast dasselbe wiederholt wie zwei Jahre vorher, als Peters Mutter zu uns zog, um dann zu sterben. Anfangs Januar mussten wir unsere Eltern zu uns holen. Vater war auch nur bereit, weil man ihn aus seinem Haus tragen musste und er wirklich nicht mehr gehen konnte. Am 5. Februar 1996 wurde er von seinem Leiden erlöst, Peters Mutter am 6. Februar 1994. Es war für uns wieder eine schwere Zeit mit vielen Nachtwachen und auch für meine Mutter nicht einfach, mussten wir sie doch noch dazu vorbereiten, ins Altersheim umzuziehen. Gottlob konnten wir im Heim neben uns ein schönes Zimmer finden, wo sie sich gut einlebte. Sie bekam auch viel Besuch und wurde praktisch jedes Wochenende von einem der Geschwister nach Hause eingeladen.

Armin übernahm unser Elternhaus mit dem dazugehörenden ehemaligen Postgebäude, indem er jetzt mit Doris wohnt. Nach seiner Pensionierung schuf er zusammen mit Doris dieses Kunstwerk hinter seinem Haus gegenüber der bereits beschriebenen Scheune, die  einmal brannte (s. Kapitel 1).


(24) Kunstwerk von Doris und Armin hinter ihrem Haus.

Kunstwerk von Doris und Armin hinter ihrem Haus.

 
Zum Glück gab es an Weihnachten 1996 noch eine erfreuliche Nachricht. Daniel verliebte sich in Barbara Seiler, so konnten wir mit einem Strahlemann Weihnachten feiern.

Daniel regelte im folgenden Jahr seine Zukunft im Schnellzugtempo. Wie gesagt lernte er Barbara vor Weihnachten kennen und an Ostern 1997 verlobte er sich. Am 28. August im gleichen Jahr war die Ziviltrauung,  (es eilte ihm damit, weil Barbara 39 war und er wenn möglich nicht auf ein Kind verzichten wollte und falls eines unterwegs sein sollte, es doch seinen Namen bekam.


(25) Daniels Zivilhochzeit, rechts mit Zeugen.

Daniels Zivilhochzeit, rechts mit Zeugen.

  
Peter feierte am 8.3.1996 auf Hohenklingen seinen 60. Geburtstag, zu dem auch Professor Akert und seine Frau, unsere Freunde Kathrin und Peter Zangger aus Zürich, Esther und Sigi Ewald sowie Marlies und Klaus Burkhalter aus Zweisimmen, Madeleine und Urs Kissling, Claire und Hans Bänziger aus Romanshorn, Peter und Dana Kalina aus Basel, Ida und Geza Ondreicka aus Zumikon, sowie Roman und Suska Schmidt aus Pfäffikon kamen,


(26) Linkes Bild: Kathrin Zangger, Prof. Konrad Akert, Mitte: Roman Schmidt, Dana Kalina, Gejza Ondreicka, rechtes Bild: Hans Bänziger, Ruth Akert, Peter Zangger.

Linkes Bild: Kathrin Zangger, Prof. Konrad Akert, Mitte: Roman Schmidt, Dana Kalina, Gejza Ondreicka, rechtes Bild: Hans Bänziger, Ruth Akert, Peter Zangger.

natürlich auch unsere ganze Familie. Marlies und Klaus trugen zusammen ein Gedicht vor:


(27) Burg Hohenklingen.

Burg Hohenklingen.


" Es git en Ort im Simmetal, ganz chly und unbekannt.
  Zu däm het's Peter zoge wie in es exotischs Land.
  Das Dorf heisst Gruebewald, der Peter troumt no geng dervo.
  Was het ihm ächt o dert so fescht der Ermel inegno?

  Als Arzt muesch wüsse, was de Patiänte du verschribsch,
  Ganz wichtig isch, dass du bim Nöie immer à jour blibsch.
  Am beschte isch's, du teschtisch d'Mittel a dim eigne Liib.
  Regsch du nid a, we'd K.o. geisch, di alkoholisch Trieb?
  Ei Stange Bier tät besser  -  dänk a Tochter, Suhn u Wyb.

  Im Sport, das isch für Peter klar, zellt nume ds höchschte Mass.
  I mänger Sparte isch är drum es absoluts Top-As.
  Bim Surfe, Schine, Schwümme, Velofahre, Tennisspiel
  Geit är a ds Limit, git sech us, doch mängisch isch's de zvil.
  Es Körperlide hemmt ne, schnäll het är es anders Zil.

  E multinationale Geischt het Peter immer gha.
  Grad nume mit der Schwiz allei chan är nid vil afah.
  Am Lac Léman, Am Bode- u itz no am Langesee
  Wohnt är nid nume wägem Wasser, nei bestimmt vil mehr,
  Dass är zu jeder Zyt cha über d'Landesgränze gseh.

  Buon giorno, Pietro. Come stai? So tönt's z'Italia.
  Won är mit sire moglie füehrt äs nöis Dolce vita.
  Vom Stress erhole, läse, dichte - isch das nid apart?
  Aer sammlet Nüss u merkt, dass me bim Lire-Ichouf spart,
  Doch d'Zürizytig fingt är ersch nach länger Outofahrt.

  Der Peter het e guete Ruef im Obersimmetal.
  Sit är furt isch, isch üses Dorf ganz trurig, läär u kahl.
  Ds slowakisch gfärbte Zwüsmerdütsch ghörsch nümm, das isch a Schmärz.
  Im Ohr tönt üs es Peter-Wort: "Es blutet mir mis Härz",
  So chumm doch zrügg, es isch nie z'spät, was meinsch derzue? Toll wär's.

  Dä Wunsch isch üses innigschte Geburtstagsgschänk für di.
  Aes isch zwar egoistisch gfärbt, verwürkleche chönntsch's gly.
  Du gsehsch ja no so buschper us, nid wie ne Sächzger-Ma.
  Drum ligt's drin, dass e nöii Karriere chasch afah.
  U we's dir z'Romanshorn nümm gfallt, de dänk de sicher dra."


(28) Linkes Bild: Sigi Ewald, Micheline Diebold, rechtes Bild: Esther Ewald, Peter.

Linkes Bild: Sigi Ewald, Micheline Diebold, rechtes Bild: Esther Ewald, Peter.


(29) Linkes Bild: Micheline Diebold, Urs Kissling, Madeleine Kissling, rechtes Bild: Claire Bänziger, Klaus Burkhard, Marlies Burkhard.

Linkes Bild: Micheline Diebold, Urs Kissling, Madeleine Kissling, rechtes Bild: Claire Bänziger, Klaus Burkhard, Marlies Burkhard.

   
Vor Daniels Hochzeit waren wir zusammen mit ihm, Corinne und ihrem damaligen Freund Thomas (Barbara musste leider arbeiten) in der Slowakei. Peter organisierte dort in Benice anlässlich seines 60. Geburtstages ein Familientreffen, das drei Tage dauerte.


(30) von links: Begrüssung der Teilnehmer, Suche nach dem Grosselternhaus

von links: Begrüssung der Teilnehmer, Suche nach dem Grosselternhaus

 
Corinne, Thomas, Peter und ich verbrachten schon eine Woche vorher dort unsere Ferien, indem wir uns von Peter die Gegenden und Orte zeigen liessen, wo er aufgewachsen oder seine Jugend- und Studienzeit erlebte. Es war für alle spannend, interessant und schön. Das Treffen war ein voller Erfolg, nach meiner Meinung eine einmalige Familienzusammenkunft. Sogar die Irländer waren diesmal mit von der Partie. Die Vorbereitungen dafür dauerten auch über ein Jahr. Es gab Vorträge


(31) von links: Peter, Corinne, Daniel und Silvia bei den Reden über Identität.

von links: Peter, Corinne, Daniel und Silvia bei den Reden über Identität.


(von vielen Familienmitgliedern, die in Peters Geschichte einsehbar sind) mit Dias, z.B. auch über Stammbaum, Diskussionen, Wanderungen, Besichtigungen der Orte, wo die Vorfahren gelebt hatten, gemütliches Beisammensein bei gutem Essen, sowie kleinere und grössere Aufregungen zwischendurch (z.B. eine Tochter von Cousine Katka musste notfallmässig operiert werden, Peters Cousine Tanja ging bei einer Wanderung verloren, und wir hatten schon Angst, sie sei einem Bär begegnet). 


(32) Treffen mit der Familie des Freundes Duro Bock auf dem linken Bild, rechtes Bild: Abendessen im engsten Familienkreis.

Treffen mit der Familie des Freundes Duro Bock auf dem linken Bild, rechtes Bild: Abendessen im engsten Familienkreis.


Daniel hatte sich also endgültig niedergelassen, dafür trennte sich Corinne von Thomas. Es fiel Corinne sehr schwer, denn sie wusste, so einen Traumhausmann wird sie nicht so leicht wieder finden, auf der anderen Seite wollte sie noch etwas frei sein, vor allem da ihr noch nicht klar war, ob sie nicht doch noch studieren wollte, Sprachen, Methodik oder auch Heilpädagogik. Wir schätzten Thomas sehr und bedauerten es, dass die Freundschaft auseinanderging.

Weihnachten 1997/Neujahr 1998 verbrachten wir wieder in Lech zusammen mit Micheline und Guido Diebold.


(33) Gemeinsame Skiferien mit Micheline und Guido Diebold in Lech.

Gemeinsame Skiferien mit Micheline und Guido Diebold in Lech.

 

In der Praxis gab es immer mehr zu tun, sodass wir den Tag herbeisehnten, an dem wir aufhören konnten. Aber wir freuten uns vor allem auf unsere Zeit als Grosseltern, und so lange mussten wir gottlob nicht darauf warten, denn am 24. April 1998 war es soweit.


(34) Barbara mit Alexa kurz nach der Geburt.

Barbara mit Alexa kurz nach der Geburt.

 

Ein süsses Kind, nicht wahr? Möglichst einmal pro Woche besuchte ich Barbara und Alexa in Stäfa, damit Barbara auch 1-2 Stunden in die Stadt konnte, um Einkäufe zu erledigen. Es war für mich immer eine schöne Erholung von der Praxistätigkeit. Bald begann Barbara wieder zu arbeiten. Sie bekam eine Teilzeitstelle als Werbetexterin. Einen Tag in der Woche musste sie in der Stadt arbeiten, die übrigen Aufträge konnte sie zu Hause erledigen. Sie hatte eine gute Nachbarin, die Alexa während ihrer Arbeitszeit hütete, aber wie es in der Werbebranche meistens der Fall ist, wurde von ihr gleich mehr verlangt, als ursprünglich geplant war. Daher suchte sie sich für das kommende Jahr etwas anderes.

Inzwischen kauften Daniel und Barbara in Stäfa eine Wohnung, in die sie im Januar 1998 einzogen und dazu besorgte Daniel sich noch einen anderen Job, denn am 1. März 1998 begann er eine neue Stelle in einer amerikanischen Beratungsfirma in Zürich und somit beendete er seine fünfjährige Tätigkeit bei ABB.


(35) Frisch getrautes Paar Barbara und Daniel.

Frisch getrautes Paar Barbara und Daniel.

 
Im September 1998 fand die kirchliche Trauung von Barbara und Daniel samt Taufe von Alexa statt.


(36) Barbaras und Daniels Hochzeit sowie Taufe von Alexa.

Barbaras und Daniels Hochzeit sowie Taufe von Alexa.

 

Corinne reiste am 11.7.98 zusammen mit Jolanda nach Quito in Ecuador, um spanisch zu lernen. Jolanda blieb noch zwei Monate, aber Corinne kam Mitte August zurück und am 21.9.1998 flog sie mit Nicole Diebold nach Indien, wo sie sich bis 21. Dezember 1998 aufhielten. Zuerst wollte sie alleine reisen, aber ich war dagegen und sprach deswegen mit Micheline. Sie fragte daraufhin gleich Nicole, ob sie nicht auch Lust hätte, Indien kennen zu lernen. Nicole war voll dafür und konnte es so einrichten. Also war ich ruhiger, als die beiden zusammen loszogen. Es war auch gut, denn Nicole wie Corinne wurden einmal so krank (gottlob nicht zusammen), dass jede froh um die andere war. Alleine dort krank in irgend einem Hotelzimmer zu liegen, war alles andere als ein Spass. Die allgegenwärtige Armut machte beiden sehr zu schaffen, weil sie nichts dagegen unternehmen konnten, ausser ihnen ihre getragenen Kleider zu verschenken oder von ihrem Essen abzugeben. Gottlob konnten wir via e-mail miteinander in Kontakt bleiben. Sie genossen die abenteuerliche Reise durch dieses gegensätzliche, was Armut und Reichtum anbelangt, aber auch märchenhaft schöne Land. Sie reisten vom Norden Indiens bis ganz in den Süden, nach Cochin, anscheinend eine der schönsten Städte Indiens, romantisch, auf Inseln gelegen, dazu recht sauber, mit Kanälen, Seerosen und Booten. So schrieb auf jeden Fall Corinne. Sie beabsichtigten mit einem Drachenboot durch die Sümpfe der Backwaters mit eigenem Koch und Guide zu fahren (sonst reisten sie mit gewöhnlichen Bussen und Zügen, schon an und für sich ein besonderes Erlebnis und kein Vergnügen). Trotzdem war es für sie anscheinend ein Traum. Sie wollten auch in den Dschungel, um Elefanten, Tiger, usw. zu sehen. Dort hing einmal eine giftige Riesenspinne direkt über Corinnes Kopf. Die beiden hatten nach ihrer Rückkehr viel zu erzählen. Wir erfuhren Ende September 1998 von Corinne, dass sie auch Agra in Indien besucht hatten, ausserdem wollte sie von uns wissen, wie es ihrem Gottekind Alexa gehe. Wir konnten ihr nur mitteilen, dass sie gesund und munter sei wie ein Fisch im Wasser, sie bade gerne, plansche im Wasser, dass es eine Freude sei, nur was das Essen anbelange, so nehme sie nur so viel Nahrung zu sich, wie sie gerade nötig habe. Sonst sei sie aber extrem lernbegierig. Sie habe kürzlich ein Laufgestell bekommen und schon nach zwei Tagen sei sie damit im ganzen Wohnzimmer herum gesaust.

Meine Mutter war anfangs Jahr ziemlich depressiv, sie weinte nur noch, sodass wir sie ins kleinere Heim in Egnach umzogen, wo Tante Marthe früher war. Komischerweise beeindruckte sie überhaupt nicht, dass wir nun eine kleine Enkeltochter hatten. Es interessierte sie auch nicht besonders, wenn wir sie ihr zeigen wollten. Sie, die immer ein Kindernarr war. Ihre Demenz schritt eben immer weiter voran. In Egnach leben die Insassen wie in einer Grossfamilie. Sie werden rund um die Uhr betreut. Dort fühlte sich meine Mutter auch nicht so verloren und einsam. Im Heim neben uns musste ich jeden Abend vorbeischauen und sie ins Bett bringen. Ich besuchte sie natürlich auch in Egnach, brauchte aber kein schlechtes Gewissen mehr zu haben, falls mir die Zeit dazu fehlte, da ich sicher sein konnte, dass sie gut aufgehoben war. Trotzdem sagte sie mir oft: „Kann ich nicht mit Dir nach Hause kommen? Ich wasche und putze Dir das Haus, mache alles, wenn Du mich nur mitnimmst.“ Das war schon schwer zu ertragen. Nachmittags kam gottlob oft eine Frau, die Klavier spielte und mit ihnen sang. Dann lebte meine Mutter wieder auf, und sie sang mit Lust mit. Sie hatte immer noch eine wunderschöne Stimme. Nicht umsonst sang sie früher im Thurgauer Kammerchor.

In diesem Jahr hatte ich es mindestens was das Kochen anbelangte, etwas einfacher als früher. Peter fasste den Entschluss, nur noch auswärts Fleisch zu essen und sonst mit mir zu rotieren, d.h. nur jeden fünften Tag dasselbe zu verspeisen, also z.B. nur jeden 5. Tag Kartoffeln, Reis oder Teigwaren und das natürlich mit allen Lebensmitteln ausser Salz selbstverständlich. Er wollte nämlich abnehmen, und es gelang ihm tatsächlich. Er war kaum wiederzuerkennen, denn er hatte 15 kg abgespeckt und dadurch wieder eine Figur wie in jungen Jahren. Damit er den Fleischgeschmack nicht ganz vergass und vermisste, hatte er sich einen Vorrat an Salamiwürsten aus Sessa TI mitgebracht, die er sich scheibchenweise hie und da zu den jeweiligen Mittags- oder Abendmahlzeiten gönnte. Er wurde nicht nur schlanker, sondern auch sein Blutdruck und seine Harnsäurewerte besserten, und er fühlte sich fitter. So wie Peter fast fettarm ass, so musste ich mir immer speziell Oel und Fett zu den Speisen geben, damit ich nicht zu dünn wurde. Es ging mir aber soweit gut. Solange ich mit den Lebensmitteln rotierte, bekam ich keine Grippe. Ich war in der Zeit eigentlich nie krank. Ich bewältigte auf jeden Fall immer noch meine Arbeit und noch einiges mehr, wie z.B. unsere Enkelin hüten. Sie war sogar bereits eine Woche bei uns in den Ferien, die wir mit ihr offensichtlich in Agra verbracht haben.


(37) Alexa lernt Agra kennen.

Alexa lernt Agra kennen.


Unabhängig vom Abspecken forschte Peter weiter über Gicht. Dieses Jahr hatte er seine Ergebnisse, Erkenntnisse und Ueberlegungen den hiesigen Kollegen und den Spitex-Schwestern im Rahmen ihrer Fortbildungen vorgetragen. Besonders erfreut war er, dass er sie auch in Martin, seinem Geburtsort, an der Universität vorlesen konnte. Sein ehemaliger Kollege aus den biochemischen Zeiten bat ihn, einen der Festvorträge zu seinem 70. Geburtstag zu halten. Unterwegs traf er wieder seine alten Freunde in Bratislava. In diesem Jahr erschien die Arbeit: Dietary influence on the urinary excretion of polyamines, die er in Zusammenarbeit mit Kollegen aus Kiel, London und Bern durchgeführt hatte. In Druck wurde auch eine Kasuistik „Helicobacter pylori und Kopfschmerz“ aufgenommen, die sich auch indirekt mit der Ernährung beschäftigte. Ausserdem war er im Internet tätig: er war Moderator des Talkforums von Infomed (infomed.org/wwwboard/charla.html), einer von der Industrie unabhängigen pharmakotherapiekritischen Organisation, die auch zwei Fachzeitschriften („pharmakritik“ und „infomed-screen“) herausgab. Es war eine gute Vorbereitung auf unsere eigene Home-Page, die wir später über Ernährung betreiben wollten.

Gleich zwei Kollegen mussten wir im Jahre 1998 beerdigen, der eine war Dr. Burgherr aus Neukirch-Egnach, der andere unser Freund Urs Kissling aus Salmsach, der in seinem Garten bei der Arbeit an seinem Apfelbaum plötzlich starb. Eigentlich wollte er wegen seiner Krankheit (Diabetes) in einigen Wochen vorzeitig in den Ruhestand treten. Er war nur 60-jährig, was uns ziemlich nachdenklich stimmte. Wir bemühten uns auf jeden Fall, öfters in die Ferien zu gehen und den Praxisalltag etwas ruhiger zu gestalten, aber meistens blieb es beim Versuch. Mindestens wurden wir etwas ruhiger (die Vegetarier sind bekanntlich weniger aggressiv), d.h. das Kriegsbeil wurde seltener hervorgeholt, das war ja auch schon etwas.

In der ersten Hälfte des neuen Jahres hatten wir auch keine einfache Zeit, denn der Zustand meiner Mutter verschlechterte sich zunehmend. Dieses Zusehen müssen und nicht viel helfen können, ausser so oft wie möglich bei ihr zu sein, war sehr bedrückend und traurig. Gottlob wurde sie dann anfangs Juni 1999 von ihrem Leiden erlöst. Ihr verdankten wir eigentlich, dass wir in St. Gallen für uns eine geeignete 4-1/2-Zimmer Wohnung fanden, denn mein Cousin Walter aus St. Gallen erzählte uns an der Beerdigung, dass beim Blindenheim in St. Gallen eine Tafel mit freien Wohnungen aufgestellt sei.

Am 19.6.1999 verabschiedeten wir Corinne nach einem gemeinsamen Abendessen auf dem Flughafen Kloten, da sie via New York nach Mexiko flog, wo sie sich bis 17.8.1999 aufhielt und ihre Spanischkenntnisse weiter aufstockte. Gottlob kam sie gesund wieder nach Hause.

1999 war wieder ein turbulentes Jahr, da wir uns definitiv entschlossen, die Praxis einem Nachfolger zu übergeben. Mit der Praxisübergabe und unserem Umzug aus unserem 8-Zimmer-Haus in Romanshorn Ende Oktober 1999 in eine 4-1/2-Zimmer-Wohnung in St. Gallen hatten wir einiges zu bewältigen. Unser Nachfolger wollte, dass die Praxis wegen der Renovationsarbeiten nur während einer Woche geschlossen war. So blieb absolut keine Zeit, um uns auszuruhen. Trotzdem war Peter eine Woche nach der Uebergabe bereit, einen ehemaligen kranken Schulkollegen in Basel zu vertreten. Selbstverständlich sollten wir unser Haus auch noch gut verkaufen können, was in dieser eher trüben Zeit schneller gesagt als getan war.

Einen erfreulichen Lichtblick in diesem Durcheinander hatten wir an einem Sonntag anfangs Dezember 1999, als Daniel mit Alexa und Barbara sowie Corinne uns besuchten. Peter spielte den St. Nikolaus (er kaufte sich dafür höchst persönlich extra ein Kostüm). Es war für Barbara genauso eine Ueberraschung wie für Alexa. Beide kamen vom
Mittagsschläfchen gerade aus dem Zimmer, als es an der Türe läutete. Barbara floh vor Schreck ins Badezimmer. Sie meinte, es komme wirklich ein fremder Klaus und sie sei nicht schön genug! Sonst bei fremden Männern, noch dazu mit Bart, eher ängstlich, bestaunte Alexa St. Niklaus nur mit grossen Augen, und als er sie fragte, ob sie auch brav gewesen sei, sagte sie mit dünner Stimme „jaaaa“. Zum Abschied winkte sie ihm und weinte schlussendlich, weil er fortging.


(38) Peter als Klaus bestaunt von Alexa und Barbara.

Peter als Klaus bestaunt von Alexa und Barbara.

 

 

Praxisvertretungen
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9.  Praxisvertretungen

Aus Sicherheitsgründen meldete sich Corinne nicht nur für die Aufnahmeprüfung in die Kunstgewerbeschule in Zürich, sondern auch noch in diejenige der Heilpädagogischen Schule. Ihr Traum erfüllte sich, denn sie bestand die eine wie die andere. Sie war überglücklich, und es war für sie klar, dass nur die erste in Frage kam. Es plagte sie jedoch die Ungewissheit, wie es mit weiteren Prüfungen später sein wird und welche Richtung sie dann einschlagen soll.

Daniel war nach wie vor bei Pricewaterhouse Cooper in der Beratung tätig und lernte dadurch immer wieder interessante Firmen und deren Metier kennen, während Barbara sich um Alexa kümmerte und nebenbei versuchte, via Internet verschiedenen Aerzten eine Website einzurichten. So waren alle mehr oder weniger kreativ tätig.

Peter und ich wollten im kommenden Jahr im Internet eine Rotationsdiätberatung und eine eigene Website installieren. Auch uns gab Barbara den Tipp, die Website wwwww.gesund-durch-essen.ch/">w.gesund-durch-essen.ch zu benennen. Wir befolgten diesen Rat sehr gerne. Ich rotierte schon seit einiger Zeit und Peter nun mit mir ebenfalls. Wir hatten also unsere Erfahrungen gesammelt, die wir gerne weitergeben wollten. Da Peter zwischendurch Praxisvertretungen machte, kam er im medizinischen Bereich nicht aus der Übung. Wir werden sehen, ob er die jeweiligen Praxen nicht wie in Basel gleich reorganisieren und völlig umkrempeln wird. Man konnte nur hoffen, dass der arme kranke Kollege dadurch nicht noch zusätzlich einen Herzinfarkt bekommt.

Wir liessen uns also trotz Praxisaufgabe noch lange nicht in den Ruhestand versetzen. Wir wollten nur etwas kürzer treten. Auf jeden Fall hatten wir nun beide einen eigenen Computerplatz mit Bodenseeblick, der uns doch hie und da etwas ablenkte. Da unsere Wohnung zweistöckig ist, war die Umstellung von unserem Haus in eine Wohnung nicht so krass.

Peter vertrat weiterhin in Basel seinen ehemaligen slowakischen Arztfreund, der sterbenskrank war. Ich hatte zwar dafür Verständnis, dass man diesen kranken Freund nicht im Stich lassen konnte, aber es freute mich weniger, dass Peter praktisch ohne Pause weiter arbeitete, obwohl wir wegen der Praxisrenovationen für unseren Nachfolger nur im Frühjahr 1999 Ferien machen konnten und wir beide ziemlich erschöpft waren. So durfte ich auch alleine das Haus auflösen und noch wochenlang zwischen Romanshorn und St. Gallen hin- und herfahren. Peter pendelte hingegen zwischen Base und St. Gallen, und dies stimmte ihn auch nicht gerade glücklich, vor allem schätzte er es nicht, dort in der Praxis schlafen zu müssen, gezwungen zu sein, dauernd auswärts zu essen, auch war er meistens nicht einer Meinung mit der Arztfrau, und die Arztgehilfin war ebenfalls widerborstig. Ausserdem dauerte die Vertretung viel länger als geplant, nämlich bis Ende Februar 2000, und bald begann schon unsere erste Vertretung in Sumiswald im wunderschönen Emmental. Wenigstens hatten wir Ende März zwei Wochen Ferien in unserer Wohnung in Agra in Aussicht.

Mit gemischten Gefühlen fuhren wir am Sonntag, den 5. März 2000, Richtung Sumiswald. Nach den schlechten Erfahrungen in Basel wussten wir nicht, was uns dort erwartete, denn es gab schon im voraus mit der Arztfrau Probleme. Erstens war sie nicht begeistert, dass ich mitkam, aber Peter war nicht mehr bereit, irgendwo alleine zu hausen und zweitens war sie geradezu empört, dass wir wegen Peters Schnarchen auch noch zwei Schlafzimmer benötigten. Sie seien doch kein Hotel, meinte sie aufgebracht am Telefon. Unsere Kleider müssten wir halt an einem Kleiderständer aufhängen, einen Schrank könne sie uns nicht zur Verfügung stellen. Also waren wir gespannt, wie sich die ganze Angelegenheit entwickelte. Leider kannten wir die beiden guten Restaurants Bären und Kreuz noch nicht, und so landeten wir in einer einfachen Dorfbeiz bei einer überaus neugierigen, aber freundlichen Wirtin. Das Essen war nicht überwältigend, aber geniessbar. Trotzdem wagten wir es, frisch gestärkt, uns unserer neuen Aufgabe zu stellen. Wir wurden von der jüngsten Tochter willkommen geheissen und in unsere Zimmer geführt, damit wir schon auspacken konnten, bis ihre Eltern aus dem Konzert zurückkehren würden. In meinem Zimmer waren nur volle Büchergestelle, es gab zwar einen Schrank, der aber geschlossen am Kopfende meines Bettes stand, sonst aber keine Möglichkeit, meine Kleider aufzuhängen, also musste ich aus dem Koffer leben. In Peters Zimmer waren hingegen zwei Schränke und eine Kleiderstange mit drei Haken. Wegen einer Woche war das ja kein Thema, aber im Sommer sollten wir hier vier Wochen verbringen, was dann schon problematischer werden konnte. Deshalb wollte es Peter natürlich nicht unterlassen, zu schauen, ob es in seinen beiden Schränken nicht doch noch etwas Platz gab, obwohl die Arztfrau Peter nur erlaubte, den Schrank mit den Militärsachen zu benützen, was für ihn als einen neugierigen Menschen schwer zu erfüllen war. Als er den zweiten öffnete, kam ihm ein ganzer Berg von Plastiksäcken gefüllt mit alten Kleidern entgegen, die er nicht mehr in den Schrank zurück stopfen konnte und mich daher um Hilfe rief. Erschrocken rannte ich in sein Zimmer, mich fragend, was er denn jetzt schon angestellt hatte, bevor wir überhaupt richtig angekommen waren. Peter stand hilflos vor dem Schrank, versuchte verzweifelt sich gegen die Säcke zu stemmen und die Schranktüre wieder zu schliessen, was ihm offensichtlich nicht gelang. Natürlich war ich ungehalten. Wozu musste er überhaupt den Schrank öffnen, er wusste doch, dass wir keinen Kleiderschaft (Berner Ausdruck) zur Verfügung bekamen, aber er ist und bleibt wohl ein überaus neugieriger Mensch. Kurzum, die ganze Szene wäre filmreif gewesen. Nie wissend, ob nicht die Besitzer oder die Tochter plötzlich in unserem Zimmer auftauchten, unterbrochen durch unsere Lachanfälle, versuchten wir mit gemeinsamen Kräften, die Säcke wieder an ihren ursprünglichen Platz zu stopfen, was uns nicht gelang, denn die Säcke waren schlüpfrig und der Schrank alt. Sobald wir meinten, wir hätten die Türe endlich zu, sprang sie durch den Druck der Säcke von innen wieder auf. Wir kamen uns vor wie Dick und Doof. Also verstauten wir vorerst einmal ein paar Säcke im Militärschrank und wollten dann später schauen, wenn wir alleine waren und mehr Zeit zur Verfügung hatten, wo wir sie unterbringen konnten. Gottlob reiste das Arztehepaar am nächsten Morgen in die Ferien ab. Die Tochter kam jeweils nur abends nach Hause, denn sie besuchte noch das Lehrerseminar in Bern. Selbstverständlich wäre es ihnen deshalb lieber gewesen, wenn wir die Wochenenden in St. Gallen verbracht hätten. Wir waren aber nicht bereit, jede Woche diesen langen Weg in Kauf zu nehmen. Wir wollten lieber unsere Berner Freunde besuchen, wenn wir schon einmal in der Gegend waren. Die Hausfrau war auch sehr besorgt, ich könnte ihre Vorräte aufbrauchen. Sowieso waren sie eher misstrauisch, denn wir durften keine Telefonanrufe entgegennehmen. Die Arztgehilfinnen beantworteten alle Telefone auch während der Wochenende und nachts. Sie meldeten uns dann, wenn irgendwelche Notfälle waren oder Peter einen Patienten besuchen musste. So wurde in solchen Fällen jeweils nicht nur Peter, sondern auch die Arztgehilfin gestört, was ja wirklich überflüssig und stupid war. Sonst war die Arbeit in der Praxis viel angenehmer und vielseitiger als in Basel. Es fehlte zwar auch hier einiges, z.B. bei Wunderversorgungen gab es keine richtige Beleuchtung, weil die meisten Lampen nicht funktionierten, kaum Verbandsmaterial, keine kleine Schere, etc., aber die Patienten waren angenehm, geduldig und dankbar, sie erkundigten sich sogar, ob Peter wieder kommen würde. Ausserdem verliebten wir uns in das schöne Emmental mit den bereits im Frühjahr schon prächtig mit Blumen geschmückten Häusern. Auch das Arztehepaar besass einen traumhaften Blumengarten mit Blick ins Grüne, denn das Haus befand sich am Rande des Dorfes auf einer kleinen Anhöhe. Eigentlich konnte man sich in diesem Haus im Keller, fast verlaufen. Es fehlte also nicht an Platz. Beeindruckend war vor allem das riesige Wohn- und Esszimmer mit einer Emmentaler Hausorgel und einem Flügel. Dann gab es eine Wohnküche, einen Vorratsraum, ein Bügel- und Nähzimmer, einen Waschraum, drei Badezimmer, ein separates WC und mindestens acht Schlafzimmer. Dazu kamen die Praxisräume (drei Behandlungszimmer, Büro und Apotheke, ein Wartezimmer und ein grosser Empfangsraum mit Labor) und unter all diesen Räumen gab es unendlich viele Kellerräume. Ich war froh, musste ich mich nur hie und da und nur teilweise darum kümmern. Die Arztfrau hatte eine Frau für den Garten und eine, die für das Haus zuständig war. Trotzdem begann es überall zu lottern. Auch in der Praxis konnte man gewisse Schränke nicht mehr schliessen. Bei einem stellten die Arztgehilfinnen jeweils ein Medikamentenschächtelchen unter die Schranktüre, damit sie nicht runter hing und sie so einigermassen geschlossen blieb. So hingen verschiedene Türen schief an den Schränken, in der Küche reparierte ich die Kehrichttüre selbst, damit man wieder richtig schliessen konnte. Die Fenster in unserem Badezimmer öffnete ich lieber nicht mehr, aus Angst, es könnte auseinanderfallen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass auch mir ein Missgeschick passieren musste und dazu in der ersten Woche unserer Vertretung, aber auch die Pfannen waren in einem so desolaten Zustand, dass ein Stiel abbrach, weil er so morsch war, als ich sie putzen wollte. Die Arztfrau war aber ganz erstaunt, als sie aus den Ferien zurückkam, wieso dies geschehen konnte. Da dies für mich die erste Vertretung war, ich diesbezüglich noch keine Erfahrungen hatte, fühlte ich mich schon schuldig. Trotzdem wollten sie, dass wir sie in den Frühjahrs-, Sommer- und Herbstferien wieder vertreten.

Da wir uns nicht um den Papierkram der Praxis kümmern mussten, hatten wir endlich Zeit für gelegentliche Spaziergänge. So erkundeten wir das Emmental zu Fuss und lernten dadurch etliche malerische Fleckchen kennen. Auch die Emmentaler Küche ist nicht zu verachten.

Wir fühlten uns dort bald wie zu Hause. Peter machte aber mit der Arztfrau Ordnung, denn sie war nie imstande, sich festzulegen, wann die Ferienvertretungen genau stattfinden sollten. In den Frühjahrsferien im April funktionierte alles schon besser. Sie waren schon weg, als wir ankamen, und die Tochter war in irgendeinem Ferienlager.

Zwischen diesen Vertretungen überschrieben wir am 15. März 2000 unser Haus auf eine Familie mit zwei kleinen Mädchen. Wir konnten ziemlich sicher sein, dass sie unser Haus schätzen werden. Sie veränderten es auch kaum. Es störte uns nur, dass sie die Wand zwischen unserer grossen Wohnküche mit Eckbank und Esszimmer wegnahmen. Es beruhigte uns, dass wir uns nicht mehr darum kümmern mussten und uns dieser Stein vom Herzen fiel, obwohl der Verkauf finanziell kein Erfolg war.

So machten wir uns frisch gestärkt und zuversichtlich im Mai auf den Weg nach Grindelwald, um dort einen Arzt für drei Wochen zu vertreten. Wir wurden gleich von einem grossen Hund begrüsst, der aber gottlob die drei Wochen in einem Hundeheim verbrachte, denn ich liebe Tiere nur aus einer gewissen Entfernung. Ausserdem finde ich es unhygienisch, wenn sie sich überall aufhalten dürfen. Der Arzt wollte Peter persönlich bei einigen seiner Patienten einführen, so wohnten wir zwei Tage unter demselben Dach. Da er im Winter immer Assistenzärzte benötigte, war es für ihn und seine Frau nichts Besonderes. Für uns war es ebenfalls kein Problem, weil beide unkompliziert und locker waren. Am ersten Arbeitstag machte der Arzt wie besprochen Peter noch mit den vorgesehenen Patienten bekannt, und so konnte er ihm auch gleichzeitig die Umgebung zeigen, damit er eine Ahnung hatte, wo eventuell künftige Hausbesuche zu erwarten waren und auch um den Praxiswagen kennenzulernen. Auf dem Heimweg wurden sie von hinten angefahren. Ein Lastwagen übersah, dass der Arzt plötzlich wegen eines Hundes bremsen musste. Von der Küche aus konnte man den Unfallort gut sehen. Ich kam gerade von einem Spaziergang zurück, als die Arztfrau angestrengt aus dem Küchenfenster schaute und vor sich hinmurmelte: „ Das ist doch mein Mann. Der wird auch schön wütend sein.“ Ich warf ebenfalls einen Blick aus dem Fenster und dachte: „ Oh je, das ist kein guter Anfang. Hoffentlich ist nicht Peter schuld.“ Gottlob ist er nicht gefahren, eigentlich konnten beide nichts dafür. Dumm war nur, dass der Arzt nicht angegurtet war und ehrlich wie er war, es der Polizei zugab, als sie ihn darnach fragten, worauf er als Dank noch eine Busse erhielt. Peter spürte seinen Nacken noch für eine gewisse Zeit wegen des Aufpralls.

Diese Praxis war vielleicht eine der perfektest eingerichteten, die wir bis dahin gesehen hatten, sie war zwar alt, aber es fehlte nicht dauernd an diesem und an jenem, einzig für Computer hatte der Arzt nichts übrig. Er rechnete immer noch von Hand ab! Trotzdem wollte ihm Peter das e-mail schmackhaft machen, da seine Tochter gedachte, definitiv nach Chile auszuwandern, und sie wollten sie jetzt dort besuchen. So erzählte er ihm, wie praktisch es doch gewesen sei, als unsere Tochter in Indien herum reiste und wir ohne Probleme mit ihr via e-mail hätten in Kontakt bleiben können, was per Telefon unmöglich gewesen wäre. Er konnte es nicht recht glauben, machte sich aber doch Gedanken darüber. Auf jeden Fall tauschten wir unsere e-mail-Adresse und die seiner Tochter aus, und wir versprachen, ihn laufend zu unterrichten, wie es in der Praxis gehe, was wir lieber unterlassen hätten, denn so wie Peter die e-mails abfasste, verdarb er ihm mit Sicherheit die Ferien. Er fragte lieber nicht mehr, ob Peter ihn nochmals vertreten würde, denn er schrieb ihm, kaum dass sie in Chile ankamen folgendes: „Die Reihe der Crashs im Zusammenhang mit meinem Erscheinen hier hat sich fortgesetzt. Als ich versuchte, ins Internet zu gelangen, ist nicht nur die Telefonzentrale im Haus, sondern auch die Elektrizitätsversorgung in Grindelwald für ein paar Stunden zusammengebrochen. Ich habe trotz dieser unerfreulichen Erfahrung mit den Leitungen im Haus gewagt, das Kabel Ihrer elektrischen Zahnbürste aus dem Netz herauszuziehen und oh, oh, wie unsere Enkelin sagen würde, oh grosses Wunder, es ist nichts passiert! Dies hat mich so ermutigt, aber hoffentlich nicht übermutigt, dass ich anschliessend mit dem elektrischen Rasenmäher den Rasen auf der Terrasse, die Kräuterinseln auslassend, gemäht habe.“ Effektiv konnten aber die Patienten nur eine Stunde lang nicht anrufen, weil er den Telefon- und Faxstecker verwechselt und sie nach dem Versuch, ins Internet einzusteigen, falsch eingesteckt hatte. Da aber sehr wenig zu tun war, fiel dies nicht sehr ins Gewicht. Die Stromversorgung in Grindelwald funktionierte natürlich wie eh und je. Selbstverständlich verstand er Peters speziellen Humor nicht. So bekam er ein e-mail nach dem anderen, die ich leider nie zu Gesicht bekam und von denen ich immer erst im Nachhinein erfuhr. Zum Beispiel schrieb er, er hätte endlich das Auto wieder aus der Garage zurückerhalten, es sei wieder wie neu und fahre fast von selbst. Worauf der Arzt antwortete, warum zum Teufel das Auto in der Garage war, er hätte keinen solchen Auftrag erteilt. Wir wiederum konnten nicht wissen, dass er es nach dem Unfall nicht reparieren lassen wollte, obwohl ja die Versicherung des Schuldigen zahlen musste. Ein anderes Mal schrieb er, das Haus sei noch nicht abgebrannt, obwohl die Rauchalarmanlage in der Küche ständig losgehe. Wie gesagt, diese Mails beruhigten ihn sicher nicht während seiner Ferien, die er so dringend benötigte nach dem langen, arbeitsreichen Winter mit all den Kurgästen. Bestimmt dachte er, so einen Trottel hätte er noch nie als Vertreter in seiner Praxis eingestellt.

Obwohl wir 10 Jahre in Zweisimmen gewohnt hatten, kannten wir Grindelwald kaum. Viele Schweizer wissen wahrscheinlich nicht, dass man dort nicht nur skifahren und wandern kann, sondern dass es auch noch anderes zu besichtigen gibt wie z.B. den Marmorabbruch und eine bemerkenswerte Gletscherschlucht.


(1) Grindelwald

Grindelwald

 
Da wir nun schon einmal in Grindelwald waren, wollte mich Peter am Muttertag mit einer Fahrt auf das Jungfraujoch beglücken. Gottlob fuhren wir mit der ersten Bahn rauf, denn nachher hätten wir kaum mehr etwas sehen können. Apropos sehen, selbstverständlich vergass ich meine Sonnenbrille, sodass ich wegen der gleissenden Sonne und des Schnees auf dem Joch die Pracht auch nicht lange bewundern konnte, da ich nicht unbedingt schneeblind werden wollte. Bei unserer Rückkehr stellten wir fest, dass wir durch unser Frühaufstehen einem Riesenansturm auf das Jungfraujoch gerade rechtzeitig entronnen waren, weil zusätzlich zum Muttertag die Mobiliarversicherung als Geschenk zu ihrem Jubiläum günstigere Preise für die Bahn anbot, was wir nicht wussten. Auf der kleinen Scheidegg stauten sich die Massen und männiglich wie fräulich mussten geduldig warten, bis sie praktisch am Fliessband raufbefördert wurden. Ob sie dann auch mit Sonnenbrille etwas sehen konnten, sei dahin gestellt.

Nach Grindelwald genossen wir wieder einmal für zwei Wochen unsere Wohnung in St. Gallen, um dann nach Wila im Tösstal aufzubrechen. Hier trafen wir das Haus leer an, denn die Arztfamilie war mit ihren sechs Kindern schon ausgeflogen. Da man mit einem Code die Türe öffnen konnte, benötigten wir keinen Schlüssel und so mussten sie nicht auf uns warten. Es war nur gut, dass wir schon kamen, denn die Sonnenblumensetzlingen, von denen jedem Kind eines gehörte, und die wir für die Kinder begiessen sollten, waren nach einem extrem heissen Wochenende bereits fast verdorrt. Ich hatte während unseres Aufenthaltes die grösste Mühe, sie halbwegs zu retten. Sonst waren wir hier ganz zufrieden, nur Peter ärgerte sich über die Arztgehilfin, die nicht kooperativ und widerborstig war, wo sie nur konnte. Peter bat den Arzt, ihn in Zukunft mit dieser Arztgehilfin zu verschonen, wenn er noch Interesse an seinen weiteren Vertretungen hätte. Wie sich schlussendlich herausstellte, war das dann nicht das Ausschlaggebende, aber davon später.


(2) Wila.

Wila.

 
Inzwischen erlebten wir zweieinhalb wunderschöne Wochen in unserer Ferienwohnung in Agra. Nebst Peters täglichem Schwimmen im Swimmingpool der Anlage und Wandern in der malerischen Umgebung, kümmerten wir uns um den grossen Garten, denn ausser uns bemühten sich höchstens Carlo, Pierina und Elvira, die direkt über uns und neben uns wohnten, auch noch darum. Der Gärtner mähte nur den Rasen und schnitt die Hecken, aber gejätet hätte sonst niemand. Wir liessen Palmen pflanzen und verschönerten den Garten selbst mit Sträuchern und Blumen. Vorher gab es nur Hänge mit Wiesen und Unkraut. Dadurch wurde die Anlage immer ansehnlicher. Wenn wir also auch unser Haus mit Garten verkauft hatten, so gab es in Agra genug Gelegenheiten, gärtnerisch tätig zu sein, nur machte es uns dort mehr Spass, erstens weil wir es nicht mussten und zweitens weil wir dabei kein schlechtes Gewissen hatten, wir würden dringende Arbeiten wegen der Praxis versäumen.

Mit neuem Elan rückten wir am Sonntag, den 16. Juli 2000, wieder mit Sack und Pack, das heisst auch mit meinem halben Hausrat in Sumiswald ein, denn dort gab es nur Riesenpfannen. Bettwäsche und Frottéetücher hatten auch wir mitzubringen. Ich kam mir wirklich immer wie die Bauern im Simmental vor, wenn sie im Sommer von einer Alp auf die andere ziehen. Es waren vier wunderschöne Wochen, wir hatten das Haus ganz alleine für uns. Ich begoss freiwillig hie und da die Blumen, damit es die Arztgehilfin nicht machen musste. Die Gärtnerin mähte den Rasen und schnitt die abgewelkten Blumen. Wir sammelten auch die Aepfel und Birnen von ihren Obstbäumen. Da Peter nur vormittags Sprechstunde hatte, konnten wir nachmittags meistens wandern oder im Garten lesen oder schreiben.


(3) Garten mit Sitzplatz in Sumiswald.

Garten mit Sitzplatz in Sumiswald.

 

An den Wochenenden besuchten wir unsere Freunde und Bekannten, so war es uns auch möglich, den 30. Geburtstag meines Gottekindes Matthias mitzufeiern und mit Peters Verwandten in Rheinfelden zu Mittag zu essen. Wir sollten uns in Basel auf dem Bahnhof treffen, es war alles bestens geplant, aber der Tag begann schon mit schlechten Vorzeichen, weil Peter am Sonntag früh um 06.30 Uhr notfallmässig einen Patienten besuchen musste und wir uns fragten, ob wir noch rechtzeitig den Zug in Langenthal erreichen würden. Bis dorthin wollten wir mit dem Auto fahren. Es klappte aber schlussendlich bestens, wir kamen sogar mit dem Zug zu früh in Olten an, was uns mit dem Fahrplan verwirrte und wir nicht wussten, auf welchem Geleise ein Zug nach Basel fuhr. Wir sahen jedoch, dass nach Plan soeben einer abfahren sollte. Wir rannten daher auf den Bahnsteig, stiegen in einen Zug auf dem „Basel“ angeschrieben war und kaum waren wir drin, setzte dieser sich in Bewegung. Peter wunderte sich über die Richtung, in die wir fuhren und fragte, ob das der Zug nach Basel sei. Rundherum hiess es, nein, das sei der Zug nach Nizza mit nächstem Halt in Luzern. Jetzt wären wir das erste Mal um ein Handy, das wir sonst verabscheuen, froh gewesen, denn wie sollten wir unsere über 80-jährigen Verwandten verständigen? Mindestens versuchten wir es in Luzern, indem wir sie in Basel ausrufen liessen und im Restaurant in Rheinfelden Bescheid sagten, wir würden eine Stunde später kommen. Das Beste war, dass sie in Basel den Zug verpassten und meinten, wir würden nun in Rheinfelden auf sie warten. Sie waren also über unsere Verspätung ganz froh. Nach der ganzen Aufregung mundete uns das Mittagessen in dem schönen Lokal am Rhein umso besser. Wir erreichten sogar noch rechtzeitig unser Schiff, mit dem wir nach Basel zurückkehren wollten. Kaum legte das Schiff ab, fragte ich Peter, ob er seine Tasche bei sich hätte. Natürlich fehlte sie, nur wussten wir jetzt nicht, wo er sie liegen gelassen hatte, im Taxi oder im Restaurant. Als wir uns von unseren Verwandten verabschiedeten, meinten sie, wir sollen doch, in Sumiswald angekommen, anrufen, sie seien zwar nicht abergläubig, nur um sicher zu gehen, dass alles i.O. sei. Was erfuhren wir aber, als wir uns bei ihnen meldeten? Die Tante hatte einen Mantel mitgenommen, der nicht ihr gehörte. Die Besitzerin hatte schon reklamiert. Wir erhielten übrigens die Tasche auch wieder. Sie enthielt ein mehrseitiges Manuskript, das zum Druck weggeschickt werden sollte, und das ich im Zug eben mühsam korrigiert hatte.

In Sumiswald gab es schon damals auch einen Biobauer, bei dem man wunderschöne, frische Himbeeren, Heidelbeeren, sowie Milch und Eier etc. holen konnte, noch dazu zu äusserst günstigen Preisen. Ja, das Emmental ist ein kleines Paradies. Es ist ganz angenehm, zwischendurch dort zu leben.

Direkt anschliessend hüteten wir für vierzehn Tage Alexa. Das heisst, am Sonntag, den 13. August 2000, brachten sie Barbara und Daniel. Eigentlich wären wir gerne mit Alexa gleich nach Agra gefahren, aber ich musste noch gewissen schriftlichen Kram erledigen, so schafften wir es erst am Dienstagvormittag mit möglichst wenig Gepäck (wegen der Bettwäsche und Alexas Sachen zwei kleine Koffer und nebst meiner Handtasche noch fünf Taschen!) am Bahnhof St. Gallen einzutreffen. Wir wollten den 10.02 Zug nehmen, denn um 14.00 holte uns ein Arbeiter der Garage in Cadenazzo am Bahnhof ab, weil unser ehemaliger Praxiswagen Subaru-Justy, den wir jetzt in Agra stationiert hatten, um eben auch mit dem Zug fahren zu können und in Italien doch mobil zu sein, dort seit Juni in Reparatur war. Deshalb hatte Peter auch unsere Wechselnummern in einer der Taschen eingepackt, für die er verantwortlich war. In St. Gallen gab es enorm viele Leute, die auch die Absicht hatten, mit unserem Voralpenexpress zu reisen. So war ich in erster Linie daran interessiert, mit Alexa so schnell wie möglich einzusteigen, um für uns Plätze zu ergattern. Darum reagierte ich nicht darauf, als Peter rief: „Wozu musst Du alle Taschen schleppen?“ Ich wusste, dass ich nur diejenigen wie besprochen bei mir hatte. Alexa war während der ganzen Reise bester Laune, sie schlief sogar etwas, als wir durch den Gotthard fuhren. In Cadenazzo erwartete uns wie verabredet der Garagearbeiter. Nur stellte Peter nun fest, dass er die Tasche mit den Nummernschildern in St. Gallen auf dem Bahnsteig irrtümlicherweise zurückliess. Wozu waren wir jetzt in Cadenazzo, wenn wir mit dem Subaru nicht nach Agra fahren konnten? Was machten wir jetzt? Wir mussten ein Auto mieten, damit wir mit Alexa so schnell wie möglich in unsere Ferienwohnung kamen, die Reise dauerte für sie nämlich schon lange genug. Gottlob bekamen wir dasselbe Auto, mit dem der Arbeiter uns abgeholt hatte, denn als ich wieder einstieg, entdeckte ich meine goldene Uhr am Boden! So hatten wir noch Glück im Unglück. Kaum in der Wohnung in Agra begann ich das Fundbüro in St. Gallen mit meinen Bitten zu bombardieren (die Nummern wurden gottlob abgeliefert), die Tasche samt den Nummern doch express nach Bellinzona zu senden, am besten sie dem Lokomotiv-Führer mitzugeben, damit Peter sie am nächsten Tag dort am Bahnhof abholen könne. Nach einigem Hin und Her klappte es, und Peter erhielt tatsächlich die Nummern noch rechtzeitig vor dem Mittag, damit er für das Mietauto nicht noch einen zusätzlichen Tag bezahlen musste. Mit einer gewissen Erleichterung konnten wir nun die Ferien mit Alexa geniessen. Damals konnte man solche Probleme leichter telefonisch erledigen, inzwischen funktioniert so etwas nur kompliziert und lange via Internet.

Als Abschluss unseres schönen Aufenthaltes mit Alexa besuchten wir zusammen mit unseren Mitbewohnern Elvira, Marco, Carlo und Pierina Alpe Roccolo. Dort hat man nicht nur eine wunderschöne Aussicht mit Blick auf Curiglia, Indemini und andere kleine Dörfchen, die wie Vogelnester an den gegenüberliegenden Hängen kleben, sondern es gibt in der Gartenwirtschaft des Bauernhauses jeweils ein fantastisches Essen à la discretion mit verschiedenen Vorspeisen und drei Hauptgängen, dazu selbstgemachte Käse sowie verschiedene selbstgebackene Kuchen zum Dessert, einen guten Wein und Grappa, soviel man trinken kann, alles zu einem Preis von damals EUR 20.00 pro Person (inzwischen ist es etwas teurer geworden).


(4) Blumenpracht vor dem Restaurant auf Alpe Roccolo.

Blumenpracht vor dem Restaurant auf Alpe Roccolo.

  
Während Alexas Aufenthalt mit uns versuchte Barbara, für Schönheitschirurgen Websites und Homepages zu installieren und ähnliche Projekte auf die Beine zu stellen. Zusätzlich verbrachten Daniel und Barbara die meisten Wochenende mit Organisieren und Planen eines selbständigen Unternehmens zusammen mit einem Kollegen von Daniel. Zu Daniels Betrübnis mussten sie aber dieses Projekt fallen lassen. Die Einkommensquelle wäre für die ersten Jahre zu unsicher gewesen. Als Junggeselle hätte er es sich leisten können, aber nicht als Familienvater, und so musste er sich eher um eine andere Stelle bemühen, denn was uns vorläufig noch Spass machte, war ihm langsam ein Greuel. Er wusste nie wie lange er wo arbeitete. Er hoffte auf so einen Arbeitsplatz, der es ihm ermöglichte, etwas mehr Zeit bei seiner Familie zu verbringen. Nicht dass ihm die Arbeit als Berater nicht gefallen hätte, jedoch die ewige Reiserei von einem Ende der Schweiz bis zum anderen, dazu noch in andere Länder, sogar bis Amerika, hatte er satt.

Kaum wieder in St. Gallen, Alexa den glücklichen Eltern wohlbehalten übergeben, packten wir erneut für eine Vertretung in Sargans. Wir hofften sehr, dass dort alles klappte, da es wie Wila nicht allzu weit von unserem Wohnort entfernt war, man konnte sogar am freien Nachmittag nach Hause. Mit grossen Erwartungen trafen wir also am Sonntagabend dort ein. Die Schlüssel erhielten wir schon bei unserer Vorstellung, sodass das Arztehepaar bereits am Samstag verreisen konnte. Trotzdem hatten wir ein Begrüssungskomitee von vier Katzen, die hinter der Tür auf uns warteten und miauten, bis wir ihnen ihr Abendessen servierten. Ausserdem gab es noch sechs Schildkröten, die auf frisch gewaschenen Salat hofften. Wie ich bereits erwähnt hatte, liebe ich Tiere, beobachte sie aber lieber aus einer gewissen Distanz. Peter zuliebe liess ich mich auf dieses Abenteuer ein, denn es ekelte mich, wenn die Katzen überall herumsprangen. Zu Beginn waren sie zwar noch etwas scheu, aber bald tanzten sie auch auf Peters Computertasten und auf dem Esszimmertisch herum.


(5) Sargans mit Burg, in dem es auch ein feines Restaurant gibt.

Sargans mit Burg, in dem es auch ein feines Restaurant gibt.

 
Zum Glück gab es in diesem Arzthaus eine Zweizimmer-Wohnung, die vor den Katzen sicher war. Ich zog es daher auch vor, in der kleinen Küche zu kochen, musste nur wegen des Kühlschrankes hin- und herpendeln. Das Haus war von der Waschküche bis zu den Schlafzimmern offen. Die Katzen hatten also überall Zugang. Durch die Waschküche kamen sie herein und oben vor den Schlafzimmern hatten sie ihre Körbchen, in denen sie sich nach ihren nächtlichen Streifzügen ausruhen konnten.

Irgendwie hatte ich den Eindruck, dass ich tagsüber nichts anderes machte als einkaufen, Katzen und Schildkröten füttern (die letzteren liebten noch spezielle Kräuter wie Spitzwegerich, die ich in den höheren Regionen für sie sammelte), ausmisten, dafür sorgen, dass nicht fremde Katzen das Futter schnappten und abends immer alle Schildkröten zählen. Prompt fehlte eines Abends um 18.00 Uhr eine, die ich noch um 17.30 Uhr gesehen hatte. Auch Peter konnte sie nirgends entdecken, als er von der Praxis nach Hause kam. Wir dachten schon, sie sei irgendwo in einem Suppentopf gelandet. Am nächsten Morgen war sie aber wieder voll da, zwar etwas schmutzig, aber immerhin. Wahrscheinlich hatte sie sich im Dreck eingebuddelt, was für uns fast nicht nachvollziehbar war, da der Boden ziemlich hart und mit Gras bewachsen war. Sie hatten im Garten ein Gehege, aus dem sie eigentlich nicht ausbrechen konnten. Nur die kleinste Katze Annebäbeli, die wildeste von allen, vollführte Tänze und grausame Spiele mit einem toten Vogel vor den Nasen der Schildkröten, dass einem jeglicher Appetit auf irgendein Essen abhanden kam.

Während ich mich, wenn immer möglich, in der kleinen Wohnung vergrub und mich am Computer mit Exel anfreundete, arbeitete Peter wie wild in der Praxis und ärgerte sich über die schnippische Arztgehilfin, die über Entgegenkommen und behilflich sein noch nie etwas gehört zu haben schien. Das Arztehepaar hatte uns schon vorgewarnt, dass sie der Chef in der Praxis sei. Sie schien sehr nett zu sein, aber der Schein trügt, wie immer.
Selbst wenn noch eine zweite Arztgehilfin anwesend war, keine der beiden wäre bereit gewesen, Peter z.B. bei einer Wundversorgung zu helfen. Alles musste er alleine machen, sogar Röntgenbilder anschreiben. Peter bekam sogar zu hören: „Machen Sie endlich, was ich Ihnen sage!“. Als wir die Praxis das erste Mal sahen, waren wir überzeugt, dass man hier ähnlich wie in unserer Praxis praktizieren konnte, aber leider hatten wir uns auch in dieser Beziehung getäuscht. Für Peter waren in den meisten Praxen die wirklich wichtigen Medikamente nicht vorhanden, dafür dutzendweise solche, die man nur selten benötigte. Auch wurde überall am falschen Ort gespart. So eine Praxis wie wir hatten, wird es wohl nie geben. Hoffentlich schätzt sie unser Nachfolger auch gebührend. Der hat zwar genug geändert und sicher auch viel weggeschmissen. Traurig, aber wahr.

Wegen der „lieben“ Katzen werden wir nicht mehr in die Praxis nach Sargans gehen, denn ich reagierte allergisch auf sie. So suchte Peter sofort einen Ersatz und wurde auch gleich fündig, denn in Eschen im Fürstentum Liechtenstein suchte ein Arzt für den ganzen November einen Vertreter. Peter verabredete einen Termin, fragte aber zur Sicherheit, ob er keine Tiere besitze, was verneint wurde. Wir waren begeistert, denn Eschen ist noch näher zu St. Gallen als Sargans. Wohnung wie Praxis waren noch neu und wunderschön eingerichtet. Die Vertretung wurde auch gleich fest vereinbart. Als wir uns verabschiedeten sagte der Arzt nur: „Apropos Tiere, ich bin halt doch auch ein Tierliebhaber, aber das wird Ihre Allergie nicht stören, denn ich habe nur zwei kleine, harmlose Riesenschlangen. Sie haben aber einen separaten Raum für sich. Man kann sie nur vom Wohnzimmer aus durch ein grosses Guckfenster beobachten.“ Vor Schreck vergass ich, zu schauen, was für Schlangen es nun tatsächlich waren. Wenigstens musste ich sie nicht füttern, dafür sorgte der Bruder.


(6) Alexa auf der Lüderenalp.

Alexa auf der Lüderenalp.

 

Ende September 2000 wurden wir für zwei Wochen wieder im schönen Emmental erwartet. Wir benützten das mittlere Wochenende am 23./24.9., um mit unseren Kindern nachträglich noch meinen 60. Geburtstag zu feiern. Uns schien dafür die Lüderenalp wie geeignet zu sein. Peter und ich feierten dort schon den 1. August. Wir waren begeistert, denn so viele Höhenfeuer rundherum von den Berner bis zu den Neuenburger Alpen wie von dort haben wir noch nie zu Gesicht bekommen. Die Aussicht war einfach traumhaft, dass wir gleich für das Wochenende im September Zimmer reservierten. Es gibt dort ein Hotel mit einem Spielplatz für Kinder und viele Feuerstellen zum Braten und Picknicken. Das Wetter machte ebenfalls mit, denn vorher und nachher regnete es, aber an unserem Wochenende strahlte die Sonne mit dem blauen Himmel um die Wette. Auch unsere Kinder sowie Barbara und Michel waren begeistert vom schönen Emmental, und Alexa konnte sich so richtig bis zum Umfallen austoben.


(7) Auf der Lüderenalp.

Auf der Lüderenalp.

 

Unsere Septembervertretung verkürzte sich, weil wir am 28.-29.9.2000 im Kongresshaus in Luzern den Aerzten unsere Homepage präsentierten. Abends fuhren wir jeweils wieder nach Sumiswald und Peter versorgte die dringensten Patienten, umso strenger hatte er es dann am letzten Samstagvormittag. Auch mir verblieb weniger Zeit, um zu packen und das Haus wieder in Ordnung zu bringen. Es war eine gute Erfahrung in Luzern, obwohl das Interesse der Aerzte nicht gross war, aber nicht nur uns, sondern auch den andern Ausstellern gegenüber. Wir hatten wenigstens von unserem Platz aus einen schönen Blick auf den See und die Altstadt von Luzern.

In St. Gallen begann eine hektische Woche, in der wir so viele Einladungen und Abmachungen wie möglich rein quetschen wollten (Peter hat nach den Vertretungen immer einen Riesennachholbedarf). Zwischendurch gab es immer viel Post zu erledigen, ganz abgesehen von den üblichen Haushaltsarbeiten. Diesmal konnte ich es in dieser Hinsicht etwas gemütlicher nehmen, denn Mitte der Woche rief der Arzt aus Wila an, wir hätten noch zwei Katzen zu versorgen, die sie inzwischen für ihre Kinder zugelegt hätten, was uns natürlich gar nicht freute. Wegen meiner Allergie weigerte ich mich schlichtweg, nach Wila mitzugehen, denn die hatten noch überall Teppichböden. Ich bekam schon in Grindelwald eine Sinusitis, wie ich schon lange keine mehr hatte, nur weil ich das Wohnzimmer, in dem sich auch der Hund normalerweise aufhielt, saugen musste.

Peter machte sich am 8.10.2000 alleine auf den Weg nach Wila, denn so schnell bekam der Arzt keinen anderen Vertreter. Deswegen werden uns solche Aenderungen nur kurzfristig mitgeteilt. Bis jetzt hatte Peter eher den Eindruck, ich übertreibe, was Hygiene mit Katzen anbelangte, aber nach den zwei Wochen in Wila musste er zugeben, dass er noch nie in seinem Leben so oft die Hände gewaschen habe. Das Katzenkistchen stand
gleich im Raum neben der offenen Küche, deshalb breitete sich der Geruch im ganzen unteren Stockwerk aus. Der Nachbar, der die Katzen über das Wochenende versorgte, stellte die Abfallsäckli mit dem Katzenkot einfach neben das Kistchen, und so machte es zu Beginn auch Peter. Er meinte nur, der Gestank werde langsam aber sicher unerträglich. Ich schlug ihm vor, die Säckli auf der Terrasse zu sammeln, bis man sie mit dem Abfall weggeben konnte. Irgendwie schaffte er es, am Morgen nicht nur für sich das Frühstück zuzubereiten, sondern auch für die Katzen und diese jeweils auch noch zu streicheln.

Die Arztgehilfin war diesmal etwas freundlicher, trotzdem war er froh, dass er nur noch im Januar für eine halbe Woche nach Wila gehen musste. Das Zusammenarbeiten mit ihr war alles andere als ideal. Wozu sollte er sich dauernd ärgern, das wäre ja nicht der Grund unserer Praxisaufgabe. Wir sind nicht gezwungen, irgendwo zu arbeiten, wo es uns nicht gefällt. Die perfekte Praxis, wie Peter sie sich wünschen würde, gibt es jedoch mit Bestimmtheit nicht.

Während Peter in Wila arbeitete, hatte ich endlich für unsere Wohnung in St. Gallen etwas mehr Zeit, die Fenster mussten geputzt, die Balkonmöbel verräumt werden, etc. Zwischendurch hütete ich Alexa. Wir genossen es immer sehr zusammen. Mühsam war einzig, dass man ihr nachts noch die Flasche geben musste, was Barbara aus Angst, sie nehme nicht genug zu, eingeführt hatte und natürlich jetzt schwierig zu ändern war.

Auch mein Patenkind Annika besuchte mich, die aus Neuseeland wieder einmal in ihrer Heimat weilte. Wir verbrachten einen wunderschönen Tag, spazierten nach dem Mittagessen zum Wildpark Peter und Paul. Später zeigte ich ihr noch die Stiftsbibliothek im Kloster St. Gallen. Donnerstagabends kam Peter nach Hause, denn am Freitag reiste er früh in die Slowakei zu einem Treffen der Studienkollegen. Eigentlich wollte er erst am Dienstag zurückkehren, aber Corinne hatte am Montag zusammen mit zwei Schauspielschülerinnen eine Theateraufführung in Zürich, die er nicht missen wollte, also fuhr er am Montag direkt von Bratislava nach Zürich. Am Sonntag kamen Barbara und Daniel mit Alexa zu mir. Wir hatten zusammen ein gemütliches und feines Mittagessen im Wildparkrestaurant Peter und Paul. Anschliessend blieb Alexa bei mir über Nacht und am Montag brachte ich sie gegen Abend nach Uerikon, wo Barbara schon auf dem Bahnsteig bereit stand, damit ich ihr Alexa nur schnell übergeben konnte, um gleich weiter nach Zürich zu fahren, da ich dort mit Peter, aus der Slowakei kommend, verabredet war. Barbara kam dann später auch zur Aufführung, musste aber warten, bis Daniel heimkam, damit er bei Alexa bleiben konnte. Wir waren schon ganz gespannt und aufgeregt und warteten natürlich viel zu früh vor der Schauspielschule. Wie kam Corinne überhaupt dazu als Schülerin der Kunstgewerbeschule? Durch eine Kollegin lernte sie Yahel, eine Schauspielschülerin, kennen, die sie oft an Parties der Schauspielschule einlud. An einer dieser Parties begegnete sie auch Yahels Bruder Michel, in den sie sich gleich so verliebte, dass ihr die Kamera gestohlen wurde, ohne es zu bemerken, als sie ihn auf einer Bank an der Limmat sitzend küsste. Yahel fragte sie im September, ob sie nicht Lust hätte, bei einer Theateraufführung das Bühnenbild zu gestalten. Corinne war begeistert, denn so eine Gelegenheit bekam sie nicht jeden Tag. Sie musste nur noch ihren Hauptlehrer in der Kunstgewerbeschule um Erlaubnis bitten, da sie auch während der Schulzeit dafür viel Zeit benötigen würde. Sie bekam freie Fahrt, und so war sie für ein paar Wochen fast Tag und Nacht beschäftigt. Auch ihre ganzen Herbstferien opferte sie dafür, aber es hatte sich gelohnt, obwohl nichts zu klappen schien, Yahel krank wurde und nicht sprechen konnte, die Theaterkritikerin das Ganze etwas abschätzig beurteilte. Die Performance: „Leben ist lebensgefährlich“ begeisterte jedoch alle Zuschauer. Die Gestaltung der Bühne sowie die beiden Darstellerinnen Joanna und Yahel waren super. Die Texte waren gut gewählt und wurden von den beiden jungen Damen bestens vorgetragen. Corinne hüllte die Bühne mit Tüchern ganz in Weiss, alle drei waren auch weiss angezogen, links der Bühne war eine Bar mit blauen und grünen Getränken, dem Lebenselixier und Lebensgift, rechts der Bühne schwelgte Corinne während des Auftrittes quasi in den Erinnerungen, indem sie ihre Fotos sortierte und teilweise an der rechten Wand aufhängte. In der Mitte der Bühne projizierte sie Farbdias an die Wand und stellte die Beleuchtung teilweise so ein, dass durch die Darstellerinnen auf der farbigen Rückwand Schattenspiele entstanden. Zu Beginn zeigte Corinne einen Videofilm, auf dem man die drei auf der Strasse marschieren sah, bis sie vor der Schauspielschule ankamen, dann erschienen sie auf der Bühne. Wie immer muss man es gesehen haben, man kann es schwer beschreiben.

Anschliessend fuhren wir für ein paar Tage nach Agra, für richtige Herbstferien reichte die Zeit leider nicht, obwohl sie Peter nach meiner Meinung dringend benötigt hätte, besonders mit der Aussicht auf die kommende fünfwöchige Vertretung an zwei verschiedenen Orten.

Nach der Enttäuschung in Sargans waren wir nun ganz speziell gespannt, wie die Praxisvertretung in Eschen FL verlaufen wird. Wie verabredet trafen wir dort am Sonntagabend, den 12.11.2000, ein und wurden gleich vom Arzt, einem Junggesellen, empfangen, damit er uns nochmals alles zeigte. Er stellte uns später auch seinem Bruder vor, der einen Stock tiefer wohnte und mit dem wir Kontakt aufnehmen konnten, falls etwas in der Praxis oder in der Wohnung nicht funktionierte. Damit wir die Wohnung gleich voll zu unserer Verfügung hatten, zog der Arzt in ein Hotel in Vaduz. Er wollte noch etwas abwarten, um zu sehen, wie Peter mit den Patienten zurechtkam, bevor er nach Costa Rica abflog. Zu meinem Leidwesen hatte der Arzt das Guckfenster im Wohnzimmer, durch das man die Schlangen hätte beobachten können, mit weissen Tüchern zugeklebt, denn auf die Schlangen war ich schon lange neugierig, z.B. wie klein oder wie gross diese Riesenschlangen nun wirklich waren. In der ersten Nacht träumte ich prompt von einer Schlange mit einem übergrossen, breiten Kopf im Verhältnis zu ihrem Körper. Selbstverständlich hoffte ich auch immer, dass sie nicht plötzlich via Kanalisation im WC auftauchen würde.


(8) Eschen FL.

Eschen FL.

 

Das Arzthaus lag an der Hauptstrasse Haag-Bendern-Eschen-Nendeln-Schaan. Es war deshalb alles andere als ruhig. Man schlief am besten mit geschlossenen Fenstern. Die Praxis mit drei Sprech- und Untersuchungszimmern, einem Röntgenzimmer, einem Labor, einem Büro, einem Kaffeeraum, einem Wartezimmer und einem Empfang war im Parterre. Im ersten Stock befand sich die Physiotherapie, und daneben wohnte der Bruder. Zuoberst hatte der Arzt seine Wohnung. Zwischen Wohnungseingang rechts und der Waschküche links war der separate Eingang zum Schlangenzimmer. Der Bruder konnte die Schlangen also füttern, ohne uns zu stören. Auf jeder Etage gab es eine grosse Terrasse mit Blick auf das weite Rheintal, im Hintergrund die rundum liegenden Berge. Hier bedrohten sie einem nicht so wie in Grindelwald, wo wir Mönch, Eiger und Jungfrau direkt vor der Nase hatten. In welchem Zimmer man auch aus dem Fenster schaute, überall präsentierte sich ein wunderschönes Bergpanorama. Die Wohnung war auch speziell, im Entrée und Wohn-Esszimmer gab es weisse Marmorböden, auch die Säulen, die den Wohn- und Schlafzimmerbereich trennten, waren aus weissem Marmor, und als Abschluss zu den Decken waren Spiegelstreifen angebracht. Die beiden Schlafzimmer hatten violettblaue Teppichböden. Auch die Vorhänge und die Lampen in allen Zimmern hatten verschiedenfarbige Blautöne. Das riesige Badezimmer glänzte in schwarzem Marmor, in einer Ecke eine grosse Dusche, anschliessend eine weisse Badelandschaft mit schwarzen Marmortreppen umgeben. An der Wand hinter der Badewanne waren Spiegel angebracht. Hingegen die modern eingerichtete Küche war rot/schwarz. Zuerst hatte es schwarz/weiss gemusterte Vorhänge, dann liess die Mutter während unserer Anwesenheit dünne, weisse Vorhänge mit feinen schwarz-roten Streifen aufhängen.

Wie in Sargans und Wila gab es hier mehr zu tun als in Sumiswald und in Grindelwald, mindestens 40 Patienten/Tag, dafür musste Peter nur 4 ½ Tage arbeiten, so konnten wir am Donnerstagnachmittag und am Freitagabend nach Hause und kamen erst am Sonntagabend wieder zurück. Ausserdem gab es hier schwierigere Fälle als anderswo, sodass er kaum Zeit hatte, zu atmen, aber die Arztgehilfinnen waren freundlich und zuvorkommend. Er war direkt von einem Harem umgeben, denn unten umschwirrten ihn drei Arztgehilfinnen und eine Lehrtochter und oben stand auch nochmals ein weibliches Wesen bereit, um dem grossen Meister zu dienen und für sein leibliches Wohl zu sorgen.

(Auch Daniel arbeitete witzigerweise im November im Fürstentum Liechtensein.)

Während dieser Vertretung besuchten wir an einem Wochenende (Freitagabend, Samstag und Sonntag) in Zürich unseren ersten Kurs in Kinesiologie, der uns sehr beeindruckte und wir deshalb beschlossen, noch weitere Kurse zu buchen. Dank einem ehemaligen Kantonschemiker aus dem Tessin, mit dem Peter einen brieflichen Austausch hatte und den wir sogar einmal noch in Agra trafen, kamen wir überhaupt auf die Idee, uns mit der Kinesiologie zu befassen.

Am 2. Januar 2001 packte Peter erneut alleine seine sieben Sachen und fuhr nach Wila, um dort, wie versprochen, nochmals für drei Tage die Praxis zu vertreten. Er hatte mit der Arztgehilfin oder sie mit ihm wieder nicht das Heu auf der gleichen Bühne, aber auch wegen der Katzen war Peter mehr als froh, dass es das letzte Mal war.

Am Sonntag darauf brachten Barbara und Daniel Alexa zu uns, damit sie sich anschliessend ein paar Tage während ihrer Skiferien erholen konnten. In der Nacht auf Montag schneite es ziemlich, sodass wir mit Alexa schlitten konnten. Zuerst wollte sie sich nicht auf den Schlitten setzen. Nachdem ich ihr zeigte, wie problemlos das ging, als ich zuerst alleine den Hügel runter fuhr und dass sie keine Angst haben müsse, änderte sie ihre Meinung. Mit der Zeit bekam sie sogar Freude daran. 

Am Dienstag besuchten wir mit ihr das St. Galler Puppentheater. Der Froschkönig wurde gespielt und wir waren gespannt, ob ihre Ausdauer reichte, so lange zuzuschauen. Die Spieler waren nicht hinter einem Vorhang versteckt, sondern traten mit den Puppen in der Hand auf die Bühne. Dadurch wurde die Angst der kleineren Kinder sicher etwas gemildert. Nur sahen die Puppen alles andere als lieblich aus, weshalb Alexa gleich wieder gehen wollte. Ich konnte sie aber beruhigen, indem ich ihr ins Ohr flüsterte: „Die Puppen sind ganz lieb, sie sehen nur so grimmig aus.“ Gespannt verfolgte sie darauf das ganze Theater und war begeistert, als zwei Tage später das Stück auch am Fernsehen vorgestellt wurde. Am Mittwoch bekam Alexa leider Schnupfen und Husten, der sich nachts pseudokruppartig verschlimmerte. So gab es am Donnerstag für Alexa und mich Stubenarrest. Peter hatte eine Fortbildung in Zürich, vorher besuchte er seine Tante in Zürich und spielte mit ihr und Bekannten Karten. Wir fragten Maria an, ob wir trotz Alexas Gesundheitszustand wie verabredet am Freitagvormittag zu ihr in den Kindergarten kommen durften. Sie meinte ja, und so kam sie wieder in den Genuss, mit andern Kindern in Kontakt zu kommen, vor allem war es für sie eine Abwechslung. Sehr grosse Lust zum Spielen verspürte sie schon wegen ihrer Krankheit noch nicht. Sonntags brachten wir Alexa in ein Restaurant bei Pfäffikon, da wir dort anschliessend Peters Freunde besuchten. Barbara und Daniel warteten schon auf uns, und wir konnten ihnen nur ein krankes, dazu noch schlafendes Kind zurückgeben. Sie waren begeistert von St. Antönien zurückgekehrt, hatten auch in Schiers einen Halt gemacht und waren nun bereit, wieder etwas gestärkt in die neue Woche zu steigen. Wir freuten uns auch auf ein paar erholsame Tage.

Unsere Ferien in Lech Ende Januar 2001 waren super. Die ersten zwei Tage hatten wir
Sonne pur, die Schneeverhältnisse liessen allerdings zu wünschen übrig, was vor allem unsere Skis zu spüren bekamen. Peter tat es um die Skis leid, die er von Guido Diebold erhalten hatte.

Am 4. Februar 2001 starteten wir erneut für drei Wochen in Eschen. Diesmal war das Fenster, durch das man die Schlangen beobachten konnte, nicht abgedeckt. Die Riesenschlangen waren tatsächlich noch nicht so gross, es waren offensichtlich junge, aber ca. einen Meter lang waren sie schon. Wozu sich jemand Schlangen hält, weiss ich wirklich nicht, denn sie bewegen sich ja kaum. Den ganzen Tag schlafen sie, und wenn es gut geht, nehmen sie abends ein Bad. Es sei denn, sie wollen sich schuppen, dann liegen sie tagelang im Wasser, was wir während dieser Vertretung genau beobachten konnten. Ich dachte schon, das könne doch nicht normal sein, Tag und Nacht, ohne Bewegung, den Kopf etwas aus dem Wasser haltend im kühlen Nass zu liegen, aber unser Schwager Frido meinte, die würden sich sicher bald schuppen und genau, ausgerechnet als Barbara mit Alexa uns in Eschen besuchte (sie wollten Alexas Bärenkostüm, das ich für die


(9) Alexa im Bärenkostüm.

Alexa im Bärenkostüm.

  

Fasnacht genäht hatte, abholen), streifte sich eine der Schlangen das alte Kleid ab. Es war schon etwas grotesk, als plötzlich ihre „alten Augen“ auf dem Rücken zu sehen waren. Endlich bewegte sie sich, denn diese Prozedur war ja nur durch ein Herumkriechen möglich. Sie dauerten mich schon, denn der Käfig war doch ziemlich klein für ihre Grösse. Die Halter behaupten ja alle, sie seien tierliebend, ich würde eher meinen Egoisten.

Sonst verlief diese Vertretung problemlos. Peter hatte zwar wieder sehr viel zu tun, aber die Arbeit machte ihm Spass. Wir fühlten uns hier schon fast wie zu Hause. Ein Vorteil von Eschen war auch, dass Agra viel näher rückte. Daher benützten wir die Gelegenheit, um an einem verlängerten Wochenende die warme Wintersonne auf dem Balkon unserer Ferienwohnung zu geniessen.

Am Samstag, 24. Februar 2001, feierten wir alle unsere Geburtstage, d.h. Corinnes, Daniels, Peters und meiner, im Restaurant „Burestübli“ bei Pfäffikon, ein „gäbiges“ Lokal für Gäste mit kleinen Kindern, denn es gab dort eine richtig tolle Spielecke, sodass wir gut zusammen sprechen konnten und Alexa sich ebenfalls bestens unterhielt. Michel fehlte aber in unserer Runde, weil er sich in der Zeit in Südamerika aufhielt und versuchte, ausser die Sehenswürdigkeiten Ecuadors, der Galapagos, Perus etc. zu bewundern, noch etwas Spanisch zu lernen.

An Daniels effektivem Geburtstag, am 27.2.2001, wurde unsere Wohnung an der Oetlisbergstr. 12 in Zürich auf unsere Mieter überschrieben. Damit wurde wieder ein Zeitabschnitt abgeschlossen und ein neuer, was Geldanlagen anbelangte unsicherer begann. Kaum dass ich etwas mit der Börse zu tun habe, fallen die Kurse. Seit wir unser Geld in Papiere angelegt haben, gibt es nur Verlustmeldungen. Umso mehr schätzen wir das zwar nicht grossartige, aber doch mehr oder weniger stetige Einkommen dank der Vertretungen.

Wir fuhren am 4. März 2001 wieder nach Sumiswald, denn der Arzt wollte am Engadiner Marathon teilnehmen. Die ehemalige Gemeindeschwester Hanny aus Zweisimmen kam mit ihrem Mann Fred extra ins Emmental, um Peters Geburtstag im geschichtsträchtigen Restaurant Bären zu feiern, denn hier soll die gesamte erwachsene Mannschaft des Tales nach der Beerdigung ihres Retters vor der schwarzen Spinne (gemäss Gotthelfs Novelle) am runden Tisch gesessen haben.


(10) Geschichtsträchtiges Restaurant Bären in Sumiswald.

Geschichtsträchtiges Restaurant Bären in Sumiswald.

 

Wegen der weiteren Kinesiologiekurse in Zürich wurden unsere Frühjahrsferien in Agra unterbrochen. So verbrachten wir nur eine knappe Woche im März und eine Woche im April in unserer südlichen Wohnung. Zwischendurch absolvierten wir, wie gesagt, zwei Kinesiologiekurse und ein paar Tage vor Ostern durften wir noch Alexa bei uns haben, was uns immer grosse Freude bereitete. Am Ostersonntag brachten wir Alexa zurück und feierten bei Barbara und Daniel zugleich Alexas Geburtstag, der eine gute Woche später stattfand. Auch Corinne und Barbaras Mutter Regula waren dabei.

Am Ostermontag hiess es wieder Richtung Sumiswald aufbrechen, wo wir vierzehn regnerische, dafür ruhige Tage verbrachten. Umsomehr hatten wir nun Zeit, uns in der Kinesiolgie zu üben, denn um nur einmal alle Muskeltests mit den Stärkungen und Ausgleichungen durchzuführen, benötigten wir mindestens eine Stunde, am Anfang sogar mehr. Von Mal zu Mal bekamen wir mehr Übung.

Oh Wunder, nun waren wir für eine ganze Woche in unserer Wohnung in St. Gallen. Obwohl es in so einer kurzen Zeit zu Hause viel zu erledigen gab, genossen wir unser St. Galler Heim ganz besonders, vor allem auch die schönen Spaziergänge im angrenzenden Wald.

Nachdem wir am Samstagabend noch die etwas spezielle Oper Ubu Cocu zu Gemüte führten, machten wir uns am Sonntag wieder auf nach Eschen, einem neuen, dreiwöchigen Abenteuer entgegen, denn erst kurz vorher, wie es unter den meisten Medizinern anscheinend so üblich ist, wurde uns bekannt gegeben, dass nebst den Schlangen auch ein grosser Papagei aus Costa Rica da sei, der aber auch vom Bruder des Arztes gehütet würde. Im Wohnzimmer stehe nur eine grosse Volière. Nun, ich liess ausrichten, dass die Putzfrau die ganze Wohnung gründlich reinigen müsse, im speziellen auch die Volière. Da die Wohnung nur in den Schlafzimmern Teppiche hatte, hoffte ich, diesen Aufenthalt in Eschen ohne Schaden zu überstehen. Der Käfig, aber auch sonst war wirklich alles blitz und blank sauber. Den Papagei hörten wir nur ab und zu von unten herauf krähen. Zu Beginn schien alles auch ganz gut zu gehen, die Schlangen waren inzwischen wieder ein Stück gewachsen, bewegten sich hie und da von einer Ecke ihres Terrariums in eine andere oder nahmen ein Bad, aber die störten uns wirklich nicht. Wir übten trotz Peters strengen Tagen abends fleissig Kinesiologie, denn es war einfacher, wenn die zu testende Person auf einer Untersuchungsliege ruhen konnte.

In der zweiten Woche bekam ich zunehmend Schwindel. Ich konnte mich kaum im Bett umdrehen, da die Matratze noch dazu mit Luft gefüllt war und wie bei einem Wasserbett schaukelte. Mit der Zeit kratzte mich auch der Hals, es juckte in den Augen, und ich begann zu husten. Zuerst dachte ich, ich hätte mich erkältet, wusste nur nicht wann und wo. Nach dem Wochenende zu Hause fühlte ich mich wieder besser, dann verschlechterte sich mein Zustand mit unserem fortschreitenden Aufenthalt in Eschen. Frappant war, dass ich mich über Auffahrt, die wir zu Hause verbrachten, merklich besser fühlte. Da Peter am Freitag nochmals in der Praxis arbeitete, mussten wir wohl oder übel nochmals am Donnerstag dort  schlafen. Diese letzte Nacht gab meinem gesundheitlichen Zustand quasi den „Todesstoss“, denn nun bekam ich nicht nur eine Stirnhöhlenentzündung mit dem dazu gehörenden, trockenen Husten, sondern auch noch einen Hals wie ein Reibeisen und last but not least Atemnot. Ich musste zwar noch die letzte Nacht und den letzten Tag hier durchstehen, aber ich hatte keine Lust, je wieder hierher zu kommen. Im Grunde genommen sollte ich mich auch sofort weigern, als ich etwas von diesem für mich Unglücksvogel erfuhr, denn meine Allergie auf Tiere begann mit dem Papagei, den Corinne in den ersten Sommerferien in Romanshorn bereit war zu hüten, nebst Mäusen, die in meinem Büro auf Jahre hinaus einen bestimmten Duft hinterliessen. Auch damals begann ich zu husten.

Leider begann gleich am darauf folgenden Sonntag schon wieder die Vertretung in Sumiswald. Dort hatte ich bis jetzt keine wesentlichen Probleme, obwohl sie einen Hund besitzen, der jeweils während unseres Aufenthaltes in einem Heim war, aber es gibt im unteren Stock keine Spannteppiche. Nach Eschen besserte sich mein Zustand dort nur zögernd, denn die Milben in den alten, verstaubten Büchern in meinem dortigen Schlafzimmer förderten die Heilung auch nicht gerade.

Peter schrieb nach unserer Rückkehr am 27.5.2001 dem Arzt in Eschen einen Abschiedsbrief mit den Worten: „Nicht Eva, sondern Ara hat uns aus dem Liechtensteinischen Paradies vertrieben.“ Er war auch wirklich traurig darüber. Wir erhielten aber nie eine Reaktion darauf. Empört war ich schon deshalb, weil wir vor Peters Anstellung ausdrücklich betont hatten, dass wir wegen meiner Allergie nur kommen können, wenn er keine Tiere besitze.

Kaum hatte sich Peter langsam an den Gedanken gewöhnt, nicht mehr in Eschen arbeiten zu können, meldete sich ein Chirurge aus Romanshorn, der dort eine Privatklinik betrieb. Er wollte sich mit uns wegen einer eventuellen Zusammenarbeit treffen. Wir wunderten uns, was er sich darunter wohl vorstellte. Es war ihm sogar so dringend, dass er am Pfingstsonntagvormittag erschien. Er wollte Peter für eine Mitarbeit an einer neu zu eröffnenden Klinik in Güttingen, direkt am Bodensee, gewinnen. Die Religionsgemeinschaft Kuhn hatte dort ein grosses Grundstück gekauft, auf dem sie im Sinne hatten, eine alternativ-medizinische Klinik zu errichten. Zwei deutsche Homöopathen würden dort praktizieren und Peter wäre der leitende Arzt gewesen. Die Idee lockte Peter natürlich schon, denn auch er hätte seine alternativen Richtungen einbringen können. Wir sind zwar keine Kuhn-Anhänger, aber solange sie uns nicht bekehren wollten, hatten wir nichts gegen sie einzuwenden. Die Sokrates-Stiftung (kümmerte sich um das für diese Klinik erworbene Kuhn-Vermögen) werde sich mit Peter in Verbindung setzen. Es dauerte ihnen allerdings etwas, bis sie sich meldeten, die nächste Sumiswald-Vertretung rückte bereits näher, und eigentlich wollten wir noch für ein paar Tage nach Agra, denn wenn wir schon einmal zwischen den Vertretungen drei Wochen pausierten, wäre es schön gewesen, die Zeit dafür auszunützen. Aber daraus wurde nicht viel, denn ein Termin löste den anderen ab. Wir sollten Bekannte treffen, ich vergnügte mich an zwei Mittwochnachmittagen mit Alexa, und Maria und Frido hatten mit dem Thurgauer Kammerchor ihr erstes Konzert, was sehr schön war (ausnahmsweise sogar mit Tanzeinlagen). Zudem fuhr Peter am 15./16.6.2001 nach Norddeutschland wegen Allergiediagnostik mittels IGG-Bestimmungen in der Schweiz, und am 17.6.2001 waren wir zur Diamantenen Hochzeit von Tante Rösli und Onkel Walter eingeladen.


(11) Diamantene Hochzeit von Tante Rösli und Onkel Walter, linkes Bild v.l.:Peter, Silvia (hinter Silvia versteckt Tante Berta), vorne Tante Rösli, Onkel Emil. Rechtes Bild vorne: Tante Rösli und Onkel Walter, ganz rechts ihr Sohn Walter. hintere Reihe v.l.: Ernst, Hilde, Frido, Maria, in der gelben Jacke Peter.

Diamantene Hochzeit von Tante Rösli und Onkel Walter, linkes Bild v.l.:Peter, Silvia (hinter Silvia versteckt Tante Berta), vorne Tante Rösli, Onkel Emil. Rechtes Bild vorne: Tante Rösli und Onkel Walter, ganz rechts ihr Sohn Walter. hintere Reihe v.l.: Ernst, Hilde, Frido, Maria, in der gelben Jacke Peter.

 
Die Sokrates-Klinik liess zwar noch etwas von sich hören, aber aus der Zusammenarbeit wurde nichts, was im Nachhinein wahrscheinlich gut für uns war.


(12) Beim Familienfest in der Henessenmühle v.l. Sandra, Frau v. Emil Nater jun., Tante Emma (Frau v. meinem Götti), Onkel Emil und meine Cousine Rosmarie.

Beim Familienfest in der Henessenmühle v.l. Sandra, Frau v. Emil Nater jun., Tante Emma (Frau v. meinem Götti), Onkel Emil und meine Cousine Rosmarie.


(13) Linkes Bild: Cousin Kurt Lüthi mit Tochter, rechtes Bild: vorne v.l. Paolo Visini und Cousin Guido Lüthi, rechts hinten Sohn Roland v. Bruder Ernst.

Linkes Bild: Cousin Kurt Lüthi mit Tochter, rechtes Bild: vorne v.l. Paolo Visini und Cousin Guido Lüthi, rechts hinten Sohn Roland v. Bruder Ernst.

   
Am 23.7.2001 organisierte ich ein Familienfest in der Scheune des Restaurants zur Henessenmühle in Gossau. Es gab heissen Schinken aus dem Ofen mit ausgiebigem Salatbuffet, Brot und Butter, sowie Dessert vom Buffet. Nebst meinen Geschwistern mit Familien kamen auch alle Onkel und Tanten sowie Cousinen und Cousins von der Nater- wie Schweiwiller-Seite. Sogar Annemarie Etienne-Kern aus Porrentruy erschien (unsere ehemalige Nachbarin von der damaligen Post neben unserem Elternhaus). Es wurde ein sehr gelungenes Fest. Die Bilder sind in einem Album zu bewundern. Hier ein paar Beispiele:


(14) Linkes Bild: Peter, Cousin Leo Lüthi (Sohn v. Tante Rosa) mit Melanie. Rechtes Bild: René und Annemarie Etienne-Kern.

Linkes Bild: Peter, Cousin Leo Lüthi (Sohn v. Tante Rosa) mit Melanie. Rechtes Bild: René und Annemarie Etienne-Kern.

 
(15) Linkes Bild: Daniel, Maria und Barbara. Rechtes Bild: Michel (Freund v. Corinne), Yolanda, Alexa und Corinne.

Linkes Bild: Daniel, Maria und Barbara. Rechtes Bild: Michel (Freund v. Corinne), Yolanda, Alexa und Corinne.

   
Vorläufig blieb Peter die Vertretung in Sumiswald, diesmal für drei Wochen Ende Juni/anfangs Juli und zwei Wochen im September 2001. Ausserdem vertrat er einen ehemaligen Kollegen in Romanshorn während den ersten zwei Wochen im August und drei Wochen im Oktober einen Arzt in St. Gallen. In der ersten Augustwoche war Alexa bei uns. Den ersten August feierten wir auf unserem Balkon zusammen mit Susanne, der ehemaligen Arztgehilfin aus Romanshorn, ihrem Mann und ihren beiden Kindern. Am Freitag machte ich mit Alexa einen Ausflug nach Hauptwil und am Sonntag wanderten wir zusammen mit Annelies, sowie Frido und Maria um die Weiher in Hauptwil.


(16) Von links Frido mit Alexa, Annelies, Silvia Peter, ganz rechts klettert Alexa auf einem Baumstamm herum.

Von links Frido mit Alexa, Annelies, Silvia Peter, ganz rechts klettert Alexa auf einem Baumstamm herum.

 
Ende August genossen wir wieder einmal ausgiebig unsere Wohnung in Agra. Es war wieder wunderschön, und wir unternahmen herrliche Wanderungen zusammen mit Carlo und Pierina sowie Menardis wie zum Beispiel nach Astano und liessen uns mittags im Hotel Post verwöhnen. Am 11.9.2001 besuchten wir meine Cousine Rosmarie mit Paolo in Pedrinate, wo ihr Sohn Paolo ein Weingut hatte. Auf dem Heimweg erfuhren wir im Auto vom Anschlag auf das World Trade Center in New York, wo sich unser Sohn Daniel genau in der Zeit in der Nähe aufhielt. Er hatte Ende August den sehr belastenden Job bei PricewaterhousCooper als Berater aufgegeben und am 1. September in einer amerikanischen Firma namens Peoplesoft als Chef der Keymanager begonnen. Er war dafür verantwortlich, dass in Grossfirmen die Computer reibungslos funktionierten. Er musste nicht mehr so viel reisen wie vorher, aber doch ab und zu in verschiedene Orte in der Schweiz oder im Ausland, wo er persönlich zum Rechten schaute. So war er auch in New York am 11. September 2001 und hatte nur einen Tag vorher direkt neben dem World Trade Center eine Sitzung. Daher waren wir mehr als besorgt, bis wir dann die frohe Botschaft erhielten, er sei wohlauf. Er konnte nur nicht zur gewünschten Zeit zurückkehren.

Am 16.9.2001 begann wieder Peters Vertretung in Sumiswald, diesmal nur für zwei Wochen. Wegen einer Fortbildung musste er aber am Freitag, den 21.9. nach Zürich, während der ich mich in Bern vergnügte. Wie immer benützten wir gerne die Gelegenheit, wenn wir schon im Emmental waren, auch unsere Freunde aus dem Simmental zu sehen. Diesmal fuhren wir am 22.9. nach Zweisimmen, besuchten das Grab von Starky und Starka und trafen uns mit Hanny und Fred. Am Sonntag, den 23.9., kamen Kalinas, unsere Freunde aus Basel, nach Sumiswald. Es freute uns, auch ihnen das schöne Emmental präsentieren zu können, und so genossen wir wieder die vorzüglichen Speisen in einem der feinen Restaurants. Wann immer wir die Möglichkeit hatten, trainierten wir uns in Kinesiologie. Am 29. September konnte Peter ohne Probleme die Praxis dem Besitzer übergeben und damit endeten leider unsere Aufenthalte in Sumiswald. Es waren schöne Zeiten im Emmental. Wir schätzten es wirklich sehr.

Anfangs Oktober holten wir Alexa nach St. Gallen, und am Nachmittag hüteten wir auch noch Jonathan von der Parterre-Wohnung im Haus, so hatte Alexa gleich Gesellschaft. Am Dienstagnachmittag besuchte uns Corinne, eine gute Gelegenheit für Alexa, ihr Gotti wieder zu sehen, worüber sie sich riesig freute. Auch am Mittwochnachmittag kam Jonathan wieder zu uns und am Freitag besuchten uns Susanne mit ihren Kindern. Wir hatten mit Alexa wieder eine gute Zeit zusammen. Sie ist vif, liebt es, draussen herumzutollen, Aktivität ist von morgens bis abends gefragt, auf der anderen Seite ist sie auch eine begeisterte Zuhörerin beim Geschichtenerzählen. So verflog die Woche für Alexa im Nu und schon kam Papi Daniel am Sonntag, sie wieder abzuholen. Wir konnten noch gemütlich mittags zusammen essen. Im Laufe des Nachmittags machten sich die beiden wieder auf den Heimweg.

Am 22. Oktober 2001 fuhren wir nach Splügen, um uns bei einem Arzt vorzustellen. Es wurde uns zugesichert, dass weder Hunde, Katzen noch Vögel vorhanden seien, nur Fische in einem Aquarium, die bei mir sicher keine Allergie auslösen würden. Es schien alles perfekt. Sie wollten ihre Ferien in Israel verbringen.

Bevor wir dort starteten, vertrat Peter noch einen Kollegen in Engelburg an gewissen Tagen. Am 28.10.2001 trafen wir in Splügen ein. Nicht nur dass uns das Dorf gut gefiel mit den wunderschönen Wandermöglichkeiten, es wohnte auch unsere ehemalige Arztgehilfin Elsbeth Wieland, die wir in unserer Praxis in Zweisimmen beschäftigten, in der Nähe. So konnten wir sie zwischendurch besuchen, und sie machte uns mit der Umgebung bekannt. Das Arztehepaar zeigte uns nochmals ihr Haus und die Praxis im Erdgeschoss und erwähnten bezüglich Aquarium nur, dass die Sauerstoffpumpe nicht mehr funktioniere, aber das störe nicht, wir müssten nur die Fische regelmässig füttern, was wir versprachen, genau zu befolgen.


(17) Splügen

Splügen

   

Kaum waren sie abgereist, passierte auf der nahen Autobahn ein schlimmer Unfall, sodass Peter gerufen wurde. Diesbezüglich begann die Praxisvertretung nicht gut. Es belastete uns auch, weil wir diese Autobahn jeweils ebenfalls benützten, wenn wir nach Agra fuhren, so meinten wir, es hätte auch uns treffen können. Damals hatten wir noch kein Generalabonnement. In der Praxis gab es sonst jedoch keine Probleme. Die Arztgehilfinnen waren nett und kooperativ. Alles wäre also bestens gewesen, wenn ich nachts hätte schlafen können. Aber das Aquarium stand in meinem Schlafzimmer und ich wachte auf, weil es vom Acquarium her immer „plupp, plupp“ machte. Ich stand auf und schaute nach, was das sein könnte. Alle Fische schwammen an der Oberfläche und schnappten nach Luft. Am nächsten Morgen rief ich meinen Schwager Frido an und fragte ihn, was wir unternehmen müssen, denn das sei doch nicht normal. Er meinte auch, sie bekämen zu wenig Sauerstoff, weil die Pumpe nicht mehr in Betrieb sei. Wir sollen das Wasser wechseln, aber so, dass die Temperatur möglichst gleich sei, damit die Fische keinen Schock bekommen. Dazu mussten wir das Aquarium samt Wasser ins nahe WC tragen, wo vis-à-vis vom Lavabo gottlob eine kleine Kommode stand, auf der wir das Aquarium abstellen konnten. Natürlich hatten wir schreckliche Angst, dass das Aquarium während des Transports auseinander fallen könnte, die Glaswände wegen des Gewichts nicht gut zusammenhalten würden. Wir konnten das Wasser nicht vorher abpumpen, so war es ziemlich schwer und schwierig zu tragen. Aber wir bewältigten es und stellten es auf die kleine Kommode. Wie sollten wir nun aber das Wasser in das kleine Waschbecken giessen, ohne dass die Fische samt Wasser darin landeten? Ich suchte im ganzen Haus nach einem Schlauch, fand aber nur eine Velopumpe. Selbstverständlich hatte ich keine Lust, das Wasser aus dem Aquarium damit abzusaugen. Peter opferte sich und bekam klar etwas davon ab, bevor er dann den Schlauch über das Waschbecken hielt, sodass sich das Aquarium langsam leeren konnte, ohne dass die Fische zu stark beeinträchtigt wurden. Wir entleerten es nur so weit, dass noch genug Wasser vorhanden war, damit die Fische frei schwimmen konnten. Dann liessen wir aus dem Wasserhahn zuerst Wasser ins Becken laufen, bis wir sicher waren, dass die Temperatur mit der im Aquarium übereinstimmte und füllten es dann wieder mit Hilfe des Schlauches von der Velopumpe. Schlussendlich trugen wir das frisch gefüllte Aquarium wieder an seinen angestammten Platz in meinem momentanen Schlafzimmer. Die Fische dankten es uns, indem sie freudig wieder kreuz und quer durch das Aquarium schwammen und nachts keine „plupp, plupp“-Geräusche mehr von sich gaben. Diese Prozedur durften wir täglich wiederholen.

Als das Arztehepaar am 9.11.2001 aus den Ferien zurückkam, schienen sie enttäuscht zu sein, dass die Fische noch am Leben waren. Wir glauben, insgeheim hofften sie, dass sie während der Ferien krepieren würden. Ihre Tochter legte sich dieses Aquarium zu, und als sie es nicht mehr bei sich haben konnte, brachte sie es nach Hause, wahrscheinlich nicht sehr zur Freude der Eltern. Das war die letzte Vertretung, die wir gemeinsam bewältigten.

Gleich am nächsten Tag, am 10.11.2001, begann wieder ein Kinesiologiekurs in Zürich, der bis Sonntagnachmittag dauerte. Anschliessend besuchten wir Corinne. Am Montag hatte Peter eine Fortbildung in Brunnen und am 13.11.2001 nahmen wir beide an einem Ernährungskurs in Bern teil. Unsere Website lautete ja „Gesund durch Essen“ und nun lernten wir, wie man gesund durch berühren wurde.

Da unsere zusammenlegbare Massageliege (um Rückenschmerzen beim Trainieren zu vermeiden) erst jetzt bei uns eingetroffen war, hatten wir nichts dagegen, dass wir in den Praxen der jeweiligen Vertretungen die vielen Muskeltests üben und all die Meridianverläufe und Akupunkturpunkte lernen konnten. Bevor wir am 23.-25.11.2001 den letzten Touch for Health-Kurs im Institut für Kinesiologie in Zürich absolvierten, vertrat Peter wieder am 21.und 22.11.2001 den Arzt in Engelburg.

Am 26.11.2001 fuhren wir nach Juan-Les-Pins in Frankreich, um unseren ersten NAET-Kurs, den uns Peters Cousine Katka aus Genf empfohlen hatte, nachdem sie in Genf eine NAET-Therapeutin kennengelernt hatte und von der Therapie begeistert war. NAET bedeutet: Nambudripad's Allergy Elimination Techniques. Dr. Devi S. Nambudripad erlaubte die Teilnahme nur Aerzten oder sonst medizinisch ausgebildeten Fachleuten. Ich durfte nur als Peters Assistentin mitmachen. Es war schon eine ziemliche Reise dorthin. Wir benützten auch die Gelegenheit, unsere Freunde Micheline und Guido zu besuchen, die nicht weit von dort ihr Ferienhaus hatten.

Dr. Devi Nambudripad wurde in Indien geboren, 1976 wählte sie aber Kalifornien als ihr Heimatland. Sie wohnte dort mit ihrem Mann, der Kinesiologe war. Sie litt wie ich unter zunehmenden Allergien, konnte langsam kaum mehr etwas essen ausser Reis. So begann sie Medizin zu studieren, und mit ihrem Mann zusammen entwickelte sie diese Therapieform, mit der man herausfinden kann, was dem Körper schadet und was ihm gut tut und dies dank dem gleichen Muskeltest wie bei der Kinesiologie, aber man kann Nahrungsmittel, Chemikalien, Pollen und was auch immer austesten und behandeln. Wir lernten sogar, wie man die Bise und den Föhn einfangen, sowie ihre Struktur ähnlich der Homöopathie in Wasser übertragen kann. Da Dr. Devi Nambudripad und ihr Mann in Amerika mit NAET so erfolgreich waren, reisten sie auch in ganz Europa bis Australien herum, um den Therapeuten diese Methode vorzustellen.

Der Kurs war für uns äusserst spannend und dauerte bis 2.12.2001. Wir hatten kaum Zeit, zwischendurch einmal einen Spaziergang ans Meer zu machen. Dank NAET (Nambudripads Allergy Elimination Technic) erfuhren wir auch, welche Vitamine oder Minerale eventuell stören konnten, welche Organe man vielleicht behandeln sollte und ob die Verdauung in Ordnung war, usw. So kamen wir nach Hause und wussten, was wir zu tun hatten, denn damit man den Muskeltest und die Fragetechnik beherrschte, musste man üben, üben und nochmals üben.

Wir reiten immer noch auf dieser alternativen Welle, weil wir selbst unter Überempfindlichkeiten leiden, denen mit der Schulmedizin nicht beizukommen ist und so suchen wir neue Mittel und Wege, wie wir uns helfen können. Ganz abgesehen davon lernen wir gerne immer wieder Neues kennen. Selbstverständlich hoffen wir, dass auch unsere Kinder und Enkel davon profitieren werden, denn Corinne litt unter einer Kälteallergie (sie konnte sich nur dank Antihistamintabletten im Winter im Freien bewegen).

Corinne besuchte übrigens immer noch mit Freude die Kunstgewerbeschule in Zürich. Im Sommer bereiste sie mit ihrem Freund fünf Wochen Malaysia. Sie fand, trotz Flug würde sie dort billiger leben als in Zürich. Irgendwie schaffte sie es immer, mit wenig Geld auszukommen. Jeden Samstagvormittag gab sie hochbegabten Kindern Privatunterricht.

Kaum zu glauben, aber wir hatten bereits das zweite „Vertreterjahr“ hinter uns. Es war ein unstetes Leben. So wie wir vorher kaum aus dem Haus bezw. aus der Praxis kamen, so waren wir jetzt dauernd auf Achse. Peters Traum, immer die gleichen Praxen zu vertreten, erfüllte sich nicht, denn z.B. der Arzt im Emmental, für den Peter während seiner Ferien die Praxis übernommen hatte, arbeitete jetzt mit einem Partner zusammen, damit er noch mehr entlastet wurde. Deshalb war Peter ständig auf der Suche nach neuen Vertretungen, denn ohne hätte er es noch nicht ausgehalten. Er freute sich immer riesig, wenn er wieder Patienten behandelte, vor allem auch deshalb, weil er sich rein auf die Patienten und ihre Probleme, ohne den ganzen Verwaltungs- und Papierkram, konzentrieren konnte. Nur gab es leider selten Traumvertretungen, bei denen nicht irgendein Problem auftauchte. Die tierliebenden Aerztefamilien und meine Allergien erwiesen sich als das grösste Hindernis.

Weihnachten und Neujahr verbrachten wir zusammen mit Corinne und Michel in Agra (Corinne und Michel in der Wohnung von Heldstabs). Unsere Mailänder Freunde schwärmten uns vor, wie schön es dort um diese Zeit sei, es gebe meistens weiss verschneite Kastanienwälder, herrlich für Spaziergänge und eine Krippe mit echten Tieren. Wir blieben bis 3. Januar 2002, da abends in der Tonhalle St. Gallen das Neujahrskonzert stattfand.
 

(18) Giro del Sole im Schnee.

Giro del Sole im Schnee.

 
(19) Belvedere beim Giro del Sole im Schnee.

Belvedere beim Giro del Sole im Schnee.

 

Peter vertrat nun regelmässig gewisse Tage in der Woche den Arzt in Engelburg. Zwischendurch genossen wir ein paar Tage mit Guido die tollen Skipisten in Lech. Im Februar war der Kollege aus Arbon krank und darum froh, dass Peter seine Praxis vom 4.2.-22.2.02 vertrat. In beiden Praxen gab es keine Probleme.

Anschliessend arbeitete Peter vom 25.2.-28.2. und 4.3.-9.3.2002 auch noch als Kurarzt in der Klinik in Berlingen, wo er andere alternative Ernährungsweisen kennenlernte, die ihn aber nicht sonderlich überzeugten, da er einmal schreckliche Bauchkrämpfe und Durchfall bekam, nachdem er dort lactosehaltiges Gebäck gegessen hatte.

Am 8.3.2002 (Peters Geburtstag) mussten wir in Zürich in der Kinesiologie eine Prüfung in Touch for Health absolvieren, die wir beide problemlos bewältigten. Sie war vor allem für mich wichtig, denn nur dank dieser bestandenen Prüfung wurde ich zum Abschluss der NAET-Kurse zugelassen. Anschliessend an diesen Kurs feierten wir am 9.3.2002 Peters 65. Geburtstag zusammen mit Barbara, Alexa, Daniel, Corinne und Michel, sowie Suska, Slavek und Malinas.

Wir hatten gerade noch ein paar Tage Zeit, um uns vorzubereiten, dann fuhren wir schon wieder Richtung Juan les Pins, um am 2. NAET-Kurs vom 14.-18.3.2002 teilzunehmen. Wir interessierten uns zuerst für Kinesiologie wegen meiner Ueberempfindlichkeiten auf Nahrungsmittel, Pollen, etc., aber wir sahen dann ein, dass die Kinesiologie alleine uns bezüglich Nahrungsmitteln nicht weiter brachte. Wir erfuhren wieder viel Neues. Noch mit dem Kopf voll von dem Dazugelernten und mit einer Teilnehmerin aus Italien fuhren wir für einen Monat Richtung Süden. Wir wollten auf der einen Stiefelseite von Italien bis Sizilien fahren und auf der andern Seite zurück. Ueber diese Reise kann man Bemerkungen und Bilder im entsprechenden Album finden.

Nach unserer Rückkehr vertrat Peter abwechselnd den Kollegen in Engelburg und einen Arzt im Toggenburg. Zwischendurch besuchten wir weitere Kinesiologiekurse.

Es waren für uns drei wunderschöne, erlebnisreiche Jahre. Wir waren in einer besonderen Lage zwischen zu Hause sein und doch anderswo, zur Familie gehörend und fremd sein, ausserdem lernten wir mit so vielen Tiere zusammen zu leben, was sonst nie möglich gewesen wäre. Für Peter war es speziell spannend, zu erfahren, wie verschieden doch die Arztpraxen geführt und die Patienten behandelt wurden. Wir hätten diese Aufenthalte nicht missen wollen. Sie stillten auch das Bedürfnis beider nach Abwechslung und neuen Erlebnissen.


 

Wieder eine eigene Praxis
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10.  Wieder eine eigene Praxis

Am 12.11.2002 war ein grosser Tag, denn die Wohnung Heinestrasse 12 in St. Gallen wurde auf uns überschrieben. Damit begann wieder eine neue Ära. Zum 3. Mal eröffneten wir eine Praxis, diesmal jedoch eine Minipraxis in einer 2-Zimmer-Wohnung, die sich zwischen dem Bahnhof und unserem Zuhause befand. Eigentlich sollten die Weiterbildungen in alternativen Heilmethoden in den letzten drei Jahren vor allem uns dienen, deshalb befassten wir uns ja auch schon seit Jahren mit Ernährung und Nahrungsmittelunverträglichkeiten, seit wir aber feststellten, dass wir u.a. Corinne von ihrer Kälteallergie befreien konnten, hatten wir uns entschlossen, auch noch andere davon profitieren zu lassen. Selbstverständlich wurde es wegen der Einrichtung der Praxis wieder etwas hektisch, vor allem weil sich via Internet und wegen eines Artikels in der Zeitung über uns schon Patienten meldeten. Unsere Vorstellung war, dass wir höchstens drei Tage in der Woche arbeiteten. Wir freuten uns wie kleine Kinder, nochmals etwas Neues aufzubauen. Diese Art von Diagnose und Behandlung machte uns Spass, dabei kam auch Peters Forschungsdrang zum Zuge. Ausserdem waren uns seine Biochemiekenntnisse sehr von Nutzen. Jedenfalls folgten wieder spannende Jahre, die wir nicht hätten missen wollen, dazu besserten meine Beschwerden, sowie diejenigen unserer Verwandten und Bekannten und vieler Patienten, die wir behandelten.

Am 9.2.2003 (nicht am 10., da der 9. ein Sonntag war) feierten wir im Schloss Sonnenberg unseren 30. Hochzeitstag (siehe Fotoalbum von Corinne). Fast alle Gäste des ursprünglichen Hochzeitsfestes waren anwesend, aber natürlich auch diese waren um einiges älter geworden. Daher konnten auch unsere Eltern nicht mehr dabei sein. Trotzdem war es ein sehr schönes, gemütliches Beisammensein, das, wie man sehen kann, alle genossen hatten.


(1) Brautpaar am Hochzeitstag und 30 Jahre später.

Brautpaar am Hochzeitstag und 30 Jahre später.


(2) Hochzeitspaar mit Trauzeugen, Daniel und Eltern sowie 30 Jahre später.

Hochzeitspaar mit Trauzeugen, Daniel und Eltern sowie 30 Jahre später.

  
(3) Linkes Bild:Silvia mit Daniel sowie links Roland und Andreas (Kinder von Bruder Ernst), vorne li Pirmin (Sohn von Bruder René) und vorne rechts Arlette, (Tochter von Paul), rechtes Bild: 30 Jahre später. Arlette lebte leider auch nicht mehr.

Linkes Bild:Silvia mit Daniel sowie links Roland und Andreas (Kinder von Bruder Ernst), vorne li Pirmin (Sohn von Bruder René) und vorne rechts Arlette, (Tochter von Paul), rechtes Bild: 30 Jahre später. Arlette lebte leider auch nicht mehr.

     

(4) Linkes Bild: hintere Reihe: Andreas, Roland und Daniel, vorne Pirmin. Rechtes Bild 30 Jahre später.

Linkes Bild: hintere Reihe: Andreas, Roland und Daniel, vorne Pirmin. Rechtes Bild 30 Jahre später.

  

(5) Linkes Bild: Brautpaar mit Trauzeugen Frido und Maria. Rechtes Bild: 30 Jahre später.

Linkes Bild: Brautpaar mit Trauzeugen Frido und Maria. Rechtes Bild: 30 Jahre später.

  
(6) Linkes Bild: Hochzeitskuss. Rechtes Bild: 30 Jahre später.

Linkes Bild: Hochzeitskuss. Rechtes Bild: 30 Jahre später.

 

Corinne hatte nun noch die letzten zwei Jahre an der Kunstgewerbeschule in Zürich vor sich. Sie war sehr motiviert, diese Zeit so gut wie möglich zu nutzen. Ihr Freund Michel hatte inzwischen einen Traumjob gefunden. Er organisierte Konzerte in ganz Europa, war auch für die Finanzierung verantwortlich und kam dadurch mit berühmten Musikern und anderen Persönlichkeiten zusammen. Für die lange Arbeitszeit wurde er etwas zu wenig entschädigt, aber eben, man kann nicht alles haben, wie schon Herr Imobersteg in Zweisimmen sagte.

Daniel war happy in seiner Stellung bei einer amerikanischen Software-Firma in Volketswil. Die Arbeit machte ihm Spass und liess ihm mehr Spielraum als in der Tätigkeit als Berater. Alexa war seit den Sommerferien im Kindergarten und glücklich, dass sie dort altersentsprechendere Kinder zum Spielen fand als im Hort, und Barbara beschäftigte sich zwischendurch in der Privatklinik von Professor Seiler in Zürich.

Schon wieder standen Weihnachten 2003 vor der Türe. Bei uns war es tatsächlich schon Ende Oktober weiss, so dass Alexa hinter unserem Haus schlitteln und die Schneefrau
mit Locken (die waren vor allem wichtig) kreieren konnte.
 

(7) Alexa mit Schneefrau.

Alexa mit Schneefrau.

  
Bald sah natürlich alles wieder grün aus, und wir hoffen nur, dass es bis zu den Festtagen wenigstens in den Bergen etwas schneite. Wir würden gerne zusammen mit Alexa, Barbara, Corinne, Daniel und Michel ski fahren, diesmal in Tschiertschen.


Daniel zog mit seiner Familie 2003 nach Rapperswil um, damit Alexa selbständiger in den Kindergarten, bzw. das kommende Jahr in die Schule gehen konnte. Sie wurde inzwischen schon ein grosses, sportliches Mädchen, das auf der Skipiste wie auf dem Eis ihre ersten
Prüfungen bestand.

(8) Alexa bei der Preisverteilung.

Alexa bei der Preisverteilung.

 

Ausserdem lernte sie in diesem Sommer schwimmen. Wenn das in der Schule auch so weitergeht, können alle zufrieden sein. Seit Sommer 2003 arbeitete Daniel in einer neuen Beratungsfirma in Baar ZG, denn die amerikanische Firma Poeplesoft hatte finanzielle Schwierigkeiten. Er war natürlich froh, dass er überhaupt Arbeit fand, auch wenn er wie früher bis nachts um 22.00 Uhr arbeiten musste und tagsüber kaum Zeit zum Essen hatte.

Corinne war im neuen Jahr mit ihren Diplomarbeiten beschäftigt, zwei schriftliche Arbeiten musste sie bis Februar 2004 abgeben, dann begannen die praktischen Prüfungen und im Spätsommer die mündlichen, zwischendurch unterrichtete sie an der Höheren Töchterschule in Zürich (auch als Praktikum), ausserdem gab sie jeden Samstag Privatunterricht, um Geld zu verdienen. Langweilig wurde es ihr also auch nicht. Sie freute sich nur schon darauf, bis sie endlich „normal“ arbeiten konnte. Michel, ihr Freund, reiste nach wie vor für seine Konzertagentur in der Welt herum. Es hatte sich schon ergeben, dass Corinne eine Woche mit der Schule in Rotterdam weilte und Michel die darauffolgende Woche das gleiche Reiseziel anstrebte, koordinieren konnten sie den Aufenthalt leider nicht.

Wir alten, unruhigen Seelen arbeiteten immer noch gerne in unserer neuen Praxis, in die auch ohne Inserat in Zeitungen Patienten aus fast der ganzen deutschen Schweiz und sogar aus Deutschland kamen. Nebenbei konnte Peter es nicht lassen, auch noch Vertretungen in Engelberg zu machen. Zudem gab er hie und da Vorträge und schrieb zwischendurch Artikel, die in medizinischen Zeitungen publiziert wurden, und so fragten ihn deshalb die Nierenspezialisten in Basel an, ob er nicht einen Vortrag über Schmerzmedikamente im Kantonsspital in Basel halten möchte. Nun wusste er, worüber er nachdenken sollte, wenn er nachts nicht schlafen konnte. Wir waren also auch nicht unterbeschäftigt, dafür verging die Zeit umso schneller, so dass wir überglücklich waren, wenn auch nur 3-4 Tage blieben, um in unsere Ferienwohnung in Agra etwas abzuschalten. Wir waren immer noch ein Dream Team, vor allem beim Putzen, auch eine Art von Fitnesstraining, noch wirksamer war aber unser täglicher Spaziergang am Waldrand entlang zur Bushaltestelle, der sich hie und da in einen Endspurt verwandelte, wenn der Bus uns vor der Nase wegzufahren drohte.

Da Alexas Geburtstag diesmal auf einen Samstag fiel, feierten wir ihr 6. Wiegenfest
bei uns in St. Gallen.


(9) Alexas 6. Geburtstagsfest in St. Gallen.

Alexas 6. Geburtstagsfest in St. Gallen.

 

Anfangs 2004 waren wir neben unserer täglichen Routine ganz eingenommen von Corinnes Diplomarbeiten, die wir laufend mit verfolgten, ausserdem half ich ihr beim Tippen der Interviews. Das Thema ihrer Praktikumsarbeit war der Frauenkörper. Sie wollte den Schülerinnen der Höheren Töchterschule in Zürich zeigen, wie Frauen in der Kunst eingesetzt und dargestellt werden, was sie verkörpern, und wie sie in dieser Hinsicht eigene Erfahrungen sammeln können. Ihre theoretische Arbeit befasste sich mit Kunst im Alltag. Sie interviewte 20 Paare und liess sie „Kunstobjekte“ in ihrer Wohnung auswählen und darüber diskutieren, wie sie dazu kamen, wieso sie sie als Kunst bezeichneten und was Kunst für sie überhaupt bedeutete. Für ihre künstlerische Arbeit wählte sie einen Familienausflug. Sie unternahm zuerst mit Peter eine Reise in die Vergangenheit, d.h. in die Slowakei und anschliessend mit mir, d.h. nach Hauptwil, nach Balsthal, nach Genf und nach Zürich, dabei fotografierte und filmte sie die für uns wichtigen Orte und Eindrücke und nahm unsere Erzählungen auf Band auf. Mit diesem Material kreierte sie ihre Installation, die sie im Museum für Gestaltung in Zürich ausstellte. Irgendwie beschäftigte sie die von politischen Ereignissen und gesellschaftlichen Situationen geprägten Lebensgeschichten ihrer Eltern und Grosseltern väterlicher- wie mütterlicherseits. Offensichtlich fanden es auch andere Leute spannend. Für uns war es auch ein interessantes, teilweise sogar ein aufwühlendes Erlebnis.

Auf jeden Fall stand Corinnes Abschluss in diesem Jahr im Mittelpunkt, und wir waren überglücklich, dass sie im Oktober 2004 nun ihre fünfjährige Ausbildung als Zeichnungslehrerin an der Hochschule für Kunst und Gestaltung ausgezeichnet abgeschlossen hatte. Es wäre zu schön gewesen, um wahr zu sein, wenn sie auch noch eine entsprechende Stelle gefunden hätte. So blieb aber ein Wermutstropfen, der ihr die Freude trübte. Sie wollte sich nicht lange mit dem Arbeitsamt herumschlagen und Arbeitslosengeld beziehen und vertrat lieber die Lehrerin einer Sonderabschlussklasse in Bürglen, die ihre Arbeit wegen eines Nervenzusammenbruches niederlegen musste. Corinne wiederum konnte hier ihre heilpädagogischen Neigungen ausleben. Die Kollegen waren aber nett und traten ihr ihre Zeichenunterrichtsstunden ab, nur schon damit sie blieb.

Michel, Corinnes Freund, arbeitete nach wie vor für die Konzertagentur, war aber auch auf der Jobsuche, hatte jedoch auch noch kein Glück. Eigentlich wären Corinne und Michel nun gerne zusammengezogen, aber da sie nicht wussten, wer schlussendlich wo arbeiten würde, konnten sie auch keine geeignete Wohnung suchen. So blieb eben vorläufig alles beim Alten.

Für Daniel war dieses Jahr noch immer ziemlich hart. Die Beraterfirma in Baar entlöhnte ihn nur je nach Aufträgen, die er für die Firma hereinholte und ausführte. Er war praktisch nie sicher, ob er nicht plötzlich wieder auf der Strasse stand. Nun hatte er einen kleinen Lichtblick am Horizont. Die ETH suchte für ihre ETH-Foundation einen Geschäftsführer, und es sah so aus, als ob er Chancen hätte.

Alexa verbrachte die erste Aprilwoche 2004 bei uns in den Ferien. Ich konnte sie auch gut in die Praxis mitnehmen. Sie half mir dort im Labor, die Untersuchungen vorzunehmen. Allzu viele Patienten hatten wir in dieser Woche sowieso nicht. Jedenfalls hatten wir wieder eine lustige Zeit zusammen. Im August kam sie in die erste Klasse. Sie war sicher keine schlechte Schülerin, aber sie kurvte lieber auf dem Eis herum oder nahm (zusammen mit allen Mädchen ihrer Klasse) Ballettunterricht. Barbara trainierte mit Alexa um die Wette auf dem Eis. Viermal pro Woche wurde geübt, und wir waren auf ihren grossen Auftritt auf der Doldereisbahn im März 2005 gespannt. Sonst kümmerte sie sich auch noch um Cappuccino“, den kleinen Mops, der mit seinen Possen die ganze Familie unterhielt. Für Alexa war er ein lustiger Spielkamerad.


(10) Alexa mit Mops Capuccino, hier allerdings um einiges jünger.

Alexa mit Mops Capuccino, hier allerdings um einiges jünger.

 
Wir fanden unsere Arbeit in der Praxis immer noch sehr spannend. Man kam sich vor wie ein Detektiv auf der Suche nach dem eigentlichen Täter. Peter hatte auch bemerkt, dass viele unserer Patienten vor allem mit Hautproblemen unter Eisen- und Vitamin B12-Mangel litten, da ihre Aufnahme durch Unverträglichkeiten beeinträchtigt wurde, was wir durch unsere Behandlung bessern konnten. Peter schrieb damals auch einen Artikel darüber. Ausserdem verfasste er eine Tabelle über Mineralwasser als Kalziumräuber und Kalziumspender.

Im März waren wir für ein verlängertes Wochenende in Bremen (eine bezaubernde, angenehme Stadt). Eine NAET-Kollegin hatte uns zusammen mit einer Therapeutin aus Mannheim eingeladen (wir hatten beide in Südfrankreich bei unseren Fortbildungen kennengelernt), damit wir zusammen Erfahrungen austauschen konnten. Es war zugleich ihr Abschied von Deutschland, denn inzwischen eröffnete sie in Kanada eine Praxis und bat uns, sie doch dort ebenfalls zu besuchen. Auf dem Heimweg bewunderten wir das Bilderbuchstädtchen Celle und das ebenfalls sehenswerte Göttingen, wo Peter einen unangenehmen Virus (er dachte, er hätte sich dort vergiftet) auflas, denn es war ihm auf dem ganzen Heimweg sterbenselend. Er konnte kaum gehen oder stehen (das jeweilige Umsteigen war eine Qual) und im Zug klebte er wie eine halblebende Fliege auf dem Sitz.

Ende September 2004 fuhren wir wieder zu einer Fortbildung nach Juan-les-Pins in Südfrankreich, wo sich über 100 Aerzte und Therapeuten trafen. Das Wetter hätte zum Baden eingeladen. Der Strand war auch noch voll von Badegästen, nur wir verschanzten uns drei Tage lang in einem klimatisierten Hotelraum und liessen uns das Neueste über die NAET-Therapiemethode aus Amerika berichten. Das Abschiedsessen fand dann wenigstens auf dem Sandstrand statt. Unterwegs besuchten wir auf der Hin- und Rückreise Genua, eine zwar nicht sehr saubere, aber wunderschöne alte Stadt mit bewundernswerten, gut erhaltenen alten Häusern und ebenfalls sehr sehenswerten Innenhöfen. Es gibt sogar ein eindrückliches und grosses Meerwasseracquarium.

Vertretungen machte Peter seit letztem Frühjahr keine mehr, denn wir brauchten die Wochentage nun für unsere Patienten. Die einen können nur am Montag, die anderen nur am Samstag kommen etc., und so war auch nichts aus unseren Plänen geworden, dass wir nur drei Tage pro Woche arbeiteten. Dafür hatten wir eher alle drei bis vier Wochen ein verlängertes Wochenende in Agra eingeschoben, wo wir uns immer bestens erholten. Peter schlief dort viel besser als zu Hause, aus meiner Sicht schon deswegen, weil es kein Internet gab. Zudem fanden rundherum immer wieder lustige Feste statt und das gemeinsame Marroni- und Pilzesammeln mit unseren Freunden machte die schönen Wanderungen noch abwechslungsreicher.


(11) Alexa auf Roccolo, rechts mit Grosspapi.

Alexa auf Roccolo, rechts mit Grosspapi.

  
Ausser einer Reise ins Elsass, die wir für unseren Club 55 organisierten, hatten wir 2005 nichts Grösseres unternommen. Peter war im September für eine Woche wegen eines Promotionstreffens in der Slowakei. So benützte er auch die Gelegenheit, mit alten (im doppelten Sinne) Freunden zu wandern, die aber noch wie Steinböcke von Fels zu Fels sprangen. Mit Begeisterung, voller neuer Erlebnisse und Eindrücke kehrte Peter aus seiner alten Heimat zurück. Inzwischen erholte ich mich in Agra, wo mir Corinne Gesellschaft leistete.


(12) Mühlenen: v.l. Pierina, Silvia Alexa Frido, Peter, Carlo.

Mühlenen: v.l. Pierina, Silvia Alexa Frido, Peter, Carlo.

 

Während andere von einem Erdteil zum anderen fliegen, pendeln wir eher zwischen St. Gallen und Agra (Italien) hin und her. Im Sommer wie in den Herbstferien verbrachten wir je eine Woche mit Alexa (7), die inzwischen schon ein grosses. vernünftiges Mädchen wurde, sogar Karten spielte (für Peter sehr wichtig), gerne Geschichten hörte, aber auch selber welche erzählte und schon eifrig zu lesen und zu schreiben begann. Auch im Zeichnen war sie überaus geschickt. Wir brieten zusammen bei den alten Mühlen am Flussufer Würste und kämpften dabei mit den Ziegen um unser Essen.


(13) Mühlenen: L.Bild: Peter mit Ziege im Fluss. R.Bild: Alexa und Peter im Fluss.

Mühlenen: L.Bild: Peter mit Ziege im Fluss. R.Bild: Alexa und Peter im Fluss.

 

Peter vertrieb sie schlussendlich zu Alexas Freude mit Indianergeheul, was sie gleich nachzuahmen versuchte. Sie brauchte dazu aber noch etwas Übung. Sie half mit Genuss sowohl Peter beim Gärtnern wie mir beim Kuchen- und Brotbacken und marschierte unermüdlich mit uns auch schon auf den Monte Lema, jauchzte sogar darnach noch nachts im Schlaf.


(14) In einem Park im Tessin. Links Alexa mit Grossmami, Mitte: in einer auf der hinteren Seite knienden Frauenstatue, rechts vor wunderschönen Blumen.

In einem Park im Tessin. Links Alexa mit Grossmami, Mitte: in einer auf der hinteren Seite knienden Frauenstatue, rechts vor wunderschönen Blumen.

 

Corinne zog endlich aus ihrem Langstrassenquartier aus, dafür in eine wunderschöne Wohnung mit drei Balkonen und einem Wintergarten in Wipkingen, den sie als Esszimmer benützte und von dem sie einen schönen Blick auf den Garten im Hof hatte. Sie musste sich nur noch daran gewöhnen, dass sie nicht gleich um die Ecke in einem Lokal etwas trinken und eventuell Bekannte treffen konnte, denn dort wo sie nun war, gab es weder einen Laden noch irgend ein Café. Dieser Neuanfang war für sie auch noch besonders schwierig, weil sie im Sommer die Beziehung zu ihrem Freund Michel beendet hatte. Dafür durfte sie nun aber endlich ihren Traumberuf ausleben – sie unterrichtete Kunst und Gestaltung im Seminar Kreuzlingen, wo sie selbst zur Lehrerin ausgebildet wurde. Von Maria bekam sie glücklicherweise den Tipp, dass dort eine diesbezügliche Stelle frei wurde. Die Arbeit in Kreuzlingen war wie Tag und Nacht gegenüber der früheren Abschlussklasse in Bürglen. Diese Schüler hier waren so fleissig, gut, und hilfsbereit, dass sie sich wie im Himmel auf Erden vorkam. Auch das Verhältnis der Kollegen untereinander war ausgezeichnet. Sie nahm die fast täglichen Fahrten nach Kreuzlingen lieber in Kauf, als Zürich mit allen Freunden und kulturellen Gelegenheiten zu verlassen.


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Alexa als Eisprinzessin, hier im Jahre 2006.



Daniel hatte die Stelle bei der ETH-Foundation bekommen und Barbara war dieses Jahr für die Pressearbeit des Eislaufklubs Zürich-Dolder zuständig, wo Alexas Eiskunstlauftraining viermal pro Woche stattfand. Ihr Auftritt im März 2005 beeindruckte uns sehr, wie sie schon wie eine kleine Eisprinzessin einen Kürlauf präsentierte.

Nach diesem herrlichen Spätsommerwetter bis tief in den November 2005 kam der Schnee eher spärlich und sehr spät. Die Sonne hatte uns wenigstens im Herbst noch so richtig verwöhnt, was im Sommer weniger der Fall war. So benützten wir die schönen Tage für Wanderungen in der nahen Umgebung oder in Italien rund um den Monte Lema. Dort mussten wir einmal froh sein, das wir nicht von einer Horde Wildschweinen überrannt wurden, die nur wenige Meter vor uns unseren Weg kreuzten oder von den Jägern für solche gehalten wurden. Auf diese Weise tankten wir die nötige Energie für unsere Praxis, die wir immer noch mit Freude führten. Peter hatte daneben noch genug Zeit, sich über Gebühr fortzubilden, hielt selbst Vorträge, so konnte er sich immer wieder in die Materie vertiefen. Kürzlich wurde er angefragt, mit Professor Wüthrich, einer der „grossen“ Schweizer Allergologen, über den Sinn der IgG-Bestimmung einer Methode zu diskutieren. Unsere Wochentage waren dadurch ziemlich ausgefüllt.

Im 2006 ereignete sich nichts Umwerfendes, aber wir fanden es weiterhin spannend in unserer Praxis, wunderschön in Agra von wo aus wir immer wieder Ausflüge machten und Neues kennenlernten, wie z.B. Turin mit ihrer Schokoladenseite. Kaum eine Stadt hat so traumhaft schöne Cafés.

Die vielen Fortbildungen von Peter brachten ihm mehr als genug Abwechslung. Die Unvergesslichste war die über NAET, die wir zusammen Ende Oktober 2006 in Brügge (Belgien) absolvierten. Wir lernten wieder sehr viel, aber nebenbei entdeckten wir auch drei märchenhaft schöne Städte. Nebst Luxemburg gefielen uns vor allem Gent und Brügge mit den vielen Kanälen und Bootsfahrten, fast wie in Venedig. Ich wusste gar nicht, dass Belgien so spannend sein kann und so verspielt. Wir kamen uns wie ins Mittelalter zurückversetzt vor mit der ganzen Ambiance, die durch die spezielle und verschiedenartige Architektur ausgestrahlt wurde. Wir übernachteten auch in so antiken Hotels. Eigentlich wollten wir uns noch Brüssel und Antwerpen anschauen, aber dazu reichte die Zeit nicht mehr, denn es gab zu viel zu bewundern in Gent und Brügge.

Corinne unterrichtete 2006 immer noch mit Freude die Maturitätsklassen in Kreuzlingen und versuchte nebenbei mit einer Tänzerin ein Experiment, d.h. während die Kollegin tanzte, hielt Corinne auf einer Riesenleinwand zeichnerisch ihre Figuren fest, die dann mit Farbe und Riesenpinseln teilweise ausgemalt wurden. So entstand in ca. einer Viertelstunde ein Riesengemälde. Zuerst versuchten sie es einmal probeweise in Winterthur, dann wurden sie in Herisau und St. Gallen angefragt und so traten sie im Rahmen eines modernen Ballettabends im Tanzhaus Herisau und im Stadttheater St. Gallen auf. Es war nicht nur für uns neu, interessant und sehr spannend.

Daniel zog mit seiner Familie im Frühling 2006 nach Ennetbaden, wo es ihnen gut gefiel und sie sich bestens eingelebt hatten. Auch Alexa hatte in der Schule keine Probleme. Hinter ihrem Wohnblock hatten sie direkt einen bewaldeten Hügel und vorne vom Balkon aus blickten sie auf die Limmat und die Altstadt von Baden, die via eine Brücke bequem zu Fuss erreichbar war. Alexa trainierte zwar noch weiterhin Eiskunstlaufen auf dem Dolder in Zürich, sie hätte aber auch die Möglichkeit in Wettingen oder Oerlikon-Zürich. So könnte sie zur gegebenen Zeit einmal selbständig ins Training fahren.

Peter hatte 2007 nebst seinen Publikationen, den unendlich vielen Weiterbildungen, seinen Vorträgen, sowie seiner Tätigkeit in der Praxis, die wir nach wie vor mit Freude weiterbetrieben, seinem Vater als ehemaligem Transportunternehmer alle Ehre gemacht. Nachdem Cargo Domizil nicht mehr zu gebrauchen war und wir nicht mit dem Auto die Strecke nach Italien fahren wollten, nahmen wir unseren Lättlicouche kurzerhand mit in den Zug und reisten so in unsere Ferienwohnung in Agra. Es klappte bestens und wir schlafen dort seither noch besser.


(16) Peter als Umzugsmensch.

Peter als Umzugsmensch.

  
Angelo, der Sohn meiner Schwester Maria heiratete in diesem Jahr im Juni auf der Alpe Roccolo in Italien, und Peter sagte ihm und seiner Frau Katia als Mike Shiva (Fernsehwahrsager und -kartenleser) die Zukunft voraus.  Es war ein lustiges und gemütliches Fest. Die ganze Gesellschaft pilgerte zu Fuss (ca. 1 Std.) auf die Alp und irgendwann nachts bei Lampionbeleuchtung wieder zurück. Nur das Brautpaar durfte dort in einem schönen Gästezimmer schlafen. Sie rechneten jedoch nicht damit, dass die Kühe, Ziegen, Gänse, Enten, Hühner und Hunde sehr früh erwachten und lärmend auf die Weide wollten. Mit der ruhigen Idylle auf der Alp war es also nichts.


(17) Peter als Mike Shiva.

Peter als Mike Shiva.

  
Daniel arbeitete im Moment bei der Post in Niederbipp und Bern als Berater. Barbara ist weiterhin bei der Dargebotenen Hand tätig, ausserdem macht sie sich in einem Altersheim nützlich und arbeitet auch noch für den Kanton Aargau. Sie hatte sogar eine eigene Kolumne in der Aargauer Zeitung, was schon immer ein Traum von ihr war. Alexa hatte ihre Eltern überzeugen können, dass sie keine Freundinnen haben konnte, wenn sie weiterhin vier Mal pro Woche zum Schlittschuhlaufen nach Zürich fuhr. Deshalb gab sie das Training auf, was wir auch besser fanden, denn für die Schulaufgaben benötigte sie auch immer mehr Zeit, schliesslich war sie schon bald 10.

Dieses Jahr hatten wir zwar den Schnee, der letztes Jahr fehlte und Peter sich deshalb beim Skifahren die Schulter verletzte, aber diesmal fuhren wir nicht nach Tschiertschen, denn es war ein kleiner Steinbock unterwegs. Corinne erwartete anfangs Jahr 2008 (zu ihrem oder zu meinem Geburtstag) ein Baby und da blieben wir lieber in den Startlöchern zu Hause. Am 24. November 2007 heirateten Corinne und Christian standesamtlich in Zürich. Gottlob wurden sie von einer Zivilstandsbeamtin getraut, die die Zeremonie feierlicher gestaltete als üblich, und wir durften sogar dabei sein, nicht wie bei Daniel, wo wir draussen warten mussten. Ein richtiges Hochzeitsfest wollten sie erst im kommenden Jahr veranstalten. So bekamen wir einen sehr netten und liebenswürdigen Schwiegersohn. Christian arbeitete als Computerfachmann bei der CS in Zürich und Corinne versuchte nun, so lange wie möglich in Kreuzlingen am Lehrerseminar zu unterrichten. Im darauf folgenden Jahr pausierte sie für ein halbes Jahr, damit sie sich ihrer jungen Familie widmen konnte.


(18) Links: In der Pause im Theater Winterthur: Peter mit Tochter von Ingrid sowie Corinne und Christian mit Tim und im rechten Bild: Silvia hütet Tim und Tochter von Ingrid

Links: In der Pause im Theater Winterthur: Peter mit Tochter von Ingrid sowie Corinne und Christian mit Tim und im rechten Bild: Silvia hütet Tim und Tochter von Ingrid

 

Mit einem fröhlichen Paukenschlag begann für uns das Jahr 2008: Nicht wie gerechnet am 5. oder 6. Januar, sondern etwas später, am 14., aber desto vollkommener erschien Tim Noa auf dieser Welt. Er wurde lange gestillt, was aber Corinne nicht hinderte, mit ihrer Freundin Ingrid ihr „Zeichentanzen“ fortzusetzen:


(19) Flyer zum "Zeichentanzen".

Flyer zum "Zeichentanzen".

 
In einem Theater in Winterthur tanzte Ingrid und Corinne malte „live“ ihre Bewegungen und Positionen. Es war sehr interessant und ein Erfolg. Es freute uns, dabei Freunde und Verwandte zu treffen. Während der Proben hüteten wir Tim und hie und da Ingrids um einen Monat ältere Tochter.


(20) Wir hüten Tim im Theater Winterthur

Wir hüten Tim im Theater Winterthur

  
Eine gute Übung, da wir Tim nun auch jeden zweiten Donnerstag abwechselnd mit Christians Eltern zu Hause hüteten, da Corinne wieder arbeitete. Tim war ein sehr zufriedener, fröhlicher Knabe. In der Krippe, wo er problemlos zwei Tage pro Woche verbrachte, zupfte er die Mädchen an den langen Haaren, was er bei Corinne gewohnt war. Als ihm dort ein grösserer „Freund“ den linken Kleinfinger etwas zermalmte, auch wenn der Nagel gespalten und blau unterlaufen war, weinte er nicht lange und setzte sein Erkundungskrabbeln fort, als ob nichts geschehen wäre. Er hüpfte rhythmisch zur Musik, sogar auch wenn er Fieber hatte.

Corinne, eine Traditionalistin, wollte noch ein „richtiges“ Hochzeitsfest feiern und zwar am 5. Juli 2008 in einer prächtigen Barockvilla in der Nähe von Agra.


(21) Villa Bozzolo.

Villa Bozzolo.

 
(22) Links Villa Bozzolo mit Weg zum Himmel; rechts Weg zum Trauungspavillon

Links Villa Bozzolo mit Weg zum Himmel; rechts Weg zum Trauungspavillon



(23) "Trauungszeremonie": v.l.: Nicole, Yahel, Christian und Corinne mit Tim.

"Trauungszeremonie": v.l.: Nicole, Yahel, Christian und Corinne mit Tim.

 
(24) Hochzeitsessen bei Agricultura Tschang, v.l.: Barbara mit Tim. Im rechten Bild v. links: Peter, Margrith, Barbara, Daniel, und rechts Silvia.

Hochzeitsessen bei Agricultura Tschang, v.l.: Barbara mit Tim. Im rechten Bild v. links: Peter, Margrith, Barbara, Daniel, und rechts Silvia.

 

Dort spielten Nicole und Yael, Corinne's Freundinnen, den Pfarrer und erzählten in Märchenform die Geschichte der Liebe zwischen Corinne und Christian. Anschliessend wurde Tim von Gotte Eva und Götti Matthias „getauft“, was in einem selbstverfassten Büchlein festgehalten wurde. Nach dem Aperitif verschoben wir uns auf einen Bauernhof mit schönem Blick auf den Lago Maggiore, wo wir bei Musik, Trank und gutem Essen weiter feierten. Das Wetter war uns zugeneigt. Es war herrlich, erst um 02.00 Uhr nachts begann es zu donnern und unvorstellbar zu giessen. Ausser Daniel, der mit dem Hund Cappuccino mehr als eine Stunde im Hotellift stecken blieb, da der Strom wegen eines Blitzes unterbrochen wurde (ausgerechnet er, der nicht gerne eingeengt ist), störte es sonst niemanden mehr.

Zwei Wochen später unternahmen wir eine der mehreren (!) C C-Hochzeitsreisen zusammen mit Christians Eltern in die Slowakei. Wir waren skeptisch, nicht wegen der aussergewöhnlichen Zusammensetzung, sondern wegen der Reise mit dem halbjährigen Tim. Corinne hatte aber recht, er schlief, wenn er sollte, entweder im Auto oder beim Wandern im Tragetuch bei Corinne oder Christian und war wach, wenn wir etwas anschauen wollten. Die Reise war eine gute Gelegenheit, sich besser kennen zu lernen und
brachte uns näher zusammen.


(25) Junge Familie in Ziarska Dolina.

Junge Familie in Ziarska Dolina.

 
(26) Tim mit Pferd und auf dem Pferd in Ziar.

Tim mit Pferd und auf dem Pferd in Ziar.


(27) Am Wasserfall in Sutovo: Von links Christian mit Tim im Tragtuch, Peter, Silvia und Margrith.

Am Wasserfall in Sutovo: Von links Christian mit Tim im Tragtuch, Peter, Silvia und Margrith.

   
Wir kehrten am 24. Juli 2008 zurück und am 26. Juli fuhren wir schon wieder Richtung Agra, da die Eigentümerversammlung stattfand. Am 29.7. brachte uns Barbara Alexa nach Lugano, damit Alexa die Ferien bei uns in Agra verbringen konnte. Wir blieben bis 10. August und hatten am Wochenende vom 7.8.-8.8.2008 ein wunderbares Erlebnis zusammen. Menardis, ebenfalls Wohnungsbesitzer in Agra, wollten Pierina, Carlo, Maria, Frido und uns Macugnaga zeigen, ein wunderschöner Ort unterhalb des Monte Rosa. Wir übernachteten dort in einem angenehmen Hotel und machten zusammen tolle Wanderungen. Zuerst fuhren wir mit der Gondel auf den Monte Moro und stiegen bis auf die Krete hinauf, bis wir ins Wallis Richtung Mattmark Stausee runter schauen konnten, (dessen Mauer Urs auch hätte bauen können. Ich musste damals sogar mit nach Bern, um bei der Vorstellung bei der Baufirma Losinger dabei zu sein. Sie wollten auch die Ehefrau kennenlernen und sehen, ob sie geeignet wäre, dort oben zu leben während des Baus der Mauer. Urs entschied sich aber dann doch für den Stollenbau in Bäretswil. Dort konnte er arbeiten, ohne dass wir die Wohnung aufgeben mussten, was später ja dann doch nötig war. Offensichtlich kann man seinem Schicksal nicht entfliehen). Am nächsten Tag fuhren wir ganz bis zuhinterst ins Tal nach Pecetto und von dort mit der Sesselbahn hinauf zum Monte Rosa Gletscher. Wir wanderten auf und neben dem Gletscher zu einem Restaurant, wo wir ein gutes Mittagessen bekamen und als Dessert feinen Schokoladekuchen. Weiter führte uns ein abwechslungsreicher Wanderweg an traumhaften Blumen vorbei etwas steiler bergauf zu einem wunderschönen, kleinen See, der direkt vom Monte Rosa Gletscher gespeist wird.


(28) Linkes Bild: Alexa Auf dem Weg Richtung Monte Rosa. Rechtes Bild: Vorne Peter, weiter hinten: Alexa, Frido, Carlo und Maria.

Linkes Bild: Alexa Auf dem Weg Richtung Monte Rosa. Rechtes Bild: Vorne Peter, weiter hinten: Alexa, Frido, Carlo und Maria.

 

(29) Links: Peter und Alexa auf der Klettertour Richtung Monte Rosa Gletscher-Seeli, rechtes Bild: links Maria, rechts Alexa.

Links: Peter und Alexa auf der Klettertour Richtung Monte Rosa Gletscher-Seeli, rechtes Bild: links Maria, rechts Alexa.

   

Es war eine der schönsten Wanderungen, die wir je unternommen hatten, die wir jedem empfehlen können, denn es war ein wirklich toller Ausflug. Man sollte nur darauf achten, dass man erst im Spätsommer geht, aber auch wieder so, dass es in den Bergen noch nicht schneit, da man doch bis auf fast 3000m Höhe geht.  


(30) Barbaras Einladung zu ihrem 50. Geburtstag.   

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Wir freuten uns, dass es bei Daniel und Barbara auch „rund“ lief. Im Oktober veranstalteten sie ein sehr gelungenes Fest anlässlich Barbaras 50. Geburtstages im „Western Look“, in einer Jugendstilvilla, mit „Country Music“ live. Leider konnte Regula, Mutter von Barbara, nicht mehr dabei sein. Sie starb im Juni nach kurzem Leiden. Alexa, das fleissige, liebe Mädchen, wollte bei mir (Silvia) nähen, stricken, kochen und backen und bei Peter schwimmen und Schach spielen lernen. Wir sahen sie leider nur zu selten, was sich hoffentlich ändern wird, wenn sie bald alleine Zug fahren kann.


(31) Barbara und Daniel bei Barbaras 50. Geburtstag mit Alexa als Festrednerin.

Barbara und Daniel bei Barbaras 50. Geburtstag mit Alexa als Festrednerin.


Ohne den gelegentlichen Publikationen wird Peter wohl nie leben können, vorläufig auch nicht ohne unserer Praxis. So lange wir noch gesund und genug fit bleiben und Patienten helfen können, machen wir es. In unserer komplementärmedizinischen Methode NAET bildeten wir uns im Oktober 2008 diesmal in Holland fort. Es war wieder eine gute Gelegenheit, nicht nur das Land kennen zu lernen, aber auch unsere Freunde Mechteld und Louis, die in Agra ein Ferienhaus besitzen, in ihrer Heimat zu besuchen. Wir genossen den Aufenthalt dort sehr.

Diesmal hatten wir erneut das Vergnügen, gemeinsam die Weihnachtstage in Tschiertschen mit den Kindern zu feiern. Alexa freute sich besonders auf das Schlitteln mit Tim.

Neben unserer Praxis liebte es Peter im diesem Jahr (2009) immer noch, sich so oft wie möglich fortzubilden und ausserdem seine Freunde in der Slowakei zu besuchen wie z.B. beim 55. Abitur-Jubiläum. Besondere Höhepunkte waren jeweils im Frühjahr auch Peters Cousinentreffen in Verbier, wo wir nicht nur das Vergnügen hatten, in einem Traumgebiet Ski zu fahren, sondern auch noch in einem Traumchalet wohnen zu dürfen.


(32) Linkes Bild von links: Vordere Reihe: Eva Malina, Katka, Tania, Zuzka; hintere Reihe: Slavek, Darina, Peter und Jenda Malina. Rechtes Bild: v.l.: Katka, Silvia, Tania, Darina und Zuzka.

Linkes Bild von links: Vordere Reihe: Eva Malina, Katka, Tania, Zuzka; hintere Reihe: Slavek, Darina, Peter und Jenda Malina. Rechtes Bild: v.l.: Katka, Silvia, Tania, Darina und Zuzka.

  

Im Juli war Alexa für ein paar Tage bei uns, denn Barbara und Daniel zogen im Sommer 2009 nach Stansstad. Sie wohnen seither dort in einer Eigentumswohnung direkt am Vierwaldstättersee. Die Wohnung wie die Lage sind ein Traum, dafür haben sie einen weiteren Arbeitsweg, aber daran ist Daniel schon seit eh und je gewohnt. Für die Beratungsfirma musste er teilweise bis Solothurn und Bern, inzwischen bis Lausanne fahren und für den Unterricht an der Nordwestschweizer Hochschule meistens bis Windisch, hie und da auch bis Biel. Barbara arbeitete immer noch bei der Aargauerzeitung als freischaffende Journalistin. Dafür hatte es Alexa gut. Ihre Schule war ganz in der Nähe, die Badeanstalt gleich nebenan und ihre Freundinnen auch nicht weit. Von Barbaras Mutter konnten sie die Wohnung in den Flumserbergen übernehmen, wo sie oft im Sommer wie im Winter die Wochenende verbrachten.

Zudem gab es wieder ein freudiges Ereignis, denn am 11.11.2009 bekam Tim ein Schwesterchen namens Liv Ada.


(33) Corinne und Christian gleich nach der Geburt von Liv Ada. Tim hält sein Schwesterchen mit grossem Stolz im Arme.

Corinne und Christian gleich nach der Geburt von Liv Ada. Tim hält sein Schwesterchen mit grossem Stolz im Arme.

 
Liv bedeutet Leben und Ada war die Hauptfrau von Esau in der biblischen Geschichte. Eine Patientin meinte, dass Liv sich durchsetzen werde, da sie drei 11 in ihrem Geburtsdatum habe. Wie dem auch sei, wenn man in einer Zeit der Schweinegrippe hineingeboren wird, sollte man widerstandsfähig sein und wir hoffen, dass es bei ihr zutrifft. Wir hatten sie jedenfalls alle mit Spannung erwartet und mit riesiger Freude in die Arme genommen. Corinne und Christian waren mehr als glücklich und Christian meinte, wenn er seine beiden Kinder so betrachte, bekomme er gleich Lust, noch weitere zu produzieren, und Corinne schien nicht abgeneigt zu sein. Na, dann viel Erfolg! Wir waren und sind noch immer sowieso mit Wonne Grosseltern und hüten mit grösster Freude, und unsere Grosskinder teilten bis dahin diese Freude mit uns. So richtete sich unsere Praxis ganz nach dem Hüteplan. Zuerst kamen die Grosskinder, dann die Patienten. Gottlob gibt es noch Christians Eltern, die auch gerne bereit sind, auf Tim und in Zukunft auch auf Liv aufzupassen, was vor allem dann wichtig ist, wenn die Kinder krank sind, während Corinne arbeitet. Nach der Geburt von Liv machte sie eine Babypause bis Frühjahr 2010, anschliessend unterrichtete sie weiterhin in Kreuzlingen. Christian würde sich gerne bezüglich Arbeit verändern. Seinen Arbeitsplatz konnte er bis dahin zu Fuss erreichen, das wird in Zukunft nicht mehr möglich sein, aber mit der Uetlibergbahn ist man von ihnen in 7 Min. am Hauptbahnhof und von dort gibt es genug Möglichkeiten, irgendwohin zu gelangen. Seine Träume sollen sich erfüllen, und dafür wünschen wir ihm viel Erfolg.

Wie jeden 1. Dezember, so hatten wir auch dieses Jahr wieder das Vergnügen, ehemalige Hirnforscher bei einem gemeinsamen Mittagessen in Zürich zu treffen, zudem uns Professor Akert immer einlud, solange er lebte. Es war jeweils immer ein besonderes und schönes Erlebnis. Wir freuen uns auch immer über die jährlichen Zusammenkünfte im August an der Sitter, wo sich Fischer Freunde und die Nater-Sippe bei frischen Fischen und vorzüglich selbst gebackenen Kuchen treffen.

Wie üblich verbrachten wir Weihnachten wieder zusammen mit den Kindern in Tschiertschen und hatten nichts dagegen, dass es genug Schnee gab, aber der Aufenthalt dort war so oder so immer erholsam und schön, vor allem auch, weil wir alle zusammen sein konnten ohne Stress und viel Arbeit.

Weihnachtskarten Corinne
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11.  Weihnachtskarten Corinne
                                   Weihnachtsbilder von Corinne

Als Corinne fünfjährig war, zeichnete sie für unsere damalige Arztgehilfin, die sie sehr gern hatte, eine Karte als Geschenk zu Weihnachten, die leider nicht erhalten blieb. Wir kamen auf die Idee, sie könnte unsere künftigen Weihnachtsgrüsse gestalten. Corinne tat es gerne. So entstand die folgende Serie.
Unser Bekannten-, Freundes- und Familienkreis wuchs und allen persönliche Grüsse zu schreiben wurde zunehmend belastend. Wir übernahmen die angelsächsische Gewohnheit und verfassten einen allgemeinen Bericht, den wir eventuell kurz persönlich ergänzten. So entstanden die Weihnachtsbriefe im nächsten Kapitel, die anfangs Silvia, später Peter verfasste.

(1) 1980
1980

 
(2) 1981

1981


(3) 1982

1982

 
(4) 1983

1983

 
(5) 1984

1984


(6) 1985

1985


(7) 1986

1986


(8) 1987

1987


(9) 1988

1988


(10) 1989

1989


(11) 1990

1990

 


(12) 1991

1991

 
(13) 1992

1992

 
(14) 1993

1993

 

Rentner - Weihnachtsbriefe
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12.  Rentner - Weihnachtsbriefe

Am Anfang unserer Ehe schrieben wir Weihnachtsgrüsse wie bisher auf sorgfältig ausgewählten Karten. Später benützten wir die Weihnachtskarten von Corinne (s. voriges Kapitel). Unser Bekannten-, Freundes- und Familienkreis wuchs, und allen persönliche Grüsse zu schreiben wurde zunehmend belastend. Gerne übernahmen wir den angelsächsischen Brauch einen ausführlicheren allgemeinen Bericht zu verfassen und ihn eventuell kurz persönlich zu ergänzen. So entstanden Weihnachtsbriefe, die anfangs Silvia verfasste. Sie wurden Grundlagen für die Texte in den Kapiteln 8 - 10. In den letzten Jahren übernahm die Aufgabe Peter. Sie geben zusammen mit den Fotokollagen eine Übersicht über die wichtigsten Ereignisse im entsprechenden Jahr.

2010:

Die grösste Neuigkeit des Jahre 2010 (für uns) ist, dass wir mit der Praxis aufhörten. Es wurde uns langsam zu viel. Wir dachten auch, dass es wichtiger war, wenn wir bei Krankheiten der Grosskinder, was in ihrem Alter häufig vorkam, Corinne und Christian helfen, und Corinne dadurch ruhiger weiter arbeiten konnte. Eine Freundin schrieb uns, dass wir bald nicht begreifen werden, wie wir das alles bisher bewältigen konnten – sie hatte recht. Wir wollten auch vermehrt zwischen St. Gallen und Agra pendeln, so lange (wie lange?) es geht, unserer Leidenschaft, dem Wandern frönen, in Ruhe unsere Morgengymnastik absolvieren, die Zeitung durchlesen, unsere Italienischkenntnisse verbessern, wieder vermehrt gute Bücher lesen, vielleicht auch etwas schreiben. Es scheint, wir verkraften den Verlust der Praxistätigkeit mit allen positiven und negativen Auswirkungen ohne grössere Schwierigkeiten.

Auch sonst erlebten wir Vieles. Besonders schön waren die Familientreffen. Das erste an einem schönen Sonntag Ende Juni in Hauptwil, wo Silvia aufgewachsen ist, mit ihrer grossen Familie, draussen in der Waldschenke, unter dem Schutz der Bäume. Nicht nur wir Erwachsenen, aber auch die vielen Kinder jeden Alters haben es genossen, Neuigkeiten auszutauschen und zusammen zu spielen. Der Anlass waren einige runde Geburtstage (auch Silvias 70.)


(1) Bilder zum Weihnachtsbrief 2010.

Bilder zum Weihnachtsbrief 2010.

 
Anfangs August trafen wir uns mit Peters Familie im Ursprungsland – in der Slowakei, an einem grossen Stausee, einem wunderschönen Fleck des Landes, in der Nähe der Berge. Es waren wieder drei Generationen im Alter von neun Monaten bis dreiundsiebzig Jahren vereint. Während sechs Tagen wanderten wir zusammen, badeten, besuchten nach Lust und Laune in verschiedener Zusammensetzung die vielen Sehenswürdigkeiten der Umgebung und tauschten nach einem Abendessen in einer „Schafshirtenhütte“ mit guten slowakischen Spezialitäten Kenntnisse und Ansichten über den Einfluss der Geschichte der Familie auf unsere Leben aus. Wir waren überrascht und begeistert, wie es untereinander keine Probleme gab, wir gewisse äusserliche Schwierigkeiten (Suche des richtigen Weges, Eintreffen am richtigen Platz zur richtigen Zeit) mit Verständnis, Abstand und Humor ertrugen, und wie sich die junge Generation um die Geschichte der Familie interessierte. Manche schlugen gleich vor, wir sollen so ein Treffen wiederholen. Was will man mehr?

Es gab noch eine Aenderung in unserem Leben. Unsere Weihnachtsferien 2010 verbrachten wir erstmals in Malbun, im „Ländle“ Lichtenstein, wieder mit Corinne, Christian, Tim und Liv. Am Weihnachtsabend kamen auch Barbara, Daniel und Alexa.

2011:

Einen erheblichen Teil des Jahres verbringen wir, wie üblich, mit dem mehr oder weniger guten Schlaf im Bett. Ein anderer Teil, derjenige „unterwegs“, ist wesentlich gewachsen – wir sind ein fahrendes Volk geworden und pendeln entweder zwischen St. Gallen und Zürich, weil wir die gelegentlich kranken Kinder und auch sonst hüten, um Corinne ihr Berufsleben zu ermöglichen, und um Tim und Liv geniessen zu können, oder zwischen St. Gallen und Agra, da man dort nicht nur besser schlafen, sondern auch schreiben kann. Die Reisen sind sehr angenehm. Nirgendwo kann man sich so lange ungestört in einen Lesestoff, ob Zeitungen, Zeitschriften oder Bücher, vertiefen, wie im Zug oder ab und zu ein Nickerchen machen.

Auch nach bald zwanzig Jahren Agra entdecken wir in der Nähe neue schöne Wanderungen. Im Frühjahr springen uns dabei hungrige Rehe vor die Nase, im Sommer versperren uns junge Wildschweine den Weg, die wir und ihre versteckte, aber gefährliche Mutter mit Bellen verscheuchen müssen oder aufgescheuchte und aufgeregte Perlhühner, die aus ungeklärten Gründen auf unserem mit hohem Gras umgebenen Wanderweg vor uns herlaufen und erst dann nach links und rechts die Flucht ergreifen, wenn sie sich auch von der Gegenseite durch andere Wanderer bedroht fühlten. Unvergesslich sind Myriaden von Glühwürmchen, die uns jeweils Ende Juni in der Dunkelheit beim spät abendlichen Abstieg von der Alpe Roccolo, nach einem reichlichen Abendessen mit einem vollen Bauch von einheimischen Spezialitäten und einer entsprechenden Menge von Wein und Grappa, umschwärmen und den Weg beleuchten. Da die Wege grösstenteils im Wald verlaufen, ist es auch in der Sommerhitze nirgendwo so angenehm beim Wandern wie hier. Auf einer Wiese schauen wir einer grossen Herde von Kühen mit Stier zu, mehrere Muttertiere mit ihren Kälbern, die sie ruhig, nach Bedarf und nicht nach Befehl saugen lassen. Die Euter sind nicht übermässig gross, sie reichen für die Kälber und sollen keine überflüssige Milch produzieren, alle erwachsenen Tiere haben Hörner, und es gibt keine Hunde, Hirte oder Glocken. Wir kommen uns vor wie in Argentinien (wo wir nie waren, aber auch Karl May weilte nie in Amerika). Die Farm nennt sich auch sinngemäss „La Pampa“. Angeblich enden diese „glücklichen“ Tiere auf dem Teller in irgendeinem Luxusrestaurant. Schrecklich, schrecklich. Im Herbst lauschen wir dem Rauschen der fallenden Eicheln und Edelkastanien. Die Kastanienbäume bekamen dieses Jahr zu wenig Wasser. Dadurch gab es weniger grosse Marronis und praktisch keine Pilze. Silvia kochte Risotto und andere Getreidegerichte mit Kastanien. Leider ist ihr so ein unübertreffliches Marronibrot noch nicht gelungen, wie man es im Restaurant am Passo die S. Antonio bekommt, aber sie bleibt dran. Vor dem Einzug des Winters treffen wir Gämse und ihre Jäger in der Hoffnung, dass sie uns nicht verwechseln.

In St. Gallen genossen wir auch die Umgebung und holten nach, was wir während der Praxisjahre versäumten. Im Unterschied zu Agra sind viele Wanderwege, die zu den Bergen und zu vereinzelten Häusern führen, asphaltiert.

Jetzt lassen wir aber das alte Eisen, zwar schon etwas rostig, sonst aber immer noch rüstig (was wir enorm schätzen und dafür dankbar sind) und wenden uns der Jungmannschaft zu:

Daniel arbeitete nun vorwiegend als Lehrer auf einer Fachhochschule, was ihm sehr gefällt, die Lehrer versuchten es ihm schon in seiner Gymnasiumzeit schmackhaft zu machen, er wollte davon aber nichts wissen. Barbara hat auch genug zu tun als Mitarbeiterin im Lokalradio und bei der Lokalzeitung. Alexa entwickelt sich sehr gut, wird immer selbständiger und bekommt in der Schule sehr gute Noten. Trotzdem will sie vorläufig nicht auf das Gymnasium. Im Moment schwebt ihr ein Beruf im Gesundheitswesen vor. Sie hat eine gute Beziehung zu Kindern und bestand die Prüfung als Baby-Sitter. Aber auch Daniel wollte während einer gewissen Zeit lieber Maurer werden als studieren.

Corinne bekam zusätzlich eine Teilstelle an der Pädagogischen Hochschule in Zürich. Sie hofft, mit der Zeit sich ganz von den belastenden Fahrten nach Kreuzlingen befreien zu können, die viel Zeit in Anspruch nehmen. Christian ist mit seinem Job bei der Helsana zufrieden, auch wenn er weniger freie Zeit hat als früher bei der CS. Sein Projekt als Vermögensberater entwickelt sich gut, und er studiert nebenberuflich noch weiter. Anstatt über Tim und Liv zu schreiben, lassen wir die Bilder sprechen.



(2) Bilder zum Weihnachtsbrief 2011.

Bilder zum Weihnachtsbrief 2011.

     

2012: 

Unser letzter Jahresbericht könnte den Eindruck erwecken, wir pendeln nur zwischen St. Gallen, Zürich und Agra hin und her. Dem ist jedoch noch nicht ganz so. Aus Agra fahren wir in verschiedene mehr oder weniger berühmte und bekannte norditalienische Städte und Städtchen. Novara hat den Ruf eines uninteressanten Eisenbahnknotenpunktes, einer Industriestadt. In einem der Führer durch Italien fanden wir jedoch, dass es auch eine grosse Altstadt gibt, die an Turin erinnert. Als wir dort ankamen, waren wir überrascht, dass ähnlich wie in Pavia, die Kioske weder detaillierte Führer noch Ansichtskarten anboten. Unterwegs zur Buchhandlung, wo wir endlich einen eher schäbigen Führer erhielten, wurden wir dafür entschädigt: In einer schönen alten Konditorei bekamen wir in einem sorgfältig vorgewärmten Glas eine besonders lang zubereitete Mischung aus irgendwelchen Gewürzen, Liqueur, Kaffee und Schlagrahm, wobei diese Schichten scharf getrennt blieben.

Im romanisch-gotischen Dom erwartete uns eine weitere Überraschung – das Bild des „letzten Abendmahls“ mit einer ungewohnten Tiefe und einer lebendigen, ausdrucksvollen Darstellung der Teilnehmer an der reich gedeckten Tafel. Während bei Leonardo da Vinci eine geschlossene Gesellschaft in einem geschlossenen Raum tafelt, sind hier manche vom Tisch abgewandt und sprechen und gestikulieren auf beiden Seiten mit der Umgebung. Wer ist und was geschieht dort? Und so, wie die zwei Diener und die Betrachterin im ruhigen und beruhigenden Hintergrund, sind auch wir, etwas von oben schauend, an dieser Mahlzeit dabei. Der nachdenkliche Jesus, dem nur ein Teil der Apostel lauscht, auch wenn er das Brot verteilt, ist offensichtlich schon nicht wie früher mit dem Essen und den irdischen Problemen der Verbliebenen beschäftigt, in dem er Hungrige sättigte und kranke heilte. Es sind eigentlich zwei Bilder: Wenn wir den unteren Teil betrachten, nehmen wir den Hintergrund mit dem Ausblick in die Landschaft und der ruhig, gelassen wartenden und beobachtenden, anmutigen Frau im Minirock (Peters Phantasie) nicht wahr. Ist es Maria Magdalena? Und umgekehrt, schauen wir nach oben, rutscht uns die Mahlzeit aus dem Blick. Das Bild malten zwei Maler: Sperindio Cagnola und Gaudenzio Ferrari, jüngere Zeitgenossen von Leonardo da Vinci, dessen „letztes Abendmahl“ wir nach der Restaurierung dieses Jahr in Mailand auch bewunderten. Malte der eine den unteren, der andere den oberen, eher Renaissance-Teil des Bildes? Wie auch, man betrachtet eine der Frühchen der barocken Malerei. Das weitgehend unbekannte Bild beeindruckte uns unheimlich, sodass wir uns darüber so ausbreiten und eine Kopie beilegen.


(3) Bild des "letzten Abendmahls" gemalt von Sperindio Cagnola und Gaudenzio Ferrari, jüngere Zeitgenossen von Leonardo da Vinci.

Bild des "letzten Abendmahls" gemalt von Sperindio Cagnola und Gaudenzio Ferrari, jüngere Zeitgenossen von Leonardo da Vinci.

 

Auf die Bilder des „letzten Abendmahls“ stiessen wir auch auf unserer Frühjahresreise in die Slowakei anlässlich Peters Maturitätstreffens. Nahe der Grenze zur Ukraine und Polen besichtigten wir neun alte griechisch-katholische Holzkirchen, eine schöner und interessanter als die andere. Ihre Altare sind nach strengen Regeln und Schemas aufgebaut. Auf jedem befindet sich das Bild, die Ikone des „letzten Abendmahls“. Die Ikonen, wie die Altare und die Kirchen unterscheiden sich je nach dem, wann sie entstanden sind. Eine der Kirchen und eines der „letzten Abendmahle“ bilden wir als Beispiel auch ab.



(4) links eine der Holzkirchen, rechts "das letzte Abendmahl".

links eine der Holzkirchen, rechts "das letzte Abendmahl".

 

Eigentlich gehören auf einen Weihnachts- und Neujahrsbrief keine Osterbilder. Auch wenn wir noch nicht bei unserem „letzten Abendmahl“ sind, dafür beim „letzen Mal“ immer öfters: Das letzte Mal kaufen wir etwas, das letzte Mal waren wir hier oder dort, das letzte Mal erleben wir das oder jenes, das letzte Mal treffen wir jemanden… Und so vorbereiten wir uns auf unser „letztes Mal, auf unser „letztes Abendmahl“. Zur Vorbereitung gehört auch meine Beteiligung am „Hospizdienst“, womit ich meinem Zustand und meinen Möglichkeiten gemäss den Beruf fortsetze. Ich begleite die schwer kranken und sterbenden Menschen höchstens mit einfachen pflegerischen Massnahmen. Die Anwesenheit, und wenn möglich Gespräch, Vorlesen, sind jedoch wichtig.

Etwas näher zu meinem letzten Abendmahl war ich beim Herzinfarkt am 7. September 2012. Die Errungenschaften der modernen Medizin, verbunden mit einer liebevollen Pflege würden mich ihn körperlich vergessen lassen, wenn ich nicht eine Anzahl von Medikamenten schlucken und mich mannigfachen Untersuchungen aussetzen müsste. Was meine Gesundheit betrifft, verlor ich meine unschuldige Kindheit und bin plötzlich ein alter Mann geworden. Aber mit J.M. Simmel kann ich ausrufen: Hurra, wir leben noch!

(Meine Bemerkungen zu Peters Infarkt: Er bekam ihn eigentlich, als wir mit Corinne, Christian und den Kindern im Simmental waren und wir ihnen die Simmenfälle hinter Lenk zeigen wollten. Das Ausschlaggebende war aber der Föhn, der damals dort herrschte und wir als Abschluss noch mit der Bahn auf den Rinderberg wollten. Peter gab erst dann zu, dass er Probleme hatte und deshalb nicht mit uns auf den Rinderberg kam. Er wollte sich aber von keinem Arzt in Zweisimmen untersuchen lassen. So kehrten wir dann betrübt wieder nach Zürich und St. Gallen zurück. Er meldete sich darauf sofort beim Herzspezialisten zu einer Untersuchung an. Die Arztgehilfin checkte es nicht und gab ihm erst Ende Woche einen Termin, worauf er dann zwei Tage später nachts den Infarkt bekam und mich natürlich nicht weckte, sondern mir auf dem Boden vor der Zimmertür einen Zettel hinterliess: „ Ich bin im Spital wegen Brustschmerzen. Geh nach Zürich. Peter“ und in diesem Zustand selbst ins Spital fuhr, obwohl er in der Garage noch die Nummern am Auto befestigen musste. Die Aerzte im Spital meinten, das sei typisch Mediziner. Wir sollten die Kinder hüten. Deshalb war ich auch schon um 05.00 Uhr wach. Also rief ich zuerst im Spital an. Der Arzt meinte, sie seien jetzt daran, Peter zu untersuchen, es hätte keinen Sinn, wenn ich dorthin komme. Also fuhr ich nach Zürich und sandte unterwegs Corinne ein SMS. Sie rief mich an, sobald sie wach waren und sagte, ich solle wieder umkehren. Sie komme dann später mit den Kindern ins Spital. So fuhr ich mit dem nächsten Zug wieder nach St. Gallen und von dort direkt ins Spital. Inzwischen bekam Peter einen Stent, und es ging ihm schon bedeutend besser. Als Corinne mit den Kindern kam, konnte er sie sogar schon „geniessen“.)


(5) Bilder zum Weihnachtsbrief 2012.

Bilder zum Weihnachtsbrief 2012.

  
Jetzt weg vom Übergang zum Winter zu den Anfängen des Frühjahres und des Frühsommers: Selbstverständlich hüten wir nach wie vor gerne Liv und Tim, meistens in Zürich, wenn sie krank sind, während der Sommerferien in Agra und hie und da sowie in Tims Herbstferien hier bei uns. Ja, Tim ist seit diesem Jahr im Kindergarten, worauf er mächtig stolz ist und Liv ihn sehr darum beneidet, sie weiss jedoch, dass sie zwar noch zwei Jahre warten muss, aber dann auch dieses Glück für sich in Anspruch nehmen kann. Tim machte mit dem Kindergarteneintritt einen grossen Sprung nach vorne. Er ist viel ruhiger und seiner Schwester gegenüber grosszügiger und liebevoller. Liv, die früher nur mit Lastwagen und Bauklötzen spielte, ist jetzt ein richtiges Puppenmütterchen geworden.

Auch für Corinne änderte sich nach den Sommerferien einiges. Keine Fahrten nach Kreuzlingen mehr, dafür zügelten sie mit der Pädagogischen Hochschule an den Hauptbahnhof in Zürich, wo sie seither als Dozentin jeweils von Montag bis Mittwoch arbeitet. So wie er vorher enorm lang war, so ist ihr Arbeitsweg jetzt wirklich kurz, ca. 20 Minuten von zu Hause bis zur Schule. Nicht nur dass sie in einem wunderschönen Gebäude unterrichten kann, sie findet ihre Arbeit enorm spannend. Das Lesen der vielen Berichte ihrer Schüler und Schülerinnen über ihre ersten Unterrichtserfahrungen sind zwar mühselig, aber die Besuche in den jeweiligen Schulen in den vielen Gemeinden im Kanton Zürich sind dafür umso spannender und zeitweise auch rührend, wenn Corinne die Erst- und Zweitklässler wieder so vor sich sieht, so werden auch Erinnerungen als Primarlehrerin von früher wach. Es war für Corinne ein happiges Jahr, zuerst die Vorbereitung und die Unsicherheit, ob sie die Stelle bekommen wird und jetzt die Einarbeitung erfordern viel Zeit und Energie. Schlussendlich wird es sich aber lohnen, denn die Arbeit gibt ihr eine neue Befriedigung, und sie muss nie mehr schon um 05.00 Uhr aufstehen, um zur Arbeit zu fahren und kommt auch früher von der Arbeit nach Hause als von Kreuzlingen, was für die ganze Familie angenehmer ist, weil Christian die Kinder jetzt nur in die Krippe bringen muss und Corinne sie dort abholen kann.

Wie man aus den Nachrichten erfahren konnte, ist Christian ein Trendsetter. Damit die Kinder nicht drei Tage pro Woche in der Krippe verbringen müssen, bleibt er nun jeweils am Montag zu Hause, so können Liv und Tim den Papa auch geniessen, was natürlich auch umgekehrt der Fall ist. Zudem sieht er wieviel Zeit die Kinder in Anspruch nehmen und wie wenig für den Haushalt bleibt, jedenfalls schätzt er den Montag zu Hause. Teilzeitarbeit der Männer ist eindeutig „in“.

Alexa hatte in diesem Jahr einige Schnupperwochen an verschiedenen Orten wie Kinderspital, Altersheim, Spital Stansstad und Kantonsspital Luzern, absolviert. Das Resultat war, dass sie Ende dieses Schuljahres eine Lehrstelle als Krankenschwester im Kantonsspital in Luzern beginnen konnte, worüber wir alle sehr glücklich waren.

Nachdem die Ortszeitung Stansstad aus finanziellen Gründen nicht mehr weiter existieren konnte, bekam Barbara aus Zug ein neues Angebot. Sie nahm die Stelle bei der Zuger Zeitung zwar an, da in der Umgebung nichts Besseres in Aussicht war, aber es gefällt ihr dort nicht so wie beim alten Arbeitgeber. Es arbeiten dort fast nur Männer, denen es nichts ausmacht, erst spät abends nach Hause zu gehen, was Barbara aber Mühe macht, da sie schliesslich nicht nur einen Mann, aber auch eine Tochter zu Hause hat, mit denen sie gerne mehr Zeit verbringen möchte. Daniel hat es einfacher, er kann meistens von zu Hause aus arbeiten und muss nicht täglich in die Fachhochschule in Windisch. Hoffen wir, dass auch für Barbara wieder ruhigere Zeiten kommen.

Dieses Jahr feierten wir Weihnachten bei Corinne und auf das neue Jahr 2013 stiessen wir in Agra mit Maria und Frido an. Gleichzeitig feierten wir dort auch noch unseren 40. Hochzeitstag.

2013:

Wie schon immer, so auch im Jahre 2013 wollte Silvia eine gute Frau sein. Gegen Ende einer schönen Sommernacht kroch sie in mein Bett, was leider immer seltener vorkommt und so früh morgens schon lange eher ungewöhnlich ist. Ihr Herz flatterte, auch nicht wie früher aus Sehnsucht nach mir. Mit ihrer Neigung zu tiefem Blutdruck und Puls, ergab das Herzflattern eine giftige Mischung, die schon liegend eine unerträgliche Schwäche und ein unangenehmes Gefühl verursachte, als ob das Herz zu schlagen aufhören würde, vielleicht für immer. Sie wollte mich mit Herzbeschwerden eben nicht alleine lassen. Sie konnte weder stehen noch sitzen. So mussten wir die Ambulanz rufen. Es dauerte eine Weile, bis sie kamen. Sie erwischten noch die Herzrhythmusstörungen, aber schon als sie ihr die Infusion steckten, war der Spuk vorbei. Trotzdem brachten sie Silvia sicherheitshalber unter vielen aufmerksamen Augen der Nachbarn liegend in den Notfallwagen. Im Spital wurde sie gründlich untersucht. Selbstverständlich fanden sie keine Störung mehr und keinen Grund für ihre Beschwerden. Zum Glück hatten wir den kurzen Elektrokardiogrammstreifen von zu Hause, sonst könnten sie uns wegen Vorgabe falscher Tatsachen verdächtigen. Schon kurz vor dem Mittag kehrte sie ohne Infusion aus dem Taxi zu Fuss zurück, was ihr sicher weit und breit den schlechten Ruf einer Simulantin einbrachte. Wir konnten den scharfen Beobachtern in der Umgebung den Streifen nicht zeigen, da sie ihn im Spital behielten. Ich musste unter ihrer detaillierten Anleitung das den Umständen entsprechend einfache Mittagessen zubereiten, was eine Premiere war. Inzwischen kann Silvia gut auch bergauf gehen, ich koche immer noch nicht. Auch wenn es gegen die Behauptung des jungen Oberarztes der Kardiologie verstösst, der meinte, Stress spiele dabei keine Rolle, setzt ihr Herz bei Lärm oder psychischem Druck manchmal kurz aus, aber sie kann trotzdem weiter gehen und noch wichtiger, auch weiter kochen. Man kann nur warten, wie es sich entwickelt. In diesem Stadium könnten Medikamente schaden, was zu Silvias Einstellung ganz gut passt.

Am nächsten Tag wollte uns unser Nachfolger in Zweisimmen seinem Nachfolger als „Grosseltern der Praxis“ vorstellen. Wir mussten es für später verschieben.

Der Zustand meines Herzens hat sich stabilisiert, aber ich muss unzählige Tabletten gegen hohen Blutdruck und einen weiteren Infarkt nehmen, was zwar meiner Einstellung nicht ganz entspricht, aber ich ertrage sie gut. Trotzdem spüre ich bei Stress und Föhn, dass ich ein Herz habe. Dafür kann ich mich problemlos körperlich belasten. Im September wurde mir wegen eines weissen Hautkrebses ein Stück vom Ohr abgehauen. Wir bekommen Hörner, Flecken und Körner, bröckeln langsam aber sicher ab. Und man kann auch dagegen kaum etwas tun.

Dafür entwickeln sich unsere Enkel prächtig. Alexa wurde konfirmiert. Wir feierten es auf dem Pilatus, dem Hausberg von Luzern. Unterwegs bewunderten wir die besondere Pracht von fast subtropischen bis hochalpinen Frühjahrsblumen, die man sonst kaum auf ein paar hundert Metern Höhe trifft. Im Herbst begann Alexa mit Freude ihre Ausbildung als Krankenschwester. Sie steht frühmorgens auf, fährt mit dem Zug nach Luzern und abends wieder zurück. Auf der hämatologischen Abteilung erlebte sie schon oft, dass die Patienten sterben, was sie, wie auch schwierige Pflegearbeiten gut erträgt. Barbara hat auch eine Ausbildung in der Pflege von dementen Patienten begonnen und Daniel fährt oft längere Strecken, da die Firmen, die er berät im Moment in Lausanne und Würzburg sind. Er unterrichtet weiterhin auch noch an der Technischen Hochschule der Nordostschweiz.



(6) Bilder zum Weihnachtsbrief 2013.

Bilder zum Weihnachtsbrief 2013.

  
Tim und Liv erwarteten zu Corinnes 40. Geburtstag ein Brüderchen. Es kam aber schon einen Tag vor Weihnachten. Selbstverständlich wurden wir notfallmässig nach Zürich gebeten, da Corinne plötzlich heftige Wehen bekam. Wir blieben also bei Tim und Liv in der Wohnung und hofften, dass Corinne bei der Geburt im Spital Triemli keine Probleme hatte. Es dauerte aber nicht allzu lange, und wir bekamen den glücklichen Bericht, dass Tim und Liv ein Brüderchen namens Eli bekamen und wir es begrüssen dürfen. Das liessen wir uns nicht zweimal sagen und machten uns sofort auf den Weg dorthin. Wir wurden alle drei auch gleich in den Gebärsaal zugelassen. Eli war sogar noch an der Nabelschnur, die sie vor unseren Augen durchschnitten. Dann wurde er gewogen: 3970g! Kein Wunder war die Geburt wieder nicht einfach, aber Hauptsache, Corinne hatte es gut überstanden, und Tim und Liv durften ihr Brüderchen in die Arme nehmen. Glücklich machten wir uns nach diesem beeindruckenden Besuch wieder auf den Heimweg.

Am 28. Dezember 2013 feierten wir alle zusammen bei Daniel und Barbara Weihnachten.


(7) Weihnachten bei Barbara und Daniel nach Elis Geburt.

Weihnachten bei Barbara und Daniel nach Elis Geburt.

  

2014:

Alle Berichte und guten Wünsche, die wir jeweils Ende des Jahres erhalten, freuen uns sehr, und wir möchten uns für die diesjährigen schon im voraus bedanken. Sie werden immer öfter von Bildern aus der Kindheit begleitet, was verschiedene Gründe haben dürfte. Sie veranlassten uns auch, in die Kiste mit alten Fotos zu greifen. Dieser Griff half uns, ein Rätsel, das uns schon lange beschäftigte, zu lösen.

Es gibt verschiedene Gründe, warum zwei Menschen, nur durch kurze, mehr oder weniger häufige Missgefühle wie Aerger und Wut unterbrochen, Jahrzehnte im Grunde genommen glücklich und zufrieden zusammen verbringen. Auch wir hatten Prinzen und Prinzessinnen kennengelernt und das Leben mit ihnen mehr oder weniger eng geteilt und genossen. Wir fragten uns, zwar nicht ständig, aber oft selbstzufrieden, warum schlossen denn ausgerechnet wir zwei den Bund der Ehe, und vor allem warum hält er so, dass uns voraussichtlich und hoffentlich nur der möglichst gnädige Tod scheidet? Die zwei Bilder unserer Grosselternhäuser, bei Silvia mit der schweizerischen Beständigkeit blieb es auch ihr Elternhaus, sind sehr ähnlich, auch wenn sie zwei bis drei Jahrzehnte trennen. Auf dem älteren – Teil einer damaligen Ansichtskarte - dürfte mein Grossvater mit seinen engsten


(8) Langers Gasthaus Pribovce.

Langers Gasthaus Pribovce.

  

Gehilfen abgebildet sein, stolz auf seinen Besitz. Auf dem jüngeren ist Silvias Grossvater, nicht weniger stolz mit der Familie und den Gesellen gut erkennbar.


(9) Schmiede Hauptwil mit (v.l.) 2.Tante Rosa mit Velo, 5.Grossmutter, 6. Grossvater Schweiwiller.

Schmiede Hauptwil mit (v.l.) 2.Tante Rosa mit Velo, 5.Grossmutter, 6. Grossvater Schweiwiller.

  

In der nächsten Generation bildete sich der sehr lange, feine Faden zwischen uns weiter. Silvias Vater übernahm samt der jungen hübschen Tochter auch das jahrhundertealte Haus mit der Schmiede und erneuerte sie. Mein Vater bekam nebst der auch nicht hässlichen Frau als Mitgift ein Transportunternehmen mit mehreren Pferden. Wir waren gute Kunden beim einzigen Schmied in Martin. Er, seine Gesellen und die Schmiede ähnelten den Bildern von Titanen und Kyklopen aus einem meiner Märchenbücher, die in Vulkanen tief in der Erde arbeiteten. Wenn sie stritten, brachen die Vulkane aus. (Bei uns bisher nur Wut, aber wir sind keine Titanen.) Auch unser Schmied und seine Helfer hatten lederne Schürzen. Der Chef trug die schönste, festeste, ohne Fransen und Löcher. Die Schmiede war für mich die Verkörperung von Kraft und Können: Sie konnten geschickt mit dem Feuer umgehen, Metall biegen, die Tiere zähmen, und wenn sie freie Zeit hatten, sogar schöne Zäune, Kerzenständer und andere Gegenstände formen. Vielleicht waren sie nahe der Hölle mit Teufeln, und so dauerte es lange, bis ich es wagte, in die Dunkelheit der Schmiede einzutreten. Dafür durfte ich dann auf den Balg drücken (ein Geselle half mir dabei) und damit die besonders gute, reichlich Hitze spendende Kohle anfeuern. Wie sich manche Kinder mehr, andere weniger vor dem Haarschneiden fürchten und dabei weinen, so haben gewisse Pferde eine Abneigung gegen die Schmiede und das Befestigen der Hufeisen mit den Nägeln in ihre, wenn sie tief genug eindrangen, empfindlichen Hufe, wobei die dunklen, verrauchten Schmieden und ihre Vorräume weniger einladend wirken als die hellen, gut duftenden Räume der Haarschneider. Bei solchen feinnervigen Pferden müssen beim Hufbeschlag manchmal mehrere Personen das Bein des Tieres festhalten. Man versuchte sie wie Kinder abzulenken, liess sie vor dem Gang zur Schmiede hungern und stülpte ihnen dann einen Sack mit Köstlichkeiten wie Hafer oder Gerste über das Maul. Manchmal brauchte man bei solchen uneinsichtigen, widerspenstigen Tieren ausser Können auch Zeit und Geduld. Man konnte sie doch nicht auf den Strassen tagelang schwere Wagen ziehen lassen, ohne ihre Hufe zu schützen. Ein tierliebender, einfühlsamer Schmied, wie es der Vater von Silvia nicht nur mit Tieren war, konnte diese Aufgabe leichter erfüllen.

Das Schicksal webt unsichtbare, feine aber feste Fäden. Silvia und ich wuchsen mit den Pferden, mit ihrem Geruch auf. Wir erlebten mit, was unsere Eltern taten. Heutzutage können es nur Bauernkinder. Wir besitzen keine Pferde aber Autos. Ihr Geruch ist nichts Besonderes und ihre Marken trennen uns eher als verbinden.

Diese Zeilen könnten den Eindruck erwecken, dass wir schon grauenhaft rückwärts gerichtete Greise sind, die ihre Vergangenheit in rosigen Farben verklären und allen neuen Errungenschaften entgegen feindlich eingestellt sind. Dem ist überhaupt nicht so.


(10) Weihnachtskrippe aus der Sammlung unserer Freundin Madeleine Kissling.

Weihnachtskrippe aus der Sammlung unserer Freundin Madeleine Kissling.

  
Die weihnächtliche Krippe im Stall erinnert uns auch an Geburten, Erlebnisse und Erfahrungen mit unseren Enkelkindern (Alexa Pflegefachschule, Tim Erstklässler, Liv Kindergärtnerin), desto mehr als der Jüngste, Eli, am 23. Dezember einjährig wird. Die neuen Windeln und verschiedene andere sehr praktische Einrichtungen erleichtern und vereinfachen enorm das Leben der Eltern. Nicht zu denken wie es in Bethlehem war. Die gegenwärtig gut hygienisch verpackten Säuglinge und Kleinkinder verschieben jetzt ihre Neugier und den berechtigten Stolz auf ihre Leistung auf andere Gebiete und Fähigkeiten. Damit erfährt die ganze Gesellschaft einen nie da gewesenen schöpferischen Schub, wie alle die neuen Errungenschaften des Lebens beweisen. Wenn nicht unsere Kinder, dann Enkelkinder werden Kreuzfahrten auf den Mond und dann von dort auf den Mars und zurück zur Erde unternehmen. Mit dieser erfreulichen Feststellung und den rosigen Aussichten schliessen wir unsere, vielleicht zu langen vorweihnächtlichen Betrachtungen und hoffen auf ein gutes, erfolgreiches 2015.

2015:

Der Sinn des Lebens kann keinem Menschen gegeben werden, er kann nur vom Menschen selbst gefunden werden. Was der einzelne Mensch als Sinn seines Lebens wahrnimmt, kann sehr unterschiedlich sein.

Daniel Büche, Leiter der Palliative Care, St. Gallen.

Nach unserem letztjährigen Weihnachtsbrief äusserten manche die Hoffnung, dass wir mit alten Geschichten und Nostalgien aufhören und uns der Gegenwart und der Zukunft widmen sollen. Gerne erfüllen wir diesen Wunsch und bekennen uns zum schönen, anregenden und aufregenden Leben als pensionierte und passionierte Grosseltern.

Vor nicht all zu langer Zeit, als wir noch arbeiteten, blieb einem bekannten Ehepaar nicht viel Zeit für gesellschaftliche und gesellige Anlässe – die meiste Zeit hüteten sie ihre Enkelkinder. Wir dachten, wie kann man nur? Ein slowakisches Sprichwort sagt: „Schrei nicht hopp, eher du nicht übersprungen wirst“. Jetzt hören wir ähnliche Einwände zu unserem Lebenswandel. Wir hüten zwar nicht jede Woche, haben uns aber bereit erklärt, an Corinnes Arbeitstagen nach Zürich zu kommen, falls eines der Kinder krank ist.

Als Dozentin für Gestaltung an der Pädagogischen Hochschule kann Corinne sowohl ihre erzieherische wie auch künstlerische Neigung und Ausbildung entfalten und ausleben. Ihr Arbeitsplatz in der Nähe vom Hauptbahnhof in Zürich ist für sie einfach und schnell erreichbar, die Leitung, die Kolleginnen und Kollegen haben Verständnis für arbeitende Mütter. Solche Stellen sind selbstverständlich sehr begehrt. Würde sie eine längere Pause einlegen, wäre die Stelle vergeben und Corinne „weg vom Fenster“. Dabei befriedigen wir unsere, ob positiv oder negativ begründete Hilfsbereitschaft, die wir während langer Jahre auch im Beruf zu stillen gewohnt waren. Ich glaube, die Patienten waren mit mir eher unzufrieden, weil ich sie mit meiner Sorge und Zuwendung eher überforderte als vernachlässigte. Wir sind froh, dass unsere Gesundheit uns es noch erlaubt und dass wir jetzt dafür genug Zeit haben. (Nebenbei helfen wir dadurch auch, das Bruttosozialprodukt zu steigern.) Auch wenn wir nicht mit den Enkelkindern leben (was für alle Seiten wohltuend ist), können wir gut miterleben, wie sie wachsen und sich entwickeln, wie sie sich freuen und stolz sind, wenn sie zuerst die „einfachsten“, mit der Zeit immer komplizierteren Aufgaben erfüllen und Ziele erreichen, wie sie gleich und gleichzeitig schon früh verschieden sind. Wir beobachten, vielleicht bilden wir uns es nur ein, welche Eigenschaften sie von wem erbten. Wahrscheinlich ist es auch nur Einbildung, dass wir sie auch etwas erziehen in einem eher bescheidenen Rahmen, in dem es überhaupt möglich ist, wie wir zunehmend merken. Immer wieder kommt uns die eigene Kindheit in den Sinn, was natürlich mit unserem zunehmenden Alter zu tun hat. Wir sind froh, dass sie nur mit natürlichen Entwicklungsproblemen, ohne Armut, Diskriminierung und Verfolgung aufwachsen, und hoffen, dass es bald allen Kindern auf der ganzen Welt so ergehen wird. Wir bekommen fast Entzugserscheinungen, wenn sie länger gesund sind oder Corinne und Christian uns sonst nicht brauchen. Wir schätzen uns glücklich, dass wir, was nicht allen Grosseltern gegönnt wird, nicht nur für Feste, Feiertage und Geschenke da sind. Wir haben auch mit Alexa diese Zeit sehr genossen. Damals waren wir etwas jünger, hatten aber den Beruf. Nun sind wir dankbar, dass wir es noch können. Eine Gegebenheit sticht von all den schönen, die wir mit den Kindern erlebten, heraus. Kinder im Alter von Eli erweitern ihre Beziehungen und klammern sich an einen Gegenstand, ein Tier oder ein Stück Stoff. Eli wählte eine Mischung: ein Lappen mit einem Kuhkopf. Er nannte ihn Muh. Wehe, wenn man Muh vergessen würde, sie muss überall mit, ohne sie kann Eli nicht schlafen. Vor dem Einschlafen drückt er sie ans Gesicht. Muh hat eine Besonderheit – eine Etikette, die am Rand herausragt. Eli trainiert an ihr seinen Tastsinn und feine Bewegungen mit den Fingern, nimmt sie in den Mund und lutscht und kaut an ihr. Eines Tages als er mit Fieber stark erkältet war, hüteten wir ihn. Ich spielte mit ihm auf dem Sofa, er kaute an Muhs Zipfel, wie an einem Euter. Plötzlich, offensichtlich ein Zeichen der Dankbarkeit und Zuneigung, streckte er mir Muhs Zipfel gegen meinen Mund. Ich zögerte nur kurz und hielt ihn zwischen den Lippen, was Eli aufmerksam, zufrieden, sogar begeistert beobachtete. Ich dachte an die vielen Viren und gab ihm Muh bald zurück. Diesmal kriegte ich seinen Schnupfen nicht.

Unsere kinderlosen Freunde Beatrice (eine ehemalige Kollegin von Silvia) und Asif gründeten vor mehr als zwanzig Jahren in Hydarabad/Indien, von wo er kommt, zwei Schulen, die Corinne besucht hatte. In dieser armen Gegend mit noch verbreitetem Analphabetentum, Sekten- und Geschlechtsunterschieden lernen Mädchen und Knaben von der Grund- bis Mittelschule zusammen, zunehmend aus allen Schichten, weil die beiden Schulen einen guten Ruf haben. Asif und Beatrice bauten und unterhalten die Schulen aus Spenden und nicht mehr gebrauchten Materialien wie alte Schulbänke, Hotelbettwäsche etc. unserer verwöhnten Ueberflussgesellschaft, immer mehr auch aus dem Schulgeld der Reicheren. Es wurden und werden dort tausende Kinder ausgebildet. Eine der Schülerinnen aus einem armen Haus ist bereits eine Ärztin. Das nennt man echte Entwicklungshilfe und Kulturrevolution.

In diesem Jahr (2015) machte Barbara eine Ausbildung zur Alzheimerpatientenbetreuerin. Leider scheiterte nachher eine Anstellung daran, weil sie nur frühmorgens hätte arbeiten können, was schon wegen der Hunde nicht möglich gewesen wäre, sie hätte aber lieber bis spät abends gearbeitet. Wir konnten es auch nicht verstehen, denn meistens findet man niemanden, der gerne spät oder nachts arbeitet.

Daniel gründete mit drei Kollegen eine eigene Firma. Nebenbei unterrichtet er weiterhin als Dozent an der Technischen Hochschule in Windisch. Alexa beendete ihre Ausbildung zur Pflegefachfrau und bereitete sich nun für die Berufsmatura vor.

Die Pädagogischen Hochschule in Zürich hofft, dass Corinne bald wieder 50% arbeiten kann, was im Moment noch nicht möglich ist.

Eli braucht sie noch. Vielleicht wenn er im Kindergarten ist. Christian wechselte von der Helsana wieder zurück zur CS-Bank. Vorher bildete er sich zum CFA: Chartered Financial Analyst aus. Jetzt ist er Vice President, Investment Reporting Advisor, als Berater für institutionelle Kunden. Tim wollte aufs Trampolin, kaum dass er den ersten Sprung machte, fiel er so unglücklich, dass er sich einen Armbruch holte. Er kam in den Genuss eines kurzen Spitalaufenthaltes mit verstellbarem Bett. Eli beneidete ihn, weil er mit der Ambulanz ins Spital fahren durfte. Sonst spricht und läuft er immer mehr. Liv übernachtet hie und da bei einem Freund oder einer Freundin. Zudem nimmt sie mit einer Freundin Ballettunterricht.


(11) Ende der Vorstellung; Liv zweite von links.

Ende der Vorstellung; Liv zweite von links.

 

(12) Liv nach ihrer Ballettaufführung.

Liv nach ihrer Ballettaufführung.

  

Nebst Agra/Italien besuchten wir im Herbst 2015 eine Woche Dijon und die Bretagne, wo wir ein Treffen mit dem Aerzteschriftstellerverband hatten. Wir übernachteten zuerst in Dijon, eine wirklich schöne alte Stadt, dann fuhren wir weiter mit dem Zug über Paris nach Quimper. Wir machten zusammen Ausflüge der Küste entlang. Es gab wunderschöne Sandstrände mit vielen Muscheln. Auch kein schlechter Platz, um Ferien zu machen, für uns nur etwas zu weit.

Peter machte weiterhin Hospizdienst und besuchte in seiner Geburtsstadt Martin die berührende Theatervorstellung seiner Tante Zoka, Mutter von Zuzka und Tanja, über die tragische Geschichte einiger Verwandten.

2016:


(13) Liv: Adventskranz 2016 (vollständig ihr eigenes Werk).:

Liv: Adventskranz 2016 (vollständig ihr eigenes Werk).

   

1. Es war noch nie so schlimm, dass es nicht schlimmer sein könnte. Eine alte slowakische Weisheit.

2. Das Schicksal hat in seinem Köcher unendlich viele Pfeile, sodass wir froh sein sollten, dass uns nur manche treffen - dasselbe bildlich ausgedrückt.

3. Man gewöhnt sich auch an den Galgen. Eine alte internationale Erfahrung.

Diese Aussagen begleiteten uns durch das Jahr 2016. An dessen Anfang Silvia immer öfters Herzrhythmusstörungen bekam, die ihr meistens jegliche Aktivität verunmöglichten. Ihr Kardiologe veranstaltete eine Jagd nach ihnen. Auch wenn sie schlussendlich sieben Tage und sieben Nächte ein EKG-Aufnahmegerät trug, konnte er ihre gefährlichste Art weder bestätigen noch ausschliessen. Wie üblich, in jener Woche erlitt sie natürlich keinen bösen Anfall. Sicherheitshalber wollte er Silvia das Blut verdünnen, was wir gut begründet ablehnten. Dafür begannen wir nach den Ursachen der Anfälle zu suchen. Die Umstände, unter welchen sie auftraten, halfen uns dabei. Wenn sie ihre verminderten Calciumwerte und den Blutdruck erhöhte, Hitze und viele Speisen, vor allem solche mit Histamin, ausliess (ihre gute katholische Erziehung und die asketische Steinbocknatur helfen ihr dabei), blieb sie monatelang anfallsfrei. Ende August fuhren wir zwar nur mit einer Seilbahn in die Höhe, wanderten dort aber neben den durch die Sonne erwärmten Felsen, ohne genug zu trinken in der Mittagshitze zum Bergrestaurant Aescher


(14) Berggasthaus Äscher.

Berggasthaus Äscher.

 

und siehe, nach dem Abstieg, auch wenn wieder mit der Seilbahn, begann das Herz, zwar nur mild und kurz, aber unregelmässig zu schlagen. Jetzt meidet sie solche Einflüsse und lebt glücklich und zufrieden ohne Herzrhythmusstörungen. Wir hoffen, es bleibt lange so.

Schon vor mehreren Jahren eröffnete mir mein Augenarzt, dass ich zu einer sogenannten Maculadegeneration neige. Sie kann zu weitgehendem Augenlichtverlust führen. Letztes Mal verkürzte er den Abstand zur nächsten Untersuchung und legte mir ans Herz, die Zusatzstoffe dagegen zuverlässig zu nehmen (was ich selbstverständlich schon immer tat). Bei einer Zugfahrt nach Agra merkte ich plötzlich, dass ich die Zeitung nicht lesen konnte und die Welt mit dem bisher besseren rechten Auge wie im Nebel sah. Ich war froh und stolz um den so gut voraussehenden Arzt. Als aber bald irgendwelche Stäbchen im Auge wilde Tänze ausführten, rief ich ihn an. Er empfahl mir, mich unverzüglich in die Augenklinik in Lugano zu begeben. Silvia konnte es zuerst nicht glauben, dann erschrak sie, als ich bei der Sehprüfung sogar die grössten Buchstaben überhaupt nicht sah. Sie verkündeten mir die frohe Botschaft, dass ich in die Netzhaut geblutet hätte, Augentropfen nehmen und Spritzen ins Auge bekommen solle, was für mich ein Horror war. Aber ich besann mich auf die oberen Sprüche, protestierte nicht und verhielt mich ruhig und gesittet. Die Aerzte verneinten zwar, dass, wenn nicht die Blutung, dann mindestens ihr Ausmass mit Aspirin zu tun hatte, das ich seit dem Herzinfarkt nehmen muss, aber ich dachte meines und fand dafür auch Unterstützung in der Fachliteratur. Ob der beschleunigte Verlauf der Augenkrankheit in den letzten zwei Jahren mit den Cholesterinsenkern zu tun hat, diskutiere ich mit ihnen lieber nicht, da ich meinen Ruf als Patient nicht komplett ruinieren und die falsche Meinung, dass ich ein eigensinniger, schwieriger Mensch bin, nicht bestätigen will. (Glaubt Ihr, ich konnte mich wirklich beherrschen?) Mit der Zeit hatte ich aber fast kein Cholesterin mehr im Blut, schmerzhafte Fusssohlen und Muskelkrämpfe – ich nehme also einfach nur die kleinste Menge des Cholesterinsenkers, und siehe da, die Beschwerden besserten. Ja, man hat es nicht einfach mit den Aerzten, auf beiden Seiten der Barrikade.

Nach dem Uebergang von einer gut beleuchteten in eine dunklere Umgebung sehe ich schlecht, das Lesen mit der Lupe geht nur langsam. Ich muss abwägen, was ich überhaupt lesen will und soll, auch was die Fachliteratur betrifft, was mich, eine Leseratte schmerzt und das Leben einschränkt. Die Farben strahlen auch nicht mehr. Naturgemäss wird es mit der Zeit trotz der Spritze nur schlechter. Bald darf ich überhaupt nicht Auto fahren. Und so werde ich dement nicht wegen des Hirns, sondern der Augen, im schlimmsten Falle wegen beiden. Die Einstellung unseres Freundes Jenda, der schon mehrere Jahre in einem solchen Zustand mit erhöhtem Haupt durch das Leben schreitet, hilft mir sehr. Ich wetteifere mit dem Verlauf, schreibe über meine Kindheit und verbinde es mit dem, was ich bereits über mein Leben verschiedentlich berichtet hatte. Es wird auf einer Seite des Historischen Institutes der Universität Zürich veröffentlicht. Silvia hat (noch) Hemmungen mit ihren Erinnerungen, die sie auch mit Familienbildern ausstattet, mir dort zu folgen. Sie schreibt es nur für unsere Nachkommen.

Die machten uns Freude. (Alexa (18) bereitet sich nach wie vor für die Berufsmatura vor. Ihre frische Altersreife nützte, bestätigte und feierte sie mit einer Reise nach London. Dort liess sie sich ein Tattoo machen, nur klein, relativ diskret – erinnert Euch, wie wir uns, an die slowakische Weisheit oben. Tim (9) hatte in Whist nicht nur seinen Vater, was noch ging, aber auch mich besiegt! Liv (7) ist stolze Erstklässlerin, malt schön


(15) Livs Märchenlandschaft mit Prinzessin und Schloss.

Livs Märchenlandschaft mit Prinzessin und Schloss.

  

und geht ins Ballett. Eli (3) freut sich jeweils in die Krippe zu gehen, plagt dann dort Babys, sodass schon eine schriftliche Mahnung nach Hause kam. Er begründete dieses schändliche Verhalten damit, dass alle Babys blöd seien. Ein weiteres slowakisches Sprichwort passt dazu: „Vergass der Ochse, dass er ein Kalb war“. Diese diskriminierende, jetzt sagt man undifferenziert rassistische Aussage, passt nicht in die familiäre Tradition. Auf der anderen Seite grüsst er im Altersheim alte Leute, gibt ihnen spontan die Hand. Sie werden ganz weich. Er spielt ausschliesslich mit Spielautos und ist im Gegensatz zu Tim ein ungewöhnlich vorsichtiges Kind. Silvia meint, dass auch Corinne in dem Alter so war und z.B. lange nicht Velo fahren wollte. (Panta rhei = alles fliesst, ändert sich, besonders in dem Alter.) Inzwischen ist er gleich lieb zu Babys wie zu Greisen, „liest“ Bücher und beim Schaukeln will er ganz nach oben bis zu den Baumästen gelangen. Er übernachtete schon alleine bei uns ohne Probleme. In letzter Zeit wollten alle drei mit uns „Versteckis“ spielen. Sich zu verstecken geht noch, gekrümmt in einer unbequemen Lage zu verharren, ist schon mühsamer, und das Versteck kriechend zu verlassen, ist eine sehr schmerzhafte Angelegenheit. Aber was man nicht alles für die Enkelkinder tut!

Eine schöne Adventszeit mit Livs Adventskranz sowie frohe Weihnachten!

2017:



(16) Triptychon zum 80. Geburtstag von Pipapi; Liv (7): Regenbogen, Palme und Einhorn, Fensterbild, Handarbeit; Tim (9): Collage mit selbstgestricktem Stoff; Eli (3): Komposition.

Triptychon zum 80. Geburtstag von Pipapi; Liv (7): Regenbogen, Palme und Einhorn, Fensterbild, Handarbeit; Tim (9): Collage mit selbstgestricktem Stoff; Eli (3): Komposition.

 

Während des Jahres 2017 häufte sich eine Erscheinung, die mich sehr beunruhigte. Als mir das erste Mal eine junge Frau in einem voll besetzten Bus ihren Sitzplatz frei machen wollte, endete es in einer giftigen Auseinandersetzung, wer von uns ein rücksichtsloserer Mensch sei. Es schien mir, dass die Mitfahrer die Meinung dieses Grobians teilten, was meinen Verdruss nur noch steigerte. Aber kein Wunder, es waren fast nur jüngere Leute, die sich noch nicht in meinen Gefühlszustand versetzten konnten. Diese Art von Verletzung kennt keine Grenzen. In der Slowakei, in Bratislava stritt ich mit einem Mann, wer von uns älter sei, als er so eine Sünde beging. Später (nicht vor Gericht, so weit sind wir nicht gegangen) erfuhr ich, dass er ein im Fernsehen bekannter Professor der Rechte war, der zur Promotion seiner Studenten fuhr. Inzwischen gewöhnte ich mich, möglichst keine saure Miene aufzusetzen, lächle etwas gezwungen und bedanke mich artig für dieses gut gemeinte Angebot, das jedoch immer noch einen tiefen Kratzer an meinem Selbstbild eines mit Kraft strotzenden Kerls versetzt. (Auf den Ferienfotos sah ich, leider spät, zu spät, dass ich wirklich gebeugt wie ein alter bedauernswerter Trottel da stehe und mich bewege. Ja, wo ist der ehemalige „Feschak“ verschwunden, wo, wo, wo?

Eines Tages fühlte ich mich doch tatsächlich um Jahre älter. Wegen meiner Augen und einer schäbigen Anzahl von gefahrenen Kilometern verzichteten wir seit 1. April auf unser Auto in St. Gallen. Schon vorher ging Silvia oft mit dem Bus und dem „Einkaufswägeli“ einkaufen, das sie bereits vor Jahren von unserer weitsichtigen Corinne zu einem Geburtstag bekam. Als wir nach Südfrankreich fuhren, um Daniels Ferienwohnung zu bewundern, wurde Silvia aus dem Zug geworfen (nicht wegen eines unbotmässigen Verhaltens, sondern wegen den unmöglichen, französischen, automatischen Türen) und brach sich die Hand. In Folge musste ich diese Aufgabe übernehmen, beziehungsweise Silvia beim Einkauf begleiten, da schon längst bekannt war, dass ich, allein gelassen, bei der Wahl der Ware völlig versage und altes, halbverfaultes Gemüse und Obst oder ganz falsche, unerwünschte Produkte nach Hause bringe. Also musste ich mich zu all den Greisen einreihen, die aus verschiedensten Gründen nicht mehr vornehm mit dem Auto einkaufen gehen können. Einmal sah man mich dann vom Bus mit zwei Leidensgenossen aussteigen und im Gänsemarsch Richtung Migroseingang steuern. Ein Blick für Götter, den Silvia leider versäumte, schnell zu fotografieren. Und so, zwar aus verschiedenen Gründen, freuten wir uns beide auf Silvias Befreiung vom Gips.

Einmal ergab es sich, dass ich doch alleine, ausgestattet mit einem nicht allzu langen Zettel, einkaufen durfte. Es wurde für mich seit geraumer Zeit der grösste Stress. Schon das Suchen dauerte überdurchschnittlich lang, weil Silvia ausgerechnet solche Sachen des täglichen Lebens auflistete, die in dem grossen Einkaufsladen irgendwo unlogisch eingeordnet, besser gesagt versteckt, waren. Als ich fast so oft jemanden fragte, der im Laden heimisch war, wieviele Gegenstände auf dem Zettel aufgelistet waren, fuhr ich mit dem Wägeli zur Kasse, wo ich noch ziemlich zügig vorankam. Dann begann ich einzupacken. Mindestens ein halbes Dutzend eiliger Kunden standen in der Schlange, bis ich mit meinen nicht übermässig vielen Dingen fertig wurde und auch das Geld versorgte, das mir zum Komplizieren meiner Lage ausgehändigt wurde. In der Eile fiel mir nämlich das Portemonnaie aus der Tasche und etliche Münzen dabei auch, was mein Verweilen zusätzlich verlängerte, aber niemand beklagte sich, nur die Kassiererin atmete sichtlich erleichtert auf, als ich mich endlich entfernte. Man merkt, dass man zwar nicht langsam, aber doch langsam etwas langsamer wird.

In diesem Jahr beendete ich einigermassen meine mit Fotos illustrierte Lebensgeschichte. Sie ist vor allem für unsere Nachkommen bestimmt, damit sie uns und sich besser kennen und verstehen. Silvia ist noch dran und beschreibt ihre Ahnen, Kindheit und unser gemeinsames Leben chronologisch und spannend. Wir wetteiferten mit dem Nachlassen unserer geistigen Fähigkeiten, ich auch der Sehkraft. Da wir keine Gräber haben werden, sind sie unsere etwas erweiterten Grabschriften.

Zur Feier meines 80. Geburtstages wurde mein grosser Wunsch erfüllt - ich konnte allen Enkelkindern noch Turiec, die Gegend meiner Kindheit, zeigen. Es gefiel ihnen, und ich hoffe, sie waren nicht das letzte Mal dort. Es war ein ungetrübtes Vergnügen für die ganze Familie. Silvia und ich beendeten die Reise in Budapest, der Hauptstadt des Jugendstils. Dank der kundigen Führung meiner Cousine Judit sahen wir in drei Tagen sehr viele Sehenswürdigkeiten, die Touristen teilweise verborgen bleiben.


(17) Silvia und Peter in Budapest.

Silvia und Peter in Budapest.

Wir wünschen Euch frohe Weihnachten und ein gutes Jahr 2018.


2018:


(18) Unten links Lago di Tenno: rechts von links Eli, Liv und Tim; unterhalb Liv mit Cousine Adika aus Schweden und rechts Eli bereit zu Bootsfahrt.

Unten links Lago di Tenno: rechts von links Eli, Liv und Tim; unterhalb Liv mit Cousine Adika aus Schweden und rechts Eli bereit zu Bootsfahrt.

 

Erinnern heisst an der Zukunft arbeiten. NZZ 12.10.18

Liebe Bekannte, Freunde und Familienangehörige

Zwei Ereignisse dominierten das vergangene Jahr bei uns. Unsere Autobiografien wurden gedruckt. Menschen sollten ihren Ursprung kennen. Das macht sie sicherer. Manche meinen sogar, dass auch das, was man erlebt, die Nachkommen beeinflusst. Also wollten wir es ihnen vermitteln, damit sie uns und sich selbst besser verstehen. Gleichzeitig möchten wir unseren Eltern Tribut zollen. Auf der einen Seite baute Silvias Vater als Verdingkind, das nur die Primarschule besuchen durfte, durch Erfindungsgeist und Anpassung an die Umstände, die sich ständig änderten, ein kleines Unternehmen auf, anfangs noch mit einer Schmiede und Schlosserei, dann kamen aber auch Garagebetrieb, Chassisbauten und andere Arbeiten dazu. Auch wenn sie während des Krieges bereits vier kleine Kinder hatten (später noch fünf mehr), beherbergten sie bedürftige Flüchtlingsfamilien ohne Rücksicht auf Nationalität und Religion. Auf der anderen Seite erlebten meine Eltern Verfolgung, verloren einen Sohn und mehrere enge Familienangehörige. Es gelang ihnen, zu überleben, auch durch Suche nach Lösungen sowie Anpassung an die Umstände und Möglichkeiten und nicht zu einem kleinen Teil dank ihrem guten Leumund, den sie genossen. Das Geld, das sie immer wieder dazu benötigten, erhielten sie von Freunden und Bekannten, auch wenn es nicht sicher war, ob sie es je zurückzahlen konnten. Ja, überall gibt es gute, hilfsbereite, grossartige Menschen. Für mich war das Verfassen meiner Autobiografie eine gute Gelegenheit, mich erstmals öffentlich zu meiner jüdischen Herkunft zu bekennen, was mir aus verschiedenen Gründen nicht leicht fiel.

Ende Juli trafen wir 25 Familienangehörige aus der Slowakei, Schweden, Deutschland und der Schweiz nicht wie üblich in der Slowakei, aber aus Verkehrsgründen in Italien am Lago di Tenno, oberhalb Lago di Garda. Es war vielleicht die gelungenste aller unserer Zusammenkünfte. Alles passte, die wunderschöne subtropische Umgebung mit hohen Alpengipfeln im Hintergrund, ein smaragdgrüner kleiner See mit sauberem Wasser, ein gutes Hotel und vor allem gute Laune und Einvernehmen, die zwischen uns herrschten. Nach den gemeinsamen acht Tagen war dort keiner, der es nicht bedauerte, dass wir nicht länger bleiben konnten.

Wir leben mehr recht als schlecht. Silvia hat Probleme mit einer Hüfte und Muskeln, die sie aber nicht hindern, zu wandern. Manchmal sieht sie trotz langjähriger strenger Abstinenz doppelt. Das Hirn ist aber in Ordnung, sogar ohne Zeichen für beginnende Demenz, was sie beruhigte, weil sie, wie jeder in dem Alter die Namen nicht genug schnell abrufen kann. Offensichtlich leidet ein Augenmuskel unter Altersschwäche. Ich sehe immer schlechter, bekomme Spritzen in beide Augen, sodass ich manchmal nicht weiss, welches Auge wann an der Reihe ist. Tröstlich ist, dass auch die im Spital es nicht immer wissen. Schlussendlich einigen wir uns jedoch. So bin ich froh, dass ich keine Mischung aus Kyklop und Mensch bin und somit drei Augen hätte. Je dunkler es um mich wird, desto mehr Hilfsmittel brauche ich. Zur Zeit besitze ich eine Brille zum Lesen und drei Lupen: Eine einfache für helle Tage, eine mit Beleuchtung für die Dunkelheit, die ich am Hals tragen kann, und eine noch grössere mit Beleuchtung in einem Behälter, so dass ich damit noch besser und bequemer lesen kann. Nach der Sehberatung holte ich mir eine Lupe aus der «Systemsteuerung» auf den Bildschirm. Jetzt bekommt Ihr hoffentlich lesbarere e-mails von mir. Manchmal verliere ich auch hier die Übersicht und so weigere ich mich, noch eine Brille für die Fernsicht zu benützen. Auch für ein Hörgerät kann ich mich nicht erwärmen. Es würde mir das Leben weiter komplizieren. Seine Auswirkungen sind sowieso nicht über alle Zweifel erhaben, wie ich von ihren ehrlichen Benützern höre. Es ist der Hauptgrund, warum manche so viele Hörgeräte besitzen, wie ich wesentlich günstigere Lupen.

Es scheint, dass einer unserer grossen Wünsche erfüllt wird. Wir möchten helfen, bis mindestens der jüngste Enkel Eli in die Schule kommt. Er ist bereits im Kindergarten, wohin er stolz alleine geht (nur zwei Blocks weiter von ihnen), Liv übt Geigenspiel und Tim bereitet sich auf die Prüfung zur Aufnahme ins Gymnasium vor. Dazu sind beide begeisterte Pfadfinder geworden.

Alexa hat sich diesen Sommer selbständig gemacht und wohnt nun in einer eigenen Wohnung in Luzern, wo sie immer noch als Krankenschwester arbeitet. Daniel und Barbara benützten die Gelegenheit und zogen in die Nähe der Fachhochschule in Windisch, wo Daniel auch unterrichtet. Sie fanden zum Glück ein neues Zuhause an einem wunderschönen Ort, wo die drei Flüsse Reuss, Aare und Limmat zusammenfliessen, sodass es dort schöne Spaziermöglichkeiten gibt, die auch die beiden Hunde zu schätzen wissen.

In unserem Alter sagte meine Mutter: «Es scheint mir, ich werde langsam etwas älter». Uns scheint dagegen, dass die Zeit eilt, die Enkelkinder wie aus dem Wasser wachsen und wir im gleichen Tempo altern.

Wir wünschen Euch frohe Weihnachten und ein gutes 2019.


2019:


(19)

Liebe Bekannte, Freunde, Familienangehörige,

im Verlauf dieses Jahres konnte ich von der Liste meiner Pläne, Vorhaben und Wünsche zwei streichen.

Vor ein paar Jahren verzichtete der sehr erfolgreiche Präsident der rechtskonservativen Partei SVP (die unter ihm die besten Wahlergebnisse ihrer langen Geschichte erreichte) auf das wahrscheinlich sichere Amt eines Bundesrates. Kürzlich hat ihn die «Neue Zürcher Zeitung» so beschrieben: «Toni Brunner, das politische Ausnahmetalent der SVP: mit 21 Jahren in den Nationalrat gewählt, acht Jahre lang Parteipräsident, immer mit einem Spruch auf den Lippen und jegliche Kritik weglachend.» Ein Bundesrat zu werden ist das Höchste in der Karriere eines Schweizer Politikers. Seit der Gründung einer modernen Schweiz im Jahre 1848 gab es nur 119 Bundesräte. Das Amt entspricht dem eines Ministers, nur hat er auf einer Seite mehr Ressorts und Aufgaben, da es jeweils nur sieben Bundesräte gibt, auf der anderen Seite weniger Macht, was zum schweizerischen politischen System gehört. Mich überraschte seine Entscheidung, auf dem Gipfel seines Erfolges auf die politischen Ämter zu verzichten. (Übrigens tat es in diesem Jahr auch eine Politikerin der linken Sozialdemokraten). Er kehrte zurück auf seinen geerbten Bauernhof und zu seinem inzwischen erworbenen Restaurant mit Übernachtungsmöglichkeiten und einem kleinen Theatersaal, geeignet für nicht allzu grosse Versammlungen. Ich wollte ihm meine Bewunderung für diesen ungewöhnlichen Schritt ausdrücken.

Das Gasthaus von Herrn Brunner befindet sich im gebirgigen Gelände nicht weit von uns, liegt aber ziemlich weit vom Dorf mit einer Busstation. Da wir in St. Gallen kein Auto mehr haben, fragte ich einen Schwager, der dieser Partei nahe steht, ob er nicht Lust hätte, einen Ausflug dorthin zu unternehmen. Er war nicht begeistert. Teilweise aus Bescheidenheit, teilweise war es für ihn vielleicht brenzlig, mit einem ehemaligen Ausländer dort zu erscheinen, vermute ich. Zum Glück habe ich acht Schwager. Der nächste war begeistert und konnte nicht abwarten, bis ich dafür Zeit fand. Er fuhr mit seiner Frau gleich dorthin und machte sogar Duzis mit Toni Brunner. Eines eher düsteren Nachmittags begaben wir drei uns auf den Weg (Silvia, ähnlich ihrem ersten Bruder, hielt von Anfang an nicht viel von dieser Idee). Auf Nebenstrassen durch die wunderschöne, hügelige Landschaft kamen wir zum Gasthaus. Ich begriff unterwegs, dass die Bewohner der kleinen Dörfer und zerstreuten Bauernhöfe den Zustand weiterhin erhalten möchten, was sich auch in ihren politischen Einstellungen spiegelt. (Während der 10 Jahre in Zweisimmen war es mir dort nicht so deutlich bewusst.) Ich hatte auswendig gelernt, was ich Herrn Brunner ins Gästebuch (voll von Eintragungen bedeutender Besucher) schreiben wollte. Ich hoffte, ihn persönlich zu treffen. Er ist doch noch immer als Politiker und Redner gefragt. Als wir zum schönen altertümlichen Haus kamen, begann es zu regnen. Die Stube war fast voll, aber die Serviertochter führte uns zum letzten freien, runden Tisch. Als ich nach einem Gästebuch fragte, war sie überrascht – sie kennen so etwas nicht, aber ich könne mein Anliegen direkt dem Chef sagen. Er komme, wenn er das Gespräch mit einem Lieferanten beendet habe. Wir bestellten die Spezialität des Hauses – Fleisch von den eigenen Rindern, das in der Walliser Höhenluft trocknet, aber ungewöhnlich saftig bleibt. Toni Brunner bemerkte es mit Genugtuung, als er zu uns kam. Ich äusserte meine Bewunderung für seinen Verzicht, wozu leider nicht alle Politiker fähig seien und an ihren Sitzen kleben, auch wenn ihre Zeit vorbei sei. Dank dem politischen System ist es in der Schweiz nicht üblich. Er war damit zwar einverstanden, aber nicht sehr beeindruckt und sagte, er habe in der Politik genug erlebt, er wollte wieder Bauer werden und so habe er sich verabschiedet, weil die Kühe im Stall auf ihn warteten.

Ich lernte sowohl seine Eltern und die sympathische feine Lebensgefährtin kennen, wie auch den behinderten Bruder, der an der Theke aushalf. Alle, samt Serviertochter und Besucher (inzwischen war der Raum überfüllt) waren zu mir trotz der nicht heimischen Sprache sehr freundlich. Es fehlte nicht nur das Gästebuch, aber das Ganze strahlte eine eitelkeitsfreie Natürlichkeit aus. Erst nachher wurde mir bewusst, was mich eigentlich zu Toni Brunner hin zog. Vor kurzem sagte der ehemalige Vorsitzende des Roten Kreuzes Kellenberger, dass er nicht gern hatte, wenn der Raum über ihm dicht besiedelt war. Ein Bundesrat hat zwar nicht viele Vorgesetzte, aber ein Bauer und Restaurantbesitzer ist in seinen Entscheidungen und im Leben freier. Wie er auf weitere politische, so verzichtete ich auf meine akademische Karriere und machte, was mir besser passte. Der Unterschied zwischen uns betr. Herkunft und politischer Einstellung machte die Spannung, die Besonderheit, den Reiz meiner Anerkennung aus. Kürzlich las ich in einem älteren Artikel über Toni Brunner, dass uns noch etwas verbindet – beide sollten wir abgetrieben werden.

Mein diesbezüglicher Stolz auf die Schweiz wurde kürzlich leicht getrübt: Die Partei der erfolgreichen Stadtpräsidentin in Göteborg (Schweden) verlor die Mehrheit. Sicher hätte sie trotzdem einen guten Posten bekommen, aber sie kehrte zu ihrem Beruf als Lastwagenchauffeurin zurück und fährt nun ein städtisches Kehrrichtauto.*

Anfangs des Jahrtausends las ich einen Artikel über die angeblich einmalige «Martinimetzgete» in Porrentruit am 11. November, den St. Martins Tag. (Martin, damals St. Martin ist mein Geburtsort). Seither wollte ich eine Martinimetzgete in Porrentruit erleben. Leider konnte ich niemanden, auch keinen Schwager für die Reise zum anderen Ende der Schweiz erwärmen. Wir besuchten einmal in Porrentruit Annemarie, die Freundin von Silvia aus ihrer Kindheit, die dort einheiratete, aber beide haben für Metzgete, wo auch, nichts übrig. Mein Grossvater pflegte zu sagen: «Alleine trinkt nur der Ochse». Noch mehr gilt es für eine Metzgete, nicht nur weil es ohne Bier oder Wein nicht das Gelbe vom Ei sei. In diesem Sommer fuhren wir mit dem Zug hinter Basel, der nach einer weiteren Stunde in Porrentruit Endstation gehabt hätte. Wir stiegen auf der Bahnstation von Vetter Jano aus, dem aber unser damaliger Besuch nicht galt. Es wurde mir bewusst, dass Jano Porrentruit nahe, fast «hinter der Scheune» hat, und noch mehr, als stattlicher Gourmet (auch in Martin geboren) für eine Martinimetzgete enorm geeignet wäre. Welch glückliche Fügung des Schicksals, wieder einmal herrschte in unserer Beziehung Tauwetter. Ich habe mich nicht getäuscht, Jano war einverstanden! Ich schlug vor, dass wir mit dem Zug fahren, damit sich niemand der passenden Getränke entbehren muss, an die schon Grossvater dachte. Nach ein paar Tagen rief Jano an, dass wir von seiner Bahnstation mit dem Auto fahren werden. Ich äusserte Bedenken, ob er dann die Metzgete voll auskosten könne, aber er beruhigte mich, er habe einen Bekannten, der steuern werde. Nach zwei Wochen gab Jano bekannt, dass nebst Peter auch sein Sohn Igor mit Freundin separat direkt aus Bern anreisen. Einen Tag vorher entschied sich auch mein Schwager Frido, mit uns zu fahren. Ich weiss nicht, wer mehr Freude davon hatte, der Wirt oder ich, dass meine Idee so ein Echo fand. Es erinnerte mich an den Bau eines Schneemannes.

Die Metzgete des besagten Artikels fand in Courgenay, kurz vor Porrentruy im «Hôtel-Restaurant du Boeuf» statt. Schweinemetzgete im «Du Boeuf» (Ochsen) störte niemanden. Sie dauert zwei Wochen, was den Vorteil hatte, dass man nicht den Rummel des überfüllten Porrentruys am Martinitag ertragen musste. Im Bahnhofrestaurant spielte der Schweizer Filmklassiker aus dem Jahre 1941 «Gilberte de Courgenay» mit Anne-Marie Blanc als Serviertochter, mit dem ihre grossartige Karriere begann. (Sie verzichtete später auf die Angebote aus Hollywood.) Er sollte den Kampfgeist der Schweizer Armee stärken. Das Restaurant heisst jetzt «La Petite Gilberte». Leider hatten sie dort keine Metzgete und so mussten wir uns mit dem profanen «Du Boeuf» begnügen. Vegetarierin Silvia verbrachte den grossen Teil des «Schmauses» bei Annamarie.

Wegen Platzmangel kann ich die grossartige, die Amerikaner sagen dem «great», unsere Enkelkinder «mega», Metzgete nicht detailliert schildern. Es war eher fein als deftig. Nicht nur in Erinnerung aber auch im Gebrauch bleibt uns eine Mischung aus Senf und Birnenmus.

Es ist vorteilhaft eine grosse Familie zu haben. Man findet für jedes Vorhaben, jeden Bedarf jemanden, der mitmacht, der hilft. Das hättet Ihr ohne diesen Weihnachtsbrief sicher nicht gewusst.

Wir wünschen Euch frohe Weihnachten mit einem feinen, guten Essen und ein gutes, glückliches Jahr 


2020:



(20)

 

Aus Ruth und Charles Lewinsky: Konversation. Nagel & Kimche, mit Dank für Erlaubnis der Autoren.


Liebe Bekannte, Freund und Famillienangehörige

Zu unserem letzten Weihnachtsbrief vernahmen wir noch mehr kritische Stimmen als andere Jahre: zu lang (es gibt auch hier «Genderunterschied» – vor allem Frauen haben vor Weihnachten weder Zeit noch Lust sich langen, langweiligen, langatmigen Ausführungen zu widmen, derer Sätze bis Sinnlosigkeit kompliziert sind; wir sollen uns von Trumps und seinen Tweets Beispiel nehmen, der Brief hatte ein völlig unpassende Thema (in der Zeit von Tierschutz und Vegetarismus über Metzgete sich verbreiten zeigt eine wesentliche Weltfremdheit. Bei den grassierenden Korruption und Lobbyismus wurden wir sicher vom Metzgerverband bezahlt), und es ist fast ein Verbrechen bei der Klimakatastrophe durch die Schweiz hin und her zu fahren, nur um sich den Bauch mit den Schweneleichenresten vollzustopfen. Die Linken monierten, wir verherrlichten Toni Brunner, den Rechte war es nicht Recht, dass seine Verdienste nicht genug gewürdigt wurden. Silvia übt zu wenig Aufsicht über mich und übersah, dass ich eine Gilberte in einem Gilbert umgetauft habe, kurzum wir sollen lieber über uns und die Familie berichten, was wir dieses Jahr gehorsam in einer gebührenden Länge tun.

Unser Leben verläuft unheimlich schnell von einem wöchentlichen Staubsaugen als Meilenstein, Höhepunkt zum nächsten. Als mir Staubsaugen immer mehr Spass zu bereitete begann, schrieb ich es fälschlicherweise dem Training zu, bis ich merkte, nein, ich bekomme weniger Rückenschmerzen dabei und muss sogar kaum eine Pause einliegen. Der wahre Grund ist, dass ich neu am Schreibtisch mit Computer eine wackelige Sitzanordnung installiert habe, die meine Rückenmuskel unbemerkt ununterbrochen stärkt. An der Coronaepidemie störte mich u.a., dass die Sonderschichten jeweils vor dem Gästeempfang vollständig entfielen. Ich befürchtete schon, ich komme aus der Übung. Staubsaugen ist nämlich auch eine anspruchsvolle geistige Arbeit, die höchste Konzentration verlangt. Man muss hier und jetzt sein und nicht die Gedanken irgendwo schweben, plämpern lassen, da man dann auch dreimal dieselbe Bodenfläche absaugt. Einmal machte mich Silvia sogar aufmerksam, dass ich erneut einen Raum beginne zu staubsaugen – eben wir sind ein «dream team» (mehr dazu s. der nächste Absatz). Staubsaugen ist eigentlich yogaähnlich, nur konzentriert man sich dabei höllisch auf das äussere und nicht das innere Leben. Äusserst selten ist Silvia mit meiner Leistung unzufrieden (nur betreffend Staubsaugen). Seit der erfolgreichen Starroperation kann ich mich weniger an meine schlechte Augen ausreden, auch wenn zum Glück in dieser Hinsicht die Maculadegeneration blieb. Auf die deswegen seltenere Schelten kann ich mich immer noch nicht gewöhnen und bekomme jeweils Minderwertigkeitsgefühle, komme ich mir als Versager vor, habe eine schlaflose Nacht und gerate am Rand einer Depression. So bin ich eben. Trotzdem liebe und pflege ich den Staubsauger wie andere Männer ihre Boliden. Und mir, einen glühenden Anhänger von Roboter und Algorhitmen, wäre es sin Greuel, wenn mich ein solcher beim Staubaugen ersetzen würde, was angeblich schon in etlichen Haushalten geschieht.

Wir verbringen die Zeit nicht mit der Suche nach ihr (wie Proust), sondern nach Folgen unserer wachsenden Vergesslichkeit (und meiner Maculadegeberation). Der Vorteil dabei ist unsere Spezialisation auf verschiedene Gebiete. Wir ergänzen uns, und auch in dieser Hinsicht sind wir ein «dream team», wie im tschechischen Märchen «Der Lange, der Breite und der Hellsehender»,

dem die aufkeimende Demenz nicht viel antun kann. Wir hoffen, sie schreitet nicht mit allzu grossen Schritten weiter, aber wie bisher nur inselartig auf leisen Pfoten. Wesentlich mehr Geld geben für für Wiedereinkäufe der vergessenen oder verlorenen Gegenstände, als für die Neue. Zusätzlich entstanden bei uns mehrere «schwarze Löcher», die fast alles verschlucken können. Sie spucken es leider zu selten wieder aus, meistens wenn wir etwas Anderes suchen, oder wenn wir bereits ihren Ersatz erworben haben. Kleine, unauffällige Gegenstände verschluckt gerne auch der von mir geliebte Staubsauger. Besonders gefährlich ist, etwas «gut aufbewahren« zu wollen. Am Anfang dieser nicht gerade erbaulichen Entwicklung versuchten wir sie mit Vorwürfen zu bremsen. Nach relativ kurzer Zeit stellten wir fest, dass die Vergesslichkeit gerecht zwischen uns verteilt ist, und vor allem, die Vorwürfe sind völlig unwirksam.

Ich kann über eine neue Errungenschaft berichten. Vom Kollegen und Freund Kai Zimmerli aus Zweismmen habe ich ein Gerät geerbt, das die Seiten von Bücher und Zeitungen auf Monitor vergrössert überträgt, womit auch meine Lesefähigkeit beschleunigt und verlängert wird, und ich muss mich noch nicht auf mein Gehör verlassen. (Rosige Aussichten – es gibt auch Geräte, die lesen und mit Spracherkennungssystem schreiben können. So wird sich Eure Hoffnung, ich höre mit den langen Weihnachtsbriefen auf, noch nicht so bald erfüllen.) Wir haben keinen Fernseher mehr, sitzen bei Tagesschau vor dem am Notebook angeschlossenen grösseren Bildschirm wie Täubchen nebeneinandert (s. Bild – die zweite Taube müssen Sie sich vorstellen, da sie fotografierte). Seit ich eine schwere Niederlage erlitten und meinen Kampf gegen Hörgeräte aufgegeben habe, tragen wir dabeei keine Hörer wie Piloten im Cockpit auf den Köpfen. Da ich weder Enkelkinder noch Vortragende bei verschiedenen Fortbildungen verstehen konnte, entschied ich mich für diesen schwierigen Schritt, zu dem Verrat an der Sache. Ich bin hell begeistert und vom Saulus zum Paulus geworden, der Hörgeräte jedem tauben Greis empfiehlt. Ich trage sie nicht dauernd schon wegen Corona. Die Schnur der Maske, die Arme der Brillen und das Hörgerät vertragen sich nicht hinter einem Ohr. Die Corona änderte auch sonst unseres Leben. Als gute, gehorsame und rücksichtsvolle Bürger meiden wir seit Anfang engen körperlichen Kontakt und langsam sind wir so weit, dass wir auch unsere Auseinandersetzungen sicherheitshalber über die «sozialen Medien» austragen.

Während wir die runden Geburtstage dieses Jahres im engsten Familienkreis noch m 8. März feiern konnten, sowohl das von useren Neffen organisierte und betreute traditionelle, öffentlich zugängige Fischessen an der Sitter im August, bei dem sich die Familie trifft und einen grossen Teil der Bänkli besetzt, sodass die Organisatoren überlegen mussten, ob sie eine Auswahl der zugelassenen Familienangehörigen treffen müssen, wie auch die aufkeimende Tradition der Reise zur Martini-Metzgete nach Pruntrut im November wurden Opfer der Corona.

Zur Familie: Dani unterrichtet mit einem steigenden Einsatz und Begeisterung an der Technischen Hochschule, Barbara musste wegen Corona ihre freiwillige Sorge um vereinsamte und demente Menschen im hiesigen Heim unterbrechen. Zum Glück hat sie noch zwei Hunde. Alexa kehrte aus San Diego mit einem Freund von Uttwil neben Romanshorn, den wir nach mehr als einem Jahr immer noch nicht kennen. Es grenzt fast an Folter, wie ich mit meiner sprichwörtlichen Neugier darunter leide. Sie bildet sich zu Fachfrau für Psychiatrie, studiert und arbeitet in Zürich und Winterthur. Dort wohnt sie auch, 700m von dem mir immer noch nicht bekannten Freund.

Christian wechselte kurz vor den kriminellen Machenschaften in «Credit Suisse», an denen er selbstverständlich nicht beteiligt war, zur Stadt Zürich und ist dort sehr zufrieden. Corinne hatte während des «Lockdowns» sehr viel zu tun: Drei Kinder zu Hause mit «Homeunterricht», ihre Umstellung auf Fernunterricht in der Pädagogischen Hochschule. Tim ist vom Gymnasium begeistert, tschutet neben bei und ist begeisterter Pfadfinder, wie auch Liv und neulich der «Wolf» Eli. Liv verbrachte eine Woche der Ferien mit Reiten und kümmert sich, nebst Geigespiel im Orchester um die Tiere nicht weit von ihnen, wo neulich auch ein Eisfeld ist. Sie schätzen diese guten Bedingungen, auch weil sie bei ihren fernen Ferienreisen hiesige Familien kennenlernen und sehen, dass Kinder unter weniger günstigen Verhältnissen aufwachsen.

Leider müssen wir mit Corona weiterhin leben. Behalten wir den gesunden Menschenverstand und halten konsequent die wirksamen Massnahmen und lassen uns das Leben nicht von sturen, unbegründeten, überflüssigen verderben. Wir sind dankbar, dass bisher niemand von uns infiziert wurde. So sol es auch weiterhin bleiben, was wir auch Euch allen wünschen, dazu

ein frohes Weihnachtsfest und ein gutes Jahr 2021

2021:

Weihnachten,
die Zeit
der Geschichten ...

Liebe Bekannte, Verwandte und Familienangehörige

Kenner unserer Wohn- und Besitzverhältnisse (zu denen nicht nur das Steueramt gehört) warfen uns vor, im letzten Weihnachtsbrief sich mit fremden Federn zu schmücken, indem wir pingelig genau (und langweilig) die Sicht aus unserer Wohnung beschrieben haben. Aber wir behaupteten nie, die Wohnung gehöre uns. Wir sind nur Mieter im Komplex des ehemaligen Blindenheims, jetzt Obvita genannt.

Als sie den Titel meiner Autobiografie "Die Suche und das Finden" gelesen haben, fragten manche, was ich eigentlich gefunden habe. Am Beispiel unserer Behausung versuche ich es zu erklären. Immer wieder wird das Buch des Psychoanalytikers Erich Fromm "Haben oder Sein", das vor 50 Jahren erschienen ist, verlegt und gelesen. Wenn das Ende des Lebens naht, wird das Sein immer wichtiger, auch weil man immer weniger (zu haben) braucht. Sowohl für uns, wie für unsere Nachkommen haben wir das Wichtigste bereits getan, nämlich ihnen eine Ausbildung ermöglicht, die vor allem ihnen, ihren Eigenschaften und Fähigkeiten entspricht. Was sie damit anfangen und erreichen, ist jetzt allein ihre Sache. Wir hinterlassen auch eine oft vernachlässigte, "unbewusste", aber wirksame Erbschaft - sie lernten unsere Lebensart und Einstellungen kennen. (Manche meinen jetzt dazu, dass mein Lebenswandel nicht immer nachahmungswürdig war.)

Unser "Haben" würde nicht erlauben, unsere gegenwärtige Wohnung zu besitzen. Sie entspricht unseren Eigenschaften und Bedürfnissen. Gärtnern ist nicht Silvias bevorzugte Tätigkeit und für das Handwerk habe ich zwei linke Hände. Obvita sorgt für den Unterhalt ihres Besitzes. Es reicht, die Zentrale anzurufen und in absehbarer Zeit erscheint der "Polyhandwerker" Antonio, der es entweder selbst in Ordnung bringt oder dafür sorgt, dass es eine auswärtige Firma erledigt. Im Alter ist man mit der Pflege und dem Unterhalt der eigenen Person genug beschäftigt. Zum Beispiel: Vor dem Schlafengehen muss ich mehr als ein Dutzend Handlungen verrichten, die ich hier wegen ihren teilweise intimen Charakteren nicht aufzähle, Interessenten jedoch auf Anfrage gerne mitteile. Und so sind wir froh, dass wir es mit unserer Bleibe einfach haben. Einmal im Monat treffe ich pensionierte Ärztekollegen. Mehrere verliessen ihre Eigenheime und wählten eine ähnliche Lösung.

Dieses Jahr wurden mit den neuen Mehrzweckgebäuden auch die leicht abfallenden Spazierwege für Bewohner des Altersheimes und der Sehbehinderten gelegt. (Bild). Sie sind eine ideale Rennstrecke für Trottinettes und den Traktor unserer Enkelkinder. Ich ziehe dann jeweils mein unbenutztes aus dem Keller hervor und fahre mit. Den grossen Spieltraktor erstand ich vor Jahren in einem Brockhaus für Fr. 15.--. Es scheint, es war die beste Investition meines Lebens. Leider ist er zu klein für mich.

Die Obvitaanlage ist direkt unter dem Bruggwald. In diesen Zeiten der Corona hat dies einen grossen Vorteil. Nach ein paar Schritten sind wir im Wald. Nicht weit oben am Rande des Waldes ist ein Bauernhof, der von Dählers einigermassen biologisch bewirtschaftet wird. In einem kleinen Laden (Bild) gibt es dort ausser Obst, Gemüse, Eiern, Fleisch, Salat, verschiedene selbstgebackene Kuchen, dazu auch eine Kaffeemaschine. Während der Lockdowns konnten wir dort die Bekannten und Familienangehörigen treffen. Kinder können aus einem reichhaltigen Spieltraktorenpark wählen und Kühe, Kälber, junge Schweine, Kaninchen, Ziegen, Hühner, zwei Hunde und eine Katze berühren. Zu zwei Gänsen haben wir eine besondere Beziehung, die nicht gut begonnen hat. Als ich nach dem Umzug vor 22 Jahren (nirgendwo verweilten wir so lange) einmal vor Weihnachten dort spazierte, sah ich dieses Paar. Sie schienen mir geeignet für das baldige Weihnachtsfestessen, läutete an der Haustür und fragte die Bäuerin, ob sie sie zu Weihnachten zu schlachten beabsichtige. Ich merkte ihre Entrüstung und bekam eine abschlägige Antwort. Erst im Frühjahr vorigen Jahres begannen wir unterwegs Löwenzahnblätter für die Gänse zu sammeln. Dank Corona gehen wir mehrmals pro Woche zum Bauernhof. Wenn wir jetzt in ihrer Sichtweite erscheinen, fangen sie aufgeregt an zu "gaagen" und freudig mit den Flügeln zu schlagen. Im Winter sammelt Silvia für sie die schönsten Salatabfälle. Sie haben es lieber, wenn wir ihnen die Blätter einzeln reichen und nicht lieblos auf die Erde werfen (Bild). Sie sind unsere "outscourte" Haustiere, die wir ohne sonstige Belastungen (vorläufig nur so) geniessen können. Während den Gänsen unser Grünzeug gut tut, treffen wir regelmässig jemanden, der sich freut, wenn er uns sieht (worauf wir nicht gewohnt sind). Silvia hat Mitleid mit den Kälbern und jungen Schweinen, wenn sie verschwinden und man sie ein paar Tage später in Form von Kalbshaxen, Würsten und Voressen kaufen kann. Wie endet meine Zuneigung zu unseren Gänsen? Man weiss nie, aber allem nach sind sie dem Tod näher als ich. Mit meiner Skrupellosigkeit bin ich im Stande, mit Lust sie zu verspeisen, wie ich es mit ihren Genossen, Suppenhühnern tue. Die kenne ich aber nicht persönlich, wie die Gänse. Die Lockdowns waren ein Segen für den Bauernhof. Viele Leute haben es notgedrungen entdeckt und blieben treue Kunden. Frau Dähler musste zeitweise 40 Kuchen pro Woche backen, nur ein kleiner Teil für unsere Gäste und mich. Corona führte auch uns dazu, dass wir unsere nächste Umgebung und ihre Bewohner besser wahrnahmen und schätzten.

Pflanzen wachsen je nach Boden und anderen Bedingungen.Nach einem slowakischen Sprichwort setzen sich Krähen nebeneinader (eine Abwandlung von: "Eine Krähe hackt der anderen kein Auge raus"). Mit Menschen ist es ähnlich. In fünf von acht Wohnungen unseres Hauses wohnen ehemalige oder gegenwärtige Angehörige des Gesundheitswesens, in drei sind Angestellte der Obvita oder Behinderte. Ein Paar, das neu aus einer ähnlichen Wohnlage umgezogen ist, kommt sich wie nach dem Fegefeuer im Himmel vor. Dort kujonierte der Besitzer des Mehrfamlienhauses, der auch selbst im Hause wohnte, die Mieter und sie waren untereinander zerstritten. Am Anfang des Lockdowns meldeten sich bei uns drei Nachbarn, die für uns einkaufen wollten. Als ich einmal im Lift stecken geblieben bin, versammelte sich das halbe Haus vor der klemmenden Tür und leistete mir Gesellschaft. Der einzige Hund des Hauses heulte dazu entsetzlich. Aus eigener Erfahrung weiss er, wie es ist, eingeschlossen zu sein. Unsere, vor allem meine Zufriedenheit stieg noch, seit wir jetzt im Hause sogar Partner für Whist haben und nicht ins Nebenhaus pilgern müssen, wo ein neunundneunzigjähriger, ehemaliger Nachbar regelmässig gewinnt. Unter uns wohnt eine weit und breit geschätzte ehemalige Optopistin (und Optimistin), die für meine Augen die geeignetste Sonnenbrille wählte.

Nein, diese Zeilen sind weder Selbstlob noch Protzerei, sondern Ausdruck unserer Dankbarkeit, dass uns alles noch gegönnt wird. Ich kann sagen, dass ich hier "angekommen" bin.

Wenn es uns da so "wohlet", droht die Gefahr, dass wir den richtigen Moment versäumen, diese Bleibe zu verlassen. Bekanntlich hatte Gorbatschow gesagte: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben". Das gilt auch umgekehrt für diejenigen, die zu spät gehen - die plagt der Tod, bis sie ihn annehmen. So weit möchten wir es im Leben nicht bringen.

Wir wünschen Euch ein frohes Weihnachtsfest und ein gutes 2022

Zusatz (-erklärung).
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13.  Zusatz (-erklärung).



(1) 40.Hochzeitstag in Zurzach und 45.in Bad Schichznach. Von links Dani, Pipapi, Mimami, Alexa und Barbara, vorne Corinne mit Liv und Christian mit Tim; Corinne, Christian, Pipapi, Dani, Barbara, Mimami, vorne Eli, Tim, Liv mit Tango

40.Hochzeitstag in Zurzach und 45.in Bad Schichznach. Von links Dani, Pipapi, Mimami, Alexa und Barbara, vorne Corinne mit Liv und Christian mit Tim; Corinne, Christian, Pipapi, Dani, Barbara, Mimami, vorne Eli, Tim, Liv mit Tango

 
Liebe Liv, lieber Eli,

wenn Ihr meine Autobiographie lesen werdet, was ich zwar hoffe, aber fühlt Euch dazu in keiner Zeit verpflichtet, findet Ihr den Text über Tims frühe Kindheit, aber leider keine über Eure. Ich wollte wenigstens Bilder von Euch dort unterbringen, aber aus technischen und Zeitgründen ist es vor dem Druck nicht mehr möglich gewesen. Die Bilder sind jetzt hier bei Mimamis Erinnerungen. Für uns keine schlechte Lösung, da die vorigen Kapitel, die „Weihnachtsbriefe“, viel über Euch berichten und die Briefe oft von Euren Werken illustriert sind. Sowieso haben wir uns beim Schreiben unserer Autobiographien gegenseitig viel geholfen, ähnlich wie in unserem Leben.


(2) Kleeblätter. Links:Tim 6, Liv 4, Eli 6 Monate, rechts 9 Monate später.

Kleeblätter. Links:Tim 6, Liv 4, Eli 6 Monate, rechts 9 Monate später.

 
Mimami beschreibt in Kapitel 9: Praxisvertretungen, ausführlicher über die ersten Jahre von Alexa, da sie sie oft hütete und mehr Zeit hatte. Ich dafür über die ersten Erlebnisse mit Tim, weil wir inzwischen die Praxis beendeten. Da Eure Mama an 2-3 Tagen pro Woche, zeitweise sogar noch weit von Zürich in Kreuzlingen arbeitete, weilten wir häufig mit Tim. Wir sahen ihn nicht wie Euch nur wenn er krank war. Als der Älteste von Euch dreien war er der Pfadfinder auch für meine schönen Erlebnisse mit Euch als Kleinkinder.


(3) Kleeblätter. Links beim Kochen, rechts beim Traktorfahren auf dem Bauernhof.

Kleeblätter. Links beim Kochen, rechts beim Traktorfahren auf dem Bauernhof.

 

Wir lieben Euch alle gleich, was Ihr sicher gespürt habt. Ich wünsche Euch viel Spass beim Lesen unserer Aufzeichnungen. Wir haben es vor allem für unsere Nachkommen geschrieben. Eilt aber nicht damit. Erst wenn man älter wird, hat man dazu mehr Sinn, Lust und Zeit.

Euer

Pipapi


(4) Vertauschte Rollen und die Übung macht Meister.

Vertauschte Rollen und die Übung macht Meister.

 

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