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Von Maria von Däniken Kreuz und quer
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Vollendete Autobiographien: 176
 
Maria von Däniken
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Letzte Aktivität
1.
Widmung / 17.11.2020 um 9.52 Uhr
2.
Vorwort / 17.11.2020 um 9.52 Uhr
4.1.
Meine Eltern / 17.11.2020 um 9.53 Uhr
19.1.
Ich darf alt werden. / 17.11.2020 um 9.53 Uhr
21.
Nachgedanken / 11.12.2020 um 12.45 Uhr
21.
Nachgedanken / 12.12.2023 um 10.06 Uhr
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1.
Widmung
2.
Vorwort
3.
Geburtsankündigung per Betzeit-Glocke
4.
Meine Eltern
4.1.
Meine Mutter Olga, geborene Spielmann
4.1.
Meine Mutter Olga, geborene Spielmann
4.1.
Meine Mutter Olga, geborene Spielmann
4.1.
Meine Mutter Olga, geborene Spielmann
4.1.
Meine Mutter Olga, geborene Spielmann
4.1.
Meine Mutter Olga, geborene Spielmann
4.2.
Vater Emil
4.2.
Vater Emil
4.2.
Vater Emil
4.2.
Vater Emil
4.3.
Tod der Eltern
4.3.
Tod der Eltern
4.3.
Tod der Eltern
5.
Kindheit - erste Erinnerungen.
5.1.
"Wachset und mehret euch"
5.1.
"Wachset und mehret euch"
5.2.
"Kleine Kinder, kleine Sorgen. Grosse Kinder......"
5.2.
"Kleine Kinder, kleine Sorgen. Grosse Kinder......"
5.2.
"Kleine Kinder, kleine Sorgen. Grosse Kinder......"
5.2.
"Kleine Kinder, kleine Sorgen. Grosse Kinder......"
5.2.
"Kleine Kinder, kleine Sorgen. Grosse Kinder......"
5.2.
"Kleine Kinder, kleine Sorgen. Grosse Kinder......"
5.2.
"Kleine Kinder, kleine Sorgen. Grosse Kinder......"
5.3.
Tagein, Tagaus in einer Grossfamilie
5.3.
QX Turbulent, vielfältig, manchmal chaotisch
5.3.
QX Mithilfe im Haushalt
5.3.
QX Taschengeld? Selber verdienen!
5.3.
QX Telefon? Radio? Fernsehen? "Schön eines nach dem andern!"
5.4.
Katholisch: nicht nur der bessere, sondern der "beste Glaube"
5.4.
Katholisch: nicht nur der bessere, sondern der "beste Glaube"
5.4.
Katholisch: nicht nur der bessere, sondern der "beste Glaube"
5.4.
Katholisch: nicht nur der bessere, sondern der "beste Glaube"
6.
Grosseltern
7.
Krankheiten
7.1.
Krankheiten in der Familie
7.1.
Krankheiten in der Familie
7.1.
Krankheiten in der Familie
8.
Scheue "heimlifeisse" Primarschülerin
9.
Bezirksschule und Haushaltlehrjahr in Olten
9.1.
Im Badekleid erscheinen? Nein!! Lieber die Schule schmeissen.
9.2.
Wunschberuf - Berufswunsch oder: ich glaub nicht, dass ich's kann
9.2.
Wunschberuf - Berufswunsch oder: ich glaub nicht, dass ich's kann
9.2.
Wunschberuf - Berufswunsch oder: ich glaub nicht, dass ich's kann
10.
Freie Zeit, Reisen, Ferien
10.1.
Familienreisen, Familienferien.
10.2.
Spezielle Reisen
10.2.
Spezielle Reisen
10.2.
Spezielle Reisen
10.2.
Spezielle Reisen
10.3.
6 Tage mit Pickel und Steigeisen unterwegs
10.3.
6 Tage mit Pickel und Steigeisen unterwegs
10.3.
6 Tage mit Pickel und Steigeisen unterwegs
10.4.
9 Tage durch die Wüste
10.4.
9 Tage durch die Wüste
10.5.
Lesen
10.5.
Lesen
10.5.
Lesen
11.
Lehr- und Wanderjahre
11.1.
Ein Jahr im Welschland
11.1.
QX St. Maurice VS. Erste Begegnung mit Nonnen
11.1.
QX Soll ich Nonne werden?
11.2.
Clinica Sant' Anna, Lugano
11.2.
QX Erster Kontakt mit dem Pflegeberuf.
11.3.
Arztgehilfin (Praxisassistentin) zum Ersten
11.3.
QX Unser Hausarzt sucht eine neue Praxishilfe
11.4.
Ausbildung zur Krankenschwester
11.4.
QX Krankenschwesternschule in Sursee
11.4.
QX Praktische Lehre: 1½ Jahre in Olten, 1 Jahr in Brig
11.4.
QX Lehrabschluss mit Diplom in Sursee
11.5.
Vevey, Hôpital de la providence
11.6.
Rom: Bambinaia, Pflegerin eines behinderten Kindes
12.
Frankreich: Kloster- und Krankenschwester.
12.1.
Noviziat
12.2.
Hôpital d~Annemasse (F)
12.3.
Annecy (F) Clinique Générale
12.4.
Nizza (F) Infirmière à domicile
12.5.
Bonneville (F) ewige Gelübde. Arbeit in der Spitex.
12.5.
Bonneville (F) ewige Gelübde. Arbeit in der Spitex.
13.
Thailand: bei den Mhong-Flüchtlingen aus Laos.
13.1.
Ankommen in Thailand
13.1.
Der Schock
13.1.
QX Wohnen in Thailand (zusammen mit 2 Unversöhnlichen).
13.2.
Flüchtlinge in Ban Vinai
13.2.
QX Thailand: Flüchtlingscamp Ban Vinai (1987)
13.3.
Überfall auf unseren Van (Kleinbus)
13.4.
Thai-Sprachkurs in Bangkok und dann mal entspannen.
13.5.
Abschied von Thailand
14.
Zurück in Frankreich: was nun?
14.1.
Aix-les-Bains (F) Erholungsklinik für Frauen.
14.1.
Aix-les-Bains (F) Erholungsklinik für Frauen.
15.
Letzte Hoffnung: die English Sisters in London
16.
Therapeutische Gemeinschaft in "Heronbrook-House"
16.1.
Teenager mit 50.
16.1.
Teenager mit 50.
16.2.
Abschied nehmen in Heronbrook-House.
16.2.
Abschied nehmen in Heronbrook-House.
17.
Good by Klosterleben!
18.
Neubeginn in der Schweiz mit "Überraschungen"
18.1.
Praxisassistentin zum Zweiten. ("zum Ersten" s. in "Lehr- Wanderjahre")
18.1.
QX PC, willkommen! Nochmals Krebs? nicht willkommen! Birsfelden: "Ich komme heim!"
18.2.
Arbeitslos
18.2.
Arbeitslos
18.2.
Arbeitslos
19.
Ich darf alt werden.
19.1.
Wer rastet rostet. Neugierig wie eh und je.
19.1.
QX Ballade an den Ufern des majestätischen Rhein.
19.1.
QX Facebook: soll ich, soll ich nicht?
19.1.
QX Doch noch ein "Kind......-le"
19.2.
Wiedersehen nach 55 Jahren! ---- Gast auf dem gelben Stuhl im TV-Studio.
19.3.
Unterwegs mit Neffe Lukas und Grossneffe Maurice.
19.4.
Erkenne dich selbst.
19.4.
Erkenne dich selbst.
19.4.
Erkenne dich selbst.
20.
Religion? Heute weiss ich...... dass ich nicht weiss
20.1.
Glauben in der Kindheit: ganz natürlich wie die Eltern.
20.1.
QX Papst - Dogmen - beten - beichten.
20.1.
QX Ernsthaftigkeit: Gott sieht alles. Was aber ist mit den andern, den (Lebens)-Lustigen?
20.2.
Aufbruch, Öffnung, selber denken.
20.2.
QX "Glaubst du an Gott?" wurde ich gefragt.
20.2.
QX "Gott" hat viele Namen oder besser: Keinen!
20.2.
QX Ist "Wort Gottes" wirklich Gottes Wort?
20.3.
Der Tod: Ende oder Anfang?
20.3.
QX Der Tod: definitives Ende oder vielversprechender Anfang?
20.3.
QX Ist die Vorstellung von Wiedergeburt/erneutem Materialisieren wirklich so absurd?
20.3.
Bist du bei solchen Gedanken von jemandem oder etwas beeinflusst?
20.4.
Eine Cousine nimmt ihr Sterben selbst in die Hand
20.4.
Eine Cousine nimmt ihr Sterben selbst in die Hand
21.
Nachgedanken
Widmung
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1.  Widmung
Für meine Nichten und Neffen: Söhne und Töchter meiner 5 Brüder.
Und diese Söhne und Töchter mit ihrem Nachwuchs, meinen Grossnichten und Grossneffen.
(Absteigend nach Alter geordnet)

Bei meinem älteren Bruder Josef: 
Regula, mit Tochter Jessica
Claudia, ohne Kinder
Ursula, mit Linda und Selina

Bei Bruder Hans:
Matthias, mit Natalie, Nicole, Chiara und Marica
Judith, ohne Kinder
Sandra, mit Selina, Armando, Vanessa
Klemens, mit Serena, Milena
Priska, mit Curdin, Lorena
Alfons, mit Jasmin, Dylan, Noemi, Eileen

Bei Bruder Guido:
Lukas, mit Maurice
Nora, mit Amira, Sarina
Mirjam, mit Manuel, Simon, Nathalie

Bei Bruder Thomas:
Samuel
Jonathan
Olivia

Bei Bruder Stefan:
Manuel
Anna

Gesamthaft also 17 Nichten und Neffen
und (vorläufig) 24 Grossnichten und Grossneffen.
Vorwort
Seite 2
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2.  Vorwort
August 2015: Meine Lebensgeschichte schreiben?.... Es gelingt mir erst nach der Entdeckung der genialen, erst kürzlich eingerichteten Plattform www.meet-my-life.net.

Sich an seine Erinnerungen heranwagen - das Langzeit-Gedächtnis aus seiner Lethargie wecken - könnte man mit einer Schatzsuche vergleichen. Wo, wie, nach was und warum soll ich suchen, fragte ich mich. Den zaghaften Versuch einer Antwort auf diese "wo-wie-was-warum" wagte ich kurz nach meiner Krebserkrankung (1996). Beim „warum“ fing ich an. Warum so etwas wie „die Geschichte meines Lebens“ schreiben? Wenn der Tod nahe scheint - 1996 mir hinterhältig auf den Fersen... - ist es als schreie das gelebte - oder nicht gelebte? - Leben voller Kraft: "vergiss mich nicht"! Das Erzählen und Hören von Lebensgeschichten, rund um ein Feuer oder Ofen sitzend? Nostalgische Vergangenheit. Wie also kann ich heute meinem Leben eine Stimme geben, seinen „vergiss-mich-nicht“-Schrei zum Schweigen bringen? Hinsetzen, als erster Entwurf eine Tabelle zeichnen: 2 Linien pro Jahr ab meiner Geburt. Genug Platz für kurze oder längere Notizen der Ereignisse, an welche ich mich für das betreffende Jahr erinnern würde. "Bingo" meinte ich zu Beginn, "das ist ja kinderleicht. Was sich in welchem Jahr historisch, familiär oder privat ereignet hat, daran erinnere ich mich gut". Dem eigentlichen Schatz jedoch kam ich keinen Schritt näher. Auf die Frage: "Nach was eigentlich, wie suchen" fand ich keine Antwort. Es kommt wie es bei einer wie mir - aufgeben wenns nicht auf Anhieb klappt - kommen muss: ich liess es sein. Die Notizen verstaubten. Dann vor etwa 10 Jahren eine Klassenzusammenkunft. Interessiert hörten sich einige an, was ich ihnen aus meinem Leben preisgab. "Schreib doch das alles auf, das ist ja hoch spannend", ihre Reaktion. Wieder zu Hause, setzte ich mich an den PC, fand die verstaubten Notizen, versuche es wieder. Aber oh weh! Mein Kopf rauscht und raucht. Rausch-rauchender Tohuwabohu. Keine annähernd zusammenhängende Erinnerung auszumachen (und nein, ich rauche nicht!). Wieder gab ich auf. Diesmal mit Wehmut, muss ich gestehen: "Schade, meine Nachkommen (direkte Nachkommen hab ich keine) werden nichts von meinem Leben erfahren." Nichts über mich, die ich meistens eher zur Sorte "Zuhörende" gehöre als zur Sorte "Erzählende".
Irgendwann 2015 stiess ich, dank Zeitungsbericht, auf die Plattform meet-my-life.net. Fast hätte ich diesen übersehen - die Zeitung schon im Altpapier. Aber so etwas wie: „seine Autobiografie schreiben“ blieb seltsamerweise in meinem Hirn kleben: „Muss mir unbedingt nochmals diese Zeitung anschauen“, merkte mir besagte Internetseite. Kurz darauf scrollte ich durch den gut strukturierten Kapitel/Fragen-Katalog und..... ein Blitz schlug ein: "Hey das ist es worauf ich gewartet hatte!“ Kein Halten oder Abwägen mehr: das ist es, das wird mir helfen. Schreiben fällt mir von Anfang an leicht. Eine ganz neue Erfahrung. Staunen über mich selbst. Leider musste ich bald erkennen, wie bruchstückhaft dieser Schatz der Erinnerungen ist. Noch schwieriger wird's wenn ich versuche mich in „damals“ zu versetzen: wie fühlte ich mich bei diesem oder jenem Ereignis? Hätte ich doch nur vor vielen Jahren, als ich kurz davor war es zu tun, Tagebuch geschrieben. Darum sage ich zum Schluss all jenen die diese Geschichte ev. lesen:
Um Himmels willen - der Nachkommenschaft willen - macht euch Tagebuch Notizen!

Erhaltener Kommentar: 01.10.2016 - 14.41 Uhr, von Margrit von Daeniken
Sehr guter Anfang . I like the way you begin your story.

 
 
 
 
 
 
Geburtsankündigung per Betzeit-Glocke
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3.  Geburtsankündigung per Betzeit-Glocke
Im katholischen Aarau, wie in allen Gemeinden drum herum läuteten die Betzeit-Glocken mehrmals täglich zum Gebet (vergleichbar mit dem Rufen des Muezzins in arabischen Ländern). So auch an jenem 11. Nov. 1944 zum Tagesbeginn um 5 Uhr morgens. Die Bauern in den vorwiegend landwirtschaftlichen Dörfern rund um Aarau waren es gewohnt, mussten sogar früh aufstehen. Und der jeden Arbeitstag um 6 Uhr früh die Messe zelebrierende Pfarrer wollte schliesslich bei seinem Tun nicht Akteur und einziger Zuschauer in einem sein. Wobei, in jenen Jahren habe es in vielen Haushalten zum Standard gehört, vor Arbeitsbeginn zur Messe zu gehen. Und wie immer, und zu jeder Zeit, und überall, knieten (und knien bis heute) zu 99% Frauen in den Bänken der Kirche. So auch meine väterliche Grossmutter in Erlinsbach SO, welche dort jeden Morgen zur 6 Uhr Messe ihren gewohnten Stammplatz einnahm. Ich freute mich natürlich, als ich um 5 Uhr morgens den Willkommens-Gruss dieser Welt per Glöcklein vernahm. Auf jeden Fall sei ich von ihren insgesamt 9 Geburten ihre leichteste gewesen, hörte ich von Mutter, als ich alt genug war es zu hören. Stolz bin ich auf meine 3 Geburtstags-"Schnapszahlen": 11-11-44, von welchen die zwei ersten Jahr für Jahr erst noch einzigartig bleiben, und durchs Jahr von keinen andern Schnaps-Zahlen übertroffen werden können. Habe ich dieses Datum ausgesucht, hat es mich ausgesucht?
Taufe.
Nun musste ich schnellstens getauft werden und zwar römisch-katholisch. Es gebe jenseits im Nirgendwo eine "Vor-Hölle", dorthin würden nicht getaufte Neugeborene verschachert, so sie ihr kurzes Leben wieder verliessen. Einen Himmel könne es für Ungetaufte nie geben. Diese winzigen Menschlein seien mit schwerer Erbsünde belastet welche nur die Taufe tilgen könne: Adam und Eva hatten sich entschlossen, Früchte vom verbotenen Baum zu naschen (wer von uns kennt das nicht, Verbotenes lockt erst recht, also nichts verbieten!) um ihren (Seelen)-Hunger und Wissensdurst zu stillen. Und nun müssen wir seit eh und je diesen (Frucht)-Salat ausessen! Pech für den Homo Sapiens! Würde das Nicht-getauft-sein überhaupt eine Rolle spielen wenn ich eh nichts mehr, im Nirgendwo wäre? Dann komm ich halt später nochmals..... (Thema Wiedergeburt?... in einem späteren Kapitel). Der Pfarrer habe an jenem 2. Tag nach meiner Geburt andere Taufen zu erledigen gehabt, und mich halt grad noch dazu genommen, obwohl weder Pate noch Patin anwesend sein konnten. Wahrscheinlich hatte er später seinen freien Tag oder Ferien. Vermisst habe ich meine Taufpaten nicht, auch später nie. Sie waren einfach "pro forma" auf dem Taufschein meine Taufpaten. Und ohne diesen würde ich später weder den Religionsunterricht besuchen noch Kommunion empfangen noch katholisch heiraten können. Pflegerinnen gab es im Spital Aarau, wo ich meinen ersten Schrei hören liess, in Hülle und Fülle. Eine von ihnen war bestimmt glücklich, mich zur Taufe tragen zu dürfen. Genauso wie ich 18 Jahre später, als Pflegehelferin in der Clinica Sant Anna in Lugano, glücklich war, einem Säugling das Köpfchen unter den Strahl des Taufwassers zu halten. Der Kreis hatte sich geschlossen.
Wer Taufe sagt, meint auch "Namensgebung". "Ganz klar, Maria und Josef sollen unsere Ersten, Bub und Mädchen, heissen", das hätten sie schon vor ihrer Hochzeit beschlossen, hörte ich oft von Mutter. Für mich heisst das: Glück gehabt, denn ich liebe meinen Namen, heute noch. Wenn ich heute gewisse "kurlige" Namen von Kindern höre, frage ich mich schon, ob sich Eltern bei der Suche eines Namens für ihr Kind immer bewusst sind, dass es für das Kind einen Namen fürs Leben sein wird und es bis an sein Lebensende gerne so genannt werden möchte. Eines aber wurde von meinen Eltern nie toleriert: Übernamen, und dies bei allen Geschwistern. Bei mir nie Maya, Marili, Marie, Mia. Die Korrektur kam Schlag auf Schlag, sei es von Vater oder von Mutter: "sie heisst Maria", und das in sehr bestimmtem Ton. Mein Name besonders "geschützt", ist ja jener der "Jungfrau Maria". Sakrileg! Schande über wer ihn "verhunzelt". Das eingefügte Bild als Beispiel wie ernst es meinem Vater in solchen, für ihn religiösen Sachen war: Meine erste Lehrerin schrieb "Marie" auf mein erstes Schulzeugnis. Zorniges Kopfschütteln bei Vater. Ruck-Zuck Füller raus und aus dem "e" wird ein "a".
Taufpaten: zu Weihnachten vom Götti den obligaten Fünflieber, schön auf Schokolade geklebt. Und für diesen Fünflieber gab es keine Alternative zum Schlitz ins Sparkässeli von der Raiffeisenbank. Sparen, sparen, die landesweite Parole! Vom Gotti, so lange sie lebte - sie starb jung - jedes Jahr ein Set Stoffnastücher, mit Buchstaben "M" bestickt.
(Heute muss man ausdrücklich "Stoff"-Nastücher sagen, weil wir (fast) nur noch Papiernastücher kennen. Weil auch ich schon lange zum bequemeren Papierenen gewechselt habe befinden sich noch 60-70-Jahre alte Stoffnastücher in meiner Schublade. Aber sollten wir nicht, unserer Umwelt, den massenweise zu Papier verscherbelten Bäumen gedenkend, vernünftigerweise wieder zum Stoff zurückfinden?)
Mein Schuleintritt muss dem, ein Lederwarengeschäft betreibenden, sehr selten gesehenen Götti doch zu Ohren gekommen sein. Er schenkte mir tatsächlich ein Lederetui, gefüllt mit Blei- und Farbstiften. So fein roch es, richtiges Leder ....hmmm! Dass ich mir später als junge Frau sehnlichst eine schöne Ledertasche von ihm wünschte, hat er nie erfahren. Hätte mich nie getraut ihm diesen Wunsch zu äussern. Und Männer...... kommen nie von sich aus auf solche Ideen.....

 

(1) Aus Marie wird Maria (Danke Vati)

Aus Marie wird Maria (Danke Vati)

 


   
 
 
Wie ich zu meinen Eltern kam
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3.  Geburtsankündigung per Betzeit-Glocke

Wie ich zu meinen Eltern kam
Beide wuchsen Dorf an Dorf im solothurnischen Niederamt auf. Vater in Niedererlinsbach SO, Mutter in Niedergösgen. (Bis vor wenigen Jahren gab es 2 Niedererlinsbach und 2 Obererlinsbach. Je eines auf Solothurner und eines auf Aargauer Seite. Durch die Kantonsgrenze gespaltene Dörfer. Heute gibt es "Ober" und "Nieder" nicht mehr, nur noch Erlinsbach. Jedoch immer noch deren zwei, eines in AG und eines in SO.)
Beide Dörfer, Nied.Erlinsbach wie Nied.Gösgen hauptsächlich noch bäuerlich. Jedoch lockten und warben nahe Industrien wie die Schuhfabrik Bally, die Nabholz (Unter- Nachtwäsche- Herstellerin) in Schönenwerd, oder die Glockengiesserei in Aarau viele Jugendliche weg von der Scholle. Beide Familien - von Däniken in Erlinsbach, Spielmann in Gösgen - streng römisch-katholisch, Papsttreu, Kinderreich, Bauer bei Vater oder Halb-Bauer bei Mutter. Ihr Vater arbeitete bei Bally, hielt sich aber noch 1-2 Kühe, hauptsächlich für den täglichen Milchbedarf. Während der Kriegszeit war die Armee froh, bei ihm eine grosse Scheune vorzufinden, um Kavalleristen samt Rössern einzuquartieren. Und wenn wir schon bei der Kriegszeit sind: Alles was nach ungenutztem Boden aussah, hätten sie, um dem "Plan Wahlen" zu genügen, fruchtbringend besäen müssen. Nach Plan müsse die Schweiz selbstversorgend bleiben. (Traugott Wahlen, Bundesrat in jenen Jahren)
(Wie wäre das wohl heute 2016? Was könnte in einer Notlage - wie wir sie nach dem Krieg zum Glück in der Schweiz nie mehr erlebt haben - auf unseren unproduktiven mit Gift unkrautlos getrimmten Rasenflächen in Städten und Dörfern noch Gesundes wachsen? "Grüne Wüsten" nenne ich diesen bedauernswerten Zustand unserer Natur. Weder Vogel noch Insekt noch Schmetterling kann sich daran laben oder sich darin vermehren. "Wir müssten mal wieder hungern müssen, nur so kämen wir wieder zu Vernunft und gesundem Menschenverstand", hörte ich oft aus Mutter's Mund wenn wir etwas - "gschnäderfrässig" - nicht essen wollten. Sollte ein solcher Satz heute, angesichts unseres verschwenderischen oder ungesunden Umgangs mit Nahrungsmitteln und Natur, nicht viel öfters mutig und mahnend ausgesprochen werden? "Mutti, komm zurück und ruf es noch 100-mal!") 
Papsttreu: war zwar in jener Gegend nicht mehr selbstverständlich, seit sich in Olten und Umgebung viele von Rom abgewendet und ihre christ-katholische Kirche gegründet hatten, nachdem am 1. Vatikanischen Konzil (1869-1870) der Papst als unfehlbar verkündet wurde. Und weil ein Onkel meiner Mutter nicht zum neuen, von seiner Firma offiziell übernommenen Glauben wechseln wollte, verlor er seine Stelle. 
Kinderreich: Vater Emil das 3. von 6 Kindern (5 Buben, 1 Mädchen), Mutter Olga das 3. von 8 (5 Buben, 3 Mädchen).
Römisch-Katholisch: unumstösslich, nie hinterfragt, selbstverständlich. Sonntagspflicht-treu? auf jeden Fall. Alle, und in beiden Familien, waren nicht nur fleissige Kirchgänger, sondern ebenso fleissige Kirch-Sänger. Fasttage-Pflicht-treu? bestimmt. Beichtpflicht-treu? Auf jeden Fall, meistens alle 2 Wochen. Dogma-Glauben? Klar, wird nicht in Frage gestellt! Vor-Ehe- und Ehepflicht-treu? Noch nicht lang ist's her, seit ich weiss, dass Mutter's Mutter schwanger heiratete. Also doch nicht ganz treu.... Uneheliche Kinder damals? Schreck und Schande in Familie und Dorf. Sie trug ein schwarzes Hochzeitskleid, war es Mode in jenen Jahren, war es die Schwangerschaft, welche sie diese Wahl treffen liess?  
Auf jeden Fall heirateten meine Eltern am 29. Nov. 1941, beide noch jungfräulich. Dies hat meine Mutter immer wieder stolz betont. Und dass Beide vor der Hochzeit beim Pfarrer beichten gingen sei selbstverständlich gewesen, meinte sie dazu. Kennen gelernt hatten sie sich, wie könnte es anders sein, als Kirch-Sänger/-in. Beide sangen in ihrer jeweiligen Dorfkirche im Chor. Am jährlichen Gesangfest aller Chöre der Umgebung sahen sich die Beiden. Mutter gefiel dieser junge Mann auf Anhieb. "Ich wollte ihm nicht "nachlaufen", es seien ihm schon zu viele nachgelaufen, so der Beginn ihrer Geschichte. Allerdings habe Vater kaum Notiz von diesen ihm "nachlaufenden" Frauen genommen. An ihrem Arbeitsplatz bei "Nabholz" nimmt sie am "Klatsch und Tratsch unter Frauen" nicht teil. Oft sei von diesem schönen, strammen Jüngling - mein Vater - die Rede gewesen. Einige hätten über ihn gelacht, blöde Witze gemacht, andere sich nichts Sehnlicheres gewünscht als ihn zu erobern. Mutter, ihrer Devise "ich laufe ihm nicht nach" treu, treibt es so weit, lieber auf einen Theaterbesuch zu verzichten - der schöne Jüngling im vom Laientheater aufgeführten Stück "das Nullerl" die Hauptrolle spielend - als den Anschein zu erwecken sie laufe ihm nach. Das Schicksal aber spannte, wie üblich, seine heimlichen Fäden:
Einer von Mutter's Brüdern, seit längerer Zeit im Haus von Mutters heimlich Angebeteten ein- und ausgehend - er liebt die Schwester meines Vaters - nimmt Mutter eines Tages mit zu seiner Angebeteten. So sitzt Mutter mit ihrem Bruder bald im Haus ihrer zukünftigen Schwiegereltern, anwesend auch ihr Angebeteter. Diese Doppelbesuche - der Bruder meiner Mutter die Schwester meines Vaters, meine Mutter den Bruder der Schwester - finden ab da immer häufiger statt. Kommt der Tag einer Wallfahrt beider Dörfer zu unserem Landesvater Bruder Klaus nach Sachseln. Beide Paare sind dabei. Mutter und Vater, ohne es voneinander zu wissen, mit demselben Herzenswunsch an Bruder Klaus: dieser möge für sie bei Gott um Klarheit für ihr zukünftiges Leben bitten. Am Abend vor der Heimreise noch schnell einen letzten Gang zur Kirche. Und da sei es geschehen. Ohne Voraussicht, ohne Abmachung welcher Art auch immer, seien sie sich vor der Kirche buchstäblich in die Arme gelaufen. Ein Zeichen für Beide, Antwort von Bruder Klaus: "ihr gehört zusammen". Sich gegenseitig ihre Zuneigung gestehend, hätten sie an diesem Tag ihre Verlobungszeit begonnen. Auf ihrer Hochzeitsreise - mit dem Fahrrad - seien sie zuerst wiederum nach Sachseln um Bruder Klaus zu danken, und weiter nach Einsiedeln gefahren, um ihre Ehe unter den Schutz der schwarzen Madonna von Einsiedeln zu stellen. Beide hätten sich alsbald Kinder gewünscht. Ein Haus voller Buben habe sie sich damals gewünscht, schloss Mutter ihre Geschichte. 


(1) 29. November 1941: Olga Spielmann heiratet Emil von Däniken
29. November 1941: Olga Spielmann heiratet Emil von Däniken

 

 
Spontan an meine Mutter denkend
Seite 5
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4.1.  Meine Eltern – Meine Mutter Olga, geborene Spielmann.

Spontan an meine Mutter denkend
Meine Mutter, eine kleine Frau. Kleine Füsse, Schuhgrösse 36, gut geeignet für schöne Bally-Schuhe, welche sie in ihrer Jugend mit Stolz getragen habe. Hatte durch die Arbeit ihres Vaters bei Bally die Möglichkeit, sich solche billiger zu kaufen. Markantes Gesicht, pechschwarzes Haar. Vielleicht osteuropäischer Herkunft - Fahrende - Zigeuner? Spielmann ihr Name, könnte also sein. Hin und wieder meinte sie, dies sei so, sie stamme tatsächlich von Zigeunern ab. Nie versiegender Optimismus zeichnete sie aus, wahrscheinlich in ihrem Gottvertrauen wurzelnd. Ihre Liebe sich nicht in Streichel-Einheiten, nicht in Küssen, Umarmungen äussernd, sondern in stetem Dasein: zuhören, schlichten, trösten, aufmuntern, helfen, beraten, schelten. Nie wurde ich von ihr umarmt. Bei jedem Abschied stand sie neben dem kleinen Weihwasser-Behälter an der Wand beim Eingang. Vor dem letzten Handschlag ihre Hand ins Wasser tauchend, mit dem Daumen ein Kreuz auf meine Stirn zeichnend: "Dein Engel möge dich beschützen, auf allen deinen Wegen". War es Abschied für längere unbestimmte Zeit, hatte sie dabei meistens Tränen in den Augen, ihre Stimme drohte zu versagen - meine auch. Nie wurde ich von ihr umarmt, aber auch nie von ihr geschlagen. Strafen überliess sie Vater sobald dieser abends heimkam. War sie gut gelaunt, begann sie zu singen. Sie sang äusserst gerne, hat uns allen 8 diesen Sing-Virus fürs Leben mitgegeben. Singen: für mich bis heute eine unvergleichliche Lebenshilfe. Wird heute sogar von der Wissenschaft als solche anerkannt und geschätzt. Stand ihr ein besonders anspruchsvoller Tag bevor, sang sie, meistens nach einem Seufzer: "Alles meinem Gott zu Ehren in der Arbeit, in der Ruh....." Leugnete einer meiner Brüder hartnäckig eine Missetat oder ein, ihm passiertes Missgeschick und Mutter sicher, dass er's gewesen, redete sie ihm eine Weile gut zu. Blieb er verstockt bei seiner Verleugnung, sagte sie am Abend in Anwesenheit aller: "So, der Schutzengel desjenigen der dies getan hat wird es mir diese Nacht mitteilen. Morgen weiss ich wer's war". In der Regel wusste sie es noch am gleichen Abend. Wenn alle andern im Bett waren, schlich derjenige reumütig zurück zu Mutter. Wenn Vieles zu viel wurde, verstummte sie, war während Stunden, manchmal auch Tagen nicht oder kaum ansprechbar. Der gesamte Haushalt, unsere Erziehung, alles lastete vor allem auf ihr. Von Vater konnte sie in diesen Dingen wenig Unterstützung erwarten. Er selber am Abend todmüde nach seinem täglichen "Chrampf" bei USEGO. Manchmal seufzte sie deswegen leise über ihn, ihn aber im gleichen Atemzug wieder entschuldigend: "Er ist halt so müde am Abend nach seinem schweren Arbeitstag" - ihren eigenen schweren Arbeitstag wegsteckend..... Richtig sauer wurde sie, wenn sie wichtige Entscheidungen - Haushalt, Kinder usw. - allein treffen musste, Vater sie sozusagen "ins Leere" laufen liess. Wenn er, nur Schulterzuckend - sich nicht dazu äussernd - stumm blieb. Ihre Enttäuschung zeigte sich danach in tagelanger Stummheit, ihr Gesicht verschlossen und abweisend. Genauso verstummte sie auch wenn besonderer Stress anstand, wie z.B. am hl. Abend oder an Sonntagen. Bis zum feierlichen gemeinsamen Singen am hl. Abend lag zwischen den Eltern meistens extreme Spannung in der Luft. "Sie ist taub", sagten wir untereinander. "Ihre Stummheit bestimmt meine Schuld, wer sonst? Wegen mir ist sie "taub", sagte ich zu mir selbst. "Muss sie mich nicht oft mehrere Male rufen, wenn sie meine Hilfe braucht?" Daher Schuldgefühle und Vergleich mit der jüngeren Schwester, welche ihr spontan hilft, welche sie nie zweimal rufen muss. Zu allem Unglück kommt meistens noch Vater dazu, verbannt mich zur Strafe für eine Weile in den Keller. Am meisten belastete mich die Ungewissheit: "Warum sagt sie mir nie rundheraus warum sie "taub" (verärgert) ist?" Jedes Mal, wenn ich sie stumm und verschlossen vorfand versuchte ich sie zu fragen, erhielt aber nie eine Antwort. Viel später kam ich zur Überzeugung, dass der Grund ihrer Verärgerung viel mehr bei Vater lag als bei uns Kindern. Aber das konnte-wollte-durfte sie uns halt nicht sagen. Also litt ich, wenn Mutter verstummte. Schlimmer war es, wenn sie ausrief: "Jetzt gehe ich, ich halt das nicht mehr aus!" Geschah selten, doch umso mehr hatte ich dann wirklich Angst wir würden sie verlieren. 
Unverwüstliches Gottvertrauen.
Sie war einfach immer da! Ganz sicher war sie da! - erstes schönes Gefühl, wenn ich an sie denke. Bis zu ihrem Tod, auch für mich als Erwachsene, immer wieder: bestimmt ist sie da. Wann und von wo auch immer ich in die "Rosengasse 8, Dulliken" zurückkam war ich sicher, Mutter ist da, die treibende Kraft im Haus. Verglichen mit heutigen Verhältnissen, ihr Leben als Hausfrau und Mutter eine einzige Plackerei. Für sie selbst aber eine wertvolle Lebensaufgabe, eine Berufung, wie sie mehrmals äusserte. Woraus oder woher sie ihre Energie, ihren Optimismus schöpfte bleibt mir bis heute ein Rätsel. Die Antwort wahrscheinlich vor allem in ihrem unglaublichen, nie versiegenden Gottvertrauen - würde sie mir heute bestimmt bestätigen: "Immer, wenn du meinst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her", seufzte sie, wenn mal etwas unlösbar schien. Jede erneute Schwangerschaft - trotz Monat für Monat befürchtet - jedes Neugeborene nahm sie als Geschenk Gottes an: "Gott selbst vertraut mir dieses neue heranwachsende Leben an".
Spontan erinnere ich mich auch dass sie etwas "gschnäderfrässig" war (heikel bei gewissen Speisen). Wie das Sprichwort sagt: "Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht", passt genau zu meiner Mutter. Sie wollte nur essen was sie schon kannte. Ass Reis nur als Milchreis, weil Risotto sie würge: "Diese Art Reis bleibt mir im Hals stecken, will einfach nicht runter". Spargeln mochte sie gar nicht, kamen deshalb nie auf den Tisch. Wobei, zu jener Zeit gab es eigentlich nur diese kleinen Dosenspargeln... Sie war nie besonders offen für neue Arten der Zubereitung oder für bis dahin ungewohntes Essen. Gezänk in der Küche, wenn sich mein jüngste Schwester beim Kochen einmischt - sie mischt sich oft ein, war seit jeher "Helferin" der Mutter - und andere Kochvorschläge einbringt. 
An eine Episode erinnere ich mich ganz besonders, auch weil sie eigentlich lustig war. Als wir zu ihrem 80. Geburtstag im Restaurant ein Fondue-Chinoise für alle anmelden wollen, winkt sie ab, so etwas kenne sie nicht, wolle sie auch nicht essen. Weil sie aber die Einzige bleibt die kein Fondue-Chinoise essen will, lenkt sie schliesslich ein: "Wenn alle ausser mir dieses komische Fondue essen wollen, dann bestellt es halt", meint sie - nicht ohne Hintergedanken. Also wird für alle Fondue Chinoise bestellt und siehe da..... Mutter hatte schelmisch vorgesorgt: Als alle, auf das Fondue wartend an den Tischen sitzen, packt sie seelenruhig ihre heimlich mitgebrachten 2 Pastetli samt Sauce (aus der Büchse) vor unseren überrascht-entsetzten Augen aus und lässt alles vom Koch aufwärmen..... Sie hat ja Geburtstag, es wird ihr schmunzelnd gewährt. Wir anderen - etwa 50 Personen - konnten uns kaum halten vor Lachen. Typisch Mutter!


(1) Mutter Olga in jungen Jahren
Mutter Olga in jungen Jahren



(2) Meine Mutter (links) ihre Brüder, Schwestern und Mutter zu Beginn der 70-er Jahre.

Meine Mutter (links) ihre Brüder, Schwestern und Mutter zu Beginn der 70-er Jahre.

Erhaltener Kommentar:
03.09.2016
Ich möchte ein paar Worte zu Maria's Beschreibung unserer Eltern anfügen. Maria ist das 2. Kind, ich das 3. von 8 Geschwistern. Hier möchte ich ein paar Ergänzungen zu unserer Erziehung durch unsere Eltern anbringen. Unsere Eltern hatten einen sehr tiefen Glauben an die unendliche Liebe Gottes und deshalb ein sehr grosses Vertrauen in ihn, dass er uns allen beisteht und hilft in allen schwierigen Situationen unseres Lebens. Diesen Glauben und dieses Vertrauen in ihn haben wir alle bei unseren Eltern wie Muttermilch eingesogen. Sie haben uns den wirklich christlichen Weg vorgelebt so wie Jesus es wollte. Als ich die Prüfung ins Lehrerseminar bestanden hatte und dies Vater mitteilte, hatte er grosse Freude, sagte mir aber gleich: “Bleibe demütig, bescheiden und einfach!“. Das ist und bleibt eines der Leitmotive das mich das ganze Leben durch begleitet und in Erinnerung bleibt. Die Eltern haben uns wirklich die Antwort der ersten Frage des ehemaligen römisch katholischen Katechismus vorgelebt. Diese Frage lautet:“ Wozu sind wir auf Erden?“ Die Antwort lernten wir für den Religionsunterricht auswendig: “Um Gott zu erkennen, ihn zu lieben, ihm zu dienen und einst in den Himmel zu kommen.“ Sie bleibt uns Geschwistern bis heute in Erinnerung. Unsere Eltern haben uns auch einen grossen Selbstverzicht vorgelebt, um für uns und andere Menschen da zu sein. So sind wir Kinder alle sehr sozial eingestellt.
Deine Schwester Gertrud


 



 

 
Mutter~s Herkunft - ihr Leben vor der Hochzeit - Kriegsjahre
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4.1.  Meine Eltern – Meine Mutter Olga, geborene Spielmann.

Mutter~s Herkunft - ihr Leben vor der Hochzeit - Kriegsjahre
Meine Mutter ist in Niedergösgen SO geboren und aufgewachsen. Ein damals noch bäuerliches Dorf. Durch die Nähe zu Industrien wie "Bally" und "Nabholz" im nachbarlichen Schönenwerd, entwickelte sich das Dorf nach und nach zu einem Arbeiterdorf. Schon ihr Vater arbeitete bei "Bally", hielt sich aber nebenbei eine oder zwei Kühe. Ein grosser Stall und Land standen noch zur Verfügung. Sie ist das 3. Kind nach einer Schwester und einem Bruder. Nach ihr dann noch ein Mädchen und 4 Jungen. Erwähnenswert hier: meine Mutter bringt nicht nur die gleiche Anzahl lebender Kinder zur Welt wie ihre eigene Mutter, sie schenkt auch der gleichen Anzahl Jungen und Mädchen das Leben, und dies in kaum veränderter Konstellation:
Mutters Herkunft-Familie:  M - J - M - M - J - J - J - J
Unsere Familie:                 J - M - M - M - J - J - J - J      (M = Mädchen, J = Junge) 

Ihren Traumberuf als Lehrerin muss sie der harten Realität einer kinderreichen Familie opfern. In der Primarschule sei sie in ihrer Klasse die Beste gewesen. Lehrerin wollte sie werden. Ein Bezirksschule-Abschluss unausweichlich für die Aufnahme ins Lehrerseminar. Ihre ältere Schwester schon Bezirksschülerin in Schönenwerd, ist sie voller Hoffnung auch bald dort zur Schule gehen zu können. Tatsächlich besteht sie als einziges Mädchen ihrer Klasse die Aufnahmeprüfung, an welcher teilzunehmen ihr Vater zuvor verhindern wollte: "Sinnlos, dass du an diese Prüfung gehst. Wirst diese Schule eh nie besuchen, auch wenn du die Prüfung bestehen solltest." Sie geht trotzdem hin, besteht die Prüfung, hofft ihr Vater werde nach ihrem Erfolg seine Meinung ändern. Kurze Hoffnung, kurze Freude. Ihre Mutter, mit dem 8. Kind schwanger benötige vollumfänglich ihre Mithilfe im Haushalt. So ihres Vaters Vernichtung ihrer Vorfreude auf den Besuch der Bezirksschule. Am 1. Tag des 7. Primar-Schuljahres staunt ihr Lehrer als er Mutter in der Klasse sieht: "Was machst denn du hier? Ich meine du solltest in der Bezirksschule sitzen und nicht hier." Mutter bricht in Tränen aus, erklärt ihm ihre Situation. Ihr Lehrer will es nicht dabei belassen, begleitet sie nach Hause, redet mit ihrem Vater, kann trotzdem nichts ändern. Ihr Vater bleibt dabei: "keine Bezirksschule!" Diese Forderung ihres Vaters wird für meine Mutter lebenslang ihre grösste Enttäuschung bleiben. Bis zu ihrem Lebensende, wenn sie darüber sprach, konnte man ihren tiefen Schmerz von damals spüren. Ihr Traum Lehrerin zu werden, ausgeträumt.
Bei "Nabholz" in Schönenwerd.
Nach der Schule beginnt sie bei "Nabholz" in Schönenwerd als Zuschneiderin und Weissnäherin - im Akkord - zu arbeiten. Schnell stellt sich heraus dass sie, bezüglich exakter Arbeit, eine der Besten ist. Man übergibt ihr die heikelsten Aufträge, z.B. jene für das britische Königshaus. Oft hat sie uns dies voller Stolz erzählt: Immer mal wieder habe sie Unterwäsche und Nachthemden für die Queen Mum (Mutter von Elisabeth II.) zugeschnitten und genäht.
Bis zu ihrer Hochzeit im Jahr 1941 arbeitete sie in diesem Betrieb (ungefähr 13 Jahre).
Wie sie den Krieg erlebte.
Mit dem Velo zur Arbeit fahren sei während den Kriegsjahren manchmal "nicht lustig" gewesen. Wenn am Abend Bombenalarm aufheulte, das ganze Dorf Gösgen verdunkelt sein musste, durfte sie auch am Velo kein Licht einschalten. Dazu war sie im Luftschutz-Dienst aktiv, musste bei Bombenalarm zu verschiedenen Bunkern radeln um dort für eventuelle Hilfeleistungen bereit zu sein. Überhaupt hätten sie besonders 1940, als viele Schweizer Soldaten an der Nordgrenze stationiert waren, oft gezittert vor Angst, Hitler's Truppen könnten plötzlich einmarschieren. Sie erzählte uns von einem Lied, zu jener Zeit im Umlauf bei den Deutschen: "Auch die Schweiz, das Stachelschwein (Stacheldrähte an den Grenzen), nehmen wir im Rückzug ein". Dennoch habe es auch lustige Momente gegeben, weil sie in ihrem Haus oft Berner Soldaten einquartiert bekamen. Mit denen habe sie oft geschäkert, gespielt, vor allem gejasst.
Erhaltener Kommentar:
31.12.2015 - 11.34 Uhr, von anonym
Tolle Schilderung dieser Zeit. Spannend und einfühlsam geschrieben.
Ihre herausragenden Eigenschaften
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4.1.  Meine Eltern – Meine Mutter Olga, geborene Spielmann.

Ihre herausragenden Eigenschaften
"Alles meinem Gott zu Ehren, in der Arbeit, in der Ruh….."
Oft hatte ich sie dieses Lied singen hören. Noch heute kenne ich die ganze erste Strophe auswendig. Vielleicht ist es die Melodie, die es mir angetan hatte, tönt sie doch einladend schön, summt manchmal ganz unverhofft aus meiner Kehle, wenn ich z.B. dem Rhein entlang wandere.
(Wobei: "mein Gott" hat sich von jenem meiner Mutter längstens verabschiedet. Oder ist es vielleicht doch der Gleiche? Einfach ohne allen "Klimbim" um ihn/sie herum - wenn schon, ist "Er" auch weiblich. Vor allem alle diese unsäglichen, teilweise menschenverachtenden Dogmen, oder diese "du musst - du darfst nicht - du musst mich fürchten - du musst in der Kirche andächtig sein, stillsitzen - immer ernst sein, usw. Ist "ein Leben in Fülle" mit einem solchen Gott (Mutters Gott) überhaupt möglich?) 
Trotz aller Mühen bleibt sie eine äusserst optimistische Frau. Singen, Musik, für sie eine Herzensangelegenheit. Bis zu ihrer Heirat sang sie jeden Sonntag im Kirchenchor. Danach kamen Kinder: Chorsingen Adieu. Bestimmt ein grosser Verzicht für sie. Für "Babysitting" kein Geld vorhanden. Grosseltern, Onkel, Tanten damals zu weit entfernt. Auch Vater ein passionierter Chorsänger - seit seinem 17. Lebensjahr im Kirchenchor - soll halt er in Dulliken Mitglied des Kirchenchors werden. Kein Singen im Chor für Mutter, aber viel singen mit uns Kindern zu Hause. Vielleicht ein kleiner Trost für sie nach dem Verzicht fürs Chorsingen? Manchmal sang sie ganz allein vor sich hin. Jeden Sonntag ging sie um 7 Uhr in die Frühmesse. Eine Viertelstunde zu Fuss, bei jedem Wetter, Sommer wie Winter. Bei ihrer Rückkehr wurde ihr Sonntag zum Werktag. Nur die sonst tägliche Wäsche fiel weg.
Knapp bei Kasse aber "wir gehen nicht betteln".
Bewundernswert wie sie mit ihrem spärlich vorhandenen Geld haushaltet. Vater stellt ihr jeden Monat seinen vollen Lohn zur Verfügung - behält nur eine Kleinigkeit für sich - was sie sehr zu schätzen weiss. Hin und wieder lässt sie uns wissen, dass dies keine Selbstverständlichkeit sei. Sie kenne viele Frauen, welche ihren Mann Monat für Monat um jeden Rappen anbetteln müssten. Wie froh sie sei, dass sie dies bei Vater nie habe tun müssen. Geld zwar immer knapp, doch hungern mussten wir nie. Für eine neue nötige Anschaffung wird gespart bis das Geld dafür reicht. Weder beim täglich vorbeifahrenden Milchmann noch im "USEGO-Lädeli", oder beim Bäcker wurde je ein Kredit-Büchlein "zum aufschreiben" hinterlegt. Alles muss cash bezahlt werden. "Wir gehen nicht betteln", ihre Angewohnheit. Begreiflich dass bei uns, vor allem für die Ältesten, die Teilnahme an Vielem - Sport, Badi, Pfadilager, Schullager, usw. - nicht möglich war. Keine neuen Kleider, kein Haarschneiden beim Coiffeur für uns Mädchen: "Mit deinem ersten Lohn kannst du dann von mir aus, deine Haare schneiden", Mutter's Antwort auf mein Bitten in der Pubertät. Damals waren Kurzhaar-Frisuren grosse Mode. Alle wollten sich ihrer Zöpfe so schnell wie möglich entledigen. Ich auch. Langes offenes Haar galt als ungepflegt. Heute genau das Gegenteil. Mutter würde den Kopf schütteln. Sie hat ihr Haar nie geschnitten, trug es immer schön geknotet im Nacken. Nie wäre sie mit offenen Haaren unter die Leute gegangen.  
Für 2 besondere Anliegen setzte sie ihre ganze Energie ein:
1- Ihre 3 Mädchen sollen nicht das gleiche Schicksal erleben wie sie, keines eine Fabrik je von innen sehen müssen. Jedes soll einen Beruf erlernen dürfen. Ziel erreicht, ihre Freude und Stolz damals gross: 2 Krankenschwestern und eine Lehrerin.
2- Jedes ihrer Kinder soll, je nach Talent und/oder Wunsch, ein Musikinstrument spielen dürfen. Blockflöte - bei jedem von uns das erste Instrument - wurde in den Schulen gelehrt und gefördert. Dazu in Dulliken das Glück, die von der Schule gratis angebotenen Klavier-und Violinstunden nutzen zu können. Ich wählte Klavier wie mein älterer Bruder. Meine erste Schwester Violine, die Jüngere wieder Klavier, usw. Ans Strahlen meiner Mutter, wenn wir zu Hause kleine Heimkonzerte spielten, werde ich mich zeitlebens erinnern. Uns zusammen Musik spielen sehen, ihre grösste Freude. Nur Handharmonika durfte keines lernen. Diese übertöne alle feineren Instrumente. Privater Musikunterricht hätten sich unsere Eltern nie leisten können. Und doch: mit 13 oder 14 durfte ich ein Jahr bei einer Frau das Zupfen der Mandoline erlernen. (s. Kapitel "Freie Zeit, Ferien" Seite: "Musikinstrumente spielen")
Sie konnte auch verschwiegen sein, selbst Vater gegenüber.
Gewöhnlich besprach sie unsere Wünsche, Anfragen oder Anliegen zuerst mit Vater bevor sie uns ihr Zugeständnis gab. Und soviel ich mich erinnere, ging jedes von uns zuerst zu ihr, ich auf jeden Fall. Wirklichen, echten Zugang zu Vater habe ich nie gefunden. Mit ihm gings nie über "small talks" hinaus, leider.... Heute bedaure ich das sehr, hatte damals einfach keine Ahnung wie ich ihn ansprechen könnte. Er blieb mir.... fremd. War er etwa "schüchtern" so wie ich? Wusste auch er nicht wie mich ansprechen, wie den "Draht" zu mir finden? Ein Erbe von ihm, meine langjährige Schüchternheit?
Einmal jedoch, und daran erinnere ich mich ganz genau, hat sie einen meiner Wünsche nicht mit Vater besprochen, im Voraus wissend dass Vater seine Zustimmung nie geben würde: mein erster Kinobesuch. Um die 14 oder 15 muss ich gewesen sein als ich Andere vom Film "das Tagebuch der Anne Frank" schwärmen hörte. "Gluschtig" haben sie mich gemacht, den wollte ich auch sehen. Vorsichtig, darauf achtend dass sie grad nicht gestresst ist, näherte ich mich ihr: "Mutti, erlaubst du mir, den Film zu sehen der grad im Kino läuft?" Langes Nachdenken ihrerseits. Bedeutet dies jetzt "Nein"? Ungeduldig denke ich: so wird es sein, nichts "darf" ich. Schliesslich ein langes Seufzen: "Ja, du darfst gehen, ich erlaubs dir, aber diesmal darf Vater nichts davon wissen, er würde es nicht erlauben". Doppelt glücklich war ich: hier der Kinobesuch, dort ein Geheimnis nur zwischen Mutter und mir. (Vater ein Schnippchen geschlagen.) Er hat es auch später nie erfahren. Der Film hatte mich tief beeindruckt und für lange Zeit nicht losgelassen. War ja auch der erste Film den ich je gesehen hatte. 
Manchmal, wenn Mutter mal grad allein war und ich sie unter 4 Augen sprechen konnte - sehr selten - fühlte ich mich derart wohl, dass ich seufzte: "Mutti, wäre ich doch nur dein einziges Kind!" Was hätte sie anderes darauf sagen können als: "Würdest du dann deine Geschwister nicht vermissen? Du spielst doch auch gerne mit ihnen."....
Kaum 15 hegte ich den Wunsch, nach der obligatorischen Schulzeit für ein Jahr in der französischen Schweiz Französisch zu lernen. Wieder wendete ich mich direkt an Mutter. Sie sah dieses Projekt sofort positiv, verlor keine Zeit mit Abwägen, sondern machte sich gleich auf die Suche nach einer geeigneten Stelle für mich. Diesmal hatte sie Vater aber eingeweiht, von ihm jedoch als Antwort nur ein Schulterzucken, hin-und-her "trämpeln" erhalten. Ich war dabei.  
 
Was sie besonders gut konnte und gerne tat
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4.1.  Meine Eltern – Meine Mutter Olga, geborene Spielmann.

Was sie besonders gut konnte und gerne tat
Lesen oder stricken?...... Nein, stricken und lesen.  
Meine Mutter hat leidenschaftlich gern gelesen (bin froh, dies von ihr geerbt zu haben). Ihre eigene Mutter sah nicht gern, wenn eine ihrer 3 Töchter einfach so dasass und las, was vor allem meine Mutter tat: "Du sitzt herum, liest ein Buch, stiehlst dem Herrgott die Zeit, geht gar nicht". Mutter will trotzdem lesen, denkt sich einen Trick aus um von ihrer Mutter beim Lesen nicht ertappt zu werden: hält Strickzeug in Griffnähe während sie liest. Nähert sich ihre Mutter, schnell aufs Buch gesessen, Strickzeug in die Hand. Aber auch ihre Mutter ist nicht dumm: was verbirgt sich hinter Mutter's lahmender Strickerei? Meine Mutter sieht nur einen Ausweg: nicht stricken oder lesen, sondern stricken und lesen. Nur so kann sie das Angenehme mit dem Geforderten verbinden. Ich weiss nicht wie viele Bücher sie auf diese Weise gelesen hat. Aber eines weiss ich: bis ins hohe Alter strickte sie sozusagen mit verbundenen Augen so schnell, wie ich es seither nie mehr bei jemandem gesehen habe. Die Nadeln wie eine Maschine klappernd, liess sie das gleichzeitige Lesen nur bei schwierigen Mustern aus. Einem meiner Brüder - konnte nur Wollsocken tragen, wohnte damals weit entfernt - hatte sie in der Zeit von nur einer Woche 8 Paar Wollsocken - 16 Socken! - gestrickt. 
Kaum Geld zum Kleiderkauf, aber nähen kann sie. 
Dauernd hat sie genäht. Ihre "Necchi"-Nähmaschine (italienische Marke), ihr ganzer Stolz. Sie stand im Wohnzimmer in der freien Ecke neben dem Kachelofen, immer griffbereit. Was hat Mutter nicht alles darauf genäht!... Keine elektrische Maschine. Sie funktioniert über ein Tretpedal welches ein grösseres Rad antreibt. Dieses Rad durch ein Gummiband mit dem kleinen Antriebsrad oben an der Maschine verbunden. Treten mit den Füssen, die Hände frei zum Nähen. So funktioniert diese Maschine. Viel später kauften meine Schwestern eine "Bernina", elektrische Nähmaschine. "Probier doch mal elektrisch zu nähen", ermuntern sie Mutter. Doch Mutter konnte nichts damit anfangen. Die elektrische Maschine arbeite ihr viel zu schnell: "Der Stoff springt mir davon", hörte man sie jammern. Hoffnungslos gab sie auf und blieb bis zu ihrem Tod ihrer "Necchi" treu. Alles hat sie auf dieser genäht. Wenn ich einige Fotos meiner Kindheit betrachte wird mir klar: Farbe und Schnitt der 3-Mädels-Kleidchen lassen auf die Herstellung durch meine Mutter schliessen. Das gleiche für die Einkleidung meiner 3 jüngsten Brüder zur goldenen Hochzeit unserer  Grosseltern. Alle 3 in Weiss (s. unter Fotos). Der Stoff: leere Reissäcke aus Leinen von der USEGO (gutes Recycling). Aus ihrem Hochzeitskleid schneiderte sie mein weisses Kleid zur Erstkommunion. 
Dazu Berge an Wäsche, die geflickt werden muss.
Der Korb im Wohnzimmer gefüllt mit defekter zerrissener Wäsche, leerte sich nie ganz. Auch wenn nur ein Knopf fehlte landete das Stück in diesem Korb. Ihre "Ruhe"-Zeit verbringt Mutter neben diesem Korb: Sie flickt und flickt während sie uns bei den Hausaufgaben behilflich ist, oder beim Spielen zuschaut. Einzige Ausnahme: das an vielen Abenden monotone Beten des "Rosenkranz". Da sass dann auch sie, ganz ins Gebet versunken in ihrer Ecke: "Gegrüsst seist du Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir.... Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns arme Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes." Wieder und wieder, 50-mal, 100-mal.
Später in ihrem Leben hat sie weiter geflickt. Diesmal die Kleider ihrer Grosskinder. Meine Schwägerinnen durften ihr ganze Pakete zerrissener Wäsche oder anzupassenden Kleidern vorbeibringen. Sie flickte oder änderte alles, verlangte nie einen Rappen dafür!
Und immer wieder Briefe schreiben. 
Viele viele Briefe hat sie mir geschrieben, überallhin wo ich grad lebte. Meine Geschwister sagen dasselbe. Auch ihnen habe sie viel geschrieben wenn sie von zu Hause weg waren. Sie schrieb gut und gern und ausführlich. Jeder Brief mit den immer gleichen Worten endend: "Dein Engel möge Dich beschützen!" Etwas beschämt muss ich heute gestehen: keinen einzigen Brief von ihr habe ich behalten. Telefonieren war zu jener Zeit teuer, vor allem ins Ausland wo ich die meiste Zeit lebte. Während meiner Zeit in Thailand (1985-1988) kosteten Anrufe aus der Schweiz ein Vermögen, purer Luxus. Mir wurde gesagt, der Anruf aus der Schweiz anlässlich des plötzlichen Todes meines Vaters (Jan. 1988) habe zwischen 60.- und 70.- Franken gekostet. Für eine Gesprächsdauer von vielleicht höchstens 5 Minuten. 
 
 
Schöne Kleider und Schuhe, wenn denn das Geld dafür da wäre.....
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4.1.  Meine Eltern – Meine Mutter Olga, geborene Spielmann.

Schöne Kleider und Schuhe, wenn denn das Geld dafür da wäre.....
Für besondere Anlässe trug sie gerne schöne Kleider. Oft nähte sie sich diese selbst. Im Alltag zu Hause Schürzen ihr "Markenzeichen". Sobald wir Mädchen gross genug waren um ihr in der Küche oder sonst wo zu helfen, tadelte sie uns umgehend wenn wir ohne Schürze daher kamen: "Zieh einen Schurz an, du hantierst mir nicht in der Küche ohne Schürze. Ich bin die, die nachher wieder deine beschmutzten Kleider waschen muss".
Sie hatte einen besonderen Blick für schöne Schuhe. Überhaupt schaute sie Vorbeigehenden meistens zuerst auf die Schuhe, glaubte erkennen zu können ob es Bally-Schuhe waren. Sie habe vor ihrer Hochzeit nur Bally-Schuhe getragen, erzählte sie uns oft, nicht ohne Stolz. Einige Paare überdauerten etliche Ehejahre, da sie diese nur zu besonderen Anlässen trug. 
Geschminkt hat sie sich nie, Lippenstift oder Nagellack nie vorhanden, nie hätte sie Geld dafür ausgegeben. Vor ihrer Heirat trug sie eine saloppe Kurzhaar-Frisur. Nach der Heirat hat sie ihre Haare nie mehr geschnitten. Zeit ihres Lebens trug sie diese als Knoten im Nacken. Auch da, denke ich, verzichtete sie auf einen Coiffeur-Besuch um das Haushaltgeld nicht zu arg zu strapazieren.
Hosen tragen?........ tabu!
Hosen hat sie nie getragen. Hosen damals, bis etwa Mitte der 1960-er Jahre bei Frauen undenkbar, um nicht zu sagen, verpönt. Ich selber erinnere mich wie schräg und unweiblich ich die ersten Frauen in Hosen fand. Heute so selbstverständlich weil praktisch - vor allem im Winter - konnte ich mir damals nicht vorstellen, später selbst mehrheitlich nur noch Hosen zu tragen. Von Vater, besonders darauf bedacht seine Mädchen vor dem "Hosen-Virus" zu schützen, ein klares "Nein" zu dieser neuen Mode. In gleicher Weise "schützte" er uns Mädchen auch vor dem "Badekleid-tragen": er wolle nicht dass wir halb nackt in der Badi herumliefen. Also nie Badi für die Mädchen, bis wir dann in der Bezirksschule schwimmen lernen mussten/sollten (Mehr davon im Kapitel: Bezirksschule). Trotzdem boten Sport oder Wandern eine gute Gelegenheit das Hosentragen auch bei uns nach und nach einzuführen, wie folgende Geschichte zeigt als meine jüngste Schwester - von uns drei die Rebellin, ich hätte mich nicht getraut!! - listig Vaters Verbot umging:
1964: Vorabend der 2-tägigen Chorreise ins Lötschental. Wandern auf dem Programm.
Meine Schwester: "Ich zieh für diese Reise Hosen an, wir werden in den Bergen wandern".
Vater: "Kommt nicht in Frage. Wenn du Hosen anziehst komm ich nicht mit".
Meine Schwester nachdenklich bedrückt: "Darf ich so weit gehen, ihm diese Reise verunmöglichen, indem ich stur auf meiner Absicht beharre?"
Bald kommt ihr eine waghalsige Idee. Sie zögert nicht: Am Morgen der Abreise steigt sie Rock-tragend in den Zug. Vater schmunzelt zufrieden. Die Reise kann losgehen. Auf halbem Weg verschwindet sie aufs WC. Kommt ja vor, dass man im Zug auch mal muss. Kurze Zeit später kommt sie ..... Hosen-tragend zurück, der Coup gelungen. Vater kann nur noch den Kopf schütteln. Die Reise hat er dennoch genossen, kein weiteres Gezänk mit meiner Schwester. Mehr noch, der Bann war gebrochen, Hosentragende Frauen ab diesem Ereignis immer weniger ein Problem für ihn.
 
 
Vaters Herkunft, sein Leben vor der Hochzeit
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4.2.  Meine Eltern – Vater Emil.

Vaters Herkunft, sein Leben vor der Hochzeit
Emil von Däniken, am 9. Dez. 1910 als 3. von 6 Kindern geboren, der 3. von 5 Buben - das 6. und letzte Kind seiner Eltern ein Mädchen - wuchs auf einem Bauernhof mit viel Land und Kühen in Erlinsbach (SO) auf. Sein Vater ein Bauer, im Nebenamt Sigrist der katholischen Kirche. Seine Mutter geb. Wittmer, sei eine sehr fromme Frau gewesen. Mehr weiss ich nicht über sie. 
"In die Bezirksschule wirst du mir nie gehen!"......
.....tönte es - wie bei meiner Mutter - auch von Vater's Vater nach 6 Schuljahren. Vater sei ein guter Schüler gewesen. Selber hatte er dies nie gesagt, aber Mutter meinte, er hätte noch bessere Noten gehabt als sie. Daher sei auch Vater mit guten Voraussetzungen zur Prüfung für die Aufnahme in die Bezirksschule angetreten. Wie meine Mutter besteht auch er die Prüfung. Aber wie ihr, sei ihm anschliessend das gleiche Schicksal widerfahren: Sein Vater verbietet ihm den Eintritt in diese Schule. Nur der Grund ein anderer: seine zwei älteren Brüder hätten damals die Bezirksschule schon besucht, dort aber so schlechte Manieren angenommen - vor allem betreffend Fluchen - dass nicht auch noch der 3. Sohn im gleichen Fahrwasser "schwimmen" sollte. 
Für's Erste bei einem Schuhmacher angestellt.
Na, dann halt nach Abschluss der Primarschule eine Stelle suchen. Vater fand sie bei einem Schuhmacher. Ein-zwei Jahre glaub ich, ist er bei diesem geblieben, bis dieses Geschäft aus finanziellen Gründen aufgegeben wurde. Während dieser Zeit hatte er das Schusterhandwerk so gut gelernt, dass er später ohne Mühe unsere Schuhe flicken konnte. Nie mussten wir die Dienste anderer Schuh-Flicker in Anspruch nehmen. In der Werkstatt im Keller, stand seine Leder-Nähmaschine sowie ein Dreifuss aus Stein; je ein Fuss für 3 verschiedene Schuhgrössen. Der entsprechende Schuh, Sohle nach oben, wird darauf fixiert, und die Sohle kann durch eine neue ersetzt, oder abgelaufene Absätze mit metallenen Plättchen beschlagen werden.  
Sein Traumberuf wäre eigentlich Bauer gewesen…...
Sein grosser Wunsch, seine Hoffnung für die Zukunft ist die Übernahme des Bauernhofes seines Vaters. Eine Zeitlang sieht es auch danach aus, auch wenn ihm der Hof nie direkt versprochen wurde. Aber dass immer mal wieder davon die Rede war wusste er, liess ihn hoffen. Dann eines Tages die böse Überraschung: am Sterbebett seiner Mutter stehend hört er von ihr: "Der Hof soll dem Zweitgeborenen gehören" (Vater ist der 3.) Die genauen Umstände dieser Bestimmung seiner Mutter kenne ich nicht.
(Hätte dich gerne bis ins Einzelne darüber ausgefragt lieber Vater. Hättest mir aber wahrscheinlich, deiner Zurückhaltung treu bleibend - "dem Frieden zulieb" - nicht alles gesagt.) Was ich weiss: diese Bestimmung seiner Mutter bleibt für Vater lebenslang seine grösste Enttäuschung. Schliesslich findet er als Magaziner seine neue, für die nächsten 40 Jahre definitive Stelle bei USEGO in Olten/Wangen, .
Theaterspielen konnte er auch.
Vater sei sehr gut im Theaterspielen gewesen, meinte Mutter oft. Er habe nach seinem Erfolg in der Hauptrolle des "Nullerl" eine Anfrage für eine längere Mitwirkung beim Stadttheater Aarau erhalten. Habe diese aber abgelehnt, weil er aus Prinzip keine unmoralischen Rollen spielen wollte.
Sanatorium-Aufenthalt in Davos.
Als junger Mann, etliche Jahre vor seiner Hochzeit wurde er krank. Mit einem Darmverschluss habe es begonnen. Darm-Tuberkulose die offizielle Diagnose. Also ab nach Davos zur Kur für die nächsten 6-12 Monate (wie lange genau erinnere ich mich nicht). Er selbst hat selten bis nie darüber gesprochen, was ich weiss - und das ist wenig - von Mutter erzählt. Auf jeden Fall blieb er deshalb vom Aktivdienst während des Krieges verschont und musste anlässlich der General-Mobilmachung 1940 nicht einrücken. Hingegen Zivildienst habe er geleistet.



(1) in jüngeren Jahren: v.links nach rechts: Onkels: Oskar, Arnold, mein Vater Emil, Onkel Anton und Hans, und noch die Jüngste, meine liebe Tante Helen
in jüngeren Jahren: v.links nach rechts: Onkels: Oskar, Arnold, mein Vater Emil, Onkel Anton und Hans, und noch die Jüngste, meine liebe Tante Helen

 



(2) Vaters Familie mit 3 Schwägerinnen und ihren Kindern. Von o.l, Onkel Oskar, mein Vater, Tante Helen, Onkel Hans, Tante Rosa mit Onkel Anton (mein Götti), Onkel Arnold. Von u.l.: Tante Anna mit klein Pia, Grossvater Arnold, mit klein Rosmarie, Grossmutter Berta, Tante Emma mit klein Emma.
Vaters Familie mit 3 Schwägerinnen und ihren Kindern. Von o.l, Onkel Oskar, mein Vater, Tante Helen, Onkel Hans, Tante Rosa mit Onkel Anton (mein Götti), Onkel Arnold. Von u.l.: Tante Anna mit klein Pia, Grossvater Arnold, mit klein Rosmarie, Grossmutter Berta, Tante Emma mit klein Emma.

 

 

 

 

 
Wie ich ihn erlebte
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4.2.  Meine Eltern – Vater Emil.

Wie ich ihn erlebte
Ein pflichtbewusster, unermüdlicher "Chrampfer" als Magaziner bei USEGO Olten. Die Aussage eines Arbeitskollegen kurz vor seiner Pensionierung beweist es: "So wie der schuftet wird's nach ihm keiner mehr tun. Wenn der mal geht, müssen sie an seiner Stelle 2 oder gar 3 Neue einstellen".
Ein stiller Mann, denkt viel nach, redet wenig. Empfand ich ihn deshalb als unnahbar?  Wenige bis keine Ambitionen welcher Art auch immer. Einfach der Ernährer seiner Familie.
Wirkliche Nähe und Anerkennung als Tochter fand ich nie bei ihm, vermisste sie lange Jahre, mal mehr mal weniger schmerzlich. Hoffte und suchte sie z.B. bei Priestern, Beichtvätern oder anderen Beratern zu finden - ohne den geringsten Widerstand meinerseits, von diesen emotional abhängig werdend - natürlich alle Mühe erfolglos. Ein Fass ohne Boden ist's. Dieses hätte nur (damals noch mit Boden) von Vater selbst, und nur in jenen bestimmten Jahren "gefüllt" werden können. Erkenntnis welche mir nach und nach - nach vielen Täusch- und Ent-Täuschungen - geschenkt wurde und für welche ich, trotz nie versiegender Sehnsucht, unendlich dankbar bin. (By the way: Gibt es überhaupt menschliches Leben ohne Sehnsucht? Ist diese nicht vielmehr sogar des Lebens Triebfeder?) 
Spielt es überhaupt eine Rolle für ihn, dass ich da bin? Vielleicht einfach Hilflosigkeit seinerseits? Erstaunlich wie wenige Erinnerungen ich bezüglich meines Vaters habe. Habe ich sie verdrängt? Damit meine ich nicht Erinnerungen wie: Vater als Familienvater - er hat unglaublich viel für seine Familie getan - sondern Vater-und-ich persönlich. Mutter hatte es einmal so ausgedrückt: "Als ganz kleine Kinder konnte er gut mit euch umgehen, hat euch geschaukelt, auf seinen Knien gewippt, aber sobald ihr älter wurdet war er mit seinem Latein am Ende". Keine Anklage gegen ihn, nur Bedauern: hätte es nicht auch anders sein können? Aber - kann man sich hinterher fragen - sah es in jenen Jahren nicht in vielen Familien ebenso aus? Väter, vom industriellen Boom der Nachkriegsjahre verschluckt, frühmorgens weg, abends abgekrampft, müde bis zum Umfallen heimkehrend, die sogar Samstag arbeiten mussten wie mein Vater. Die Industrie verschlang mindestens dreiviertel ihrer gesamten Lebenszeit. Kaum zu Hause wartete der Garten auf ihn, kaputte Schuhe mussten geflickt werden, oder Reparaturen gemacht im Haus.
2018: Schön zu sehen, wie sich heute junge Väter einen "Vatertag" pro Woche herausnehmen. Wie sie ganz selbstverständlich Kinderwägen schieben, Säuglinge im Tuch auf ihrer Brust tragen und vieles mehr - wie es einige meiner Neffen oder Männer meiner Nichten tun.

"Ich will kein schlechtes Wort über Papst, Kirche, Pfarrer, oder Kritik am "rechten" Glauben hören". Oder: "Darüber reden ist unanständig" (Wenn von Sexualität die Rede war).
Solche Aussprüche kommen mir als Erstes in den Sinn. Dazu dieses Bild: Es ist Abend, wir alle sitzen um den Tisch in der Stube, jedes irgendeiner Beschäftigung nachgehend - Hausaufgaben beenden, lesen, stricken, auch mal spielen. Mutter, Flickzeug in der Hand neben dem mit zerrissener Wäsche gefüllten Korb. Vater in die Zeitung vertieft etwas abseits sitzend, müde wie jeden Abend, immer mal wieder kurz einnickend. Am Tisch wird erzählt, diskutiert, disputiert, gestritten. Vater hasst Auseinandersetzungen, meldet sich selten bis nie zu Wort, ausser..... ausser, ein diskutiertes Thema wird ihm plötzlich "zu heiss". Sofort wird er, auch wenn er grad ein Nickerchen macht, hellwach (hört also doch alles!), beugt sich nach vorn: "Ich will kein schlechtes Wort über den heiligen Vater hören usw. (s. oben), oder "darüber reden ist unanständig". Mit seinen Sätzen: "Das sagt man nicht" oder "das ist unanständig", ist das betreffende Thema schnell erledigt, keine weitere Diskussion möglich. Auch wenn er Flüche oder unschönes Reden hört - "dä Chaib", "dä Siech" - fährt er hoch. Da auch ich eher zu denen gehöre die Auseinandersetzungen meiden, wenn nicht gar hassen, mische ich mich selten ein. Zudem, wer hört schon auf mich, ein Mädchen, in einer vor allem mit Männern (Brüdern) besetzten Diskussionsrunde?
Wie schon gesagt, Vater war ein stiller Mann. Man benötigte einen langen Atem, um ihn aus seiner Stille zu locken; sogar unter Seinesgleichen, wie ich es oft an Familienfeiern feststellte. War er still, weil zu denen gehörend die "zuerst denken und erst dann reden", während viele einfach drauflos schwätzen bevor sie denken? Und wer wartet schon gern beim Argumentieren, Diskutieren auf einen zuerst Nachdenkenden? Zu Hause musste Mutter ihn aus seiner Stille holen, wenn er, nach ihrem Ermessen, zu lange schwieg: "Sag jetzt endlich mal was!", wenn es um eine wichtige Entscheidung ging. Denkt er zu lange nach, weil er sich nicht engagieren, keine Verantwortung übernehmen will? Ich weiss es bis heute nicht. Auf jeden Fall setzt er Mutter in solchen Momenten in Rage: "Immer muss ich alles selbst entscheiden, alles hängt an mir!" Wenn ich Mutter in ihrer Wut unterstützte, Mutters Anklage gegen ihn aggressiv wiederholte, heizte sich die Atmosphäre erst recht auf. In solchen Momenten verschwand er ohne ein weiteres Wort, verzog sich in den Garten oder in seine Werkstatt. Und bei mir meldeten sich Schuldgefühle.....
Glücklich bin ich, wenn er an regnerischen Sonntagen mit uns spielt. Was haben wir nicht alles miteinander gespielt: Jassen, Monopoly, Elfer raus, Eile mit Weile, Halma. Unvergessliche Momente, wie das von Zeit zu Zeit gemeinsame Singen.
Abends gegen 19 Uhr zu Hause, hört sich Vater als Erstes Mutter's Tagessorgen an. Die Rede vor allem über speziellen Ungehorsam oder sonstigen Unfug während des Tages, meistens seitens meiner Brüder. Vater soll denjenigen bestrafen. Er teilt nie Schläge aus, höchsten Klapse oder den Teppichklopfer auf den Hintern, und das nie auf einen "blutten" Hintern. Schläge auf den „Blutten“ hätte er bestimmt - Folge seiner prüden Einstellung zu jeglicher Form von Nacktheit - als unanständig empfunden.
Hin und wieder schickt er uns zur Strafe für eine Weile in den Keller. Als kaum 15-Jährige tat er dies zum letzten Mal mit mir. An den Grund erinnere ich mich nicht mehr. Vielleicht weil ich die Strafe, noch als 15-jährige in den Keller gestellt zu werden als derart demütigend empfand, dass ich den Grund dafür einfach vergass oder verdrängte. Die grosse Schwester vor den Augen der jüngeren Geschwister in den Keller gestellt....... Au weiahhh!
Wie schon gesagt, ein in sich gekehrter Mann, schweigsam, nachdenklich, umso mehr betend, je mehr die Welt, nach seinem Empfinden, zu zerbrechen schien. Seine Angst 1962, als ein Atomkrieg drohte, fast greifbar. Nach seinem täglichen Zeitung-lesen wussten wir wie es um die Welt stand noch bevor er etwas darüber verlauten liess: Er ging umher, auf und ab, Kopf gesenkt: "Oh-je, oh-je", oder "aber-au, aber-au, es wird bald einen Atomkrieg geben" seufzend, "Beten wir dass es nicht dazu kommt". Viele Abende hindurch haben wir, besonders in jener Zeit noch öfters, den Rosenkranz gebetet.
Vater und sein Glauben an Verschwörungstheorien oder Prophezeiungen aller Art.
Solche "Propheten" haben dann Hochkonjunktur wenn vieles im Umbruch ist, die Welt zu zerbrechen droht. Einer seiner Arbeitskollegen - ebenso einer seiner Brüder - schien sich besonders gut auszukennen in Prophezeiungen oder "Voraussagerei". Vater lässt sich anstecken. Seine Angst vor einem weiteren Krieg oder Schlimmerem wird durch seine Gespräche mit diesem Kollegen (oder mit seinem Bruder) bestätigt, sein Gebet wird umso intensiver. Mal kam er nach Hause mit der Nachricht: "Ich erlebe den Weltuntergang nicht mehr, aber ihr Kinder werdet ihn erleben". Ein anderes Mal, es werde eine dreitägige Finsternis über die Erde hereinbrechen. (Beim Räumen unseres Elternhauses fanden wir tatsächlich noch mindestens 15 Liter Petroleum in Flaschen vor, die er damals gehamstert hatte für den Fall dass….) Oder er kam nach Hause mit der Nachricht: "Die Muttergottes ist in X-Y erschienen, ich will dorthin pilgern, dieses Wunder sehen und für den Frieden beten". Mutter muss ihn jedes Mal durch Zureden zurückhalten und zum Verstand bringen. Erst mit ihrer Aussage, er solle doch bitte daran denken, dass der Papst dieses Wunder noch gar nicht anerkannt habe - heisst, als gültig erklärt - hatte sie Erfolg. Er pilgerte nirgendwo hin.
Seinem Chef ein Neugeborenes melden? getraute er sich nicht. Hemmungen? Warum? Angst vor dummen Sprüchen von Arbeitskollegen? Nach der Geburt eines weiteren Kindes hatte er - hatte die Familie - Anrecht auf Erhöhung der Kinderzulagen. Das wusste er. Kommt er sich bei seinem Chef als Bettler vor, wenn er ihm ein Neugeborenes meldet? "Wahrscheinlich ist es das", nahm Mutter ihn in Schutz, "er getraut sich einfach nicht"; wenn sie ihr Unverständnis nicht verbergen konnte, nachdem von ihm auf ihre Frage: "Hast du es dem Chef gemeldet?" nur ein kurzes: "Ich hab's vergessen" zurückkam und sie selbst, von zu Hause aus, seinem Chef den Familienzuwachs melden musste.


 

 

 

Seine herausragenden Eigenschaften
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4.2.  Meine Eltern – Vater Emil.

Seine herausragenden Eigenschaften
"Er raucht nicht, er trinkt nicht, rennt keinen Frauen nach, er betet…"
Jedes Mal, wenn Mutter in Vater's Abwesenheit laut über ihn klagt - "er hilft mir nicht genug" oder "schon wieder muss ich eine Entscheidung allein treffen" - beendet sie ihre Klage mit einem Seufzer, und um Vater bei uns zu entschuldigen fährt sie weiter: "Aber das Gute bei ihm ist: er raucht nicht, er trinkt nicht, hat keine andere Frau, er betet für uns. Dass er für uns betet ist mir das Wichtigste. So soll es auch für euch sein." 
Ein stiller, ernster, frommer Mann. Ernsthaftigkeit bei ihm vorherrschend, besonders wenn es darum ging, ein gottgefälliges Leben zu führen. (Man macht doch keine Witze über den Herrgott, die Kirche, den heiligen Vater (Papst), den Pfarrer...) Kein ungeziemendes Verhalten oder Ausschweifungen jeglicher Art. Anständigkeit, sei es in Kleidung oder Auftreten, oberstes Gebot: Scharfes Hingucken ob unsere Röcke lang genug waren. Als das Fernsehen auch bei uns Einzug hielt, bei gewissen Unterhaltungssendungen tanzende, halbnackte Frauen (Ausspruch Vater) den Bildschirm bevölkerten, guckte er zuerst erzürnt weg, dann mit hochrotem Kopf doch wieder hin.....
2018: Abschweifende Gedanken: was würden wohl meine Eltern heute zur weiblichen, allgegenwärtigen sommerlichen Badestrand-Bekleidung (Warum eigentlich die Männer nicht?) in Strassen und Städten sagen? Wahrscheinlich so etwas wie: Schrecklich, das ist Sodoma und Gomorrha bei uns. Ich meine: das Pendel schlägt immer von einem Extrem ins andere, von Prüderie zu Ausschweifung ....... und zurück. Es scheint einfach den Mittelweg nicht zu kennen. Vielleicht werden wir in 50 Jahren voll angezogene Frauen und......blutte Männer sehen?

Wenn er singt, strahlt er.
Wie Mutter, sang auch er überaus gern. Sobald er singen konnte hellte sich seine Miene auf. Nicht selten verwandelte sich dann seine sonst ernsthafte Zurückhaltung in ein verschmitztes Lächeln. Und er strahlte regelrecht, wenn er die Bassstimme eines Gesangsstückes besonders gut beherrschte. Ungefähr 2 Monate vor seinem Tod erhielt er die Auszeichnung für "60 Jahre Chorsingen". Das heisst, er hat seit seinem 17. Lebensjahr ununterbrochen in einem Kirchenchor gesungen. Er musste schon krank sein, um je die wöchentliche Chorprobe auszulassen. Dazu sang er noch jeden Sonntag in der Kirche. Weil auch seine 4 Brüder gut und gerne sangen, gab es an jedem Familienfest den gleichen Ohrenschmaus zu hören: "der Chinesenmarsch". Jedes Mal freuten sich alle auf dieses Stück, forderten es ein, sollte es mal vergessen gehen. Vater sang es mit seinen 4 Brüdern. Mit den Jahren gesellten sich auch meine Brüder zu ihnen (die nächste Generation). Heute singen es meine 5 Brüder an jedem Familienfest. Zaghaft stellt sich jeweils auch der eine oder andere Neffe dazu, die nächste Generation. Rückblickend kann ich sagen: Meine glücklichste Zeit in der Familie waren Momente des gemeinsamen Singen-Musizierens. Leider waren diese viel zu selten.... wie jedes Glück...! Während 2 Jahren sangen 6 von uns gleichzeitig im Chor, alle 4 Chorstimmen vertreten. Wir konnten also zu Hause ein 4-stimmiges Lied zum Besten geben. Das war dann eine Wucht: Vater Bass, 2 Mädchen Sopran, eines Alt, 2 Brüder Tenor. Solche Momente bleiben mir unvergesslich! Ich lechzte danach (heute noch...).
Gärtner und Schuhmacher/-flicker.
Vor allem im Sommer/Herbst gab es im Garten viel für ihn zu tun. Durch das Jahr hatte er auch immer wieder Schuhe geflickt. Das konnte er sehr gut. Überhaupt fiel ihm jegliches  Handwerk leicht, wenn er denn nicht zu müde dafür war......


(1) Vater, einen Monat vor seinem Tod am 15. Jan. 1988
Vater, einen Monat vor seinem Tod am 15. Jan. 1988

 

 

 
 
Der plötzliche Tod meines Vaters
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4.3.  Meine Eltern – Tod der Eltern.

Der plötzliche Tod meines Vaters
Nur einen Monat nach seinem 77. Geburtstag ist Vater am 15. Jan. 1988 plötzlich gestorben. Wahrscheinlich eine Hirnblutung. Mit dem Herzen hatte er nie Probleme. Hingegen wurde ihm 16 Jahre zuvor ein gutartiger Hirntumor entfernt. Nach dem Eingriff erholt er sich gut, lebt ohne Beschwerden bis er wenige Jahre vor seinem Tod so etwas wie epileptische Anfälle bekommt. Mit der Zeit häufen sich diese: Plötzliche Bewusstlosigkeit und Aufwachen mit Erbrechen. An jenem Abend hingegen..... wacht er nicht mehr auf. 
So hat man mir seinen Tod erzählt.
An jenem folgenschweren Tag lebte ich schon über 2 Jahre in Thailand. Kein Telefon im Haus. Unsere Nachbarin - nur Thai sprechend – ruft uns um 07:30 ans Telefon in ihr Haus. Kann zeitlich kaum aus der Schweiz kommen (01:30), wird ein Anruf für diejenige sein, welche in diesem Land genug Bekannte hat, um einen Anruf am Morgen zu erhalten, geht mir durch den Kopf. (mehr Details im Kapitel "Thailand") Doch der Anruf kommt aus der Schweiz. Mein jüngster Bruder am Apparat. Mutter und Schwestern hätten in der Küche ein spezielles Abendessen vorbereitet um den Geburtstag - 15. Jan. - einer der Schwestern gebührend zu feiern. Vater habe sich, entgegen seiner Gewohnheit, spontan zu ihnen in die Küche gesetzt und ihnen beim Kochen zugeschaut. Plötzlich sei er vornüber gekippt, habe den Kopf am Herd aufgeschlagen und sei am Boden liegen geblieben. Mutter, im Glauben er werde nach seiner Bewusstlosigkeit - wie jedes Mal beim Aufwachen - erbrechen, habe schnell ein Becken geholt. Doch diesmal sei er nicht mehr aufgewacht. Ein inzwischen eingetroffener Bruder - zur Geburtstagsfeier der Schwester gekommen - habe sofort mit der Beatmung begonnen, ohne Erfolg. Der herbeigerufene Arzt habe nur noch seinen Tod feststellen können.
Lieber Vati, ich erinnere mich an den Abschied von dir vor meiner Ausreise nach Thailand. Entgegen deiner Gewohnheit, mich an der Haustür zu verabschieden, hattest du mich bis zur Bushaltestelle begleitet. Ahntest du, dass wir uns nie mehr sehen würden? Lange bist du dort stehen geblieben, hast mir nachgewinkt bis der Bus deiner Sicht entschwand. Dein Leben war kein Leckerbissen. Hast uns/mir gegeben was du geben konntest. Hast mir das weitergegeben was dir selbst in deinem Leben gegeben oder eben nicht gegeben wurde, aber bestimmt alles was in deiner Macht stand. Ohne dich wäre ich nicht. Das genügt und das werde ich nie vergessen.
 
 
Auch Mutters Tod kam eher unerwartet
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4.3.  Meine Eltern – Tod der Eltern.

Auch Mutters Tod kam eher unerwartet
Meine Mutter ist am 30. Juni 1999 87-jährig gestorben.
Ungefähr zwei Jahre vor ihrem Tod wird sie zunehmend vergesslicher. Vergisst eine Pfanne auf dem eingeschalteten Kochherd oder vergisst zu essen, weil sie glaubt sie habe schon gegessen. Einige Monate vor ihrem Tod muss sie wegen Atemnot ins Spital: Wasser auf der Lunge, die Ursache dafür wird nie gefunden. Sie erholt sich, kann wieder nach Hause. Eine meiner Schwestern wohnt bei ihr, ist jedoch arbeitshalber während der Woche erst am Abend da. Eines Abends findet sie Mutter mit blutunterlaufenem Gesicht, hinuntergestürzt, am Fuss der Treppe vor. Das Mass ist voll. Eine Lösung muss gefunden werden. Damals war es keinem von uns 8 möglich sie bei sich aufzunehmen. Bei mir hätte sie zwar gut wohnen können - in jenem Jahr eine 3-Zimmer Wohnung - aber auch ich, arbeitshalber tagsüber abwesend. Also hätte sie sich in meiner Wohnung erst recht fremd und allein gefühlt.
10 Tage vor ihrem Tod ins Heim.
Wir hatten keine andere Wahl! Wie wird Mutter ihren Eintritt ins Pflegeheim verkraften? Wird es für sie wirklich kein Problem sein, wie sie es Jahre zuvor immer mal wieder behauptete? Sie kennt das Heim gut, hatte dort oft Bekannte besucht. Nun also ist ihre Zeit gekommen. Aber Mutter ist nicht mehr die gesunde Frau von damals, welche die Perspektive einmal in einem Heim leben zu müssen, nicht störte. Jetzt müssen wir ihr diese Tatsache so schonend wie möglich beibringen. Ich übernehme diese Aufgabe. Meine Schwester bringts nicht über's Herz, also verbanne ich sie auf ihr Zimmer, sie soll sich dort ausruhen während ich die Vorbereitungen treffe. Aufatmend verschwindet sie. Nie werde ich den Tag vergessen an dem ich mit Mutter unser Haus verliess. Ihr Haus, in dem sie 50 Jahre gelebt, gearbeitet, geliebt, gesungen hatte. Sie weint nicht. Sie könne es einfach mal für ein paar Tage ausprobieren mit dem Heim - log ich ihr - nachher würden wir weitersehen. Zum Glück sieht sie meine Tränen nicht.....
Nur 10 Tage nach ihrem Heimeintritt stirbt sie still und allein.
Als die Pflegerin sie an jenem Morgen begrüsst lebt sie noch. Nach nur kurzer Abwesenheit und Wiedererscheinen der Pflegerin jedoch, habe Mutter nicht mehr geatmet. Darauf waren wir nicht vorbereitet, alle 8 geschockt. Keines von uns anwesend bei ihrem letzten Atemzug. Dann einen noch grösseren Schmerz als die Pflegerin uns erzählt, wie Mutter sich nach ihrem Heimeintritt mehrere Abende in Folge in der Nähe des Liftes hingesetzt habe, nicht ins Bett gehen wollte. Und jedes Mal wenn man sie gebeten habe ins Bett zu gehen - sie sei doch sicher müde - habe sie geantwortet: "Ich warte hier, eines meiner Kinder wird mich bestimmt holen kommen". Auch zu meinen Schwestern habe sie mal gesagt: "8 Kinder habe ich gross gezogen und bei keinem darf ich jetzt sein". Alles Zureden und Erklären unserer jeweiligen Situationen konnte sie nicht überzeugen. Schuldgefühle: War es der forcierte Heimeintritt, welcher ihren Tod beschleunigt hat? Würde sie vielleicht noch leben, wenn ich 2 Wochen Ferien genommen und bei ihr zu Hause verbracht hätte? Solche Gedanken gehen einem in solchen Situationen schon durch den Kopf. Nur nicht dran hängen bleiben.... Schliesslich hat uns der Arzt mitgeteilt, ihre Lunge sei erneut voll Wasser gewesen, sie habe wieder unter Atemnot gelitten. Es war ihre Stunde. 
Liebe Eltern,
danke Vati, danke Mutti! Ihr habt uns mit eurem schnellen plötzlichen Sterben - sterben müssen wir schliesslich alle... - viel Mühsal erspart. Wenn man Menschen sieht, lange dahinsiechend, unerträgliche Schmerzen leidend, bevor sie endlich erlöst werden, habt ihr uns mit eurer Art zu sterben ein letztes grosses Geschenk gemacht.
Erhaltener Kommentar:
13.04.2016 - 16.00 Uhr, von Gertrud Hug-Suhner
Was für eindrückliche und liebevoll beschriebene Elternportraits! Man sieht und spürt die Eltern und das Familienleben beim Lesen. Bravo!

Kindheit - erste Erinnerungen.
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5.  Kindheit - erste Erinnerungen.
Sehr spärlich sind sie, meine ersten Erinnerungen. Dass ich meine zwei ersten Lebensjahre, zusammen mit meinem um ein Jahr älteren Bruder, in einer klitzekleinen Wohnung im Bauernhaus von Vaters Eltern, in Erlinsbach SO gelebt habe, wurde mir natürlich gesagt. Genau wie mir gesagt wurde, dass meine Grossmutter es nicht lassen konnte an meiner Mutter herumzunörgeln, und dies obwohl sie eigentlich des Evangeliums Nächstenliebe hätte intus haben sollen, ging sie doch jeden Tag um 6 Uhr früh in die Messe. Zu ihrer Verteidigung muss gesagt werden, dass sie des Priesters Latein-Gemurmel gar nicht verstehen konnte, und in katholischen Häusern suchte man damals vergebens nach einer Bibel.
Alsdann wurde meine Mutter, dank ihrer nächsten Schwangerschaft, insofern von ihrer Schwiegermutter befreit, als mit dem 3. Kind eine grössere Wohnung unabdingbar wurde. Meine Eltern fanden sie im gleichen Dorf. In dieser Wohnung lebte ich bis zu meinem 5. Lebensjahr. Sie lag an der direkten Strasse nach Gösgen. Wie diese Wohnung aussah? Davon bleibt mir nicht die leiseste Erinnerung. Das Quartier wurde "Steinenbach" genannt weil die Grundstücke an der hinteren Seite an einen Bach grenzten.
Wenn schon eine erste klare Erinnerung, dann an diesen Bach, wo ich mich mit meinem Bruder sehe: "Geh, such Steine, ein bisschen grosse, ich will einen Damm bauen". Aber ihm zuschauen war interessanter als Steine suchen. In seinen Augen waren es eh nie die richtigen. Also musste er selbst suchen und ich wartete.
Und dann war da noch Vaters Mahnung: "Passt auf, Hornissen fliegen herum, ich habe ein Nest gesehen, wenn die euch stechen tut es nicht nur sehr weh, ihr könntet an ihrem Stich auch sterben". 

Scharfes Bremsen, Mutter's Schreie
Und einmal muss ich da einfach so auf die Strasse gerannt sein: Ich erinnere mich an plötzliches Quietschen von Reifen, gefolgt von angstmachendem Geschrei. Eine entsetzte Passantin packt mich fest am Arm, reisst mich von der Strasse. Jetzt höre ich Mutters’s Schreie, durch das Quietschen der Reifen und die Schreie der Passantin aufgeschreckt.
 
 
"Wachset und mehret euch"
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5.1.  Kindheit - erste Erinnerungen. – "Wachset und mehret euch".
Ein Bruder, eben der Josef (Josef und Maria), lebt schon seit einem Jahr "in diesem Jammertal" (Text eines Kirchenliedes), als ich dazukomme. 2 Schwestern im folgenden Jahr (keine Zwillinge), geht ja auch wenn eine am 15. Januar und die andere am 30. Dez. geboren wird. Schliesslich noch 4 Brüder, wobei der Abstand zwischen den Schwangerschaften vom einen zum andern etwas zunahm. Mutter musste ihre eheliche Pflicht erfüllen, ihr Gewissen hätte es ihr nicht anders erlaubt. Später erst, als ich etwa 15 war erzählte sie mir, wie schwer sie ihr Los empfunden habe, in nur 13 Jahren 9 Schwangerschaften auszutragen, mit 8 lebenden Geburten. Und wie jede Geburt, ausser meiner, jedes Mal schwieriger gewesen, wie der Arzt ihr immer wieder empfohlen habe, doch unbedingt ein paar Jahre zu warten. Ängstlich habe sie Monat für Monat die Blutung herbeigesehnt. Traf diese ein, sei sie erleichtert gewesen. Meldete sich wieder eine Schwangerschaft, habe sie halt auch dieses Kind wiederum als Geschenk Gottes angenommen. Eine effektive Methode zur Schwangerschaftsverhütung konnte sie mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren. Verhütung mit Hormonen (Pille, usw.) war damals (40-er/50-er Jahre) noch in weiter Ferne. Auch wenn es sie schon gegeben hätte, Mutter hätte sie nie angewendet. "Was die Kirche anordnet muss eingehalten werden, sonst wartet in der Ewigkeit mindestens das Fegefeuer"...... so Mutters Glaube. Zu ihrer Zeit kannte sie sehr wohl die Ogino-Knaus-, sogenannte Temperatur-Methode. Bei dieser muss eine Frau jeden Morgen vor dem Aufstehen ihre Temperatur messen. Diese erhöht sich bei bevorstehendem Eisprung und bleibt in den nachfolgenden fruchtbaren Tagen hoch. Muss aber eine Mutter nachts ein- oder mehrmals aufstehen - weinende Kinder - wird diese Methode weniger verlässlich, da sich die Temperatur durch nächtliche Unruhe verändert. Dass sich eine ihrer Schwägerinnen mit 26, nach ihrem 3. Kind unterbinden lässt, kann sie weder verstehen noch gutheissen. "Guter Rat ist teuer", damals auch für meine Mutter. Sie ist mit ihrem "Latein" am Ende, muss sie sich eingestehen. Aber wohin, an wen sich wenden? An wen kann sich eine römisch-katholische Frau wenden, wenn sie römisch-katholisch beraten werden will? "Der Pfarrer! Der kann mich bestimmt gut beraten". Also los, und so hat sie es mir, als ich etwa 15 war erzählt: Nach dem 4. Kind sei sie zu ihm gegangen. Er habe ihr folgendes geraten: "Ihr Mann ist doch ein guter Schläfer, bestimmt schläft er auch schnell ein. Gehen Sie deshalb einfach nach ihm, viel später ins Bett". Aha, darum also - wie ich es in den 50-er Jahren Tag für Tag erlebte - ging meine Mutter immer so spät schlafen, meistens nach Mitternacht, und nicht (nur) der vielen Arbeit wegen.... Geholfen hat's nicht viel.... 20 Monate später gebar sie ihr 5. Kind. Auch diesmal noch lange nicht das letzte.
6. Geburt zu Hause, 6-einhalb war ich, hab was gesehen...... 
An einem Sonntag um die Mittagszeit schwirrt die Hebamme umher - Küche, Elternschlafzimmer, wieder Küche, Becken mit warmem Wasser, Tücher, Tücher - plötzlich zaghaftes, helltönendes Schreien. Er ist da, der neue Bruder. Gebannt bleibe ich vor der Tür zum Elternschlafzimmer stehen. Ein kleiner Spaltbreit nur kurz geöffnet die Tür, die Hebamme jetzt erst recht umherschwirrend. Da sehe ich Mutter's nackten Unterleib von der Seite, ihre Beine aufgestellt. Rotes schimmert da und dort. Sie muss bluten. Bin perplex. Was bedeutet das? Angst um Mutter. Mit niemandem spreche ich darüber. Fühle mich schuldig, dort gestanden, gehorcht, geguckt zu haben. Bestimmt hätte man mich fortgejagt, wenn ich entdeckt worden wäre. Nacktheit kannte ich nicht, weder bei Mutter noch bei Vater, schon gar nicht bei Vater. Der huschte sogar im Nachthemd schleunigst davon, wenn zufällig eines von uns auch musste, wenn er musste. Mutter's Brüste, die hab ich gesehen, hat sie doch alle ihre Kinder lange gestillt. Für mich, die Zweitälteste, während etlichen Jahren immer wieder schöne Momente des Zusehens und Dabeistehen; hören wie die Kleinen schmatzen.... so lieblich. 
Der nächste Bruder nachts um 1 Uhr, wieder Hausgeburt.
"Ein Engel hat uns wieder ein Büblein gebracht", Vater's Weckruf am Morgen jenes 27. Mai 1952. Nach diesem dann 2 1/2 Jahre später noch der Jüngste. Mutter diesmal zur Geburt im Spital: 10 Tage Erholung für sie, wie sie später immer wieder sagte. Es seien ihre einzigen Erholungstage überhaupt gewesen. (Damals blieben Frauen nach einer Geburt 8-10 Tage im Spital) Ich freue mich auf diesen Jüngsten. Den kann ich jetzt bestimmt im Kinderwagen spazieren fahren, bin schliesslich schon 11. Kann ihn auch wickeln, Mutti hat es mir gezeigt. Zuvor hatte ich zum ersten Mal ihren dicken, schweren Bauch wahrgenommen. Hatte bis dahin, und danach noch lange Jahre, keine Ahnung, wie und wo da ein Kindlein rauskommen könnte. Ob Mutter mir je gesagt hat, im Bauch sei eines drin, weiss ich nicht mehr. Ich mag mich nicht erinnern, je darüber Fragen gestellt zu haben.

November 1956, bin eben 12 geworden: Todgeburt eines Schwesterchens.
 

Mutter, 43, ein letztes Mal schwanger. Diese letzte Schwangerschaft, nur ein Jahr nach dem Jüngsten, für uns drei Mädchen besonders aufregend, hoffen wir doch inbrünstig es möge noch ein Mädchen werden. Wieder und wieder beschwören wir Mutter: "Gell Mutti, es wird ein Mädchen". Mit 5 Brüdern eh schon in der Minderheit, würden wir wenigstens etwas aufholen. Die Schwangerschaft ohne Probleme, abgesehen davon, dass sich das Röteln-Virus vom Jüngsten auf Mutter überträgt. Der herbeigerufene Arzt - sorgenvolles Gesicht - spritzt ihr Gamma-Globuline um das Ungeborene zu schützen. Es ist bekannt, Röteln während der Schwangerschaft kann ein Ungeborenes schädigen (vor allem Blind-oder Taubheit). Zwei Tage vor meinem 12. Geburtstag ist es so weit, Mutter geht ins Spital. Kann mich kaum halten vor Aufregung: "Ich will, dass es genau an meinem Geburtstag auf die Welt kommt", versuche ich den Himmel zu beschwören. Ein Tag vergeht, zwei, drei, vier, fünf Tage vergehen - und mein Geburtstag mit ihnen. Jeden Abend Vater's immer gleiche Aussage: "Es kommt nicht, die Wehen nicht stark genug, was sie für Morgen beschliessen, weiss ich nicht". Die Geburt 5 Tage nach meinem Geburtstag: ein Mädchen! Ein totes Mädchen! Weinen, wehklagen, alle sehr bedrückt. Brigitte soll es heissen. Mutter lässt es im Spital taufen. Ja, sogar Tot-Geborene werden bei Himmel-Hölle-Vorhölle-Erbsünde-Gläubigen getauft. Der liebe Gott wüsste sonst nicht wohin mit ihnen,...... müsste sie allenfalls wieder zurückschicken. Warum nicht ER selbst sie von der Erbsünde rein waschen? Davon hat er nun aber wirklich keine Ahnung. Mutter will - entgegen der damaligen Gewohnheit, Todgeborene einfach in irgendeinem Sarg mit menschlichen Überresten vom Op-Saal, etc. zu entsorgen - dass das Kleine in einem Mini-Sarg auf dem Friedhof des Dorfes beerdigt wird. Wir alle stehen voll und ganz hinter diesem Wunsch. Wie könnte es auch anders sein? Niemals würden wir akzeptieren, dass es einfach "entsorgt" wird! Unser Wunsch wird erfüllt. Und alsbald stehe ich, mit Vater und Geschwistern vor dem offenen Grab, und sehe mit nassen Augen zu wie sich der kleine weisse Sarg langsam in die Erde senkt. Jahrelang steht ein kleiner Grabstein auf dem Grab; eingemeisselt die Inschrift: "Brigitte, 16. Nov. 1956", darunter eine geknickte Blumenknospe. (Heute wird dieser Stein im Garten meines Bruders Guido aufbewahrt.) Wenn Mutter besonders grosse Sorgen hatte ging sie zu Brigitte: "Ich geh zum Grab, Brigittli soll uns helfen, und sie wird uns helfen", sagte sie jeweils.
Einige Jahre später hat mir Mutter erzählt, wie inkompetent die Hebamme mit ihr umgegangen sei. (Mutter musste es ja wissen - nach 8 Geburten....) Das Fruchtwasser schon abgelaufen, die Wehen noch zu schwach, die Nacht gleich da und diese Frau sei einfach hinaus gehuscht, beim Gehen noch murmelnd: "Da sind 8 durchgekommen, da wird auch das 9. durchkommen". Einziger kleiner Trost für meine Mutter: der Gedanke, Brigitte könnte eventuell doch geschädigt gewesen sein (Röteln): "Gott hat es wieder genommen. Vielleicht war es behindert, blind oder taub. Er wollte mir nicht noch ein behindertes Kind zumuten".
 


der heilige Antonius hilft bestimmt
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5.1.  Kindheit - erste Erinnerungen. – "Wachset und mehret euch".

der heilige Antonius hilft bestimmt

Ein Haus sollte es sein, für die sich rasant vermehrende Familie. Und dazu möglichst nahe Vater's neuem Arbeitsplatz bei USEGO Olten. Wird das möglich sein bei Vater's kleinem Einkommen? Vater hoffte, den Bauernbetrieb seines Vaters in Erlinsbach weiterführen und den Hof übernehmen zu können, was ihm zuerst auch zugesichert wurde. Am Sterbebett seiner Mutter vernahm er von ihr diese ihn niederschmetternde Nachricht: der Hof soll ihrem zweiten Sohne zufallen (Vater der Dritte). Anscheinend hatte sie "die Hosen an", denn der Vater (mein Grossvater) getraute sich nicht, die resolute Frau umzustimmen. Dazu lag sie ja auf dem Sterbebett (etwas böse gesagt:gibt es einen besseren Moment den eigenen Willen doch noch durchzusetzen?). Wer hätte sich ihr entgegenzusetzen getraut? So viel ich mich erinnere hat sich Vater selten bis nie über diese, seine grosse Enttäuschung geäussert. Was ich weiss kommt aus Mutters Mund. Trotzdem wage ich zu sagen, vermutlich hat ihn diese Enttäuschung für sein weiteres Leben solcherart niedergeschmettert und gezeichnet, dass er sich nie mehr ganz davon erholen und aufrichten konnte. Vielleicht daher seine "Null-Ambitionen"? Vielleicht deshalb kein "Aufstieg" für ihn bei USEGO? Blieb er doch dort seine ganzen 40 Arbeitsjahre "nur" ein einfacher Magaziner.

Grad 5 bin ich geworden, als wir von Erlinsbach nach Dulliken umzogen.
Dulliken, ein sogenanntes Vorstadt-Dorf von Olten. Relativ kurzer Arbeitsweg für Vater, welchen er jahrelang per Velo bewältigte. Erst ungefähr die letzten 10 - von insgesamt 40 Jahren bei USEGO - mit seinem "Töffli". Die Akquisition dieses Hauses in Dulliken sei ein wahres Wunder gewesen, so der gemeinsame Ton meiner Eltern. Eigentlich kein Geld vorhanden, um ein Haus zu kaufen. Das Verkäufer-Ehepaar Schenker beabsichtigte, das Haus, wenn möglich einer kinderreichen Familie – 5 Kinder waren wir inzwischen - zu verkaufen und setzte den Preis dementsprechend niedrig an. Nach der Erzählung meiner Mutter hätten sie und Vater als 32-igste Interessenten das Haus besichtigt. Kaum über die Schwelle beim Eingang getreten, überrascht sie eine Statue des hl. Antonius. Da stand er, in der Kurvenecke des Treppenhauses zum ersten Stock, 1 Meter gross. Mutter erzählte uns von ihrem Staunen und ihrer Freude, als sie von diesem Heiligen auf solche Weise empfangen wurden. Sie "flippt" aus: "Tage- nein, wochenlang habe ich diesen Heiligen um ein gutes Heim für unsere Familie angefleht und nun steht er da, scheint mir zu sagen: 'Da, ich habe dich gehört, bekommst dein Haus'." Nun ists an der Verkäuferin "auszuflippen": "Tatsächlich, kaum zu glauben, auch wir hatten nämlich diesen Heiligen gebeten, unser Haus einer guten Familie zu ermöglichen." Der erste Kredit kam dann von der USEGO.
Ein Reihenhaus aus den 1920-er Jahren mit 5, verglichen mit heutigen Verhältnissen, kleinen Zimmern: Wohnzimmer, Elternschlafzimmer, Bubenzimmer, Mädchenzimmer, noch ein kleines Zimmer, Küche, Estrich, Keller, kein Badezimmer, einziges WC im untern Stock, ohne Lavabo. An der Westseite des Hauses ein grosser Schopf. Waschmöglichkeiten, Zähneputzen nur in der Küche möglich, "baden" im Keller/Zuber. Die Buben schlafen mehrere Jahre zu fünft im Zimmer, 2 im gleichen Bett. Wenn einer von ihnen das Bett nässte - und einem geschah dies immer wieder - war der Bemitleidenswerte neben ihm Co-Bettnässer. Er lag einfach drin, musste die Nässe bis zur Erlösung am Morgen, "solidarisch" mit dem Bruder teilen. Wir Mädchen zu dritt, 2 im gleichen Bett. Ich ein Bett für mich allein. Und weil es oben kein WC gab, floss es des Nachts in den Nachttopf unterm Bett.
Mit Holz und Kohle wurde geheizt. Der Herd in der Küche jeden Morgen zu frühester Stunde von Mutter angefeuert; jahrelang, auch die viele Jahre später eingebaute Zentralheizung wurde noch mit Holz und Kohle befeuert. Im anschliessenden Wohnzimmer der von der Küche her beheizte Kachelofen. Einzige Wärmequellen im Haus während vielen Jahren. Darum fleissig Kirschen essen, ihre Steine sammeln, Kissen nähen, sie mit den Steinen füllen. Ausgelegt auf der warmen Kachelofenbank, warten sie darauf, uns im Bett zu wärmen, schmerzende Glieder, Bauchweh (Kolik, Menstruationsschmerz) erträglicher zu machen. Im Wohnzimmer wurde nie gegessen. Dafür war die Küche da, wenn auch klein. Aber es reichte für Tisch und 10 Taburettli (Hocker ohne Rückenlehne). Das Wohnzimmer mochte noch so klein sein, die "Herrgottsecke" durfte auf keinen Fall fehlen: In einer Ecke aufgehängtes grosses Kreuz mit dem gemarterten, blutenden Jesus. An der Wand daneben ein ebenso grosses Herz-Jesu Bild. Mutter wie Vater nahmen oft Zuflucht zum heiligsten Herzen Jesu. Dieses wird bei frommen Katholiken bis heute im Monat Juni, dem "Herz-Jesu"-Monat, oder auch an jedem ersten Freitag im Monat, besonders verehrt. Hiess bei uns abends, statt den Rosenkranz zu beten, die Herz-Jesu Litanei (so eine gibt’s nämlich) herunterleiern. In der Ecke der Eckbank stehend (unter dem Kreuz), eine grosse Statue der Jungfrau Maria mit offenen, empfangenden Händen. In der Einen den Rosenkranz, damit wir auch wirklich nie dieses Gebet zu beten vergessen. Wenn möglich versuchte Mutter Blumen hinzustellen, was aber oft in der Katastrophe umgestossener Vasen und Nässe endete.
Der Einbau einer Gasheizung viele Jahre später - ich war schon ausser Haus - wäre fast am Widerstand von Mutter gescheitert: "ich will nicht über einer tickenden Bombe leben". Seitens meiner Geschwister kostet es einiges an Überzeugungsarbeit - "heizen mit Gas, seit langem erprobt, hat nichts mit einer tickenden Bombe zu tun" – bis sie endlich zustimmt.
Fenstergeschichten und hinausschauen.
Alle Fenster sind mit Fensterläden aus Holz versehen (ausser die beiden Dachluken im Estrich). Besonders im Winter müssen diese abends unbedingt geschlossen werden, die spärliche Wärme im Haus muss so gut wie möglich erhalten bleiben. Eine zusätzliche Isolierung bringt das jährliche Montieren von Vor-Fenstern. In der warmen Jahreszeit gestapelt im Keller, müssen sie vor ihrer Montage im Herbst geputzt werden. Vater - später auch meine Brüder - tragen sie anschliessend eins nach dem andern in die Wohnung hoch. Eine sperrige Angelegenheit: 2-"türige" Fenster, Oberfenster, Fensterrahmen, alles an einem Stück. Dementsprechend auch die eigentliche Montage ausserhalb des normalen Fensters eine knifflige Angelegenheit. Das Abmontieren im Frühling einfacher. Für eine noch optimalere Isolation sorgten zirka 1m lange/15 cm breite mit Holzspan gefüllte Stoffschläuche; von Mutter genäht und mit Span gefüllt. Im Zwischenraum von Fenster/Vor-Fenster platziert halten sie noch einiges mehr an Kälte zurück, besonders bei windigem Wetter gut spürbar. Der Zwischenraum ein "Kühlschrank" für Butter und Milch.
Schlafzimmerfenster-Sicht
Zwischen unserem und des Nachbarn Haus steht ein Kirschbaum, unser Kirschbaum. Kiloweise konnte ich seit ich wieder in der Schweiz lebe, und bis vor wenigen Jahren - Haus und Garten inzwischen verkauft - seine guten Kirschen geniessen. (Wie hatte ich doch diese herrlichen Früchte damals in Thailand vermisst....!) Direkt neben dem Kirschbaum, Flieder. Jedes Jahr zur Zeit der Kirschenernte, wenn es abends lange hell bleibt, sehe ich bis heute dieses Bild vor mir: Im Bett bei offenem Fenster, schönes Wetter, milde Luft, Fliederduft. Abends, nach seiner Arbeit, Vater die Leiter hochsteigend zum Kirschen pflücken. Um seine Taille, an einem Lederriemen baumelnd ein kleiner Korb. Wir Mädchen um diese Zeit meistens schon im Bett. Ein leichtes Kopf-heben und ich kann Vater beim Pflücken zusehen. Kann mich sogar mit ihm unterhalten, ihm etwas zurufen und ihn antworten hören. Wohliges Gefühl von Geborgenheit.
Wohnzimmerfenster-Sicht.
Unserem Nachbar zuschauen wie er Sonntag für Sonntag sein Auto zuerst einseift, dann wäscht und abreibt bis es glänzt. Ob es so was wie sein Auto während ca. einer Stunde von Hand waschen und polieren, heute noch gibt? Hin und wieder macht Vater seinem Ärger Luft: "Er geht nicht zur Kirche wäscht dafür sein Auto" brummt er. Sonntage damals, absolute Ruhetage. Sogar Bauern durften das Heu nur im Notfall einbringen, wenn z.B. ein Gewitter drohte oder nasses Wetter bevorstand.
Heute sage ich: wir 8 Kinder hatten unglaubliches Glück in einem Haus - dann noch mit Garten - aufzuwachsen. Wir konnten streiten, lärmen, herumtollen, singen, Musik spielen: kein Nachbar entrüstete sich. Mutter musste bei ihrem täglichen Arbeitspensum nicht auch noch dauernd rufen: "Leiser! Denkt an die Nachbarn!" usw. Wenn mich heute meine Nachbarin fragt, ob mich der Lärm oder das Schreien ihrer zwei kleinen Kinder störe, beruhige ich sie jedes Mal: "Stört mich überhaupt nicht, Kinder dürfen Kinder sein. Sie bringen Leben in unseren Wohnblock". Wenn ich unsere Kindheit in einem Haus als Vergleich nehme, tun mir alle in Wohnblocks aufwachsenden Kinder irgendwie leid.



(1) Unser Haus in Dulliken (SO). Letztes Foto, bevor wir es 2015 zum Verkauf ausschrieben.

Unser Haus in Dulliken (SO). Letztes Foto, bevor wir es 2015 zum Verkauf ausschrieben.


(2) Januar 2016: Hausverkauf: Definitiver Abschied vom Kachelofen.

Januar 2016: Hausverkauf: Definitiver Abschied vom Kachelofen.

 

"Kleine Kinder, kleine Sorgen. Grosse Kinder......"
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5.2.  Kindheit - erste Erinnerungen. – "Kleine Kinder, kleine Sorgen. Grosse Kinder......".
"In einer Familie mit vielen Kindern, erziehen sich die Kinder gegenseitig", höre ich meine Mutter. Zusammen singen hellt dunklere Tage auf. Wir taten es oft und gern. Mutter begann zu singen, wenn sie meinen trotzigen Widerstand gegen "soll- und muss"- Mithilfe im Haushalt feststellt. Gut, dann sang halt auch ich beim Geschirr trocknen oder der ganzen Familie Schuhe putzen. Es half tatsächlich, die Zeit schien schneller zu vergehen. Sogar mein Ärger über die Tatsache, dass für diese Arbeiten immer nur wir Mädchen beauftragt wurden und ein Bub nie ein Geschirrtuch in die Hand nehmen musste, floh in andere Gefilde. "Die Buben haben andere Aufgaben", so Mutter. Die Rollenverteilung von klein auf perfekt.... Wenn ich hingegen das Mädchenzimmer putzen musste, keine Widerrede, wusste ich doch, im Zimmer würden Bücher oder aufbauende Zeitschriften herumliegen, welchen ich nie widerstehen konnte. Bei uns jede Woche "der Sonntag" vom Walter-Verlag, Missionszeitschriften wie "die Stadt Gottes" der Steyler Missionare. Oder den jedes Jahr unterm Weihnachtsbaum liegenden "Mein Freund"-Kalender vom Walter-Verlag (Gegenstück zum reformierten "Pestalozzi"-Kalender, bei uns natürlich tabu). Er gefiel mir besonders wegen seiner kindergerecht erzählten wissenschaftlichen Erklärungen z.B. über das Tierreich, das Universum, Sterne und Planeten. An Letztere erinnere ich mich besonders gut, musste sie immer und immer wieder lesen und mir die Bilder dazu ansehen. Wenn Mutter zum Mittagessen ruft, sieht das Zimmer meist genau so aus wie ich es betreten hatte. Besen und Flaumer dösten vor sich hin, waren dem Malträtieren einmal mehr entgangen. 
Übrigens, mein Lieblings-Liederbuch "Chömed Chinder, mer wänd singe" (Glaube man kann es heute noch finden) war nicht nur der Lieder wegen, sondern auch durch die Bilder einfach der Plausch: jedes Lied in ein Stimmungsbild eingebettet: ein Frühlingslied - Text samt Noten - mitten in einer blühenden Wiese mit blumenbekränzten Mädchen. Ein Lied zur Erntezeit in einem Bild mit Bäumen in ihren Herbstfarben, Kinder beim Äpfel auflesen. Schneelandschaft im Winter, usw. usw. Obwohl ich dieses Buch seither nie mehr gesehen habe, bleiben mir vor allem diese Bilder besser im Gedächtnis hängen als die Lieder selbst. Damals noch ohne Fernsehen oder andere (spärliche) Bilder-Medien - daher keine Überflutung mit Bildern - blieben diese umso mehr haften. Am liebsten sang ich mit wenn ich gleichzeitig die Bilder sehen durfte, was bei vielen Geschwistern und mit nur einem Buch nie ohne Gerangel, Absprache, oder halt auch mal mit Frustration vor sich ging. Lehre fürs Leben. 
Basteln.
Kaum konnte ich basteln wurde das Ausschneiden von kleinen oder grösseren Bildern aus Zeitschriften meine Lieblingsbeschäftigung. Einmal ausgeschnitten und sortiert, nähte ich sie zu Mini-Büchlein zusammen. Für das Einfädeln des Fadens in die Nähnadel fehlt mir allerdings die Geduld. Mutter ist gefragt. Mein "Werk" versetzt sie ins Staunen - ihre grossen Augen, ihr anerkennendes Kopfnicken geben mir ein glückliches Gefühl. Später auch jene, den Zeitschriften beigefügten Seiten mit Puppen samt Kleidern zum Ausschneiden. Könnte man heute irgendwie mit Barbie-Puppen vergleichen. Aus Karton damals und halt nur 2-dimensional. Einmal ausgeschnitten konnte man die Puppe je nach Fantasie bekleiden, entkleiden, anders anziehen. Was mich noch mehr begeisterte: Kartonbögen mit allerlei Häusern oder Schlössern zum Ausschneiden und kleben, bis sie in 3D erstrahlen. Zum Verkleben müssen die Ränder leicht gefalzt werden. Mit dem fein gezacktes Röllchen die Falzlinien löchern, und schon wird das Falzen zum Kinderspiel. Am Schluss die Belohnung: ein kleines Kartonhaus in 3D. Kniffliger beim Falzen sind jeweils Rundungen an Dächern oder Fassaden. Noch heute, wenn ich ein trutziges Emmentaler Bauernhaus entdecke, denke ich spontan an meine damaligen Seufzer bis ich die Rundungen unterm Dach zu meiner vollen Zufriedenheit hingekriegt hatte. Und wenn ich die Wahl zwischen einer einfachen und einer schwierigen Vorlage hatte, wählte ich spontan die schwierigere. Wollte gefordert werden. Gefordert werden fördert.
Arbeiten kann auch Spiel sein.
Im Herbst bedeuteten die obstbeladenen Bäume im Gartens viele Überstunden für Mutter. Einmachen, Sterilisieren, Konfitüre kochen, Eier zur Konservierung in Sole legen - auch unsere Hühner legten im Winter weniger Eier. Zwetschgen, Kirschen, Himbeeren, Johannisbeeren, Erdbeeren, Pflaumen, Rhabarber - alles aus eigenem Garten - werden zu Konfitüre gekocht oder müssen zum Sterilisieren vorbereitet werden. Sterilisiert werden Zwetschgen, Pflaumen, Kirschen, Birnen. Dabei zu helfen sind wir alle gefragt. Wir sitzen rund um den Tisch, jedes ein Konservierungsglas vor sich. Zwetschen und Pflaumen, zuvor halbiert und entkernt, müssen in Gläser gefüllt werden. Aber wehe sie werden einfach ins Glas geworfen. Geht gar nicht! Mit Sperber-Augen sieht Mutter - neben ihrem eigenen Tun - alles: Schön geschichtet wird alles, Platz sparend jede Rundung mit einer Gegenrundung ergänzt; möglichst ohne Zwischenräume, damit ein Glas optisch/optimal gefüllt ist. Kein Stück Obst wird weggeworfen. Ein Wurm in einer Zwetschge? "Ja was denn, den schneidet man raus!" (Mutter) Auch Äpfel, wurmstichig spontan vom Baum gefallen, werden immer aufgelesen, zerkleinert und zu Apfelmus gekocht. Im Winter assen wir sehr oft Apfelmus. Die vollen Gläser, mit Bügel verschlossen, werden im Backofen ca. 1 Stunde (oder mehr?) bis auf ein bestimmtes Grad erhitzt - wer weiss wie hoch? ich weiss es nicht mehr - nachher ist der Inhalt viele Monate haltbar. Später kauft Vater einen Dörrapparat. Äpfel und Zwetschgen können jetzt auch gedörrt werden. Dazu jede Menge Bohnen. Wieder sitzen wir um den Tisch, diesmal an Stelle eines Glases, jedes ein Dörrgitter vor sich. Darauf legen wir die zuvor in Wasser kurz aufgekochten (gebleichten) Bohnen. Äpfel werden in Schnitze aufgeteilt, Zwetschgen halbiert. Und wieder gilt: "Nichts wird einfach auf das Gitter geworfen!" Jede Bohne muss schön an ihrer Nachbarin anliegen. Alle in Reih und Glied, keine Zwischenräume. Kurze werden mit Langen, Grosse mit Kleinen ausgeglichen. Bei Apfelschnitzen oder Zwetschgen das gleiche Prozedere. Es ist wie Mosaike basteln oder wie ein Puzzle zusammensetzen. Einiges spannender als das Füllen der Gläser. Für mich nicht Arbeit, sondern Plausch, eine echte Bastelrunde. 
 
Mahlzeiten
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5.2.  Kindheit - erste Erinnerungen. – "Kleine Kinder, kleine Sorgen. Grosse Kinder......".

Mahlzeiten
Das Tag für Tag immer gleiche Frühstück bereitet Mutter am Vorabend zu. In 10 Kacheln verteilt sie Brotstücke, Vaters Kachel besonders gut gefüllt. Am Morgen, wenn die bestimmte Person erscheint, giesst sie warme Milch übers Brot, gibt einen Kaffeelöffel "Forsanose" dazu (ähnlich wie Ovomaltine, aber Ovo ist teurer) und Frühstück ist bereit. Die warme Milch bleibt bis zum nächsten Ankömmling auf der Herdplatte stehen. Gemeinsames Frühstück eher selten. Vater frühstückt als Erster, muss weg zur Arbeit, dann die Schulgänger zusammen, und später Mutter mit den Kleineren. Tischgebete nicht vergessen! auch beim Frühstück nicht, auch wenn es pressiert nicht......
Für die Hauptmahlzeit am Mittag: alle 10 gemeinsam am Tisch. Vater erscheint Punkt 12 und erwartet das Essen auf dem Tisch - muss er auch, seine Mittagszeit knapp bemessen. Wenn dem mal nicht so ist - z. B. Mutters "Grosse-Wäsche-Tag", ein Kind ist krank oder mit zerschlagenen Knien erschienen, Milch ist "übergelaufen", Essen angebrannt - trippelt er nervös umher. Tischgebet muss trotzdem sein, auch wenn die Zeit knapp wird: "Komm Herr Jesus sei unser Gast, wir danken dir für was du uns bescheret hast", und weiter: "Gegrüsst seist du Maria voll der Gnade..... Ehre sei dem Vater und dem Sohne"...... Ach, diese langen Gebete! Ich habe Hunger! Nach dem Essen ja nicht davonrennen bevor ein weiteres Tischgebet gesprochen ist. Am Nachmittag, zurück von der Schule, z'Vieri steht bereit - Brot und Konfi - Tischgebet darf nicht fehlen, vor und nach, wohlverstanden. Ein Cousin, mal bei einem unserer z'Vieri dabei, wunderte sich sehr, uns sogar vor und nach dem z'Vieri beten zu hören. Bei ihm zu Hause habe man auch vor dem Essen gebetet, dann aber sei Schluss gewesen, erzählte er mir erst kürzlich. Während der Woche essen wir höchstens an 2 Tagen Fleisch. Die Zuteilung sieht dann z.B. so aus: 2 Bratwürste auf der Platte: 3/4 der Wurst kommt auf Vater's Teller, das letzte Viertel zum ältesten Bruder. Die 2. Bratwurst schneidet Mutter in 8 Teile (Röllchen), für sie und 7 Kinder. Manchmal gibt's auch Cervelat-Salat oder "Wienerli" (1/Pers.). Wenn der Metzger "Herz-Lunge samt Luftröhre" auf Lager hat, ruft er Mutter an. Er weiss dass sie diese Spezialität gerne kauft. Ist nicht teuer, und Mutter kennt für die Zubereitung ein tolles Rezept. Mir mundet es sehr, würde es sicher heute noch tun. Doch wo "landen" solche Fleischstücke heute?!.... Eben.... Katzenfutter! "Hungern müssten wir mal wieder müssen, um zu Verstand zu kommen", höre ich die Stimme meiner Mutter. (Wir sind - bei uns hier - immer noch in den "fetten" Jahren, liebe Mutter, Nahrungsmittel Verschwendung an der Tagesordnung. Wie lange noch?) Wenn es Huhn gibt - Hühner besassen wir Zeit meiner Kindheit immer - ist das Aufteilen des Gebratenen keine leichte Sache. Natürlich interessiere ich mich für einen der beiden Schenkel, aber......wen überraschts,  einen solchen möchten alle andern auch…. es gibt nur deren zwei. Dann halt ein "Flügeli"? auch nur 2. Vater bekommt auf jeden Fall einen Schenkel. Teilen lernen, kein Leckerbissen, oft mit Tränen und Wutausbrüchen verbunden, doch.... so nützlich fürs weitere Leben. Umso mehr bleibt jeweils nicht das kleinste bisschen Fleisch oder Knorpel an Hühnerknochen hängen. Nie mehr seither bin ich je einer Person begegnet, die jeden Hühnerknochen - sogar die kleinsten - so "rübis und stübis" abnagt wie meine Mutter es fertigbrachte: Wenn auf unsern Tellern ein Knochen mit noch etwas Fleisch dran zurückbleibt - und sei's nur eine Spur - schüttelt Mutter den Kopf: "Da ist noch Fleisch dran, nag's ab sonst mach ich's". Manchen auch noch so kleinen Knochen nagt sie blanker als blank, wenn wir längstens finden es gebe daran nichts mehr zu nagen. Wenn Mutter Cervelats zu Wurstsalat zerkleinert bin ich, ihr zu helfen schnell zur Stelle, sie muss mich nicht zweimal rufen. Schaut sie nämlich mal kurz weg, schnappe ich mir schnellstens ein «Rädeli». Ich mochte Fleisch sehr, konnte davon nie genug bekommen. Heute ist das anders. Heute kaufe ich nur noch selten Fleisch. Dennoch nennen mich meine Brüder, wenn sie mich foppen wollen bis heute: "Fleischmunggi". 
An Ostern meistens Kaninchenbraten mit Kartoffelstock, mein Lieblingsessen. Doch zusehen wie Vater eines unserer Kaninchen oder Hühner tötet, nie und nimmer. Flucht ins Schlafzimmer, Ohren zu, Kopf unter die Decke. 
Gemüse oder Obst aus dem eigenen Garten gab es immer genug. Ausser Tomaten mundet mir jedes. Aber eben... Tomatensalat steht oft auf dem Tisch. Einmal esse ich davon, widerwillig wie immer auf Mutter's Befehl, bis mir schlecht wird und ich ihn erbrechen muss. Das war's dann: für lange Zeit fertig mit Tomaten. Heute bin ich mit ihnen wieder versöhnt, esse sie aber immer noch lieber gekocht als roh. Exotische Früchte wie Bananen oder Orangen gab es bei uns nie. Nur der Samichlaus brachte Mandarinen. Und doch kosteten wir von Zeit zu Zeit auch Exotisches. Dann nämlich, wenn in der USEGO zerbeulte, mit Ananas, Tuttifrutti, Spargeln, oder Ravioli gefüllte Konserven eintrafen. Ob Vater für solch "Verbeultes" etwas bezahlen musste, erinnere ich mich nicht mehr. Übrigens, Ravioli aus der Dose, damals für mich köstlich, ein Hochgenuss, schau ich heute nicht mal mehr an....
Milch, viel Milch wurde bei uns getrunken. Täglich fuhr der Milchmann vor, seine 20 Liter Kessel voller Milch - leckere Rohmilch wie man sie heute nur noch selten findet. Mit einer grossen Kelle schöpft er sie ab und füllt bis zum Rand unser 5-Liter Kessel. Kühlschrank? keiner da. Deshalb wird die Milch im Sommer sofort gekocht und dann ab mit ihr, zum kühlsten Platz im Keller. "Gekippt" ist sie dennoch hin und wieder. Doch auch "gekippte" Milch wurde verwertet, z.B. mit einem Ei verrührt, als Wähen-Aufguss. Oder man lässt sie in der Bratpfanne "ausgehen" bis Fett entsteht, welches sich z.B. zum Anbraten von Rösti gut eignet. Im Winter hingegen lassen wir sie als Rohmilch an einem kühlen Ort stehen bis sich zuoberst eine etwa 1 cm dicke Rahmschicht bildet, ein herrlicher Leckerbissen. Ungeduldig warte ich darauf, diese Schicht absahnen zu dürfen. Eine Lieblingsbeschäftigung! Die wollte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen...Keine Erklärung.... für Lesende sollte wohl klar sein warum......
Nur 4 Häuser entfernt, ein von der USEGO beliefertes "Einkaufslädeli". Da schickt Mutter uns zum Einkaufen hin. Selbst als die Migros im Dorf Einzug hält und die Waren billiger anbietet, muss Mutter der USEGO treu bleiben weil Vater bei USEGO arbeitet, und von dort - anscheinend von höchster Stelle - die Anordnung gelte, es dürfe nicht bei der Konkurrenz eingekauft werden.

 

 
"Kleider machen Leute", Leute machen Kleider
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5.2.  Kindheit - erste Erinnerungen. – "Kleine Kinder, kleine Sorgen. Grosse Kinder......".

"Kleider machen Leute", Leute machen Kleider
"Keines meiner Kinder wird je mit zerrissenen Kleidern das Haus verlassen!"
Nicht nur ein Mal hörte ich diese Devise meiner Mutter. Geld immer knapp, nie genug da für neue Kleider. Mutter, eine begabte Näherin, näht die meisten unserer Kinderkleider selbst; gut zu erkennen auf meinen hier und dort eingefügten Fotos. Zur goldenen Hochzeit ihrer Eltern hatte sie meinen 3 jüngsten Brüder, aus Leinenstoff leerer USEGO-Reissäcke, kurze Hosen und Jäckchen genäht. 3 gleiche weisse "Anzüge" (s. Foto). Ganz selbstverständlich tragen die Jüngeren die Kleider der Älteren nach, damals gang und gäbe in kinderreichen Familien. Ich als ältestes Mädchen sogenannte "Secondhand"-Kleider aus, von Zeit zu Zeit vor unsere Haustür gestellte Säcke voller Kleider. Mutter, nicht nur eine begabte Näherin, sondern ebenso begabte "Flickerin", ändert ein Kleid, flickt jedes Loch, jeden Riss an Socken oder Kleidern, und kann dies so perfekt, dass nur kurz hinguckende Blicke es prompt übersehen. Wenn ich mal maule: "nie darf ich ein neues Kleid tragen", blitzt Mutter ziemlich laut donnernd zurück: "Aber du bist mir noch nie mit zerrissenen Kleidern zur Schule gegangen. Bei mir wird nie ein Kind mit defekten Kleidern das Haus verlassen".
Erst viel später hörte ich von ihr, wie oft sie Angst gehabt habe, von der zuständigen Behörde komme jemand vorbei und nehme ihr ein Kind zum Verdingen weg. Was in den 1950-er, 60-er Jahren - sogar bis in die 1980-er Jahre hinein (siehe Kommentar) - noch häufig geschah. Als ältestes Mädchen hat es das Schicksal gut mit mir gemeint, denn verdingt wurden natürlich zuerst die älteren Kinder. Sobald die zuständige Behörde befand, dieses oder jenes Kind einer kinderreichen Familie werde vernachlässigt - was durchaus bei fehlerhafter Bekleidung angenommen werden konnte - schritt sie ein und verdingte ein Kind. Das heisst man übergab es - meistens - einem Bauern als kleines Knecht- oder "Mägdlein. Hier muss ich anfügen: Ein Glück für meine Eltern - und besonders für mich als ältestes Mädchen - dass der damalige Gemeindeschreiber von Dulliken, Herr Guido Meyer (2017 noch am Leben), meine Mutter sehr gut kannte und wusste wie sorgfältig und sparsam sie ihren Haushalt führt. Bin heute ziemlich sicher, dass er sich bei der zuständigen Behörde - nicht nur einmal - positiv für unseren Zusammenhalt einsetzte.
Schwer hatte ich's mit meinen Kleidern, fühlte mich im Vergleich zu Mitschülerinnen schlecht angezogen. Eigentlich haftet dieses Gefühl bis heute an mir - unter Frauen mich gedanklich immer mal wieder mit andern vergleichend. Oder tun dies vielleicht alle Frauen? Nur, heute leide ich nicht mehr darunter. Vielleicht deshalb weil heute - in meinen Augen - viele Frauen "lässig", manchmal geradezu "schlampig" herumlaufen, wo früher viel mehr Wert auf schöne wenn auch teurere Kleider gelegt wurde. Auf jeden Fall gehöre ich jetzt einfach zum "Mittelmass", was mir gut und recht ist. Das Gefühl, in Sachen Kleidung als Kind nicht dazuzugehören wurde verstärkt durch die Tatsache, dass ich z.B. im Frühling noch Strumpfhosen tragen musste, wenn andere Kniesocken trugen, oder im Sommer noch Kniesocken tragen musste wenn andere kurze Socken trugen usw. Oft hatte ich da protestiert! Hat nichts genützt. Mutter immer mit der Angst ich könnte mich erkälten: "Du bist mein Kind und ich sorge für mein Kind, geht mich nichts an wie es andere machen".
Ihre Angst, ich könnte mich erkälten nicht unbegründet, gab es doch in jenen Jahren noch relativ viele an Tuberkulose leidende Menschen. Hin und wieder sprach Mutter über ihre Angst vor dieser Krankheit und wie sie unbedingt verhindern wolle, dass wir uns mit diesem Bazillus ansteckten. Darum pochte sie erstens immer auf unser "warm-angezogen-bleiben", und zweitens schleppte sie uns einmal im Jahr zum "Lungen durchleuchten" zum Arzt. 

Erhaltener Kommentar vom 01.11.2015 - 12:24 Uhr:
Guten Mittag Frau von Däniken Ich bin an Ihrer Biographie lesen, sehr interessant. Super machen sie weiter so. Entschuldigung eine kleine Bemerkung, wegen den Verdingkindern. Das ging leider bis in die 80er Jahre, nur da war es anderes ausgedrückt. Ich bin selbst eine davon, leide heute noch darunter. Mit freundlichen Grüssen S.Bitterli
Sonn/Feiertage, und an einem solchen Velofahren gelernt.
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5.2.  Kindheit - erste Erinnerungen. – "Kleine Kinder, kleine Sorgen. Grosse Kinder......".

Sonn/Feiertage, und an einem solchen Velofahren gelernt.
An Sonn-und Feiertagen ist der Besuch der Messe absolutes Muss. Von mir nie, sei's auch nur im Leisesten in Frage gestellt. Auch nicht als Jugendliche. Schliesslich könne ich froh sein, in eine römisch-katholische Familie hineingeboren zu sein. Die einzig richtige Religion mit unumstösslicher Wahrheit. Mutter geht Sonntag für Sonntag zu Fuss in die Frühmesse um 7 Uhr (eine Viertelstunde). Wir mit Vater in die Hauptmesse um 9 Uhr. Und das ist noch nicht alles: Mit 8 feierte ich meine Erstkommunion. Ab diesem Ereignis durfte ich wie die Erwachsenen in jeder Messe "den Heiland empfangen". Der Hacken war, ich durfte ihn nur absolut nüchtern empfangen, was da hiess, bis 3 Stunden zuvor weder essen noch trinken. Die Hauptmesse von 9 bis halb Elf forderte von Gebote-Einhaltenden ihre Opfer und zwar bei jenen die Sonntags nicht mit der Stoppuhr in der Hand schon um 6 Uhr frühstücken wollten: Schwärze vor Augen, Zittern bis zur Ohnmacht. Sich einfach hinsetzen, weil man spürt, dass Farbiges schwarz und schwärzer wird? Viele getrauen sich nicht, was würden Nachbarn denken... Nein, weiter geht's: aufstehen, wieder hinknien, wieder aufstehen, wieder hinknien bis man froh ist, dass dich auf beiden Seiten Robustere bei beginnendem Kollaps zurückhalten. Besonders Frauen kollabierten. Hielten die sich vielleicht wirklich so streng an das Gebot? während Männer....na ja. Der Pfarrer findet solche Spektakel im Gottesdienst störend und beschliesst, im Hauptamt keine Kommunion mehr auszuteilen. Wer künftig kommunizieren will soll um 8 Uhr erscheinen: vor dem Altar hinknien, Kommunion empfangen, und weg. Punkt. Darum folgendes Sonntagmorgen Ritual für mich: Halb acht husch-husch anziehen, hinten bei Vater auf's Velo sitzen, Kirche rein, Maul auf, Zunge raus, Kommunionempfang - Handkommunion damals nicht möglich - Hostie schlucken, Kirche raus. Und ab auf's Velo nach Hause, frühstücken und wieder weg, diesmal zu Fuss (1/4 Std.) in die 9 Uhr Messe.
Hab übrigens an einem solchen Sonntagmorgen Velofahren gelernt indem ich meinem Bruder - er fuhr hinter Vater auf Mutter's Velo zur Kirche - vor der Heimfahrt vor der Nase das Velo wegschnappte und eine Runde drehte, drehen wollte. Es dauerte weder lang noch ging's weit bis ich mit geschürften Knien am Boden lag, genügte aber vollauf denn ab diesem Moment hatte ich mein Gleichgewicht auf Velo definitiv im Griff. "Solang du nicht wenigstens einmal gestürzt bist, kannst du nicht Velofahren", hatte sich also die "Prophezeiung" meiner Mutter bestätigt.
Bei schönem Wetter besuchen wir nachmittags oft die Grosseltern in Gösgen. Dulliken-Gösgen immer zu Fuss. Ungefähr 5 Km hin und ebenso viele am Abend zurück. Kaum zu Hause bin ich jeweils fix und fertig. Wie und woher Mutter die Energie aufbringt, ihrer eigenen Müdigkeit spottend, sich sofort in der Küche um das Abendessen zu kümmern, dem genervten Gezeter einer hungrigen Meute den Garaus machend, bleibt mir bis heute ein Rätsel. Bei schlechtem Wetter spielen wir ganze Nachmittage, sogar Abende: Monopoly, Eile mit Weile, Mikado, Jassen. Letzteres ganz klar mein Favorit, bis heute. Am liebsten Schieber zu sechst mit Doppelkarten.... damals. Heute muss ich froh sein, wenn ich zum Jassen angefragt werde, weil irgendwo eine Vierte fehlt. Leider (zu) selten. Auch für das Schachspiel konnte ich mich eine Zeit lang begeistern. Später weniger, die Geduld fehlt mir.
Am 6. Dezember kommen Samichlaus und Schmutzli vorbei, werden von uns immer mit dem gleichen Lied empfangen: "Lasst uns froh und munter sein und uns in dem Herrn erfreun, lustig, lustig, trallalala, heut ist Nikolaus-Abend da, heut ist Nikolaus-Abend da." Anschliessend werden jedem von uns aus einem grossen Buch Taten oder/und Untaten vorgelesen und ermutigt im kommenden Jahr braver zu sein. Was er mir zu sagen hatte? Wahrscheinlich immer das Übliche: Du sollst Mutter mehr helfen. Ging bei mir aber ziemlich schnell bei einem Ohr rein, beim andern raus. In neugieriger Ungeduld wollte ich schnellstens hören was er den Brüdern zu sagen hat. Wieviel Lob beim einen, wieviel Schelte beim nächsten? Zittern meinerseits, wenn es ernst zu werden schien: Wird ihm Schmutzli mit dem Sack drohen, ihn gar mit der Rute streifen? 
Mit Geheimnissen gefüllt, die Tage kurz vor Weihnachten.
Die Tür zum Eltern Schlafzimmer verriegelt. Das Schlüsselloch mit Papier zugestopft. Niemand darf Sicht auf den dort drin geschmückten Baum und Geschenke haben. Im Wohnzimmer bauen wir die Krippe auf. Endlich hl. Abend. Feierlich? Erst im allerletzten Moment. Bis es so weit ist bedeutet er für Mutter Stress und Ärger. Wen wundert's! Alle 8 mehr oder weniger angespannt, kribbelig, nervig. Die Kleineren mehr als die Grossen. Vater erst spät von der Arbeit zurück - Weihnachtszeit heisst Überstunden à gogo bei USEGO. Lärm, Streit, Spannung in der Luft halt ich kaum aus. Ich verzieh mich, was Mutter's Ärger wahrscheinlich noch steigert. Oder geh ich, weil sie eh schon verärgert ist? Könnte sein, so genau kann ich mich heute nicht mehr erinnern. Beim Lesen im Schlafzimmer dann Schuldgefühle. Also wieder runter in die Küche und versuchen mich an irgendeiner Arbeit zu beteiligen. Mutter "taub", nicht ansprechbar. Also bleibe auch ich stumm. Klar, sie hat recht, ich bin schuld. Keine Ahnung wie ich sie umstimmen könnte. Hilflos. Wenn Vater endlich da ist, ein gewöhnliches Abendessen, schnell verspeist. Geschirr schnell gewaschen. Alle in Erwartung des Eigentlichen. Versammlung vor der Krippe. Vater verschwindet. Mutter stimmt jedes Jahr das von ihr selbst getextete Lied an: "Oh Christkind liebs Christkind, mer plange uf dee, du allerliebst Chindli, gäll chunsch jetz de glii. Und bringsch euis der Friede und Säge und Freud, und hilfsch allne träge Schmärz, Sorge und Leid". (Melodie aus: "Ich ghöre'n es Glöggli, das lüütet so nätt..."). Während wir dieses Lied singen, klingelt es an der Haustür - natürlich Vater, vorher verschwunden. Er selbst öffnet, kommt mit Baum und Geschenken in die Stube: "Eben ist das Christkind da gewesen, es musste gleich weiter, denn noch viele warten", seine feierliche Erklärung. Einmal nur, ich muss vielleicht 6 (oder 7?) gewesen sein hat das Christkind bei uns Halt gemacht. Eine Bekannte, ganz in Weiss gekleidet (Hochzeitskleid?) betrat die Stube mit dem Baum. Alle um den Baum sitzend, liest Vater die Weihnachtsgeschichte aus der Bibel vor. Darauf singen wir bekannte Weihnachtslieder, begleiten sie mit Blockflöten, später auch mit Klavier, Geigen, Mandoline. Nur ein Lied durften wir nie singen: der Tannenbaum. "An Weihnachten betet man keinen Tannenbaum an", der Grund für dieses Tabu. (Erst vor kurzem gelesen: der Tannenbaum sei in unseren nördlichen Ländern lange vor Einzug des Christentums wegen seinem, auch im Winter immergrünen Kleid - Symbol für Unsterblichkeit, unsere unverwüstliche Sehnsucht - verehrt worden. Dieser "heidnische" Brauch dann von den Christen "verchristlicht" worden, wie viele andere bis dahin geltende Bräuche auch.) "Dürfen wir jetzt endlich die Geschenke auspacken“, ruft das eine oder andere, wenn ein Lied verstummt. "Nein, ich will noch dieses oder jenes Lied singen", tönt aus anderem Mund. Kompromisse müssen gefunden werden. Als es dann so weit ist, gibt es kein Halten mehr. Das grosse Rascheln hat begonnen. Aber eben, Geschenke gab es eher spärlich. Sachen zum Anziehen, Bücher sobald wir lesen konnten. Mein Wunsch nach einer Puppe konnte nie erfüllt werden. "Dieses Jahr reicht das Geld nicht für Geschenke", hörte ich mal per Zufall, so nebenbei, Mutter's Flüstern mit Vater. Zweimal wurden wir heimlich beschenkt. Einmal stand vor der Haustür ein Karton voller Spielsachen. Ein anderes Mal fand Mutter eine 100-er Note im Briefkasten. Bis heute wissen wir nicht wer die anonymen Gönner waren. Mit 8 durfte ich das erste Mal den Gottesdienst um Mitternacht in der Kirche mitfeiern. Ein erhebendes Gefühl, seither nie mehr so intensiv erlebt. 
Während der Karwoche wird geputzt und geschrubbt.
Wenn das Wetter es erlaubt werden Teppiche rausgehängt und geklopft. Für mich jeweils der blanke Horror. Bald meldet sich mein Arbeitstakt von selbst: abstauben-niesen-schnäuzen - wischen-niesen-schnäuzen - Teppich klopfen-niesen-schnäuzen. Dass ich unter anderem (Hasel, Birke, Erle, Esche) auch allergisch auf Staub bin, wusste ich damals noch nicht.
Am Karfreitag, Fasttag, jedes Jahr das gleiche Essen: "Vogelheu": altes Brot in kleine Stücke schneiden/zerbrechen, in der Bratpfanne in Butter rösten und mit Rührei übergiessen. Ich mag es, heute noch. Nachmittag um 15 Uhr Gottesdienst. Statt Glocken knarrende Laute: Eine "Rätsche", vor der Kirche aufgestellt, von jungen Burschen bedient. Zum Atemholen müssen sie sich gegenseitig ablösen, das Knarren darf nicht unterbrochen, die "Rätsche" immer schön gleichmässig gedreht werden. Warum keine Glocken? Die seien am hohen Donnerstag, nach der Abendmahlsfeier nach Rom geflogen, kämen genau auf die Osternacht-Feier am Samstag, geputzt und gesegnet zurück. 
Osternacht-Gottesdienst Samstag um 22 Uhr. 
Wieder knarrt es ab 21:45 (die Glocken sind ja noch nicht "zurück"). Der Gottesdienst beginnt im Dunkeln auf dem Platz vor der Kirche. Eine zuvor präparierte Holzbeige wird entzündet. Licht spendet nur dieses Feuer, um welches sich alle versammeln. Nach kurzer Ansprache und Gebet des Priesters wird die Osterkerze, eine imposante Kerze, am Feuer entzündet. Der Priester trägt sie voraus in die stockdunkle Kirche. Die Gemeinde in Prozession ihm nach, kleine, noch nicht entzündete Kerzen in Händen. In der Kirche entnehmen Messdiener Feuer von der grossen Kerze und geben es an die kleinen Kerzen weiter. Das Licht wandert von Nachbar zu Nachbar: die versammelte Gemeinde im Schein der Kerzen. Texte und Psalmen werden gelesen. Anschliessend ertönt aus Priesters Kehle - sofern er denn einigermassen singen kann, sonst sein Akolyt - das Oster-Alleluia - ein Alleluia das nur an Ostern gesungen wird. Dreimal ertönt es, jedes Mal in einer höheren Intonation. Singend wiederholt es die Gemeinde. Und plötzlich kein Halten mehr: aufbrausende Orgel in allen Registern, Glockengeläut im Vollklang, alle Lichter an, Ruf des Priesters: "Christus ist auferstanden". "Ja er ist wahrhaft auferstanden", antwortet die Gemeinde. Hin und wieder wird im Gottesdienst ein Kind getauft, manchmal auch Erwachsene. Osternacht-Gottesdienste waren und sind für mich, bis heute, wirklich spezielle Momente. Das Beste bezüglich Feiern in der katholischen Kirche (meine Meinung). Sind sie doch voller allgemeingültiger Symbolik: Dunkelheit - Licht, Feuer - Wasser (Das Taufwasser wird während der Feier aufbereitet), tiefe Besonnenheit - überschwängliche Freude, Stille - Jauchzen, usw. Meistens bin ich dabei. (Sonst eine sehr seltene Kirchgängerin.)  

 

Ängste
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5.2.  Kindheit - erste Erinnerungen. – "Kleine Kinder, kleine Sorgen. Grosse Kinder......".

Ängste
Bevor ein Radio bei uns Einzug hielt war es Vater, der über das aktuelle Zeitgeschehen aus der allabendlich gelesenen Zeitung Bescheid wusste. Noch bevor er ein Wort darüber äusserte, konnte man den Zustand der Welt an Vater's Zustand nach dem Lesen erraten: mit gesenktem Kopf umher- auf- und abgehend, "aber au-aber au" oder "oje-oje" seufzend und mit einem letzten grösseren Seufzer plötzlich stillstehend, hörten wir: "Mer müend bäte, viel bäte, es gseht schlemm uus" (Wir müssen beten, viel beten, es sieht schlimm aus). Wer wäre da nicht ins Zittern geraten so wie ich, wenn ich Vater in diesem Zustande sah? Auf jeden Fall angespannte Stille rund um den Tisch beim Nachtessen. Das Tischgebet inbrünstiger als gewöhnlich. Und wir wussten was nach dem Nachtessen wartet: das nie enden wollende Rosenkranz-Gebet in der Stube. Obwohl, wenn die Welt nach Vater's Schilderung allzu düster schien (Kubakrise, möglicher Atomkrieg), betete auch ich inbrünstiger.

Schreckliche, mir Angst einflössende Nachrichten damals:
1956 Budapest: 
Russische Truppen und Panzer zerschlagen tausende, gegen das kommunistische Regime demonstrierende Aufständische, angeführt von Imre Nagy. Letzterer wird ermordet und Tausende mit ihm. Ganze Flüchtlingsströme kommen in die Schweiz. Auch in unserem Dorf werden einige aufgenommen
1968: das Gleiche geschieht in Prag (s. Budapest)
Dort sind Dubcek und Svoboda die Anführer der Aufständischen gegen das Sowiet-Regime. Im Radio hören wir wie die Menge immer wieder diese beiden Namen skandiert. Zitternd sass ich davor. Inbrünstig wünschte ich den Beiden Erfolg gegen die Russen. Leider werden auch sie niedergeschlagen. Erneut kommen Flüchtlinge zu Hunderten in die Schweiz.
1962 die Kubakrise:
Besonders heftiges Zittern bei uns: Chruschtschow versus Kennedy: Der Russe installiert auf Kuba Raketenbasen, Kennedy gar nicht "amused", veranlasst die Kubablockade usw. (s.Wikipeda). Die Welt schrammt knapp an einem Atomkrieg vorbei. Während vielen Tagen herrscht in unserer Familie bedrückte Stimmung vor. Vater noch viel gebeugter, seufzender, kopfschüttelnder als je zuvor - "oje-oje, mer müend viel bäte". Daher abendliche Rosenkranz-Gebete à gogo. 
1963: 22. November: John F. Kennedy wird in Dallas erschossen. 
Ein Freitag: gegen 22:30 mit Vater und Schwester von der Chorprobe nach Hause kommend, empfängt uns Mutter kopfschüttelnd und bedrückt: "Sie haben Kennedy in Dallas erschossen". Riesige Hoffnungen hatten wir in diesen Kennedy bei seiner Wahl zum US-Präsidenten gesetzt, und nun das! Ich schrie: "N-E-I-N!", setzte mich, total schockiert an den Tisch, vergrub den Kopf in die Arme, glaubte meine Tränen würden nie mehr versiegen: was wird jetzt aus der Welt? Was kommt als Nächstes? Wird's der 3. Weltkrieg sein? Spricht Vater nicht seit geraumer Zeit immer wieder von Prophezeiungen, welche ihn für diese Zeit vorausgesagt hätten? 19 bin ich grad geworden... Kaum ein Jahr seither, ohne dass ich an einem 22. Nov. nicht an dieses Ereignis denke.
Angst vor Gewittern.
Wenn der Himmel über Olten (im Westen) bedrohlich dunkel wird, wenn Blitz und Donner immer heller und lauter werden, wird es still im Haus. Die Anspannung steigt. Zuerst schnell die draussen trocknende Wäsche reinholen. In jedes Zimmer spurten, alle Fenster schliessen - wo der Regen besonders hinfällt auch die Fensterläden. Den Stecker des Kochherds rausziehen. Schliesslich alle sich in der Stube versammeln. Alle unbedingt angezogen, Schuhe an den Füssen. Ist eines schon in Pyjama oder Nachthemd, einfach die anderen Kleider darüber ziehen. Mutter geht zur Haustür, öffnet sie weit und - "ja kein Durchzug, Durchzug zieht Blitze an" - alle Fenster müssen geschlossen bleiben. Wenn eines von uns fragt: "Warum muss denn die Haustür offenbleiben?", jedes Mal die gleiche Antwort: "Wenn der Blitz ins Haus schlägt müssen wir schnellstens hinausrennen. Nichts brennt so lichterloh und schnell wie ein vom Blitz getroffenes Haus". Mutter muss es wissen. In ihrer Kindheit auf dem Land hat sie immer mal wieder vom Blitz getroffene Häuser in Brand gesehen oder aus Erzählungen vernommen. Mal war sie nahe dran selbst vom Blitz getroffen zu werden. Sie war beim Heuen - der Himmel schon schwarz - das Heu schnellstens ins Trockene gebracht werden. Ihr Fahrrad hinter ihr an einen Baum gestellt. Plötzlich das typische Krachen. Genau in den Baum beim Fahrrad. Jedes Gewitter scheint sie erneut an ihren damaligen Schock zu erinnern. Sobald alle Vorkehrungen getroffen sind, setzt sie sich zu uns in die Stube, nimmt den Jüngsten auf ihre Knie und beginnt zu beten: "Vor Hagel, Blitz und Ungewitter, verschone uns oh Herr; gegrüsst seist du Maria voll der Gnade....usw. (das ganze Ave Maria)". Wir stimmen in ihr Gebet ein, unaufhörlich die gleichen Worte wiederholend. Mit dem Näherkommen des Gewitters steigt meine Angst. Dass auch Mutter Angst hat erkenne ich an ihrem Beten: es wird lauter, eindringlicher, flehender, kurz mit Seufzern unterbrochen. Ich bete und zähle gleichzeitig die Sekunden zwischen Blitz und Donner. Je weniger Sekunden dazwischen, umso näher das Unheil. Mit jedem krachenden Blitz meine Angst ins Unermessliche steigend: Jetzt, das Unheil entlädt sich hier, genau über unserem Haus. Um das Krachen draussen zu übertönen, unser Beten jetzt sehr laut; als könnten wir das Krachen damit stoppen, ihm den Garaus machen. Nach und nach, mit dem Abzug des Gewitters, das immer ruhiger werdende Beten. Bis es schliesslich ganz verstummt und alle erleichtert aufatmen. Mutter steht auf. Natürlich hatte inzwischen keine Fee ihre Arbeit weitergeführt....
Angst dass Mutter uns verlässt.
Nicht oft aber dann sehr heftig ist sie da, diese Angst: Wird Mutter jetzt tatsächlich gehen, uns einfach so, verlassen? Eben hat sie doch zornig damit gedroht: "Ich geh weg, ich halt's nicht mehr aus". Mit der Angst beschleichen mich Schuldgefühle: viel zu wenig helfe ich ihr, muss mich immer zweimal rufen wenn sie mich braucht. Selten bot ich ihr spontan meine Hilfe an. Ein Teufelskreis. Wohin könnte sie denn gehen, wer würde sie aufnehmen? Keine Ahnung. Bedrückt verfolge ich in den folgenden Tagen still und heimlich ihr Kommen und Gehen. Ist sie am Packen? Versteckt sie Geld? Sie blieb bei uns, immer.....
Angst vor Mäusen.
Im Winter schlichen oft Mäuse durchs Haus. Im Schlafzimmer hörte man ihr Krabbeln über der Zimmerdecke besonders gut. Ich hatte Angst vor ihnen. Meine Brüder lachten mich aus, dichteten einen Reim: Maria und die Mäuse. Wenn sie mich foppen wollten - an einem Familienfest tun sie es manchmal heute noch - stehen sie auf und skandieren rhythmisch zu zweit oder zu dritt: "Müüs gönd ewägg, d'Maria chunnt", "Müüs gönd ewägg, d'Maria chunnt"!
 
"Wenn du noch eine Mutter hast........."
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5.2.  Kindheit - erste Erinnerungen. – "Kleine Kinder, kleine Sorgen. Grosse Kinder......".

"Wenn du noch eine Mutter hast........."
"Wenn du noch eine Mutter hast so danke Gott und sei zufrieden, nicht allen auf dem Erdenrund ist dieses hohe Glück beschieden"......
.... der Leitvers meiner Mutter. Sehr oft zitierte sie ihn, mal rufend, mal schreiend, mal seufzend. Gründe dafür gab es genug: wo ist meine Mütze? - ich finde meine Schuhe nicht -
hast du mein Lesebuch gesehen? - Mutti, ich hab Zahnweh - ich hab Hunger, wann können wir endlich essen, usw. usw. Wenn sie mal wieder arg von uns bedrängt wurde, was oft geschah; wenn sie nicht mehr wusste wohin mit Kopf, Armen und Beinen, ertönte von irgendwoher dieser, ihr Leitvers.  
Mutter immer zu Hause.
Als ich Kindergarten-reif war, gab es noch keinen solchen im Dorf. Von Kinderkrippen ganz zu schweigen. Erst meine jüngeren Geschwister kannten den Kindergarten. Vater morgens um 6 Uhr weg, zum Mittagessen für eine Stunde nach Hause, abends gegen 7 Uhr wieder da. Oft, sehr oft hörte ich eine verärgerte Mutter ihm ihren gestressten Tagesverlauf erzählen, wenn Vieles zu viel war; wenn sie Vater aufforderte diesen oder jenen Bruder, für sein Benehmen durch den Tag zu bestrafen. Seltsam, uns Mädchen traf es äusserst selten. Bei unserer Familienkonstellation - 1 Bruder, dann 3 Mädchen, und noch 4 Brüder - eigentlich wenig überraschend: je lauter und tobender sich die 4 Jungen aufführten, umso stiller wurden wir Mädchen. Der Älteste lebte eh in seiner eigenen Welt, beteiligte sich an nichts, erhob höchstens mal seine Stimme, wenn "der Himmel allzu hölzern tönte". Erholen konnte sich Mutter nach einer Geburt im Spital, wenn sie weitere 8-10 Tage dort verweilen durfte, damals eher die Norm. Oft hörte ich dies von ihr. Aber sie hat auch zu Hause geboren. In diesem Fall musste sie schnell wieder "auf Trab" sein. Heute staune und bewundere ich sie erst recht, hatte ich doch tatsächlich meine Mutter nie richtig krank erlebt. Kopfweh, Schnupfen, Fieber, Halsweh und bestimmt vieles mehr was ich nicht weiss...... muss sie einfach so, weggesteckt haben. Sie ging und ging, wusch und wusch - jeden Tag! - trug ganze Zuber voll nasser Wäsche hinauf auf den Estrich im Winter, holte Beigen von Holz im Schopf oder auf dem Estrich, sie kocht - Mittagessen muss bei Vater's knapper Mittagsstunde Punkt 12 auf dem Tisch stehen, usw. "Ich habe einfach keine Zeit krank zu sein", sagt sie dazu. Wenn Mutter im Spital lag kam jeden Tag ein "Fräulein" vom Sozialdienst (oder was ähnlichem) zu uns und blieb bis Vater abends da war. Das Gleiche als sich Mutter 2 oder 3 x in einem Haus für überarbeitete Mütter so richtig erholen durfte (z.B. im "Mattli", Schwarzenberg, hoch über Kriens LU).
Mutter nicht da? 
Für mich jedes Mal eine äusserst schwere Zeit, vor allem nach meinem Schuleintritt. Nach Hause kommen und Mutter ist nicht da: unvorstellbar traurig, niederdrückend. Vater weckt uns am Morgen, geht später zur Arbeit als sonst, frühstückt mit uns Schulgängern, wartet bis das Fräulein da ist. Mutter fehlt mir sehr. Prompt melden sich an einem solchen Morgen heftige Zahnschmerzen. Nicht einmal in Milch aufgeweichtes Brot kann ich kauen. Höllisch tut es weh. Vater setzt mich hinten auf's Velo, radelt mit mir zum Zahnarzt. Ein vereiterter Zahn muss gezogen werden. "Ach Mutti, wie du mir fehlst!" 
 


(1) 1949
1949

 

Familienfotos
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5.2.  Kindheit - erste Erinnerungen. – "Kleine Kinder, kleine Sorgen. Grosse Kinder......".

Familienfotos


(1) 1949: wir sind 5 (Foto von Freunden der Eltern geknipst)
1949: wir sind 5 (Foto von Freunden der Eltern geknipst)

 



(2) Juli 1955: die Familie ist komplett
Juli 1955: die Familie ist komplett

 



(3) 1956 und......

1956 und......

 

(4) ......und 1972 an Mutters 60. Geburtstag

....1972: gleiche Aufstellung an Mutters 60. Geburtstag

 


 

 



 

 

 



 

 

 

 

 

 

 

 



 

 

 

 
 


 


 

 

 

 
 

Turbulent, vielfältig, manchmal chaotisch
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5.3.  Kindheit - erste Erinnerungen. – Tagein, Tagaus in einer Grossfamilie.

Turbulent, vielfältig, manchmal chaotisch

Austausch von Zärtlichkeiten zwischen meinen Eltern habe ich nie gesehen. Nie eine Umarmung, von Küssen ganz zu schweigen. Vage erinnere ich mich an Vater wie er einmal mit der Hand Mutter's Haar streichelte (sehr vage, vielleicht Einbildung?). Und so war es auch bei mir: Erinnere mich nicht, je von meinen Eltern umarmt, geschweige denn geküsst worden zu sein. In jenen Jahren nichts Aussergewöhnliches; eher das Normale bei uns in der deutschen Schweiz. Dass Menschen sich morgens, abends, beim Weggehen oder Heimkommen umarmen habe ich - als etwas Alltägliches - erst in Frankreich erlebt. Wenn wir bei uns aus dem Haus gingen, sei es zur Schule oder später auf Reisen, zeichnete uns Mutter mit Weihwasser ein Kreuz auf die Stirn und betete: "Möge dein Schutzengel dich begleiten" (Beim Eingang hing ein kleines Gefäss mit gesegnetem Wasser)
Als Grossfamilie genügten wir uns. Verwandte meldeten sich selten, umgekehrt meldeten auch wir uns nicht oft bei ihnen. Die einzige Ausnahme Onkel H. (Mutter's Bruder) und Tante H. (Vater's Schwester) mit den 6 Cousins, weil sie gleich neben den Grosseltern wohnten. Besuchten wir diese - bei schönem Wetter oft der Fall - sahen wir auch jene. So lange ich, als Zweitälteste, noch zu Hause lebte kamen nur meine Freundin Ursula und ihre 2 jüngeren Geschwister hin und wieder vorbei. Tatsächlich brauchten wir keine anderen Kinder zum Spielen oder singen, wir genügten uns unter uns. Für mich selten befriedigend da ausser meinem älteren Bruder - in seiner eigenen Welt lebend.... - alle andern jünger, turbulenter, chaotischer waren. Besonders die 4 jüngeren Brüder, bald ein eingeschworenes Team in welchem wir Älteren nichts zu suchen hatten - auch der Älteste als Bruder nicht. Im Gegenteil, manchmal musste dieser "eingreifen" wenn es zu laut und zu struppig zu und her ging und er bei den Hausaufgaben zu stark gestört wurde.
In meinen Erinnerungen sind frohe und glückliche Momente in der Familie ganz klar das gemeinsame Singen, oder Familienspiele an regnerischen Sonntagen. Eine vielköpfige Familie ist in solchen Momenten ein grosser Vorteil. 
"Ach Mutti, wäre ich doch dein einziges Kind!" oder: "Alle Männer auf den Mond schiessen".....
..... tönte mein Jammern und Seufzen bei Mutter, wenn die Kleineren gar arg lärmend herumtollten, was in meinen ersten Schuljahren besonders oft der Fall war. Dann erschien mir die Atmosphäre im Haus wie ein einziges Chaos. Mit dem Älter-werden litt ich öfters mal unter der Übermacht der Brüder. Man könnte sagen, "je lauter die Brüder, desto stiller die Mädchen". In der Hitze der Gespräche/Dispute/Diskussionen gingen wir Mädchen unter - manchmal heute noch. Jedoch weiss ich heute, dass dies aus rein psychologischer Sicht im Leben allgemein so ist: In einer Männerrunde mit nur einzelnen Frauen, haben diese nichts bis wenig zu sagen. Ob es umgekehrt auch so ist? Habe mich zu wenig damit befasst. Anscheinend gibt es viel weniger Frauenrunden mit einzelnen Männern als umgekehrt. Auf jeden Fall gab es damals Momente, da habe ich bei Mutter zornig gerufen: "Was soll das, all diese Männer! Schiessen wir doch alle auf den Mond!" Dachte sie vielleicht hin und wieder dasselbe? Sie hat nämlich nie etwas darauf erwidert, nur den Kopf leicht - zustimmend? - geschüttelt. Oder meinte sie mit dem Kopfschütteln eher das Gegenteil? Freute sie sich an ihren vielen herumtollenden Jungs? Hatte sie sich vor ihrer Heirat nicht eine "Stube voller Buben" gewünscht? Jetzt hatte sie 5.
Das Trottinett.
Neidisch bin ich wenn ich Kinder auf Trottinetts vorbeiflitzen sehe. Ein Occasion-Trottinett kam irgendwann ins Haus. Dafür hatten meine jüngeren Brüder lange genug gebettelt. Sie waren dann auch dessen eifrige Benutzer, was meine Chance auch mal darauf zu fahren in die Ecke der Seltenheit verbannte. Wobei, sie waren Kinder, ich schon eine angehende Teenager. Also diesen Traum loslassen, ausgeträumt. Für die 4 Brüder schon konfliktreich genug. Wer darf wie lange damit fahren? Wer ist dran? Wer schaut auf die Uhr, damit auch ja keiner seine Zeit überschreitet? Heute haben meine beiden Nachbarskinder (4 und 6) ihr eigenes, auf ihre Grösse eingestelltes Trottinett, und so besitzt es jedes einzelne Kind in meinem Wohnblock. Schau ich beim Schulhaus vorbei, fällt mir als Erstes der riesige Trottinett-Parkraum auf: ein Trottinett reiht sich ans andere, wahrscheinlich jedes mit einem noch besseren Gadget ausgestattet als das nebenan....
Roll- und Schlittschuhfahren hätte ich soooo gerne gelernt.
Noch viel lieber als auf dem Trottinett hätte ich auf Rollschuhen flitzen wollen, wehmütig denen nachblickend die damit anscheinend so leicht daher kamen, durch unsere autofreie Strasse flitzten. Überhören konnte man sie damals nicht - kein leises Vorbeischweben wie auf den heutigen Inline-Skates. Ich rannte ans Fenster. Auch heute noch bleibe ich stehen, wenn hinter oder vor mir ganze Familien auf Skates daher rauschen. Muss das ein tolles Gefühl sein, ich beneide sie. Genauso ergeht es mir, wenn ich an einem Eisfeld stehe oder Eislaufen, Eistanz im TV sehe. Liebend gern hätte ich Schlittschuhlaufen gelernt. Auch dies wegen Geldmangel natürlich nicht möglich. 

 

(1) Immer schön der Reihe nach. 3 Brüder fehlen noch: Einer ist im Spital, einer an Mutter's Brust, der letzte noch nicht geboren.
1952: Immer schön der Reihe nach. 3 Brüder fehlen noch: Einer ist im Spital, einer an Mutter's Brust, der letzte noch nicht geboren.

 



 

 

 




 
Mithilfe im Haushalt
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5.3.  Kindheit - erste Erinnerungen. – Tagein, Tagaus in einer Grossfamilie.

Mithilfe im Haushalt
Geschirr waschen/trocknen, warum nur die Mädchen?
Vor allem wir 3 Mädchen müssen im Haushalt mithelfen. Abwaschen/abtrocknen an erster Stelle. "Warum eigentlich die Buben nicht?" protestierte ich ab und zu, "die sollten doch auch mal dran kommen". Es nützt nichts. Buben hätten andere Aufgaben, Mutters Fazit. Welche denn? Soll das einer verstehen..... Doch, klar, Holz zerkleinern zum Beispiel. Aber auch da waren wir Mädchen dabei, schliesslich musste das zerkleinerte Holz zu schönen, stabilen Holzbeigen aufgeschichtet werden.... 
Schuhe der ganzen Familie putzen.
Jeden Samstag müssen alle Schuhe geputzt werden. Auch da wechseln wir Mädchen uns ab. Jeden Samstag ein anderes. Ich hasse diese Arbeit. Nur das Trällern oder Singen eines Liedes gestaltet sie etwas angenehmer.
Strasse vor dem Haus wischen.
Ein weiteres Ämtli jeden Samstag: die Strasse vor unserem Haus wischen. Zuerst schön dem Gartenzaun entlang, dann den Weg vom Gartentor bis und mit Treppe zum Hauseingang. Dabei war ich pingelig darauf bedacht, nicht auch noch "über die Grenze" einen Teil von Nachbars Strassenabschnitt zu wischen.....
Unser Schlafzimmer putzen und aufzuräumen? Nein, dem Lesen verfallen.
Auch für die Reinigung der Schlafzimmer wechseln wir uns ab. Mir läuft dabei jedes Mal die Zeit davon. Oh nein, nicht weil ich besonders gründlich Staub wische und aufräume. Kaum im Zimmer, entdecke ich irgendwo ein herumliegendes Buch - wenn ich keines entdecke, suche ich eines... - und um mich ist's geschehen. Des Mottos gedenkend: "Erst die Arbeit, dann das Vergnügen", richte ich in Eile schon mal die Betten her, das Wichtigste. Staub hingegen.... der kann warten, das auserwählte Buch hat Vorrang. Konnte ihm einfach nicht widerstehen. Erst Mutter's Rufe zum Mittagessen bringen mich auf den nach wie vor verstaubten Boden zurück. Noch schlimmer: oft muss sie mich 2-3 x rufen. Schon Mittag! Ich hatte vielleicht viel gelesen aber wenig geputzt und aufgeräumt. Klar, Mutter sauer auf mich und..... ganz ohne Schuldgefühle konnte ich mich dann doch nicht an den Tisch setzen. Mein unaufgefordertes, fleissiges Geschirrwaschen danach sollte als Einsicht und Wiedergutmachung gelten. 
Meine jüngste Schwester, die spontane Helferin meiner Mutter.
Sie ist ganz anders. Spontan hilft sie Mutter wo immer sie kann und seit sie dazu fähig war. Überall wo Mutter zu tun hat dabei, muss nie 2 x gerufen werden. "Ich bin einfach so geboren" sagt sie heute, wenn wir uns über diese Zeit austauschen. Ist es daher erstaunlich, dass ich sie bald als Mutter's Lieblings-Tochter empfand? Wie hätte es auch anders sein können, wenn ich bedenke, wie ich lieber spielte oder las, statt Mutter spontan zu helfen? "Gewurmt" hat's mich trotzdem. Viel zu gerne wäre auch ich Mutter's Liebling gewesen. "Gottfriedstutz", diese Schwester ist einfach immer schneller zur Stelle, wenn Mutter Hilfe braucht. "Soll sie halt", denke ich trotzig, "ist mir egal, ich brauche Mutter's Liebe nicht". Also weg und irgendwo irgendetwas lesen. Natürlich ein Trugschluss, der mich weder überzeugt noch tröstet. Es wurmt der Wurm weiter. Heute kann ich mit dieser Schwester offen darüber reden. Beide haben wir erkannt, wie schon ein Kind seine ganz eigene Persönlichkeit besitzt. Ihr war es nie ein Muss Mutter beizustehen, sie tat es spielend. Bei mir das Gegenteil: ich hatte immer das Gefühl nie genug Zeit für mich selbst zu haben. So sind wir verschieden. Keine muss sich deswegen heute schuldig fühlen.
 
 
Taschengeld? Selber verdienen!
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5.3.  Kindheit - erste Erinnerungen. – Tagein, Tagaus in einer Grossfamilie.

Taschengeld? Selber verdienen!
"Angestellt" bei der Inhaberin des USEGO-Lädeli um die Ecke. 
Wir Älteren erhielten kein Taschengeld. Dafür reichte Mutters Haushaltgeld nicht. (Wies später für die Jüngeren aussah weiss ich nicht.) Mutter, umsichtig und erfinderisch, stets darauf bedacht etwas zu finden wo wir selber einen Batzen verdienen konnten, fragte bei Frau Eiholzer (USEGO-Lädeli) nach ob sie Hilfe brauche. Oder war es umgekehrt? Hatte Frau Eiholzer Mutter gefragt ob das ältestes Töchterchen ihr Samstags den Abwasch besorgen könnte? Vielleicht eher Letzteres (so genau erinnere ich mich nicht). In der Folge - 10- oder 11-jährig - konnte ich bei ihr jeden Samstag das Geschirr waschen, die Küche aufräumen und 2 Franken verdienen. 8-10 Franken im Monat, mein erstes Sackgeld.
Zeitschriften austragen.
Und Mutter hat eine weitere Idee: die wöchentlichen Zeitschriften "der Sonntag" und "die Woche" vom Walter-Verlag an Abonnenten im Dorf verteilen. Jede Woche wurde ein dickes Bündel Zeitschriften samt Abonnement-Adressen bei uns abgeliefert. Mein älterer Bruder begann als Erster das weitläufige Dorf "abzuklappern", jedoch nur für kurze Zeit. Damit alle Kunden möglichst am gleichen Tag ihre Zeitschrift erhielten wurden auch wir Mädchen eingespannt - später auch die jüngeren Brüder - so konnten Quartiere und Strassen aufgeteilt werden. Wie viel wir dabei verdienten? Es sollen 2 Rappen pro Zeitschrift, als 20 Rappen für deren 10 gewesen sein, hörte ich von einer Schwester. Ich selber weiss es nicht mehr.
Und schliesslich: Heimarbeit.
Wie Mutter darauf kam oder wer ihr diese vermittelt hatte, weiss ich nicht mehr. Auf jeden Fall kam der Auftrag von der Firma Rotel in Aarburg: elektrische Stecker zusammenfügen. Alle Teile eines Steckers wurden in separaten Schachteln geliefert und wir mussten sie zusammensetzen: 2 kleine Schrauben lose an die Bolzen für die späteren Drähte schrauben und mit der grösseren Schraube beide Teile des Steckers zusammenfügen. Gibt es diese Art Stecker heute noch? Ich glaube nicht. Heute werden sie gegossen, keine Schrauben mehr. Für mich war dieses Stecker-zusammenfügen mehr Plausch als Arbeit; so wie jedes Mal bei etwas Kleinem, Kniffligen das genau passen oder stimmen musste (s. Vorbereitung (Puzzle-Plausch) zum Dörren weiter oben).
Sparen.
Jedes verdiente Geld kam fein säuberlich in den Schlitz des Raiffeisen Spar-Kässelis und später in ein Sparbüchlein. Auch der "Götti-Batzen" an Weihnachten verschwand in diesem Kässeli. Geld sparen besser als es ausgeben, so die "Mode" jener Zeit, wenigstens bei uns. Auf jeden Fall erinnere ich mich nicht, je etwas für mich selbst mit meinem Taschengeld gekauft zu haben. Behalten durfte ich es - eben, im Kässeli. Mit ziemlicher Sicherheit hatte ich dieses, wenn auch nur für kleinere Geschenke, hin und wieder "angezapft".

Gedankensplitter im 73. Lebensjahr: "Spare in der Zeit, so hast du in der Not". 
Weiss weder von wem noch aus welcher Zeit dieser Spruch stammt. Aber ich weiss, er besass in unserer Familie einen hohen Stellenwert. Sparen, diese Gewohnheit ist mir geblieben, "drehe den Rappen zweimal um" bevor ich ihn ausgebe. Vor jedem eventuellen Einkauf meldet sich der immer gleiche Satz in meinem Hinterkopf: "Brauche ich das jetzt wirklich?" Um einiges lockerer geworden bin ich heute zwar schon; der Schritt von der Sparsamen zum Geizhals nicht weit. Was mich heute viel mehr vom allgegenwärtigen Konsumwahn zurückhält ist nicht das Sparen an sich, sondern unsere unglaubliche Reçourcen-Verschwendung und Umweltverschmutzung jeglicher Art.
Gerechtigkeitshalber muss ich hier doch noch anfügen: Meine Generation hatte es bezüglich Konsumangeboten leichter. In den Jahren 1960/1970 gab es weder Computer noch Handy noch Clubs à gogo noch Open-Airs hier, Open-Airs dort. Es gab wenige Sportanlässe, wenige sogenannte Fun-Parks oder Megastores. Reisen, Ferien: vielleicht, wenn es gut ging, einmal im Jahr. Junge Leute verlassen heute (2017) selten vor dem 20. Lebensjahr die Schule. Daher war sparen in meinen jungen Jahren sicher weniger ein Kraftakt, als er es wahrscheinlich heute für die Jungen ist. Vielleicht, ja vielleicht haben die Jungen recht, wenn sie von der "Hand in den Mund" leben, wie ich manchmal den Eindruck habe. Vielleicht tatsächlich eine Art Weltuntergangsstimmung: "Leben wir heute, nach uns die Sintflut"..... könnte ja gut möglich sein beim Zustand unserer heutigen Welt.....
Erhaltener Kommentar:
01.07.2018 - 10.56 Uhr, von Margrit von Däniken
Funny how much alike our Youth was in Erlinsbach.
Telefon? Radio? Fernsehen? "Schön eines nach dem andern!"
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5.3.  Kindheit - erste Erinnerungen. – Tagein, Tagaus in einer Grossfamilie.

Telefon? Radio? Fernsehen? "Schön eines nach dem andern!"

Telefon, ja oder doch eher, nein?
In meiner frühen Kindheit besassen wir weder Telefon noch Radio. Ich muss etwa 10 Jahre alt gewesen sein als wir ein Telefon installieren liessen. Mutters Wunsch - "ich brauch ein Telefon im Haus" - endlich erfüllt. Gut erinnere ich mich an die Auseinandersetzung zwischen meinen Eltern im Vorfeld dieser Installation. Vater fand, ein Telefon sei nicht nötig, sei nur Geldverschwendung. Mutter pochte auf die Tatsache, dass sie immer zur Nachbarin laufen müsse, wenn sie den Arzt für eines der Kinder brauche. Erst nach längeren
etwas "knorzigen" Diskussionen war Vater schliesslich einverstanden.
Ein Radio? Erst nach einigen Wochen Rebellion meines älteren Bruders.
Auch der Erwerb eines Radio, so Vater, sei "überhaupt nicht nötig", sei einmal mehr nur Geldverschwendung. Als mein älterer Bruder immer öfters missmutig von der Schule nach Hause kommt will Mutter wissen was denn eigentlich los sei mit ihm. "Alle in der Schule hören zu Hause Radio - Hörspiele, Musik, Nachrichten - und ich stehe wie der Dumme ahnungslos dabei", sprudelte es ärgerlich aus ihm heraus. Mutter hat Verständnis. Irgendwann - wann genau weiss ich nicht mehr - wurden auch wir Radiohörer. Unser erstes Radio war "nur" eine Occasion. Bald wird dieses auch für mich eine interessante Sache. In der Schule schwärmen Mädchen schon seit langem - via Hitparaden - von Peter Kraus, Peter Alexander, Conny Froboess, Freddy Quinn. Bis dahin liess mich diese Schwärmerei eher kalt, zu brav und zu schüchtern wie ich war. Keine Ahnung hatte ich. Was könnte es denn sein, das diese Verrückt-/Entrückten so ins Schwärmen bringt? Sind die noch normal? Jetzt, mit einem Radio im Haus will ich es wissen, hören was es auf sich hat mit diesen Hitparaden. Neugier siegt wann immer möglich. So bin ich noch heute..... Also los. Wann wird diese Hitparade gesendet? Jeden Samstagnachmittag. Und siehe da, bald will ich keine mehr verpassen. Auch ich kann mich für diese Schlager begeistern, vor allem für Freddy Quinn. Seine Stimme, seine melancholischen Lieder haben es mir besonders angetan. Bis heute.... Aber oh weh, selten lässt mein Bruder zu, dass ich genau zur Zeit der Hitparade Radio hören darf. Er selber hält nichts davon. Vater noch weniger: "dummes Zeug", sagt dieser.
Fernsehen? hin und wieder bei den Nachbarn.
Unsere Nachbarn - jener, der sonntags sein Auto wäscht und poliert - besassen ab (oder schon vor?) Beginn der 60-er Jahre einen Fernseher. Wieder ist es mein älterer Bruder der hin und wieder etwas schüchtern bei der Nachbarin nachfragt, ob er eine Sendung bei ihr sehen dürfe. Ich selber ging selten hin, erinnere mich auch nicht an Filme oder spezielle Sendungen, welche ich mir damals ansah, ausser einer: die feierliche Eröffnung des 2. vatikanischen Konzils in Rom am 11. Oktober 1962. Die Übertragung live: Ein fantastisches Meer aus Mitren** - um die 2000 - den Petersplatz bevölkernd, wogend, in langen Reihen in den Dom ziehend. Alles natürlich schwarz-weiss, trotzdem faszinierend. War so ziemlich das erste Mal, dass ich so richtig fern sah. Da war ich 18!
**spezielle Kopfbedeckung der Bischöfe

Erhaltener Kommentar: 10.11.2016 - 14.16 Uhr: 
Bin sehr berührt von der klaren und interessanten Wiedergabe der Erinnerungen aus deiner Kind- und Jugendzeit, sowie dein spannendes Leben als Krankenschwester und Nonne. Deinen Eltern hast du ein Denkmal gesetzt, das sie wirklich verdient haben. Für mich ist es unbeschreiblich, dass 2 Menschen mit knappen Geldmitteln 8 Kinder grossziehen, ihnen Geborgenheit und christliche Werte vermitteln konnten. Alle 8 wurden mit einem Beruf als selbständige und verantwortungsbewusste junge Menschen ins Leben entlassen. Das ist eine enorme Leistung seitens der Eltern. Eure Familie hat ja auch viel zusammen gesungen. Heute weiss man, das fröhliches Singen die Entwicklung der Kinder fördert. Ich wäre gerne in so einer Familie aufgewachsen. Deine Freundin Johanna

Katholisch: nicht nur der bessere, sondern der "beste Glaube"
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5.4.  Kindheit - erste Erinnerungen. – Katholisch: nicht nur der bessere, sondern der "beste Glaube" .
"Wir haben den richtigen Glauben, danken wir Gott dass er uns erwählt hat und wir katholisch sein dürfen."
So oder ähnlich tönte es oft bei uns. Auch wenn es nicht so tönte, fühlte es sich so an. Und wir beteten dafür, dass wir immer gute Katholiken bleiben würden. Von klein auf bemitleidete ich jene anderen, jene die das Pech hatten, nicht katholisch geboren zu sein. Die Frage, wie denn Andersgläubige - bei uns natürlich die Reformierten nebenan - "in den Himmel kommen könnten", stellte ich mir seltsamerweise nie. Irgendwie war das Gefühl zu einer Elite zu gehören in mir stärker. Dieses Gefühl verstärkte sich erst recht, wenn wir an Prozessionen teilnahmen. Zum Beispiel an jener Fronleichnams-Prozession durch die Stadt Olten - in einer Stadt natürlich mit noch viel grösserem Pomp als in unserem Dorf - welch erhabenes Gefühl: Voraus eine Gruppe das Kreuz tragende Ministranten. Hinter ihnen spielte in gemächlichem Takt die Musikkapelle. Es folgten weiss-gekleidete Mädchen, Blumen auf den Weg des Herrn streuend. Hinter diesen "die Hauptszene": der Baldachin, getragen von vier ernsten, schwarz-gekleideten Männern. Unter dem barocken Baldachin "schritt der Herr selbst", eingesperrt als Hostie in der goldene Monstranz, getragen vom, weisse Handschuhe tragenden, in Goldgewand gehüllten Priester. Und schliesslich hintennach eine riesige betende Menschenmenge: "Gegrüsst seist du Maria, voll der Gnade".....usw. Ich marschierte mit, stolz katholisch zu sein und es auch zeigen zu dürfen. Es gab ja auch Zuschauer am Strassenrand: Seht her wie toll es ist katholisch zu sein! 

"God is watching you" (Gott sieht dich). Oder: Vater hat den Überblick.
Für meine Eltern, beide sehr fromm, war ein Sonntag ohne Gottesdienstbesuch kein Sonntag. Mal nicht in die Messe gehen? Ausgeschlossen! Die Hauptmesse, damals um 9 Uhr, nichts für Mutter, zu spät für sie. Daher ging sie stets in die Frühmesse um 7 Uhr. Mit Vater besuchten wir die Hauptmesse. Vor meinem Schuleintritt nahm er mich mit auf die Empore wo er im Chor sang. Von dort oben konnte ich alles und alle gut sehen und.... Vater konnte mich gut im Auge behalten. Später, als Schülerin in den vordersten Bänken kniend, stehend oder sitzend, sieht er mich zwar nur von oben, behält mich aber weiterhin im Auge. Nichts entgeht ihm. Weder das Tuscheln mit einer Banknachbarin noch das Austauschen von Heiligenbildchen. (Heute werden wahrscheinlich eher "Panini"-Bildchen getauscht.) Klar, dass er mich deswegen später zu Hause tadelt: "So beträgt man sich nicht in der Kirche, du sollst andächtig sein".
Kontakte mit Andersgläubigen meiden
So geschehen an vielen Orten in jenen Jahren: Beziehungen oder Freundschaften nur unter Seinesgleichen. Katholiken mieden Reformierte, Reformierte mieden Katholiken usw. Dulliken war schon in den 1950-ern ein gut durchmischtes Dorf. Vielleicht durch seine Nähe zu Olten's schweizweit bekanntem Eisenbahnknotenpunkt? Wie dem auch sei, auf jeden Fall ist meine allererste Schulfreundin Marlis - wir hatten den gleichen 15-20-minütigen Schulweg - nicht katholisch. Vor allem Vater gefällt das gar nicht. Es gebe doch da, soviel er wisse, auch ein katholisches Mädchen mit dem gleichen Schulweg, mit diesem solle ich mich anfreunden. Na, dann halt - schmerzhafter - Wechsel zur katholischen Ursula. Sie wird während der ganzen Primarschulzeit meine Freundin bleiben. Nur, Marlis tut mir leid, sie findet kaum andern Anschluss. Unserem reformierten Nachbar-Jungen ergeht es später ähnlich. Im gleichen Alter wie meine jüngeren Brüder verbietet ihm sein Vater mit diesen zu spielen. Vor einigen Jahren erzählte er uns wie er ihnen, hinter dem Fenster stehend, wehmütig beim Spielen oder Arbeiten (z.B. Holz zerkleinern) zugesehen habe. Ganz krass und schmerzhaft wurde es hin und wieder bei der Wahl andersgläubiger Lebenspartner. Ein Bruder meiner Mutter durfte seine reformierte Verlobte nur deshalb heiraten, weil sich der Bruder seines Vaters (meines Grossvaters) das Leben nahm als er seine reformierte Verlobte nicht heiraten durfte. Auch meine Eltern wünschten sich katholische Partner für ihre Kinder. Besonders Vater betete ganz speziell für dieses Anliegen. Er hatte Glück, wurde erhört: meine 5 Schwägerinnen sind alle katholisch. Von uns drei Mädchen hat keines geheiratet.
Wenn Vater heute die nachfolgende Generation sehen könnte! Würde er sich vielleicht "grün und blau" ärgern weil nach ihm niemand mehr da war um für katholische Partner seiner Grosskinder zu beten? Von seinen 17 Grosskindern haben zur Zeit deren 12 reformierte Partner/-innen. Reformiert, wenigstens auf dem Papier. So wie auch seine katholischen Enkel eher nur noch Papier-Katholiken sind. 
Anständige Kleider tragen: (Mutter dreht sich bestimmt im Grab um, wenn sie sieht wie sich Frauen heute kleiden)
Manchmal frage ich mich heute (2017) schon: woher kommt es, dass man im Sommer nur Frauen quasi im Strandkostüm - oben Bikini ähnlich, unten kurze bis kürzeste Hotpants - in unseren Städten umhergehen sieht? Warum sollten es Männer nicht auch tun? Leiden sie etwa nicht unter der Hitze, oder weniger als Frauen? Oder sind es die Männer selbst - "je mehr Fleisch umso geiler" - die solche Mode in Umlauf bringen? Letzteres könnte ich mir gut vorstellen, wenn ich unterwegs bin und diesen Gegensatz sehe: bis oben zugeknöpfte Männer und halbnackte Frauen. Auf jeden Fall habe ich selber bis heute nie, weder Blusen noch Kleider ohne Ärmel, oder mit tiefem Ausschnitt getragen. Kann es einfach nicht, jetzt im Alter - Orangenhaut, alles "schlaff" - erst recht nicht. Anständige Kleider tragen hiess bei meiner Mutter: "keine Bluse oder Kleid ohne Ärmel!" Mindestens ein kurzer Ärmel musste dran sein. "Spagetti"-Träger, tiefer Ausschnitt, Rücken frei? Nie und nimmer! "Es ist unanständig mit nackten Armen bis über die Schulter herumzulaufen", ihr Fazit. Mutter war ziemlich allein mit dieser Einstellung, schien die einzig Protestierende gewesen zu sein als es in der Nähschule ums Blusen- und Kleider-nähen ging. Sie schaute genau hin, kannte sich als gute Näherin aus mit Schnittmustern, wollte diese begutachten bevor in der Schule "geschneidert" wurde. Also los, auf zur Lehrerin: "Kann ich bitte das Schnittmuster sehen?" Klar, kann sie. "Wie ich sehe, soll es eine Bluse ohne Ärmel geben. Meine Tochter wird nie mit einer solchen herumlaufen. Ich will dass ein kurzer Ärmel dran ist. Keine meiner Töchter will ich je ärmellos gekleidet sehen." Sie war überzeugt - sprach es auch öfters aus - dass knapp bekleidete Frauen für Männer ein Problem seien; dass solche Frauen - "selber schuld" - hinterher nicht klagen dürften wenn sie betatscht werden.  
Vielleicht ein Sohn als Priester?
In kinderreichen katholischen Familien oft ein Thema damals: ein Sohn zum Priester ausbilden lassen. Auch meine Eltern hegten diesen Wunsch. Zwei meiner Brüder studierten denn auch Theologie, wurden aber in der Folge "nur" Pastoral-Assistenten - trotz gleicher Ausbildung und Abschluss wie Priester - weil beide heirateten, und die kath. Kirche bis heute nur zölibatäre Männer als Priester zulässt. Der Unterschied zwischen Priester und Pastoral-Assistent? Keiner!! (meine Meinung) Auf weitere Erklärungen verzichte ich lieber, will mich nicht auf "hirnverbrannte", irrationale theologische Diskussionen einlassen. Zeitverschwendung!

Kommentar 11.07.2018: von Georg Segessenmann 
So, jetzt bin ich endlich dazugekommen Deine Lebensgeschichte zu lesen. Super!
Ach, vielleicht erinnerst Du Dich gar nicht an mich? Du schreibst u.a....."vielleicht durch seine Nähe zu Olten's schweizweit bekanntem Eisenbahnknotenpunkt?..... wie dem auch sei, auf jeden Fall ist meine erste Schulfreundin Marlis Segessenmann.... wir hatten den gleichen 15-20-minütigen Schulweg.... nicht katholisch. Vor allem meinem Vater gefiel das gar nicht." Eben, ich bin der "grosse Bruder" von Marlis! Tschüss, Schorsch (86)
 
Sexualität/Erotik? Eigentlich tabu.
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5.4.  Kindheit - erste Erinnerungen. – Katholisch: nicht nur der bessere, sondern der "beste Glaube" .

Sexualität/Erotik? Eigentlich tabu.
1950-er/1960-er Jahre: Nur ungern, wenn überhaupt, klärten Eltern ihre Kinder auf. Wenn wir ehemaligen Krankenschwester-Schülerinnen anlässlich unseres alle 2 Jahre stattfindenden Treffens uns über dieses Thema unterhalten, höre ich: "Ich hatte keine Ahnung was mich in der Hochzeitsnacht erwartet". "Ich bin zutiefst erschrocken als mein Mann nackt vor mir stand", und vor allem: "meine Mutter hat mich nie aufgeklärt". Wir, alle damals 20/21-jährig, alle katholisch, alle noch Jungfrauen und dies auf jeden Fall bis nach dem Diplom, denn während der Schule, von Nonnen geleitet, waren 1. Männerbesuche auf den Zimmern tabu, und 2. Ausgang oder Freund sehr ungern gesehen. Und irgendwie konnte man sich verstecken so viel und wo man wollte, es kam den Nonnen immer zu Ohren, wie ich es von Einzelnen an solchen Zusammenkünften vernahm. Was waren wir doch für brave Jungfrauen!...
Alles unvorstellbar in der heutigen Zeit. Ob und wie Jungen und Mädchen heute aufgeklärt werden, wäre ein anderes Thema. Das "Zeitalter-Pendel" scheint einfach keine Mitte zu kennen: vom zu vielen Verklemmt-sein, zack, hinüber zu heute manchmal grotesken Ausschweifungen.
Das in jenen Jahren neu erschienene "Bravo" wird diesbezüglich eine grosse Lücke schliessen. Natürlich absolut undenkbar das "Bravo" - "dieses Schundheftli" - unserem Haus mit seinen "geheiligten Hallen" zuzumuten. Erstaunlich: mich interessierte dieses Thema überhaupt nicht wenn Mädchen in der 6. Klasse darüber tuschelten. Oder besser gesagt, es durfte mich nicht interessieren. Ich nahm sofort Abstand wenn ich nur annähernd ein Wort darüber hörte. Oder wenn z.B. die Buben gewissen Mädchen nachgingen, ihnen partout unter die Röcke gucken wollten, sie auch mal bis auf die Toilette verfolgten, fand ich dies einfach unanständig, und froh wenn sie mir nicht nachstellten. 
Ich muss etwas zwischen 11 und 13 gewesen sein als Mutter uns drei Mädchen eines Tages beiseite nimmt. Hochspannend! So geheimnisvoll, fast feierlich, hatte ich Mutter nie zuvor erlebt: Es sei an der Zeit uns zu erklären warum wir, wie jede gesunde Frau, bald jeden Monat während ein paar Tagen bluten würden. Man nenne diese Tage Menstruationsblutung oder einfach "die Regel". Ab diesem Tag seien wir fruchtbar, also fähig, Kinder zu gebären. Was es dazu braucht oder wie eine Befruchtung stattfindet erwähnt sie natürlich nicht. Ebenso wenig erklärt sie, wie, wo, und wann dann das Kind geboren wird. Heute schmunzle ich wenn ich gedenke, wie lange meine Fantasie mir vorgaukelte, das Kind käme bei der Mutter aus der Brust heraus..... Für meinen um ein Jahr älteren Bruder war alles noch schwieriger. Mutter meinte, den Buben soll Vater alles erklären. Doch von Vaters Seite kam nie etwas, wie dieser Bruder später erzählte. Er habe weder von Mutter noch von Vater je ein Wort darüber gehört. Mutter habe ihm einfach eines Tages ein sogenanntes "Aufklärungs"-Magazin in die Hand gedrückt.
 
 
 
"Pechschwarz" und "Grellrot" unversöhnlich.
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5.4.  Kindheit - erste Erinnerungen. – Katholisch: nicht nur der bessere, sondern der "beste Glaube" .

"Pechschwarz" und "Grellrot" unversöhnlich.
Mein "pechschwarzer" Vater, und der "grellrote" Nachbar.
Da prallten zwei Welten aufeinander: Mein Vater ganz klar ein "Schwarzer". So nannte man (oder nennt immer noch?) jene, welche der katholischsten der Parteien (CVP) angehören.  Einer unserer Nachbarn, ein "Roter". So nennt man bis heute die Sozialdemokraten. Nach Vaters Empfinden also genau sein Gegenteil. Wenn sie einer Begegnung nicht ausweichen können, grüssen sie sich jeweils nur kurz - ohne Worte, oder mit unverständlichem Brummen. Vater meistens mit kurzem, schnell wieder weggedrehtem Kopfnicken - will gar nicht wahrnehmen ob sein Kopfnicken überhaupt erwidert wird: Er hat seine Pflicht getan. Trotzdem beschwert er sich hin und wieder, der Nachbar habe schnell den Kopf abgewandt oder sei verschwunden, um ihn ja nicht grüssen zu müssen. Nur wenn es unbedingt sein musste sprachen sie miteinander. So z.B. als es um die Neuumzäunung unserer nebeneinander liegenden Grundstücke ging. 
Rote Tulpen mit nachfolgenden ungesunden Vermutungen.
(Von meinen Schwestern erzählt. Ich selber nicht da, oder kann mich nicht erinnern)
Eines schönen Frühlings habe Mutter Tulpenzwiebel nahe an Nachbars Grundstück gepflanzt, nichts wissend bezüglich deren Farben. Dann die Überraschung: alles rote Tulpen. Mutter habe sich gefreut, ihre Freude jedoch, nicht lange gedauert. An einem der nächsten Morgen: alle Tulpen abgeschnitten, verschwunden. Meine Eltern hätten gemunkelt: "War es der Nachbar?" Vielleicht denke der, Mutter habe die roten Tulpen - ihn wegen seiner Parteizugehörigkeit belächelnd - vorsätzlich dort gesetzt.
Heute sage ich dazu: Es spukte wohl - hüben wie drüben - so einiges in den Köpfen herum. Und dies nur weil man sich gegenseitig mied, aus dem Weg ging, und sich im Endeffekt sogar verdächtigte.
Wollte man im Kanton Solothurn wirklich keine katholischen Lehrer?
Mein älterer Bruder wollte Lehrer werden. 2 Jahre hintereinander scheiterte er an der Aufnahmeprüfung fürs Lehrerseminar. Daraufhin äusserte sich Vater grollend über das solothurnische Erziehungswesen: "Ich bin sicher, die wollen einfach keine "schwarzen" (katholischen) Lehrer einstellen". Er war felsenfest davon überzeugt, dass der Grund des Scheiterns meines Bruders beim "freisinnigen" solothurnischen Erziehungsdepartement lag.
2018: Nachdenkliches:
Wenn schon Parteiliches, wäre ich bestimmt Rot-Grün und immer mehr Grün. Wenn denn Letztere im Gesamtbrei nur nicht einfach mitmischen sondern für ihre Anliegen mehr einstehen würden, sich nicht wie viele andere von Monsanto, Nestlé und Co.-Lobbyisten beeinflussen liessen. Ansonsten bin ich eine, die sich mit "rechts-links", "schwarz-weiss", "alles-nichts", nicht wohl fühlt, also kein Parteimitglied werden kann. Keine Parteien und doch parlamentarisch das Beste für das Gemeinwesen erreichen? Wie könnte man dieses Dilemma lösen? Das hat auch in der demokratischen Schweiz noch niemand "erfunden". 
 
Fotos, Dokumente
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5.4.  Kindheit - erste Erinnerungen. – Katholisch: nicht nur der bessere, sondern der "beste Glaube" .

Fotos, Dokumente


(1) 1966: silberne Hochzeit der Eltern
1966: silberne Hochzeit der Eltern

 


(2) 1959: goldene Hochzeit meiner mütterl. Grosseltern mit einigen ihrer Enkelkinder (alle sind nicht da): die kleinen Jungen in weiss sind drei meiner Brüder, von meiner Mutter "eingekleidet": der Stoff, leere Reissäcke von der USEGO.

1959: goldene Hochzeit meiner mütterl. Grosseltern mit einigen ihrer Enkelkinder (alle sind nicht da): die kleinen Jungen in weiss sind drei meiner Brüder, von meiner Mutter "eingekleidet": der Stoff, leere Reissäcke von der USEGO.

  



(3) Gedicht meiner Mutter zur goldenen Hochzeit ihrer Eltern

Gedicht meiner Mutter zur goldenen Hochzeit ihrer Eltern

 

 

 

(4) Monatslohn meines Vaters im Jahr 1974

 

Monatslohn meines Vaters im Jahr 1974



(5) Ausgaben und Einnahmen trug Mutter sorgfältig in ihr Haushaltbuch ein. Hier ein Ausschnitt aus dem Jahr 1968

Ausgaben und Einnahmen trug Mutter sorgfältig in ihr Haushaltbuch ein. Hier ein Ausschnitt aus dem Jahr 1968

 



(6) Besondere Ausgaben

Besondere Ausgaben

 

(7) Ausweis der bestandenen Prüfung.

Ausweis der bestandenen Prüfung.

 

 

 
 
Grosseltern
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6.  Grosseltern
Vater's Eltern in Erlinsbach SO:
Grossvater Arnold von Däniken
von und in Erlinsbach SO (mein Heimatort) 
Erinnerungen habe ich so gut wie keine an ihn: Bauer, mit vielen Milchkühen und viel Land. Im Nebenberuf Sigrist der kath. Kirche: Diese steht nur ein paar Schritte von seinem Haus entfernt. Ein Sigrist sorgt für Ordnung und Sauberkeit in der Kirche, läutet die Glocken, bereitet den Altar für die Gottesdienste vor, hilft dem Priester beim Ankleiden vor der Messe, sammelt die Opferbatzen ein, usw. 
Sein Tod:
Im Alter habe er zusehends immer mehr Alkohol getrunken, viele Abende in der Beiz gesessen, mehr oder weniger betrunken jeweils knapp sein Haus wieder gefunden. So geschehen auch an jenem Abend, als er beim Verlassen der Beiz die falsche Tür erwischt und die Treppe runter in den Keller gepurzelt sei: sein Tod. Mein Vater trug als Zeichen der Trauer während Monaten einen schwarzen Knopf angesteckt an Jacken oder Anzügen.



(1) Haus meiner Grosseltern väterlicherseits. Im oberen Stock verbrachte ich meine ersten zwei Lebensjahre
Haus meiner Grosseltern väterlicherseits. Im oberen Stock verbrachte ich meine ersten zwei Lebensjahre

Grossmutter Berta von Däniken geb. Wittmer 
Ich habe sie nie gekannt. 2 Jahre alt war ich, als wir bei ihr und Grossvater aus dem oberen Stock ihres Hauses auszogen. Sie sei eine überaus fromme Frau gewesen. Täglicher Besuch der Frühmesse um 6 Uhr - die Kirche grad neben dem Haus. An Lungenentzündung sei sie gestorben, in welchem Jahr, daran erinnere ich mich nicht.


Mutter's Eltern in Gösgen:
Grossvater Josef Spielmann:
Sein "Markenzeichen" - schweres Atmen, ein Zischen - kommt mir als Erstes in den Sinn. Er litt, ich glaube Zeit seines Lebens an Asthma. Ist er es, der mir sein Allergie-Gen vererbt hat? Immer gut gelaunt habe ich ihn erlebt. Er jasste gerne, hat auch mir dieses Spiel beigebracht während meinen Ferien bei ihm und Grossmutter. Sein anderes "Markenzeichen": ein künstliches Ohr - links so viel ich mich erinnere - welches er sich jeden Morgen wieder ankleben musste. Folge einer Operation nach Krebs (Hautkrebs?) an jener Stelle.
Noch etwas Bauer, hauptsächlich aber Fabrikarbeiter:
Bei Bally, Schuhfabrik in Schönenwerd hatte er gearbeitet, ohne jedoch den Bauer ganz aufzugeben. Eine oder zwei Kühe mussten es schon noch sein, Hühner und Schweine auch. Gut für den täglichen Bedarf, Selbstversorgung. Der Stall, die Scheune noch da (s. Bild), genug Land drum herum auch. Dieses Haus steht heute noch, wurde jedoch von 2 meiner Cousins total umgebaut. Heute sind Haus, Stall und Scheune schöne Wohnungen.
Sein Alter, sein Tod:
1964, kurz nach seinem 80. Geburtstag starb er. An die genaue Todesursache erinnere ich mich nicht. Mehrere Jahre vor seinem Tod wurde er immer vergesslicher, wiederholte ständig die gleichen Fragen, erinnerte sich nicht mehr an unsere Namen. Schleichende Demenz würde man heute sagen. Meine Mutter nannte es "Arterienverkalkung im Kopf". Meine Grossmutter je länger desto mehr überfordert damit, besonders wenn er nachts umherging, nicht zur Ruhe kam, sogar das Haus verliess. Im Jahr vor seinem Tod arbeitete ich bei unserem Hausarzt in Dulliken, wohnte also für kurze Zeit zu Hause. Als Grossmutter, müde vom nächtlichen Stress uns bat, einige Nachtwachen für sie zu übernehmen, ging auch ich Grossvater "hüten". Geschlafen habe ich im Wohnzimmer auf der Couch, sofort hellwach, wenn ich ihn schlürfend daherkommen hörte. Grossmutter konnte endlich wieder mal unbesorgt schlafen. An seine Beerdigung erinnere ich mich nicht speziell. War zwar dabei aber grosse Trauer habe ich nicht empfunden; wirklich nahe habe ich mich ihm nie gefühlt.

Grossmutter Olga Spielmann-Spielmann: Auch sie eine Spielmann, nur stammte sie statt aus Nieder- aus Obergösgen.
Eine zähe, robuste und resolute Frau. Hat 8 Kinder geboren. Als Kind weilte ich hin und wieder bei ihr und Grossvater in den Ferien. Keine besonders glückliche Zeit für mich. Jedes Mal von Heimweh geplagt. Jeden Abend an die Hausecke bei der Strasse geschlichen und gehofft, Vater würde auf seinem Velo daher fahren um mich heim zu holen. Mein Heimweh, für Grossmutter unverständlich, sie weiss nicht was sie mit mir tun soll. Stricken lernt sie mich. Bei ihr habe ich das erste Mal Stricknadeln in den Händen gehalten. Baden tut sie mich jedes Mal, in einer richtigen Badewanne. So neu für mich, dass ich mich das erste Mal davor fürchte, ich könnte mit dem ablaufenden Wasser auch im Loch verschwinden. Grossmutter schüttelt sich vor lachen. Genau wie bei meiner Mutter in ihren jungen Jahren, will sie mich lieber mit Stricknadeln beschäftigt sehen als nur dasitzen und lesenMutter und Verwandte meinten hin und wieder, ich sei dieser Grossmutter in Aussehen und Charakter sehr ähnlich. "Je älter du wirst, desto mehr ähnelst du unserer Grossmutter", so ein Cousin im April 2017.

Ein Atommeiler vor ihrer Haustür? Will sie - "Herrgott nochmal" - ganz und gar nicht!
Nach Grossvaters Tod wohnt sie noch 14 Jahre, bis kurz vor ihrem Tod allein im Haus. Dieses steht - noch heute - nur ca. 5 Min. zu Fuss vom AKW Gösgen entfernt. Auch sie war entsetzt als das Projekt für diesen Bau bekannt wurde. Um die 75 Jahre alt war sie, als sie mit vielen andern Gösgern nach Bern fuhr, um gegen dieses Vorhaben zu protestieren. Vergebens! Das AKW wird gebaut und der hässliche Kühlturm, direkt vor ihrer Haustür, raubt ihr seit diesem Tag die Freude an schönen Sonnenuntergängen.
Ihr Tod:
95 Jahre alt ist sie geworden. Geistig frisch bis ans Ende. Kurz nach ihrem 95. Geburtstag kränkelt sie. Magenkrebs die Diagnose, und Spitalaufenthalt bis zu ihrem Tod 1978.


(2) Grossmutter Olga: 95 Jahre alt

Grossmutter Olga: 95 Jahre alt

 


(3) 1909: Hochzeit meiner Grosseltern mütterlicherseits. Die Braut trägt schwarz. Sie war schwanger. War sie deshalb in schwarz? Oder war es die Mode jener Zeit?
1909: Hochzeit meiner Grosseltern mütterlicherseits. Die Braut trägt schwarz. Sie war schwanger. War sie deshalb in schwarz? Oder war es die Mode jener Zeit?

 

(4) Haus meiner mütterlichen Grosseltern in Gösgen. Hier habe ich als Kind mehrmals ein paar Tage verbracht - mit täglichem Heimweh.....

Haus meiner mütterlichen Grosseltern in Gösgen. Hier habe ich als Kind mehrmals ein paar Tage verbracht - mit täglichem Heimweh.....

 





 
Allergien
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7.  Krankheiten

Allergien
Asthma.
"Als Kleinkind hattest du Asthma, manchmal verzweifelte ich, wenn ich dich pfeifen hörte", sagte mir Mutter später. Ich selber erinnere mich nicht. Um mir, wenn es ganz schlimm war das Atmen zu erleichtern, habe der Arzt mal einen Kuraufenthalt in den Bergen, mal sogar einen Helikopter-Rundflug vorgeschlagen. Weder das Eine noch das Andere wurde durchgeführt. Wahrscheinlich, weil mein Asthma - so sehe ich es heute - saisonbedingt war, mich also nicht das ganze Jahr hindurch plagte. Überhaupt habe der Arzt gesagt, ich würde es vielleicht auswachsen und in wenigen Jahren davon befreit sein, wie die meisten unter Asthma leidenden Kleinkinder. Genau so geschah es, mein Asthma verschwand.... indem es sich ganz einfach auf eine andere Ebene verlagerte:
Diese vermaledeite Frühpollen-Allergie.
Lieber Frühling, ich mag dich sehr aber an deinen schönsten Tagen vergällst du mir die Freude an dir. Warum tränen meine Augen, juckt und tropft meine Nase, draussen mehr als drinnen? Warum dieser Husten? Nicht zu stillen, auch mit Mutters verrücktesten Tees nicht (z.B. Knoblauchtee). Kaum hört sie mich husten, ruft sie: "Nimm es Däfeli is Muul". Sie ist verzweifelt: "Warum nur bist du dauernd erkältet? Weiss nicht was ich noch für dich tun könnte, bin am Ende meines Lateins". Auch der Arzt steht vor einem Rätsel. Schuld sind Hasel, Erle, Birke und Co. Kaum blühen diese Bäume spielt meine Nase verrückt. Aber das erfahre ich erst 20 Lenze später. Fast 30 muss ich werden bis man erkennt, dass der Grund meiner geröteten Augen, meiner juckenden "laufenden" Nase, meines "ewigen" Husten im Frühjahr, allergisch ist. Ich, allergisch auf den Frühling! oh Schreck lass nach, und Trauer! Ein paar wiederkehrende Erkältungen im Frühjahr - wie Mutter jedes Mal meinte es sei eine - wären mir lieber gewesen. Zum Glück war und ist es nicht jedes Jahr gleich schlimm. Aber einen Aufenthalt im Freien, wenn die Natur wieder erwacht wurde mir während vielen Jahren vergraulet. Obwohl, mit dem Alter (2019=75 Jahre) rebelliert mein Immunsystem weniger bis gar nicht mehr gegen Pollen von Hasel-Erle-Birke-Esche und Co. Anscheinend auch mein Immunsystem zu müde - oder ist ihm zu langweilig - gegen die immer gleichen Feinde kämpfen zu müssen. Vielleicht finden sich Andere? Heute sind gewisse Gerüche oder bestimmte Speisen zum Feind meines Immunsystems geworden.... ohne Voranmeldung bringen sie meine Nase immer mal wieder zum "laufen" und mich zum Verrücktwerden.... Fazit: Einmal Allergikerin, immer Allergikerin. Erst jetzt im Alter kann ich dich endlich geniessen, lieber Frühling. Mein Immunsystem hat seine Rebellion gegen dich endlich aufgegeben. 
Meine dauernden "Erkältungen" sind für Mutter ein gutes Argument, mir (uns Mädchen) zu verbieten die dicken winterlichen Wollstrümpfe zu früh gegen Kniesocken zu tauschen. Wir protestieren: Andere Kinder würden an wärmeren Tagen schon Kniesocken tragen. Unsere Proteste nutzlos: "Ihr seid meine Kinder und ich will nicht, dass meine Kinder krank werden!"

Ein Wespenstich, der tödlich hätte enden können (auch allergisch):
Ich erinnere mich: 11 oder 12 muss ich gewesen sein, in den Ferien bei den Grosseltern (oder war's bei Onkel, Tante und den 6 Cousins nebenan?). Mit 3 Cousins unterwegs im Wald beim Beeren sammeln, mein kleiner Korb fast voll, spüre ich plötzlich einen Stich am Bein. Blick auf mein Bein: eine Wespe. Schrei, Korb fallen gelassen, Beeren alle verstreut. Die Cousins eilen herbei: "Was ist passiert, was hast du?" versuchen sie gleichzeitig die verstreuten Beeren einzusammeln. Schon bin ich ausser Atem, kann ihnen nur noch nach Luft schnappend antworten. Meine Kehle mehr und mehr wie zugeschnürt. Angst. Meine Cousins zusehends besorgter, erkennen wie mein Gesicht anschwillt. Jetzt haben auch sie Angst. Schnell nach Hause. Gehen, anhalten, nach Luft schnappen, wieder gehen: also nicht schnell, sondern langsam nach Hause. Sie stützen mich von beiden Seiten, tragen mich fast. Der Arzt ist schnell da. Calcium-Injektion direkt in die Vene. Mein Atmen beruhigt sich. Eine weitere Injektion am folgenden Tag bringt auch mein aufgedunsenes Gesicht wieder in eine menschliche Form zurück. Bin noch einmal davon gekommen..... Liebe Wespen, ich weiss, auch ihr seid nützliche Tiere. Danke dass ihr mich bis heute nie mehr gestochen habt. Und entschuldigt mich, denn eine von euch hat mich damals bestimmt nur darum gestochen, weil ich (wahrscheinlich) auf ein Nest getreten bin. 

Kommentar Sept. 2017: einer jener Cousins (Niklaus) hat mir Folgendes dazu gemailt:
"Wir stützten Dich und liefen so schnell wie möglich nach Hause – obwohl Du nur mit lauten Geräuschen atmen konntest. Wir hatten sehr Angst um Dich. Zu Hause war aber erst mal niemand. Wir „legten“ Dich ins Bett im mittleren Zimmer und legten eine heisse Bettflasche auf Deinen nackten Bauch. Als dann schlussendlich der Arzt kam und die Wärmeflasche entfernte, hattest Du Verbrennungen am Bauch (3 Blasen – ich sehe sie noch heute vor mir). Wie haben wir uns doch geschämt, weil wir Dir auf diese Weise noch mehr Schmerzen zugefügt hatten."
 
 
 
 
Dengue-Fieber in Thailand
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7.  Krankheiten

Dengue-Fieber in Thailand
Weibliche Stechmücken benötigen fremdes Blut, wenn sie "schwanger" sind. Ohne Blut kein Nachwuchs. Männchen hingegen sind brav, stechen.... nur ihre auserwählte Mücke. Hört Weibchen: schlimm für angezapfte Zwei- oder Vierbeiner ist nicht das bisschen Blutverlust, schlimm ist was ihr ihnen dabei - ungewollt - injiziert. Teilen sieht anders aus. Habe schon an anderer Stelle (Kapitel: Thailand) über meinen Krieg gegen Mücken in diesem Land geschrieben. Über zerstochene, juckende, zerkratzte, blutende, vernarbte Beine - Beine vor allem, aber auch andere Stellen. Stets hoffend diese Plage werde nie Schlimmeres bringen: Malaria z.B. - Vorsorge-Tabletten hatten wir dabei - oder eben Dengue, das Dengue-Fieber, auch von Mücken übertragen. Vorsorge gegen dieses Fieber gibt es keine. Ein grosses Glück: ich erkrankte an der leichteren Form. Die schwerere, bei welcher es zu inneren Blutungen - Nieren, Lunge, Leber oder gar Hirn - kommt, kann tödlich verlaufen. Eine Holländerin litt unter Letzterer, lag mit Blutungen in den meisten Organen im Spital. Ob sie dieses geheilt verlassen konnte habe ich nie erfahren.
Ich erinnere mich: Ungefähr ein Jahr nach meiner Ankunft in Thailand ist es so weit. Irgendeine freche Mücke hat auch mir ein schädliches "Mitbringsel" gebracht: Plötzliches heftiges Kopfweh mit Schüttelfrost. Ist es die Grippe? Gibt es überhaupt Grippe in Thailand? Eine Kollegin bringt mir den Fiebermesser: 40°! Beide Kolleginnen fragen sich: Arzt oder nicht Arzt? "Kein Arzt", meint die eine, "ich glaub ich weiss was es ist, hab über 10 Jahre im Laos gelebt, kenne die Symptome aus eigener Erfahrung: du hast Dengue, ein Virus von einer Mücke übertragen." Da könne auch ein Arzt nichts anderes tun als fiebersenkende Arzneien verordnen. 10 Tage liege ich da, 6 davon mit konstanten 40° "interner" Temperatur - aussen zwischen 30 und 35° (Thailand). Essen kann ich nichts, muss es gleich wieder hergeben. Zum Trinken steht immer etwas da, meine zwei Kolleginnen umsorgen mich gut. Warten, versuchen zu schlafen, trinken, aushalten, dahin dösen - lesen? zu müde - so läuft mein Tages- und Nachtprogramm. Am 10. Tag dann die "Überraschung": geröteter Ausschlag über den ganzen Körper - dem Ausschlag bei Masern nicht unähnlich - Fieber endlich am Sinken. Aufatmen, auch wenn mich die Beine kaum tragen. "Musst dich schonen, wirst mindestens einen Monat brauchen bis du wieder einigermassen brauchbar bist; ich spreche aus Erfahrung", so meine erfahrene Kollegin. Sprach's und geht in der Folge fast jeden Tag am frühesten Morgen - 5 oder 6 Uhr - zum Markt. Wer ein wirklich gutes und wertvolles Stück Fleisch erstehen will findet dieses nur um diese Zeit. Später ist es zu spät. Im Dorf selber gibt es keine Metzgerei. Was meine Kollegin für mich will ist gutes Fleisch damit ich schnell wieder zu Kräften komme. Die Zeit meiner Erholung benutze ich, um die Sprache zu lernen. Unsere Köchin, gleichzeitig das Haus bewachende Thailänderin, spricht nur Thai. Sehr gute Gelegenheit die Sprache zu lernen. 
 
Krebs
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7.  Krankheiten

Krebs
Wie viele Frauen mit Brustkrebs ich als Pflegefachfrau erlebt und gepflegt habe weiss ich nicht. Der Gedanke es könnte auch mich einmal treffen? Ausgeschlossen, undenkbar: "Bei den Andern, bei mir sicher nie, gebe ich mir doch jede erdenkliche Mühe so gesund wie möglich zu leben, daher unmöglich, dass es mich je trifft." Unglaublich wie raffiniert wir Menschen sind, wenn es darum geht etwas zu verdrängen: die Andern vielleicht, aber ich doch nicht.....
Januar 1996: 2 Monate nach meinem 51. Geburtstag ist es dennoch so weit, der Schock bei der Entdeckung des Knoten in der linken Brust verheerend. Die Bestätigung eines bösartigen Tumors - nach Mammographie und Biopsie - noch schlimmer. "Also doch, auch.... ich... muss... nun.... da.... durch.... weinen macht's nicht leichter".
Umgehend setzt sich der "grosse Zirkus" in Aktion, Entscheidungen müssen getroffen werden. Es geht um mich, ich will mitentscheiden: 
- Operation mit oder ohne Brustamputation? 
- Bestrahlung, ja oder nein?
- Chemotherapie, ja oder nein?
Zweimal entscheide ich mich gegen die Meinung der Ärzte: 
Schmerzhafter Entscheid: Brustamputation.
Einer brusterhaltenden Operation mit nachfolgender Bestrahlung, wie sie mir die Ärzte vorschlagen - der Tumor sei klein - kann ich nicht zustimmen. Zu viele bestrahlte Frauen mit nachfolgenden Strahlenschäden habe ich gesehen, zu viele nicht heilen wollende Wunden nach Bestrahlung gepflegt. Das sei ein alter Zopf, meint der Chefarzt, heute bestrahle man gezielter. Ich glaube ihm nicht, würde ihm auch heute noch nicht glauben. Grosse Fortschritte in der Strahlentherapie gibt es bis heute nicht. Ich bleibe bei meiner Entscheidung...... trotz Tränen. Keine Bestrahlung heisst, die linke Brust - ein Stück von mir - verabschieden, Zukunft mit Prothese. Schlimme Zeit.
In stillen Tagen schrieb ich: "Alles was dir genommen werden kann ist eh vergänglich. Bist du nicht viel mehr als dieses Vergängliche? Glaubst du dass du wirklich mehr bist? Wenn ja, konzentriere dich auf dieses "Mehr": schau in dein Inneres, dort findest du's, schau es immer wieder an, lerne von ihm, höre auf es, lebe aus ihm denn dieses kann dir niemand nehmen". (Diese Zeilen gefunden in einer Notiz aus jener Zeit)  
Chemotherapie? ..... weckt auch schlimme Erinnerungen an damit behandelte Frauen während meiner Pflegelaufbahn. Schliesslich lenke ich doch ein - wenn auch sehr widerwillig - als sie mir als unausweichlich dargestellt wird: ich sei noch zu jung, der Krebs zu aggressiv, um mich ihr zu entziehen. Mit Verachtung lass ich sie geschehen, lasse 4-mal in 8 Wochen dieses Gift in mich hineinträufeln, Tropf um Tropf, eine rötliche Flüssigkeit. Leben will ich ja schon noch eine Weile…. Eine schauderhafte Erfahrung: viel Erbrechen, Haarverlust, grosse Müdigkeit, so diese Zeit von knapp 3 Monaten. Arbeitsfähig bin ich erst nach 6 Monaten wieder, wenn auch nicht an der vor dem Krebs vereinbarten neuen Stelle. Auch dies eine Ursache meiner grossen Müdigkeit nach den Behandlungen: Ungewissheit. Wie, wo, wann, und werde ich überhaupt eine passende Arbeit finden? (mehr davon im Kapitel: "Neubeginn in der Schweiz").
Herbst 1997: Auch die rechte Brust.........
Trotz regelmässiger Nachkontrolle, trotz Chemotherapie, trotz Einnahme von Antiöstrogenen, wird nach 1½ Jahren auch in der rechten Brust ein kleiner Knoten entdeckt. Wieder bösartig. Ich sehe mich: völlig niedergeschmettert auf einem Stuhl im Gang sitzen, auf die Besprechung mit dem Arzt wartend: "Kann nicht sein, das darf nicht sein, nicht schon wieder!" Der Arzt bestätigt den Befund, nochmals unters Messer unausweichlich. Später auf dem Velo, radle ich total niedergeschlagen nach Hause. Plötzlich werde ich in einer Kurve von einem Kleintransporter mit Anhänger überholt. Ganz knapp, nur um Haaresbreite muss es gewesen sein, und er hätte mich gestreift. Total erschrocken, riss er mich aus meinen düsteren Gedanken: "Meine Güte, grad jetzt könntest du tot sein, so schnell gestorben", geht mir durch den Kopf, "aber du bist noch da, also wird es trotz allem irgendwie weitergehen". 
Zweite Brustamputation
Der Tumor in der rechten Brust kleiner als jener in der linken. Wieder muss ich meine Entscheidung - "keine Bestrahlung!" - durchsetzen. Wieder zittere ich beim Anhören der ärztlichen Argumente, welche mich von meiner Entscheidung abbringen wollen. Diesmal zittere ich zwar, zögere aber nicht, weiss ganz bestimmt was ich will: auch die rechte Brust verabschieden. Diesmal mit weniger Wehmut, werde ich mich doch danach bestimmt wieder ausgeglichen fühlen: Wenn schon, besser gar keine Brüste als dieses "halbe-halbe". Unverständlich für den Chefarzt - klar, ein Mann.... Und noch etwas versteht er nicht: "Diesmal will ich keine "Axilla-Revision", melde ich ihm. Das heisst, kein Öffnen der Achselhöhle zwecks Entfernung eventuell befallener Lymphknoten - gehört bei einer Brustkrebs-Op. automatisch dazu. "Da gehen Sie aber ein grosses Risiko ein", droht er. "Das nehme ich in Kauf", meine Antwort. Und um ganz sicher zu sein - sollten sie während ich schlafe doch noch auf die Idee kommen meine Achselhöhle zu öffnen - schreibe ich am Vorabend auf das Blatt des Anästhesie-Arztes: "Bitte keine Axilla-Revision". Nach dem Eingriff stimme ich keiner weiteren Therapie mehr zu, habe es bis heute 2017 - 20 Jahre ist es her - nicht bereut.
Kein Wiederaufbau der Brust.
Auch schon vor 20 Jahren konnte man mit einer guten chirurgischen Wiederherstellung einer Brust rechnen. Auch mir hat man diesen Vorschlag gemacht. Habe mich dagegen entschieden. Silikon-Implantate kann ich mir nicht vorstellen, noch weniger einen Wiederaufbau mit Eigengewebe - Bauchfett oder "Schnipsel" vom Rückenmuskel.... Niemals würde ich meinen Organismus ohne absolute Notwendigkeit, mit 4-6-stündigen chirurgischen Eingriffen samt ebenso langen Anästhesien belasten. Dies meine ganz persönliche Einstellung zum Thema....  

Erhaltener Kommentar am 04.11.2020  
Du warst derart mutig und eigenständig, eigensinnig - zum Glück! Leider konnte ich dir damals nicht beistehen, weil ich dich nicht kannte. Jetzt feiern wir diese überstandene und gemeisterte Lebensphase immer wieder - z.B. mit einem Glas Verveine-Tee!
Alfred ('Unik'-Buch Schreiber)
 
Guido todkrank
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7.1.  Krankheiten – Krankheiten in der Familie.

Guido todkrank

Gegen Ende meines 1. Primarschuljahres wacht mein Bruder Guido, 2-jährig, plötzlich jeden Morgen mit verschwollenen Augen auf. Im Verlauf des Tages verschwindet diese Geschwulst wieder. Mutter wartet vorerst ab, misst diesem Phänomen während ein paar Tagen keine grosse Bedeutung zu. Doch als Tage vergehen und Guido weiterhin jeden Morgen beim Erwachen kaum aus den Augen sehen kann, benachrichtigt sie den Arzt. Dieses Phänomen lasse auf ein Nierenleiden schliessen, meint er, und verordnet zur Überwachung die tägliche Messung des Eiweiss im Urin. Als wäre es gestern gewesen, sehe ich vor mir: Das vom Arzt mitgebrachte speziell skalierte Reagenzglas füllt Mutter jeden Morgen mit Guidos Urin, lässt es bis am andern Morgen stehen, liest anhand der Skala auf dem Reagenzglas wie hoch das Eiweiss steht und notiert die Zahl. Eiweiss, schwerer als Urin, senkt sich im Glas wenn man es 24 Stunden stehen lässt. Normaler Urin enthält kein Eiweiss, bleibt daher klar und ohne "Satz" wenn man ihn stehen lässt. Bei Guidos Urin steigt der "Satz" im Glas mal mehr mal weniger hoch an, verschwindet aber nie ganz. Der Arzt empfiehlt strikte Diät: vor allem kein Salz, hingegen viel Eiweiss. Das täglich im Urin ausgeschiedene Eiweiss muss dringend ersetzt werden, besonders bei einem Kind. Also Fleisch, salzloses Fleisch, eine Gratwanderung für Mutter. Beim Metzger muss sie dieses spezielle salzlose Fleisch extra bestellen. Ich wollte natürlich wissen wie salzloses Fleisch schmeckt: Fad, geschmacklos. Dem Bruder mischt sie es in den Brei. Er isst jetzt jeden Tag Fleisch - weiss es nur nicht...... wir andern höchstens 2 x die Woche.

Guido mit einem Hungerbauch.
Schade, gerne würde ich hier - sehe es noch vor mir - jenes verloren gegangene Bild einfügen: Guido auf einem Stuhl stehend, dünne Ärmchen, dünne Beine, stark vorgewölbter dicker Bauch. Wie ein an Hunger leidendes Kind aus Afrika steht er da. Das tägliche Fleisch ist nicht genug. Seine Nieren, inzwischen so schwer erkrankt, dass sie, so viel man auch zuführt, kein Eiweiss mehr zurückhalten können. Höchste Zeit für seine Einweisung ins Zürcher Kinderspital.

"Oh nein!! mein Guidoli muss ins Spital".....
.....sein Abschied herzzerreissend für mich. Mutter, mit Guido, in eine Decke eingewickelt, in den Armen, fährt im Auto einer ihrer Brüder nach Zürich. Ich will die Vorbereitung für seine Abreise nicht mitansehen - zu schmerzlich - verschwinde hinterm Haus, setze mich im Garten auf die Schaukel. Tränen fliessen während ich mich selbst schaukle und immer wieder seinen Namen rufe: "Guidoli, Guidoli!"

Durch ein kleines Fenster getrennt.
Einmal, ein einziges Mal darf ich ihn während seines fast einjährigen Spitalaufenthaltes mit meinen Eltern besuchen. Ich erinnere mich: ein, auf Augenhöhe Erwachsener kleines geschlossenes Fenster in der Wand. Hinter diesem erscheint eine Pflegerin mit dem Kleinen in den Armen, sein Ärmchen zum Winken hebend. Das Fenster bleibt zu, niemand darf ihn berühren. Erkennt er wenigsten seine Eltern? Er lächelt nicht.... Wenn Mutter jeweils von ihren seltenen Besuchen bei ihm zurückkehrt bringt sie nie gute Nachrichten. Im Zimmer wo neben ihm Kinder mit demselben Nierenleiden liegen, sterbe eins nach dem andern. Einmal nennt sie sogar eines beim Namen: "Jetzt ist auch das Rosemarie, das Mädchen im Bett neben Guido, gestorben". Auch in unserem Dorf starben ein oder zwei Jahre später 2 Kinder am gleichen Leiden. Ich kannte sie gut weil sie mir gerne beim Geschichten-erzählen zuhörten. Warum diese Krankheit, genannt Liponephrose, bei so vielen Kindern in jenen Jahren?  "Bestimmt ist es die Pockenimpfung, ich bin sicher es ist eine Nebenwirkung der Pockenimpfung. Bei Guido ist dieses Leiden 6 Monate nach seiner Pockenimpfung ausgebrochen", hörte ich meine Mutter mehr als einmal seufzen. Der Hausarzt hatte ihr nie widersprochen. Heute werden Kinder nicht mehr gegen Pocken geimpft.

Doch der Kleine will noch nicht sterben.........
Nach seinem über 10-monatigen Aufenthalt im Kinderspital Zürich sind die Ärzte auch bei Guido am Ende ihres Lateins. Sie "geben ihn auf", schicken ihn zum Sterben nach Hause. Alles hätten sie versucht, neue Medikamente an ihm ausprobiert - zu deren Verabreichung meine Eltern ihre Zustimmung geben mussten - trotzdem keine Besserung. Unser Hausarzt tut sein Bestes, verschreibt herzunterstützende Tropfen, welchen Mutter Lourdes-Wasser beimischt; nur noch die Mutter Gottes von Lourdes könne jetzt helfen. Guido will kaum noch essen. Nach Lourdes pilgernden Bekannten gibt Mutter einen Brief an die Maria von Lourdes mit, sie sollen diesen dort in die Grotte legen. Viele Briefe liegen dort, tagtäglich - wie ich es mehrmals gesehen habe als ich als Pflegerin (und Nonne) in Zügen, voll mit auf Heilung hoffender Kranken, dorthin gepilgert bin. Mutter glaubt an ein Wunder für Guido, und es geschieht....
........ ich werde es nie vergessen!
Vorabend von Auffahrt 1953: Der Kleine erwacht am Morgen mit Fieber, will nichts essen, siecht dahin. Das Fieber steigt kontinuierlich, erreicht bald 40°. Bei Ankunft des Arztes verschwinde ich auf mein Zimmer, Kopf unter die Decke, Ohren zu: nur nicht den Kleinen schreien hören, das würde ich nie aushalten! Der Arzt entdeckt eine Geschwulst auf seinem heissen, geröteten Bauch - ein Abszess - versucht diesen an verschiedenen Stellen zu öffnen. Mit dem Auslaufen des Eiters werde sich das Fieber senken. Doch es erscheint kein Eiter. Vergebens gestochen - zum Glück das Schreien des Kleinen, für nichts, nicht gehört - der Abszess sei noch nicht reif genug. Für einen weiteren Versuch komme er Morgen wieder. In der Nacht wecken schreckliche Schreie meine Eltern. Mutter, sofort an sein Bettchen geeilt, sieht ihn in Eiter und wässriger Flüssigkeit liegen: der Abszess, spontan aufgeplatzt und entleert. Der Kleine schwitzend, sein Fieber gesunken. Grosse Augen des Arztes bei dieser Nachricht. Ist das die Wende? zum Besseren oder zum Schlechteren? Die folgenden Tage beweisen es: zum Besseren. Nach Heilung des Abszesses nie mehr Eiweiss im Urin. Von Tag zu Tag geht es im besser. Der Arzt kann sich diese plötzliche Wende nicht erklären. Niemand kann es, auch die Ärzte in Zürich nicht, nachdem unser Arzt mit Guido bei ihnen vorstellig wurde. Auch sie können sich keinen Reim auf einen solch unerwarteten Verlauf dieser Krankheit machen, fragen sich sogar ob man einen solchen Abszess nicht auch künstlich hervorrufen könnte um andere Kinder zu heilen.....

Nie mehr ein Rückfall
Mein Bruder definitiv geheilt. Heute 2016, 66 Jahre alt, erfreut er sich bester Gesundheit. Nur Zahnärzte, sobald sie sich seine Zähne ansehen stellen fest, dass da in seinen jüngsten Jahren bei ihm etwas nicht gestimmt haben müsse. Ob er sich erinnere was das gewesen sei, wollen sie dann immer von ihm wissen. Seine Krankheit hat also nur in seinen Zähnen bleibende "Narben" hinterlassen.

Erhaltener Kommentar: 18.07.2018 - 09:00 Uhr:
Sehr eindrücklich, wie Du diese Krankheit Deines Bruders beschreibst! Herzlich Ruth

 

 
 
 
Masernaufenthalt "zu dritt"
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7.1.  Krankheiten – Krankheiten in der Familie.

Masernaufenthalt "zu dritt"

Gegen Kinderkrankheiten wie Masern, Windpocken, Mumps, Röteln gab es damals noch keine Impfungen. Kein Entrinnen, wir mussten diese Krankheiten "durchmachen". Heute müssen Kinder diese nicht mehr "durchmachen", sie werden schon als Säuglinge "durchgeimpft". Säuglinge „durchimpfen“ ja oder nein? Ein Thema, ein immer mal wieder "heisses Eisen" auf welches ich hier nicht eingehen will. Hatte ja selbst nie Kinder, um diesbezüglich Entscheidungen treffen zu müssen. Polio (Kinderlähmung) in meiner Kindheit der grosse Schreck der Mütter: "Es liegt wegen Kinderlähmung in der "eisernen Lunge" im Balgrist Zürich", ein immer mal wieder gehörter Satz. Auch das Schreckgespenst Tuberkulose zeigte sich noch hin und wieder, wenn nicht wirklich, dann in der Angst davor. Letztere war in den Köpfen der Generation meiner Eltern noch stark präsent. Unser jährliches Lungenröntgen (damals Durchleuchten) beim Hausarzt zwecks eventueller Früherkennung von TBC hatte sich meine Mutter zur Pflicht gemacht. Und ich erinnere mich ganz klar dass ich in der Schule gegen TBC geimpft wurde, nachdem bei mir der Antikörper-Test negativ ausgefallen war.
An unsern "Masern-Aufenthalt" erinnere ich mich besonders gut. "Unseren", weil wir drei Mädchen zur selben Zeit mit Masern im Bett lagen. Masern bedeutet vor allem hohes Fieber. Für Mutter war hohes Fieber bei Kindern nie eine Katastrophe: "Wenn das Fieber während 3 Tagen über 39'5 steigt, rufe ich am 4. Tag sofort den Arzt", ihre Art damit umzugehen. Bis es eventuell soweit kommen könnte vertraut sie auf ihr bewährtes Rezept: Essigsocken. Keine fiebersenkenden "Zäpfli" oder was auch immer, unermüdlich versorgte sie uns mit Essigsocken. Ich sehe sie vor mir: im Becken mit einem Gemisch aus Essig-Wasser tränkt sie eine Windel, wringt sie aus, wickelt sie um mein Bein und bedeckt alles mit einem trockenen Tuch. Und damit auch alles schön am Bein haften bleibt, verschnürt sie dieses "Paket" an zwei Stellen. Eine Wohltat! War es der kühlende Effekt auf dem heissen Bein, oder Mutter's streichelnde Hände? Wahrscheinlich beides. Später im Leben habe ich mir nie mehr Essigsocken angelegt. Auch nicht in Thailand als mich das Dengue-Fieber, mit einer Woche 40° Fieber, erwischt hatte.
Das Zimmer müsse verdunkelt bleiben, so Mutters Befehl. Auch aus dem Fenster schauen ist verboten. Zu viel Licht sei bei Masern schädlich für die Augen. Als es uns besser ging, musste - wie jedes Mal, wenn wir krank waren - ihre Verordnung eingehalten werden: "Bei mir verlässt kein Kind das Haus bevor es nicht mindestens 2 Tage fieberfrei ist." Einwände oder gar Proteste unsererseits - dieses oder jenes Kind darf doch auch schon... - wollte sie nicht hören: "Das geht mich nichts an, ich weiss was für meine Kinder gut ist".

 
 
 
 
 
Primarschulzeit im Nebel
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8.  Scheue "heimlifeisse" Primarschülerin

Primarschulzeit im Nebel
Olten und Umgebung sind in Herbst und Winter als Nebelloch bekannt. Wenn ich versuche, mich an meine Primarschuljahre zu erinnern, sehe ich auch da vernebelte Jahre. Kann mich nicht erinnern wie wir lesen, schreiben, rechnen gelernt haben. Hingegen erinnere ich mich an farbige Blümchen, Linien, Punkte, Kreise, welche ich entlang den Rändern der Schreibhefte zeichnete oder malte. Voll geschriebene Seiten wollen Farbe bekommen, geschmückt werden. Als Kind denkt man, Schulhefte würden eine Ewigkeit überdauern. Dass sie 10, 20 Jahre später überhaupt keine Bedeutung mehr haben und verbrannt sein würden.... unvorstellbar. Also ausschmücken für die Ewigkeit.
1951 beginnt das Schuljahr im Kanton Solothurn noch im März/April - heute im August. Als im November Geborene bin ich bei Schuleintritt grad mal 6¼ Jahre alt. Gleichaltrigen Kindern bin ich zuvor kaum begegnet, habe nie einen Kindergarten besucht, weil es einen solchen damals gar nicht gab. (Erst meine 4 jüngeren Brüder werden davon profitieren.) 
Habe ich mich auf meinen ersten Schultag gefreut? Keine Ahnung: Nebel. Hatte mich jemand begleitet? Wahrscheinlich mein um ein Jahr älterer Bruder. Mutter oder Vater bestimmt nicht.
"Ich weiss es, trau mich aber nicht es zu sagen - könnte ja falsch sein".... 
Eine schlechte Schülerin bin ich ich nie gewesen, auch nie die Beste. Aber wo ich genau stand wusste niemand, konnte niemand wissen, äusserte ich mich doch nur "schriftlich", wie bei Diktaten oder Aufsätzen usw. Mündliche Befragungen oder aufgefordert werden auf die grosse Wandtafel zu schreiben: für mich der blanke Horror. 44 Schüler/-innen in der Klasse. Zum Glück (für mich) eine so grosse Zahl, 43 ohne mich: wenn ich mich ganz klein mache, mich hinter der Vorderen versteckt mucksmäuschenstill verhalte, Kopf gesenkt wie studierend auf ein Blatt Papier starrend, werde ich bestimmt nicht aufgerufen werden. Zeit wird vergehen, die Pause läuten...... uff, bin noch einmal davon gekommen. Ja nie auffallen! Zu gross die Angst meine Antwort könnte falsch sein. Aber nicht nur das, einfach Angst mich zu zeigen, vor den Andern zu reden. Warum diese Angst? So oder so, bestimmt würde ich mit hochrotem Kopf dastehen und gewiss würden die Anderen mich deswegen kichernd auslachen: "Huch, die ist ja ganz rot geworden". Darf nicht sein, dass sie wegen meiner eventuell falschen Antwort lachen, wissen doch auch sie nicht immer die richtige. Warum werden dann sie nicht rot, so wie ich? Keine Antwort, kann es mir einfach nicht erklären. Ein Teufelskreis, aus welchem ich während meiner Primarschulzeit nie auszubrechen vermochte. 
Würde ich heute einem Schulpsychologen vorgeführt? Vielleicht. Brauche mich nur umzuhören..... heute werden Kinder beim kleinsten "Pieps" dem Psychologen gezeigt. 
 
15-20 Min. Schulweg: Damals und heute. (A. Celentano singt es treffend)
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8.  Scheue "heimlifeisse" Primarschülerin

15-20 Min. Schulweg: Damals und heute. (A. Celentano singt es treffend)
Wir wohnten im äussersten Westen des Dorfes, Schule und Kirche im Zentrum. Der Schulweg zwischen 15 und 20 Minuten zu Fuss. Kaum zu glauben wie sich dieser Weg in den letzten 65 Jahren verändert hat. Beispiel der Zersiedlung der Schweiz auf Top Niveau - sieht bestimmt in den meisten Dörfern des Mittellandes gleich aus. Bei meinem Schuleintritt 1951, eine total andere Welt: weite Felder mit Grasland, Anbauflächen für Getreide, Obstbäume in Hülle und Fülle. Höchstens 6 Häuser oder Höfe auf dem ganzen Weg. Heute: eine geballte Ladung Wohnblöcke, Reihen- und Einfamilienhäuser, die zu zählen mir die Geduld fehlt. Wiesen, Bäume, verschwunden. Genau das Bild, wie es heute viele sehen: Die Schweiz zwischen Bern und Zürich, eine einzige Grossstadt. Gut, klagen deswegen will ich nicht, hab im Ausland Schlimmeres gesehen. Solche Ballungen sind in vielen Ländern die Norm.
Trotzdem kommt mir beim Vergleich damals/heute spontan das schöne Lied von Adriano Celentano in den Sinn. Weil es mir so gut gefällt füge ich es unten an. Gleiche Melodie, gleicher Text auf Französisch - genauso schön und nostalgisch - singt Françoise Hardy: "La maison où j'ai grandi". 
Vom Weglein zur Asphaltstrasse.
1951 gleicht das erste Drittel des Weges, nicht asphaltiert, heutigen Wanderwegen. Am Ende dieses Pfades ein grosses steinernes Wegkreuz zwischen zwei mächtigen Linden. Von Zuhause aus konnte Mutter mich bis zu diesem Kreuz hin noch sehen. Heute ist alles verbaut, die Felder verschwunden, das Kreuz immer noch da. Die 2 alten Linden wurden gefällt und nur durch eine einzige Neue ersetzt. Kein Platz mehr für zwei Bäume. Das Weglein bald eine breite Asphaltstrasse.
Vom Winde fast verweht.
Über offenes Land hinweg blasen gefällt der Bise im Winter besonders gut. Nichts hält sie auf, freudestrahlend kann sie sich austoben. Wenn Mister Schnee sie begleitet wird's erst recht lustig. Sie schlägt ihm ihre Schnippchen, weht ihn mal hier, mal dort hin, lacht pfeifend, wenn sie dabei auch kleine Menschlein verwehen kann. Regelrecht stemmen musste ich mich manchmal gegen sie. Vor allem an Dienstagen und Freitagen, sehr früh unterwegs zum Schülergottesdienst vor Schulbeginn.
Von einem schwarzen Hund verfolgt. 
Erinnerung: Mitten im Winter, Schnee fällt, die Bise pfeift, spielt ihr Spiel mit dem Schnee (s.o.). Eingewickelt in meine schwarze fusslange Pelerine, Kopf geduckt mich gegen Bise und Schnee stemmend, höre ich plötzlich aggressives Kläffen hinter mir, gefolgt von Schreien. Mutters Schreie. Kurzer Seitenblick unter meiner Kapuze hervor, sehe ich diesen schwarzen, direkt auf mich zurasenden Hund. (War er schwarz? Im Dunkel eines Wintermorgens sind alle Hunde schwarz...) Ich renne los - was man auf keinen Fall tun sollte. Ich habe Glück, Mutters Schreie lenken den Hund von mir ab, stoppen ihn. Warum hat er mich überhaupt verfolgt? Wahrscheinlich mein Aussehen: eine bodenlange, schwarze Pelerine mit Kapuze unterwegs. Ein Gespenst? Ein Einbrecher der seine Beute darunter versteckt? Der Hund vielleicht dafür trainiert, solch unheimliche Gestalten anzugreifen? 
 
Il Ragazzo della via Gluck (Adriano Celentano)
"Questa e' la storia di uno di noi, anche lui nato per caso in via Gluck,
in una casa fuori città, gente tranquilla che lavorava.
Là dove c'era l'erba ora c'e una città, e quella casa in mezzo al verde ormai, dove sarà!

Questo ragazzo della via Gluck si divertiva a giocare con me,
ma un giorno disse: "vado in città", e lo diceva mentre piangeva.
Io gli domando: "amico non sei contento? Vai finalmente a stare in città,
là troverai le cose che non hai avuto qui. Potrai lavarti in casa senza andar giù nel cortile".

"Mio caro amico" disse "qui sono nato, e in questa strada ora lascio il mio cuore,
ma come fai a non capire e' una fortuna per voi che restate
a piedi nudi a giocare nei prati mentre là in centro io respiro il cemento.
Ma verrà un giorno che ritornerò ancora qui, e sentirò l'amico treno che fischia così: ua ua".

Passano gli anni, ma otto son lunghi, però quel ragazzo ne ha fatta di strada.
Ma non si scorda la sua prima casa, ora coi soldi lui può comperarla.
Torna e non trova gli amici che aveva, solo case su case catrame e cemento.
Là dove c'era l'erba ora c'e una città, e quella casa in mezzo al verde ormai, dove sarà.

Non so, non so perché continuano a costruire le case e non lasciano l'erba,
non lasciano l'erba non lasciano l'erba non lasciano l'erba, e no, se andiamo avanti così,
chissà, come si farà, chissà!
 
1./2. Klasse bei Frl. Ärni. 3./4./5./6. Klasse bei Hr. X. Und die Heimlifeisse spukt aus.
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8.  Scheue "heimlifeisse" Primarschülerin

1./2. Klasse bei Frl. Ärni. 3./4./5./6. Klasse bei Hr. X. Und die Heimlifeisse spukt aus.
2 Jahre bei Frl. Ärni..... sind ganz aus meinem Gedächtnis entschwunden.
Keine einzige Erinnerung an diese Lehrerin. Weder an sie noch an den Unterricht bei ihr in der ersten und zweiten Klasse. Gäbe es kein Klassenfoto, ich wüsste nicht mehr wie sie aussah. Könnte es sein, dass ich einfach mucksmäuschenstill in meiner Bank sass? Gewiss war es so. Erinnere mich weder an meine Banknachbarin noch wie weit vorn oder wie weit hinten ich sass. Was mir hingegen gut in Erinnerung bleibt ist folgende Aussage meiner Mutter, nach einem Gespräch mit der Lehrerin: "Ich habe mit Frl. Ärni gesprochen. Sie meint du seist extrem schüchtern, zu schüchtern. Bei dir sei wahrscheinlich 'der Knopf noch nicht aufgegangen'." Diese Aussage meiner Mutter ist mir so richtig eingefahren: "Welcher Knopf ist denn bei mir noch nicht richtig aufgegangen?", trudelte es mir für lange Zeit durch den Kopf. Fand meine Einschulung ein Jahr zu früh statt, frage ich mich heute. Nutzlos sich so was zu fragen. Zeitreisen nicht möglich. Es war wie es war.
4 Jahre bei Herr X. na ja…. (den Namen nenne ich absichtlich nicht. Beim Lesen wird man verstehen warum)
Zwei Jahre Unterricht bei Hr. X. war vorgesehen (3. und 4. Klasse). Das war damals die Regel: höchstens zwei Jahre beim gleichen Lehrer. Für meine Klasse geschah dies nicht. Wir bleiben auch noch in der 5. und der 6. Klasse bei ihm. Für mich spielt dies keine Rolle. Im Gegenteil, er kennt mich, weiss dass ich mich selten bis nie zu Wort melde, hat sich daran gewöhnt. Gibt sich keine Mühe die "Heimlifeisse" aus ihrer Komfortzone zu locken. Genügen ihm meine guten schriftlichen Arbeiten, vor allem in Sprache? Also kann es 2 Jahre weitergehen wie bisher. Wäre mein "Knopf" bei einem neuen Lehrer endlich "aufgegangen"? Auch hier, nutzlos sich eine solche Frage zu stellen. Auch wenn ich 4 Jahre bei diesem Lehrer in der Klasse sass, sind trotzdem kaum Erinnerungen an seine Lehrmethoden oder an was auch immer geblieben. Ausser einem bestimmten Ereignis:
1956: 6. Klasse: Die Heimlifeisse spuckt aus.
Warum hält sich der Lehrer bei jener Schülerin um Einiges länger auf, wenn wir schreiben? Warum nimmt er ihre schreibende Hand in die seine, so als müsste er ihr das Schreiben erst beibringen? Wir sind doch in der 6. Klasse, und sie eine der Besten. Sie sitzt mir schräg gegenüber. Aus den Augenwinkeln sehe ich wie er sich langsam ihrem Pult nähert, neben ihr stoppt und ihre Hand nimmt. Er beugt sich über sie, flüstert ihr etwas zu. Stille in der Klasse, wir sind am Aufsatz oder Diktat schreiben. Warum tut er das nur bei ihr? Kann mir einfach nicht vorstellen was da los ist. Nach den Turnstunden - auch bei Hr. X. - winkt er sie zu sich ins Zimmer während wir andern uns für die nächsten Schulstunden oder für den Heimweg umziehen. Einmal platzt mir der Kragen: "Warum ruft der eigentlich XY nach der Turnstunde fast jedes Mal zu sich ins Zimmer, was machen die da drin?" rufe ich genervt. Sollen sie's nur hören, darum rufe ich extra laut. Die anderen Mädchen um mich herum kichern. Wissen sie mehr?.... Ich bin ja noch so naiv...... 
Kurze Zeit später stehen Elterngespräche bevor. Die Einladung für diese sollen wir selbst schreiben und den Eltern überbringen. Schön leserlich schreibe ich diese Einladung und, wie befohlen, am Schluss: "Es ladet Sie ein, der Lehrer Hr. XY". Beim Schreiben dieser letzten Zeile kocht plötzlich Wut in mir hoch. So was wie: dem will ich zeigen was ich von ihm denke. Mit farbigen Buchstaben schreibe ich hinter Hr. XY: "LÖLIHUND". Ganz heiss wird mir dabei, kann meine Erregung nicht für mich behalten. Meine Nachbarin sieht's, schaut mich gross an, beginnt zu kichern. Die vordere Nachbarin will wissen warum wir kichern, beginnt ihrerseits zu kichern, usw. Hr. X will wissen was dieses Gekicher da hinten soll. Jetzt wird's brenzlig. Er ruft mich nach vorn, will den Grund des Gekichers sehen. Gebannt folge ich seinen Augen beim Lesen meiner Eltern-Einladung. Angst verspüre ich nicht, eher Schadenfreude: "Jetzt hab ich's dir gesagt." Er steckt den Zettel in die Brusttasche, schaut mich überrascht an: "Werde mit deinen Eltern reden". Jetzt zitternd an meinen Platz zurück: Was hast du angerichtet, was hast du dir da erlaubt? Schrecklich der Heimweg. Meine Eltern dürfen es nie erfahren. Ich muss ihm zuvorkommen, aber wie? Es gibt nur einen Weg: ihn gleich am nächsten Morgen um Entschuldigung bitten. Gedacht, getan - über mich hinauswachsend. Am folgenden Morgen warte ich bei der Tür bis alle im Schulzimmer sind. Er kommt, wie alle Lehrer, als Letzter. Mit gesenktem Haupt stelle ich mich zitternd vor ihn: "Was ich gestern geschrieben habe tut mir leid". Erleichterung! Ein kurzes: "Ist in Ordnung, du hast dich entschuldigt", seine Antwort. Meinen Eltern hat er nie darüber erzählt. Heute frage ich mich: hatte er Angst? Hätten meine Eltern von mir, im Gegenzug, nicht einiges über ihn erfahren können?.....
Das "LÖLIHUND" hat mir nie ein schlechtes Gewissen bereitet, musste nur so tun als ob, das letzte Jahr bei ihm noch nicht zu Ende. Ohne genau zu wissen was da vor sich ging, empfand ich sein Verhalten als nicht gut. Und ich sah nicht alles.... Die damalige Sitznachbarin dieses Mädchens hat mehr gesehen als nur "Händchenhalten" - hat sie mir erst vor kurzem erzählt. Heute käme er "in die Kiste".

Erhaltener Kommentar, 04.11.2020:
Der 'Lölihund' ist gut! Du warst schon hier - wie immer wieder im Leben - mutig und souverän. Chapeau! Und meisterhaft, wie du das heikle Thema beschreibst und quasi umschiffst. Alfred


(1) 1952 (od.1953?) als ein Fotograf auf dem Pausenplatz erschien
1952 (od.1953?) als ein Fotograf auf dem Pausenplatz erschien

 

 


 

 



 

 
 
 

 

 

 


 
 
 
 
 
Beliebte Fächer und andere....
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8.  Scheue "heimlifeisse" Primarschülerin

Beliebte Fächer und andere....
Begeisterung für Sprache.
In allen Fächern, die mit Sprache zu tun hatten, war ich bei den Besten, ausser…ausser… ja natürlich, beim Gedichte vortragen. Nicht dass ich ein Gedicht nicht hätte auswendig aufsagen können. Aber nach vorn gehen, vor die ganze Klasse stehen? Niemals!!! Also wieder mein "Programm" durchziehen: Kopf geduckt, mäuschenstill, möglichst unsichtbar im Blickwinkel des Lehrers hinter der Vorderen versteckt. Ja nicht aufgerufen werden, hoffend die Zeit möge rasen statt gehen, die Pausenglocke läuten....
Diktate schrieb ich meistens ganz ohne Fehler. Sie waren, neben Aufsätzen, meine Lieblinge im Sprachunterricht. Später das Gleiche in der Bezirksschule. In dieser kam neben Deutsch noch Französisch dazu. Auch diese Sprache schrieb ich bald fehlerfrei. Ich muss ein fotografisches Gedächtnis haben, würde man wohl sagen. Jedes Mal, wenn der Lehrer die korrigierten Diktate verteilt - meines fast oder ganz ohne rote Korrekturen - bin ich unglaublich stolz auf mich. Einen Seitenblick auf das Heft der Nachbarin kann ich nicht verklemmen. Wie sieht es bei ihr aus? Ein gutes Gefühl wenn ich bei ihr mehr Rot sehe als bei mir; manchmal aber auch so etwas wie Mitleid, wenn zu viel Rot bei ihr..... 
Aufsätze: An einen einzigen erinnere ich mich gut, weil mich der Lehrer dafür gelobt hatte. Das Thema: "Wenn ich drei Wünsche tun könnte". 
Erster Wunsch: ich möchte dass meine Eltern lange leben..... usw. 
Zweiter Wunsch: ich möchte zeitlebens ein gutes Herz haben…. usw. 
Dritter Wunsch: ich wünsche mir sehnlichst ein Fahrrad.... usw.
Höhepunkt der Woche: die Handarbeits-Schule (damals nur für Mädchen).
Bei einer Lehrerin lernten wir stricken, sticken, häkeln, nähen. Ganze Strümpfe aus Wolle haben wir damals gestrickt, riesenlange Schläuche vom Oberschenkel bis zum Fuss. Ziemlich eintönige Arbeit. Abwechslung bringen nur die "Abnehmen". Die Maschenzahl muss entsprechend dem Umfang des Beines progressiv und gleichmässig verkleinert werden. Zuerst vom Oberschenkel zum Knie, dann über die Wade zum Fuss. Maschen zählen, Reihen zählen, die 2 zum Abnehmen zusammengestrickten Maschen immer in senkrechter Linie untereinander damit ein schönes Muster entsteht. Dann der Fuss, eine noch grössere Herausforderung, aber gar nicht langweilig. Bis heute weiss ich auswendig wie man den Fuss eines Sockens korrekt strickt. Anscheinend bin ich eine besonders exakte Schülerin gewesen. "Die Lehrerin hat mir gesagt, du seist nicht nur exakt bei allem, sondern über-exakt", so die Aussage meiner Mutter nach einem Besuch bei ihr. 
Rechnen...... Kopfrechnen = Kopfzerbrechen….. oh weh….
Definitiv nicht meine Fächer. Mittelmässige Noten. Nur bei 3-Satz-Rechnungen - sogenannte "Gschichtli"-Rechnungen - für deren Lösung genügend Zeit vorgesehen war, hatte ich keine Probleme. Bei diesen erzielte ich die besten Noten. Ganz anders beim Kopfrechnen. Ich erinnere mich: Der Lehrer fordert die ganze Klasse auf aufzustehen. Er nennt Ziffern, die wir addieren, subtrahieren oder multiplizieren müssen. Wer die genau Zahl weiss darf sich setzen. Diese Art Übung hasse ich bis heute, mein Hirn bei diesem Vorgehen zuerst eher in Richtung "wer wird zuerst sein" denkend, als sich auf die Aufgabe selbst zu konzentrieren. Tohuwabohu im Kopf. Natürlich bin ich dann bei den Letzten, meistens sogar die Letzte, die sich setzen darf. Erst wenn in meinem Kopf Ruhe eingekehrt, mich als Letzte niemand mehr "überholen" konnte, kann ich mich endlich konzentrieren.
Weitere Lieblingsfächer waren Geschichte, Geografie oder Zeichnen. In Letzterem hatte ich immer sehr gute Noten. (Zeugnisse noch heute vorhanden)
Und natürlich Religionsunterricht beim Pfarrer.
Hoffentlich beim Pfarrer! Ist es zwischendurch der Vikar, "stinkt" es mir, bin ich enttäuscht und traurig. Den Pfarrer hingegen "himmle" ich an. Je älter ich werde umso mehr lechze ich nach seiner vollen Aufmerksamkeit. Sieht er mich, nimmt er mich wahr? Ich schaue genau hin, folge seinen Augen, ja keinen Blick von ihm verpassen. Ein- oder zweimal im Jahr kommt er auf Hausbesuch bei uns vorbei. Jedes Mal kann ich seinen Besuch kaum erwarten, stehe zuvor schon eine Weile herzklopfend am Fenster, bin total aufgeregt, wenn er im Auto vorfährt. In die Kirche gehe ich viel lieber, wenn ich weiss, dass der Pfarrer die Messe liest und nicht der Vikar. Was er dabei predigt spielt eine sehr kleine Rolle. Wie er predigt will ich sehen. Schaut er mich dabei an? Beachtet er mich? Sagt er in seiner Predigt gerade dies oder jenes genau für mich, weil er mich sieht? Wahnsinn was da manchmal für ein Kino in meinem Kopf abläuft..... von beten oder andächtig-sein, keine Spur. Erst das Singen eines Liedes holt mich aus diesen Träumereien zurück.
In den Gottesdiensten sassen wir Kinder nach Klassen aufgereiht in den vordersten Bänken: Die Erstklässler ganz vorn in der ersten Bankreihe, die Zweitklässler in der zweiten Reihe, usw. Für jedes weitere Schuljahr rutschten wir eine Reihe nach hinten. Der Pfarrer predigte nicht von der Kanzel herab sondern stand direkt vor uns, etwas seitlich vor dem Altar. Wenig blieb von diesen Gottesdiensten in mir haften ausser den Liedern. Viele davon singe ich bis heute auswendig, wenn sie denn heute noch gesungen werden. Oder ich überhaupt noch an Gottesdiensten teilnehme, was selten der Fall ist......
 
 
 
Schulfreundinnen
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8.  Scheue "heimlifeisse" Primarschülerin

Schulfreundinnen
Maria-Luise hat den gleichen Schulweg. Im ersten Schuljahr gehen wir diesen gemeinsam, freunden uns an. Auch sie aus einer kinderreichen Familie - 7 Kinder - lebt in bescheidenen Verhältnissen. Ihr Vater, anders als mein Vater, schlägt Mutter und Kinder, wenn ihm etwas nicht passt. Ihre Mutter, eine kränkliche Frau, verlässt an manchen Tagen das Bett kaum. Die kleine Maria-Luise muss schon früh auch schwerere Hausarbeiten verrichten. Nichts scheint unsere Freundschaft trüben zu können, und doch......
"Es muss eine katholische Freundin sein!"
Vater mischt sich ein: "Sie ist nicht katholisch, distanziere dich von ihr, geh den Weg mit einem katholischen Mädchen". Katholisch, reformiert, christkatholisch, neuapostolisch: man blieb damals unter Seinesgleichen und mied Andersdenkende. Von nun an ist es also Ursula. Auch sie hat den gleichen Schulweg, wohnt nur einige Häuser weiter. Auch sie besucht hin und wieder einen dieser frühen Schülergottesdienste.
Während den nun folgenden 5 Jahren gehen wir diesen Weg meistens zusammen. Im 4. Schuljahr stirbt ihr Vater an Krebs. In dieser, für ihre Familie äusserst tragischen Zeit, wird sie mit ihren 3 Geschwistern während einigen Tagen Mitglied unserer Familie. Sie essen bei uns, gehen nur zum Schlafen zu ihrer Mutter nach Hause. 
Anfangs immer schön direkt nach Hause, dann begann das Trödeln.
Ohne Umweg direkt nach Hause nach der Schule? Kein Problem. Während den ersten Jahren eine Selbstverständlichkeit. Unsere Mütter, und Hausaufgaben warten auf uns. Das ändert sich nach Ursulas Vaters Tod. Nun gehen wir auf dem Heimweg nicht mehr am Friedhof vorbei, sondern über den Friedhof. Zuerst halten wir uns nur kurz an seinem Grab auf. Nach und nach durchstreifen wir den gesamten Friedhof, Gräber und Grabsteine kommentierend wie in einem Museum. Ist ja ganz interessant was sich Bildhauer alles einfallen lassen. (Ursula wird später selbst eine von ihnen, freischaffende Künstlerin ist sie, bis heute.) Zeit geht vergessen, Mutter muss warten, macht sich Sorgen: „Du bist schon wieder zu spät! Wo hast du dich herumgetrieben? Ich will dass du nach der Schule sofort heimkommst“.
Friedhof-Rundgang mit Folgen.
Kopfschüttelnd stehen wir vor einem stark vernachlässigten Grab. Keine Blumen, Holzkreuz morsch, zur Seite taumelnd. Traurig! Können wir nicht akzeptieren. Wir nicken uns zu: "Komm, gemeinsam richten wir dieses Kreuz wieder auf. Mit ein paar harten Schlägen können wir es sicher wieder so gut in den Boden pflanzen, dass es 1. wieder grad steht, und 2. nicht so schnell wieder in die Schräge kippt." Gesagt, gehangen: auf beiden Seiten hängen wir uns an den waagrechten Balken auf. Und.....Krach! das Kreuz bricht entzwei, der senkrechte Balken steht plötzlich allein da. Jetzt nur noch weg, alles stehen und liegen gelassen. Hat uns jemand gesehen? gehört? Hoffentlich nicht, keine Zeit nachzusehen. Die nächsten paar Tage geht unser Heimweg statt über, wieder am Friedhof vorbei. Lange können wir jedoch der Neugier nicht widerstehen: Was ist mit dem Kreuz? Steht vielleicht sogar ein neues Kreuz da? So ist es, ein neues Kreuz steht da, und freut uns sehr. Unsere "Aktion" hat demnach das Ganze beschleunigt. Bestimmt ist uns der oder die Tote dankbar dafür.....


(1) 1953: 1. Kommunion. Mit Freundin Ursula (links). Mein Kleid hat Mutter aus ihrem Hochzeitskleid geschneidert.
1953: 1. Kommunion. Mit Freundin Ursula (links). Mein Kleid hat Mutter aus ihrem Hochzeitskleid geschneidert.

 





 
Fotos: 1952: 2. Klasse, 1954: 4. Klasse
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8.  Scheue "heimlifeisse" Primarschülerin

Fotos: 1952: 2. Klasse, 1954: 4. Klasse


(1) 1952: 2. Klasse mit Frl. Ärni. Speziell: Alle Mädchen tragen eine Schürze. Damals selbstverständlich. Der Grund, Kleider sauber halten. Waschmaschinen erst in wenigen Haushalten vorhanden.
1952: 2. Klasse mit Frl. Ärni. Speziell: Alle Mädchen tragen eine Schürze. Damals selbstverständlich. Der Grund, Kleider sauber halten. Waschmaschinen erst in wenigen Haushalten vorhanden.

  


(2) 1954: 4. Klasse

1954: 4. Klasse

 

 

Aufnahmeprüfung? "Die schaffts doch nicht!"
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9.  Bezirksschule und Haushaltlehrjahr in Olten

Aufnahmeprüfung? "Die schaffts doch nicht!"
1957 gibt es in Dulliken keine Sekundarschule. Wer nach der 5. oder 6. Klasse ins Gymnasium oder in die Bezirksschule wechseln will, muss 1. gute Noten vorweisen, 2. die Aufnahmeprüfung bestehen, und 3. nach bestandener Prüfung zur Schule nach Olten pendeln. Gegen Ende der 6. Klasse hoffe auch ich auf eine Aufnahme in die Bezirksschule. Mutter noch mehr als ich, will die bestmögliche Ausbildung für ihre Mädchen. Wie beurteilt der Lehrer meine Leistungen? Denkt er ich hätte eine Chance die Aufnahmeprüfung zu bestehen? Sie will es wissen und vereinbart mit ihm einen Termin. Zurück zu Hause wiederholt sie mir seine Sicht der Dinge: "Wenn sie einen guten Tag erwischt, hat sie gute Chancen die Aufnahmeprüfung zu bestehen. Sie ist halt eine Heimlifeisse bei der man nie genau weiss was wirklich in ihr steckt."
Also ging ich mit 21 andern an die Aufnahmeprüfung nach Olten: 7 Mädchen, 15 Buben von insgesamt 43 Schülern. 

Aufnahmeprüfung bestanden.
Die Prüfung bestand ich zwar knapp, aber Hauptsache, ich hatte es geschafft. Ein grossartiges Gefühl! So grossartig, dass ich mich bis heute an die genaue Punktezahl für jeden einzelnen Prüfungstest erinnere. Dreimal darf geraten werden bei welchen Tests ich die höchsten Punkte erreichte..... erraten: in Sprache. Dieser verdanke ich den Erfolg. Die Prüfung hatte bestanden wer total mindestens 28 Punkte erreichte (beste Note die 6).
Mein Total: 28,5 Punkte:
Aufsatz: 9 Punkte (2 x 4,5)
Diktat: 5,5 Punkte
Grammatik: 5,5 Punkte
Rechnen: 3 und 4 Punkte (2 verschiedene Rechnungsansätze)
Kopfrechnen: 1.5 Punkte = 28,5 Punkte. 
Warum ich mich bis heute noch so genau an diese Zahlen erinnere, wird man sich fragen. Es gibt nur eine Antwort: dieser Erfolg war für mich DAS GROSSE EREIGNIS, weil von niemandem erwartet. Ein Gefühl wie: Jetzt hab ich's ihnen gezeigt!.... Hochstimmung auch, weil von den 22 Teilnehmenden nur 10 aufgenommen wurden: 3 Mädchen und 7 Buben. Und ich eine von ihnen! Fantastisch. Meine Eltern glücklich. 
Also doch eine Heimlifeisse.
Und woher weiss ich - wird man sich fragen - dass damals niemand mit meinem Erfolg bei der Aufnahmeprüfung gerechnet hatte? Weil man mir später erzählte, im Dorf habe man Sätze gehört wie: "Für was geht die denn an diese Prüfung, die besteht sie ja doch nicht", oder: "Was will denn die dort, die hat doch eh keine Chance". Eben, niemand ahnte was in der Heimlifeissen wirklich steckt.......
 
Nur Mädchen.
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9.  Bezirksschule und Haushaltlehrjahr in Olten

Nur Mädchen.
1957: Die Aussicht nach Olten in die Schule zu gehen, freut mich. Will nur noch weg von Dulliken. Überdruss, das Mass längstens voll. Dieses turbulente Jahr der 6. Klasse (turbulent für mich, wies für die andern war weiss ich nicht) mit dem seit 4 Jahren immer gleichen Lehrer hing mir richtiggehend "zum Hals heraus". Richtig satt hatte ich die Schule in Dulliken. Freue mich auf neue Lehrer, neue Schülerinnen, neue Schule, neuer Schulweg, einfach alles neu. Unglaublich spannender Augenblick, gleichzeitig auch furchteinflössend. Selbstzweifel. Werde ich es schaffen?
Eine reine Mädchenklasse. 
30 Mädchen zähle ich auf dem beigefügten Bild. Bei genauem Hinsehen wird man feststellen, dass keines der Mädchen Hosen trägt - auch jene in den hinteren Reihen nicht. Hosentragende Frauen waren 1957 äusserst selten. Und jene die dazu den Mut oder die Keckheit besassen, wurden schräg angeguckt: "Oh Schreck, soll das denn noch weiblich sein?" Fortschritt bei den Kleidern sieht man dennoch auf dem Bild: Keine trägt eine Schürze. Vorbei die Zeit der kleinen Primarschule-Mädchen, jetzt beginnt die Zeit der jungen Damen.... Zuerst staunte ich als ich nur Mädchen in der Klasse vorfand. Nächstes Staunen, die unterschiedlichen Lehrer: für jedes Fach ein anderer. Jeder mit seinem Schulzimmer. Nicht der Lehrer kommt in "unser Klassenzimmer", wir gehen in "sein" Zimmer. Mehrfacher Zimmerwechsel für uns während des Tages. Bei den Namen erinnere ich mich nur noch an Herrn Flückiger, Französischlehrer (im Bild der Mittlere) und dass der Herr rechts aussen unser Gesangslehrer war. Der Unterricht bei diesem, die Lieder und Gesangsstücke, die wir bei ihm lernten und sangen, gehören zu meinen absoluten Lieblingsstunden dieser Schule. Erstaunlich wie wenige Namen der Mädchen (trotz Bild) mir heute noch präsent sind. Höchstens 5, und auch da bin ich mir nicht ganz sicher. Wir haben uns seither nie mehr getroffen. Auch habe ich nach der Bezirksschule mit keiner von ihnen weiteren Kontakt gepflegt.
Der andere Schulweg.
Der "Stadtomnibus Olten" hielt gleich um die Ecke wo wir wohnten, seine Endstation. Endstation heisst, er fährt nicht gleich weiter, er steht eine Weile da. Vom Haus aus konnten wir sehen, wenn er dastand. Dann aber höchste Zeit das Haus schnellstens zu verlassen, denn lange stand er nie da. Als Schüler profitierten wir vom günstigen Jahres-Abo. Mit diesem Bus fuhr ich 1 bis 2 Mal/tägl. hin und zurück. Verpflegung in der Schule nicht möglich, darum Mittagessen immer zu Hause.
Sprache ist und bleibt "my salvation".
Auch in der Bezirksschule keine Probleme im Deutsch-Unterricht: Diktat, Aufsatz, Grammatik leicht gelernt. Neu jetzt Französisch. Zum ersten Mal entdecke ich, dass es mir Spass macht eine neue Sprache zu lernen. Wird sich noch ein paarmal in meinem zukünftigen Leben wiederholen, Französisch erst der Anfang. Und wie es so kommt, wenn etwas Spass macht, das Lernen wird leicht. Grammatik und Rechtschreiben sind bald auch in der neuen Sprache kein Problem mehr für mich. Mit der Aussprache hingegen, kämpfte auch ich. Diese wird sich erst im Welschland-Jahr perfektionieren. Überhaupt ist es mit jeder gelernten Fremdsprache so: für die richtige Aussprache ist ein längerer Aufenthalt in der jeweiligen Sprachregion ein Muss. Oder man findet, in der neuen Sprache beheimatet, Freund oder Freundin; auch gut geeignet, um die richtige Umgangssprache zu üben und dabei noch viele spezielle Ausdrücke zu lernen. 
Problemfächer bleiben weiterhin alle Arten von Rechnen. Neu dazu Physik, Chemie und Buchhaltung. Soso-lala kriege ich diese neuen Fächer hin, begeistern tun sie mich nicht. Wenigstens sind die Noten gut genug um mein Verbleiben in der Bezirksschule zu sichern, und diese 2 letzten Schuljahre, mit am Ende gesamthaft guten Noten, abzuschliessen.
Singen, meine Lieblingsstunden.
Dank dem tollen Gesangslehrer gibt es während diesen Stunden keine Langeweile - wenigstens für mich, die ich seit jeher und bis heute überaus gerne singe. Für den Gesangsunterricht kamen jeweils mehrere Klassen - Mädchen und Buben - zusammen. Die "Kinderlieder-Zeit" definitiv vorbei. Hier entstand ein echter Jugendchor. Das Einstudieren, Einüben von 4-stimmigen Werken, Kanons, Schubert-Liedern, so viel ich mich erinnere einmal pro Woche 2 Stunden, wird zur Tagesordnung. Gegen Ende des Jahres dann unser grosser Konzert-Auftritt, zu welchem Eltern, Bekannte, wer immer davon wusste, kamen. In Olten waren diese Schülerkonzerte bekannt und beliebt. Mit Hochgefühl erinnere ich mich an den "Frühlingsmarsch" von Franz Schubert, sehe uns die letzten Zeilen daher schmettern: "Hinaus in den Lenz!" oder das Lied "die Forelle" singen - auch von Schubert.  
Erhaltener Kommentar: 31.12.2016 - 05.16 Uhr, von anonym
Alle noch mit Röcken, wer Hosen trug, und das war äusserst selten, wurde schräg angeguckt. Nur selten hatte eine Frau den Mut dazu.
 

(1) Bezirksschule Olten 1957-59. 5 Lehrer in der obersten Reihe: ganz rechts der Gesangslehrer, in der Mitte Herr Flückiger, Französischlehrer. Der Einzige, an dessen Namen ich mich erinnere.
Bezirksschule Olten 1957-59. 5 Lehrer in der obersten Reihe: ganz rechts der Gesangslehrer, in der Mitte Herr Flückiger, Französischlehrer. Der Einzige, an dessen Namen ich mich erinnere.

 

Im Badekleid erscheinen? Nein!! Lieber die Schule schmeissen.
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9.1.  Bezirksschule und Haushaltlehrjahr in Olten – Im Badekleid erscheinen? Nein!! Lieber die Schule schmeissen. .
Wer die Wahl hat, hat die Qual.
Nach zwei Bezirksschuljahren hatten Mädchen die Wahl: entweder ein drittes Jahr mit Fokus auf Haushaltlehre in der Bezirksschule verbleiben, oder das 1959 noch obligatorische Haushaltlehrjahr in einer Familie absolvieren. Für ein 3. Jahr in der Bezirksschule hätten meine Noten vollauf genügt. Warum also zögern? "Vielleicht lernst du im Haushalt einer konkreten Familie mehr fürs Leben als in der Schule", meint Mutter, überlässt mir aber die Wahl.
Meine Entscheidung bereue ich bis heute.
Was mich dazu bewog das Haushaltlehrjahr in einer Familie dem Verbleib in der Bezirksschule vorzuziehen, erscheint aus heutiger Sicht eine Bagatelle, lächerlich, total abstrus. Wie konnte ich nur so dumm sein? 
Was war es denn? Oh nein, nicht ein unbeliebter Lehrer, nicht weil des Lernens überdrüssig, nicht schlechte Noten: Schwimmunterricht war's! Staunt oder lacht jetzt nicht, aber ein weiteres Jahr Schwimmunterricht in der Badi - nur im Sommer! - aus meiner Sicht und in meiner Gemütslage damals, einfach unvorstellbar. 
Heute besitzt fast jede noch so kleine Gemeinde ein Schwimmbad. Privilegiert sind natürlich Gemeinden an Seen oder Flüssen. In Dulliken die Aare, ziemlich weit ausserhalb des Dorfes, sonst damals kein Schwimmbad. Hätte es eines gegeben, hingehen wäre mir vom Vater trotzdem nicht erlaubt worden. Dass sich seine Mädchen fast nackt draussen zeigen hätte er nie erlaubt. Viele Dulliker gingen im Sommer ins Oltner Freiluft-Schwimmbad, die Badi. Oltens Schulklassen lernten daselbst schwimmen im Sommer. Auch Bezirksschüler. Im Sommer Schwimmunterricht statt Turnen. Für mich gibts kein Ausweichen, ich muss mit. Zitternd - total mulmiges Gefühl - schlüpfe ich in mein Badekleid. Wie werde ich mit meinem "Entblösst-sein" umgehen können? Mich schämen? Doch was sein muss, muss sein, also rein ins Badekleid: Fühle mich total ausgezogen, verkrampfe mich, gekreuzte Arme vor der Brust, bestimmt bin ich ganz rot im Gesicht, möchte im Boden verschwinden..... Verstecken kann ich mich nirgends. Sehen die andern, der Lehrer, wie mulmig mir zu Mute ist? Geduckt nähere ich mich dem Becken, schaue eine Weile zu wie sich eine nach der andern einfach so ins Wasser fallen lässt und davon schwimmt. Wenn ich das doch auch könnte! Sieht so toll aus! Plötzlich ein Stoss im Rücken und ich falle einfach so ins Wasser. Hat wohl jemand hinter mir gedacht ich sei auch eine Habituée. Ich schnappe und schlucke, ein Graus diese erste Erfahrung. Mein Gemütszustand verschlimmert sich als ein Mädchen, von hinten kommend meint: "Hast du einen Ausschlag auf dem Rücken? Da sind mehrere braune Flecken zu sehen". Natürlich weiss sie nicht, dass es bei uns kein Badezimmer gibt, dass ich mich zu Hause selten richtig waschen kann, mein fleckiger Rücken das Resultat davon ist. Mich schämen? Jetzt aber sicher! Schwimmen habe ich in diesen 2 Jahren nicht gelernt. Überhaupt betete ich in der Folge immer für schlechtes Wetter, wenn Schwimmunterricht bevorstand. Bei schlechtem Wetter keine Badi.  
Vielleicht versteht ihr jetzt meinen, aus heutiger Sicht, lächerlichen Entscheid. Ich wollte nicht ein weiteres Jahr im Sommer für schlechtes Wetter beten müssen nur um der Badi zu entgehen. Mit ein bisschen "Köpfchen" hätte ich es auch anders lösen können, so z.B.: "kann heute nicht ins Wasser, habe meine Tage." Die Menstruation hatte ich ja schon zu jener Zeit. Wäre also nicht unbedingt eine Lüge gewesen. Hätte sein können.
Wunschberuf - Berufswunsch oder: ich glaub nicht, dass ich's kann
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9.2.  Bezirksschule und Haushaltlehrjahr in Olten – Wunschberuf - Berufswunsch oder: ich glaub nicht, dass ich's kann .
Schon in der Primarschule gehörte der Handarbeits-Unterricht zu meinen Lieblingsstunden. In der Bezirksschule wird er nun zu einem richtigen Nähunterricht. Kein Stricken, kein Häkeln mehr, nur Nähunterricht. Von einfachen Dingen wie Servietten, über Blusen, Jupes bis hin zum eigenen Kleid nähen wir in diesen 2 Jahren. Ausmessen, Schnittmuster herstellen, zuschneiden, nähen. Zerrissenes so gut flicken lernen, dass man es kaum sieht usw. Tolle Stunden. Mit Mutter Stoffe auswählen und einkaufen gehen. Sie kennt sich aus in guten Stoffen, näht sie doch selber gern. Woche um Woche zusehen wie aus einem Stoff langsam ein schönes Kleid entsteht, ein wunderbares Gefühl. Gerne würde ich dies ein Leben lang tun. "Ich will Handarbeits-Lehrerin werden", melde ich eines Tages beim Heimkommen meiner Mutter. "Dann suche ich dir für die Erstausbildung gleich eine Stelle bei einer Schneiderin", meldet sie zurück. Für diesen Beruf sind damals 3 Lehrjahre bei einer Schneiderin, mit anschliessenden 2 Jahren Lehrerseminar erforderlich. Bald findet Mutter eine Schneiderin welche einverstanden ist, mich nach der Schule bei ihr in die Lehre zu nehmen.
Warum nur, warum liess ich mich so stark beeinflussen?
- Und Mutter weiss nicht was sie dazu sagen soll.....
Meine Zukunft schien perfekt geplant. Die Lehrstelle, nach Schule und Haushaltlehrjahr bei der Schneiderin gesichert. Dann kam dieser verflixte Tag. An diesem fällt unserer Näh-Lehrerin nichts Besseres ein als sich mit uns über ihren Beruf zu unterhalten. Eigentlich eine gute Sache.... hätte mich, statt mich umzuhauen auch anspornen können. Es brauche viel Fleiss, Intelligenz und Können, um dieses Ziel zu erreichen, redet sie daher. Und weiter: im Moment erkenne sie nur ganz wenige in der Klasse, denen sie diesen Beruf zutrauen würde. Könnte ich denn nicht auch zu jenen gehören die es schaffen würden? ..... hätte ich sie fragen können/sollen. Ich tat es nicht; so weit gefestigt, um an mich selbst zu glauben, war ich noch lange nicht. Also sage ich nichts, frage nichts, gehe einfach in Gedanken versunken und niedergeschlagen nach Hause. "Mutti, ich bin nicht intelligent genug für diesen Beruf", mein resigniertes Fazit, als ich meiner Mutter dieses Gespräch der Lehrerin erzählte. Zuerst erwidert Mutter nichts, denkt lange nach, zu lang für eine Ungeduldige wie ich es bin. "Na, dann werde ich eben Krankenschwester", unterbreche ich etwas trotzig ihre Stille. (Sorry, ihr alle in Pflegeberufen: Intelligenz, Fleiss und Können braucht es im Pflegeberuf genau so viel, einfach anders). Später sagt sie nur: "Dann muss ich dich bei der Schneiderin abmelden". Wäre es anders gekommen, wenn sie nur kurz gesagt hätte: "Das schaffst du, du bist nicht dümmer als andere", mich damit ermuntert hätte, es wenigstens zu versuchen? Vielleicht. Vielleicht wäre ich dann wirklich Nählehrerin geworden statt Krankenschwester. Gerechterweise muss ich hier doch noch anfügen, dass "die Krankenschwester" nicht nur eine Trotzreaktion war. Auch dieser Beruf geisterte damals schon seit einiger Zeit in meinem Kopf herum. Lassen wir das Nachtrauern oder was auch immer, s'ist reine Zeitverschwendung. Genäht und gestrickt habe ich trotzdem mein Leben lang, bis heute.  
 
Haushalt-Lehrjahr.
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9.2.  Bezirksschule und Haushaltlehrjahr in Olten – Wunschberuf - Berufswunsch oder: ich glaub nicht, dass ich's kann .

Haushalt-Lehrjahr.
April 1959: Beginn meines Haushalt-Lehrjahres bei einer Familie mit 6 Kindern in Olten. Die 5-Tage Woche ist aufgeteilt in tägliche praktische Arbeit in der Familie, 2 Nachmittage und ein Morgen Haushaltschule in der Stadt.
Den Bettel wollte ich bald hinschmeissen.
Dieses ganze Jahr war für mich mehr oder weniger katastrophal, mehrmals wollte ich den Bettel hinschmeissen. Allerdings nicht wegen der Lehre an sich, sondern wegen der Behandlung in jener Familie. Eine reiche Direktoren-Familie mit einem Dienstmädchen als Angestellte. Vor mir hatten sie noch nie eine Haushalt-Lehrtochter eingestellt. Ich war also die Erste. Vielleicht ein "Versuchskaninchen"? Auf jeden Fall werde ich bald das Dienstmädchen des Dienstmädchens. Von Praktikum - z.B. richtig Kochen lernen - kann keine Rede sein. Abwaschen, Boden schrubben, Betten herrichten, an der Tagesordnung. Am Abend beim Verlassen des Hauses, auf den Bus eilend, fliessen fast jeden Tag Tränen. Mutter ermutigt mich, trotz allem durchzuhalten. Im Leben gehe es nicht immer so wie man es sich wünsche. Ein Jahr sei schliesslich schnell zu Ende.
Aushalten, Durchstehen..... trotz allem??
Erst gegen Ende des Jahres erfahre ich von einer Kollegin, dass es ihr in ihrer ersten Praktikums-Familie ähnlich ergangen sei. Sie habe zum Glück nach ein paar Monaten eine neue Familie gefunden und sich dort sehr wohl gefühlt. Klar, gegen Ende des Jahres ist es für mich nun zu spät an einen Wechsel zu denken. Trotzdem bedaure ich, diesen Schritt nicht gewagt zu haben als noch Zeit dafür da war. Obwohl, dass ein Familienwechsel überhaupt möglich wäre, wissen damals weder meine Mutter noch ich. Hätte ich die Lehrerin in der Schule über meine Situation in dieser Familie informiert, hätte ich erfahren können dass ein Wechsel möglich ist. Doch mit ihr darüber zu reden habe ich mich nie getraut; habe die Schuld an meinem Unwohlsein stets bei mir gesucht: "Wenn ich mich nicht wohl fühle liegt der Grund bestimmt bei mir, nicht bei der Familie. Vielleicht bin ich zu langsam, zu schlampig, was auch immer." Welchen Grund also der Lehrerin vorbringen, ausser dass ich mich nicht wohl fühle? Ich hätte keine Worte gefunden. Darum halt Aushalten und Durchstehen. Das Leben nicht immer ein Zuckerschlecken: grundsätzlich nicht falsch. Doch gibt es im Leben nicht auch Situationen, bei denen man sich zuerst fragen sollte: Durchhalten oder doch zuerst versuchen etwas zu ändern, wenn ich mich an einem Ort nicht wohl fühle? Eine Antwort auf diese Frage werde ich leider erst 30 Jahre später, und nach etlichen einschneidenden Erfahrungen finden. 
....trotz allem??... oder eine Möglichkeit zu kämpfen, für sich einzustehen?
Nochmals, nichts gegen "aushalten und durchstehen" in schwierigen Lebenslagen. Sie gehören nun mal zum Leben, wenn andere Optionen unmöglich sind. Beachten sollte man dabei aber immer die innere Stimme - sagen vor allem Jesuiten, ihre grosse Weisheit. Das heisst, auf das ganz eigene, persönliche Gefühl in einer Situation oder Begebenheit achten: Fühle ich mich hier wohl? unwohl? schrecklich? usw. Und anschliessend alles tun um dieser Stimme, diesem Gefühl zu folgen; was heissen kann, nicht nur etwas, sondern manchmal sein Leben selbst zu verändern. 
 
 
 
 
Jugendfreundinnen? Keine. Jugendfreunde? Niemals!
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9.2.  Bezirksschule und Haushaltlehrjahr in Olten – Wunschberuf - Berufswunsch oder: ich glaub nicht, dass ich's kann .

Jugendfreundinnen? Keine. Jugendfreunde? Niemals!
Freundschaften aus Kindheit oder Jugend, welche ein Leben lang halten finde ich grossartig, ein Geschenk. Mir selbst nie gegönnt. Die 2. Strophe aus F. Schillers "Ode an die Freude", am Ende von L. van Beethovens 9. Symphonie gesungen, berührt mich jedes Mal. Weckt Wehmut in mir, wenn ich sie höre:
Wem der große Wurf gelungen,
Eines Freundes Freund zu sein;
Wer ein holdes Weib errungen,
mische seinen Jubel ein!
Ja, wer auch nur eine Seele
Sein nennt auf dem Erdenrund!
Und wer's nie gekonnt, der stehle
weinend sich aus diesem Bund!
Warum ist es mir nie gelungen "eines Freundes/einer Freundin, Freundin" zu sein? So frage ich mich heute, rückblickend auf mein Leben. Vielleicht weil ich zu viel von einer Freundschaft erwartete? Tun wir dies nicht alle? Bis wir, einiger Illusionen entledigt, begriffen haben, dass echte Freundschaft nichts erwartet? Bei mir war es eher, weil ich mich nie einer Freundschaft würdig empfand: "Mich? Nein, mich kann doch niemand lieben!" und ähnliche Gedanken. Heute, trotz "Altersweisheit", hat sich da nicht viel verändert...... ausser, dass ich jetzt mir selbst mehr Freundin bin.
In jenen letzten Schuljahren bin ich oft, kaum zu Hause auf mein Zimmer verschwunden und habe ins Kissen geweint: "Niemand liebt mich". "Himmelhoch-jauchzend-zu-Tode-betrübt" nennt man gemeinhin dieses mehr oder weniger belächelte Alter. Trotzdem eine für mich damals schlimme Zeit......
Zu Freundin Ursula verlor ich den Kontakt nach der 6. Klasse (schon vorher).
Erst als ich 2007 zum ersten Mal bei einer Klassenzusammenkunft dabei war, sah ich sie wieder. Geschrieben hatten wir uns nie. Das Wiedersehen trotzdem äusserst herzlich. Seither versuchen wir uns einmal im Jahr zu treffen. 

Erhaltener Kommentar: 21.06.2016 - 15.19 Uhr, von Maria Luise (Marlis) Kunz
Freundin hättest Du haben können, ich mochte Dich von Herzen gern und ich konnte so schön mit dir lachen...........
Singen ist wie eine Droge - ich fühle mich "high"
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10.  Freie Zeit, Reisen, Ferien

Singen ist wie eine Droge - ich fühle mich "high"
Singen berauscht mich. Menschen die nicht singen können - oder glauben sie können es nicht - tun mir leid. Wobei, und damit kein Missverständnis entsteht, diese Gabe oder Talent wurde mir - wurde uns allen 8 - in die Wiege gelegt. Ich staune jedes Mal wenn ich höre: "Ich kann nicht singen, bei mir zu Hause wurde nie gesungen". Hätte ich je Freude am Singen gefunden oder überhaupt singen können wenn Mutter und Vater nicht selber viel gesungen hätten? Bestimmt habe ich Mutter schon als Ungeborenes singen gehört. Viel wurde bei uns gesungen, das Selbstverständlichste der Welt. Beim Geschirr waschen, Schuhe putzen, beim Spielen oder Spazieren wurde gesungen. Manchmal auch auf dem Schulweg. Wandern ohne singen undenkbar. Wandern im Takt eines Liedes spornt an, vertreibt Müdigkeit. Die Beine werden leicht und beschwingt. Vielleicht das letzte Mal hatte ich dies 2012 in der Wüste Marokkos erlebt: Ziemlich fix und fertig nach etwa 3 Stunden wandern - die andern schon etliche Meter voraus - stimmte ich ganz spontan "das Wandern ist des Müllers Lust" an. Und siehe da, jede einzelne der 4 Strophen in meinem Hirn-PC voll abrufbar, sang ich dieses Lied vor mich hin, ganz allein, aus voller Kehle. Besser könnte ein Aufputschmittel oder eine Droge nicht wirken. Müdigkeit ade. Kopf hoch, Rücken gerade, ging's beschwingt - beschwipst - plötzlich ganz leicht voran. Bald hatte ich die Anderen wieder eingeholt.  
Kirchenchor Dulliken.
Mein Vater hat sein ganzes Leben lang in einem Kirchenchor gesungen. Wenn die Lebensumstände es ihr erlaubt hätten - 8 Kinder - wäre auch meine Mutter dabei gewesen. Ganz natürlich traten ab einem gewissen Alter auch wir Kinder eins nach dem andern dem Kirchenchor bei. Ich muss 11 oder 12 gewesen sein als dies für mich der Fall war, mein älterer Bruder schon dabei. Chorprobe jeden Freitag, singen in der Kirche jeden Sonntag damals - heute eine Seltenheit. Bei einem besonders schönen und gut gesungenen Gesangsstück fühle ich mich "high", berauscht, wie in Ekstase. Das "Runterkommen" danach schwierig, schlafen erst nach vielem Herumwälzen möglich. Vor allem an mein letztes Jahr im Chor in Dulliken erinnere ich mich gut. Wir sangen nämlich nicht nur in der Kirche. Wir liessen unsere Stimmen auch an Pfarrei- oder Dorffesten ertönen. So in jenem Jahr, als wir an einem Pfarreifest unter anderem den Gefangenenchor aus "Nabucco" von Verdi und "an der schönen blauen Donau" von Strauss ertönen liessen. (Diesen Walzer hört man meistens nur als Musik. Ich weiss nicht ob viele wissen, dass es dazu auch einen Text gibt den man 4-stimmig singen kann.)
Kirchen- oder Laienchöre da und dort.
In meinem gesamten Kloster- und Berufsleben versuchte ich, wo immer ich lebte einen Chor zu finden. Leider hatte ich dafür den falschen Beruf gelernt. In einem Chor mitsingen erfordert regelmässiges Proben an immer gleichen Tagen - meistens 1x pro Woche - was im Pflegeberuf und besonders in Spitälern mit ihrem Schichtbetrieb kaum möglich ist. Schichtarbeit soll unter allen Pflegenden gerecht verteilt werden. Ausnahmen sind selten und nur mit Einverständnis der Kolleginnen möglich. Meine vielen Ortswechsel als Klosterfrau ermöglichten erst recht keine längere Mitgliedschaft in einem Chor. Nur zweimal, jedes Mal für höchstens 2 Jahre ist mir dies trotzdem gelungen. Erst nach meinem "Sesshaft-werden" - Austritt aus dem Kloster, Rückkehr in die Schweiz - konnte ich endlich wieder einem Chor beitreten. Was ich mit grosser Freude auch tat und, mit Begeisterung, auch heute noch in einem Chor mitsinge.  
In jeder Nonnen-WG als (Vor-) Sängerin gefragt.
Klostergemeinschaften beten 3-4 x täglich Psalmen, Lesungen, Fürbitten - so oft wie möglich gemeinsam. Ausserhalb des eigentlichen Klosters dient das Zimmer einer Wohnung oder eine Nische im Wohnzimmer diesem Zweck. Je nach Arbeitsschicht war ich dabei. Und wenn ich dabei sein konnte wurden Hymnen und Psalmen gesungen statt "nur" gebetet. In jeder Nonnen-WG wurde von mir ganz natürlich erwartet, dass ich (vor) sang. Alle wussten, dass ich gut singe. Als ich später Psalmen und Hymnen auch noch auf einer Zither begleiten konnte, wurden solche Gebetszeiten von allen sehr geschätzt.
An Familienfesten das Schönste: SINGEN
Auch als Klosterfrau liess ich kein Familienfest aus. Fast jedes Jahr gab es eine Hochzeit oder einen runden Geburtstag zu feiern, auch heute noch. Für solche Feiern erlaubte mir die Oberin einen Besuch in der Familie. An solchen Feiern waren - sind auch heute noch - verschiedenste Musikinstrumente im Einsatz: hauptsächlich 3-4 Gitarren, meine Mandoline, Kontrabass (nicht auf dem Bild), Violine, Banjo, u.a.m. Und natürlich wird dabei gesungen was das Zeug hält. Solche Momente zählen für mich zu den Besten in der Familie.


(1) Verschiedenste Musikinstrumente: bei jedem Familienfest dabei.
Verschiedenste Musikinstrumente: bei jedem Familienfest dabei.

 

 

 

 

 
 
 
 
 
Musik hören
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10.  Freie Zeit, Reisen, Ferien

Musik hören
Endlich ein Radio zu Hause.
Als Kind kannte ich weder Radio noch Plattenspieler. Haben wir vielleicht deswegen so viel gesungen? Erst als mein älterer Bruder öfters nach der Schule mit schlechter Laune, protestierend nach Hause kam: "Alle in meiner Klasse hören daheim Radio und wir haben keins; sie reden von Musik, von Sängern, von Hörspielen, Nachrichten und ich stehe da wie ein "Dubeli", kann nicht mitreden, habe nichts zu sagen", schauten sich meine Eltern nach einem Radio um. Bald entdeckte ich die Hit-Parade am Samstagnachmittag. Die 1960-er Jahre sind die hohe Zeit von Peter Kraus, Conny Froboess, Peter Alexander, Freddy Quinn (mon preféré), Tom Jones, Elvis Presley etc. Auch Beatles und Rolling Stones sind schon da. Ihre Musik jedoch nicht nach meinem Geschmack damals: "viel Lärm um nichts", aggressiv und Englisch, verstehe kein Wort. Zudem werden Letztere oft genug pauschal verteufelt. Heute, 2017, und nach dem erlebten "Silvesterabend-TV-Stones-Konzert" staune ich wie mich die Musik, aber vor allem die Texte der Stones faszinieren. Späte Einsicht, zum Glück nicht zu spät. Vor allem für jene Hitparaden am Samstag schaltete ich das Radio jeweils ein. Auch wenn mein älterer Bruder, herumnörgelnd: "warum hörst du denn solches Zeugs?", das Radio bald wieder ausschaltete.
Mein erster Plattenspieler
22 oder 23 muss ich gewesen sei als ich mir einen Plattenspieler kaufen konnte, zusammengespart von meinem Lehrlingslohn. Weil eine Kollegin im Zimmer nebenan dauernd klassische Musik auf ihrem Plattenspieler hört werde auch ich bald Liebhaberin von klassischer Musik. Beethoven- und Mozart-Symphonien, ihre Klavier- und Violinkonzerte, Händels "Messias", Feuerwerk- und Wassermusik, Haydn und Vivaldis "Jahreszeiten", usw. höre ich bald auf meinem eigenen Plattenspieler. Auch heute besitze ich noch einen. Auch einige Vinyl-Platten von damals hatten im Elternhaus geduldig auf meine Rückkehr, nach langer Abwesenheit im Kloster, gewartet. Inzwischen höre ich vermehrt Musik ab CD. Nicht verändert, sondern erweitert hat sich seither meine Begeisterung für klassische Musik. Wobei, heute (2017) höre ich auch gern hin und wieder alte oder neuere Schlager im Radio. Solche trällern einem ja den ganzen Tag um die Ohren, wenn man Radio einfach so, quasi als Hintergrundmusik hört. Besonders gern höre ich französische Chansons. Bei diesen wird das Radio sofort auf "laut" gedreht.
Vom Plattenspieler zum Kassetten-Rekorder
Noch vor meinem Eintritt ins Kloster erwarb ich einen tragbaren Kassetten-Rekorder. Dieser, samt Kassetten konnte meine häufigen Wohnungswechsel besser überstehen als Platten und Plattenspieler.
 
 
 
Musikinstrumente spielen
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10.  Freie Zeit, Reisen, Ferien

Musikinstrumente spielen
"Meine Kinder sollen alle ein Musikinstrument lernen dürfen, war schon lange vor der Hochzeit mein Wunsch", hörte ich immer mal wieder von meiner Mutter. Sie habe solche in ihrer eigenen Familie vermisst. Sie hat ihren Wunsch dank Gratis-Lehrstunden für Blockflöte, Klavier und Violine tatsächlich für jedes von uns verwirklichen können. Gezwungen wurden wir nicht, eher war es selbstverständlich, ein Instrument zu spielen. Seit ungefähr 1953 steht ein Klavier im Wohnzimmer. Warum nicht darauf spielen lernen? Wie und woher das Klavier damals ins Haus kam weiss ich nicht mehr. Hingegen weiss ich, dass an Weihnachten jedes Jahr eine weitere Blockflöte unterm Baum lag. Als auch der Jüngste seine erhält, gibt es 8 Blockflöten im Haus. Von einem Musikinstrument hingegen will Mutter nichts hören: "Eine Handorgel kommt mir nie ins Haus, sie übertönt alle anderen Instrumente", so ihre Absage, wenn mal ein Bruder seinen Wunsch nach einer Handorgel äusserte. 
Blockflöte
In der 2. (oder 3.?) Klasse beginnt auch für mich der Unterricht für dieses Instrument. Mein älterer Bruder nun nicht mehr allein Übender im Haus. Schon bald üben wir 2-stimmige Stücke. Später kommt eins nach dem andern der Geschwister dazu. Gerne erinnere ich mich an kleine Blockflöten-Konzerte zu Hause, besonders in der Weihnachtszeit. Und spontan erinnere ich mich an ein richtig tolles Block- und Altflöten-Konzert, bei welchem ich mitspielte: Pflegehelferin in Lugano - Clinica St.Anna - spielten wir, eine kleine Gruppe Pflegender an Weihnachten ein schönes, eigens für Block- und Altflöten komponiertes Musikstück. So viel ich mich erinnere ist es von Vivaldi.
Klavier
Klavier im Haus, Klavierunterricht gratis, wäre schade eine solche Möglichkeit nicht zu nutzen. Mein älterer Bruder beginnt als Erster mit dem Unterricht. Ich ein Jahr später, leider nur für 3 Jahre. Nach meinem Eintritt in die Bezirksschule ist es vorbei, Privatstunden zu teuer. Später lernt eine Schwester auch Klavier. Die andere bevorzugt die Violine. In den nur 3 Jahren Klavierunterricht hatte ich trotzdem genug gelernt um, zur grossen Freude unserer Mutter, mit meiner Schwester kleine Hauskonzerte für Klavier und Violine darzubieten. Wenn Mutter uns zuhörte glänzten ihre Augen.....
Mandoline
Und dann kam die Mandoline. Diesmal Privatstunden bei einer Frau in Olten. Meiner Mutter gefiel Mandolinenmusik besonders gut. Ein eher leises, feines Instrument. Ich ging hin und fand sofort Freude daran. Nach einem Jahr hatte ich es so gut im Griff, dass mich die Lehrerin einlud, im von ihr in Olten geleiteten Mandolinen/Gitarren-Orchester, mitzuspielen. Nur zu gern hätte ich mitgemacht. Singen, musizieren mit andern gehört bis heute zu den schönsten Momenten meines Lebens. Vielleicht deshalb, weil sie leider, leider viel zu selten sind? Wie auch diesmal: Mein Welschland-Jahr bevorstehend, muss ich voller Wehmut dieses Projekt begraben. Die Mandoline besitze ich heute noch. Hin und wieder kommt sie, besonders an Familienfeiern, zum Einsatz.
Gitarre
Weil meine jüngeren Brüder richtige Gitarren-Virtuosen geworden sind, interessierte auch ich mich für dieses Instrument. Lernte es - Autodidaktisch - selber, liess mir die elementarsten Akkorde von meinen Brüdern zeigen. Natürlich ohne je die Virtuosität meiner Brüder zu erreichen. Wenigsten Lieder begleiten geht ganz gut. Würde ich mehr darauf üben, ginge es noch besser.... 
Zither
Gegen Ende ihres Lebens erhielt Mutter eine Zither geschenkt. Wieder ein Instrument das sie sehr mochte. Endlich kann auch sie auf einem Instrument spielen. Mit gutem Musikgehör schnell gelernt. Bei meinen Besuchen zu Hause lerne auch ich die Zither kennen, sehe sofort die Möglichkeit, damit in der Klostergemeinschaft das gemeinsame Gebet zu verschönern und nehme beim Abschied eine Zither mit - inzwischen gab es deren 2 bei meiner Mutter. Vor einigen Jahren habe ich mir eine grössere und wirklich gute gekauft. Es ist das Instrument, auf welchem ich bis heute an bestimmten Anlässen spiele.
 
 
Autostopp
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10.  Freie Zeit, Reisen, Ferien

Autostopp
In den 1960-er Jahren sah man oft an Strassenrändern Daumen-hebende Individuen stehen: Auto-Stopper. Manche mit auf Karton oder Blatt geschriebener Wunschdestination vor sich haltend. Heimlich beneide ich sie. Liebend gern möchte auch ich in einem Auto zu einer gewünschten Destination mitgenommen werden. Reisen möchte ich, die Schweiz sehen und dafür einfach losfahren können. Würde ich den Mut aufbringen es ihnen gleich zu tun? Würde ich es wagen, einfach so an der Strasse zu stehen und den Daumen zu heben? Mache ich mich nicht lächerlich dabei? Klar ist für mich von vornherein, dass ich als Frau nie und nimmer per Anhalter allein unterwegs sein würde. Wäre mir dann doch zu riskant. Es bleibt ein Traum, bis der Reiz des Abenteuers alle "Wenn und Aber" vergessen lässt, als mir die Gelegenheit es auszuprobieren quasi auf dem Teller serviert wird. 
Vater wollte uns den Fahrer eines Usego-Lieferwagens bestellen.
Die Gelegenheit: Mit meiner Schwester unsere jüngste Schwester im Welschland besuchen. Zuerst gilt es den Eltern unser Vorhaben schmackhaft zu machen. Darum herum geredet mit ihnen haben wir schon seit einiger Zeit, jetzt soll es konkret werden. Vor allem Vater, bis dahin über solche Fantasien seiner Töchter nur müde schmunzelnd - ungläubig, dass wir es je tun würden - müssen wir nun vom Gegenteil überzeugen: "Jetzt oder nie! Definitiv haben wir nun beschlossen per Autostopp unsere Schwester zu besuchen". Jetzt begreift auch er den "Ernst" der Situation. Er denkt nach, geht eine Weile hin-und-her, auf-und-ab - wie er es immer tut, wenn man ihm eine Frage stellt oder um eine Zusage bittet - plötzlich schaut er auf, sein Gesicht erhellt sich: "Ich könnte in der USEGO nachfragen ob eine Lieferung gegen Westen ansteht, ihr wenigstens eine Strecke mitfahren könntet". Es blieb bei seiner Idee, nachgefragt hat er nie. Wir aber hören eine solche Antwort als Zusage. Als wir uns wirklich an einem Samstag in der Nähe unseres Hauses, die Daumen hochhaltend an den Rand der Hauptstrasse Richtung Olten stellen, steht Vater doch tatsächlich etwas entfernt und verdeckt hinter uns. Steht da bis ein Auto hält und uns mitnimmt. Wahrscheinlich hat er uns alle möglichen Engel hinterher geschickt... Bis wir im Unterwallis bei unserer Schwester ankommen stehen wir noch etliche Male mit gehobenen Daumen an der Strasse. Unsere anfängliche Hemmung zum "Daumen-heben" wird zur Gewohnheit. Weil es Spass macht und alles gut geht, fahren wir nach dem Besuch bei der Schwester auf die gleiche Weise wieder nach Hause. 
Per Anhalter auf den Simplon Pass oder ins Goms
Während meines Praktikums im Spital Brig (1966-1967), meistens am Morgen nach einer Nachtwache, stellte ich mich mit einer Kollegin an die Strasse Richtung Simplon Pass oder Richtung Goms. Daumen hoch und ab gings. Kurz nach Mittag per Stopp zurück und schlafen. Auf diese Weise habe ich einiges von diesen schönen Ecken des Wallis gesehen. Unter anderem, wie damals der Rhonegletscher noch bis fast nach Gletsch hinunterreichte. Schaut mal hin an welcher Stelle er heute, 2016, endet!!!
Noch ein paarmal war ich in der Schweiz auf diese Weise unterwegs. Immer hatten wir es gut mit den jeweiligen Fahrern. Manchmal unterhaltsame, manchmal schweigsame. In den 1960-er Jahren gab es kaum Autobahnen und viel, viel weniger Verkehr als heute. Sieht man heute überhaupt noch Auto-Stopper?
Familienreisen, Familienferien.
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10.1.  Freie Zeit, Reisen, Ferien – Familienreisen, Familienferien..
Familienferien? 
Bei uns ein Fremdwort. Höchstens mal eine Familien-Tagesreise mit Destinationen wie Einsiedeln, Mariastein oder Bruder Klaus in Sachseln (Flüeli-Ranft). Alles Wallfahrtsorte. Man könnte auch sagen Kraftorte wo Menschen hin pilgern, um innezuhalten und zu beten. Für uns jeweils nur eine Tagesreise. Trotzdem kann auch bei einer solchen mal der Spruch gelten: "Wenn einer eine Reise tut, kann er was erzählen", wie folgende Geschichte zeigt: 
Ein Brötchen zu viel..... ein Kind zu wenig.....
Es passiert am Zürcher Hauptbahnhof auf der Rückreise von Einsiedeln. Im Wartezimmer auf den Anschlusszug wartend, Zeit und Hunger vertreibend, verteilt Mutter ihre mitgebrachten Sandwiches: 10 belegte Brötchen für 8 Kinder und zwei Erwachsene. Plötzlich hält sie inne, blickt in die Runde: "Hab ich jetzt ein Brötchen zu viel mitgebracht, oder wer hat noch keins?" Stille. Jetzt nochmals ihr Blick in die Runde, kopfnickend die Anwesenden zählend. Dann ihr beängstigender Schrei: "Wo ist Hans?" Hans, 6 oder 7 Jahre alt, ist nicht da. Ohne zu zögern eilen Vater, mein älterer Bruder und ich auf den Bahnsteig, schauen uns um, gehen auf und ab. Da endlich! Erleichtertes Aufatmen. Da kommt sie, eine unbekannte Frau mit unserem Hans an der Hand. Passanten hätten ihn schluchzend vor einem Schaufenster vorgefunden: "ich weiss nicht wo meine Eltern sind, hab sie verloren", und ihn zur Bahnhof-Hilfe gebracht. Per Lautsprecher habe man den Aufruf durchgegeben - welchen wir im Wartesaal nicht hörten. Also habe sie den Bub an die Hand genommen, sei mit ihm auf und ab gegangen, in der Hoffnung die Eltern würden nach ihm suchen. Allseits grosses Aufatmen. Hans, noch immer etwas verstört - wird es vielleicht Schelte geben wegen meiner Unachtsamkeit? - wird getröstet, kriegt keine Schelte und kann endlich sein Brötchen essen.
Doch einmal Familienferien
Frühling 1956: Zurück von der Schule erwartet mich Mutter freudestrahlend mit einem Brief in der Hand: "Ich kann's kaum glauben was ich hier lese: 'Wir haben Sie als kinderreiche Familie für 2 Wochen Gratisferien ausgewählt. 2 Destinationen stehen zu Ihrer Wahl: Emmeten und Amden. Inbegriffen sind Reise, Wohnungsmiete sowie Fr. ?... für's Essen, im von Ihnen gewählten Dorf'' (die Geldsumme weiss ich nicht mehr)"
Jemand - wir wussten nie wer es war - hatte unsere Adresse der REKA gemeldet. REKA ermöglichte damals jedes Jahr einigen kinderreichen Familien Gratisferien. Bei uns natürlich alle hocherfreut. 
1956: Sommerferien für 2 Wochen in Amden.
Unsere Wahl fällt auf Amden. Vor allem an die erste Woche erinnere ich mich gut. Schönes Wetter, wir Grösseren (ich knapp 12-jährig) mit Vater unterwegs beim Wandern. Sesselliftfahrt auf den Mattstock. (Sessellifte sind auch heute noch meine Lieblinge für Ausflüge "nach oben". So schön sich im Freien sitzend, geräuschlos nach oben tragen zu lassen. Herrlicher Genuss.) Für Mutter der fast gleiche Alltag, jetzt einfach in einem anderen Haus. Der Jüngste anderthalb jährig, sie im 6. Monat schwanger. Ihre letzte Schwangerschaft, mit nachfolgender Totgeburt (im Kapitel "Kindheit" beschrieben). Erschwerend dazu: In der 2. Woche liegen meine beiden Schwestern mit Angina im Bett. Noch mehr Arbeit für Mutter. Trotzdem freut sie sich an unserer Freude, mal richtige Ferien geniessen zu dürfen.


(1) Feriengruss-Karte meiner Mutter an die Familie meiner Freundin Ursula: aus Amden nach Dulliken 1956
Feriengruss-Karte meiner Mutter an die Familie meiner Freundin Ursula: aus Amden nach Dulliken 1956

Man beachte Mutter's Sorgen-Zeilen am Schluss: "Hoffentlich ist alles in Ordnung zu Hause (unserm Haus in Dulliken). Oder ist ein Huhn krank? Tragt Sorge dazu, denn hier (in Amden) kostet ein Ei 50 Rappen!" Auch beachtenswert: 1956 gab es noch keine Postleitzahlen. 

1977: 2 Wochen nostalgischer Familienaufenthalt in Amden
Die Idee hatte meine jüngste Schwester: "Warum nicht nachfragen ob das Haus von damals noch für Ferien vermietet wird?" Tatsächlich wird es noch vermietet, sogar von der gleichen Familie Gmür-Rüdisüli. Husch-husch das Haus für 2 Wochen gebucht. Inzwischen die Familie mit Schwägerinnen/Freundinnen, Nichten vergrössert. Komme wer wann, wie lange auch immer, kommen wolle, Platz hat es genug. Immerhin schafft es die ganze Sippe ein volles Wochenende zusammen da zu sein. Eine schöne Zeit. Damals schon seit 7 Jahren im Kloster hätte ich eigentlich für höchstens 10 Tage meine Eltern/Familie besuchen dürfen. Dieses eine Mal habe ich eigenständig überzogen. Aus 10 wurden 12 Tage. Solch eigenmächtige Entscheidung kam bei meiner damaligen Oberin nicht gut an. Nach meiner Rückkehr tadelt sie mich. Ihr Tadel perlt an mir ab, ich bereue nichts. Zu schön die Zeit mit der Familie in Amden.
 


(2) 1956: 2 Wochen Gratisferien für kinderreiche Familien von der REKA gesponsert. 1977: alle nochmals für einige Tage im gleichen Haus
1956: 2 Wochen Gratisferien für kinderreiche Familien von der REKA gesponsert. 1977: alle nochmals für einige Tage im gleichen Haus

 

Schul- und eine ganz besondere Reise. 2 x im Ferienlager
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10.2.  Freie Zeit, Reisen, Ferien – Spezielle Reisen.

Schul- und eine ganz besondere Reise. 2 x im Ferienlager
Bei den Schulreisen erinnere ich mich an die Teufelsschlucht oberhalb Hägendorf bei Olten. Muss die erste Schulreise gewesen sein. In den folgenden Jahren: Rigi, Bürgenstock, grosse Scheidegg, Männlichen. Auf dem Bürgenstock bin ich seither nie mehr gewesen. Würde gern wieder mal mit seinem besonderen Lift da hinauf fahren - gibt es ihn überhaupt noch? Anscheinend gibt es heute da oben nur noch Platz für Schöne und Reiche...... 

Eine spezielle Reise jedoch, stellt alle Schulreisen in den Schatten:  
Die Einweihung der neuen Lokomotive "Solothurn".
In den Jahren um 1955/1956 bringt die SBB neue Loks auf die Schienen und benennt sie nach Kantonen. Heute sieht man diese Loks nur noch selten, meistens bei Güterzügen. Sehe ich per Zufall eine mit irgendeinem Kantonswappen drauf - muss nicht Solothurn sein - erinnere ich mich prompt an diesen speziellen Tag.  
Einige Wochen vor diesem Tag, grosse Aufregung im Schulzimmer der 6. Klasse. Der Lehrer beginnt den Unterricht mit einer Ansage: "Die festliche Einweihung einer neuen Lokomotive mit unserem Kantonsnamen steht bevor. Zu dieser Einweihung sind 6.-Klässer aus dem ganzen Kanton eingeladen. Entsprechend der Einwohnerzahl des Dorfes können aus unserer Klasse nur 16 von 44 Schülern daran teilnehmen. Das Los soll entscheiden". Auch sagt er uns, die Reise werde ins Tessin gehen. "Herrliche Aussicht" denke ich, "aber werde ich zu den glücklichen 16 gehören? Besser nicht zu fest hoffen dann bist du auch nicht enttäuscht". Fast greifbare Spannung in der Klasse als der Lehrer, von Bank zu Bank gehend, Zettel verteilt. Jedes soll seinen Namen darauf schreiben. Schnelles kurzes Gekritzel bevor er zum 2. Mal durch die Bankreihen geht und die Zettel in einer Schachtel einsammelt. Zurück an seinem Pult, kräftiges Schütteln der Schachtel. Dann der epische Moment: Ziehung der 16 Namen. Heute noch vibriere ich, wenn ich an diesen Moment denke, als ich in der angespannten Stille der Klasse meinen Namen hörte. Bald darauf auch noch den Namen meiner Freundin. Unglaublich, einfach unfassbar, zu viel des Glücks!
Eine unglaubliche Reise ins Tessin.
Grosse Reisen kannte ich bis dahin nicht. Eine Reise ins Tessin war damals eine grosse Reise. Geld für Reisen spärlich vorhanden, besonders bei uns.
Festakt der Lok-Einweihung in Solothurn: Aus allen Teilen des Kantons treffen - neben VIPs (Abgeordnete von Kanton, SBB, usw.) - 6.-Klässler im Bahnhof Solothurn ein. Soweit ich mich erinnere, müssen es etwas um die 2000 gewesen sein. Mit Blumen geschmückt steht die Lok in ihrer ganzen Herrlichkeit da, bereit für ihre erste Fahrt ins Tessin. Eine Musikkapelle spielt auf. Unendlich lange Reden werden gehalten. Ist einer der VIPs mit seiner zu Ende, beginnt der nächste. Mich lässt das alles kalt: "Macht endlich vorwärts, ich will einsteigen und losfahren, alles andere interessiert mich nicht". Endlich, endlich dürfen wir einsteigen, dabei wird uns ein Solothurner-Fähnchen in die Hand gedrückt. Das Wetter freut sich mit uns, beschert uns einen wunderschönen Tag. Alle Zugfenster offen: das grosse Winken mit den Fähnchen kann beginnen. Je grösser die Ortschaft oder der vorbeiflitzende Bahnhof, umso heftiger winken und schreien wir. Olten kommt näher und knapp vor Olten das gleich neben den Schienen stehende USEGO-Gebäude. Wird Vater bei unserer Durchfahrt an einem der vielen Fenster stehen? Er kennt in etwa die Zeit unserer Durchfahrt. Und tatsächlich, alle Fenster der USEGO sind mit winkenden Leuten besetzt. Vater allein an einem Fenster. Er sieht mich nicht, wir sind zu viele, aber ich kann ihn gut erkennen, fahren doch die Züge in jenen Jahren nur halb so schnell wie heute. Die ganze Reise ein einziger Hochgenuss: schönes Wetter, tiefbeeindruckende Landschaften, die Kehrtunnels vor dem Gotthard. Niemand im Wagen bleibt sitzen. Von einer Seite wechseln wir auf die andere, hin und her, je nach Aussicht. Die Kirche von Wassen, nach jedem Tunnel plötzlich wieder da, nur anders. In Bellinzona endet die Reise. Die Burg "Castello Montebello" - die mittlere der 3 Burgen Bellinzonas - erwartet uns. Bei der Ankunft auf der Burg wird jedem ein Picknick-Päckchen ausgeteilt. Zum Picknick verteilen wir uns auf der riesigen Wiese rund um die Burg. Die Heimreise dann nochmals herrlich. Bis heute bin ich dem Los - dem Schicksal, oder wem auch immer - unendlich dankbar, mir diese Reise geschenkt zu haben.
Erst heute 2017 weiss ich, dass auch meine Cousine Silvia - gleich alt wie ich, damals in Solothurn wohnend, im April 2017 mit Hilfe von "Exit" verstorben - im Zug mitreiste. Sie hat es mir gesagt, nachdem sie beim Lesen dieser Seite ihre eigene Erinnerung an diese Reise wiederfand. 

In jedem Ferienlager von Heimweh geplagt. 
Die beiden 2-wöchigen Ferienlager - das 1. Jahr in Solis GR, das 2. Jahr auf dem Glaubenberg LU – bleiben in meiner Erinnerung eine mit Heimweh geplagte Zeit. Zuerst zögerten meine Eltern mich als erst 8-jährige mitziehen zu lassen. Aber mein um 1 Jahr älterer Bruder würde dabei sein und sich bestimmt um mich kümmern, hofften sie... war dann aber gar nicht der Fall.... Ich weinte viel, daran erinnere ich mich. War es Heimweh, welches mich eines Abends dazu antrieb, einem Mädchen den Kopf in die Fensterscheibe zu knallen? - zum Glück verhinderte ein dicker Vorhang Verletzungen. Oder war es Eifersucht? Bei unseren täglichen Ausflügen fühlte ich mich nur an der Hand der Betreuerin wohl. Erhielt dieses Mädchen mehr Aufmerksamkeit von ihr als ich? Vielleicht... 
Im folgenden Jahr erlebte ich mein 2. Ferienlager auf ähnliche Weise: Heimweh. Diesmal umso mehr, weil ein paar Tage vor der Abreise ein Bruder - grad ein Jahr alt geworden - seine ersten Schritte ausprobiert hatte. Als ich im Lager im Brief meiner Mutter las: "Stell dir vor, der Kleine kann jetzt allein "läufeln" (gehen)", flossen Sturzbäche von Tränen....
 
 
 
 
 
Erste (damals) grosse Reise: Rom
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10.2.  Freie Zeit, Reisen, Ferien – Spezielle Reisen.

Erste (damals) grosse Reise: Rom

1964: Pfarrer Widmer – Pfarrer in Dulliken - ein Rom-Begeisterter. Wenn er über diese Stadt spricht, steckt er bestimmt einige seiner Zuhörer mit dem Rom-Virus an. Nicht der Kirche oder des Papstes wegen – waren ihm schon vor dem Konzil (1962-1965) ein Dorn im Auge – es ist Roms Geschichte und seine grandiosen Kunstwerke, welche ihn immer wieder in diese Stadt zogen. Sein Rom-Virus hat mich übrigens bis heute nicht verlassen. Nicht jedes Jahr aber doch hin und wieder reist er mit einer Gruppe aus der Pfarrei nach Rom. So auch 1964, meinem letzten Jahr als Einwohnerin Dullikens. Zeitlich stimmt es für mich ausgezeichnet. Der Gedanke, nach meiner Pflegeausbildung ins Kloster zu gehen weiterhin da. Also vorher noch reisen so viel ich kann.... Die einmalige Chance mit unserem Rom-begeisterten Pfarrer diese Stadt zu erleben will ich mir nicht entgehen lassen.
Eine Kunst- und Pilgerreise.
wobei das Wort "Kunstreise" eher zutrifft. Wie schon oben kurz erwähnt war unser Pfarrer ein aufgeschlossener Priester, kein „Frömmler“, sich streng an die kirchlichen Verordnungen halten, nicht sein Ding. Über Kunst und Kunstgeschichte verstand er einiges. Nicht nur in Rom gebe es fantastische Kunst zu bestaunen. Es lohne sich auf der Hinreise Zwischenhalte einzubauen. Daher erste Übernachtung in Florenz, später San Giminiano, Siena. Schliesslich Rom, der Höhepunkt.
Rom 1964, nicht zu vergleichen mit Rom 2018, als ich zum vorläufig letzten Mal dort war. Klar, immer noch die gleichen grossartigen Kirchen, Kunstwerke, Brunnen, Plätze und vieles mehr, jedoch der Massentourismus ein grosses Problem. Bin froh das Rom von 1964 erlebt zu haben. Es behält seinen besonderen Platz in meiner Erinnerung: Überall freien und schnellen Zugang zu Kirchen, Museen, Kunstwerken, Altertümern. Kein Schlangenstehen, keine Abgrenzungen oder Schleusen, keine Kontrollen wie an Flughäfen. Wie schön war es doch damals: beim Einbrechen der Nacht durch Rom oder kreuz und quer über den Petersplatz flanieren, seine Brunnen und Säulengänge bestaunend; beim Bronzetor - einer der Eingänge zum Vatikan – stehen bleiben, dem davor Wache stehenden Schweizergardisten: „Grüezi, wir sind Schweizer aus X-Y“ zurufen, als Antwort ein Lächeln von ihm erhalten. Tempi passati! Heute alles nicht mehr möglich, alles abgesperrt.
1964: Papst Paul VI.
Klar, für Katholiken ist "den Papst sehen" - wenigstens damals - ein Thema, welches bei einer Romreise einfach dazugehört. Dafür findet jeden Mittwoch auf dem Petersplatz oder in der grossen Halle nebenan, eine Generalaudienz statt. Unser Pfarrer, nicht darauf erpicht mit uns unbedingt an dieser teilzunehmen - wir als Gruppe auch nicht - meint, es reiche, wenn wir den Papst am Sonntag sehen, wenn er sich kurz am Fenster zeige, um der versammelten Menge seinen Segen zu geben. Alle einverstanden. Am Sonntag um die Mittagszeit stehen wir auf dem Petersplatz. Ich stehe da, erwartungsvoll und andächtig zitternd zum Fenster hinaufschauend wo der "hochheilig verehrte Heilige Vater" erscheinen soll. Werde ich in den Worten seiner kurzen Ansprache - vor "Ave Maria, piena di Grazia...." und päpstlichem Segen - eine Bestätigung, und sei sie noch so klein, für meine klösterliche "Berufung" zu hören bekommen? Tatsächlich! Noch heute erinnere ich mich Wort für Wort an diesen Satz: "La chiesa a bisogno delle anime generose". (Die Kirche braucht grossherzige Menschen.) Tief getroffen hatte mich dieser Satz. Und innerlich hörte ich mich antworten: "Ja, ich komme, ich komme!". Diese Romreise ein einziger Genuss, hatte mich sogar in meinem Vorhaben ins Kloster zu gehen bestärkt.

 

Diplomreise: das erste Mal fliegen
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10.2.  Freie Zeit, Reisen, Ferien – Spezielle Reisen.

Diplomreise: das erste Mal fliegen
April 1968: Eben wurde uns 19 neuen Krankenschwestern das Diplom überreicht. Alle können aufatmen und sich auf die bevorstehende Diplomreise freuen. Nach Amsterdam soll es gehen. Nicht "gehen" wollen wir, sondern fliegen. Es wird für alle der erste Flug im Leben überhaupt sein. Heute in unseren Gefilden kaum vorstellbar, dass 22-jàhrige noch nie geflogen sind. Damals schon. Wir waren stolz darauf, in dieser Schule die Ersten zu sein, die ihre Diplomreise per Flug unternahmen. Absolut originelle Idee.... damals. Unter uns herrschte ein "wir sind die Ersten, hurra!"-Gefühl.  
Fliegen, heute so selbstverständlich geworden (weil viel zu billig!...), gehörte 1968 noch zur Ausnahme für Mittelständige wie wir es waren, oder erst in naher Zukunft sein würden. (Heute zu selbstverständlich, meine ich! Wie werden unsere Nachkommen mit der Erde, so wie wir sie ihnen hinterlassen umgehen können, umgehen müssen?!) 
Mit der Swissair flogen wir nach Amsterdam (oder war es die KLM?), besuchten dort die üblichen Touristenorte: Rembrandt Museum, Anne Frank-Haus, Tulpen, Grachten-Fahrten, Windmühlen, am Meer rohen Hering essen, usw..... Leider konnte ich an mindestens 2 Tagen nicht dabei sein, wie z.B. beim Museumsbesuch oder bei den Tulpenplantagen. Hohes Fieber hielt mich im Hotel zurück. Gut, dass nette Kolleginnen da waren, die mir einiges von ihren Ausflügen erzählen konnten. Rohen Hering, frisch gefischt aus dem Meer essen, dafür reichte es dann doch noch. Rohen Fisch essen, glaubte ich damals, sei bestimmt ungeniessbar oder sogar gefährlich. Vielleicht ist dies der Grund warum ich mich heute noch an diesen rohen Fisch erinnere, welchen ich mir vor Ort, stehend am Meer und vor den Augen der Angler einverleibte. Hat ganz gut geschmeckt. 
 
Einmal hoch hinauf, bis 4000 m. über Meer, und dann....
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10.3.  Freie Zeit, Reisen, Ferien – 6 Tage mit Pickel und Steigeisen unterwegs.

Einmal hoch hinauf, bis 4000 m. über Meer, und dann....
Juni 1966: Ende meines Praktikums im Spital Brig. 2 Wochen Ferien geplant vor Beginn des nächsten Praktikums in Olten. Ein Inserat der "Bergsteigerschule Fiesch" hat es uns, einer Kollegin und mir, vor unserem Wegzug aus Brig besonders angetan: Eine "6-tägige Gletscherwanderung für Anfänger und Fortgeschrittene". 6 Tage unterwegs in Eis und Schnee, von Hütte zu Hütte, von Fiesch über Aletschgletscher, Oberaargletscher zur Grimsel Passhöhe. Was gibt es Schöneres als sich nach einem Jahr vom Wallis auf diese Weise zu verabschieden! Sofort melden wir uns an. Sportskanonen sind wir nicht, nicht mal sonderlich trainiert, aber jung sind wir und wenn es heisst "für Anfänger"... werden wir bestimmt mithalten können.
1. Tagesziel: Konkordiahütte.
In 4 Seilschaften - 16 Pers. je 1 Führer mit drei "Angehängten" - gehts los. Angehängt am Seil, im Gänsemarsch, jede/r mit Pickel und Steigeisen ausgerüstet, folgen wir dem Führer. Vom Märjelensee über den Aletschgletscher zur Konkordiahütte - ungefähr die Mitte des Gletschers. Der Führer vorn, das schwächste Glied der Gruppe zuhinterst. Wobei, zu Beginn kann man noch nicht wissen wer das schwächste Glied der Gruppe ist.... alle folgenden Tage werde ich es sein. Über den Gletscher ist es ein angenehmes Wandern, ziemlich flach. Die Steigeisen statt an den Schuhen am Rucksack baumelnd. Schöneres Wetter kann man sich kaum vorstellen - wird die ganze Woche so bleiben. Geheimnisvolle Stille, nur das Knirschen unserer Tritte im Schnee. Am Konkordiaplatz angekommen, suche ich überall die Hütte; sie muss doch da irgendwo sein sonst würde der Platz nicht so heissen. Der Mittelpunkt des Gletschers ist wirklich so etwas wie ein grosser Platz: geradeaus gehts hinauf zum Jungfraujoch, links zur Lötschenlücke, rechts Richtung Finsteraarhorn, hinter uns ins Wallis. Aber wo um Himmelswillen ist diese Hütte? Von unten nicht sichtbar, stehen wir vor einer hohen Felswand mit anscheinend unzähligen Leitern bespickt. Die müssen wir jetzt rauf.

(Habe eben - Juli 2017 - versucht ihre ungefähre Zahl über Google, "Konkordiahütte", zu finden. Wunderschöne Fotos bei Google: Erinnerungen. Auf diesen Bildern sehe ich: 1. eine neue grosse Hütte (gross, verglichen mit der alten) etwas oberhalb der Alten, und 2. keine einzige Leiter mehr da. Jetzt sind es Metalltreppen. Und unübersehbar sticht der Gletscherschwund der letzten 50 Jahre ins Auge. War der Höhenunterschied Gletscher/Hütte bei unserer Tour noch unter 100 m, ist er heute schon bei 130-150 Metern.) 

Also los! Keine Angst vor den vielen Leitern. Jede bringt dich dem Ziel näher: die Hütte mit ihrem Massenlager und hoffentlich einer bodenständigen warmen Suppe bei unserer Ankunft. Bei dieser würden wir, nur auf Leitern, etwas zwischen 80 und 100 m Höhenunterschied zwischen Gletscher und Hütte zurückgelegt haben. Der Rundblick von der Hütte über die ganze Berg-und Gletscherwelt im Abendrot grandios, etwas vom Schönsten überhaupt, atemberaubend. Die Lötschenlücke, mir nur vom Lötschental aus bekannt, sehe ich nun von der anderen Seite. Am Abend geh ich früh schlafen - versuche es wenigstens in der Masse - um 3h sollen wir aufstehen. Abmarsch um 4h. Diese Zeit ist nichts Ungewöhnliches auf solchen Touren. Um 4h ist der Schnee hart, gutes Vorwärtskommen gesichert. Diese Zeit werden wir auf der ganzen Tour beibehalten. Dafür erreichen wir - ausser am letzten Tag - jedes Tagesziel um die Mittagszeit wenn Schnee und Eis, aufgeweicht, nur noch schlecht begehbar sind.  
2. Tag: Jungfraujoch.
Beim Aufstieg kommen die Steigeisen zu ihrem ersten Einsatz. Vor etwa 10 Jahren - von einem Vergünstigungsangebot der Raiffeisenbank profitierend - mit dem Zug auf dem Joch angekommen, sagte ich, nicht ohne Stolz, zu meiner Begleiterin: "Weisst du, heute bin ich das zweite Mal hier. Das erste Mal erreichte ich das Joch zu Fuss und am Seil über den Gletscher, von der anderen Seite her". Von oben auf den Gletscher hinabblickend erinnerte ich mich an unser Ankommen auf dem Joch damals: Wir, am Seil mit Pickel, Steigeisen, Rucksack, gutem Schuhwerk, kurz, gut ausgerüstet, kommen an und mischen uns unter Sandalen- Absatzschuhe- Sommerkleider tragende Touristen jeglicher Herkunft. Ein bizarres, gleichzeitig stolzes Gefühl: ich hatte wenigstens einmal im Leben den echten schwierigen Weg geschafft. Nach dem Abstieg vom Joch gings nochmal über die vielen Leitern zu einer zweiten Übernachtung in die Konkordiahütte. Ein letztes Mal kann ich den überwältigenden Ausblick von da oben geniessen.
3. Tag, Finsteraarhornhütte.
Um 4h wieder angeseilt und abmarschbereit gehts zum nächsten Tagesziel: die Finsteraarhornhütte. Eine lange und steile Etappe. Darum sind wir die meiste Zeit mit angeschnallten Steigeisen unterwegs. Mit jedem Schritt müssen diese fest ins Eis geschlagen werden. An gefährlicheren Stellen schlagen unsere Führer mit ihren Pickeln Treppen ins Eis, um uns den Aufstieg noch mehr zu erleichtern.
4.Tag: Hugisattel, eigene Grenzen erreicht. 
Schliesslich am 4. Tag meine grösste Herausforderung: der Hugisattel auf ca. 4000 m., etwa 250 m. unter dem Finsteraarhorngipfel. Pickel und Steigeisen auf der ganzen Strecke ein Muss für alle. Der Aufstieg für mich, dem Tipp des Führers folgend eigentlich kein grosses Problem: "Mit Steigeisen an den Füssen ist es wie beim Treppensteigen. Denk einfach du würdest eine Treppe hochsteigen, schau weder nach links noch nach rechts, auf keinen Fall rückwärts, dann ist es ganz leicht". Ganz anders der Abstieg: Nach einem kurzen überwältigenden Rundblick aus 4000 m, wieder zurück auf "normale" Höhen, wenn man so sagen kann - wir sind seit 4 Tagen nie unter 3000 m unterwegs. So steil wie hinauf gehts nun auch wieder runter. Beim Aufstieg die Letzte - die Schwächste - bin ich jetzt die Erste am Seil und der Führer der Letzte. Das sei die Regel bei solchen Touren, sagt man mir. Ist eigentlich logisch. Des Führers Tipps höre ich jetzt noch besser: "Schau um Himmelswillen nicht auf die Füsse, stell dir vor du gehst ganz einfach eine Treppe runter: Füsse immer geradeaus, weder nach rechts noch nach links abgewinkelt. Wenn du meinst du könntest dich mit schräg zum Eis gestellten Füssen besser halten, ist dies ein Trugschluss. Nein, bei jedem Schritt mit der Ferse fest ins Eis hacken. Genauso musst du absteigen". Schneller gesagt als getan. Zu ängstlich bin ich angesichts der Eiswand unter mir. Aber ich soll ja nicht runterschauen.... Passieren kann nicht viel, ich hänge ja am Seil, 3 sind hinter mir, sie würden mich halten wenn.... Aber eben, der Abstieg mit Steigeisen scheint den andern plötzlich mehr hinderlich als nützlich zu sein. Plötzlich stehen sie still und entfernen ihre Eisen; natürlich muss auch ich meine Eisen entfernen. Durch das Seil unausweichlich mit den andern verbunden, muss ich wohl oder übel das Gleiche tun. Und schon fahren sie, nur mit Schuhen an den Füssen los, lassen sich wie auf Skiern hinuntergleiten. Haben keine Ahnung, dass die Banause da vor ihnen keine Ahnung hat vom "Gleiten auf Schnee"...... Staunend betrachte ich wie auch die andern Seilschaften standfest gleiten. "Kann ich das auch?" Ich muss es einfach können, keine Zeit es auszuprobieren. Angeseilt gibt es für mich keine andere Möglichkeit als es ihnen gleichzutun. Bin aber sofort überfordert. Nie im Leben auf Skiern gestanden - und auch nie nur mit Schuhen an den Füssen irgendwo hinuntergeglitten - rutsche ich bald nur noch auf dem Hintern runter. Die andern am Seil müssen mich immer wieder auffangen und zurückhalten. So gehts weiter bis wir flacheres Gelände erreichen. Man könnte jetzt meinen das sei lustig, ein grosser Spass gewesen. Nicht für mich. Erstens ermüdet mich dieses Hinfallen - wieder aufstehen - wieder den Halt verlieren, bis zur Erschöpfung. Zweitens bin ich für die andern am Seil ein nerviges Hindernis. Immer wieder müssen sie sich um mich kümmern, warten bis ich irgendwie wieder stehe.

Erhaltener Kommentar: 04.01.2017 - 10.15 Uhr, von anonym
Und wie lange, oder eher kurze Zeit uns dieser wunderschöne Aletschgletscher noch erhalten bleibt, ist leider nicht zu übersehen..... Und dies ist vor allem unsere, der Menschen Schuld.
Kommentar 05.11.2020, 17:41: von Alfred
Uff! Mir stockte das Herz: Hugisattel! ... Ich war jetzt soeben mit Dir zusammen auf dem ‚Hugisattel‘. Zum Glück schafften wir den Abstieg (ich kann Skifahren und Rutschen und habe dich aufgefangen …) und jetzt sind wir in Sicherheit in deiner wunderbaren Wohnhöhle, wo auch der Eisvogel nistet … Überstanden, auferstanden, aufgebrochen ... Toll! Wow! So guet, dass wir heute (2020) festen, ebenen Boden haben unter den Füssen: Zusammen in luftiger Höhe am Stausee 30/4 in Birsfelden. 
In herzinniger Verbundenheit, Dein Fredi 
 
 
..... trotz Fieber immer weiter. Fieberbläschen.... Schreck lass nach
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10.3.  Freie Zeit, Reisen, Ferien – 6 Tage mit Pickel und Steigeisen unterwegs.

..... trotz Fieber immer weiter. Fieberbläschen.... Schreck lass nach

Vom Hugisattel zurück für eine zweite Nacht in der Finsteraarhornhütte: Fühle mich schwach, erschöpft und elend, ohne Lust auf Essen. Schlaf, trotz Müdigkeit, will sich nicht einstellen. Ich schlottere, spüre ansteigendes Fieber, bin deshalb sehr beunruhigt. Sorgenvoll sehe ich dem Morgen entgegen. Panik. Wie wird es weitergehen? Wie komm ich hier raus? Muss mich am Ende ein Helikopter holen? In solchen Momenten macht sich meine Fantasie selbständig - auch heute noch. Tendenz: aus einer Maus wird ein Elefant.
5. Tag: Oberaarhütte. 
Irgendwie schaffe ich es dennoch am Morgen, früh wie immer - kaum geschlafen - beim Aufbruch bereit zu sein. Das Ziel an diesem 5. Tag: die Oberaarhütte. Wie ein Roboter am Seil setze ich Fuss nach Fuss, Kopf völlig leer, Hauptsache vorwärts. Es muss gehen. Dank meinen 22 Jahren geht es. Zum Glück eine eher kurze Etappe, nicht besonders anspruchsvoll. Die Steigeisen bleiben auf der ganzen Strecke am Rucksack hängen. Wie üblich erreichen wir die Hütte noch vor Mittag. Einige besonders Unermüdliche besteigen nach der Ankunft noch das Oberaarhorn. Ich hingegen, froh dem "Helikopter-Rausholflug" entgangen und das Tagesziel heil erreicht zu haben, freue mich ungemein auf diese längere Erholungszeit.
6. und letzter Tag: Grimselpass.... Fieberbläschen.
Am Morgen des letzten Tages erwache ich mit rundum geschwollenen Lippen voller Fieberbläschen. Der Tag mit der längsten Strecke unserer Wanderung steht bevor. Über 7 Stunden Marschzeit angesagt: von der Oberaarhütte über den Oberaargletscher zum Grimsel Pass. Schon fast angenehm empfinde ich diese Strecke bald. Nie mehr Steigeisen montieren, nur noch bis zum Ende des Gletschers angeseilt bleiben. Und vor allem geht es - überhaupt nicht steil - nur noch abwärts. Auf dem ganzen Weg spüre ich wie sich diese frechen Fieberbläschen weiter vermehren, sich schamlos über mein ganzes Kinn ausbreiten. Wie werde ich am Ende aussehen!? Ist mir eigentlich egal, Hauptsache "Ende gut, alles gut".
"Oh wie schön, endlich wieder Grünland!".........
.......rufe ich, als ich am Wegrand die ersten Blumen und Gräser entdecke - nach 6 Tagen im Weiss von Schnee und Eis. Was man sonst wie selbstverständlich kaum wahrnimmt, kommt einem plötzlich wie ein Geschenk entgegen. Heute erfasst mich dieses Gefühl jedes Mal wenn ich statt "grüner Wüsten" - so nenne ich unseren Rasen-Wahn (Wahnsinn) mit dem dazu gehörenden, regelmässigen Rasenmäher-Lärm - wenn ich also statt grüner Wüsten einen kleinen Flecken Wiese entdecke, auf dem noch wachsen darf was wachsen will. Wie rar sie doch heute (2017) geworden sind, diese nur noch kleinen Flecken Wiesen, welche der Artenvielfalt so förderlich sind (wären!).  
Später im Zug nach Hause sitzend, hoffe ich inständig es möge sich niemand mir gegenüber hinsetzen. Niemand soll mein Gesicht sehen, vielleicht gar Angst vor Ansteckung haben. Zu Hause angekommen bin ich natürlich zuerst ein Schreck für Mutter und Geschwister. Mein Arbeitsbeginn im Spital Olten muss um eine Woche verschoben werden. Trotz allem bleibt mir diese Tour in schönster Erinnerung. Wäre ich sonst in meinem Leben je dazu gekommen, diese ausserordentliche Bergwelt - heute UNESCO Weltnatur-Erbe - rund um den Aletschgletscher einmal "von innen" zu erleben. (Wie lange wird es Letzteren noch geben?) Auch alle Mühen - Fieber und seine -Bläschen inkl. - hatten sich schlussendlich gelohnt, haben sie mir doch gezeigt, dass man als Mensch - auch in der Not - viel mehr auszuhalten fähig ist als man denkt.

Erhaltener Kommentar 04.11.2020
Die Besteigung des Finsteraarhorns: ein Top-Erlebnis und eine Top-Leistung! Ganz toll und wunderbar wie du es schilderst, aus deinen Erinnerungen schöpfst! Danke für's (Mit-)-teilen! Alfred


(1) Wer findet hier die Konkordiahütte? Gut sichtbar im Bild: die damaligen Leitern. Heute sind es richtige Metalltreppen. (Bei Google: "Konkordiahütte" gesehen)

Wer findet hier die Konkordiahütte? Gut sichtbar im Bild: die damaligen Leitern. Heute sind es richtige Metalltreppen. (Bei Google: "Konkordiahütte" gesehen)

 

(2) Da hinten ist doch die Lötschenlücke!

Da hinten ist doch die Lötschenlücke!

 

 

 

 



 

 
 
 
Einmal mit Stock, über Stein und Sand durch die Wüste
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10.4.  Freie Zeit, Reisen, Ferien – 9 Tage durch die Wüste.

Einmal mit Stock, über Stein und Sand durch die Wüste
Ob sie mich in meinem Alter (2012-67j.) auf ihren vorgesehenen Wüstentrip mitnehmen würde, frage ich eine Bekannte, eine "Angefressene" der Wüste. Natürlich, meint sie, ich sei wie sie sehe in guter Kondition und sie werde den Rhythmus den Beteiligten anpassen.
Sie selber - auch nicht mehr die Jüngste - ist schon etliche Male mit den gleichen Führern in Marokkos Sahara unterwegs gewesen. Eines soll für alle Teilnehmenden von Beginn an klar sein: in der Wüste ohne jeglichen Luxus leben. Das heisst, schlafen unter freiem Himmel oder im Gemeinschaftszelt, kein WC, die Mahlzeiten auf einem Teppich sitzend einnehmen. Andererseits würden die Führer für uns kochen, unser Gepäck von Kamelen getragen, und bei zwei von diesen könne abwechslungsweise eine von uns aufsitzen. Bin begeistert, freue mich auf diese Reise. Entspricht genau meinem Wunsch, einmal im Leben die Wüste zu erleben.
Nach einer Übernachtung in Marrakesh holt uns ein Clanmitglied unserer Wüstenführer - alles Berber - am Morgen mit dem Geländewagen ab. Über den Altas, den Antiatlas - farblich eine wunderschöne Gegend - fahren wir nach Zagora, letzter grösserer Ort vor der Wüste. Hier übernachten wir, geniessen eine letzte Dusche - die nächste erst wieder nach 9 Tagen - und fahren am Morgen weiter, der Wüste entgegen, bis zu einer Wasserstelle wo uns Führer und Kamele erwarten.
6 Frauen, 4 Führer, 6 Kamele - 9 Tage von Camp zu Camp.
Gemächlich wandern wir dahin. Jeden Tag eine weitere Etappe. Jeden Morgen Zelte abbauen, Kamele beladen, weiterziehen. Wunderbar diese Stille, diese Weite! Wir können sie voll
geniessen, unsere Führer tun alles für uns. Sie kennen die Wüste. Der Älteste wuchs als Nomade auf, kann weder lesen noch schreiben. Aber er kennt jede Wüstenpflanze, weiss bei jedem Abdruck im Sand um welches Tier es sich handelt. Die wenigen Brocken Französisch oder Englisch habe er von Touristen gelernt. Sobald wir unser Tagesziel erreichen, will heissen, sobald wir nach etwa 4-5 Stunden Marschzeit einen etwas schattenspendenden Baum finden, werden die Kamele entladen. Sofort legt einer der Führer den grossen Teppich aus für uns. Ein anderer kocht Tee. Sie stellen das Küchenzelt auf, beginnen mit dem Zubereiten der Mahlzeit - natürlich in der Tajine - füttern die Kamele und stellen zum Schluss unser Schlafzelt auf. Wenn die Nacht hereinbricht stellen sie Kerzen auf und entfachen ein Feuer. Auf dem nach dem Feuer heissen Sand oder Steinen backen sie feines Fladenbrot, jeden Tag frisch. Wenn sie mit der Arbeit fertig sind improvisieren sie Musik, singen ihre Lieder - leere Wasserbehälter werden zu Trommeln. Exotische Musik, mir gefällt sie. Und wir sitzen im Kreis auf dem Teppich, geniessen leckeres Essen und trinken Tee: grossartiges Ambiente unterm Sternenzelt.
Draussen schlafen oder im 6-er Zelt?
Meine Entscheidung ist schnell getroffen. Schon vor der Abreise betonte ich, ich würde selbstverständlich immer draussen schlafen. Bis dahin hatte ich nie im Leben weder unter freiem Himmel noch je in einem Zelt geschlafen. Wie schön muss es sein, dies hier einmal zu erleben! Am liebsten würde ich die ganze Nacht wach bleiben, so überwältigend präsentiert sich das Sternenzelt. Ich liege da, muss nicht mal den Kopf heben, nur schauen, bewundern, danken für diese Schönheit - und..... über das unendliche Universum sinnieren. 9 Nächte schliefen wir in der Wüste. Leider konnte ich davon nur 2½ Nächte draussen schlafen. 
Sandsturm und Regen.
In der 3. Nacht beim Einschlafen kein Sternenhimmel, nur Wolken. Bald werde ich vom starken Wind aufgescheucht und.... es tröpfelt. Schnell, Schlafsack und Matte unterm Arm, ins Zelt verschwinden. Alle, inzwischen auch wach, tun das Gleiche. Einmal im Zelt gibt es keine Ruhe, der Wind scheint es forttragen zu wollen. Wir müssen Zeltleinwand und Stangen halten oder gegen den immer stärker blasenden Wind stemmen, bis auch unsere Führer endlich aufwachen und das Zelt wieder befestigen - hatten es beim Aufstellen einfach zu wenig befestigt. Plötzlich bahnt sich der Regen seinen Weg unten durch hinein ins Zelt. Wir jetzt schnell raus - Nässe hin oder her - grössere Steine suchen, die Leinwand rings ums Zelt damit beschweren, dem Regen Paroli bieten. Die restlichen Nächte sind zwar nicht mehr so stürmisch, aber bezüglich Wetter auch nie mehr so sicher wie zu Beginn der Wanderung. Eine solche Erfahrung zeigt eindrücklich wie mächtig die Natur sein kann und wie verletzlich wir Menschen. Richtig ausgeliefert fühlen wir uns wenn wir uns in solchen Momenten nicht in unsere Steinhäuser zurückziehen können.
WC, Hygiene, usw. wie geht das in der Wüste? 
Duschen kann man ganz klar vergessen, Wasser kaum vorhanden. Trinkwasser schleppen die Kamele in 5-Liter Pet-Flaschen mit. Unsere Führer wissen wo Zisternen sind. An diesen tränken sie die Kamele, füllen leere Behälter wieder auf: für Abwaschwasser z.B. Für die tägliche Hygiene müssen mitgebrachte Feuchttüchlein, zum Zähneputzen höchstens ein halber Becher Trinkwasser reichen. Wasser ist einfach zu kostbar. Gepinkelt wird hinter Büschen, Sandhügeln oder grösseren Steinen - auch "Hartes" verschwindet dort. Es wird in der Sonne trocknen und als Dünger die Wüste "nähren"..... WC-Papier hat jede von uns dabei. Feuchttücher und WC-Papier werden nach Gebrauch verbrannt. Beim Packen vor der Reise durften Streichhölzer für das kleine Feuerlein danach....nicht fehlen. Ich erwachte immer sehr früh, meistens als Erste. Beim ersten kleinsten Tagesschimmer sobald ich sah wo die Füsse hinsetzen schlich ich aus dem Zelt und suchte mir den passenden Busch oder Sandhügel für die "Morgenhygiene". Auch dies, eine bleibende Erfahrung: Wenige Güter, doch ich lebe!
Und schliesslich: Wanderschuhe adieu
Unglaublich aber wahr: Die gleichen Wanderschuhe, die mich 1966 auf 4000 m.ü.M. trugen, sind 2012 mit mir durch die Wüste gewandert. Diesmal definitiv ihre Abschiedsrunde. 

Erhaltener Kommentar: 01.11.2020 von Fredi
Da wäre ich total gerne mit dabei gewesen! Wir hätten in der Morgenfrüh zusammen 'All Morgen ist ganz frisch und neu' und 'Gib uns Weisheit / Freiheit, gib uns Mut' singen und die Sandstürme vertreiben können ... So toll!



(1) Oben sitzen ist am Schönsten: Unendliche Rundumsicht. Ich sitze auf dem Kamel links. Omar vor "meinem" Kamel, der Älteste unter den Führern, ehemaliges Nomadenkind, absoluter Wüstenkenner.
Oben sitzen ist am Schönsten: Unendliche Rundumsicht. Ich sitze auf dem Kamel links. Omar vor "meinem" Kamel, der Älteste unter den Führern, ehemaliges Nomadenkind, absoluter Wüstenkenner.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  
 
Ohne Buch geh ich nie ins Bett.
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10.5.  Freie Zeit, Reisen, Ferien – Lesen.

Ohne Buch geh ich nie ins Bett.
Lesen spielte und spielt in meinem Leben eine grosse Rolle. Schlimm, dass es auch in unserer Zeit (2016) noch viele Menschen gibt, die nicht lesen können, weil sie nie die Chance hatten es zu lernen. Schon als Kind ging ich - zu Mutters grosser Freude - selten ohne Buch ins Bett. Weil sie selbst gerne las, freute sie sich, wenn eines von uns sich auch dafür begeistern konnte. Wenn schon im Bett lesen, dann nur mit guter Beleuchtung. Darauf legt sie grossen Wert. Lange genug habe sie in ihrer Jugend bei Kerzenschein lesen müssen, zum Leidwesen der Augen. Grund genug für eine, am Buch ansteckbare Leselampe als Weihnachtsgeschenk (oder zum Geburtstag). Ein solches Leselämpli erhielt bei uns eins nach dem andern als wir grösser wurden. Die Lampe sorgt nicht nur für gutes Licht, sie dient auch als Seitenhalter im Buch. Dieses Leselämpli besitze ich, sage und schreibe, heute noch - muss also mindestens 60 Jahre alt sein. Tatsächlich hat es mich ein Leben lang über Berge und Meere hinweg begleitet. Müde ist's inzwischen schon, leidet an Wackelkontakt, beleuchtet trotzdem im Hintergrund - sobald fertig gewackelt ist.... - täglich mein Schreiben am PC. Für's Lesen im Bett jetzt unbrauchbar, das Wackeln zu anstrengend, unstillbar wenn angesteckt am Buch.
(November 2017: Inzwischen hat's den Geist definitiv aufgegeben, habs entsorgen müssen. Danke Lämpli für dein über 60 Jahre langes Leuchten.)
Kritisch werden = selber denken lernen.
Für ein Kind gelten Anschauungen und Meinungen von Eltern, Lehrer, Pfarrer als unumstösslich. Für ein intensiv lesendes Kind ist es auch mal Autor/Autorin, deren Buch es gerade liest. Erwachsene, Studierte, müssen es doch wissen. Es wäre mir nicht in den Sinn gekommen ihre Sicht der Dinge in Frage zu stellen. In unserer damaligen Hausbibliothek - nach Weihnachten immer um ein paar Bücher reicher - standen nur "aufbauende", kirchlich "beglaubigte" Bücher: Heiligenlegenden, Biografien von Menschen, die auszogen, um andern zu helfen, tugendfördernde Jugendbücher. Später in meinem Klosterleben vor allem spirituelle, theologische Schriften, natürlich von Rom-konformen Autoren verfasst. Bei kritischen, frei- oder anders denkenden Schreibenden hiess es schnell mal: "Dieses Buch könnte dich vom Glauben abbringen, pass also auf was du da liest". Und wie meistens, wenn etwas verboten oder zumindest davor gewarnt wird, reizen mich genau solche Schriften immer mehr: Wie kommt es, dass sich einer/eine getraut, "heiligste, unumstössliche Wahrheiten" zu hinterfragen? Und wie wäre es, wenn er/sie, seinen/ihren Funken Wahrheit einbringend, doch auch etwas zu sagen hätte? Alles oder nichts, nur gut oder nur böse, immer oder nie, gibt es einfach nicht. Das Leben: ein einziges Konglomerat von Nuancen, feinen Abstufungen, welche jeder Mensch anders in sich trägt. Hatte doch ein Papst (Gott hab ihn selig) den "Relativismus" als eines Gläubigen grösste Gefahr genannt. Und doch ist im Leben alles relativ, weil fliessend, sich dauernd verändernd. Mein zu Skepsis neigender Geist wird sich erst nach Jahren des "zuerst mich selbst Hinterfragens" - mit mir selbst ins Reine kommen - zeigen. Dass es überhaupt dazu kam, verdanke ich dem Lesen von vielen anderen als nur "aufbauenden" oder "gottesfürchtigen" Büchern.
Ohne Möglichkeit, mich diesbezüglich mit anderen Suchenden mündlich auseinandersetzen zu können, bleiben mir nur die Bücher. Eigentlich schade!.......
Darum ist Lesen für mich Bereicherung - kritisches Hinterfragen des bisher als richtig Geglaubten - Horizonterweiterung - Geistes-Öffnung - Sturheit-Überwindung und vor allem, selber denken lernen. Erkennen dass nichts so ist wie es scheint, sondern anderorts, unter andern Umständen, auch anders sein kann.
 
 
Lieblingsthemen und unvergessliche Bücher
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10.5.  Freie Zeit, Reisen, Ferien – Lesen.

Lieblingsthemen und unvergessliche Bücher
Mein einziges Zeitungs- oder Zeitschriften-Abo ist die Freitagsausgabe der "TagesWoche" (existiert seit Nov. 2018 nicht mehr).
Migros- und Coop-Zeitung flattern auch ohne Abo ins Haus…. manchmal mit interessanten Berichten (Migros meistens bessere als Coop). Für Kurznachrichten über Welt- und Zeitgeschehen reichen mir Medien wie Radio, TV, Internet (oder "20Minuten"). Längere recherchierte Berichte - wie z.B. "das Magazin" sie bringt, (Samstagsbeilage verschiedener Zeitungen) - ziehe ich anderen Kurzmeldungen bei weitem vor. "Das Magazin" steckt mir jeweils, nachdem sie es gelesen hat, eine nette Nachbarin in den Briefkasten. 
Im Elternhaus als Kind und Jugendliche las ich jede Woche den "Sonntag" aus dem Walter-Verlag. Ein "Sonntag"-Abo schenkte mir Mutter zu meiner ersten Weihnacht in Thailand (1985). Während über 2 Jahren, Woche für Woche die einzigen - natürlich lückenhaften - Nachrichten über was die Schweiz im Moment bewegte. Auch Missionszeitschriften lagen zu Hause regelmässig auf dem Tisch, etwa die "Stadt Gottes" der Steyler Missionare. Viele erbauliche Bücher oder Biografien von Heiligen auf dem Büchergestell im Wohnzimmer. Sogenannte "weltliche" Bücher waren Raritäten und Vater schaute genau hin ob solche auch wirklich von der Kirche toleriert wurden. "Nihil obstat" (nichts dagegen einzuwenden) hiess das manchmal auf der ersten Seite eingetragene kirchliche Zauberwort .
  
Historische Romane, Tatsachen- oder Lebensberichte, kritische Stimmen zum Zeitgeschehen, hin und wieder einen Krimi.
In diesen Gebieten bewegt sich meine Lieblingslektüre. Nur selten kaufe ich ein Buch. Die meisten leihe ich mir von Bekannten oder von der Bibliothek aus. Keine bevorzugten Autoren/-innen. Irgendwie und von irgendwoher müssen sie mir aber schon bekannt sein. Entweder kenne ich sie schon oder sie werden mir von andern wärmstens empfohlen. An ganz Unbekannte wage ich mich nicht heran, könnte Zeitverschwendung sein.... Natürlich greife ich bei jenen, deren Texte mich mal besonders angesprochen hatten, schneller zu. Wie z.B. Isabel Allende, Ken Folett, Soljenitsin, Heinrich Böll, Thomas Mann, Stefan Zweig, Dostojewski, Charlotte Link, J.M. Simmel, und viele mehr. Bei den Krimis immer wieder Agatha Christie, G. Simenon, Daphne du Maurier, Mankell, Donna Leon.
Während 24 Jahren als Klosterfrau nur Französisch sprechend, las ich französische Bücher. Themen meistens Spiritualität, Theologie, das Leben Heiliger.  
Unvergessliche Bücher.
Spontan ist da die "Schöne neue Welt" von A. Huxley. Dieses Buch geht mir seit Jahren nicht aus dem Kopf, obwohl ich's, 25-jährig, gelesen habe und seither nie mehr. Vielleicht weil es mich richtiggehend erschüttert hatte und sich in der heutigen Zeit (2017) zu bewahrheiten scheint? Das Gleiche für G. Orwells "1984" - vor etwa 15 Jahren auf Englisch gelesen - ähnlich erschütternd. Tief beeindruckt auf Französisch hatten mich "Le ciel de la Kolyma" oder "Les pierres crieront". Zwei Tatsachenberichte von Überlebenden. Der eine: eine Regime-treue Frau unter Stalin, dennoch Opfer seiner "Säuberungsaktionen" (1936/1937), für 10 Jahre nach Sibirien verbannt. Der andere: erschütternder Bericht einer Überlebenden des Völkermordes durch die roten Khmer in Kambodscha (1975-1979: um die 2 Millionen Tote, das Land ausgeblutet, seiner bestgebildeten Menschen beraubt). 
 
 
 
 
 
 
Nichts wie weg von zu Hause
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11.  Lehr- und Wanderjahre

Nichts wie weg von zu Hause
März 1960: 15 1/2-jährig. Ende des Haushaltlehrjahres, Ende der obligatorischen Schulzeit. Grosse Erleichterung. Zwar bin ich kein Kind mehr, aber in Gegenwart Erwachsener fühle ich mich keineswegs ebenbürtig. Freundinnen sind keine da. Schüchtern bin ich eigentlich immer noch. Oder bin ich einfach introvertiert? Wahrscheinlich. Erwachsene haben viel, ich habe nichts zu sagen, so fühlt es sich an. Mein zu Hause viel zu eng, physisch wie mental. Vor allem mental. Nur noch weg will ich, ausbrechen aus der gewohnten Umgebung. Da kommt der bevorstehende Wegzug ins Welschland wie gerufen. Eine Art Befreiung. Ich will frei sein, etwas ganz Neues erleben. Klar kann man jetzt sagen, dieser Drang frei sein zu wollen gehöre zu diesem Alter. Erst viele Jahre später wird mir bewusst, dass es noch um etwas anderes ging:
Ich wollte statt ein Niemand ein Jemand sein.
Heute 2017, erlaube ich mir hier noch etwas "philosophisch" zu werden. 
Befreit von was? Frei von wem? Wo, oder was ist überhaupt Freiheit, frei sein? Gibt es konkrete Antworten darauf? Mir jedenfalls konnten selbst gebildete Philosophen nie eine präzise und für mich anwendbare Antwort darauf geben. Heute gehören solche Fragen für mich ins Reich der nie zufrieden stellenden Antworten. Demzufolge stelle ich sie nicht mehr. Damals verstand ich unter Freiheit, tun und lassen können was und wie es mir beliebt. Eben, ein "Niemand" will "Jemand" werden. War auch dies einer der Gründe meines späteren Klostereintritts: Jemand spezielles werden, speziell wie es wenige sind? Später im Kloster die vielen Ortswechsel: neuer Ort, neue Menschen, neue Hoffnung endlich in meiner Einzigartigkeit wahrgenommen, "Jemand-zu-werden"? Bis zur Einsicht (Geschenk oder Gnade) nach Jahren leiden und enttäuscht werden: frei sein, Befreiung kann nur in mir selbst stattfinden. Erwarte ich Anerkennung von andern - hoffend sie da draussen irgendwo bei irgendwem zu finden - werde ich immer unglücklich sein. Deshalb kann ich heute, rückblickend auf mein Leben, folgenden Satz von Sokrates, bestätigen: "Du kannst reisen wohin du willst, am Ende nimmst du doch immer dich selbst mit. Und das ist gut so."(Sokrates)
Bin ich denn heute völlig frei? Kennt sich jemand gut genug, um so etwas von sich behaupten zu können? Dann sag es mir.....
 
St. Maurice VS. Erste Begegnung mit Nonnen
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11.1.  Lehr- und Wanderjahre – Ein Jahr im Welschland.

St. Maurice VS. Erste Begegnung mit Nonnen
Als Au-pair in einer Familie Französisch lernen statt in einem Internat, sei bestimmt mit mehr Freiheit verbunden - ausgehen usw. - so die gängigen Diskussionen unter Welschland Kandidatinnen damals. Insgeheim fand auch ich die Aussicht, als Au-pair in einer Familie Französisch zu lernen verlockender. Auch ich hoffte auf mehr Freiheit. Hatte Mutter dies geahnt? Auf jeden Fall erwidert sie nichts auf meinen Wunsch, nach einer Au-pair Familie zu suchen...... und findet mir eine Stelle bei Nonnen. War auch irgendwie verlockend denn in der von Nonnen betriebenen Wäscherei der Abtei St.Maurice - 1960 ca. 90 Mönche, heute vielleicht noch 30 - würde ich schliesslich einen für damals nicht schlechten Lohn erhalten - Fr. 60.-/mtl., inkl. Kost und Logis. So viel Geld würde ich als Au-pair von einer Familie nie erwarten können.
Das Haus in St. Maurice, uralt, beeindruckend. Gebaut im 11. oder 12. Jahrhundert. Während hunderten von Jahren ein Hospiz - Etappen-Unterkunft - für vorbeiziehende Pilger auf dem Jakobsweg. (Bis heute heisst dieses Haus "Hospice St. Jacques". Unterkunft für Pilger bietet es, seit im Besitz der Abtei, keine mehr an.) 
1960, mit 15 1/2 Jahren das erste Mal für lange Zeit weg von zu Hause. Kein Problem für mich, weiterhin in einem Mehrbettzimmer zu schlafen. Bin es von zu Hause gewohnt. Wir 4 Deutschschweizer Mädchen schlafen im gleichen Zimmer. Dusche oder Bad sucht man in diesen alten Mauern vergebens. Ein einziges Lavabo hinter einem Vorhang im Nebenraum muss für alle 4 genügen. Das WC weit entfernt: 2 Räume durchqueren, alte, ausgetretene Steintreppe runter, etwa 40 Meter langer Gang, kurze Treppe rauf: endlich das WC. Nachts unheimlich. Lieber den Nachttopf hinterm Vorhang benutzen. Der muss aber am Morgen geleert werden. Prozession mit vollem Nachttopf durch Gänge und Treppen? Niemals - wenigstens was mich betrifft! Bei fliessendem Wasser leere ich ihn ins Lavabo. Weiss nicht was die Nonnen dazu gesagt hätten. Wenn's regnet schütte ich ihn manchmal aus dem Fenster auf die Rabatte mit den Rosenstöcken - guter Dünger.... Um Himmelswillen, wenn die Nonnen das wüssten! Zum Glück befinden sich ihre Schlafzimmer im andern Trakt. 
7 Klosterfrauen, 5 Volontärinnen.
5 Mädchen sind wir, 4 Deutschschweizerinnen und eine Welsche aus Fribourg. Gut so, sie wird verhindern, dass wir untereinander Deutsch sprechen. Hört sie auch nur ein Wort Deutsch, protestiert sie, ruft uns zur Ordnung. Mir gefällt's, will so schnell wie möglich gut Französisch lernen. Die 7 Nonnen - nur Französisch sprechend, nicht mit uns im gleichen Raum essend - sind froh über diese "Aufpasserin". Auch sie wollen schliesslich ein immer korrekteres Französisch von uns hören. 2 von ihnen, Lehrerinnen an der öffentlichen Schule der Stadt, hatten mit der Wäscherei nichts zu tun. Bei einer von ihnen hatten wir jede Woche während ein paar Stunden Französisch-Unterricht.
Abwechslungsreicher oft humorvoller Arbeitsalltag.
4 von uns arbeiten in der Wäscherei, eine wird der Küchenschwester zugeteilt. 
Monatsprogramm der Wäscherei:
1. Woche: Die angelieferte schmutzige Wäsche muss sortiert werden - meistens mit "Nase-zu-und-durch". Nach dem Waschvorgang in grossen Maschinen wird sie zum Trocknen aufgehängt. Bei schönem Wetter draussen, sonst im Trocknungs-Raum. Gewaschen werden jeden Monat bis zu 200 Bettlaken, ca. 400 Servietten, Tischtücher, Badetücher, Nastücher zu Hunderten und schliesslich die persönliche Wäsche der Mönche.
2. Woche: Mangeln, Bügeln, Zusammenfalten. Beim Mangeln - die Mangel: eine grosse, mit Gas beheizte Walze - wird alles Flache wie Servietten, Tischtücher, Nastücher usw. auf einer Seite unter die Walze geschoben und auf der anderen Seite, schön geplättet, entgegengenommen. Ein Tag genügt für das Mangeln. Danach wird Gebügeltes und Gemangeltes zusammengefaltet. Bettlaken zu zweit über den Tisch usw. Hunderte Herrenhemden habe ich in diesem Jahr gebügelt, mit der Zeit immer besser und schneller. Ein Gefühl von Monotonie kam trotzdem nie auf. Dies verdanken wir vor allem der - beim gesamten Arbeitsablauf anwesenden - humorvollen Nonne Julienne (auf dem Foto links). Ihre Sprüche und Witze - einige davon unvergesslich - erheitern mich noch heute. Zum Beispiel wenn sie uns das Klosterleben schmackhaft machen wollte: "Ecoutez les filles, pour votre vie vous avez le choix entre la joie et la croix. Vous pensez trouver la joie en vous mariant? Eh bien non, je vous dis, ce sera le contraire, vous trouverez la croix. Par contre, vous croyez qu'être religieuse c'est choisir la croix? Eh bien non, c'est justement là que vous trouverez la joie". (Liebe Mädchen, für euer zukünftiges Leben habt ihr die Wahl zwischen 'Freude oder Kreuz' - französisches Wortspiel joie-croix. Ihr wollt heiraten weil ihr denkt dies sei pure Freude. Ich sage euch: Nein, wenn ihr heiratet werdet ihr das Kreuz finden. Ihr denkt, Klosterfrau werden sei das Kreuz wählen, also Verzicht usw. Ich aber sage euch, genau das Gegenteil wird eintreffen, ihr werdet viel Freude finden.) Ein anderer Ausspruch (diesmal direkt auf Deutsch): "Wenn ihr sicher seid, dass ihr heiraten wollt, dann wartet nicht. Gute Männer sind schnell vergeben. Wartet nicht und denkt bis ihr 20 seid: es eilt nicht, ich habe noch lange genug Zeit mir den Richtigen auszuwählen. Später, 25 und immer noch keinen gefunden, werdet ihr seufzend sagen: dann nehme ich mir halt den, den ich kann. Und noch später steht ihr plötzlich da, schon 30 oder älter - immer noch keinen gefunden - und schreit herum: Wer will mich? Wer will mich? (Qui me veut? Qui me veut?)". 
Sehr oft haben wir bei diesen Arbeiten auch gesungen. Viele französische Lieder habe ich so gelernt.  
3. Woche: Strümpfe und Socken der Mönche stopfen. Auch hier ist's nicht jeden Tag monoton, trotz dem vielen "Schwarz vor Augen". Jede von uns hat ihren Mönch-Schwarm, dementsprechend werfen wir uns gegenseitig seine Socken zum Flicken zu. 
4. Woche: meine Lieblingswoche: Neuanfertigungen. Von einfachen Servietten bis zu Herren- und Nachthemden habe ich nähen gelernt. 
Erster richtiger Lohn im Welschland.
Die Aussicht mit 16 mein Leben selbst zu verdienen macht mich richtig stolz. Sparsam wurde ich erzogen, 60.- Fr./mtl. damals viel Geld für mich. Etwa zu jener Zeit beschliessen meine Eltern, einen Bruder nach Einsiedeln aufs Gymnasium - Internat - zu schicken. Mutter unendlich froh über meine ihr jeden Monat per Post zugesandten 50.- Fr. Sie kann sie gut brauchen. Als dieser Bruder sein Studium mit der Matura beendet hatte sagte ich mir: auch du hast dein kleines Scherflein dazu beigetragen, auf dass er dort studieren konnte. Später dann auch noch der jüngste Bruder in Einsiedeln. 


(1) Sommer 1961: Bei schönem Wetter schwarze Socken draussen stopfen
Sommer 1961: Bei schönem Wetter schwarze Socken draussen stopfen

 

 

 

 

 

Soll ich Nonne werden?
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11.1.  Lehr- und Wanderjahre – Ein Jahr im Welschland.

Soll ich Nonne werden?
Wie in einer Grossfamilie leben wir 5 Volontaires mit den Nonnen. Nur Ess- und Wohnräume getrennt, arbeiten wir zusammen, zwei bis drei der Nonnen überall anwesend. Sie lehren uns bügeln, flicken, nähen, putzen, usw. Beim Putzen ist immer die pingelige Soeur L. Antonie dabei. Ihre Adleraugen erspähen jedes Stäubchen in einer noch so kleinen Ecke. Bis zum geht-nicht-mehr müssen uralte, unebene Steinböden geschrubbt, oder fast ebenso alte Holzböden gewachst - natürlich auf den Knien - und glänzend geblocht werden, bis sie mit der Arbeit zufrieden ist. Eine der Nonnen ist auch in unserer Freizeit dabei: spazieren, wandern, kleine Ausflüge, spielen usw. Unsere Eltern hätten uns ihnen anvertraut, also sei es ihre Pflicht, uns den Eltern nach einem Jahr wieder gesund und brav zurückzugeben, meinen sie. Nichts da mit abendlichem oder wochenendlichem Ausgang - z.B. mit einem oder einigen der vielen Studenten des Kollegium-Internats. Am Sonntag dann der gemeinsame Gottesdienstbesuch in der Abtei-Kirche. Ganz feierliche Gottesdienste waren das jeweils, mit grosser Symbolkraft wie man sie nur bei Mönchen erleben kann. Speziell an die Oster-Gottesdienste 1961 erinnere ich mich gut, und wie ich nach all den Feierlichkeiten nur noch heulend dasass: "Das war so schön, das dürfte nie zu Ende sein" - hu-hu-schneuz-schneuz.
Soeur P.-Marie, eine Art Ersatzmutter?
Sie ist es, die uns im "Ausgang" begleitet. Bei schlechtem Wetter spielt oder singt sie mit uns, gibt uns Tipps für Handarbeiten, Bastelideen, ermuntert uns Briefe nach Hause zu schreiben. Bei mir ist es mindestens einer pro Woche. Von meiner Mutter kommt jedes Mal einer zurück. Radio oder Plattenspieler sind nicht vorhanden. Dann singen wir halt! Diese Nonne wird für mich bald eine Art Mutterersatz. Wenn sie da ist - und sie ist oft da - bin ich besonders glücklich. Sie wird mein grosses Vorbild. Zur allmorgendlichen Messe in der Hauskapelle sind wir Mädchen nicht verpflichtet. Mit der Zeit gehe ich trotzdem immer öfters hin. Nicht in erster Linie Gottes oder des Gebetes wegen, viel mehr will ich den Nonnen - meiner Lieblingsnonne - nahe sein, ihre besondere Aufmerksamkeit gewinnen, Eindruck auf sie machen. Natürlich würde sie überaus gerne in mir eine zukünftige Nonne sehen, das erkannte ich instinktiv, sie sprach es nie direkt aus. 
Ich will auch Klosterfrau werden.
Vor Abschluss des Welschland-Jahres nehmen wir an 3 Besinnungstagen teil - Exerzitien genannt - an welchen ein Kapuziner-Mönch zweimal täglich predigte. Sein Thema dreht sich hauptsächlich um die vor uns liegende Wahl zwischen 3 Lebensentwürfen:
1- Eheleben
2- Geweihtes Leben im Kloster
3- Leben als ledige Frau 
Wen wundert's, wenn er in seinen Predigten einem Leben als Nonne grössere Bedeutung zumisst als jenem einer Ehefrau? Erstens ist er selbst ein Kirchenmann und zweitens zeichnete sich schon damals ein Rückgang an kirchlichen Berufungen ab. Er schildert uns "die Nachfolge Jesu" - Klosterfrau - als das Erstrebenswerteste im Leben überhaupt. Bei mir fällt eine solche Botschaft auf fruchtbaren Boden. Nicht nur weil damals sehr gläubig, ich konnte mir einfach nicht vorstellen je zu heiraten. Auf keinen Fall will ich so zahlreiche und schwere Geburten erleben wie von meiner Mutter geschildert. Oder, das von Mutter eher als eklig empfundene Zusammensein mit einem Mann erleben. Was blieb übrig, wenn ich auch keine "alte Jungfer" werden wollte - ein damals oft gehörtes Wort für ledige Frauen. 
Den Eltern mitgeteilt.
Zurück aus dem Welschland, teile ich den Eltern meine Absicht mit, sofort und ohne Aufschub, ins Kloster eintreten zu wollen Vater sagt nichts, lächelt und macht grosse Augen. Mutter hingegen findet, ich sei nun wirklich noch zu jung - bin ja erst 17 - ich soll zuerst wie vorgesehen Krankenschwester lernen, nur dies sei vernünftig. Sie habe von Nonnen gehört, welche im Kloster ausgenutzt würden, wenn sie keinen Beruf erlernt hatten. "Ausgenutzt" heisst: mit den niedrigsten Arbeiten beauftragt, ohne Chance je einen Beruf lernen zu können. So ergehe es im Kloster Frauen ohne vorherige Berufslehre, meint sie. Um ihre Meinung zu erhärten appelliert sie an den Pfarrer. Er soll mich zur Vernunft bringen. Tut er dann auch, indem er sich voll und ganz hinter Mutters Meinung stellt. Also willige ich ein.
 
 
 
 
 
Erster Kontakt mit dem Pflegeberuf.
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11.2.  Lehr- und Wanderjahre – Clinica Sant' Anna, Lugano.

Erster Kontakt mit dem Pflegeberuf.
1961: Für die Berufslehre in der Pflege ist es mit 17 noch zu früh. Wie wäre es, die Zeit bis dahin mit dem Lernen einer weiteren Landessprache zu nutzen? Darum ab ins Tessin. 
Viele neue Leben, glückliche Mütter.
Eine Stelle als Pflegehelferin in der Clinica Sant' Anna in Lugano-Sorengo schnell gefunden. 1961 eine Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, von den St. Anna Schwestern aus Luzern geleitet. Ein besonders schönes Jahr in meinem Leben. Erstens steht die Klinik auf einer Anhöhe über Lugano wo ich mich durch das ganze Jahr wie in den Ferien fühle: wunderschöne Aussicht auf See und Berge - San Salvatore, Monte Bré, Monte Generoso - einfach unvergleichlich. Zweitens wurde ich der Geburtsabteilung zugeteilt wo meistens Freud und Wonne herrscht. Die Leiterin der Abteilung sehr grosszügig, lehrt und zeigt mir viel im Umgang mit Müttern und Neugeborenen. Ein ganz besonderer Tag war jener, als bei der Taufe eines Neugeborenen die Patin fehlt und ich als Ersatz-Patin bestimmt wurde. So etwas wie ein Kreis hatte sich geschlossen: Meine eigene Patin an meiner Taufe abwesend, wurde auch durch eine Pflegerin ersetzt. Hier nun, ersetzte auch ich als Pflegerin die Patin. Nur zu gerne möchte ich wissen was aus jenem Kind geworden ist. Nach einem guten Trinkgeld habe ich nie wieder etwas von Mutter oder Kind gehört.
Wie viel ich genau verdiente, weiss ich nicht mehr. Muss zwischen 100.- und 150.- Fr., glaube ich - Kost und Logis inbegriffen - gewesen sein. Ich schlief im Nebengebäude für Angestellte, im 2-er Zimmer mit einem anderen Mädchen. Auch hier, ein einziges Lavabo im Zimmer, Dusche/WC auf dem Gang. Verglichen mit dem alten Haus in St.Maurice eine bemerkenswerte Verbesserung (schon fast Luxus...). Auch ein Speisesaal stand den Angestellten zur Verfügung.
Gedankensplitter: Einmal mehr frage ich mich: Brauchen wir für unser - vermeintliches - Glück wirklich ein Badezimmer in fast Wohnzimmergrösse (heute in neuen Wohnungen nicht selten)? Brauchen wir z.B. für eine 5-Zimmer Wohnung 3 od. 4 Nasszellen (Bad od. Dusche-WC)? In unserer Genossenschaftsüberbauung - 1965-1971 erbaut - hat der Verwalter immer öfters Mühe Schweizer für freie Wohnungen zu finden. Vielen Schweizern ist ein einziges kleines Badezimmer/WC nicht mehr luxuriös genug. Fast könnte man sagen: Früher hatten wir viel und reines Wasser, aber kleine Nasszellen. Heute wird Wasser immer knapper und belasteter - auch in der Schweiz - und Nasszellen werden immer grösser und/oder zahlreicher..... Liebe zeitlich- nahe oder -ferne Nachkommen: ich habe den Wahnsinn erkannt. Hoffentlich wird er euch kein apokalyptisches Erbe hinterlassen......

Wie zuvor im Welschland, schickte ich 4/5 meines Gehalts nach Hause. Etwas hingegen war anders: Von den meisten Frauen erhielt ich am Tag ihres Austritts ein beachtliches Trinkgeld.
Mein erstes tragbares Radio.....
"Dein Trinkgeld darfst du behalten, ich will nichts davon sehen", schrieb Mutter. Was also zuerst kaufen, mein Geld sich plötzlich so vermehrend? Ein Radio. Ein tragbares Radio Marke "Sony" soll es sein. Wie Jugendliche heute mit Stöpseln in den Ohren unterwegs Musik hören, wanderte ich an einem freien Tag - das tönende Radio an den Schultern baumelnd - stolz dem Luganersee entlang nach Gandria. 
...... dann reichte es auch noch für mein erstes Velo.
Ende Jahr reichte das gesparte Trinkgeld erneut, um mir, wieder zu Hause, mein erstes Velo zu kaufen. Sehr gut erinnere ich mich an die Heimfahrt auf dem neuen Velo von Gösgen - beim Bruder meiner Mutter gekauft - nach Dulliken. Ein unbeschreiblich kostbares, seltenes Gefühl von Freiheit beim Treten auf den Pedalen, mein Gesicht, mein Haar vom Wind umschmeichelt. 
 
 
Unser Hausarzt sucht eine neue Praxishilfe
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11.3.  Lehr- und Wanderjahre – Arztgehilfin (Praxisassistentin) zum Ersten.

Unser Hausarzt sucht eine neue Praxishilfe
Eigentlich wollte ich bis zum Beginn meiner Berufslehre im Tessin bleiben. Anderthalb statt nur ein Jahr wären es dann gewesen. Oder wäre da eventuell noch Zeit für ein halbes Jahr England, um Englisch zu lernen? Wenn schon ins Kloster, dann besser zuvor noch einiges sehen und erleben da draussen. Unerwartet kommt es ganz anders: 
Ende September 1962: Anruf von meiner Mutter: "Unser Hausarzt sucht dringend eine neue Praxishilfe und hat nach dir gefragt, möchte dich einstellen, komm baldmöglichst heim". Mangels Ausbildung als Praxisassistentin, würden er selber und meine Vorgängerin sich Zeit nehmen und mir alles zeigen, beendete sie den Anruf. Wie das Leben so spielt: wir planen, glauben alles im Griff zu haben und hopp kommt es ganz anders.
Wieder 2½ Jahre zu Hause wohnen, oh je!
Eigentlich gefällt mir dieses Angebot, mochte ich doch unseren Hausarzt sehr. Was mir hingegen "stinkt", ist die Aussicht wieder zu Hause wohnen zu müssen. Allzu lang wird das nicht werden, tröste ich mich. Nur eine Überbrückung bis zu meiner Berufslehre. Vielleicht sogar eine weitere gute Vorbereitung auf meinen zukünftigen Beruf. Nach langem Hin und Her sage ich schliesslich zu. Ziehe wieder ein, in unsere engen Verhältnisse zu Hause, ins 3-Mädel-Zimmer. 
Wieder in Dulliken leben..... werde ich das aushalten?
Die Arbeit in der Arztpraxis - äusserst abwechslungsreich - gefällt mir auf Anhieb. Viel Neues lerne ich: Blutdrucke messen, Blut aus Fingerspitzen entnehmen, die Bestandteile des Blutes unter dem Mikroskop zählen und bewerten, Urin/Stuhl untersuchen, beim Röntgen helfen, und vieles mehr. Für den Arbeitsweg kommt mein Velo voll zum Einsatz. Das Mittagessen, von der Frau des Arztes lecker gekocht, essen wir in ihrer Küche.
Klar, dass ich mich sogleich beim Kirchenchor zurückmelde.  
An bestimmten Festen im Dorf bin ich dabei. Tanzabende der Pfarrei, oder maskiert am Maskenball. Bevor ich später ins Kloster gehen würde, wollte ich noch was erleben. Vielleicht sogar einen netten Burschen kennen lernen? Wäre gar nicht so schlecht, dachte ich manchmal, würde wenigstens meine Entscheidung fürs Kloster in Frage stellen. Ich tanzte gut und gern, Rhythmus seit jeher im Blut, tanzte zu Hause vor dem Spiegel. Doch..... wer interessiert sich schon für ein Mauerblümchen, wie ich damals eines war? Strahlte ich schon - unbewusst - aus: "nicht zu haben, fürs Kloster bestimmt" aus? Auf jeden Fall ging ich jedes Mal frustriert nach Hause. Zu wenig beachtet, zu wenig zum Tanz aufgefordert. Auch mein älterer Bruder, von mir angebettelt, mit mir zu tanzen - andere Burschen würden mich als gute Tänzerin erkennen und anfragen - hatte kein Gehör. Ist ja klar, andere Mädchen waren ihm lieber.... Nur dasitzen, den Schritten und Drehungen der Tanzenden zusehen tut weh. Ich litt sehr darunter. Tröstete mich: "was soll's, ich geh ja eh ins Kloster", den Schmerz verdrängend.....
 
 
 
 
Krankenschwesternschule in Sursee
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11.4.  Lehr- und Wanderjahre – Ausbildung zur Krankenschwester .

Krankenschwesternschule in Sursee
Frühjahr 1965: Beginn der Lehre als Krankenschwester (heute Pflegefachfrau). 22 junge, ledige Frauen ziehen ins Schulgebäude in Sursee für den 3 Monate dauernden Einführungskurs ein. Unten die Schulräume, oben unsere Zimmer, alles 2-er Zimmer. Jedes Zimmer mit einem Lavabo versehen. WC, Dusche/Bad auf dem Gang. 
Keine Männerbesuche auf den Zimmern.
Die Baldegger Klosterschwestern, Leiterinnen der Schule, geben uns die Hausregeln durch. Die strikteste dabei: keine Männerbesuche auf den Zimmern. Für Angehörige steht ein Besuchszimmer zur Verfügung. Diese Regel stört uns nicht besonders. So viel ich mich erinnere, lebte zu Beginn der Ausbildung keine in einer engeren Beziehung. Sollte eine zu einem späteren Zeitpunkt der Lehre einen engeren Freund haben, wurde dies von der Leitung nur widerwillig toleriert. Stört mich nicht, hab eh nicht im Sinn einen "engeren" Freund zu finden. Will Nonne werden. Daher immun für eventuelle Bewerber, würde sie nicht mal wahrnehmen, wenn es denn einen gäbe. Anscheinend gab es da doch einen, eröffnete mir erst vor kurzem eine meiner Schwestern. Ein damaliger Patient im Spital Olten - von meiner Schwester zufällig getroffen - hätte mich sehr gerne erobert damals.... und ich hatte überhaupt nichts gemerkt. So anders wäre mein Leben verlaufen.... Schwamm drüber..... 
Von nun an nicht mehr "Fräulein" sondern "Schwester".
Komisches Gefühl: als Fräulein von Däniken ging ich hinein, als Schwester Maria kam ich heraus. So wird das jetzt bis fast zum Ende meiner Pflegekarriere tönen mit einem kleinen Unterschied: 4 Jahre später wird aus "Schwester" das französische "Soeur" und noch später das englische "Sister". Und um es hier vorweg zu nehmen: etwa 30 Jahre später staunte ich zuerst, fühlte mich aber sofort erleichtert, als ich nach langer Zeit wieder mit "Frau von Däniken" angesprochen wurde. Während meiner Zeit im Ausland ist in der Schweiz nicht nur "die Schwester" sondern sogar "das Fräulein" verschwunden.
3 ebenso lehrreiche wie unterhaltsame Monate in Sursee.
Im Einführungskurs geht es im theoretischen Unterricht vor allem um Anatomie. Später dann auch um Krankheiten und ihre Symptome. Trifft jetzt dieses oder jenes der geschilderten Symptome nicht genau auf mich zu? fragt sich da die Eine oder Andere. Leide eventuell auch ich jetzt an dieser oder jener Krankheit? Auch ich stellte mir hin und wieder eine solche Frage. Menschen sind fragil, kerngesund bleibt niemand, erwischen kann es jede/n, zu jeder Zeit. Trotzdem ist Mann/Frau froh wenn nicht gerade jetzt, - "die Andern... mich doch nicht".
Der praktische Unterricht oft heiter bis sehr lustig. Wir mussten an uns selbst üben wie es sich anfühlt eine Patientin zu sein. Wie fühlt es sich an im Bett zu liegen, gewaschen, gedreht, gepflegt zu werden? Eine musste immer hinhalten, sei es im Bett liegen und sich pflegen lassen, sei es für eine Venenpunktion, eine Injektion oder gar eine Magensonde schlucken. Alles übten wir am lebenden Menschen. Doch es gab auch eine lebensgrosse Puppe bei welcher wir z.B. das "Katheter-einführen" übten.
 
 
Praktische Lehre: 1½ Jahre in Olten, 1 Jahr in Brig
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11.4.  Lehr- und Wanderjahre – Ausbildung zur Krankenschwester .

Praktische Lehre: 1½ Jahre in Olten, 1 Jahr in Brig
Nach dem Einführungskurs werden wir auf verschiedene Spitäler verteilt. Für mich geht's für 9 Monate ins Oltner Kantonsspital auf die medizinische Abteilung. Das Elternhaus ganz nah, wohne ich dennoch in einem Gebäude für Angestellte neben dem Spital. Nicht mehr im Elternhaus wohnen zu müssen freut mich natürlich sehr.
Ungefährer Arbeitsablauf einer Spitalschwester in den 1960-er Jahren.
Zuerst mal ist nun definitiv die Zeit des Frühaufstehens. Grund zum Seufzen trotzdem nicht angebracht, wohnen wir Schülerinnen doch im oder neben dem Spital. Also kein Arbeitsweg. Punkt 7h muss ich zum Morgenrapport der Nachtwache auf der Abteilung sein. Meistens ist dieser sehr kurz, vielleicht 5 bis 10 Minuten; die Nachtschwester müde, froh wenn die Sitzung nicht zu lange dauert. Damals dauerte eine Nachtwache von 20h bis 7h, meistens ohne Nickerchen dazwischen. Nach dem Rapport schwärmen alle zu ihren jeweiligen Arbeitseinheiten aus. Auf meiner Abteilung liegen etwa 40 Patienten/-innen in 3 Einheiten aufgeteilt. 10 bis 12 werden von einer diplomierten Schwester und einer Schülerin betreut.
Grundpflege.
Zuerst geht es von Zimmer zu Zimmer, bei allen Fieber-messen und Puls-zählen. Gleichzeitig etwa fragend: "Haben Sie gut geschlafen? Wie geht es heute? usw." Die Parameter werden fein säuberlich in eine am Bett platzierte Tabelle eingetragen. Jede Schwester, griffbereit, einen zweifarbigen Bleistift - rot-blau - mit sich herumtragend (Heute ein PC...), Blau für Fieber- Rot für Pulskurve. Am Anfang kostet es mich einiges an Überwindung, den Puls am Handgelenk eines Patienten abzutasten und zu zählen. Ein Gefühl von Gehemmt-sein beschleicht mich: komme ich diesem Mann da vor mir nicht zu nahe, wenn ich einfach so seine Hand ergreife? Dringe ich dabei nicht zu stark in seine Körperlichkeit ein? Anschliessend Zeit für die Morgentoilette: Einzelnen, die sich selber waschen können beim Aufstehen helfen. Andern ein Waschbecken am Bett installieren und schliesslich jene waschen die sich selbst nicht helfen können. Etwas später verteilen wir das Frühstück, helfen denen beim Essen die damit Schwierigkeiten haben. Nach dem Frühstück bringen wir die Betten in Ordnung.
Medizinische Pflege.
Erst jetzt beginnt die eigentliche medizinische Pflege: Tee und Medikamente verteilen, Blutentnahmen (vor dem Frühstück), Injektionen, intravenöse Infusionen, Verbände, Massagen, und vieles mehr. Gewöhnlich um die Mittagszeit, Auftritt des grossen "Karussell": Chefarzt, Oberarzt, Stationsarzt, Assistenzärzte, und wir Schwestern schön hintendrein, wandern von Zimmer zu Zimmer. Die diplomierte Schwester mit Notizheft immer auf Trab, die Ohren gespitzt: Ja nicht verpassen was bei all dem, aus hehren Ärztekehlen Gesprochenen, als ärztliche Verordnung gelten könnte.

Erhaltener Kommentar: 02.12.2015 - 17:32 Uhr, von Gast (anonym)
Sehr interessante Beschreibung des Schwesternalltags!

Von Olten nach Brig.
Nach 9 Monaten Praktikum und 3 Monaten theoretischem Mittelkurs in Olten, Zeit des Aufbruchs. Spontan hatte ich mich für ein nächstes Praktikum im Spital Brig zur Verfügung gestellt. Auch dieses Spital auf der Liste der Spitäler, welche Schülerinnen dieser Schule ausbildeten. Gleichzeitig mit dem Praktikum eine andere Ecke der Schweiz kennenzulernen freut mich besonders. Ein weiterer Grund für diese Wahl: ich würde in Brig den Nonnen in St. Maurice näher sein, sie vielleicht hin und wieder besuchen können. Seit meinem Aufenthalt in St. Maurice blieb ich in regelmässigem Briefkontakt mit meiner Lieblingsnonne.
Brig: 
Ein spannendes Jahr. Zuerst mit dem Walliser Dialekt Bekanntschaft machen und versuchen es zu verstehen. Dann der Betrieb im Spital äusserst multifunktional: Da liegt ein am Magen Operierter in einem Zimmer, nebenan 4 Personen (meistens Holländer), denen bei der Abfahrt vom Simplonpass die Autobremsen versagt hatten. Im nächsten Zimmer fantasiert einer im Delirium tremens - kann bei unkontrolliertem Alkoholentzug auftreten - indem er behauptet, vorbeifahrende Autos seien vorbeihuschende Mäuse. In Brig auch meine erste Erfahrung als Nachtwache. Mit einer diplomierten Schwester - nur zu zweit - sind wir von 20h bis 7h fürs ganze Spital zuständig und dies ohne Unterbruch ganze 6 Wochen lang. Heisst schlafen am Tag arbeiten in der Nacht. Zum Glück befindet sich mein Zimmer im ruhigen obersten Stock des Spitals. Was andererseits von Nachteil ist, denn ich komme während 6 Wochen kaum an die frische Luft. Obwohl, hin und wieder fuhr ich am Morgen mit einer Kollegin noch schnell per Autostopp auf den Simplonpass oder ins Goms, und gegen Mittag zurück zum Schlafen. (s. auch Kapitel: Freie Zeit, Ferien, Reisen)
Von Brig wieder nach Olten.
Für meine letzten Praktikums-Monate vor dem eigentlichen Diplomkurs wieder zurück nach Olten. Diesmal auf die chirurgische Privatabteilung und zwischendurch für einen Monat in den Operationssaal. Schnell wird mir klar: Arbeit in einem OP. ist nichts für mich. Zu viel Blut überall, zu viel "Geschnetzel", zu viele Maschinen, zu wenig Kontakt mit Menschen, schon halb oder ganz schlafend, wenn sie in den OP. gerollt werden.
 
 
Lehrabschluss mit Diplom in Sursee
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11.4.  Lehr- und Wanderjahre – Ausbildung zur Krankenschwester .

Lehrabschluss mit Diplom in Sursee
Januar 1968: Wieder ziehen 19, um 3 Jahre gealterte, an Lebenserfahrung reichere Frauen ins Schulgebäude der Surseer Schule ein. Wieder teilen sich 2 ein Zimmer wie damals im Einführungskurs, mit einem Unterschied: diesmal sind wir uns nicht mehr fremd. Sehr viel gibt es jetzt über die verschiedenen Praktika zu erzählen, ernste wie lustige Erfahrungen. Im 3-monatigen Diplomkurs geht's ums Ganze: Alles Gelernte "nachbüffeln", die schriftliche Diplomarbeit schreiben oder fertig schreiben - mindestens 15-20 handgeschriebene A4 Seiten - Vorlesungen von Ärzten/Spezialisten, Psychiatern usw. anhören.
Meine schriftliche Diplomarbeit bei den Besten (die Beste?).
Kurz vor Abgabefrist schrieb ich bis spät in der Nacht - eher früher Morgen - an meiner Diplomarbeit, hatte sie bis zuletzt vor mich hergeschoben. Gegen Ende des Diplomkurses ruft mich eines Morgens Schwester Marie-Rose, eine der Schulschwestern, zu sich. Strahlend (sehe ihr Strahlen heute noch vor mir) sieht sie mich an:"Schwester Maria, nach meiner Einsicht, ist Ihre schriftliche Diplomarbeit äusserst gut. Von mir erhalten Sie dafür eine blanke 6" (6, die beste Note). Eine wunderbare Erfahrung, stolz bin ich. 
Als Clown(in) ausgezeichnet.
Neben dem Stress, den ein Abschlussstudium unweigerlich mit sich bringt, geniessen wir unsere freien Momente. Alle noch ledig. Die eine oder andere vielleicht inzwischen mit einem engeren Freund. Als Ausgleich zum intensiven Lernen spazieren wir am, oder rudern auf dem See, albern an vielen Abenden im Haus herum, lachen viel, witzeln, feiern, muntern uns gegenseitig auf wenn eine ein "Tief" hat - dies alles, man verstehe es richtig, ohne den geringsten Tropfen Alkohol.... Ich muss dabei besonders witzig gewesen sein. Eines Abends während einer Feier überrascht mich eine Kollegin mit einem vorgezogenen "Diplom". Äusserlich genau Farbe und Format des Abschlussdiploms. Innen aber, fein säuberlich geschrieben: "Nach dreijährigem Praktikum hat Maria von Däniken das Diplom als Clown der Pflegerinnenschule Baldegg ausgezeichnet bestanden. Dies bescheinigt M. Klotandius. Sursee 10.03.1968" (s.beigefügtes Bild). Kaum zu glauben wie tief mich diese witzige Geste damals beeindruckt hatte. In meinem weiteren Leben konnte ich diese heitere, witzige Seite in mir nie mehr abrufen und doch muss es sie geben.... Warum blitzte sie nur in dieser kurzen Zeit auf? 
 
 

(1) Diplomabschluss 28. März 1968
Diplomabschluss 28. März 1968



(2) Gleichzeitig mit dem Diplom, erhielt jede von uns auch ein Taschendiplom. "Klein aber fein" für die Handtasche.

Gleichzeitig mit dem Diplom, erhielt jede von uns auch ein Taschendiplom. "Klein aber fein" für die Handtasche.

 


(3) Hier noch das Fake-Diplom als "Clown"

Hier noch das Fake-Diplom als "Clown"

 

 
Vevey, Hôpital de la providence
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11.5.  Lehr- und Wanderjahre – Vevey, Hôpital de la providence.
Weil die 3-jährige Ausbildung nichts kostete - hingegen sogar mit Monatslohn - mussten wir uns nach dem Diplom für ein Jahr in einem, der Schule angeschlossenen Spitäler zu einem  sogenannten "Pflichtjahr" verpflichten. Eigentlich eine raffinierte (win-win) Strategie der Spitäler: sie hatten uns Schülerinnen einen kleinen Lohn bezahlt und nun kommen wir als Diplomierte zurück. Auf diese Weise erhalten sie jedes Jahr neue junge Diplomierte, welche erstens als Frischdiplomierte weniger kosten als ältere, und zweitens aus Medizin oder Pflege Neues einbringen; und das Spital bleibt à-jour. Die Spitäler der Surseer Schule waren Sursee, Olten, Basel, Brig - erinnere mich nicht an alle - und eben in Vevey das Hôpital de la Providence. Bis zu einem gewissen Punkt - wie viel Neue kann und will ein Spital im bestimmten Jahr anstellen - konnten wir das Spital selbst wählen. Meine Wahl sofort klar: Vevey. Eine neue Ecke der Schweiz entdecken, wieder näher bei den Nonnen in St.Maurice wohnen, Französisch auffrischen.... will ja nachher ins Kloster nach Frankreich gehen..... 

Hôpital de la Providence: Spitalpersonal wie eine grosse Familie.
Ein relativ kleines Spital. 7-10 Baldegger Klosterschwestern im gesamten Personal. Mir wird eine kleine Abteilung mit 8-10 Patienten zugeteilt. In der ersten Zeit kann ich es kaum, von nun an eine diplomierte Schwester zu sein, begleitet von einer Pflegehelferin. Ein ganz neues Gefühl. Wiederum wohne ich in einer nahegelegenen, vom Spital für die Angestellten gemieteten Wohnung. Natürlich jetzt im Einzelzimmer. Wie zuvor in Brig, erlebe ich den Umgang mit Angestellten und Nonnen wie eine grosse Familie. Zu den Mahlzeiten treffen sich die Meisten im Spital-Restaurant. Oft gehen wir im Sommer nach dem Mittagessen, während den sogenannten Frei- oder Zimmerstunden, mit einer oder zwei Nonnen, singend in der Umgebung spazieren. Unsere Gruppe darf sich sehen lassen: Alle in Spital-Kleidung (weiss) samt Häubchen - ebenso die Nonnen - die da singend durch die Gegend zieht.
Oh je, wäre heute undenkbar…. die heutige Hygiene schüttelt den Kopf. Aber.... trotz dem heutigen Hygiene-Wahn (überspitzt gesagt) ist es in den Spitälern nicht unbedingt hygienischer geworden. Im Gegenteil (meine ich), wenn ich mal wieder von diesen Sur-Infektionen nach Operationen usw. höre, welchen nur mit äusserst starken Antibiotika - oder gar nicht - beizukommen sei. 
Zwei Tagesschichten, eine Nachtschicht.
So viel ich mich erinnere gab es nur zwei Tages-Schichten. Die Allermeisten arbeiteten die Hauptschicht: morgens von 7h bis 12h, nachmittags von 16h bis 20h - daher die Frei- oder Zimmerstunden zwischen 12h und 16h. Pro Abteilung arbeitete nur eine Schwester die Morgenschicht von 7h bis 16h. Diese Schicht wird natürlich von jenen, dem Spital am weitest entfernt Wohnenden, besonders begehrt. Schliesslich die Nachtschicht von 20h bis ca. 7h15 - je nach Dauer des allmorgendlichen Rapports.
 
 
 
Rom: Bambinaia, Pflegerin eines behinderten Kindes
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11.6.  Lehr- und Wanderjahre – Rom: Bambinaia, Pflegerin eines behinderten Kindes.
Inzwischen sind 7 Jahre vergangen seit sich das Kloster-Virus in meinem Kopf festgesetzt hat. Nichts und niemand vermochte es mir auszutreiben. Auch das Pflichtjahr in Vevey nicht, trotz jenen paar "Ausgängen" mit Männern dort. Nicht erstaunlich, denn nach wie vor rede ich - ausser mit jener einzelnen Nonne in St.Maurice - mit niemandem darüber. Am Ende meines Jahres in Vevey rät sie mir: "Jetzt aber Schluss, schieb deinen Eintritt ins Kloster nicht länger hinaus. Zögerst und wartest du nämlich weiterhin, wirst du deine Berufung definitiv verlieren", schrieb sie im Jan. 1969 (2018: Wenn ich sie doch nur verloren hätte!.....) Doch genau zu dieser Zeit besuche ich meinen, in die Schweizergarde eingetretener Bruder in Rom. Will vor dem Klostereintritt unbedingt nochmals Rom sehen und...... bleibe "kleben". So begeistert bin ich nach ein paar Tagen von dieser Stadt, dass ich unbedingt für längere Zeit "richtig" dort leben will. Kloster hin oder her: Aufschub.

Einfach mal für längere Zeit in Rom leben.
..... diese Stadt voll auskosten. 1969: Rom noch "zugänglich", noch nicht so stark von Touristen überschwemmt wie heute (2017). Bei einer Familie mit 7 Kindern fand ich eine Stelle. Der Jüngste, 3 Jahre alt, kann als Folge eines schweren Geburtsschadens weder selber sitzen noch richtig schlucken. Für seine Betreuung wurde ich eingestellt. (Er stirbt ein Jahr nach meinem Weggang.) Die Betreuung dieses Kindes besteht hauptsächlich im "Essen verabreichen". Schlucken kann er nur "ungewollt". Das heisst, wenn aufgefordert oder ermutigt zu schlucken, geschieht das Gegenteil, er pustet alles raus, hat keinen "gewollten" Schluckreflex. Eine-zwei Stunden sitze ich jeweils neben ihm, immer darauf bedacht, ihm im richtigen Moment den Brei reinzuschieben. Und damit es zu einem solchen Moment kommt, muss ich ihn dauernd ablenken, ihm irgend etwas zeigen, erzählen, spielen usw., aber auf keinen Fall zum Essen anregen: Keine "iss jetzt" oder "schau, das ist sehr gut, schluck das", verlauten lassen. Viel Geduld braucht es. Seine Mutter froh, dass ich ihr dies abnehme. Ihre anderan Kinder brauchen sie auch. Die Familie im Zentrum von Rom, am "Largo Argentina" wohnend, ein unglaubliches Glück für mich: viele der schönsten Orte Roms zu Fuss gut erreichbar - Piazza Venezia, Pantheon, Piazza Navona, Fontana di Trevi, il Corso und vieles mehr. Traumhaft, besser hätte ich es mir nicht wünschen können. Ganz klar, auch eine Sprachschule muss sein, mein Italienisch aufgefrischt werden. Auch die Schule ist zu Fuss gut erreichbar.
"Mein" Elefäntli und "meine" Schildkröten.
Auf dem Weg zur Schule komme ich an einem meiner Lieblingsobjekte Roms vorbei: das Obelisk-tragende Elefäntli des Bernini auf der Piazza Minerva. Ebenso nahe, jedoch gegen den Tiber hin, eine andere Kostbarkeit Roms welche mich bis heute fasziniert. Habe sie noch bei keinem meiner Besuche Roms je ausgelassen: Der Schildkröten-Brunnen auf der Piazza Mattei. Ich muss ihn einfach jedes Mal sehen wenn ich in Rom bin. Da kann ich ganz gut z.B. Petersplatz und anderes, schon öfter Gesehenes auslassen, aber niemals "meinen" Schildkröten-Brunnen. 
Ein Schweizergardist hielt Ausschau nach mir.
Hin und wieder durchstreife ich Rom mit meinem Bruder und einem seiner Gardekollegen. Na ja, dieser hat bald ein Auge auf mich geworfen. Etwas schüchtern zwar, aber ich hatte es verstanden, wollte es aber nicht verstehen, will doch ins Kloster….
Während 8 Monaten durfte ich in dieser einzigartigen Stadt leben. Seither bin ich sicher mehr als 10-mal für einige Tage zurückgekehrt, jedes Mal von neuem begeistert über ihre vielen Schätze. Mühsam sind heutzutage nur die wahnsinnig vielen Touristenströme.


(1) Italienisch-Kurs in Rom, 1969
Italienisch-Kurs in Rom, 1969

 


(2) Kleiner Elefant mit Obelisk auf dem Rücken (von Bernini): er sah mich oft vorbeigehen.
Kleiner Elefant mit Obelisk auf dem Rücken (von Bernini): er sah mich oft vorbeigehen.

 


(3) Mein Lieblingsbrunnen in Rom auf der Piazza Mattei. Wer findet die Schildkröten?
Mein Lieblingsbrunnen in Rom auf der Piazza Mattei. Wer findet die Schildkröten?

 



 

 
Auf dem Weg ins Kloster.
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12.  Frankreich: Kloster- und Krankenschwester.

Auf dem Weg ins Kloster.
Erhaltener Kommentar: 06.01.2016 - 13.26 Uhr, von Lukas von Däniken
Liebe Maria, einmal mehr herzlichen Dank für deinen Mut und den Aufwand, dein ganzes Leben aufzuschreiben. Ich lese gespannt, beeindruckt und immer wieder erstaunt mit, was du alles erlebt hast in deinen bisherigen Erdenjahren. Einiges weiss ich aus Erzählung anderer (Familiengeschichte), anderes weiss ich bruchstückhaft und vieles erfahre ich erst nun durch deine geschriebenen Worte... Gerade deine Zeit in Thailand, deinen Eintritt ins Kloster und deine Zweifel... Klar wusste ich, dass du im Kloster und in Thailand warst und habe - weil du seitdem und glücklicherweise in Birsfelden lebst - deinen Klosteraustritt "miterlebt", dennoch werden die Eckpfeiler meines Wissens nun mit Inhalten gefüllt... Die Zeit an den verschiedenen Orten, Überfälle (hat mich sehr erschüttert), Pflege an verschiedenen Orten und Kulturen, Aix-les-Bains (meine erste grosse Erinnerung an dich, als wir dich dort besuchen kamen...)... Ich bin fasziniert und freue mich auf die weiteren Seiten! Danke für die Möglichkeit und das Vertrauen, mitlesen zu dürfen und herzliche Grüsse Lukas P.S. Eine kleine Lehrerbemerkung: Mir ist aufgefallen, dass um die Seite 95 herum mehrfach das Wort Kapelle mit einem Schreibfehler geschrieben ist. (falsch: Kappelle; richtig: Kapelle). Sorry, Berufskrankheit)

Nach dem Abschied von Eltern und Geschwistern fuhr ich für einige Tage zu den Nonnen nach St. Maurice - jene Nonnen aus der Zeit meines Welschland-Jahres.
War dieser Abschied von Eltern und Geschwistern spezieller, emotionaler als meine Abschiede von ihnen zuvor? Frage ich mich heute. So viel ich mich erinnere, wollte ich alles so schnell wie möglich hinter mich bringen - keine speziellen Gefühle, einfach so schnell wie möglich weg - eine Runde Händeschütteln (wir umarmten uns damals nie), Mutter als Letzte ihren Daumen in's geweihte Wasser tauchend, mir damit das Kreuz auf die Stirn zeichnend: "Dein Engel möge dich begleiten", Tränen in den Augen. Ich mit einem Kloss im Hals, mich daran hindernd ihr ein letztes liebes Wort zu sagen.... und schnell weg. Doch auch der nun tatsächlich bevorstehende Eintritt ins Kloster erzeugt keine besonderen Gefühle. Kein freudiges Aufgeregt-sein, kein Gespannt-sein auf was da kommen würde. Eher das Gefühl: ich muss es tun, ich will es wissen, ist halt jetzt so, kann nichts mehr ändern.

3. Oktober 1970: 
Als wäre es gestern gewesen, erinnere ich mich an diesen Tag. Im Auto mit zwei Nonnen fuhr ich von St. Maurice dem Genfersee entlang über Evian nach La Roche s/Foron in Hoch-Savoyen (etwa 1 Std. Fahrzeit). Dort befindet sich die französische Filiale des Ordens. Ein echtes Kloster: 2 grosse Gebäude mit vielen Zimmern, grossem Speisesaal,
einer angebauten Kirche. Dort werden zukünftige Nonnen ausgebildet, finden Exerzitien oder Weiterbildungen statt und erholungsbedürftige Nonnen kommen hier "nach Hause". Der Orden international ausgerichtet (auch heute noch, 2016). Der Hauptsitz in Rom, wo auch die Generaloberin wohnt.
Hinfahrt dem Genfersee entlang. 
Ich erinnere mich: Das Wetter könnte schöner nicht sein. Kann meinen nachdenklichen Blick nicht vom gegenüberliegenden Ufer - die Schweiz - abwenden: soll ich mich freuen, soll ich weinen? "Schweiz, du bist mir egal, du bist mir zu eng, ich bin froh dich zu verlassen", oder doch nicht? Gleichzeitig freue ich mich auf das grosse Frankreich. Und doch, warum befällt mich plötzlich diese unerklärliche innere Kälte, draussen ist's doch angenehm warm? Je näher wir dem Kloster kommen, umso kälter wird mir. Ich zittere. Die Nonnen vor mir merken nichts, ich sitze ja hinten im Auto. Warum jetzt plötzlich dieses Zaudern? Ist dies der richtige Weg? Will ich das wirklich? Aber jetzt kann ich doch nicht zurück. Beruhige dich, du probierst es nun mal, kannst ja wieder weg, noch ist's nicht definitiv. 
Was wäre wenn..... Hätte ich doch.....
Hätte ich damals auf diese innere Stimme (die Kälte) geachtet, mein Leben wäre so ganz anders verlaufen. Heute weiss ich, diese Kälte war definitiv ein Zeichen; wurde mir viele Jahre später von einem Jesuiten bestätigt. All die Jahre vor meinem Eintritt hätte ich besser auch mit anderen Menschen über meine "Berufung" reden sollen, statt einzig und allein mit "meiner" Nonne. Ich war und blieb eine Heimlifeisse, fand nie Worte, um mit wem auch immer darüber zu reden. Wusste ja selbst nicht, was wirklich in mir vorging, hätte daher erst recht keine Worte dafür gefunden. 
Halt! Die "hätte ich doch"...., "was wäre wenn"..... sind reine Zeitverschwendung!
Was ich hier jedoch sagen will: "Früh übt sich, was ein/e Meister/in werden will". Es geht um das Einüben eines der wichtigsten Momente im Leben: Vor einer wichtigen Entscheidung zuerst gut in sich hinein hören, die eigene Intuition beachten, heisst: Meinen "Gott in mir selbst" finden und hören. (Wer lehrt uns denn solches, in unseren nur nach Macht strebenden, und deshalb Angstmachenden Religionen? Niemand!) Intuition äussert sich zuerst über Gefühle, nicht über den Kopf. Heute spricht man vom "Bauchgefühl", für mich würde ich eher sagen: "Herzgefühl". Bis dahin hatte ich dies nicht gelernt. Im Gegenteil: Ich dachte, dieses Unwohlsein gehöre zur Nachfolge Jesu dazu. Hatte ich diesen Weg nicht gewählt, um es ihm gleich zu tun: mein Leben für andere aufopfern? Viel später erst, bei der Begegnung mit Jesuiten, wurde mir vieles klar. Ihre Lehre befasst sich - unter anderem - hauptsächlich mit der sogenannten "Unterscheidung der Geister" bei wichtigen Lebensentscheidungen (kann auch für kleinere Alltagsentscheidungen gelten). Da hörte ich doch tatsächlich zum ersten Mal wie wichtig es sei auf die innere Stimme zu achten: Wie fühle ich mich, wenn ich vor einer wichtigen Entscheidung, nacheinander, jede der Möglichkeiten betrachte? Unumgänglich, sich in einem solchen Prozess Zeit zu geben. Umso mehr, je wichtiger für das Leben eine Entscheidung ist. Das war neu für mich, kam halt einfach leider etwas spät.....
..... Leider etwas spät.... oder doch nicht? Gehört nicht alles - wie es ist und wie es war - zu meinem Leben?
In meinem Alter (73) rätsle ich ab und zu (obwohl Zeitverschwendung), wie mein Leben "ohne Nonne" hätte verlaufen können. Natürlich wäre da z.B. ein Wunschpartner gewesen: ein integrer Mann, keine "Klette" aber auch kein Indifferenter, usw. usw. Miguel, der Partner einer Nichte meinte kürzlich dazu: "Du denkst, du hast da was verpasst, etwas Wichtiges nicht gelebt. Täusch dich nicht, indem du Nonne wurdest hat dich vielleicht das Schicksal - oder was auch immer - einfach vor Schlimmerem bewahrt. Vielleicht hat dir dies viel Leid erspart, wie z.B. einem Idioten oder einem Scheusal in die Arme laufen." Wir lachten. Ja, so kann man es auch sehen. Aber eben, solche Gedanken sind reine Zeitverschwendung.
Noviziat
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12.1.  Frankreich: Kloster- und Krankenschwester. – Noviziat.
Da bin ich nun also, Novizin (Neue) des Ordens der "Soeurs de la Charité de Ste. Jeanne-Antide Thouret" (ofizieller Name). Ein Orden mit (damals) ca. 5000 Mitgliedern weltweit, hauptsächlich in Lehr- Sozial- und Pflegeberufen tätig.
Im 2 Jahre dauernden Noviziat werden die klösterlichen Gepflogenheiten und Regeln gelernt, die Bibel studiert, Spiritualität/Gebet vertieft. Eine Novizin geht keiner professionellen Arbeit nach, lebt ziemlich abgeschottet im Kloster unter ihresgleichen, begleitet und belehrt von einer erfahrenen Nonne, der Novizen-Meisterin. Mit mir beginnen am gleichen Tag zwei andere junge Frauen ihr Noviziat: eine weitere Schweizerin (gelernte Köchin) und eine Französin (Kleinkinder Erzieherin).
Gebetszeiten der Gemeinschaft - in la Roche damals ca. 30 Nonnen:             
6h15: Morgengebet (Laudes), anschließend 1 Stunde Meditation.
7h30: Gottesdienst (Messe), danach Frühstück.
12 h: Mittagsgebet, danach Mittagessen.
17h30: Abendgebet (Vesper), anschliessend 1 Stunde Meditation.
20h30: Nachtgebet (Komplet).
Ordenskleid
6 Monate nach Beginn des Noviziats werden wir mit dem Ordenskleid samt Schleier "eingekleidet". Nein, kein grosses Trari-Trara an diesem Tag - wie manchmal in Filmen gezeigt: Einzug der angehenden Nonne im Hochzeitskleid, Haare abschneiden, usw.
An jenem Morgen, es ist der 25. März 1971, ziehen wir schlicht und einfach, an Stelle des Rocks vom Vorabend, das Ordenskleid an. Sofort fühle ich mich darin seltsam "daneben", inständig hoffend ich würde es nicht allzu lange tragen müssen. In Frankreich kleideten sich schon in jenen Jahren etliche Nonnen wie normale Frauen. Zum Glück werde ich diese Vogelscheuche-Montur nur während 5 Jahren tragen. Wann und warum ich davon befreit wurde, wird auf einer der nächsten Seiten zu lesen sein.
Eifrige Novizin bis hin zur Selbstaufgabe.
Wie Schülerinnen auf einer Schulbank sitzen wir 3 Novizinnen jeden Tag auf Schulbänken - ja, echte Schulbänke - und hören der Novizen-Meisterin zu. Meine beiden Kolleginnen scheinen sich ihrer Entscheidung für ein Leben als Nonne absolut sicher zu sein. Gott habe ihnen diese Berufung ganz klar mitgeteilt, höre ich von ihnen. (Beide sind später trotzdem ausgetreten, heute auch keine Nonnen mehr.) Eine solche Aussage erstaunt mich, fühle mich wie von-Gott-verlassen: "So was hat mir noch kein Gott mitgeteilt"..... sage ich natürlich nicht, denke ich nur. Wird schon noch kommen, bin zum Ausprobieren da. Wird mir das Noviziat Klarheit bringen? Müsste/sollte es doch.... Diese Auszeit vom Berufsleben nutzen um sich mit Gleichgesinnten über Gott, Glaubenssysteme, Kirche, auszutauschen - diese eventuell sogar zu hinterfragen - das erwarte ich, danach sehne ich mich. (Und dies sage ich nicht erst heute 2017, im Nachhinein. Genau so dachte ich in jenen Jahren 1970/1971.) Was war ich doch naiv damals!!!!! Zwei- dreimal wage ich bei gewissen Themen eine etwas kritischere Frage, was der Novizen-Meisterin überhaupt nicht passt. Ohne im Geringsten darauf einzugehen gibt sie mir zu verstehen, solche Fragen seien hier fehl am Platz. Genau an diesem Punkt beschloss ich, nie mehr etwas einzuwenden oder zu fragen. (Wie abstrus!!... kann ich aber leider erst aus heutiger Sicht sagen.) Es war mir - und daran erinnere ich mich ganz besonders gut - es war mir als wäre ich, Maria, plötzlich nicht mehr da, einfach verschwunden: "Du musst dich anpassen, einreihen, gleich denken, wenn du bleiben willst". Diese Anpassung kostet mich den Verlust meines Selbst.... Werde mich erst 23 Jahre später wiederfinden. Das Interessante daran: Sobald ich ausgetreten war, kamen mir meine 24 Jahre im Kloster vor wie "ein Leben zwischen Klammern": Leben vor dem Kloster - (Klosterleben) - nach dem Kloster. Dieses Gefühl ist bis heute da.
Menschlicher Kulturschock.
Ein Noviziat ist ein geschlossener Kreis in sich. Die Novizen-Meisterin kann schnell zu einer Art Ersatzmutter werden. Wie Kinder von ihrer Mutter lernen, scheinen wir "Nonnen-Kinder" zu sein und sie die "Nonnen-Mutter". Für mich wird sie es. Ich lechze geradezu nach ihrer Aufmerksamkeit, fixiere mich auf ihre Augen, wenn sie zu uns spricht: Schaut sie mich an, schaut sie mich öfter an als die andern zwei? Schlimm wird es als ich eines Tages entdecke, wie eine meiner Kolleginnen jeden Abend von ihr einen Gute-Nacht-Kuss erhält, oder wie sie sich bei ihr spontan einhackt, wenn wir spazieren gehen. Warum nur sie? Ich möchte das auch. Ich leide, kann es bald nicht mehr ertragen, bitte sie um eine Aussprache: "Du bist keine Französin. Ihr Deutschschweizer küsst euch doch nie. In Frankreich küssen Eltern ihre Kinder morgens und abends, seit eh und je." Fertig! Die Sehnsucht und das damit verbundene Leid hingegen...... sind für mich noch lange nicht "fertig". (Heute noch "Nachwehen" bei dieser Erinnerung.....) Das Schlimmste war, ich konnte mit niemandem darüber reden, nur leiden, leiden, jeden Tag. Ich hätte ebenso gut in eine fatale Depression versinken können, weiss nicht, was oder wer mich davon abhielt. Vielleicht hatte ich einfach das Glück eines starken Nervengerüstes.  
"Jesus hat auch gelitten", also muss auch ich leiden um ihm nachzufolgen.....
..... natürlich war bis zum Ende des Noviziats dieser Gedanke an Jesus mein einziger Trost. War es ein Trost? Nein, ich wusste einfach, diese Zeit würde bald vorüber sein - hatte ja das "Durchhalten" schon einige Male im Leben zuvor geübt - ich würde wieder ins Berufsleben zurückkehren, irgendwo mit anderen Nonnen in einem anderen Umfeld leben. Aber leiden tu ich bis zum Ende des Noviziats, zieh mich von den andern zwei zurück. Bin bis zum Schluss wie besessen vom Wunsch, von dieser "Nonnen-Mutter" auch mal etwas Zärtlichkeit zu erhalten.
 
Hôpital d~Annemasse (F)
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12.2.  Frankreich: Kloster- und Krankenschwester. – Hôpital d~Annemasse (F).
Oktober 1972: 
das Noviziat endlich zu Ende. Meine erste Anstellung als Nonne im Spital Annemasse (nahe bei Genf) steht kurz bevor. 10 Tage Ferien geplant, um meine Familie zu Mutters 60. Geburtstag zu besuchen. Zur Freude meine Eltern und Geschwister wiederzusehen, gesellt sich ein Gefühl von Befremden. Wie werden sie reagieren, wenn sie mich im Ordenskleid sehen? Dieses Kleid befremdet mich ja selbst schon, wie wird es dann erst für sie sein? Wer bin ich eigentlich jetzt? Wie soll ich mich verhalten? Wo gehöre ich hin? Sehen meine Geschwister in mir immer noch ihre Schwester? So richtig glücklich bin ich nicht, auch wenn mich alle herzlich aufnehmen; also gehöre ich auch als Nonne noch dazu. Trotzdem keine wirklich befreiende Feststellung..... wird sich erst 5 Jahre später - ohne Ordenskleid - verbessern.

Leben in Nonnen WG's.
Gemeinhin denkt man bei Klosterfrauen an ein Leben im typischen Kloster: grosses Gebäude mit Kapelle, hohe Mauer um ein mehr oder weniger grosses Gelände. Aber auch ein solches - geschlossenes - Kloster kann man Nonnen-WG nennen. Jede hat ihr eigenes Zimmer, isst im gemeinsamen Esszimmer, verbringt Zeit mit andern im grossen Wohnzimmer - eher ein Saal. Mein Leben als Nonne sieht anders aus - und doch sehr ähnlich. In einem Orden, wie jener in dem ich lebte, wohnten Nonnen in Spitälern: Krankenschwestern, in Schulen: Lehrerinnen oder einfach in Wohnungen wie normale Bürger. Wobei Letzteres zu meiner Zeit mehr und mehr der Fall war, sich heute aber, mit immer weniger und älteren Nonnen wieder in Richtung Zusammenschluss in grossen Gebäuden entwickelt. Ich selber habe einige Jahre in Spital oder Klink zusammen mit 4 bis 5 (Nonnen)-Kolleginnen gelebt. Jede ihr eigenes Zimmer mit Lavabo; Küche, Wohnzimmer, Bad-WC gemeinsam. Später dann auch viele Jahre in Wohnungen wie normale Bürger, wo es keine persönlichen Lavabos in den Zimmern gab.
Leben und arbeiten im Spital.
Seit vielen Jahren schon leben und arbeiten einige unserer Nonnen im Spital Annemasse als mich die Oberin im Herbst 1972 dahin beordert. Mit meiner Ankunft sind wir 5. Unsere Wohnung befindet sich in einem kleinen Nebengebäude auf dem Spitalareal. Anders als zuvor im Noviziat wo gemeinsame Gebetszeiten kein Problem waren, sind sie hier wegen den unterschiedlichen Arbeitszeiten kaum einzuhalten. Eigentlich reicht es meistens nur für's gemeinsame Morgengebet und die Messe. Das heisst: sehr früh - 5 Uhr - aufstehen, wenn meine Arbeit um 7:00 beginnt. 
Beruflicher Kulturschock, oder wie die Spital-Pflege 1972 in Frankreich organisiert ist.
Ich werde der medizinischen Abteilung mit über 40 Patienten, alles Männer, zugeteilt. Viele nach Herzinfarkt. Ebenso viele mit Alkoholvergiftung und deren Folgen wie Leber- oder Niereninsuffizienz, schwerer Lungenentzündung usw. Ich bin einzige Nonne auf der Abteilung. Anders als in der Schweiz ist hier eine diplomierte Schwester nur für die medizinische Pflege zuständig. Was heisst: sie misst kein Fieber, zählt keinen Puls, bringt kein Frühstück ans Bett, macht keine Betten zurecht, wäscht - wenn sie es nicht selber können - keine Patienten. Alle diese Arbeiten übernehmen Pflegehelferinnen.
Die täglich anwesenden 5 Diplomierten teilen sich folgende Aufgaben (mein Arbeitsalltag):
- Eine von uns verteilt nach dem Morgenrapport - von Zimmer zu Zimmer gehend - allen 40 Patienten die Medikamente. Danach ist sie für den restlichen Morgen mit dem Herrichten der Medikamente für die nächsten 24 Stunden beschäftigt.  
- Eine zweite ist mit der Zubereitung und dem Stechen aller Injektionen und Infusionen beauftragt. 40 Männer, fast jeder kriegt eine Injektion, vielleicht jeder 3. eine intravenöse Infusion. In Frankreich werden Medikamente meistens - viel öfter als in der Schweiz - mittels Injektionen oder Infusionen verabreicht. (Es wird viel gestochen....)
- Die dritte ist für alle Wund-Versorgungen/Verbände zuständig.
- Die vierte bringt die Patientendossiers à jour und stellt sie für die Arztvisite bereit. Später    begleitet sie den Arzt auf seiner Runde, von Zimmer zu Zimmer.
- Die 5. sitzt im Büro, schreibt am Tagesrapport, koordiniert den Tagesablauf, nimmt Telefonanrufe entgegen, springt wo immer nötig ein.
Diese Art Organisation mag zwar für eine Diplomierte interessant sein, ich selber erlebe sie als sehr frustrierend. Wie liebte ich doch in der Schweiz das System der kleinen Einheit: 1 Diplomierte und 1 Pflegehelferin für nur 10-12 Patienten. Beide die Grundpflege zusammen erledigend (Waschen, aufnehmen, Frühstück ans Bett tragen, Betten herrichten, usw.). Anders als beim Schweizer System sah ich in Frankreich, bei 40 Patienten, jeden einzelnen oft nur ein- höchstens zweimal am Tag, während ich beim Schweizermodell den gleichen Patienten viel öfter am Tag sah. Hier komme ich mir vor wie am Fliessband. Wie sollte ich da nicht frustriert sein? Entspricht so gar nicht meinem Verständnis von Pflege, von Eingehen auf den spezifischen Menschen, der vor mir liegt. Oft wünschte ich mir da, "nur" eine Pflegehelferin zu sein, denn eine solche ist viel öfter am Bett der Kranken. Und überhaupt, wie soll ich einen Krankheitsverlauf richtig einschätzen können, wenn ich den Patienten nur einmal am Tag sehe?  
Arbeitszeiten: les "trois-huit".
In Annemasse arbeiten fast alle Diplomierten die 3 x 8 Std. Tages-Schichten: 1. Schicht, 7h bis 16h (mit Mittagspause), 2. 11h bis 19h30 (mit Pause), 3. 15h bis 23h. Für die Nacht sind Dauernachtwächterinnen angestellt. Muss also nie Nachtdienst leisten, was mich freut. Hingegen übernehme ich oft die geteilte Schicht - eine solche gibt es nämlich auch noch, wenn auch nur für 1 Diplomierte pro Tag: 7-12 und 17-20 Uhr (oder so ähnlich). Stört mich nicht, wohne ich doch sozusagen im Spital. Gönne den Kolleginnen - einige kommen von weit her - eine durchgehende Schicht.
Eigener Lohn oder ein bisschen Sackgeld? Vorbei solche Zeiten.
Das Noviziat, mit dem Ablegen der ersten Gelübde - Besitzlosigkeit, Gehorsam, Ehelosigkeit - beendet, gilt es diese nun umzusetzen. Persönlich besitze ich ab jetzt kein Geld mehr. Das Spital bezahlt uns, Nonnen, im Kollektiv. Wie viel das ist interessiert mich nicht. Diese Tatsache gehört nun mal zum Leben einer Nonne, weiss ich doch gleichzeitig, dass ich eh bekomme was ich wirklich brauche. Für jeden benötigten "Batzen" muss ich mich jetzt zuerst bei der Oberin melden. Die sogenannten "zeitlichen Gelübde" werden während etwa 6 Jahren - bis zum Zeitpunkt der ewigen Gelübde - jedes Jahr erneuert. 
Annecy (F) Clinique Générale
Seite 77
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12.3.  Frankreich: Kloster- und Krankenschwester. – Annecy (F) Clinique Générale.
Eine Nonne darf nicht wählerisch sein. Wenn sie, nach Wunsch der Oberin auf einem anderen Posten benötigt wird, braucht es einen starken Charakter, um sich ihr zu widersetzen. Nach einem Jahr im Spital Annemasse versetzt sie mich in eine Klinik nach Annecy. Unglücklich darüber bin ich nicht. "Auf der Walz sein" scheint mir zu entsprechen. Ist es so? Bin ich wirklich so? War es nicht eher Flucht nach vorn, wie es später noch einige geben wird? (Frage ich mich natürlich erst heute 2017.... und kann nur sagen: Vielleicht. Die Zeit  vielleicht einfach noch nicht reif genug, um mit mir selbst ins Reine zu kommen. Irrungen und Wirren eines Lebens.... erst mit Rückblick - hoffentlich - entwirrt.) Auf jeden Fall bin ich vorerst mal gespannt auf den neuen Arbeitsort und neuen Nonnen-Kolleginnen. Auch in Annecy leben und arbeiten Nonnen in jener Privatklinik, schon seit langem, als ich - die 5. - dazukomme. Jede auf einer anderen Abteilung, und eine für das gesamte Personal zuständig. Obwohl das Pflegesystem ähnlich wie in Annemasse organisiert ist, finde ich es hier lockerer, durchlässiger. Vielleicht weil es multifunktionale Abteilungen sind: Männer, Frauen, medizinische, chirurgische Behandlungen durchmischt.
Tolle Berufskolleginnen.
Wieder bin ich auf der mir zugeteilten Abteilung allein Nonne. Meine neuen Pflegekolleginnen integrieren mich sofort gut im Team. Bald wollen sie wissen warum ich eigentlich Nonne geworden sei; ich sei so gar nicht die typische Nonne wie jene die sie bis dahin kannten. Was soll ich antworten? Weiss es ja selbst nicht - eben, eine untypische Nonne. Sagte ich irgendetwas über "Berufung" oder ähnliches? Oder zuckten - ohne Worte - nur meine Schultern? Ich erinnere mich nicht. Meine Versuche, mit Beten, Beichten, usw. endlich herauszufinden was Gott von mir will, bleiben fruchtlos wie eh und je. Einzig die Hoffnung es irgendwann herauszufinden bleibt. In jenen Jahren ist meine persönliche Lebenseinstellung sehr dogmatisch. Schnell ur-/verurteilend - natürlich nicht laut - wenn ich glaube zu wissen was sein darf und was nicht. Wenn ich der Meinung bin eine Lebensansicht oder -führung sei abwegig, nicht die Gebote Gottes befolgend, verliert jene Person schnell an Wert in meinen Augen. Unvorstellbar, ein Mensch ohne Religion könne ein gutes, ehrliches, gottgefälliges Leben führen. Bis mir eines Tages.....
....... wie Schuppen von den Augen fallen.
Mit Nicole - eine Berufskollegin aus der Normandie, ca. 15 Jahre älter - diskutiere ich oft und gern über gewisse Themen. Eines Tages meint sie: "Ich brauche für mein Leben keinen besonderen Glauben. Das wusste ich schon als Kind. Meine Schwester ging gern in den Unterricht beim Pfarrer, ich nicht. Was der Priester da erzählte bedeutete mir einfach nichts. Gut, dass meine Eltern mich nie dazu gezwungen hatten. Was nicht heisst, ich würde nicht an eine höhere Macht - was immer es ist - welche uns ein Leben lang begleitet, glauben. Aber Priester, Kirche, nein, ich kann ohne die leben. Bestimmt bin ich auch so, weder ein schlechterer noch ein besserer Mensch als jene, die jeden Sonntag zur Kirche gehen." Dieses Gespräch geht mir bis heute nicht aus dem Sinn, weil damals einfach unfassbar, ungeheuerlich ("wie kann man nur!"…). Erst nach und nach werden sich meine Augen auf ein anderes Welt- Mensch- und Gottesbild öffnen. Da ist also diese Kollegin, professionell kompetent, kollegial, menschlich sehr umgänglich, anscheinend glücklich verheiratet. Und ein solches Leben soll nicht "gottgefällig" sein? Mir wird schwindlig und gleichzeitig bewusst: Da draussen gibt es also Menschen, auf kein bestimmtes Gottesbild oder Religion getrimmt und dennoch ein ehrliches, gewissenhaftes Leben führend. Und glücklich dabei scheinen sie auch noch zu sein. Unglaublich! Eine Offenbarung! Meiner Vorstellung vom "richtigen Leben" arge Risse zufügend. Heute kann ich sagen: Für mein Leben war dies der Beginn eines Prozesses, welcher sich seither Schritt für Schritt unaufhörlich fortsetzt: Jeder Mensch ist in sich ein Phänomen, ein Geheimnis, ein Original. Und doch noch nicht - oder selten - ganz Mensch?  
Annecy, du wunderschöne Stadt.
Es gab immer wieder Momente, allein oder mit einer Kollegin durch die Stadt zu flanieren, am See zu spazieren oder auf den nahen Semnoz zu steigen. Einmal fuhr ich sogar mit dem Velo rund um den See. Im Nonnenkleid und mit wehendem Schleier, bitte schön (1975 trug ich es noch). Annecy ist eine wunderschöne Stadt. Vielleicht ebenso, wenn nicht schöner als Luzern. Ich mache da wirklich Reklame: "geht mal hin" (ca. 1 Std. von Genf).
 
 
Nizza (F) Infirmière à domicile
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12.4.  Frankreich: Kloster- und Krankenschwester. – Nizza (F) Infirmière à domicile.
In den 1970-er Jahren herrscht in Frankreichs Orden und Klöster Aufbruchsstimmung. Nicht länger will man zusehen wie die Probleme - damals schon, heute kaum besser - in der sogenannten "Banlieu" (Randzone der Grossstädte) zunehmen. Arbeitslose, unbeschäftigte, herumstreunende Jugendliche, schwierige bis unmögliche Integration von Immigranten, Ghettobildung - Franzosen ziehen weg oder meiden solche Orte. Also gegen den Strom schwimmen, wird an diversen Klosterversammlungen beschlossen. Priester und Nonnen verschiedenster Orden oder Diözesen brechen auf, raus aus ihrer Komfortzone, tauchen ein, in ein weniger komfortables Leben, wie es die Unterschicht einer "Banlieu" lebt, es leben muss - Verlierer, Vergessene, jene die nicht mithalten können im allgemeinen Räderwerk. Daher Aufbruch auch in "meinem" Orden. Zwar leitet der Orden im Zentrum von Nizza schon seit vielen Jahren eine katholische Mädchenschule und ein Heim für Obdachlose. In dieser Zeit hat sich aber, trotz dem eher reichen und schönen Nizza, in seinem äussersten Westen rasant eine imposante Randzone entwickelt. Bei meiner Ankunft 1976 kann man in dieser "Stadt am Rande der Stadt" ohne weiteres eine Art Ghetto sehen: Hauptsächlich Eingewanderte aus Frankreichs ehemaligen Kolonien in Nordafrika wohnen hier in Sozialwohnungen (genannt HLM: Habitation à Loyer Modéré): riesige Hochhäuser oder sonstige Wohnblocks. Drei Klosterfrauen sind wir, die da im Herbst 1976 in eine dieser HLM einziehen: Drei Zimmer inkl. Wohnzimmer. Ein halbes "Zimmer" - eigentlich das Ende des Ganges, nur mit einer Schiebetür verschliessbar - wird mein winziges Zimmer. Fazit: leben wie die Nachbarn, Miete bezahlen, um diese zu bezahlen einer Arbeit nachgehen, usw.
3 Nonnen, 3 verschiedene Aufgaben: Sozialarbeit, Religionsunterricht und ich, soll mich als infirmière à domicile (Hauspflege) etablieren. Infirmière à domicile ist in Frankreich ein selbständiger Beruf. Wie z.B. ein Physiotherapeut, muss sie sich eine Kundschaft aufbauen. Wenn sie will schliesst sie sich anderen Kolleginnen aus der Umgebung an (Freizeit- Ferienablösung), bleibt aber stets eigenständig. Ich freue mich auf Nizza, auf die schöne Côte d'Azur. Und noch etwas freut mich ganz besonders: Wir drei werden das Ordenskleid in diesem Umfeld nicht mehr tragen! (Auch in meinem weiteren Leben als Klosterfrau werde ich es nie mehr tragen.)
Zwischenbilanz oder: Hoffen, immer wieder hoffen - auf was eigentlich?
Warum wollte mich die Oberin von Annecy nach Nizza versetzen? Ich weiss es nicht. Sie muss es wissen. Eigentlich erwischt sie mich zum "richtigen" Zeitpunkt, überlegte ich mir doch seit einiger Zeit ernsthaft, den Orden zu verlassen.
("Richtiger Zeitpunkt": wäre ich nämlich in Annecy geblieben, hätte ich den Orden wahrscheinlich schon damals, nicht erst 20 Jahre später verlassen. Ach, all diese "wäre" und "hätte".... haben heute 2017 eh keine Bedeutung mehr).
Also kommt mir eine weitere "Flucht nach vorn" - neue Menschen, neues Umfeld - gerade recht. Entspricht meiner inneren Unruhe. Vielleicht auch Angst, mich definitiv entscheiden zu müssen? Dann lieber nächste Station, auf mehr Glück und Zufriedenheit hoffend. Meinem unzufriedenen Gefühl traue ich (noch) nicht: "Das Noviziat war schlimmer, hast es trotzdem überstanden". In diese Richtung gehen meine Gedanken. Also vorwärts schauen, das nächste Projekt anpacken, wird schon werden..... Was wird wie werden? Quäle mich damit nicht länger, Nizza liegt vor mir. Vielleicht finde ich dort den richtigen Priester, der mir Klarheit verschafft, mir die definitive Entscheidung abnimmt...? Wobei, ein solcher Berater - in Frankreich nennt man sie gemeinhin "Père" (Vater) - wird für mich emotional sehr schnell zum Vaterersatz, zum Tröster, zum Aufmunterer: "Vertrauen Sie auf Gott, seine Zeit wird auch für Sie kommen, beten Sie", usw.
Alles frommes "Gedusel", und ich?...... seelisch so sehr abhängig von diesen "Eindudelnden".    

Private, selbständige Krankenschwester.
Zuerst benötige ich eine staatliche Genehmigung um mich, eine Ausländerin, als infirmière à domicile überhaupt etablieren zu können. Das braucht Zeit, besonders in Frankreich wo Staatsangestellte bis heute (Macron wird sich an seiner vorgesehenen Reform genauso die Zähne ausbeissen wie seine Vorgänger) - wo Staatsangestellte nur durch Tod oder schwerstes Vergehen ihre Stelle (Vertrag auf Lebzeit) verlieren können, und sich lange vor dem 60. Lebensjahr einer gesicherten und guten Rente erfreuen dürfen. Bis nur schon mein Schweizer Diplom anerkannt wird (notarielle Übersetzung, usw.), geht es fast ein halbes Jahr. Die staatliche Genehmigung in der Hand, beginnt der Besuch bei Ärzten des Quartiers: "Ich will mich hier etablieren, könnten Sie mich bitte Ihren Patienten zur Weiterbehandlung empfehlen", usw. Aber mein Verbleib in Nizza wird schliesslich zu kurz sein (2 Jahre), um mir eine Klientel aufzubauen die diesen Namen verdient hätte. Was ich in diesem, etwas mehr als einem Jahr verdiene, geht wie immer in unsere Gemeinschaftskasse. Nicht viel ist es, ein Grossteil davon verschlingt die Einzahlung in die obligatorische "Rentenkasse der freien Pflegeberufe". Heute 2017, bin ich mehr als froh, dass dies so war. Von eben dieser Kasse erhalte ich seit ich 65 bin, jeden Monat zwischen 70 und 80 Euro. Damit habe ich mir schon heute das damals einbezahlte Geld längst wieder "zurückgeholt". 
Bei Renault servieren.
Damit zusätzliches Geld reinkommt bis "mein eigenes Geschäft" richtig läuft, sehe ich mich nach einem Zusatzjob um. Eine meiner Nonnen-Kolleginnen kennt den Chef der Renault-Filiale in Cagnes s./Mer. Dort suchen sie für die Arbeiterkantine von 12-16 Uhr eine Hilfskraft - Mittagessen servieren, abräumen, etc. Das passt. Am Morgen besuche ich meine (wenigen) Patienten. Um 12 beginne ich bei Renault. Abends nach 17 Uhr melde ich mich, wenn nötig, bei meinen Patienten zurück. Ein besonderer Genuss ist der Arbeitsweg: Jeden Tag mit dem Velo der wunderschönen Côte d'Azur entlang, nach Cagnes-sur-mer. Die Filiale Renault ganz nah am Meer. Einfach herrlich! 
 
Bonneville (F) ewige Gelübde. Arbeit in der Spitex.
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12.5.  Frankreich: Kloster- und Krankenschwester. – Bonneville (F) ewige Gelübde. Arbeit in der Spitex..
August 1978: Wir 3 ehemaligen Novizinnen planen unsere ewigen Gelübde im Sommer 1979 abzulegen. Vor uns ein Jahr um uns - nebenberuflich - auf dieses Ereignis mit dem Besuch verschiedenster Kurse und Seminare vorzubereiten. Für mich heisst dies: Adieu Nice, bonjour Bonneville (Hte. Savoie). Wegzug, Neubeginn. In dieser Stadt betreiben einige unserer Nonnen ein "centre de soins" (Spitex). Da kann ich in diesem besonderen Jahr zu 50% arbeiten. 
Bin ich bereit ewige Gelübde abzulegen?
(Gedankensplitter heute: Was soll denn dieses "ewig"? Kann man einem Menschen zumuten einem idealisierten, unfassbaren, unsichtbaren Jemand ein ewiges Gelübde abzulegen?)

Da ist diese katholische Sekte in Innsbruck, welcher meine beiden Schwestern und der jüngste Bruder sich angeschlossen haben (auch die Eltern, mehr oder weniger). Ihr Anführer erhalte für jedes der Mitglieder Botschaften von Gott selbst. Seine Botschaft an mich (auch wenn ich nicht unmittelbar Mitglied war): "Bleib in deinem Orden. Du wirst dort nicht mehr lange bleiben, denn Gott hat dich bei uns für etwas Grösseres bestimmt. Wenn die Zeit gekommen ist wirst du bei uns eine grosse Aufgabe übernehmen. Halte aus, es dauert nicht mehr lange! Wir werden die Kirche von Grund auf erneuern. Ich werde der nächste Papst sein" und vieles mehr. Und natürlich glaube ich diesen Quatsch, weil zu jener Zeit viele Jungen und Mädchen in dieser Sekte sind und daran glauben. (Heute 2018 glauben einige von ihnen immer noch daran. Der Anführer längst tot. Sein Nachfolger ziemlich gleich gesinnt. Aber meine Geschwister haben sich vor bald 20 Jahren mehr oder weniger gesund daraus befreien können.)
Natürlich verschweige ich meinen Beichtvätern solche Absurditäten dieses Halluzinierenden, während Jahren. Vor allem mein Bruder zwingt mich, darüber zu schweigen. Wie immer in Sekten: "Aussenstehende verstehen uns nicht, dürfen also nichts über uns wissen. Man würde uns schaden. Wir würden Verleumdungen zum Opfer fallen", so mein Bruder. Als ich mich endlich einem Beichtvater öffne, er mich überzeugend aus dieser Kloake holt, hatte ich diese "ewigen" Gelübde längstens geschworen (1989, leider erst 10 Jahre nach den "Ewigen")

Aber nun zurück zu den "Ewigen":
Genügt es, einfach Nonne sein zu WOLLEN?....
..... fragte ich mich während der Vorbereitungszeit. Meine Beweggründe als Klosterfrau zu leben haben sich seit meinem Eintritt kaum verändert. Und da war jetzt auch noch das Versprechen dieses Sektengurus: "eine "höhere Berufung", die sich in einigen Jahren konkretisieren werde". Aber auch ohne diese Absurdität (sage ich heute) bin ich weder glücklich genug, um definitiv bleiben zu wollen, noch unglücklich genug, um zu gehen. Wie sagt man doch: "der Mensch ist ein Gewohnheitstier", und solange der Leidensdruck nicht stark genug ist, verändert er nichts.... Meine Kolleginnen widmen sich dieser Zeit der Vorbereitung ohne "wenn-und-aber", sind sich ihrer Sache sicher. "Warum kann ich es nicht sein?" bedrückt mich die Frage. Ich müsse halt mal definitiv wollen, Punkt, Schluss, sagt man mir. Also will ich, Punkt. Mal sehen ob ein solcher Willensakt hilft.
(Heute 2017 frage ich mich manchmal, warum ich so lange brauchte - 23 Jahre - bis ich erkannte, dass 'nur wollen' nicht genügt, um ein zufriedener Mensch zu sein? Warum nahm ich meine Unzufriedenheit nicht ernst? Nahm ich mich selbst überhaupt ernst? Ach, so viele Fragen!... wagte ich mir damals nicht zu stellen. Aus heutiger Sicht total unverständlich. Zeigt mir aber auch, wie verschlungen und unerklärlich gewisse Lebenswege sein können. Ach Menschenskind, die Klugheit wurde dir nicht in die Wiege gelegt! (Wem denn schon?)

Am 1. Juli 1979
ist es soweit.
Zu dritt legen wir während eines festlichen Hochamtes unsere ewigen Gelübde ab: Besitzlosigkeit, Ehelosigkeit, Gehorsam, für den Rest unseres Lebens. Die Kirche zum Bersten voll. Viele Angehörige nahmen daran teil.
(Hier noch kurz angefügt: von uns 4 Ordensfrauen - in diesem Vorbereitungsjahr in einer WG zusammenlebend - lebt heute (2016) nur noch eine als Klosterfrau, wir 3 andern haben vor über 20 Jahren den Orden verlassen..... Etwas ironische Frage: Wo ist bei den 2 andern ihre damals hehre Gewissheit - "bin sicher, Gott hat mich zum Leben als Nonne berufen" - geblieben?)
Zurück im Alltag.
Nach dieser Feier arbeite ich - wieder zu 100% - 2 weitere Jahre in der Hauspflege. Mit 2 weiteren Kolleginnen teilen wir uns - für unsere täglichen Spritzen- Verband- Pflegetouren - die umliegenden Dörfer und die Quartiere der Stadt auf. Die meisten Ärzte in Frankreich verordnen ihren Patienten an Stelle von Tabletten vorzugsweise Injektionen. Dabei müssen z.B. Antibiotika meistens 2 x täglich - morgens und abends - injiziert werden. Das heisst ich bin viel unterwegs, natürlich mit dem Auto, ein Citroen "2 chevaux". Das Unterwegs-sein von Haus zu Haus, das Vorbeischauen bei verschiedensten Menschen gefällt mir.
Genau wie in Nizza wohne ich wieder im "Ghetto".
Nach der Gelübde-Feier wird auch unsere 1-Jahr-WG aufgelöst. Ich bleibe aber in Bonneville, ziehe mit zwei anderen Nonnen in den 9. Stock eines Hochhauses ein, wieder eine HLM (Habitation à Loyer Modéré). Bewusst haben wir dieses Quartier gewählt, zählt es doch zu den Orten der Stadt, welche gebürtige Franzosen verlassen oder meiden. Wir hingegen ziehen ein. Sehen es als unsere Mission, besonders an solchen Orten präsent zu sein. 5 Hochhäuser reihen sich aneinander, mit bis zu 90% vor allem Nordafrikanern oder Asiaten - aus Vietnam oder Laos Geflüchtete, nach Übernahme der Kommunisten in jenen Ländern. Nur gute Erfahrungen machen wir mit diesen Menschen. Ein herzliches Geben-und-Nehmen. Oft bringen sie uns ganz spontan Couscous oder eine köstliche Marokkaner-Suppe vorbei. Gibt es Not in einer Familie, wissen sie, dass sie auf uns zählen können. Eine von uns, Sozialarbeiterin, kennt in Kürze viele von ihnen. Mich selber kennt man bald als jene, "die Spritzen sticht, wenn du krank bist". Trotz vieler Einschränkungen - Lärm, Lift defekt, Heizung im Winter mangelhaft, Abfall im Eingang und anderswo, etc. - empfand ich das Leben an solchen Orten mehrheitlich als gegenseitige kulturelle und menschliche Bereicherung, getragen von viel Gastfreundschaft. Auch wenn wir uns am Leben unserer Nachbarn mit Haut und Haar beteiligen wollten, war es dennoch für uns anders. Wir hatten die Umgebung, diese Art zu leben freiwillig gewählt. Die meisten unserer Nachbarn nicht. Geldsorgen kannten wir nicht, der Orden hätte uns sofort unterstützt. Bei den Nachbarn hingegen, sieht es bezüglich Geld oder Arbeit ganz anders aus.....  
In wie vielen Nonnen-WGs habe ich eigentlich bis zum Austritt aus dem Kloster gelebt? frage ich mich grad jetzt. Genau 11 sind es.... in 24 Jahren! Das heisst, beinahe jedes 2. Jahr: Wegzug hier, Einzug dort, und das nie mit denselben Nonnen......
Françaises, Français, je vous remercie!
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12.5.  Frankreich: Kloster- und Krankenschwester. – Bonneville (F) ewige Gelübde. Arbeit in der Spitex..

Françaises, Français, je vous remercie!

"Il n'existe pas que du blanc ou que du noir, la vie est faite d'une multitude de couleurs et de nuances". (Nur weiss oder nur schwarz gibt es nicht, Leben ist farbig und Facettenreich.) Besser gehts nicht: dieser Satz beschreibt genau wie tiefgreifend die Jahre in Frankreich meine Lebenseinstellung nach und nach verändert haben. Krankenschwester und Nonne wollte ich sein, beide irgendwie miteinander verbinden. Ist es nicht meine Aufgabe, bei der körperlichen Pflege gleichzeitig den Menschen vor mir, Gott näher zu bringen? Sollte mir sein Seelenheil nicht wichtiger sein als die Pflege seines Körpers? Und natürlich, als Nonne "weiss" ich wann eine Seele "geheilt" ist...... Ist sie es nicht erst dann, wenn die Person sich entschliesst, ein gottesfürchtiges Leben zu führen - ganz ideal nach (Kirchen!) Gebot, möglichst ohne Sünde, genauso wie es mir zu jener Zeit vorschwebt? Konfrontiert mit manch andersartigen Lebensentwürfen - welche besonders in Frankreich verschiedentlich kreativ sein können - werde ich lockerer. Mache mir abends immer weniger oft Vorwürfe wenn ich meine, jenen, mir durch meine Arbeit begegneten Menschen zu wenig von Gott oder Jesus erzählt zu haben. Oder wenn ich meine, verpasst zu haben ihnen den "richtigen Weg" zu zeigen. Gleichzeitig wurde ich auch zu mir selbst lockerer und weicher. Schon als Kind lernen wir in der katholischen Kirche unsere kleinsten Schwächen als Sünde zu sehen und diese dann zu beichten. Im Kloster ist es üblich mindestens alle 14 Tage zu beichten. Aber die Erfahrung zeigt, die gebeichteten Sünden sind jedes Mal die gleichen. Wir sind Menschen, keine perfektionierten Roboter. Besonders schlimm ist es, wenn ich mich mit meinen Schwächen identifiziere: "So bin ich halt nun mal, verglichen mit andern für ein normales Leben unbrauchbar", oder "unausstehlich für andere, kann nicht aus meiner Haut fahren" usw. (Ach oje! Sich mit andern vergleichen raubt Energie für nichts und wieder nichts....... Verspätete Einsicht, doch noch geschafft!)
Hier noch kurz ein Beispiel wohin eine solche Identifikation - Hauptfokus auf allzu Menschliches, oder anders gesagt, auf meine Schwäche oder meine dunkleren Seiten - führen kann: 
"Tu n'es pas que cela" (du bist nicht nur dies), meint eines Tages eine Nonnen-Kollegin: 
An den Grund meiner damaligen Verstimmung - depressiv, enttäuscht, überaus bitter gegen mich selbst - erinnere ich mich nicht mehr. Was ich hingegen noch weiss: Ich stand am offenen Fenster (im 9. Stock) und dachte: "Jetzt einfach springen und alles hat endlich ein Ende". Aber da taucht plötzlich diese Nonne hinter mir auf und spricht diese simplen Worte: "Arrête! Ecoute-moi! Tu n'es pas que cela. Du bist viel mehr, du bist auch anders, hast mindestens genau so viel Positives in dir. Jeder Mensch ist dies UND das, hat viele Facetten". Eben, nicht entweder nur weiss oder nur schwarz....

 

 

"Fit" werden für einen Einsatz in Thailand.
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13.  Thailand: bei den Mhong-Flüchtlingen aus Laos.

"Fit" werden für einen Einsatz in Thailand.
Die beiden, seit ein paar Jahren in Thailand lebenden Klosterfrauen seien keine richtige Gemeinschaft, meint eines Tages die Oberin. Von einer richtigen Gemeinschaft reden könne man erst wenn es mindestens 3 seien. Ob ich denn damit einverstanden wäre, diese Lücke zu schliessen? Ich könnte nein sagen. Für Einsätze in der Ferne (Missionen) darf eine Ordensfrau (fast) ohne Diskussion nein sagen. Bei mir jedoch liegt ein solches Vorhaben voll auf meiner "Linie": wieder mal weg, weg von Bekanntem, von Routine, vom mich-nicht-Zufriedenstellenden. Neues, Unbekanntes und hier speziell Exotisches, wie fantastisch verlockend! Also ja, ich will gehen. 
Zuvor soll/darf ich mich weiterbilden:
1. während 2 Jahren in Fribourg an einer Glaubensschule studieren, und 
2. während 6 Wochen in London einen Crash-Kurs in Englisch besuchen.

1982-1984: "Ecole de la foi" in Fribourg..... oder: unter Ausländern in der Schweiz.
Diese Glaubensschule (seit 1990 nicht mehr existierend) wurde speziell für Laien, Ordensfrauen und angehende Priester gegründet. Von Anfang an international ausgerichtet mit vor allem Studierenden aus Afrika, aber auch etliche aus Frankreich, Kanada, Italien, und, je nach Jahr, nur wenige aus der Schweiz. Ein Grossteil der Studierenden weiblich.
Der Grundgedanke dieser Schule stand auf drei Säulen:
1- Das Wort Gottes studieren (Theologie-, Bibel-, Philosophiekurse)
2- Das Wort Gottes feiern (Liturgie, Gottesdienste gestalten)
3- Das Wort Gottes leben (kleine, internationale Gemeinschaften)
Ich wurde einer 4-er Gemeinschaft (WG) zugeteilt. 4 Ordensfrauen aus 4 verschiedenen Orden und Ländern: eine Italienerin (seit Jahren in Madagaskar tätig), eine Französin, eine Kanadierin (Québéc) und ich. Für mich eine echte Herausforderung..... trotzdem spannend in der Entdeckung anderer Mentalitäten und...... Kochkünsten.
Am liebsten besuche ich die Liturgie-Kurse sowie die Ateliers für Gestaltung von Gottesdiensten. Da konnte ich viel singen und sogar auf der Zither spielen. Besonders gefreut hat mich mal ein Kompliment unseres damaligen Musik- und Chorleiters: "Wir hörten an dieser Schule schon oft Leute auf Zithern spielen, aber selten waren jene Zithern so präzise auf den Ton gestimmt, wie du es auf deiner hervorbringst".
Englisch
Der "English-crash-cours" in London (Herbst 1985) mir wie auf den Leib geschnitten. Neue Sprachen lernen, ein Genuss! Um die Kosten für den Orden möglichst niedrig zu halten, reise ich im Nachtbus von Chambéry (Savoyen) nach London, meine allererste Reise in diese Stadt. Eine Nonne der dort lebenden Gemeinschaft erwartet mich an der Victoria Couch-Station. Während den kommenden 5-6 Wochen sitze ich jeden Tag 9 Stunden mit einem oder einer Englischlehrer/in zusammen, nur wir zwei. Weder lesen noch schreiben ist erwünscht, nur reden, reden, reden. Sogar für das Mittagessen gehen wir zusammen ins Restaurant - ja nicht aufhören mit reden. Wurde ich still, Leere im Kopf - was könnte ich denn noch erzählen? -  höre ich prompt: "Come on, tell me something more, etc." Auf diese Weise Englisch lernen, finde ich, ist das Beste was mir passieren konnte. Schreiben und lesen in einer neuen Sprache war für mich eigentlich nie ein Problem. Sobald ich eine neue Sprache lernte, begann ich gleichzeitig Bücher oder andere Medien in dieser Sprache zu lesen, auch wenn ich auf Anhieb nicht alles verstand. 
Ankommen in Thailand
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13.1.  Thailand: bei den Mhong-Flüchtlingen aus Laos. – Ankommen in Thailand.
25. Nov. 1985: Ein Ereignis in sich: DER FLUG.
Nie zuvor war ich so viele Stunden am Stück geflogen und kein Direktflug. Deswegen fühle ich mich schon etwas mulmig. Zuerst von Genf zum Umsteigen nach Brüssel und weiter im Jumbo der Sabena über Dubai, Bombay nach Bangkok. Beim Abflug in Brüssel bedaure ich statt am Fenster in der Mitte des Jet zu sitzen, freue mich jedoch, als schliesslich niemand neben mir Platz nimmt. Leerer Sitz? Dann sofort mein übervoller schwerer Rucksack drauf. Die Freude dauert nur bis Dubai. Als die Hostess (flight attendant) bei der Zwischenlandung den Gang runter kommt und den belegten Sitz neben mir sieht höre ich: "You can't keep this here, the plane will be full". Ja, aber wohin jetzt damit? Heute lächle ich - damals nicht - wenn ich zurückdenke wie ich meinen vollbepackten, 16 kg schweren Rucksack unter Sitz und Füssen verstaute und bei jedem WC-Gang meines neuen Nachbarn krampfhaft hervor buddeln musste, damit er nicht darüber stolpere. Und ja, der Jet ist beim Abflug von Dubai übervoll. Nicht nur voll mit indischen und philippinischen Gastarbeitern - Endstation des Fluges nämlich Manila - sondern mit noch mehr Gepäck, und was für Gepäck.... mein Rucksack ist "eine Maus" dagegen. Heute sind solche Zustände bei der Fliegerei nicht mehr möglich. Mein Rucksack übervoll mit letzten Geschenken von Kolleginnen/Verwandten für die Nonnen in Thailand. Nicht nur lächelnd sondern herzhaft lachend erinnere ich mich an den Ratschlag einer Nonne beim Abschied: "Pass auf", riet sie mir, "du hast übergewichtiges Gepäck - Koffer über 20, Rucksack ungefähr 16 Kg. Wenn du eincheckst, tu einfach so als wäre der Rucksack - natürlich an deinem Rücken hängend - als wäre der federleicht; stell ihn auf keinen Fall mit dem Koffer auf die Waage! Beim Check-in dann: Kopf hoch, Blick unbeeindruckt - eher etwas gelangweilt - geradeaus und.... lächeln, lächeln". Rucksack als Handgepäck noch nicht alles: Als Ersatz einer Gitarre trug ich in einer Hand eine Ukulele, in der andern eine grosse gut gefüllte Tasche. 
Schock des Klimas und der Düfte.
Erleichtert fühle ich mich erst als ich nach der Ankunft in Bangkok endlich eine meiner künftigen (Nonnen)-Kolleginnen zu Gesicht bekomme. Uff, bin ich glücklich sie zu begrüssen! Ihr Erscheinen - im grauen Ordenskleid samt Schleier (ich selbst gekleidet wie gewöhnliche Frauen) - befreit mich augenblicklich aus den Fängen einer Rasselbande sich offerierender Taxifahrer. Nein, wir stiegen schliesslich nicht in ein Taxi. Wir klettern in ein offenes Tuk-Tuk (eine Art motorisiertes Dreirad). Besser kann man in diese Stadt wohl kaum eintauchen: diese schwüle Hitze, diese Gerüche, je nach durchquertem Stadtteil so verschieden. Auf was hatte ich mich da eingelassen?… Das war 1985. Ich bin nach meiner Rückkehr aus Thailand (1988) nie mehr nach Bangkok gereist. Andere die kürzlich dort waren erzählten mir, es gebe heute kaum noch Tuk-Tuks und wenn, brauche es viel Überwindung - oder zu wenig Geld - und, wenn immer möglich Gasmasken um in ein solches zu steigen. Wer will schon eine Stunde oder mehr nur noch Abgas-Gestank einatmen?
Schlaflos in Bangkok und von Mücken geplagt.
Während einer Woche wohnen wir zwei bei befreundeten Nonnen in Bangkok. Es soll für mich eine Art Akklimatisierung sein. Klimaanlage gibt es keine im Haus. Dafür überall diese Ventilatoren, grosse an den Decken, kleinere da und dort. Die Fenster immer und überall offen, mit Mückennetzen versehen. Doch da auch alle Türen meistens offen stehen haben Mücken trotzdem freien Zugang. Schon am 2. Tag kann ich ihre Stiche nicht mehr zählen. Während dieser Woche schlief ich kaum, um nicht zu sagen überhaupt nicht. Zuviel Lärm rundherum - deswegen die Fenster schliessen? ich würde ersticken. Zu viele Gerüche von da und dort und vor allem, zu heiss. Schliesslich bin ich zu müde, um mich an den Sehenswürdigkeiten zu erfreuen, welche mir die Kollegin bei einigen Ausflügen in die Stadt zeigen will. Ich lechze geradezu danach von dieser Stadt so schnell wie möglich wegzukommen. Weg will ich, hinauf in den Nordosten wo es etwas kühler und sehr ländlich sei, verspricht meine Kollegin. Hinauf an den Mekong, an dessen Ufer sich das Dorf befindet wo ich nun leben werde: Chiang Khan. Während etwa 10 Stunden fahren wir nach dieser Woche im klimatisierten Nachtbus hinauf.
 
Wohnen in Thailand (zusammen mit 2 Unversöhnlichen).
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13.1.  Thailand: bei den Mhong-Flüchtlingen aus Laos. – Ankommen in Thailand.

Wohnen in Thailand (zusammen mit 2 Unversöhnlichen).
Unser schönes Thai-Haus in Chiang Khan am Mekong.
Ein Haus ganz aus Holz auf niedere Pfähle gebaut - man kann unten durch sehen - statt Fensterscheiben nur Fensterläden. 1985 zählt es zu den guten, eher komfortablen Häusern des Dorfes. Sonst einige (sehr wenige) Backstein-Häuser und viele Bambus-Hütten auf hohen Stelzen. Allzu gerne würde ich das Dorf und das Haus heute wieder sehen - habe auch schon versucht es zu googeln - wäre aber wahrscheinlich enttäuscht. Beim Eintreten ein grosser Raum, das Wohnzimmer, geradeaus die Küche. Im oberen Stock drei Schlafzimmer. Auch diese ohne Fensterscheiben, dafür mit Mückennetz. Die Küche ohne eigentliche Wände, beidseitig nur mit schmalen senkrechten Holzbrettern in etwa 5 cm Abstand (I I I I) versehen. Daher offen für alles was da kreucht und fleucht. Das WC hinter der Küche angebaut. Daneben ein kleiner "Dusch"-Raum. Keine Dusche wie wir sie kennen: eine grosse Tonne, meistens mit Regenwasser gefüllt, samt Blechschüssel zum Wasser schöpfen und sich damit zu übergiessen. Nachdem ich Thailand verlassen hatte träumte ich noch viele Jahre hin und wieder von diesem Haus. Warum weiss ich nicht, staunte einfach jedes Mal beim Erwachen darüber. Habe ich mich dort - trotz allem - so wohl gefühlt?
Gekkos, Kakerlaken, Ameisen. 
Mindestens ein Gekko immer in der Küche anwesend. Tagsüber schläft er, aufgehängt hinter der stets offenen Küchentür. Nachts frisst er sich an den herumstreunenden Kakerlaken satt. Auch Letztere mit freiem Zugang zur Küche. Dank Gekko müssen wir nie Gift einsetzen, um sie auszurotten. Wunderbar biologischer Kreislauf! Auch Ameisen ziehen in langen Linien umher, natürlich vor allem mit Süssem als Ziel. Alles was Beine hat - zum Glück hat alles Beine - Gestelle, Schränke, Tisch muss in dafür vorgesehene Behälter gestellt werden. 4 runde Behälter - meistens aus Ton, in zwei Kammern aufgeteilt - für ein Möbelstück. In der inneren, trockenen Kammer ein Bein, die äussere mit Wasser gefüllt. Die Ameisen ertrinken bevor sie über die Trennwand klettern und das Bein erreichen können. Wirklich ungemütlich wird es in dieser Küche nur in der "kalten" Jahreszeit, wenn wir im Dez./Jan. an einzelnen zum Glück wenigen Tagen das Frühstück - trotz zusätzlich angezogener Kleider - schlotternd einnehmen müssen. Die Temperatur an solchen Morgen z.B. nur 6° und um 10 Uhr schon 25°.
Laos, so nah….. und doch so fern.
Das Haus - nicht direkt am Mekong - steht nur ein "Katzensprung" sprich, ein-zwei Häuser davon entfernt. An dessen Ufer sieht man direkt hinüber nach Laos; der Mekong - übersetzt: "Mutter-Fluss" oder "Mutter-der-Flüsse" - an dieser Stelle nicht breiter als der Rhein in Basel. Laos, 1985 ein Land so nah und doch so fern, vor allem für Ausländer. Für Westler wie wir, war es kaum möglich eine Genehmigung für Reisen in dieses Land - damals unter kommunistischer Führung - zu erhalten.
Kikeriki, das Hack-hack der Nachbarin, Düfte, Gongschläge und zum Schluss die Königshymne.....
..... genau in dieser Reihenfolge werden wir jeden Morgen geweckt. Die Hähne im Umkreis die Ersten; keine Sekunde nachdem der erste sich hören lässt, will ihn der nächste übertrumpfen, noch lauter und besser kreischen. Bald darauf beginnt unsere Nachbarin mit ihrem "Hack-hack". In ihrer Küche, genau so offen wie unsere, beginnt sie schon zwischen 5 und 6 Uhr mit der Zubereitung der Speisen, - sie wird diese zur Mittagszeit an der Strasse verkaufen - zerkleinert Gemüse und Fleisch, im Mörser allerlei Kräuter, Schoten und Samen, alles von Hand. Sobald dieses Gemisch, neben kleinen Fleischstücken - viel Fleisch assen die Thais damals nicht - in der Bratpfanne brutzelt, duftet es köstlich, beinahe unwiderstehlich. Das Dorf zählt etliche Pagoden. Hatte nie gezählt wie viele. Wie bei uns Kirchenglocken läuten oder in muslimischen Ländern der Muezzin zum Beten ruft, schlagen Mönche jeden Morgen, und in jeder Pagode, auf einen Gong. In einem langsamen Rhythmus beginnend, werden die Schläge immer schneller bis zum abschliessenden Wirbel. Kaum sind die Gongschläge verstummt, erklingt - krönender Abschluss - aus vielen, im Dorf verstreuten Lautsprechern die Königshymne. Dieses morgendliche Szenario fühlt sich bald so heimelig an, dass ich es vermisse wenn ich zwischendurch in Bangkok weile.
....... und ach…… so viele Mücken.
Im Schlafzimmer tu ich mein Bestes, um auch die kleinste Mücke davon fern zu halten. Äusserst vorsichtig darauf achtend, dass die Tür immer geschlossen bleibt, zucke ich jeweils schnellstens hinein und auf die gleiche Art wieder hinaus. Nur 2 oder 3 in einer Ecke oder an der Decke herumschleichende Salamander toleriere ich da drin. Bin ihnen sogar dankbar, weil sie sich, trotz all meiner Vorsicht, freche, auf Umwegen eingedrungene Mücken schnappen. Mein Schlafzimmer, der einzige mückenfreie Raum im Haus. Sobald wir uns in Küche oder Wohnzimmer aufhalten schwirren Mücken überall um uns herum. Erleichterung bringen nur Ventilator oder brennende Duftstäbe. Ich entwickelte eine regelrechte Zwangsneurose mit Ventilator und Duftstäben.... Nie setzte ich mich hin ohne das Eine oder Andere, oder beidem neben mir. Nur so hielt ich es aus und kam (leidlich) davon. Einmal zurück in Europa war der angelernte Reflex noch eine Weile da: Vor dem Hinsetzen hielt ich zuerst Ausschau nach Duftstäbchen, staunte dann aber, dass ich hier wieder mückenfrei leben darf.
...... und ach, so hin und her gerissen zwischen zwei unversöhnlichen Charakteren.
Hatte mich die Oberin als "Prellbock" nach Thailand entsandt? Als versöhnliche Dritte im Bund? Habe sie nie danach gefragt aber im Nachhinein kam ich mir oft so vor. Das Problem: sie kannte mich nicht, ahnt nicht wie zögerlich ich mein Leben als Klosterfrau zu leben versuche. Anders meine 2 Kolleginnen. Jede hat ihre eigene fest verankerte Vorstellung vom "richtigen Leben als Nonne". Erstaunt es da, wenn ich mich zwischen den Beiden hin und her gerissen fühle? Welche von Beiden ist nun eine "richtige" Ordensfrau? Die eine trägt das Ordenskleid samt Schleier, erfüllt gewissenhaft die vorgeschriebenen Gebetszeiten, erlaubt sich keinen "Firlefanz" wie Entspannung, Nichtstun oder Ferien, leistet sich nichts was nicht absolut nötig ist und will uns zwei andern dazu bringen, so zu leben wie sie. Die andere, das pure Gegenteil, trägt normale Frauenkleider (wie ich auch), nimmt's mit dem Beten nicht so genau (ich auch nicht). Wenn sie müde ist ruht sie sich aus, findet immer mal wieder einen Grund nach Bangkok zu fahren. Lässt sich dort von Bekannten einladen, geht in die Ferien ans Meer, kauft sich mal wieder ein neues Kleid. Welche hat nun recht? Mal zieht's mich hin zur "Asketischen", dann wieder zur "Lebensfreudigen". Eine Tortur. Dass da irgendwo mein Selbst ist (hatte ja das wenige davon im Noviziat aufgegeben) dass dieses - mein Selbst - in seiner Einzigartigkeit danach lechzte von mir endlich entdeckt zu werden, erkannte ich (noch) nicht..... dafür musste ich beinahe 50 werden.... 
Flüchtlinge in Ban Vinai
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13.2.  Thailand: bei den Mhong-Flüchtlingen aus Laos. – Flüchtlinge in Ban Vinai.
Flüchtlinge aus dem Laos: mehrheitlich das Bergvolk der Mhong.
1975 kamen in Vietnam und Laos kommunistische Regierungen an die Macht (und in Kambodscha begannen die Gräuel der roten Khmer). Zu Tausenden fliehen, die zuvor den Amerikanern wohlgesinnten Bergvölker aus dem Laos, über die Grenze nach Thailand. Im Nordosten sind es vor allem die Mhong. Als ich 1985 als 3. Nonne ankomme, arbeiten meine 2 Kolleginnen schon seit etlichen Jahren im Camp "Ban Vinai" (Ban = Haus oder Dorf). Wir sind nicht die einzigen im Dorf Chiang-Khan wohnenden Ausländer. Seit Erstellung des Flüchtlingscamps leben alle "Westler" verschiedenster Herkunft und Organisationen in diesem Dorf. Das Camp - ca. 60'000 Bewohner, ungefähr 45 km vom Dorf entfernt - bei meiner Ankunft schon sehr gut organisiert. Viele Männer arbeiten, z.B. als Pfleger im Spital oder als Lehrer. Die Frauen sticken ihre speziellen Stammes-Motive auf zuvor von ihnen genähte Bänder, Täschchen, Kleider und verkaufen diese später an Thais oder Ausländer. Die Behausungen im Lager sind zwar dürftig, für diese Menschen aber nicht viel anders als ihre Häuser in den Bergen von Laos, wie sie uns anhand von Fotos zeigen. Vergleicht man ihre Lebensumstände im Camp mit jenen vieler Thais in den umliegenden Dörfern - Thailands ärmste Gegend - leben sie im Lager sogar besser. Eine meiner Kolleginnen hat die Aufsicht über die Nähschule. Die andere geht jeden Tag ins, am Rand des Lagers, angesiedelte Lepradorf, um dort nach dem Rechten zu sehen. Für unseren Einsatz erhalten wir einen kleinen Lohn von der thailändischen Caritas (welche übrigens auch von der Schweizer Caritas unterstützt wurde). Diese übernimmt auch die regelmässige Verlängerung unserer Visa (alle 3 Monate), was uns Papierkrieg sowie Aus- und erneute Einreise ins Land erspart.
Ungefährer Tagesablauf:
Nach Morgengebet und Frühstück, Fahrt in einem Van - Kleinbus für 12-14 Personen - mit andern Ausländern, jedoch vor allem mit Thais, ins ca. 45 km entfernte Lager; während ca. 33 km auf einer gut geteerten Strasse dem schönen Mekong entlang (Strasse bis Nong-Kai während des Krieges von Amerikanern gebaut). Für die restlichen Kilometer ins Landesinnere auf einer, bei schönem Wetter Staub aufwirbelnden Schotterpiste, mit Schlamm und Löchern in der Regenzeit. Wie oft ächzte ich da unter Rückenschmerzen.... vor allem abends auf der Rückfahrt! Im Lager angekommen, nimmt mich meine Kollegin ins zuhinterst im Lager angesiedelte "Lepradorf" mit. Sie besucht Familien, kontrolliert Wundverbände, vergewissert sich, dass die Medikamente korrekt eingenommen werden - eigentlich eine Qualitätskontrolle des damit beauftragten Pflegers. Auch er ein Mhong, auch er von Lepra betroffen. Alle von dieser Krankheit Betroffenen waren es schon vor ihrer Flucht. Weil aber seither alle behandelt werden ist die Gefahr weiterer Ansteckungen gebannt. Die Mhong sprechen eine eigene Sprache, mehr dem Chinesisch verwandt als dem Lao. Einige kennen ein paar Brocken Englisch und natürlich Lao. Da meine beiden Kolleginnen zuvor viele Jahre im Laos gelebt hatten, ist ihnen diese Sprache geläufig. Punkt 16:30 müssen alle Nicht-Lagerinsassen dieses verlassen haben. Im Van 45 km zurück ins Dorf. Müdes, verschwitztes Ankommen zu Hause, oft mit schmerzendem Rücken nach der Rüttelfahrt auf der Piste. Umso besser schmeckt das von unserer thailändischen Hausfee zubereitete köstliche Essen. In diesem Dorf war es nicht ratsam, ein von Ausländern bewohntes Haus unbewacht zu lassen. Wie bei allen Westlern wurde auch unser Haus tagsüber von einer Thailänderin bewacht. Dabei verrichtete sie kleinere Putzarbeiten, kochte für uns und freute sich wie ein Kind über ihren Lohn.
Lepra? - kannte ich nur (knapp) aus Schulbüchern meiner Ausbildung.
Hier komme ich zum ersten Mal in Kontakt mit von dieser Krankheit geplagten Menschen:
Geschwüre, Verstümmelungen aller Art, Verlust der Sensibilität an Beinen, Füssen und Händen, Erblindung, usw. Nach einiger Zeit realisiere ich wie gut auch dieser Bereich des Camps organisiert ist. Der Pfleger, ein Mann aus ihren eigenen Reihen, kennt sich aus mit Verbänden, Medikamenten, Ratschlägen zur Verhütung von Verletzungen. Ich will ihm diese Arbeit durch mein Eingreifen nicht wegnehmen. Also stehe ich bald nutzlos herum. Als sich unverhofft eine Gelegenheit bietet mehr über Lepra zu erfahren, greife ich zu. 3 Wochen im 3-4 Autostunden entfernten Kon Kaen darf ich in einer von Nonnen geleiteten Klinik dem leitenden Arzt quasi auf Schritt und Tritt bei seiner Behandlung der Lepra zusehen. Auch stellt er mir entsprechende Literatur zur Verfügung. Dass Lepra überhaupt nicht so ansteckend ist wie viele denken und die Betroffenen deshalb absondern (macht man das heute noch?) wird mir als Erstes bewusst. Nur etwa 5% der Menschen seien überhaupt ansteckbar, die Allermeisten von uns mit natürlichen Antikörpern bewaffnet. Lepra sei eine Krankheit des Nervensystems, lerne ich. Diese zeige sich am Anfang meistens durch einen schleichenden Verlust von Sensibilität. Daher können Betroffene z.B. tagelang mit einem Stein im Schuh umhergehen, ohne diesen zu spüren; bis sich die dadurch entstandene Wunde, ohne das kleinste Schmerzempfinden, manchmal bis zum Knochen durchfrisst. Dann jedoch sei es oft zu spät. Die Folge: Verkrüppelung oder Amputation. Jetzt wird mir klar warum sich der Pfleger im Camp so intensiv um die Füsse der Bewohner kümmert, dauernd auf sie einredet sie sollen ihre Füsse unbedingt jeden Abend waschen, pflegen und die kleinste Wunde sofort behandeln lassen. Bis heute, jedes Mal, wenn mir ein Stein in den Schuh schlüpft, muss ich spontan an diese Zusammenhänge denken.
 
Thailand: Flüchtlingscamp Ban Vinai (1987)
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13.2.  Thailand: bei den Mhong-Flüchtlingen aus Laos. – Flüchtlinge in Ban Vinai.

Thailand: Flüchtlingscamp Ban Vinai (1987)


(1) Teil des Lepradorfes am hintersten Rand des Camp
Teil des Lepradorfes am hintersten Rand des Camp



(2) Flüchtlingscamp Ban Vinai: Kinder beim Wasser oder Milch holen

Flüchtlingscamp Ban Vinai: Kinder beim Wasser oder Milch holen



(3) Lepra: Trotz Verkrüppelung strickt er

Lepra: Trotz Verkrüppelung strickt er



(4) Hmong Frau und Mädchen beim Sticken

Hmong Frau und Mädchen beim Sticken

 

 





 

 

Überfall auf unseren Van (Kleinbus)
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13.3.  Thailand: bei den Mhong-Flüchtlingen aus Laos. – Überfall auf unseren Van (Kleinbus).
Nein, diesen 25. Juni 1986 werde ich nie vergessen!
Wie jeden Tag verlassen auch an diesem 25. Juni 3 Kleinbusse das Dorf, auf ihrem Weg ins Camp. Einer davon fährt den Umweg über die Stadt Loei zur dortigen Bank. Am Monatsende erhalten jene, bei den NGO's arbeitenden Flüchtlinge einen Lohn. Ich selber sitze in einem der direkt ins Lager fahrenden Vans. Neben mir eine Finnin. Alle andern sind Thais, total 14 Personen. Meine beiden (Schwestern)-Kolleginnen sitzen im Van nach Loei. Auch sie brauchen Geld, um ihre Mitarbeiter im Lager zu bezahlen.
Gute Verstecke beidseits der Schotterpiste.
Bis zur Schotterpiste verläuft die Fahrt wie jeden Tag. Auf der Piste selbst, rechts und links hohe Sträucher und Gestrüpp. Ich sitze rechts am Fenster direkt hinter dem Fahrer (in Thailand sitzt der Fahrer rechts, weil, wie in England, links gefahren wird). Neben mir in der Mitte die Frau aus Finnland, links von ihr, auf dem, beim Einsteigen faltbaren Sitz, eine junge Thailänderin. Noch etwa 7 km sind wir vom Lager entfernt als plötzlich wie aus dem Nichts 3 Maskierte vor uns auftauchen. Maschinengewehre im Anschlag zielen sie ohne Vorwarnung auf die Pneus. Den Bruchteil einer Sekunde komme ich mir vor wie in einem Film, kann nicht glauben, dass das, was ich da direkt vor mir sehe real sein könnte. Schon fällt der erste Schuss. Reflexartig ducke ich mich so tief wie möglich in meinen Sitz, meine Nachbarin ebenso. Absolute Stille im Van. Alle scheinen den Atem anzuhalten. Nur unser Fahrer fährt weiter.... und weiter.... und weiter - als wäre alles ganz normal...... 
....... auf den Felgen...... immer weiter.
Er fährt und fährt und draussen kracht Schuss um Schuss. Bald spürt man deutlich dass wir nur noch auf den Felgen fahren. Ich halte mich tief über meine, auf meinen Knien liegende neue Tasche gebeugt, drücke sie total zusammen - hatte sie am Vortag im Lager gekauft. (Dies erwähne ich hier, weil ich im Nachhinein über meine Gedanken in diesem bedrohlichen Moment nicht erbaut war.) Da liege ich also, so tief wie möglich über diese Tasche gebeugt. Statt zu beten wie es neben mir, flüsternd, die Finnländerin tut, beschäftigt mich nur eines: "Schade, bald wird diese schöne neue Tasche voller Blut sein". Verdränge ich mit solch (stupiden) Gedanken nicht einfach meine Angst? Könnte sein. Das Schiessen scheint kein Ende zu nehmen. Unser Van holpert weiter dahin, langsam zwar, aber immer noch, also muss unser Fahrer noch leben. Jetzt fantasiert meine Angst: "Die da draussen sind sicher nicht mehr vor, sondern gleich neben, und bald hinter uns. Haben wir sie vielleicht schon überholt? Dann sind sie jetzt hinter uns.... oder sind sie etwa genau jetzt, in diesem Moment, grad hier neben mir, nur durch dünnes Blech und Fenster von mir getrennt? Könnte ich sie durch leichtes Kopf-heben nicht sogar sehen?" "Sei still Maria, keine Bewegung, keinen Mucks!" zähme ich meine Neugier - bin ja nicht wahnsinnig - hebe den Kopf nicht, gucke nicht aus dem Fenster. Bald wähne ich sie hinter uns. Sie schiessen weiter, auf den Tank; können weniger genau zielen weil unser Van eben eine kleine Anhöhe erklimmt. Immer noch keinen Mucks im Van. Unser Fahrer muss noch leben; lägen wir sonst nicht schon längst rechts oder links im Graben?
Unser Glück: der zweite Van fährt gleich hinter uns.
Urplötzliche Stille. Kein Schuss mehr. Der Fahrer verlangsamt, stoppt schliesslich. Ich richte mich ganz langsam auf, in die Runde blickend. Niemand spricht ein Wort, alle sitzen wie versteinert da. In der Mitte der hintersten Reihe ein Thai, sein Mund weit geöffnet, seine Augen hervorquellend, sein Hemd blutgetränkt. Blick nach unten, weil ich spüre, dass an meinen Schuhen etwas klebt: Blut. Sie stehen im Blut. Endlich Blick nach draussen. Eben will uns der 2. Van überholen. Bei seinem Erscheinen scheinen plötzlich alle aus ihrer Starre zu erwachen, stehen auf; wie Irre rufen und gestikulieren wir, um auf uns aufmerksam zu machen. Jetzt erst bemerken dessen Insassen unsere blanken Räder. Sie verstehen und halten an. Stotternd erzählen wir ihnen das Vorgefallene und wie froh wir seien, dass sie hinter uns fuhren und so die Täter zur Flucht zwangen.
Eine Tote und ein wundersam Geretteter.
Aussteigen kann ich erst nach meinen beiden Nachbarinnen. Ich höre die Finnländerin neben mir flüstern: "Warte, ich kann nicht aussteigen, kann mich nicht bewegen, die junge Frau neben mir liegt mir zu schwer auf". Diese junge Frau - kaum 25, zu Hause ein Kleinkind - ist tot. Ihr Blut klebt an meinen Schuhen..... Sie hatte sich zu wenig geduckt, vor allem als von hinten geschossen wurde. Eine Kugel traf sie im Hals, sie verblutete. Sie wird als Erste ausgeladen und sofort ins Spital gefahren. Leider zu spät für sie. Der blutverschmierte Mann in der hintersten Reihe: angeschossene Lunge. Er wird ins Spital der nächsten Stadt gefahren und kann gerettet werden. Ein anderer Mann, in der hinteren rechten Ecke sitzend, spricht dauernd von einem Wunder. Er zeigt mir seinen, jeden Tag hinter seinen Rücken gestellten Behälter mit Eiswürfeln. Das Eis habe eine Kugel ab- oder umgelenkt. Tatsächlich sehe ich zwei Löcher im Behälter, eines hinten, eines seitlich. Ein- und Austritt der Kugel. Den Rest des Tages verbringen wir auf dem Polizeiposten im Lager. Der Van steht draussen. Wir versuchen die Einschusslöcher zu zählen, kommen auf mindestens 30 Löcher, die meisten in Räder und Tank. Ich bemerke ein Loch gleich unterhalb des Fensters wo ich sass. Komisches Gefühl..... ich lebe noch. Es hätte auch mich treffen können (kein Blut auf meiner neuen Tasche....). Später erfahren wir, dass die Schützen Thai-Soldaten gewesen seien. (Thailand hatte zu jener Zeit im Grenzgebiet zum Laos noch überall Militär stationiert). Es wurde angenommen, dass sie es auf das, für die Flüchtlinge bestimmte Monatsgeld abgesehen hatten und dabei dachten, unser Van würde es transportieren. Am selben Abend und noch viele Abende danach glaubte ich, nie mehr alleine im Zimmer schlafen zu können. Eine junge Thai, damals für ein paar Monate bei uns wohnend, nahm schwups ihre Matratze und schlief einige Nächte bei mir im Zimmer.
 
Thai-Sprachkurs in Bangkok und dann mal entspannen.
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13.4.  Thailand: bei den Mhong-Flüchtlingen aus Laos. – Thai-Sprachkurs in Bangkok und dann mal entspannen..

Eines Tages teilt uns Caritas-Thailand mit, sie benötige in naher Zukunft keine Ausländer mehr im Lager. Wir 3 Ordensfrauen fragen uns, fragen bei Priestern und Bischof nach, ob überhaupt und für welche Aufgabe wir in Thailand bleiben könnten. Kannten sie Orte wo unser Einsatz hilfreich wäre, z.B. in armen Dörfern oder in Elendsvierteln rund um Bangkok? Längst sind auch meine 2 Kolleginnen zur Einsicht gelangt, dass es für mich keine konkrete Aufgabe gibt im Lager. Eigentlich bin ich dort seit meiner Ankunft "überflüssig", hatten sich doch die Insassen schon vor meiner Ankunft so gut wie möglich selber organisiert. Trotzdem tat ich mein Bestes: Kleine Hilfeleistung hier, manchmal grössere da, wie z.B. einer Gruppe Mädchen das Stricken beibringen. War eine gute, leider nur kurze Zeit. Ein anderes Projekt, zusammen mit einer sehr katholischen - kirchlichen Regeln folgenden - Amerikanerin: Einer Gruppe Frauen eine - von der Kirche erlaubte - natürliche Methode der Empfängnisverhütung lehren/erklären: tägliches Kontrollieren und Notieren von Temperatur und Vaginal-Schleimkonsistenz (die sogenannte "Billings-Methode" bei welcher zusätzlich zur Temperatur auch der Vaginal- oder Cervikal-Schleim beobachtet wird. Gilt als Verbesserung der nur auf die Temperatur ausgerichteten "Ogino-Knaus Methode"). Später, als mich diese Amerikanerin auf ihrer Rückreise - sie verliess Thailand ca. ein Jahr nach mir - besuchte, erzählte sie dass eine solche Methode für jene Frauen zu kompliziert gewesen sei - schon der Sprache wegen - und so viel wie keinen Erfolg gebracht hätte.
Thais aus den umliegenden Dörfern sind froh im Lager Arbeit zu finden, handelt es sich doch um die ärmste Gegend Thailands. "Westler" wie wir werden je länger je weniger gebraucht. Was also tu ich hier? Besteht meine einzige Aufgabe etwa darin, dieses oft unsägliche Klima, diese noch unsäglichere Mückenplage ohne Murren zu ertragen? Zum Beispiel im Sinne von: Jesus hat uns Menschen durch sein Leiden erlöst? Hilft vielleicht auch mein Leiden der Menschheit? vielleicht sogar mehr als was ich mit meiner Hände Werk tun könnte? (Seltsame Überlegungen sage ich heute 2017, damals jedoch in meinen Gedanken voll präsent...) Umsonst war mein Aufenthalt im Lager trotzdem nicht. Was habe ich doch bei diesen, unter prekären Umständen lebenden Menschen nicht alles an Menschlichkeit, Dankbarkeit, Genügsamkeit erfahren, und daraus für mein eigenes Menschsein lernen dürfen! Bereichert ging ich von dannen. Diese Menschen hatten mir mehr geschenkt als ich ihnen je hätte geben können.
Juhui, wieder eine Sprache lernen.
Werden wir in Thailand bleiben können? Die Antwort darauf zieht sich in die Länge und mit ihr die Hoffnung auf ein Bleiben. Eine ungewisse Zeit, welche ich nutzen könnte, um die Sprache zu lernen, meinen meine Kolleginnen. Für mich klingt dieser Vorschlag wunderbar. Seit jeher fasziniert mich das Lernen neuer Sprachen. Hier würde es sich um eine besonders exotische handeln. Eine ohne jegliche Ähnlichkeit mit unseren westlichen Sprachen. Für mindestens 4 Monate melde ich mich in Bangkok in einer Sprachschule an. .... Ach Bangkok du Ungeliebte, wie oft sehnte ich mich in jenen Monaten zurück ins Dorf am Mekong! Zurück zu Kikeriki, hack-hack, Gongschlägen am frühen Morgen.... In Bangkok wohne ich bei befreundeten Klosterfrauen. Sehr erpicht darauf, diese äusserst fremdartige Schrift möglichst schnell lesen zu können, weigere ich mich vom ersten Tag an, die Wörter in unsere Schrift umgemünzt zu lesen. Thai muss Thai sein in Wort und Schrift und dies vom ersten Tag an. Thai ist eine sogenannte tonale Sprache. Für Europäer erfordert sie ein gutes Mass an Musikgehör, denn wie ein Lied nur als Lied wahrgenommen wird wenn Text und Ton harmonieren, kann ein thailändisches Wort nur verstanden werden, wenn der vorgesehene Ton bei der Aussprache stimmt. Beachtest du dies nicht, kann es geschehen, dass du z.B. eine Bluse kaufen willst und dich die Verkäuferin erstaunt ansieht, weil du statt "Bluse", "Tiger" gesagt hast. Bluse, Tiger: das gleiche Wort, jedoch mit anderer Intonation. Am Ende dieser 4 Monate konnte ich mich recht gut in Thai verständigen dazu auch lesen und schreiben. Nach meiner Abreise blieb ich einige Jahre in Briefkontakt mit einer Thailänderin, in ihrer Sprache. Ich fand es immer faszinierend diese Buchstaben, so ganz anders als unsere, dieses fremdartige "ABC" zu kritzeln. Heute kann ich es leider nicht mehr. Dafür verliess ich das Land viel zu früh. Eine solche Sprache geht schnell vergessen, wenn keine Nutzungsmöglichkeit besteht. 
Und endlich mal entspannen.
In meinem ehemaligen Orden galt ein ungeschriebenes Gesetz: individuelle Reisen oder Ferien zum Entspannen oder Vergnügen - ohne triftigen Grund - ausgeschlossen. Diesbezügliche Wünsche mussten erstens bei der Oberin Gehör finden und zweitens ihre Zustimmung ausgehandelt werden. Einige konnten das sehr gut, erreichten immer was sie wollten.... Hingegen wurden jeder Nonne zwei Auszeiten jährlich gewährt:
1- Eine Woche Exerzitien (geistliche Übungen). Ort/Priester konnte die Nonne selber wählen. 2- 10 Tage Aufenthalt in ihrer Familie, sofern sie dies will. Für mich waren 10 Tage immer zu kurz. Ein einziges Mal aus eigenem Ermessen um 2 Tage verlängert, blieb bei der Rückkehr der Tadel der Oberin nicht aus...  
Schöne erholsame Tage in Chiang Mai.
Gut dass die Jesuiten in Chiang Mai eine Schule leiten. Einer von ihnen begleitet unter anderem auch Menschen bei geistlichen Übungen, sprich Exerzitien. Für solche Tage fuhr auch ich einmal im Jahr für 10 Tage hin - also 2x in 2 Jahren. Beide Male begleitet mich eine meiner Kolleginnen. Obwohl eine solche Auszeit hauptsächlich dem Gebet, der Meditation, der inneren Auseinandersetzung mit sich selbst gewidmet ist, blieb doch Zeit, sich in und um Chiang Mai umzusehen, was wir dann auch tun. Chiang Mai, tausendmal schöner und kühler als Bangkok! Besonders in Erinnerung bleibt mir unser Aufstieg zur Pagode auf dem Doi Sutep und die Aussicht auf Chiang Mai von dort oben. Oder das alljährliche Lichterfest am Fluss, als wir ein Jahr im November dort waren.  
Doch einmal Ferien am Meer…...
Es braucht einiges an Argumenten seitens meiner liberaleren Kollegin um die andere, die "perfekte Nonne" davon zu überzeugen, dass auch sie sich mal eine Auszeit am Meer gönnen soll. Nach langem Hin-und-her lässt sie sich schliesslich dazu überreden. Und weil sie nicht allein reisen will, begleite ich sie - natürlich hocherfreut - nach Hua-Hin. Dort wohnen wir im Gästehaus einer evangelikalen Gemeinschaft direkt am Meer. Eine schöne Woche die mir in guter Erinnerung bleibt. 
…... und schliesslich zum "schönsten Wasserfall" von Thailand.
Während dem Sprachkurs in Bangkok lerne ich eine Thai-Nonne kennen. Über Neujahr, wenn die meisten Thais ihre Familien besuchen, nimmt sie mich beim Besuch ihrer Eltern mit. Diese wohnten weit ausserhalb Bangkoks. Auf der Rückfahrt will sie mir unbedingt ein Naturreservat mit dem "schönsten Wasserfall Thailands" zeigen, wie sie meint. Nur, leider sehen wir da nirgends, weder Wasser fliessen noch Wasser fallen. Wir sind zur falschen Zeit da - von November bis März ist Trockenzeit in Thailand (wenigstens damals...). Sie ist enttäuscht. Innerlich schmunzle ich: "Ich wünschte, du könntest mal bestimmte Wasserfälle in der Schweiz sehen"…. 

 


 

Abschied von Thailand
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13.5.  Thailand: bei den Mhong-Flüchtlingen aus Laos. – Abschied von Thailand.
1988: Seit meiner Ankunft in Thailand sind etwas mehr als 2 Jahre vergangen, und nun soll's vorbei sein? Bin ich denn umsonst in seine Sprache eingetaucht? Ja, entschied die Generaloberin. Sie wolle mich, nachdem die Möglichkeit in Thailand Arbeit zu finden - in dieser Hinsicht geführte Gespräche mit Caritas, Priestern, Bischof - aussichtslos sei, wieder in Frankreich "ansiedeln". Damals - wie es heute ist weiss ich nicht - wurden "Westler" in Thailand kaum bis gar nicht in Berufen oder sonstigen Anstellungen toleriert, ausser in karitativen zeitlich begrenzten Projekten, wie jene der NGO's, Caritas, Kirchen. Also Thailand verlassen. Ehrlich gesagt bin ich erleichtert: Ende der schwülen Hitze, Ende der Mückenplage mit ihrem - am eigenen Leib erlittenen - Dengue-Fieber im "Kratten" (Details im Kapitel "Krankheiten"). Ende der, nur bei mir, ab und zu aufgetretenen Durchfallphasen - nach einer besonders heftigen erst im Spital mit Hilfe einiger Infusionen gestillt. Ende des Gefühls all diese Plagen aushalten zu müssen, ohne gleichzeitiges Gefühl von Zufriedenheit erleben zu dürfen. Und doch, heute möchte ich diese Jahre meines Lebens nicht missen. (Sagt man das nicht immer im Nachhinein?) Auf jeden Fall waren sie eine wertvolle menschliche Erfahrung, und vor allem eine enorme kulturelle Bereicherung.

Thailand verlassen....... schneller als vorgesehen:
Die Nachricht vom plötzlichen Tod meines Vaters.
16. Januar 1988, morgens zwischen 7:30 und 8:00 Uhr.
Drei Klosterfrauen sitzen beim gemeinsamen Morgengebet im oberen Stock des Hauses. Unten klopft jemand an die Haustür und ruft: "Sister: Thorasap" (Telefon auf Thai). Es ist die Nachbarin, "Sister" eines ihrer wenigen Englischwörter. Welche Sister man am Apparat wünsche? Sie wisse es nicht, habe nur das Wort "Sister" verstanden. Ohne lange zu überlegen geht diejenige von uns hin, die genug Bekannte in Thailand hat, um zu solcher Stunde einen Anruf zu erhalten. Keine denkt an einen Anruf aus Europa, dort ist es ja erst gegen 2:00 nachts. 10 Minuten später: meine Kollegin kommt zurück, langsamen Schrittes die Treppe hoch, schaut mich ernst an: "Es ist für dich, geh hin, dein Bruder ruft in 10 Minuten wieder an." Meine Knie werden weich, alles dreht sich mir im Kopf: "Warum, wer, was?" Ich stehe beim Telefon. Sogleich klingelt es, mein jüngster Bruder: "Maria, Vater ist gestern Abend gegen 19:00 gestorben (2:00 in Thailand). Wir wussten, dass du dort kein Telefon im Haus hast. Daher haben wir auf eine anständige Zeit in Thailand gewartet, um dich anzurufen. Hier ist es 2:00, wir sitzen neben unserem toten Vater und beten."
Gibt es hier, neben dem Telefon irgendeine Sitzmöglichkeit? Ja dort, ein Stuhl. Zitternd setze ich mich hin: Vater, warum hast du nicht 3 Monate warten können? Im April komme ich zurück und hätte dich gerne wiedergesehen. Erinnerst du dich an den Moment unseres Abschieds vor meiner Reise nach Thailand? Nie zuvor bei meinen vielen Abschieden hattest du mich bis zum Bus begleitet, diesem hinterher winkend bis er deinen Augen entschwand, und du meinen Augen. Wusstest du irgendwie, irgendwo, dass wir uns lebend nie mehr sehen würden?...... Erstaunlich wie unser Gehirn eine Erfahrung wie diese in solcher Klarheit speichert.
Wie es anschliessend weiterging - schnell packen (zum Glück hatte ich, hinsichtlich der Ausreise im April, schon einiges an Gepäck per Post verschickt), Abschied nehmen in Chiang Khan, Nachtbusfahrt nach Bangkok, Umbuchung des für April schon gebuchten Fluges, Abschied nehmen von befreundeten Nonnen/Priestern in Bangkok, usw. - habe ich alles nebulös, wie in Trance erlebt. Zu Hause würden sie mit der Beerdigung auf mich warten, hatte mein Bruder noch gemeldet. In Kloten wurde ich schliesslich von meiner Mutter und einigen Geschwistern empfangen. (Mehr über Vater's Tod s. Kapitel: "Tod der Eltern")
 
Helfen hier, Aushelfen dort: hin- und hergeschoben
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14.  Zurück in Frankreich: was nun?

Helfen hier, Aushelfen dort: hin- und hergeschoben
1988: Ein spezielles Jahr, beginnend mit Vaters Tod und meiner vorzeitigen Rückkehr aus Thailand. Anschliessend die Oberin, mir erlaubend mindestens einen ganzen Monat bei meiner Mutter zu bleiben. Und schliesslich beginnt im obersten Gremium des Ordens das Rätselraten: wohin jetzt mit mir? Wo und für welche Arbeit könnten sie mich brauchen? Mich selbst beschäftigt die Frage: wäre ich bereit und einverstanden für einen weiteren Einsatz in fernen Ländern? Zum Beispiel im indonesischen Borneo wo seit 1981 einige unserer Nonnen bei den Dajaks leben? Hin und wieder war nämlich damals die Rede davon, mich eventuell dorthin zu schicken. Bin heute froh dass es nie so weit kam....
Zum Gehorsam verpflichtet.
Eine Klosterfrau, durch das Gehorsam-Gelübde gebunden, kann kaum oder nur zögernd ihre eigenen Wünsche vorbringen oder sich den Wünschen der Obrigkeit widersetzen. Geht es hingegen um einen Posten in fernen Ländern - Mission genannt - darf sie ganz klar nein sagen. Andererseits kenne ich Ordensfrauen, die sich drüber hinwegsetzten, wenn die Obrigkeit sie gegen ihren Willen versetzen wollte, oder wenn sie in einem anderen Beruf arbeiten sollten als dem gelernten. Um in solchen Fällen nein sagen zu können, muss eine Ordensfrau in ihrem Selbstwertgefühl, Selbstbewusstsein gut verankert sein. Eine solche Frau ist z.B. überzeugt, dass sich Gottes Wille vor allem ihrem eigenen Gewissen offenbart und nicht zuerst jenem der Oberin. Einige der späteren Austritte - schliesslich auch meiner - gehen auf dieses "Missverständnis" zurück. In jenen Jahren besass ich besagte Eigenschaften nur im Keim, ordnete mich unter, und bedauerte - verurteilte sogar - jene "ungehorsamen" Nonnen, die getrauten sich der Oberin zu widersetzen.
Ein paar Monate in Givisiez (CH), ein paar Monate in Thonon-les-Bains (F).
Bis man weiss wohin mit mir, arbeite ich vorerst an diesen beiden Orten als Aushilfe in Heimen für pflegebedürftige Nonnen. Eine Zeit, in der ich mich wieder und wieder frage: Was will ich eigentlich? Will ich nochmals in ein fernes Land ziehen oder nicht? Und wenn nicht, wie wäre es mit einer Weiterbildung, welche, wofür?
Alles wieder mal in Frage stellen.... 
1988, 44 Jahre alt, seit 18 Jahren Klosterfrau ..... "und kein bisschen weiser". Den sogenannten persönlichen Ruf Gottes für dieses Leben?... noch immer nicht gehört. Rätsel: was "hörten" eigentlich andere Nonnen, wenn sie betonen, diesen Ruf gehört zu haben?
4 meiner 5 Brüder inzwischen verheiratet, haben Frau und Kinder. Meine zwei Schwestern haben nie geheiratet, ich (bis heute) auch nicht. Wenn mich einer der Brüder mit seiner Familie besucht, mir vom Familienleben, von den üblichen Auseinandersetzungen und Sorgen mit Kleinkindern, Geld, Beruf, Paarbeziehung, usw. erzählt, ist es mir, als lebe ich am wirklichen Leben vorbei. Beim Zuhören beschleichen mich Zweifel: solche Lebensumstände kenne ich gar nicht. Habe doch eigentlich alles, muss mich um nichts sorgen. Wo immer ich hinkomme, garantiert ein Dach über dem Kopf - muss selber nie eine Wohnung suchen - Nahrung genügend vorhanden, muss nicht mal selber kochen - genug Kleider; besitze zwar kein eigenes Geld aber am Nötigsten mangelt es nie. In Thailand lebte ich mit einer Nonne zusammen welche, sich nichts gönnend, krass arm leben wollte. Könnte eine solche Einstellung nicht auch meinem Leben Sinn geben? Dort lebten wir unter Menschen, welche fast nichts besassen. Besitze ich zu viel? Wie soll ich leben um nicht am "wirklichen" Leben, wie es z.B. meine Brüder leben, vorbei zu leben? Kann mir noch so viele Fragen stellen, Antwort finde ich keine, weil es keine gibt, und ich mir solche Fragen besser sparen sollte. Sie sind einfach ein weiteres Zeichen meiner Unzufriedenheit, meiner Unruhe.
 
Rat-"Schläge", abgelehnte Vorschläge: Hoffnung stirbt zuletzt.
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14.  Zurück in Frankreich: was nun?

Rat-"Schläge", abgelehnte Vorschläge: Hoffnung stirbt zuletzt.
Warum werde ich dieses Gefühl von Unzufriedenheit mit meinem Leben nicht los? 
(2017: Eine bessere Frage wäre gewesen: Warum nehme ich dieses Gefühl nicht ernst? Bedeutet mir meine Einzigartigkeit - jeder Mensch ist einzigartig - zu wenig um mich damit auseinanderzusetzen? Warum?) 
Wird der Frust zu arg, beruhige ich mich mit Sprüchen wie: "Andere haben es auch nicht besser" oder "Andern geht's viel schlimmer", "Jesus hat auch gelitten, wenn du ihm nachfolgen willst musst auch du dein Leiden aushalten und für das Vorwärtskommen der Menschheit aufopfern", usw.
Abhängig vom Berater oder von Beraterinnen.
Heute weiss ich, Ratschläge können tatsächlich wie Schläge sein, wie einen Nagel ins Gehirn hämmern. Soll ich wirklich weiterhin tun und lassen was andere von mir erwarten oder verlangen? Wenn ja, ist es aus Bequemlichkeit? Oder ist es nicht eher, um der eigentlichen, angsteinflössenden Frage auszuweichen: Was wird aus mir werden, sollte ich das Kloster verlassen? Darf ich das überhaupt und wenn, würde ich den Mut aufbringen es auch zu tun? Seit Jahren unterhielt ich regelmässigen Kontakt - in Thailand brieflich - mit einem geistlichen Vater, Seelenführer, Beichtvater, Guru oder wie man ihn nennen mag. Für mich eindeutig eine Vaterfigur. Beim ersten Treffen will er alles über mein Leben wissen. Niemand hatte mir je zuvor so gut zugehört, das kannte ich nicht. Ein geduldiger, herzensguter Mensch. Kann jeweils kaum warten ihn wieder zu sehen oder seine Briefe zu lesen. Jedes Mal hört er mir gut zu. Seine immer gleichen Ratschläge: "Beten Sie mehr - in Ihrer Berufung als Braut Christi sollten Sie doch glücklich sein - Gefühle der Unzufriedenheit im Leben sind normal", usw., halfen mir in meiner Unzufriedenheit mit meinem Leben nie weiter. Auch die eine oder andere Nonne oder Oberin konnten mir mit ihren Ratschlägen, oder mit einem längeren Gespräch, nicht helfen. Ich hörte zu, machte mir gute Vorsätze, bemühte mich mit meinem Leben zufrieden zu sein, doch in mir ..... blieb alles beim Alten.
Eine war anders, doch ich konnte ihr (noch) nicht folgen.
Eine Beraterin war anders. Ich begegnete ihr 1991 (oder 1992?). Keine Klosterfrau. Eine kleine Frau, ausgebildete Psychotherapeutin mit, durch Polyarthritis total verkrümmten Fingern. Zweimal werde ich sie sehen. Ohne viel zu sagen hat sie mich schnell durchschaut. Beim 2. Treffen meint sie zum Schluss: "Könnten Sie sich vorstellen eine gewisse Zeit, sagen wir ein Sabbatjahr, von Ihrer Klosterfamilie Abstand zu nehmen? Könnten Sie sich eine solche Auszeit vorstellen?" Konnte ich (noch) nicht. Schrecklich wie mich diese Idee ängstigt. Beim kleinsten Gedanken an einen solchen Schritt ist mir als falle ich in ein Loch. Nach diesem 2. Mal bin ich nie mehr zu ihr gegangen. Heute denke ich manchmal an sie. Gerne hätte ich ihr später meinen Austritt aus dem Kloster mitgeteilt. Bestimmt ahnte oder wünschte sie damals schon, dass es so weit kommen würde/möge.
Mein Vorschlag für eine Weiterbildung.
Zurück ins Jahr 1988. Durchs Jahr höre und lese ich einiges über Komplementär Medizin mit ihren verschieden Therapiemöglichkeiten. Ein faszinierendes Thema. Könnte mir eine Weiterbildung in diese Richtung gut vorstellen. Könnte z.B. mit einer Ausbildung in Fussreflexzonen-Massage beginnen. Bespreche es mit einer befreundeten Nonne. Zusammen entwerfen wir einen Plan. Wie und wo eine solche Weiterbildung? Teilzeit-Arbeit in der Pflege oder im kirchlichen/seelsorgerischen Bereich? usw. Diesen Plan, ausführlich und schriftlich, bespreche ich einige Tage später mit der Oberin. Sie nimmt kaum Notiz davon, wischt ihn einfach vom Tisch. Ich sei doch als Nonne für die Ärmsten da, hätte dies ja auch per Gelübde versprochen (der Orden hat ein 4. Gelübde: Dienst an den Ärmsten). Nur Reiche würden sich alternative Behandlungen leisten können. Ohne weitere Diskussion lehnt sie den Vorschlag ab. Was jetzt? Resignieren und hoffen, wie schon so oft. Hoffen, dass da wo ich als nächstes hin gesandt würde endlich ein Licht aufgeht. Hatte nicht schon meine Mutter gesagt: "Immer, wenn du meinst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her"?
"Hoffnung stirbt zuletzt".
Nachfolgendes Gedicht von Waclav Havel (tschechischer Dichter, Widerstandskämpfer, Politiker) hängt in meiner Wohnung seit eh und je in grossen Lettern vor meinen Augen: 
HOFFNUNG ist eben nicht Optimismus,
ist nicht die Überzeugung dass etwas gut ausgeht.
HOFFNUNG ist die Gewissheit, dass etwas Sinn hat;
ohne Rücksicht darauf wie es ausgeht!
Ich würde dem anfügen: Als ziemlich eingeschränkte Menschen die wir alle sind, erkennen wir selten den Sinn hinter dem was mit uns, ohne unser Zutun - aber auch wenn wir glauben alles im Griff zu haben - geschieht. Aber gibt es da schlussendlich nicht die Unendlichkeit, uns aus unserer Zeitblase befreiend? Unendlichkeit, in welcher wir nur eine klitzekleine DNA ihrer fortlaufenden Evolution sind?


 
Aix-les-Bains (F) Erholungsklinik für Frauen.
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14.1.  Zurück in Frankreich: was nun? – Aix-les-Bains (F) Erholungsklinik für Frauen..
Hatte die Oberin, als sie meinen Vorschlag für eine Weiterbildung wegschob schon ihren eigenen Plan für mich? Gefragt hatte ich sie nicht, könnte es mir aber gut vorstellen. Eines hatte sich in den Klöstern, schon einige Jahre vor meinem Eintritt, geändert: Hatte eine Frau vor ihrem Eintritt ins Kloster einen Beruf erlernt, darf sie diesen nun als Klosterfrau weiterhin ausüben. In früheren Zeiten war dies nicht so. Damals sollte eine Nonne mittels Negation ihrer selbst - ihrer Talente, ihres Könnens - zu Gehorsam und (falscher) Demut erzogen werden. Dabei wurde sie meistens zu Tätigkeiten verdonnert, welche weder ihrer Ausbildung noch ihren Neigungen entsprachen. Etliche ältere Ordensfrauen erzählten mir wie sie in ihren jungen Jahren unter diesen Zuständen gelitten hatten. Wie zu ihrer Zeit keine Rücksicht darauf genommen wurde was sie gelernt hatten, oder welche Arbeit ihnen besonders am Herzen lag. So wurde z.B. eine mit Kindern vertraute Nonne in eine Küche, eine andere, mit der Pflege alter Menschen betraut, als Kinderbetreuerin versetzt usw.
Daher beruhigt es mich zu wissen, dass solche Zeiten vorbei sind, und ich definitiv weiterhin in der Pflege arbeiten werde. 
Frauen in oder nach Krebsbehandlung. Auszeit für an Depressionen leidende Frauen.
Auf einem Hügel zwischen Aix-les-Bains und dem Lac du Bourget - Kratersee eines uralten Vulkans - befindet sich, umgeben von einem schönen Park, eine Erholungsklinik. Ein wunderschöner Ort für Erholung, fällt mir bei meiner Ankunft als erstes ein. Und an diesem exquisiten Ort darf ich nun mit 5 weiteren Schwestern und zusätzlichem Laienpersonal arbeiten. Die Oberin gleichzeitig die Managerin des Hauses. Die Klinik kann 30 Frauen aufnehmen. Ihre jeweiligen Ärzte verschreiben den Meisten von ihnen eine Aufenthaltsdauer von mindestens 3 Wochen. Nicht selten werden diese um eine oder zwei Wochen verlängert. Wir Ordensfrauen wohnen im Haus, sind daher notfalls auch des Nachts da, was selten vorkommt. Aus rein pflegerischer Sicht bin ich eher unter- als überfordert. Was aber das Menschliche, das Emotionale betrifft, da komme ich so richtig dran. Viele verschiedene Schicksale, viel Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit, Unwohlsein wenn eine Frau nach Chemotherapie oder Bestrahlung zurückkommt. Oder wenn ich mich angesichts einer depressiven Frau einfach nur ohnmächtig fühle: keine Ahnung wie ich sie da "rausholen" könnte. Nach dieser Erfahrung mit an Krebs oder an Depression (oder beidem) leidenden Frauen, kann ich sagen: es fiel mir leichter mich einer Krebskranken zu widmen als einer Depressiven zuzuhören. Würde sogar sagen: wenn ich für mich zwischen Krebs und Depression wählen müsste - zum Glück kann man Krankheiten nicht auswählen!!!! - würde ich mich für Krebs entscheiden. Den Zustand, die Gemütsverfassung einer depressiven Frau finde ich viel schlimmer als Krebs. Die davon betroffenen Frauen bringen mich oft an die Grenze meiner Geduld. Darum setze ich mich an vielen Nachmittagen im gemeinsamen Aufenthaltsraum zu ihnen. Wir plaudern, stricken (viele Pullis habe ich gestrickt in jenen Jahren!) oder spielen Karten: "la Belote" (ähnlich wie Jassen), "Tarot" habe ich dort gelernt - spielte es besonders gern - "Rummi". Fast hätte ich sogar "Bridge" gelernt. Doch die gute Bridge-Spielerin beendete ihre Kur zu früh. 
 
Zeichen einer Depression und 2 Familienfeiern als Leuchtpunkte
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14.1.  Zurück in Frankreich: was nun? – Aix-les-Bains (F) Erholungsklinik für Frauen..

Zeichen einer Depression und 2 Familienfeiern als Leuchtpunkte
1992: Mein Leben, meine Arbeit in Aix-les-Bains, könnte eigentlich besser kaum sein: an einem wunderschönen Ort wohnen, nette Kolleginnen, gutmütige Oberin, im Beruf nicht arg gefordert, dafür Zeit für Lieblingsaktivitäten wie stricken, spielen, singen, interessante Frauen kennen lernen und sie in schweren Zeiten begleiten, und doch….. und doch? Was nörgle ich denn weiter in und an mir herum? Die Ablehnung der Provinzial-Oberin für eine Weiterbildung beschäftigt mich immer noch. Und immer noch hänge ich sehr (zu sehr...) an meinem priesterlichen Berater, der mir weiterhin gut zuspricht, wenn ich mit meiner Unzufriedenheit nicht klarkomme.
Glauben hilft nicht, beten hilft nicht.
Im Glauben (wie ich ihn damals verstand) komme ich nicht weiter. Beten im geläufigen Sinn sagt mir immer weniger zu. Eigentlich hatte es mich nie sonderlich berührt - wie es andere zu berühren schien. Über Gott (wie ich ihn damals verstand) bin ich so wütend, dass ich mal einem Beichtvater etwas unverschämt ins Gesicht schleudere - sass ihm, anstatt im Beichtstuhl hinter Gitter, in einem Zimmer gegenüber: "Was ist das denn für ein Gott, der ist doch total ungerecht. Sehen Sie selbst das denn nicht ein?" Sprachlos sieht er mich an, ungläubig und aufgebracht kann er nur stottern: "Das dürfen Sie nicht sagen." 
"Die spinnt!"          Spinnt die?     
Ich kann verstehen wenn Lesende jetzt rufen: "Die spinnt! - die hätte doch schon lange...... das sieht ja ein Blinder was die tun sollte!" Aber eben, ich war ja die Blinde, eine Ohnmächtige. Was ich hätte tun sollen, oder tun können, sah ich nicht, und wenn, wollte ich es nicht wahrhaben. Lähmende Angst hielt mich innerlich weiterhin gefangen, dann halt einfach gewohnheitsmässig weiter machen: "der Mensch ist ein Gewohnheitstier".  
Was für Umwege - sind es überhaupt Umwege? - muss man manchmal im Leben gehen, bis man sieht, bis man einfach nicht mehr kann und wie aus einem Tiefschlaf erwacht. Und hier sage ich: "Wohl denen die es nach dem Erwachen auch schaffen!" Und dies gilt nicht nur für die Geschichte meines Lebens. Bestimmt hält das Leben für die meisten Menschen Momente der Neubesinnung und folglich Neuorientierung ihres innersten - manchmal auch äusseren - Daseins bereit. Weiss Mann/Frau solche Chancen dann auch zu erkennen und zu nutzen? Diesbezüglich "klopft" das Leben nämlich meistens in schmerzlichen Momenten an. Werden solche Momente nicht eher verdrängt, statt genau hinzusehen und die darin erhaltene Chance zu packen? - ich spreche aus Erfahrung! Neue Schritte wagen, aus dem "Gewohnheitstier" ausbrechen, müsste die Folge sein.
(In der Kirche nennt man es "Bekehrung". Begriff, den man während der Fastenzeit oft hört: "Entsagt der Sünde, bekehrt euch". In meinen Augen fälschlicherweise ausschliesslich auf Moralisches fixiert.)
Bis heute empfinde ich wie ein grosses Geschenk, dass ich es geschafft habe. Hatte damals einige Nonnen seufzen gehört: "Wenn ich noch jünger wäre, würde ich auch gehen", usw. 
Doch vorerst bin ich noch nicht so weit; nicht glücklich, aber auch nicht unglücklich genug, um etwas in meinem Leben zu verändern. In jenem Jahr klingt das so: "Mir ist doch alles egal. Seit über 20 Jahren bin ich Nonne, habe dieses Leben einigermassen schlecht und recht gelebt, werde es bestimmt noch weitere 20, 25 Jahre aushalten, dann ist eh alles vorbei...". Dies meine Gefühlslage zu Beginn der Neunziger Jahre. In jener Zeit suchte ich eine Psychotherapeutin auf (mehr dazu Seite Rat-"Schläge".... unter: "Eine war anders....).

1992: 2 x ein wichtiges Familienfest.
Im Oktober feiert meine Mutter ihren 80. Geburtstag, einen Monat später heiratet mein jüngster Bruder. An runden Geburtstagen meiner Eltern oder Hochzeiten meiner 4 jüngeren Brüder durfte ich jedes Mal dabei sein. Als ich nach der Hochzeit im Zug nach Aix-les-Bains zurückfuhr, tief betrübt in Gedanken versunken nach dem Fest mit der Familie, wird mir plötzlich klar: "Jetzt ist Schluss! Sobald ich zurück bin stelle ich der Oberin den Antrag für eine Auszeit. Was immer auf mich zukommt, ich muss es tun".


 

 
 
Die Provinzial-Oberin kommt meinem Wunsch zuvor.
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15.  Letzte Hoffnung: die English Sisters in London

Die Provinzial-Oberin kommt meinem Wunsch zuvor.
Zurück in Aix-les-Bains staune ich als mir die Kolleginnen den Besuch der Provinzial-Oberin für den nächsten Tag melden. Sie wolle an diesem Tag mit jeder Nonne ein Einzelgespräch führen. Uff, geht mir durch den Kopf, so ein Zufall, das gibt's doch nicht, jetzt muss ich mich gar nicht erst zu ihr bemühen, um ihr meinen Wunsch für eine Auszeit vorzubringen.
Vergrösserung der Gemeinschaft in London.
Mein Einzelgespräch mit der Oberin dauert nicht lang. Bevor ich nur schon den Mund öffnen kann höre ich: London, die Gemeinschaft in London müsse durch eine zusätzliche Schwester vergrössert werden. Auf alles andere war ich gefasst aber nicht auf London. Dort leben 3 unserer Schwestern seit ca. 4 Jahren in einem der ärmeren Viertel der Stadt. Zwei von ihnen Lehrerinnen, die dritte in Pfarrei und Quartier als Sozialarbeiterin tätig. In jenem Jahr (1993) wollen zwei junge Engländerinnen ihr klösterliches Leben bei ihnen beginnen. Um diesen einen ersten Einblick ins Leben von Klosterfrauen zu ermöglichen, will mich nun die Oberin, als zusätzliche Schwester, nach London versetzen. Soll das jetzt meine Auszeit werden, um die ich sie bitten wollte, mein ursprünglicher Plan einer echten Auszeit - weg von Kloster und Nonnen - über den Haufen werfend? Kopfzerbrechen!    
Letzte Flucht nach vorn.....
Auch wenn der Wunsch der Oberin nicht ganz dem meinen einer Auszeit entspricht, reizt mich - einmal mehr! - die Vorstellung des Wechsels, des Weggehen, des Neubeginns in einem neuen Umfeld. Diese Tendenz: "Altes-hinter-mir-lassen, neugierig-sein-auf-Neues", mit gleichzeitiger Hoffnung am neuen Ort glücklicher zu werden, hat mich meine ganze Zeit als Ordensfrau begleitet. Diese stete Flucht nach vorn, um mir schliesslich bewusst zu werden, dass ich MICH selbst überallhin mitnehme, und dass genau hier das Problem liegt. Es sind nicht äussere Umstände die für mein glücklich- oder unglücklich-sein verantwortlich sind. Ich selbst bin dafür verantwortlich. Wie hat doch Sokrates so stimmig gesagt: "Du kannst reisen wohin du willst, am Ende nimmst du doch immer dich selbst mit. Und das ist gut so." (Sokrates)
Doch vorerst freue ich mich - wie jedes Mal bei einem Wechsel.... - auf das Leben bei den Schwestern in London. Zwei von ihnen kenne ich gut, weiss wie offen und locker sie ihr Leben als Ordensfrauen leben; nicht so engstirnig wie oft in Frankreich erlebt. Innerlich aber, weiss ich jetzt plötzlich ganz genau: "Ich gebe mir eine letzte Chance. Dies muss meine allerletzte Chance sein. Wenn diese misslingt gebe ich mir keine weitere".
Die ersten Monate in London, so ganz anders, tatsächlich eine Art Auszeit. Diese wird sich um viele Monate, an einem ganz anderen Ort, verlängern; in einem Umfeld, wie ich es mir vorzustellen nie gewagt hätte...... 
 
 
 
Jetzt oder nie mehr....
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15.  Letzte Hoffnung: die English Sisters in London

Jetzt oder nie mehr....
Juli 1993: Ankunft in London. Meine neuen Kolleginnen freuen sich mich zu sehen. In ein paar Tagen würden auch die beiden Anwärterinnen bei uns einziehen. Bin gespannt.
4 Klosterfrauen, 2 Anwärterinnen: das gemeinsame Leben muss neu organisiert werden. Wer übernimmt welche Aufgaben in der WG, gemeinsame Gebetsstunden, usw. Zwei Monate später fahren wir, eine der Schwestern und ich, mit den beiden Anwärterinnen für 10 Tage auf ein Landgut ausserhalb Londons. Für uns 4, besonders aber für die zwei Neuen soll es eine Zeit der inneren Einkehr, des Gebetes, des Nachdenkens und für Gespräche sein. Dass es für mich selbst eine besonders schmerzliche Zeit sein würde hätte ich nie gedacht, denn nur 2 Tage nach unserer Ankunft dort, scheinen alle Dämme in mir brechen zu wollen........
........ und..... ich lasse sie brechen: Zusammenbruch.
Plötzlich, ohne Vorwarnung, wird mir schmerzlich bewusst, dass nichts mehr so weitergehen kann wie bisher. Besser gesagt: ich will nicht mehr, dass es so weitergeht. Was oder welches Ereignis genau diese Erkenntnis hervorrief bleibt mir schleierhaft, bis heute. Ich wusste es einfach. Zurück in London verlässt uns die erste Anwärterin, die zweite etwa 2 Monate später. Dass ich selber nicht in bester Verfassung bin, bleibt den anderen Schwestern nicht verborgen. Da im Moment nicht absehbar sei welcher Arbeit ich an Ort und Stelle nachgehen könnte, meint die Oberin: "Ich glaube deine Not erkannt zu haben. Du musst endlich etwas für dich selbst tun und zwar mit therapeutischer Hilfe. Es gibt in der Nähe von Birmingham eine ausgezeichnete Institution, eine therapeutische Gemeinschaft. Dort werden in Lebenskrisen lebende Priester und Ordensfrauen, während 6-8 Monate therapeutisch betreut. Mit den dort angebotenen Therapien wird ihnen ermöglicht, ihr Leben besser oder neu zu ordnen. Ich kann dir einen Aufenthalt dort nur wärmstens empfehlen. Wenn du das willst solltest du dich, am besten gleich, für ein Assessment (Beurteilung) dort melden." Ich will.
Auf Geist, "Herz" und Nerven getestet.
Eine solche Beurteilung dauert 3 Tage. Die Kandidaten/-innen werden verschiedenen Tests unterzogen und führen Gespräche mit 4 verschiedenen Therapeuten. Am Ende entscheiden diese ob die betreffende Person in ihrer Institution auf angemessene Hilfe zählen kann oder sich doch eher in psychiatrische Behandlung begeben sollte. Ich bekomme grünes Licht, sei eine typische Kandidatin wie sie viele hätten, wird mir mitgeteilt. 

"DU BIST ES WERT!"
Als ich im Zug zurück nach London sitze, Zeit habe alle erhaltenen Unterlagen für einen eventuellen Eintritt in diese therapeutische Gemeinschaft zu studieren; als mir beim Lesen klar wird wie viel ein solcher Aufenthalt kostet - 6 bis 8 Monate Vollpension, Einzel-, Gruppen-, Mal/Kunst,- Psychodrama- und Bewegungstherapien - wird mir schlecht. Darf ich solch horrende Kosten der Gemeinschaft in London zumuten? Ich darf! Als ich der Oberin diesbezüglich meine Bedenken äussere sagt sie, wie wenn es absolut selbstverständlich wäre: "you are worth it" (du bist es wert). Ich insistiere: "Würdet ihr auch dann so viel Geld für mich ausgeben, wenn ich mich im Nachhinein entscheide mein Leben als Ordensfrau zu beenden?" Auch hier, kein Zögern ihrerseits, sondern mit diesmal noch verstärkter Wiederholung: "Was immer du danach für dich entscheidest, du bist es wert. ALS MENSCH UND ALS FRAU BIST DU ES WERT!"
Dieser Satz "haut" mich noch heute um, werde ihn nie vergessen!
Auch ihr habe ich diese Grosszügigkeit nie vergessen. Heute 2017 ist sie 82 Jahre alt. Als ich sie im Sommer 2015 in London besuchte, habe ich sie wieder an unser damaliges Gespräch erinnert. Habe ihr auch verraten, wie dieser Satz seither wie ein Stern über meinem Leben steht.

 
 
Spezielle "Welt" in Heronbrook-House
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16.  Therapeutische Gemeinschaft in "Heronbrook-House"

Spezielle "Welt" in Heronbrook-House
Am 22. November 1993 reise ich nach Birmingham. Die Pförtnerin von "Heronbrook-House", einige Kilometer ausserhalb der Stadt, erwartet mich am Bahnhof. 
Heronbrook-House: ein Gebäudekomplex inmitten eines weitläufigen Parks. Das Haupthaus, ein altes englisches Landhaus mit etwa 15 Zimmern, grossem Esszimmer, grosser Küche, und mehreren Aufenthaltsräumen. Daneben freistehend, ein sogenannter "Barn" jetzt ein Gesellschaftsraum, mit zusätzlichen Zimmern im 1. Stock. Dazu eine schöne Kapelle für den tägl. Gottesdienst und 2 weitere Gebäude: eines mit Mal- und Töpferateliers, das andere eine Turn- Sport- Spielhalle.
Tägliches "Masterpiece": Gruppentherapie von 10 bis 11 Uhr.
Gleich am Morgen nach meiner Ankunft sitze ich Punkt 10 Uhr mit etwa 26 Frauen und Männern - davon 4 oder 5 Therapeuten/-innen - im Kreis. An diesem Tag bin ich die Neue, darum mehr oder weniger zögerlich aller Augen auf mich gerichtet. Kurz und knapp stelle ich mich vor. "You are welcome", tönt es abschliessend von da und dort. Danach nimmt alles seinen Verlauf, so wie ich es in diesem Raum in den kommenden Monaten (werk)-täglich erleben werde: Wer sich melden will kann reden, klagen, sich entrüsten, über was auch immer. Hauptsache Mann/Frau nimmt diese Möglichkeit wahr. Hauptsache Mann/Frau "outet" sich (würde man in "Denglisch" sagen). Nur so wird man zu einer Art Angriffsfläche. Nur so können Ansichten, Verhaltensweisen, Einstellungen in Frage gestellt werden. Jede/r kann sich zu jeder Zeit einmischen, muss aber gleichzeitig damit rechnen selbst in Frage gestellt zu werden, z.B. auch durch eine/n der Therapierenden - Letztere zwar nur selten das Wort ergreifend. 
Was mir bald auffällt und zum Staunen bringt ist diese Einsicht: Je mehr du von dir preisgibst, je mehr du offen, ehrlich und wahrhaftig bist, desto mehr Menschlichkeit und aufrichtige Teilnahme - sprich Liebe - erfährst du.
Während längerer Zeit bleibe ich nur Zuhörerin, halte mich wann immer möglich zurück. Halte mich zurück, weil ich mir doch nicht ganz so sicher bin, ob mein Englisch wirklich gut genug sei - was mir zwar damals beim Beurteilungsgespräch attestiert wurde: mein Englisch sei "good enough", und ich werde bei ihnen in Kürze noch viele Fluch- und Schimpfwörter dazulernen. Zum Reden aufgefordert wird niemand. Reden, sich "outen" oder eben nicht, liegt in der Entscheidung jedes Einzelnen. Ich höre und staune: Unglaublich wie offen sich die Beteiligten verhalten. Wie sie über ihre Lebenswege, Umwege, Irrwege, Schicksale berichten. Eine junge Schwester will endlich den sexuellen Missbrauch eines Onkels in ihrer Kindheit verarbeiten. Ein Priester, schon länger in verstecktem Verhältnis zu einer Frau, will sich nicht mehr verstecken müssen. Ein pädophiler Priester, von seinem Bischof zur Therapie hergeschickt - müsste sonst in Irland ins Gefängnis. Leicht alkoholabhängige Priester (schwer Abhängige werden nicht aufgenommen, würde die Möglichkeiten des Hauses sprengen). Priester die nicht zu ihrer Homosexualität stehen dürfen. Und immer wieder Klosterfrauen oder Priester in Midlife-Crisis. Wenn eine/r denkt, über gewisse Dinge nur in Einzeltherapie sprechen zu können, kann er/sie das tun, wird aber von seinem/ihrer persönlichen Therapeuten/-in ermutigt, auch in der Gruppe darüber zu reden. 20 Ohrenpaare, 20 Hirne und Herzen würden einen viel grösseren Reichtum an Weisheit und Menschlichkeit hervorbringen als ein einziges Gegenüber, meinen diese. Dass dies voll und ganz stimmt, werde ich bald am eigenen Leib (Seele) erfahren....... 
Therapien
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16.  Therapeutische Gemeinschaft in "Heronbrook-House"

Therapien
In Heronbrook gebe es zwar ein gut strukturiertes, vielseitiges Therapieprogramm, aber die eigentliche Therapie finde während 24 Stunden - Tag und Nacht - statt, wiederholen die Therapierenden immer wieder. Die eigentliche Therapie sei unser tägliches Zusammenleben, unser achtsames Aufeinander zugehen, meinen sie. Dies sei die beste Art sich selber besser kennenzulernen, sofern man denn bereit, offen genug sei, um dies auch zu wollen. 
Hier das Wochenprogramm:
Jeden Tag: Gespräch-Sitzung aller Anwesenden im grossen Saal von 10-11.
1x pro Woche: Gespräche in kleineren Gruppen, nur 4-5 Personen mit 2 Therapierenden.
1x/W: Einzelgespräch mit dem/der persönlich zugewiesenen Therapeuten/in.
1x/W: Psychodrama in kleiner Gruppe.
1x/W: Mal/Kunsttherapie in kleiner Gruppe.
1x/W: Keep Fit-Turnen (Aerobic). 

Malen, Zeichnen, modellieren mit Ton.
Mein Highlight der Woche ist die Art-Therapie mit Robina. Eine quirlige Therapeutin mit afrikanischen Wurzeln, voller Leben und mit immer überraschenden Einfällen. Nur 5 oder 6 sind wir jeweils bei ihr im Atelier. Eines Tages beginnt sie die Sitzung mit diesem Vorschlag: "Geht im Atelier umher, sucht euch was auch immer für Gegenstände aus und gestaltet damit was immer euch dazu einfällt". Völlig perplex streife ich eine Weile herum, ohne zu wissen was mich denn da drin inspirieren könnte. Die andern haben bald ihr/e Objekt/e gefunden, versuchen längstens kreativ etwas damit zu machen, während ich..... immer noch am Suchen unruhig und nervös werde. Beim letzten, etwas entnervten Anlauf nehme ich mir die zwei, zuvor leichtsinnig verworfenen - "zu wenig spektakulär" - schönen etwa gleich grossen Steine, ein weisser und ein schwarzer, genauer unter die Lupe. Mangels Besserem - und Angesichts der ach! schon längstens kreativ schaffenden Andern - sollen diese Steine genügen. Doch was soll ich jetzt damit? Könnte z.B. Weiss für Geburt und Schwarz für Tod gelten? Ich lege sie auf dem Tisch vor mich hin - weiss links, schwarz rechts. Irgendwie leer finde ich, etwas fehlt. Fehlt nicht etwas dazwischen? Nur diese 2 Steine, soll das alles sein? Dazwischen ist doch Leben!... das ist die Lösung. Klar: Leben, aber was? wie?.... "life is shit", rufe ich in die Runde, spurte durch den Raum und raffe allerlei Herumliegendes auf den Tischen zusammen. Mit Verachtung, nochmals "life is shit" rufend, schmeisse ich den ganzen Kram zwischen die beiden Steine. Erleichtert, in letzter Minute doch noch etwas "geschafft" zu haben, stehe ich da, betrachte mein "Werk". Auf leisen Sohlen nähert sich Robina. Eine Weile sagt sie nichts, nickt nur langsam mit dem Kopf. Schliesslich meint sie: "Und, was sagst du dazu? Schau genau hin, siehst du immer noch "shit"? Nein, eigentlich ist alles farbig und facettenreich, wie es das Leben auch ist. Sogleich zückt sie ihre Kamera und fotografiert mein "Werk" (s. Foto) - ist ja nur kurzlebig. Kurzlebig wie ein Menschenleben im unendlichen, zeitlosen Universum...... 
Die Ateliers sind Tag und Nacht geöffnet. Hingehen können wir wann immer wir Lust zum Malen oder Modellieren haben. Eine gute Gelegenheit Frust und Enttäuschung im Ton zu verarbeiten, oder meditierend zu malen. Viele, viele, Stunden stand oder sass ich in diesen Räumen, meistens allein, immer mehr fand ich Freude am Malen. 
Keep fit und viel herumspazieren.
Um körperliches Rosten zu verhindern, trainieren wir einmal pro Woche mit einer Aerobic-Lehrerin. Mit Musik und den typischen Bewegungen heizt sie unsere Körper und Glieder so richtig ein und auf. Wochenende bedeuten viel freie Zeit. Während dieser gehen wir oft in der näheren Umgebung spazieren, unternehmen kleinere, hin und wieder auch grössere Ausflüge, oder sitzen einfach im Salon herum und plaudern. 
 


(1) "Life is shit", rief ich bei dieser Komposition. Nein! Leben ist farbig.
"Life is shit", rief ich bei dieser Komposition. Nein! Leben ist farbig.

 

 


 

Teenager mit 50.
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16.1.  Therapeutische Gemeinschaft in "Heronbrook-House" – Teenager mit 50..
Lebensphasen, wenn zur richtigen Zeit nicht gelebt - aus welchem Grund auch immer - holen dich früher oder später ein, sagt man allgemein. Ich vermute, dies könnte bei mir bezüglich Teenagerzeit so gewesen sein, eine wenig bis gar nicht gelebte Phase. Rebellierte ich in jenen jungen Jahren? Schwärmte ich für Jungs? "Bretzelte" ich mich auf, schminkte ich mich? Woher auch, meine Mutter tat es nicht. Nicht einmal Lippenstift habe ich je bei ihr gesehen. Nichts von alldem, erinnere ich mich, habe ich je gelebt. War ich zu schüchtern, zu brav? Bestimmt beides. Dass mich diese (verpasste?) Zeit in Heronbrook auf schmerzliche Weise einholen würde, hätte ich nie gedacht. Bleibt mir eigentlich bis heute ein Rätsel: wie kommt es dass der Verstand, trotz Alter, plötzlich nicht mehr genügt, dass er sich, wie von hinterhältiger Hand gesteuert, einfach ausschaltet? Hatte er es einfach satt, immer "vernünftig-sein" zu müssen? Heute würde ich sagen, es lag am Ort, an den Menschen dort, am sehr speziellen Leben geprägt von Offenheit, Ehrlichkeit mit- und untereinander. Kurz: eine Art geschützter Ort wo Masken fallen, wo alles was zum Menschsein gehört - hier besondere Schwächen, vermeintliche Irrwege, Ängste - ohne Scham oder Angst (aus)gelebt werden durften. Wo Mann/Frau, wie auch immer, sich selbst sein, und trotzdem, oder gerade deshalb, geliebt wurde.  
(2017: Lange zögerte ich Folgendes zu schreiben. Bin immer noch nicht sicher ob es richtig ist. Ist es nicht zu viel öffentlicher Offenheit? Mich schämen, weil ich es wage offen zu schreiben? Nein. Verletze ich jemanden damit? Nein. Im Gegenteil, könnte ja sein, dass Lesende Ähnliches erlebt haben, und nun wissen, dass sie damit nicht allein sind.) 
Nach Aufmerksamkeit und Anerkennung lechzend.
Schon wenige Tage nach meiner Ankunft wird einer der Therapeuten mein Favorit. Einige Jahre älter als ich, imponiert mir sein Auftreten, die Art wie und was er redet. Ich fühle mich zu ihm hingezogen, versuche "per Zufall" dort zu sein wo er vielleicht vorbeikommt, setze mich in der allmorgendlichen Runde so hin, dass er mich nicht übersehen kann, verfolge seine Blicke. Sieht er mich? Schaut er mich an? Sitzt er mal nicht in der Runde, vermisse ich ihn. Das Gleiche mit Robina der Kunst-Therapeutin. Sieht sie mich? Bin ich jemand in ihren Augen? Schätzt sie mich? Schätzt sie mich mehr als die Anderen?
(Dass ich mich damals, fast 50, noch mit solchen Gefühlen herumschlagen musste - selbst gewählt hätte ich sie nie, zu schmerzhaft - bleibt zwar bis heute eine schmerzliche Erinnerung, aber manchmal kann ich auch darüber lachen. Doch genau so wie ich es beschreibe war es. Trotz "Raisoning" waren solche Momente damals Realität. Und ich litt!) Während mehreren Monaten interessieren mich die anderen Mitbewohner/-innen wenig. Was ich will ist Anerkennung, besondere Aufmerksamkeit von den Therapierenden; was ihnen nicht verborgen bleibt: "Schau mal genau in die Runde", meint eines morgens Derek, mein Favorit, "hier drinnen sitzen nicht nur 5 oder 6 Therapeuten/-innen-Hirne. Hier sitzen noch 20 weitere mehr oder weniger schlaue, gescheite Köpfe: ein Pool an Weisheit und Erfahrung, viel reicher als nur 5 oder 6. Alle hier Sitzenden haben dir vielleicht auch etwas zu sagen, wenn du ihnen genau zuhörst und nicht nur auf uns Therapierende fixiert bleibst". Klar, das leuchtet mir ein. Aber im Kopf (oder doch eher im "Herz"?) kann ich den "Schalter" nicht einfach von heute auf morgen von "aus" auf "ein" stellen, oder umgekehrt. Aus Frust rebelliere ich erst mal mit........
Allen in der Runde die Zunge herausstrecken?.....
..... wollte ich eigentlich nicht. Aber so kam es schliesslich mehr oder weniger rüber. Eigentlich wollte ich mir einfach mal einen Scherz erlauben, in die tägliche immer ernste Gruppensitzung einen Lacher bringen. Also zeichnete ich im Atelier diese Fratze, dem täglichen "Terror" einer Gruppensitzung die Zunge herausstreckend (s. Foto). Am darauffolgenden Morgen bin ich zeitlich vor den andern im Saal, lege das Bild auf den Boden, setze mich und warte - tief atmend um mich zu beruhigen - der Dinge die da kommen mögen. Nacheinander kommen alle rein, gucken kurz auf das Bild, setzen sich: keine Reaktion. Die Sitzung beginnt wie jeden Tag, jemand beginnt zu reden, wird aber sofort von einem der Therapeuten unterbrochen. Dieser schaut in die Runde, auf das Bild am Boden, wieder in die Runde: "Was ist mit diesem Bild, wer hat das gezeichnet? Und warum?" Steif sitze ich da, wage kaum zu atmen. Eine kurze Weile herrscht Stille, allgemeines Rätseln. Herzklopfend, sicher hochrot im Gesicht wie auf frischer Tat ertappt, melde ich mich schliesslich: "Habe mir einen Scherz erlauben wollen. Wie ich nun sehe bin ich vielleicht zu weit gegangen?" Ja, das denke er, erwidert der Therapeut. Er sehe in dieser Zeichnung eher eine Absage an alle hier drin. So etwas wie, "ihr könnt mich mal".... Und trotzdem kann er sich dabei ein verschmitztes Lächeln nicht verklemmen. Oder hatte ich seinen Gesichtsausdruck falsch interpretiert? Habe es nie erfahren. Nach diesem Intermezzo verläuft die Sitzung wie üblich. Später, nach der Sitzung, von den Anwesenden dann doch noch den einen oder anderen Lacher. Einige meinen sogar: "Bist du aber mutig, ich hätte mich nie getraut so etwas zu tun", usw. Mutig? nein, eher eine Dummheit, die ich lieber nicht getan hätte. Als ich im Frust drauflos zeichnete war das o.k. Dieses, dem Frust entsprungene Bild dann allen vor die Nase setzen? Nein!... darf sich vielleicht eine 15-jährige erlauben, aber nicht eine bald 50-jährige. Und dies wird noch nicht alles sein......  
Einfach mal streiken.
Eines Tages, die Gruppensitzung kaum begonnen, laufe ich verärgert einfach weg. Weshalb verärgert, weiss ich heute nicht mehr. Wahrscheinlich einmal mehr aus dem Gefühl heraus, zu wenig Aufmerksamkeit erhalten zu haben. Ich schliesse mich im Töpferatelier ein und entlade meinen Frust am Ton. (Ein tanzendes Paar entsteht) Natürlich muss ich mich am nächsten Tag in der Sitzung erklären, und dies sofort, ohne Aufschub, sagen mir etwa 25, auf mich gerichtete Augenpaare. Komme mir vor wie ein nasser Hund. Kleinlaut bitte ich alle um Verzeihung. Und nein, es gibt keine Schelte, nur eine Frage: "Warum kannst du nicht einfach hier drin wütend sein und uns dann sagen warum? Wäre eine bessere Art mit deiner Wut umzugehen. Denk mal darüber nach".  


(1) Aus Frust gezeichnet. Sollte alle zum Lachen bringen. Bewirkte aber mehr oder weniger das Gegenteil.
Aus Frust gezeichnet. Sollte alle zum Lachen bringen. Bewirkte aber mehr oder weniger das Gegenteil.

 

Schmerzhafte Träumereien und noch schmerzhaftere Realität.
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16.1.  Therapeutische Gemeinschaft in "Heronbrook-House" – Teenager mit 50..

Schmerzhafte Träumereien und noch schmerzhaftere Realität.
1994: Ein halbes Jahrhundert werde ich im November gelebt haben. Noch ist es nicht so weit. Noch stehe ich mitten drin in diesem schmerzhaften Prozess, wie es bei einer ehrlichen
Auseinandersetzung mit sich selbst meistens einer ist. Schwärme ich für diesen Mann, wie es Teenager oft tun? Ist es Sehnsucht nach einer Vaterfigur welche mir - so scheint mir - mehr Anerkennung entgegenbringt als es meinem Vater aus Zeitmangel je möglich war? Oder fühle ich mich als Frau ganz einfach hingezogen zu einem Mann, der mir gefällt? Im Nachhinein beim Verlassen dieser Institution wusste ich, dass in dieser verworrenen Gefühlslage von allem etwas drin lag.
"You are always in my mind". (singt Elvis)
Ja, dieser Derek nimmt von Anfang an in Kopf und Gefühlen immer mehr Platz ein. Eine Art Besessenheit. Ich "muss" da sein wo er sich gerade aufhält oder vorbeikommt. Keines seiner Worte soll mir entgehen. Fühle mich überglücklich, wenn er mich mal anspricht, ein nettes Wort sagt. Schäme mich hinterher, dass ich so bin, meine Gefühle nicht im Griff habe. Anscheinend können das andere...? Warum kann ich es nicht? Damals im Noviziat war es doch genau auch so. Auch zu jener Zeit fragte ich mich, warum nur ich die volle Aufmerksamkeit der Novizenmeisterin ("Mutter"...) suchte und die andern zwei überhaupt kein Problem mit solchen Gefühlen zu haben schienen.
(Solche 'Warum' erhielten natürlich nie eine Antwort. Jeder Mensch lebt sein eigenes, einzigartig geformtes, oft - sogar von ihm selbst - unverständliche Leben. Und so war und ist halt meines auch. 'Warum' ist Zeitverschwendung. Eine bessere Frage wäre: "Was und wie lebe ich hier und heute, mit dem was ich bin - geworden bin - mit dem was ich erhalten oder eben nicht erhalten habe?")  
Zum Glück sind die anderen Bewohner/-innen da. Jetzt erst lerne ich sie besonders schätzen. Endlich bedeuten sie mir mehr als "nur Nebensache" neben den Therapierenden. Jene, denen ich mich anvertraue meinen: "Maria, it is good to feel what you feel", oder: "I would like to feel what you feel". Eine meint sogar: "Ich beneide dich um deine Gefühle. In meinem ganzen Leben durfte ich nie solche Gefühle erleben". (Etwa 10 Jahre älter als ich.) Auch Anne, meine persönliche Therapeutin, äussert sich in ähnlicher Weise: "Steh zu deinen Gefühlen ("stay with it": oft hörte ich von ihr diesen kurzen Satz...). Du wirst sehen, du wirst daraus viel Kraft schöpfen für dein weiteres Leben, auch wenn dir noch einige schmerzhafte Momente bevorstehen."
Weiter träumen.... 
Oh-weh-oh-weh! Mit guten Vorsätzen und Willen ist es nicht getan. Vorerst verliere ich mich in meinen Fantasien. Wo wohnt dieser Derek? Ist er verheiratet, getrennt, geschieden? Dass er eine Frau hat, aber seit längerer Zeit von ihr getrennt lebt, finde ich schnell heraus. Auch dass er einen erwachsenen Sohn hat. Bleibt nur noch herauszufinden wo er wohnt. Aus seinem eigenen Mund höre ich eines Tages den Namen der Stadt: Leamington. Etwa eine halbe Stunde mit dem Zug von Heronbrook entfernt. Schnell Strasse und Hausnummer im Telefonbuch finden. Auch kein Problem. Mit einer Kollegin, welche auch Lust auf einen Ausflug hat, "pilgere" ich an einem Samstag hin, schaue mir sein Haus von allen Seiten an. Weil es ganz nah an einem wunderschönen englischen Park/Garten liegt, verbringen wir in diesem unsere freie Zeit. Am folgenden Samstag geh ich nochmals hin, diesmal ganz allein. Lange halte ich mich in der Nähe seines Hauses auf. Und wenn er jetzt plötzlich herauskommt, was dann? Welche Ausrede, stottern? Und prompt kommt er heraus: Nette Begrüssung, einige Worte über die Sehenswürdigkeiten der Stadt und weg ist er. Ich verdrücke mich. Heute komme ich mir vor wie eine "Stalkerin" wenn ich an diese Ausflüge denke. Wirklich verrückt muss ich da gewesen sein! Wie kann man nur so ver-rückt (der Vernunft entrückt) sein! In meinem Alter! Nun ja, etwas später musste ich dafür "büssen"! Denn sehr weh getan hat es, als ich vom "Himmel" fiel.....
Absturz in die Realität.
Am nächsten Tag im Kleingruppen-Gespräch (4-6 Personen, 2 Therapierende), spricht Derek diesen, meinen "Ausflug" direkt an: "Maria, es stört mich, wenn ich dich um mein Haus schleichen sehe. Weisst du, Fantasien können schön sein, ist sogar gut welche zu haben. Problematisch werden sie erst wenn du glaubst sie würden sich auch verwirklichen. Ich bin gerne dein Freund der dich, so lange du hier bist begleitet, mehr aber nicht".
(Diese Aussage, übersetzt aus dem Englischen, ist mir heute noch Wort für Wort präsent. Sie hat so weh getan.) Nichts beizufügen.
Schlag auf Schlag total benommen scheint mein Herz still stehn zu wollen. Am Abend kann ich nichts essen, will nur noch schlafen, verkrieche mich auf mein Zimmer. Liebe Kolleginnen kommen vorbei, sprechen mir sachte zu oder setzen sich stillschweigend einen kurzen Moment zu mir.....
Gedankenlos, von Wut und Schmerz getrieben: einfach weg, allein sein.
Tags darauf findet an Stelle der üblichen morgendlichen Sitzungsrunde ein Seminar mit einem speziellen Redner statt. Eine Stunde höre ich ihm zu. Wobei, ich höre gar nichts. Es könnte ebenso gut Bla-bla sein, ich höre nichts. Meine Gedanken, wenn ich denn überhaupt zu solchen fähig wäre, sind anderswo. Ich sehne mich nach der Pause. Werde nach dieser bestimmt nicht zurückkommen, habe ich mich heimlich entschieden. Als in der Pause alle mit Kaffeetrinken beschäftigt sind, schleiche ich langsam davon und weg zum Bahnhof. Noch einmal fahre ich im Zug nach Leamington. Dort verweile ich bis am Nachmittag im schönen englischen Garten mit seinen vielen wunderbar alten Bäumen. Die Natur tut mir gut. Grosse Erleichterung bringt sie mir trotzdem nicht. Was nun? Bin einfach so davongelaufen. Niemand weiss wo ich bin. Fair gegenüber der Gruppe ist dies nicht. Sie werden mich suchen, besorgt sein. (Die Erwachsene in mir meldet sich endlich zurück.) Am frühen Abend bin ich zurück. Bei meiner Ankunft grosses Aufatmen bei den Anwesenden. Alle Therapierenden schon ausser Haus. Zwei von ihnen seien weggegangen, um mich zu suchen, sagt mir eine Kollegin. Sie hätten gesagt, sie vermuteten, in jenem Park in Leamington mich zu finden. Also würden sie dort mit der Suche beginnen. Dort hatte ich ja tatsächlich einige Stunden verbracht, sass jedoch schon zu Beginn ihrer Suche auf der Rückreise im Zug. Klar, dass ich am folgenden Morgen in der Gruppensitzung so richtig drankomme: Respektvolles Schweigen im Saal als ich, Kloss im Hals, meine "Geschichte" über Traum und Wirklichkeit, über schwebende Fantasie und harte Landung vortrage. Anschliessend bitte ich alle Anwesenden um Verzeihung für mein unfaires Verhalten vom Vortag. Grosse Anteilnahme, sehr mitfühlend und berührend, kommt mir danach entgegen. Aber auch die Aussage (Tadel) meiner Therapeutin: "Bist du dir bewusst, dass du uns alle bestraft hast mit deinem heimlichen Verschwinden? Hättest wenigstens eine Person informieren können". Nein, so richtig bewusst wurde mir dies erst jetzt.

....... und fast vergessen, dass ich immer noch Ordensfrau bin.
Zur "Rückkehr in die Realität" gesellt sich die Feststellung, dass sich "die Nonne in mir", seit meiner Ankunft in Heronbrook, langsam, aber sicher verabschiedet hat. Innerlich bin ich schon "ausgetreten". Ausser dem täglichen Gottesdienst an welchem die Meisten von uns, wenn nicht alle, teilnehmen, vernachlässige ich alle andern gemeinsamen Gebete. Grosszügig wie die Schwestern in London nun mal sind, habe ich immer genügend Geld zur Verfügung, kann mir persönliche kleine Dinge leisten - z.B. spontan ein Buch kaufen - ohne dauernd Rechenschaft darüber abgeben zu müssen. Erlaube mir an Wochenenden kleinere oder auch grössere Ausflüge mit Kollegen/-innen. Gute Möglichkeiten einiges mehr von England zu sehen, wie z.B. die Städte Bath, Chester (wunderschöne alte Stadt), oder die Moore in Cornwall/Devon. 
Dazu noch etwas ganz Spezielles: Einige der anwesenden Klosterfrauen tragen Ohrringe. (In Frankreich nie gesehen, undenkbar.) Etwas, was ich mir schon als junges Mädchen gewünscht hatte: Ohrringe oder -Stecker. Und nun hier, ein knappes halbes Jahr vor meinem 50. Geburtstag, noch immer Nonne, lasse ich mir die Ohren stechen. Seltsam.... dieses Prozedere fühlt sich an wie eine Eintrittserlaubnis in ein Leben als freie Frau.
 
Letzter Monat, letzter Tag.
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16.2.  Therapeutische Gemeinschaft in "Heronbrook-House" – Abschied nehmen in Heronbrook-House..

Letzter Monat, letzter Tag.
Der Monat:
September 1994: letzter Monat in Heronbrook. Dieser ist auch für mich - wie jedes Mal, wenn sich der Aufenthalt eines Members dem Ende nähert - auf die Zeit "nach Heronbrook" ausgerichtet. Die Entscheidung, mein Leben als Ordensfrau zu beenden nun definitiv, nichts kann sie mehr rückgängig machen. Einige letzte Zweifel - eher Ängste - müssen trotzdem noch bereinigt werden. Würde eher sagen, ich wollte in meiner definitiven Entscheidung von jemandem "getragen" werden. Jemand der sie mit mir "trägt", mich versteht, mich z.B. mit ein paar simplen Worten: "Es wird gehen, du wirst sehen", unterstützt. Anne, meine individuelle Therapeutin, natürlich bestens dafür geeignet. Hier einige Beispiele unserer letzten Gespräche:
….."Ich habe doch ewige Gelübde abgelegt und nun breche ich diese."
Sie schaut mich lange an bevor sie antwortet: "Maria, Jesus hat von keinem Menschen je verlangt, ewige Gelübde um seinetwillen, für dies oder jenes abzulegen. Im Leben geht es einzig und allein darum, sich selbst treu zu sein. Wenn du gelernt hast auf dein Innerstes zu hören, hörst du Gott". Was bedeutet: ich - wie jeder Mensch - einzigartiges, unverwechselbares Individuum, habe einen ebenso einzigartigen Auftrag in dieser Welt, den nur ich ausführen kann. Diesen so gut ich kann zu erfüllen, meine einzige Aufgabe. Nichts mehr, aber auch nichts weniger.
….."Ich habe viel verpasst im Leben" (eine naive Feststellung.... sage ich heute)
Diesmal schaut sie mich lachend an: "Glaubst du wirklich, du seist die Einzige, die den Eindruck hat, im Leben etwas verpasst zu haben? Ich sage dir, jeder und jede "verpasst" sogar sehr viel im Leben. Eine simple Tatsache menschlichen Lebens: Niemand von uns kann da und dort gleichzeitig sein, verheiratet und zugleich ledig sein, Kinder haben und zugleich keine Kinder haben, usw. usw.".
….."meine Zukunft macht mir Angst: werde ich Arbeit finden mit 50?"
"Maria, da kann ich dir nur Eines sagen: du hast während deiner Zeit hier unendlich viel Kraft und Energie getankt, ich denke, du hast das selber auch festgestellt. Vertraue jetzt einfach auf diese Kraft in dir und du wirst sehen: LIFE WILL UNFOLD ITSELF(das Leben wird sich wie von selbst entfalten)
Wie recht sie doch hatte! Gerne würde ich sie heute, nach über 20 Jahren wiedersehen, mit ihr über jene Zeit, der Zeit danach plaudern. Allzu gerne würde ich ihr bestätigen, wie sich ihre "Prophezeiung" (life will unfold....) voll und ganz für mich verwirklicht hat. Lebt sie noch? In Heronbrook galt prinzipiell die Regel, dass Therapierende nach Therapie-Abschluss mit den "Klienten/innen" nicht mehr in Verbindung bleiben. Vor ein paar Monaten habe ich per Zufall Robina (Kunst-Therapeutin) auf Facebook gefunden. Seither gibt es zwischen uns hin und wieder ein "Hello", ein paar nette Worte. Wie ich, ist sie kein Freak von FB. 
Der Tag.
Jeder Abschied von der Gemeinschaft in Heronbrook ist für die Anwesenden jeweils ein ganz besonderer Tag. Wie beim Eintritt nie zwei am gleichen Tag ankommen, so auch beim Abschied. Jede Person soll als einzigartiges Individuum sowohl bei ihrer Ankunft als auch - und vor allem - beim Abschied wahrgenommen und behandelt werden. Das heisst, am Tag eines Abschieds ist die morgendliche Sitzung und der nachfolgende Gottesdienst voll und ganz auf die/den Scheidende/n fokussiert. Es sind jedes Mal äusserst emotionale Momente. Während meines Aufenthalts (8 Monate) habe ich einige solcher Abschiedssitzungen miterlebt. Bei jeder dachte ich: "Nie und nimmer werde ich das aushalten: eine volle Stunde lang!.... alle im Saal nur auf mich fokussiert! Nein, das ist mir zu viel. Lieber schleiche ich bei Nacht und Nebel davon." Malte mir sogar aus welche Hintertreppe sich dafür am besten eignen könnte (genug davon hatte es ja). Konnte ich natürlich nicht tun. Nicht noch einmal davonschleichen wie einige Monate zuvor. Nicht schon wieder die ganze Gruppe "bestrafen".
Mein Abschiedsmorgen.
Die Atmosphäre im Raum knistert voller Emotionen (oder bilde ich mir dies nur ein?). Mehrere der Anwesenden betonen auf ihre Weise, wie viel Mut ich doch während meiner Zeit bewiesen hätte. Mut, mich selbst zu sein, von Grund auf ehrlich, einfach so wie ich mich fühlte, was auch immer dabei herauskommen würde. Einige sagen mir, wie sehr sie Gespräche mit mir, oder nur schon meine Anwesenheit in einem der Aufenthaltsräume geschätzt hätten. Zum Schluss meint die Leiterin des Hauses (nur an Entlassungstagen anwesend): "Ja Maria, du hast wohl hier für eine Weile deine Teenagerzeit nachgeholt, aber gell, vergiss nicht, du verlässt uns nun als Erwachsene". Auch bei Anne, meiner individuellen Therapeutin, tönt es ähnlich als sie meint: "Was du hier erlebt und dir erlauben konntest zu leben, ist eigentlich nur in einem geschützten Umfeld wie diesem hier möglich. Wir wissen sehr wohl wie wertvoll es für das Leben einer Person sein kann, wenn es Orte und Menschen gibt bei denen sie sich, wenigstens einmal im Leben so geben kann wie sie ist, oder nachholen kann was sie versäumt hat zu leben. Erst im Nachhinein wirst du erkennen, wie viel Kraft und Energie aus dieser Zeit du für deine Zukunft schöpfen kannst."
Wertschätzung, Menschlichkeit, Verständnis.
Mein fast 8-monatiger Aufenthalt in dieser therapeutischen Gemeinschaft war schmerzhaft. Eigentlich sollte ich beim Weggehen erleichtert sein. Bin ich auch. Trotzdem werde ich in Zukunft während längerer Zeit diese Atmosphäre von Menschlichkeit, Verständnis, Wertschätzung, echte wertungsfreie Anteilnahme, kurz: Liebe, sehr vermissen. Dabei wurde mir bewusst, dass ich nie zuvor im Leben so offensichtlich geliebt, geschätzt und anerkannt wurde, es wahrscheinlich auch nie mehr sein werde. Kurz: eine zwar schmerzhafte, aber gleichzeitig privilegierte Zeit, mir durch die Grosszügigkeit der Ordensfrauen in England geschenkt. Seit 1996 gibt es diese Institution nicht mehr. Mit 3 Ehemaligen stehe ich noch in Kontakt: ein anglikanischer Pastor, welcher dank Heronbrook sein Alkoholproblem auf die Reihe kriegte. Schon zweimal habe ich ihn in London besucht. Die beiden andern waren Ordensfrauen, sind es aber heute auch nicht mehr. Eine hatte mich 2011 zu ihrer Hochzeit nach Irland eingeladen. Beide haben mich auch schon in der Schweiz besucht. 
Die Abschiedskarte.
Zum Abschiedsritual gehörte auch eine Abschiedskarte. Der oder die Scheidende kaufte oder malte sich diese selber. Meine eigene habe ich selbst gemalt, inspiriert von unten geschriebenem Gleichnis (s. Foto und Text darunter). Einige Wochen vor dem Abschied zirkulierte sie bei allen Anwesenden, auch den Therapierenden, herum. Beim Abschied wurde mir diese - jetzt mit Kommentaren und guten Wünschen voll geschriebene Karte - überreicht: Diese Karte, ein Tresor voller Erinnerungen an Menschen, die ich mir bis heute sorgfältig aufbewahre. Auch mein Abschiedsgeschenk habe ich selbst ausgewählt und mir gekauft: "The tree of life" ist - hat man mir gesagt - ein uraltes keltisches Symbol. 
 


(1) Selbstgemalte Abschiedskarte nach einer Geschichte, die mich dazu inspiriert hat:
Selbstgemalte Abschiedskarte nach einer Geschichte, die mich dazu inspiriert hat:

A powerful king, ruler of many domains, was in a position of such magnificence, that wise men were his mere employees. And yet, one day he felt himself confused and called the sages to him. He said: "I do not know the cause, but something impels me to seek a certain ring, one that will enable me to stabilize my state. I must have such a ring. And this ring must be one which, when I'm unhappy, will make me joyful. At the same time, if I'm happy and look upon it, I must be made sad." The wise men consulted one another, and threw themselves into deep contemplation, and finally they came to a decision as to the character of this ring which would suit their king. The ring which they devised was one upon which was inscribed the legend: THIS TOO, WILL PASS.

 


(2) Abschiedsgeschenk: the tree of life

Abschiedsgeschenk: the tree of life

Erhaltener Kommentar: 28.02.2016:
Liebe Maria, ich wünsche Dir ein seeeehr langes Leben, und dass Du noch lange andern Menschen vom BEWUSST-WERDEN erzählen kannst. In Liebe Ruth

 
 
Aussprache mit der Oberin in Frankreich.
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17.  Good by Klosterleben!

Aussprache mit der Oberin in Frankreich.
August 1994: Heronbrook ferienhalber 2 Wochen geschlossen. In ungefähr 6 Wochen werde ich Heronbrook verlassen. Klar, dass mich die Provinzial-Oberin in Frankreich in dieser Ferien-Zeit sehen will. Sie will schliesslich wissen ob ich noch "gefügig genug bin" sodass sie mich nach meiner Rückkehr nach ihrem Gutdünken versetzen (verscherbeln) kann. Also fliege ich hin, fest entschlossen meine neu erworbenen Ohrringe - inzwischen zum Talisman (Glücksbringer) mutiert - zu diesem Treffen zu tragen. Die Oberin empfängt mich eher sachlich als herzlich. Instinktiv beschleicht mich ein Gefühl grossen Unbehagens, spüre so etwas wie: kommen wir gleich zum Punkt. Ist sie angesichts meiner Ohrringe entsetzt? Würde mich nicht überraschen, ist mir aber egal. Mein Erleben in Heronbrook scheint sie gar nicht zu interessieren. Nichts von: "Wie fühlst du dich jetzt? Wie geht es dir?" Oder sogar: "Was, wo und wie stellst du dir vor, künftig leben zu wollen?"
(Diese letzte Frage eh nicht zu erwarten, wäre ja ein Wunder im, seit Jahrhunderten eingefleischten Klosteralltag! Würde mich fragen: Hab ich grad eine Frage falsch verstanden?)
Nein, nichts von alldem. Als ich ihr trotzdem einiges von Heronbrook mitteilen will, stoppt sie mich sofort. Ohne weitere Nachfrage wechselt sie zum Thema, für welches sie mich eigentlich sehen wollte: Mich, nach meinem bevorstehenden Abschluss in Heronbrook sofort wieder in eine Gemeinschaft in Frankreich eingliedern. Nicht einen klitzekleinen Moment denkt sie daran mich zu fragen, wie ich denn nun meine Zukunft sähe. Als ich auf ihren Vorschlag entgegne, ein weiteres Leben als Nonne käme für mich allerhöchstens noch bei den Schwestern in London in Frage, winkt sie ab: "Auf gar keinen Fall, ausgeschlossen!" Genau in diesem Moment ist für mich eigentlich alles klar: Nur noch weg von hier! Endlich austreten!
Leben oder wieder dahinvegetieren, "absterben"?
In der gleichen Woche finden im Kloster Exerzitien statt. Die Oberin rät mir, vor meinem definitiven Entscheid, an diesen teilzunehmen. Ich hätte da Zeit zum Beten, könnte auch den Priester/Pater noch um Rat fragen, meint sie. An Exerzitien teilnehmen heisst, während 6-7 Tagen täglich zweimal mit 20-30 Nonnen in einem Saal sitzen und während etwa einer Stunde dem Vortrag eines Priesters zuhören. Die restliche Zeit: Beten, Meditieren, Beichten/Aussprache mit dem Priester/Pater/Beichtvater. Für mich jedoch ist die Zeit der "Rat-Schläge" längstens vorbei. Keinen einzigen Rat (Schlag) will ich mehr hören, von niemandem, nur noch jener meiner eigenen inneren Stimme. Weil ich sonst nichts "Gescheites" für meine, bis zur Rückkehr nach England, verbleibende Zeit zu tun habe, nehme ich trotzdem einige Tage daran teil. "Du gönnst dir einfach eine Woche Ruhe und Erholung, musst dir nicht jeden Tag diese Predigten anhören", sage ich mir, "fühl dich frei". Würde eh alles zum einen Ohr rein und zum andern raus flitzen. "Es" spricht genug in mir, keinen Platz mehr für, von aussen Kommendes. Nur zwei- höchstens dreimal sitze ich auf dem hintersten Stuhl im Saal und höre mir, mehr schläfrig als wach, all das "Gequatsche" an (pardon Herr Pater), über gottgeweihtes Leben, über Gelübde-bla-bla-bla - alles schon so oft gehört. Doch plötzlich reisst mich ein einziger Satz aus meinen schläfrigen Grübeleien: "DIEU EST POUR LA VIE ET NON POUR LA MORT, mes soeurs, ALORS VIVEZ!", schreit da plötzlich dieser Pater durch den Saal. Hat er etwa meinen Halbschlaf entdeckt? Kann nicht sein, ich sitze zuhinterst, vor mir viele Rücken. Oder ist es einfach diesen Satz, den ich hören muss, wer oder was auch immer es für mich so wollte? Denn das ist es, genau das ist es, durchzuckt es mich: Gott ist ein Gott des Lebens und nicht des Todes. Er will, dass ich lebe! Dieser einzige Satz traf genau den Punkt wo ich stand: Wenn ich bleibe, der Oberin genehm, mich von ihr wieder in Frankreich herumschubsen lasse, werde ich innerlich unweigerlich wieder sterben. Aber: Ich will leben!
Ich hab's geschafft, es gibt kein Zurück. Ich fliege für meine letzten Wochen "Heronbrook" nach England zurück. Bald kann's losgehen, das neue Leben.......
 
Abschied vom Leben als Klosterfrau.
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17.  Good by Klosterleben!

Abschied vom Leben als Klosterfrau.
Nach dem Abschied von Heronbrook-House, eine letzte Woche bei den Kolleginnen in London. Meine Entscheidung, das Klosterleben zu verlassen, überrascht sie nicht im Geringsten. Diese letzten Tage in England - meine letzten Tage als Klosterfrau - mit ihnen zu verbringen tun mir gut. Trotzdem schlafe ich kaum. Einerseits hindert mich der "nach-Heronbrook-Herzschmerz" daran, andererseits die Sorge um die Zukunft. Bin ich gut genug gewappnet für mein neues Leben? Wie werde ich mich wieder zurechtfinden in einer Schweiz, welche sich seit meinem Wegzug vor über 20 Jahren bestimmt verändert hat? Werde ich Arbeit finden? usw. Am 13. Oktober 1994 flog ich direkt nach Zürich wo mich meine Mutter und einige Geschwister am Flughafen erwarteten.
Den Familienangehörigen mitgeteilt.
Noch bevor ich Heronbrook verliess, hatte ich meine Entscheidung, das Klosterleben endgültig aufzugeben, meinen Nächsten mitgeteilt. Meine Mutter blieb ganz gelassen (Vater lebte nicht mehr), sagte so ziemlich das Gleiche wie damals bei meinem Wunsch ins Kloster zu gehen: "Ist in Ordnung. Tu einfach das bei dem du denkst, du wirst glücklich sein". Von Brüdern und Schwestern kaum ein Echo. Eine Schwägerin erzählte mir später, wie sie nach dem Lesen meiner Ankündigung erleichtert, "endlich" rufend, aufgesprungen sei. Sie habe bei ihren früheren Besuchen bei mir oft geahnt, dass ich in diesem Klosterleben nicht wirklich glücklich sei.
Abschied von Provinzialoberin und Co.
Vor meiner Reise nach England hatte ich im Kloster in Frankreich (La Roche s/Foron) einige persönliche Sachen hinterlegt. Diese musste ich noch abholen. Eine gute Gelegenheit, mich gleichzeitig offiziell von der Provinzialoberin und ihren Mitarbeiterinnen zu verabschieden.
Im Auto - von einer meiner Schwestern geliehen - fahre ich in ca. 3 Std. hin, hole meine letzten im Kloster verbliebenen Kleinigkeiten und steige in den ersten Stock hoch wo die Büros liegen. Provinzialoberin und Co. sind alle da, jede in ihrem eigenen Büro. Ich beginne was mir bald wie ein "Spiessrutenlaufen" vorkommt, will ich mich doch bei jeder von ihnen persönlich verabschieden. Ohne Ausnahme empfangen mich alle 4 - eine nach der andern allein im Büro - sehr kühl. Ohne Ausnahme: keine Nachfrage wie es mir denn gehe, ob sie für mich noch etwas tun könne, usw. Kein Dankeschön für meine, immerhin über 20 Jahre Arbeit um "Gotteslohn". Keine letzte Einladung wie z.B.: "Komm, trinken wir zum Abschied noch einen Kaffee zusammen", oder gar: "Hast du überhaupt schon was gegessen" usw. (Für mich sind es immerhin mindestens 3 Std. Hin-, 3 Std. Rückfahrt, ohne Essen). Wie soll ich mir eine solche Haltung erklären? ......frage ich mich auf der Rückfahrt. Finde bis heute keine Antwort darauf. Vielleicht fühlten sie sich einfach hilflos, wussten nicht wie mir begegnen, was mir sagen zum Abschied. Zu ihrer Verteidigung muss ich hier doch noch anfügen: Sie haben mir den teuren Aufenthalt in Heronbrook, im Einverständnis mit den Nonnen in London, erlaubt und bezahlt. Und schliesslich erhielt ich von der Oberin noch Fr. 5000.- für meinen Neubeginn. Eigentlich besteht bei einem Klosteraustritt die Möglichkeit, dies vorerst für ein Jahr zu tun (z.B. ein Sabbatjahr). Ein eventueller Wiedereintritt muss dann aber spätestens nach 3 Jahren erfolgt sein. Ich pfeife auf eine solche Möglichkeit, spielt für mich keine Rolle mehr. Habe nicht den leisesten Wunsch es nochmals zu versuchen....
Nachgedanken.
Abschliessend noch dies: Nein, ich fühlte und empfinde bis heute weder Groll noch Bitterkeit gegenüber dem Orden, oder in Anbetracht des Lebens, welches mir während 24 Jahren beschieden war. Bin viel herumgekommen, habe Sprachen gelernt, bin in andere Kulturen eingetaucht: Unglaublicher Gewinn an Akzeptanz und Toleranz für bis dahin Fremdartiges, Unbekanntes, Ungewohntes. Öffnung und Bereicherung des Geistes für andere Wahrheiten, andere Ansichten, verschiedene Arten des Menschseins und viel, viel, mehr.
Mit Edith Piaf singe ich: Non, rien de rien, non, je ne regrette rien!
 
 
 
 
Grosse Geburtstagsfeier, Arbeit und Wohnung finden
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18.  Neubeginn in der Schweiz mit "Überraschungen"

Grosse Geburtstagsfeier, Arbeit und Wohnung finden
Zuerst den 50. Geburtstag feiern.
13. Oktober 1994: Definitive Rückkehr in die Schweiz. Von Mutter und einigen Familienmitgliedern am Flughafen herzlich empfangen. Vorerst werde ich im Haus meiner Kindheit bei Mutter und einer meiner Schwestern wohnen. Gleich zu Beginn überraschen sie mich mit der Meldung, sie hätten die Feier meines 50. Geburtstages einen Monat vorgezogen und auf den 15. Oktober, also in 2 Tagen, festgelegt. Alles sei bereit und bestellt: Saal, Essen, Einladungen. Fehlte nur noch etwas Dekoration im Saal, für welche sich einige meiner, in Heronbrook gemalten Bilder sehr gut eigneten. Insgesamt ca. 40 Personen, davon 17 Nichten und Neffen, sind da. Die Grösseren unter ihnen hatten sich ein tolles Theaterstück/Sketch selbst ausgedacht und führten dieses, zu meiner und aller Belustigung, zusammen auf. Und natürlich, wie jedesmal wenn alle zusammen sind, wird viel gesungen. Es tat gut, nach all den emotionalen Abschieden, sei es von den Menschen in Heronbrook, oder den Nonnen in London, dieses Fest erleben zu dürfen. Balsam fürs Gemüt....
Arbeit suchen und finden.
Schon vor meiner Rückkehr in die Schweiz hatte ich in Genf 3 Stellen im Pflegeberuf angeschrieben. Glaubte zu jener Zeit, Arbeit und Wohnort in der Nähe von Frankreich zu finden wäre das Beste für mich. Wenn nicht, sollte es sonst irgendwo, auf jeden Fall in der Nähe einer Schweizergrenze sein. Konnte mir einfach ein Leben "im Innern der Schweiz" nicht mehr vorstellen, schon gar nicht im herbst-winterlichen Nebel des Mittellandes. Bald erhielt ich 3 Absagen aus Genf. Was wäre mit Basel, einer meiner Brüder wohnt doch dort in der Nähe? Vor allem Basel steht nach Genf auf meiner Wunschliste. Dort könnte ich sogar ev. drüben in Frankreich wohnen und in der Schweiz arbeiten. Wäre bestimmt, um einiges billiger in Frankreich zu wohnen. Dazu hatte ich ja die französische Staatsbürgerschaft 15 Jahre zuvor schon erhalten. Im Elsass werde ich schliesslich nie wohnen aber mit einer Stelle und einer bezahlbaren Wohnung klappt es auf Anhieb in der Schweiz. Kaum gedacht, schon gefunden, dank den Bemühungen meines Bruders. Im Alters- und Pflegeheim Birsfelden würden sie Pflegepersonal suchen, meldet er mir kurz nach der Geburtstagsfeier. Kein Zögern, ich greife zu, melde mich und werde prompt eingestellt. (Life will unfold itself.) Nicht im Traum hätte ich gedacht, so schnell eine Stelle zu finden. Am 13. Nov. 1994, genau einen Monat nach meiner Ankunft in der Schweiz, beginne ich in diesem Heim zu pflegen.
Bezahlbare Wohnung und einiges an Mobiliar fallen mir, "wie aus Wolken" zu.
Obwohl meine beiden Schwestern - beide unverheiratet, bei Mutter wohnend - meinen: "Komm doch zu uns wohnen" (also wieder in Dulliken)..... "Nie und nimmer kann ich je wieder, weder in diesem Haus noch in diesem Dorf wohnen", mein Aufschrei. Viel zu eingeengt würde ich mich fühlen, physisch wie mental. Und dann wäre da noch die Herbst/winterliche Nebelsuppe... nein, die will ich mir nicht mehr zumuten. Es gibt Menschen, die sich am Ort ihrer Kindheit verwurzelt fühlen und glücklich sind nach langer Abwesenheit dorthin zurückzukehren. Bei mir das Gegenteil, ich wollte unbedingt weg von Olten und Umgebung, anderswo Arbeit und Wohnung finden. Am besten, irgendwo in Grenznähe zum Ausland.
Zuerst darf ich bei einer Mitarbeiterin meines Bruders - in einer 3-Zimmer Wohnung allein lebend - unterkommen. Pflichtbewusst wie diese Frau ist, meldet sie mich ihrem Hausverwalter als vorläufige, "eigene Wohnung suchende" Untermieterin. Umgehend ruft dieser zurück: im Hochhaus nebenan hätte er im 14. Stock eine 3-Zimmer Wohnung frei. Träume ich? Alles geht so schnell! Nach nur zwei Wochen als Untermieterin, trete ich über die Schwelle meiner eigenen ersten Wohnung. Auch die Wohnungseinrichtung nimmt ihren unglaublichen Verlauf: Möbel kaufen? Nur ein Sofa und ein Büchergestell. Wohn- Ess-Schlafzimmer erhalte ich fast komplett von Bekannten meines Bruders; profitierend vom Luxus vieler Schweizer welche meinen, ihre Wohnungseinrichtungen alle paar Jahre erneuern zu müssen.... Auch Geschirr muss ich keines kaufen, sogar einen alten Fernseher bringt man mir. Ein Highlight dieser Wohnung im 14. Stock ist der Balkon: schönste Aussicht über Birsfelden, Rhein, bis nach Basel hinein. Was hatte ich damals in Heronbrook gehört? Einmal mehr bestätigt es sich hier: Life will unfold itself!


(1) 13.Okt.1994: Ankunft in Kloten: Mutter und Angehörige.
13.Okt.1994: Ankunft in Kloten: Mutter und Angehörige.

 

Neuheiten. Pflegen bei den Anthroposophen? Nein! "Überraschung": Teufel Krebs klopft an.
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18.  Neubeginn in der Schweiz mit "Überraschungen"

Neuheiten. Pflegen bei den Anthroposophen? Nein! "Überraschung": Teufel Krebs klopft an.
Neuheit: Keine "Schwester, Soeur oder Sister" mehr, einfach Frau. 
Zum Glück ist während meiner Zeit im Ausland das „Fräulein“ aus dem Sprachschatz der Schweiz verschwunden. Überrascht bin ich - pudelwohl ist mir - als ich bei Arbeitsantritt mit "Frau von Däniken" angesprochen werde, im Pflegeberuf also auch die „Schwester“ nicht mehr existierend. Staunen: dass ein solch simpler Fakt ein so gutes Gefühl erzeugen könnte, hätte ich nie gedacht. Überhaupt, nach vielen Jahren meine Muttersprache tagtäglich zu hören und wieder sprechen zu können, eine Wohltat. Trotzdem mir am Anfang gewisse Wörter oder Erwiderungen schneller auf Französisch oder Englisch präsent sind als deutsche.
Neuheit: die EC-Karte.
Wenn ich heute (2016) in Birsfelden am Gebäude vorbeigehe welches 1994/95 Sitz der Kantonalbank war, kann ich mir einen nostalgischen Blick auf die Stelle wo einst der Bankomat hing nicht verkneifen. Jedes Mal erinnere ich mich, wie fasziniert ich damals war, dank EC-Karte so leicht an Geld zu kommen, auch wenn ich bei dieser Bank kein Konto hatte. Erstens kannte ich die EC-Karte bis dahin nicht - in Frankreich bezahlte Mann/Frau, wenn nicht in bar, per chèques - zweitens erzeugte eigenes Geld - nach 24 Jahren Kloster ohne eigenes Geld - ein Hochgefühl. Auch meine Einkäufe kann ich mit dieser Karte bezahlen. Eine grossartige Erfindung.

Als eine Klinik für anthroposophische Krebsbehandlung Mitarbeiter suchte.
Nach nur einem Jahr im Pflegeheim entdecke ich in der Zeitung ein Inserat: Die Lukas Klinik in Arlesheim sucht Pflegefachkräfte. Zwar ist die Arbeit im Pflegeheim für mich ganz o.k., hat mir vor allem einen schnellen Wiedereinstieg in der Schweiz ermöglicht - glich fast einem Wunder, mit 50 so schnell eine Stelle zu finden. Trotzdem reizt mich dieses Inserat der Lukas Klinik (Seit 2015: "Klinik Arlesheim"), würde gerne noch etwas dazu lernen, eine neue Herausforderung anpacken. Schon zu meiner Zeit in Frankreich, und jetzt wieder hier, hörte oder las ich nur Positives über diese Klinik. Ohne gross zu zögern sende ich meine Bewerbung, werde zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, lerne an einem Schnuppertag das Team kennen und...... der zu unterzeichnende Arbeitsvertrag flattert mir einige Tage später ins Haus: Arbeitsbeginn am 1. März 1996. Sofort kündige ich im Pflegeheim auf den 30. Nov. (3-monatige Kündigungsfrist). Fast gleichzeitig finde ich auch eine Wohnung in der Nähe der Klinik. Möchte zwar nicht von Birsfelden wegziehen, aber bei den zukünftigen, äusserst unterschiedlichen Arbeitszeiten sehe ich bezüglich Arbeitsweg nur 2 Möglichkeiten: Wohnung nahe bei der Klinik oder Auto kaufen. Ein Auto will ich nicht. Mit dem ÖV von Birsfelden nach Arlesheim fahren (1-2x umsteigen) kann besonders an Sonntagen oder im Winter echt mühsam sein. Also kündige ich meine Wohnung in Birsfelden. Schade, nach nur etwas mehr als einem Jahr ist es nun vorbei mit der Aussicht vom 14. Stock über Basel, usw. 
Und.... SCHOCK!..... alles kommt anders!
….. genau in der Mitte der Kündigungsfristen (Arbeit und Wohnung gekündigt) entdecke ich den Knoten in der linken Brust.
(Alles über den Verlauf dieser Krankheit s. Kapitel: Krankheiten)
In diesem Moment entsprach die Aussage "zwischen Stuhl und Bank fallen" genau meinem Zustand: Bald nicht mehr hier, und noch nicht dort. Hier alles gekündigt, dort noch nicht eingezogen. Mein Arbeitsbeginn am 1. März in der "Lukas Klinik" rückt in weite Ferne - wird schliesslich nie stattfinden. Die vorgesehene Wohnung in Arlesheim muss ich wohl oder übel beziehen, damals noch mit der Hoffnung schnell gesund und die Stelle in der Klinik - etwas verspätet zwar - doch noch antreten zu können. In dieser Wohnung, weiter entfernt von Basel - wo meine künftigen Therapien stattfinden werden - als jene in Birsfelden es war, werde ich schliesslich nur während meiner Krankheit wohnen, genau 9 Monate (warum, werde ich auf den nächsten Seiten beschreiben). Insgesamt benötigte ich - nach 3 Operationen und 4 Chemo-Therapien - 7 Monate um wieder in den Arbeitsprozess einsteigen zu können. Die letzten 3 Wochen lasse ich mich - erholungsbedürftig nach Krebsbehandlungen - genau in jener Klinik behandeln, wo ich vorgesehen war zu arbeiten. Darf am eigenen Leib erfahren wie gut die dort angewandten verschiedenen Therapien sind. Meine Hoffnung, eventuell doch noch dort arbeiten zu können? Dahin, Schnee von gestern. Längstens hätten sie die Stelle anderweitig vergeben müssen. Auf mich warten konnten sie ja nicht. Und überhaupt sei es besser, wenn von Krebs Betroffene nicht bei Krebs-Patienten arbeiten würden. Dies sei für eine von dieser Krankheit Betroffene zu riskant, ihre eigenen Ängste zunehmend, das Arbeitsumfeld dementsprechend sie schnell überfordern. Für eine Stelle bei ihnen brauche es mindestens 2 Jahre Abstand zur eigenen Krankheit, wird mir gesagt. Leuchtet mir ein, doch was nun? Welche Arbeit werde ich jetzt finden? Kann ich weiterhin auf "life will unfold itself" zählen?
 
 

 

 
 
Praxisassistentin zum Zweiten. ("zum Ersten" s. in "Lehr- Wanderjahre")
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18.1.  Neubeginn in der Schweiz mit "Überraschungen" – Praxisassistentin zum Zweiten. ("zum Ersten" s. in "Lehr- Wanderjahre").
Life will unfold itself!
Kaum aus der Klinik entlassen, schau ich bei einer, die "BaZ" lesenden Bekannten vorbei. Man höre und staune: Beim allerersten Durchblättern finde ich in "offene Stellen" dieses Inserat: "Gesucht in Arztpraxis nähe Basel: Arztgehilfin oder Krankenschwester die fliessend, Deutsch, Französisch und Englisch spricht". Na, so was! Das ist was für mich, ist mir ja geradezu "auf den Leib geschnitten". Klar, ausgebildete Arztgehilfin bin ich nicht, hatte aber in meiner Jugend 2 Jahre bei einem Arzt gearbeitet, um- oder dazu lernen immer möglich. Kaum gelesen, ist mein Bewerbungs-Brief schon unterwegs; mit der Versicherung, meinen Lebenslauf hinterher zu schicken, sollten sie sich für mich interessieren. Was für tolle Aussichten! Könnte sogar meine gelernten Sprachen wieder brauchen. Hoffentlich klappt's!! Zwei Tage später der Anruf: der Arzt am Telefon - ursprünglich ein Amerikaner - spricht sofort Englisch (will er zuerst mein Englisch testen?), er wolle mich so bald als möglich sehen. Als ich bei ihm und seiner Tochter (auch Ärztin) vorspreche, sind meine "neuen" Haare - vorher durch Chemo ausgefallen - noch sehr sehr kurz. Bevor ich hinging zögerte ich: soll ich die Perücke tragen oder es wagen, mich mit diesem fast kahlen Schädel zu präsentieren? Es ist heiss im August.... Ich entschied mich, sie nicht zu tragen. Eine gute Entscheidung. Gleich zu Beginn des Treffens schenke ich, bezüglich meiner Krankheit, den Beiden reinen Wein ein. Das Gespräch dauert nicht lang. Sie wollen mich einstellen, sogar ohne zuvor meinen vorgelegten Lebenslauf gelesen zu haben. Kann mein Glück kaum fassen als ich höre: "Sie können am 1. September bei uns beginnen". Tanzen vor Freude wollte ich!!
Praxisassistentin/Krankenschwester.
Diese Praxis für Allgemeinmedizin besass, ausser den üblichen Räumen, zwei zusätzliche. Jeder mit 2-3 Liegestühlen ausgestattet für längere Behandlungen, wie z.B. intravenöse Infusions-Therapien. Letztere dauern gut und gerne 2-3 Stunden. Die Patienten können dabei liegen, sich entspannen. Dass mein Lohn von nun an um die 1000.- Fr./Mt. weniger sein wird als zuvor im Pflegeheim, tut mir nicht weh. Geld ist nicht alles, Gewinn an Lebensqualität besser: Fertig mit allzu frühem Aufstehen - Praxisöffnung: 8h15 (in der Pflege meistens 7h) - fertig mit wechselnden Arbeitszeiten - jeden Tag Feierabend um 17h30 - und das Allerschönste: jedes Wochenende frei. Letzteres kam in meiner Pflegelaufbahn selten bis nie vor. Diese Stelle war wirklich das Beste was mir nach meiner Krebsbehandlung zufallen konnte. Sie fiel-mir-zu, musste nicht mal dafür kämpfen. Und dies war noch nicht alles an jenem Tag.....
Schon wieder umziehen?
In Binningen (Vorort von Basel) wo sich die Arztpraxis befindet, kenne ich eine Ehemalige aus der Pflegeschule. Ich rufe sie an, erzähle ihr, überglücklich, von meiner neuen Stelle. Sie freut sich mit mir, lädt mich zum Kaffee ein. Plötzlich sagt sie: "Du, in unserem 3-stöckigen Haus (im Besitz ihres Mannes) wird ab 1. Dez. 1996 die untere Wohnung (3 Zimmer) frei. Willst du sie mieten, wärst dann nahe bei deiner Arbeit?" Bin sprachlos: 2 solch unglaubliche Zu-Fälle an einem einzigen Tag: Zuerst die Stelle, dann gleich noch das Angebot einer Wohnung in der Nähe. Träume ich? Das muss ich erst mal verdauen! Bitte sie, mir eine Nacht Zeit zu lassen. Gibt es überhaupt Grund zu zögern?... nur einen einzigen, lächerlichen, des Zögerns nicht würdig: Zügeln, Umziehen! nach nur 9 Monaten seit dem letzten Umzug wieder umziehen. Schliesslich lache ich, überhaupt gezögert zu haben: Umziehen = 2-3 Tage mehr oder weniger harte Arbeit; nicht vergleichbar mit dem Gewinn an Lebensqualität, welche ein kurzer Arbeitsweg schenkt. Natürlich ziehe ich um. Meine Schwägerin - hatte mir mit meinem Bruder schon beim vorigen Umzug geholfen - meint diesmal im Scherz: "Ich hoffe, es ist das letzte Mal in diesem Jahrhundert - Ende November 1996 - dass du umziehst". Beide konnten wir nicht ahnen, dass dies gleich zu Beginn des neuen Jahrtausend noch einmal passieren würde.....
Ich werde begleitet!
Hier muss ich es sagen, auch wenn ich mich wiederhole: Seit meiner Rückkehr in die Schweiz, trotz schwerer Krankheit, trotz versprochener und wegen Krankheit nicht angetretener neuen Stelle, trotz 3 Wohnungswechseln - mir eigentlich wie aus heiterem Himmel zugefallen, (letzte zu-gefallene Wohnung nächste Seite) - hat mich eine Gewissheit nie verlassen - hat sich im Gegenteil sogar verstärkt: ICH WERDE BEGLEITET. Jemand wacht über mich, liebt mich, lässt mir zu-fallen was für mich in jedem Moment das Beste ist. Also geht "LIFE WILL UNFOLD ITSELF" ganz bestimmt auch heute 2017 weiter, blüht, welkt, entfaltet sich weiter. Alles fliesst und verändert sich.
PC, willkommen! Nochmals Krebs? nicht willkommen! Birsfelden: "Ich komme heim!"
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18.1.  Neubeginn in der Schweiz mit "Überraschungen" – Praxisassistentin zum Zweiten. ("zum Ersten" s. in "Lehr- Wanderjahre").

PC, willkommen! Nochmals Krebs? nicht willkommen! Birsfelden: "Ich komme heim!"
Die äusserst vielfältige Arbeit in der Arztpraxis gefällt mir: Empfang der Patienten, Blutentnahmen, Labortests, Verbände, Seh- Hör- Gewicht- Blutdruckkontrollen, Briefe oder Rechnungen schreiben. Dazwischen Patienten zur Behandlung mit intravenösen Infusionen. Als Pflegefachfrau habe ich kein Problem damit, hatte im Leben schon viele solcher Infusionen angelegt. Auch meine Sprachkenntnisse kann ich gut einsetzen, besonders Englisch. Mit einer älteren Kollegin, nur noch 30% arbeitend, teilen wir uns die Arbeit.
Schreiben am Personal-Computer, schon bald eine tägliche Gewohnheit.
Es gehört zu den unerklärlichen Zufällen - life will unfold itself - dass ich mir kurze Zeit nach meiner Rückkehr in die Schweiz - nach einigen Monatslöhnen - einen PC kaufte. 1995 kostete dieser, samt Bildschirm und Drucker um die 4'500 Fr.-! (Verglichen mit heutigen Preisen (2016) bleibt einem die Spucke weg...). Geradezu gierig darauf war ich, mir dieses Wissen anzueignen. Habe nie einen Kurs besucht (zu teuer!), lernte nach und nach selbst wie so ein Ding funktioniert. Zeit dafür hatte ich genug während meiner 7-monatigen "Auszeit" wegen Krebsbehandlung. Zum Glück hatte ich den PC vorher gekauft. Angst am PC etwas falsch zu machen hatte ich nie - wenn's halt so nicht geht, probier ich's anders rum, usw. Hatte ja eben genügend Zeit "herumzupröbeln". Jetzt, in dieser Arztpraxis bin ich sehr froh, am PC nicht eine total Unwissende zu sein. Der Arzt hatte beim Vorstellungsgespräch nachgefragt ob ich PC-Kenntnisse hätte. Was ich ohne Zögern aber trotzdem etwas vorschnell bejahte - wollte mir diese Stelle auf keinen Fall entgehen lassen. Während meiner Zeit in der Praxis wurde bei den Ärzten das "Tarmed"-Abrechnungssystem eingeführt (muss um das Jahr 2000 gewesen sein). Eine richtige Knacknuss bis man es kennt. Ich schaffte es.
Krebs holt mich nochmals ein.
Nur anderthalb Jahre nach der linken, findet man bei einem Kontroll-Ultraschall, auch in der rechten Brust einen Knoten, auch diesmal bösartiger Natur.
(Alles weitere über diesen Verlauf und meine dabei riskanten persönlich getroffenen Entscheidungen, siehe Kapitel: Krankheiten.) 
Diesmal nehme ich meine Arbeit schon 3 Wochen nach der Op. wieder auf indem ich weitere Therapien ablehne.
"In Birsfelden will ich alt werden".
Arbeiten in Binningen, wohnen in Binningen, besser könnte ich es gar nicht haben. Doch mit Birsfelden, meinem ersten Wohn- und Arbeitsort, blieb ich stets verbunden. Schliesslich wohnt mein Bruder mit seiner Familie da, dem Kirchenchor bin ich trotz Umzügen treu geblieben, und weiterhin jeden Freitag zu den Proben nach Birsfelden gefahren. Im November 2001, bei einem Umtrunk nach der Probe, sagte ich zu meiner Nachbarin: "Spätestens, wenn ich pensioniert bin, will ich wieder in Birsfelden wohnen, fühle mich hier einfach wohl". "Warum wartest du bis zur Pensionierung? Seit heute sind in unserer Genossenschaft zwei 2-Zimmer-Wohnungen ausgeschrieben", erwidert sie. Das ist wirklich der Hammer! Mein Traum, mein Wunsch: eine Genossenschaftswohnung! Ich kann es kaum fassen! Nur eine solche kann Mann/Frau mit eher spärlichem Einkommen - später noch spärlicheren Rente.... - sich in Birsfelden leisten (direkter Vorort von Basel). Wäre reine Dummheit, eine solch fantastische Gelegenheit nicht sofort zu packen. Also nichts mit nachdenken, überlegen, Gejammer "schon wieder umziehen". Zupacken und zwar sofort! Eine solche Chance gibt's nicht alle Tage.... höchstens alle Schaltjahre.... Am Tag darauf melde ich mich beim Verwalter, kann mir eine der beiden Wohnungen ansehen (die andere schon vergeben), und..... bekomme sie. Hey, welch grossartiges Gefühl! Schöner und billiger als alle meine bisherigen Wohnungen. Gross ist sie - 64 qm für 2 Zimmer - mit Wintergarten und grossem Balkon, im 4. Stock eines 10-stöckigen Wohnblocks, ganz nah am Rhein. Gute Möglichkeit für schöne Spaziergänge. Im Februar 2002 ziehe ich (wieder mal) um. Diesmal ist es tatsächlich wie "heimkommen" in Birsfelden.

 

 

Arbeitslos
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18.2.  Neubeginn in der Schweiz mit "Überraschungen" – Arbeitslos.
Alles schien wie "am Schnürchen" zu laufen: Arbeit, die gefällt, Wohnung ein grosses Glück - "in dieser Wohnung will ich alt werden!" - der Arbeitsweg per Velo meine tägliche Bewegungstherapie, ca. 5 km von Birsfelden quer durch Basel nach Binningen. Gute Vernetzung mit dem öffentlichen Verkehr im Winter, oder bei allzu garstigem Wetter. Ist dies alles nicht all zu viel des Guten? Und darf es mir überhaupt weiterhin so gut gehen? Könnte es nicht auch mal statt "nach em Räge schiint d'Sunne" umgekehrt: "nach der Sonne der Regen" sein? Trotzdem bin ich weiterhin überzeugt von "life will unfold itself": Was immer kommen mag, ich werde begleitet. So bestimmt auch jetzt.
Schock: "wir lösen die Praxis auf".
Gegen Ende des Jahres 2005 wird immer offensichtlicher was ich schon seit einiger Zeit befürchtete: "Hoffentlich hält die Praxis wenigstens noch 2 Jahre, bis zu meiner Pensionierung." Der Arzt kränkelnd und deswegen oft abwesend. Immer wieder müssen Termine für Patienten verschoben oder annulliert werden. Seine Tochter, ohne grosse Begeisterung, nur auf Drängen ihres Vaters Ärztin geworden, will die Praxis auf keinen Fall weiterführen, will nach Amerika auswandern. Für sie kein Problem, ist sie doch durch ihren Vater auch US-Bürgerin. Kein anderer Arzt will die Praxis übernehmen, davon gebe es im nahen Umkreis schon zu viele. Wie oft habe ich angesichts dieser Tatsachen gebetet und bei Bekannten geseufzt: "Hoffentlich! Unbedingt! Nur noch 2 Jahre!".... hält sie dann aber doch nicht. Ende Dezember 2005 kriege ich die Kündigung. Bis Ende März würde mein Lohn noch ausgezahlt, aber schon ab Neujahr nur noch Kurzarbeit. Meine erste Renten-Auszahlung (AHV) wird im Dez. 2008 anfallen. Kann mir auf keinen Fall leisten, früher in Rente zu gehen. Bis dahin noch fast 3 Jahre..... Bin total konsterniert!
9 ½ Jahre hatte ich in dieser Praxis gearbeitet. Heute stelle ich erstaunt fest, es war die längste Zeit am gleichen Arbeitsplatz in meinem Leben!
Auf zum RAV (Regionale Arbeitsvermittlung)
Genau 2½ Jahre vor meiner Pensionierung geschieht es zum dritten Mal seit meiner Rückkehr in die Schweiz: ich muss wieder Arbeit suchen, wieder nach Inseraten Ausschau halten. Jetzt auch noch beim RAV vorstellig werden, um wenigstens Arbeitslosengeld zu erhalten. Muss jeden Monat den Nachweis erbringen - mindestens 6 getätigte Arbeitsgesuche - dass ich mich um eine Stelle bemüht habe. Weil ich jedoch dank Inserat, sehr schnell eine Stelle finde, falle ich vorläufig dem Staat nicht zur Last. Schon am 1. April 2006 trete ich eine neue Stelle in 2 verschiedenen privaten Pflegeheimen an. Eine Pflegefachfrau hatte in zwei Ortschaften im Fricktal (AG) gewöhnliche Einfamilienhäuser in kleine Pflegeheime umfunktioniert. Jedes der beiden Häuser kann 6 bis 10 Pflegefälle aufnehmen. Sie hat Glück (oder sie weiss es) dass ein solches Unternehmen (nur?) im Kt. AG möglich ist. Im Kt. BL würden solch "umfunktionierte" private Pflegeheime nicht akzeptiert, weil sie nicht den Standards eines Pflegeheimes entsprächen, wie man mir später sagt.  
 
Harte Jahre! Von Stelle zu Stelle. Betrogen werden.
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18.2.  Neubeginn in der Schweiz mit "Überraschungen" – Arbeitslos.

Harte Jahre! Von Stelle zu Stelle. Betrogen werden.
Mühsames Pendeln
Mein Arbeitspensum für beide Pflegeheime liegt zwischen 60 und 70% (Stundenlohn). Und da sind sie nun wieder, die unregelmässigen Arbeitszeiten, Samstag/Sonntagseinsätze. Und das Allerschlimmste: jetzt auch noch mindestens 1 Stunde mit dem ÖV unterwegs sein. Während 5 Monaten halte ich das aus: Bus-Tram-Zug-Bus. Das heisst, wenn meine Schicht um 7 Uhr beginnt, muss ich spätestens um 5h 30 aus dem Haus. Als der Winter naht, kaufe ich mir ein billiges Occasion-Auto, so muss wenigstens "erst" um 6 statt um 5:30 aus dem Haus.
Eine durchtriebene Vorgesetzte.
Mein Lohn, zwar wieder höher als jener der Arztpraxis, doch da mein Arbeitspensum jetzt kleiner ist, kommt am Ende des Monats gleich viel heraus. Meine "schlaue" (will hier kein schlimmeres Wort schreiben) Vorgesetzte verteilt meine monatlichen Arbeitsstunden - "halbe-halbe" - auf beide Häuser: ein paar Tage im Haus in X, andere Tage im Haus in Y. Weil sie für jedes Haus eine andere Lohnkasse/Adresse eingerichtet hat, kriege ich von zwei "verschiedenen" Arbeitgebern den Lohn. Doch in Wahrheit ist es immer sie. Mit diesem "Schachzug" bleiben ihr die Kosten einer Einzahlung in die 2. Säule für mich erspart. Da die Einzahlung in die Pensionskasse erst bei einem Jahreslohn um die 20'000 obligatorisch wird, ich aber weder im einen noch im andern Haus auf diese Summe kam, konnte sie auf diese Weise besagte Einzahlung umgehen (trotzdem ich in beiden Häusern zusammen über 35'000/Jahr verdiente). Lange ist mir dies nicht bewusst. Eine Arbeitskollegin, der es ebenso ergeht, klärt mich auf. Für mich selbst wird es offensichtlich als sie ein weiteres solches Haus in Z. eröffnet und mich in diesem als Leiterin einstellt. Da ich nun den ganzen Monat zu 80% im gleichen Haus arbeite, kann sie einer Einzahlung in die Pensionskasse nicht mehr entgehen. Nicht lange geht das gut. Schon nach einem Monat beginnt sie an mir herumzunörgeln: dies gehe nicht, jenes sei nicht in Ordnung, obwohl sich meine Mitarbeiterinnen bei ihr äusserst positiv über mich äussern. "Wir halten zusammen, helfen uns in allen Bereichen gegenseitig aus, verstehen uns gut", geben sie ihr zu verstehen. Auch von den Bewohnern hören wir nichts Negatives. Der Eklat passiert, als sie mir eines Tages mit dem Vorwurf kommt, ich würde eine ihrer Verordnungen nicht ausführen - weil ich statt die ihre, die Verordnung des behandelnden Arztes ausgeführt hatte. "So kann's nicht weiter gehen, schreib mir die Kündigung", rufe ich erzürnt. "Ist wohl das Beste", zischt sie zurück. Danach kann ich mich nicht zurückhalten und rufe: "Der Grund deines Verhaltens ist nicht mein "fehlerhaftes" Arbeiten. Der wahre Grund ist: ich bin dir zu teuer geworden, kannst von nun an die mir zustehende Einzahlung in die 2. Säule nicht mehr umgehen, kannst daselbst meinen Lohn nicht mehr auf 2 'verschiedene Arbeitgeber' aufteilen". Hochrot im Gesicht läuft sie einfach davon, die Tür hinter sich zuknallend. Uff! Wie froh bin ich, diese Anstellung endlich zu Ende ist! Uff! Nur noch anderthalb Jahre bis zur Pensionierung!
Das Auto habe ich sofort wieder verkauft.
Noch einmal muss ich mich wehren, diesmal bis vor Gericht.
Als Nächstes finde ich eine Stelle in Basel: Jeden Morgen von 9-12 die Betreuung der 89-jährigen, wohlhabenden Frau B. Jedoch für das RAV ist dies nicht genug, ich soll noch eine Zusatzstelle suchen. Ich finde sie in einer privaten Spitex in Basel. Die Schwiegertochter von Frau B. kümmert sich um deren Finanzen, ist demnach meine Lohn-Überweiserin. Hat mit mir eine 3-monatige Kündigungsfrist vereinbart (beim RAV schütteln sie den Kopf: diesen Vertrag hätte ich so nie unterzeichnen dürfen). Sie will sicher gehen, mich so lange wie möglich zu behalten, um nicht wieder jemanden für die Betreuung ihrer Schwiegermutter suchen zu müssen. Nach gut einem Jahr dieses Hin-und-Her in 2 Jobs fühle ich mich müde und ausgelaugt. Meine Ärztin schreibt mich krank, legt mir nahe, einen der Jobs zu kündigen. Ich verlasse Frau B. Ihre Schwiegertochter will meine Kündigung, trotz beigelegtem Arztzeugnis, nicht akzeptieren, kommt extra, sehr erzürnt, von Genf nach Basel: Ich sei doch nicht krank, meint sie. Jetzt realisiert sie den Nachteil einer 3-monatigen Kündigungsfrist. An Ort und Stelle will sie mich dazu zwingen, im gegenseitigen Einverständnis eine 1-monatige Kündigungsfrist zu unterzeichnen. Ich weigere mich, schliesslich ist sie es, die unbedingt die 3-monatige Kündigungsfrist von mir wollte. Ich bleibe stur und unnachgiebig. Deshalb einige Tage später: eingeschriebene böse Briefe aus Genf, wie z.B.: sie wolle einen anderen Arzt einschalten, um zu beweisen, dass ich gar nicht krank sei, und viel Hässliches mehr. Mit Hilfe eines Bekannten, welcher sich in Sachen Arbeitsrecht auskennt, gehe ich zum Arbeitsgericht in Basel. Als sie die Aufforderung für einen Termin vor Gericht erhält lenkt sie ein. Umgehend überweist sie mir die noch ausstehenden 2 Monatslöhne (3000.- für 2 Monate - 1500.-/M). Das Besondere daran: in ihrem Einlenkungs-Brief ans Gericht schrieb sie: ".... Mein Mann (Sohn von Fr. B., ein Basler) darf auf keinen Fall von diesen Umtrieben in Kenntnis gesetzt werden". (Ich hatte die Kopie dieses Briefes vom Gericht erhalten).
Im November 2008 kann ich mich endlich zurücklehnen und entspannen: geschafft, ich bin 64! 20 Jahre nach meiner Rückkehr in die Schweiz, waren diese 2 ½ Jahre vor meiner Pensionierung die Härtesten was Arbeit anbelangt. Schlimmer nur noch die Zeit meiner Krebserkrankung.
Nachgedanken zu etwa 45 Jahren im Pflege- oder medizinischen Dienst
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18.2.  Neubeginn in der Schweiz mit "Überraschungen" – Arbeitslos.

Nachgedanken zu etwa 45 Jahren im Pflege- oder medizinischen Dienst

Wenn ich heute sehe oder höre wie es in den verschiedenen Pflegeberufen so zu und her geht, was es heute braucht, um nur schon diesen Beruf lernen zu können, wird mir echt weh ums Herz. Dass da etwas nostalgische Wehmut mitklingt, ist mir schon bewusst, trotzdem es vielen Ehemaligen heute auch so geht: "Heute würde ich diesen Beruf nicht mehr wählen, könnte ihn ohne Matura ja gar nicht ins Auge fassen", sagten die Meisten anlässlich eines Ehemaligen-Treffen. So wie ich heute den Pflegeberuf aus der Ferne wahrnehme, hat sich dieser sehr in Richtung Technik, Spezialisierung, Rationalisierung entwickelt - wie die gesamte Medizin auch. Hat sich in eine Richtung entwickelt wie ich sie 1972 als beruflichen Kulturschock in Frankreich erlebte, mir schon damals Unbehagen einflössend. Wo bleibt in all der Technik der ganzheitliche Mensch - nicht nur die Leber, die Niere, das Herz, usw.? Wo die Begegnung von Mensch zu Mensch? Heute (2016) wäre ein Taschen-PC mein ständiger Begleiter. Dieser würde mir z.B. genau vorschreiben wie viele Minuten ich bei diesem oder jenem "Fall" - welch hässliches Wort - für diese oder jene Leistung, aufbringen darf. Würde mich vielleicht sogar mahnen, wenn die vorgeschriebene Zeit überschritten würde? Ein kurzes Gespräch mit dem Patienten - oder nur schon für sein Wohlbefinden das Kopfkissen aufschütteln - würde da nicht mehr drin liegen. Dauernd finden Sitzungen, Rapporte statt. Früher wurden diese auf ein absolutes Minimum beschränkt. Heute kann man vorbeikommen wann immer man will, meistens sitzt das Pfegeteam zusammen. Die heutigen Pflegefachkräfte sitzen bestimmt länger im Büro am PC, als am Krankenbett - sollte man eigentlich mal per Stoppuhr messen. So jedenfalls nehme ich den heutigen Spital- oder Heimbetrieb wahr. Könnte mir vorstellen, dass die tägliche Putzfrau mehr von den Schmerzen und Nöten der Patienten hört als die Pflegefachfrau. Verallgemeinern will ich trotzdem nicht. Es gibt bestimmt auch heute noch: "dieses ja - jenes aber auch", bei der Pflege. Würde ich heute vielleicht den ("einfachen") Beruf der Pflegehelferin dem Diplom der Pflegefachfrau vorziehen? 
Was wäre gewesen, wenn..... Ja, was wäre gewesen, wenn ich nach dem AKP-Diplom nicht ins Kloster gegangen wäre? Eigentlich müssig, eine solche Frage zu stellen. Trotzdem erinnere ich mich, dass mir damals eine Weiterbildung zur Schulschwester durch den Kopf ging. Jungen Menschen eine so gute, humane Ausbildung in der Pflege ermöglichen, wie ich sie erfahren durfte, das wünschte ich mir damals. 

 
 
 
 
Rentnerin mit gemischten Gefühlen
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19.  Ich darf alt werden.

Rentnerin mit gemischten Gefühlen
Ach, wie hatte ich sie doch herbeigesehnt, in den letzten 2 Jahren Berufstätigkeit geradezu herbei-bestürmt, die Pensionierung. "Nichts kann schöner sein", seufzte ich oft. Und doch: Jetzt, da ich nichts mehr muss, geht mir das Älterwerden zu schnell. Bin tatsächlich im letzten Drittel des Lebens angekommen. Wird es überhaupt noch ein Drittel sein - also bis etwas um die 90? Oder doch nur ein letztes Viertel, oder gar Fünftel (oder noch weniger)? Zeit kann ich nicht anhalten - Tod verhindern auch nicht - möchte aber wenigstens sie möge nicht so schnell vergehen, die Zeit. Wie anders war es doch damals, einige Jahre vor meinem 20. Lebensjahr. Oft hatte ich damals gejammert: "Ich möchte endlich 20 sein, die Zeit vergeht viel zu langsam". Wünschte mir, so schnell wie möglich ernst genommen, wie eine Erwachsene behandelt zu werden. Und wenn ich meiner Mutter heikle Fragen stellte - natürlich über Sex, what else.... - antwortete sie stets: "Das sag ich dir dann, wenn du 20 bist". Also so schnell wie möglich 20 werden. Und als ich dann 20 war, gab’s meinerseits keine Fragen mehr. Immer stärker wird mir bewusst wie kurz ein Menschenleben ist. Jede Sekunde, jeder Herzschlag ist eine/einer weniger meines verbleibenden Lebens-Kapitals. Wenn man eine Salami in ganz feine Scheiben schneidet wird sie immer kürzer: jede verschlungene Salamischeibe = einen Tag weniger leben, genau so fühlt es sich an.
Dankbarkeit erfüllt mich noch und noch….
Unzählige, davon viele Kinder, sterben schon in jungen Jahren! Und ich darf seit über 70 Jahre leben (2018). Bin eigentlich schon lange eine Überlebende (sind wir es nicht alle?): Habe den Überfall in Thailand überlebt, habe Krebs - seit über 20 Jahren beschwerdefrei - überlebt. Bin in einer Zeit, in einem Land geboren, wo seit 3 oder 4 Generationen selten Frauen bei einer Geburt, oder Kinder an Kinderkrankheiten sterben. Habe in meinen bisher 74 Jahren (2018) weder Krieg noch Hunger noch Flucht vor was oder wem auch immer, erleben müssen. Grosse Arbeitslosigkeit herrschte 2 oder 3 Generationen vor mir, also blieb mir auch harte Kinderarbeit oder gar betteln-gehen erspart. Kurz und gut: in den Jahren nach meiner Geburt ging der Aufschwung in der Schweiz - in Europa - erst richtig los (Boom-Jahre). Hatte Mann/Frau je zuvor so komfortabel - um nicht zu sagen luxuriös - gelebt, wie wir (immerhin der grösste Teil bei uns) seit einigen Jahrzehnten - verfressen, in allen Belangen gesättigt und verwöhnt - sorglos dahinleben dürfen/können? Kann das, nein, darf das überhaupt so weitergehen? Unser Wohlstand sollte nie selbstverständlich sein. Können wir uns heute überhaupt noch vorstellen, weniger zu haben und trotzdem glücklich zu sein? Wem verdanken wir unseren Wohlstand? Leben wir nur darum besser, weil andere dafür ausgebeutet werden? Solche Fragen treiben mich um. Wie werden kommende Generationen dieses Dilemma lösen? Denken wir hin und wieder daran, dass es auch ganz anders sein könnte? Noch vor rund 100 Jahren wanderten Schweizer in nähere oder fernere Länder aus, weil es hier nicht genug Arbeit und Geld gab, um ihre Familien korrekt zu ernähren. Erst vor kurzem las ich, in Europa habe es nie zuvor eine solch lange Zeitspanne des Friedens gegeben. Dass ich genau in dieser Zeit geboren wurde und leben darf, erfüllt mich mit grosser Dankbarkeit.

 
Nichts mehr müssen, müssen
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19.  Ich darf alt werden.

Nichts mehr müssen, müssen
"Nichts mehr müssen, müssen": So nenne ich mein grosses Aufatmen nach der Pensionierung. Klar, bei meinen verschiedenen freiwilligen Aktivitäten müssen auch weiterhin Termine und Abmachungen eingehalten werden, doch diese habe ich so gewollt und bestimme selbst, ob und wann ich sie beenden will. Abendliche Termine oder Sitzungen hasse ich, gehe äusserst ungern noch aus dem Haus; einer der Gründe, wenn auch nicht der Hauptgrund, warum ich mein Mitsingen im Kirchenchor 2010 beendete.
Nie mehr gutes, gemeinsames Singen? 
Während ungefähr 15 Jahren sang ich im Kirchenchor Birsfelden, freute mich Woche für Woche auf die Probe und das Singen zu bestimmten Gottesdiensten. Doch dann kam die Zeit, in der ich immer öfter schmerzlich erkennen musste, wie die Qualität des Gesungenen - mangels jüngerem Nachwuchs - abnahm. Singen, meine Leidenschaft! Mein Wunsch nach Perfektion im Gesungenen - genaue Töne, Takte, zutreffende Modulation in anspruchsvollen Werken - wurde je länger je mehr enttäuscht. Nein, da konnte ich einfach nicht länger bleiben, nicht länger zuhören, meine Ohren hielten es nicht mehr aus. Als ich schliesslich während den Proben immer wieder kurz auf die Uhr schaute - wann ist sie endlich zu Ende? - sagte ich mir: "Was dir keine Freude mehr macht, musst du auch nicht länger tun". Etwas zu abrupt (meinten einige Chor-Mitglieder) verliess ich den Chor. Schaute anschliessend bei diesem oder jenem Chor in Basel vorbei, nur um festzustellen: ich bin zu alt. Alle Chöre werben für jungen Nachwuchs, Frauen in meinem Alter haben sie genug, nicht so bei den Männerstimmen. Zusammen mit einem Mann würden sie auch mich aufnehmen, wurde mir gesagt. Habe ich aber nicht, einen Mann. Was bleibt mir? Ich schwöre: sollte ich nochmals auf dieser Erde inkarnieren (oder auf einer andern?), dann will ich nur noch singen, Musik, Rhythmus zu meinem Beruf machen!
Februar 2017: Juhui, doch wieder einen Chor gefunden.
Hatte nach 6 Jahren die Hoffnung fast aufgegeben, je wieder mit Freude in einem Chor singen zu dürfen. Hatte mich damit abgefunden: Alles im Leben hat ein Ende... bevor das Leben selbst endet. Könnte nicht doch noch ein Wunder geschehen? Irgendwo, irgendwie, lebte die Hoffnung trotzdem weiter. Und tatsächlich flatterte mir eines Tages ein Flyer zu: "Chor50 in Basel". In diesem Chor würden sie nur über 50-jährige aufnehmen. Einzige Bedingung: Erfahrung im Chorsingen und Noten lesen können. Beides entspricht mir. Also ging ich hin. Im April 2017, nach 3 Monaten Probezeit, wurde ich als offizielles Chormitglied aufgenommen. Bin überglücklich, dass es doch noch einmal geklappt hat, bevor des Lebens Ende. Was mir besonders gefällt ist die Probezeit am frühen Abend: 17:45-19:30. Perfekt, kein spätes Heimkommen nach den Proben. Wunderbar!
Freiwillige Einsätze, 
sei es im Verein "Senioren für Senioren" sei es im nahen Altersheim oder in der Pfarrei, sind mir kein Muss. Ich mache sie gerne. Beim Verein "Sen. f. Sen." verwalte ich die Mitgliederliste, nehme Kontakt mit Neumitgliedern auf, schreibe am Monatsende Rechnungen für die Kunden, welche unsere Dienstleistungen in Anspruch nehmen und die Löhne für jene, welche diese Dienstleistungen ausführen. Natürlich wird dies alles am PC erledigt, was für mich nicht Arbeit, sondern angenehmer Plausch ist. 
Malkurse
Schon vor der Pensionierung begann ich mit Zeichnen und Malen; besuchte private Malkurse, um dieses Handwerk von Grund auf zu lernen. Dreimal reisten wir (6 Frauen) im Sommer für 2 Wochen in die Provence - Lieblingsgegend von Cézanne und Co. - um das für diese Gegend typische Licht einzufangen und versuchen zu malen. Eine gute Zeit. Nach ungefähr 10 Jahren beendete ich diese Kurse, weil ich, wie mir schien, das Handwerk gut genug kannte um es allein weiterführen und meinen eigenen Stil finden zu können. Im Malkurs folgte ich den Vorschlägen der Lehrerin, arbeitete entsprechend ihren Vorstellungen an einem Bild, passte mich ihrer Kritik an, bis sie damit zufrieden war. Es fiel mir schwer meine eigene Meinung durchzusetzen, ihr z.B. entgegenzuhalten, dass das was ich gemalt hatte für mich stimmte. Fühlte mich oft wieder in den Zustand des "Kind-in-der-Schule" zurückversetzt - alles genau so machen wie der Lehrer es will. Im Lauf der Kurse wurde mir dies je länger je mehr bewusst. Dass ein Bild nie "fertig", nie "perfekt" ist - so wie kein Mensch nie, weder "fertig" noch perfekt ist - wurde mir bewusst. Für mich eine weitere gute (Lebens) Erfahrung mehr: wenn's für mich stimmt, dann stimmt's, spielt keine Rolle ob von andern bestätigt oder nicht. Das Gute an solchen Malkursen: Man lernt genau hinschauen, Details exakt erkennen, Formen studieren, Perspektiven ausmachen. 



 
Genügsam, und dadurch bewusster leben
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19.  Ich darf alt werden.

Genügsam, und dadurch bewusster leben

Vielleicht, ja vielleicht drehe ich manchmal den Rappen zweimal (zu viel) um bevor ich mir etwas kaufe oder gönne was nicht absolut notwendig ist. Sparen liegt mir seit Kindheit im Blut. Meine Mutter in dieser Hinsicht ein grosses Vorbild. Nie hätte sie irgendetwas verzögert bezahlt, oder gar einen Kredit aufgenommen. Dann lieber darauf verzichten bis man es bezahlen konnte. Wenn Nachbarn oder Bekannte begingen, was sie als Dummheiten empfand - dauernd in Beizen herumsassen oder sich eine Geliebte neben der Ehefrau hielten - erinnere ich mich bis heute an ihren Ausruf: „Sie haben zu viel Geld, es ist das Geld!“ Heute sage ich das Gleiche, wenn ich sehe für welche Absurditäten oder Unnützes viele Leute ihr Geld ausgeben. Und doch, hin und wieder muss ich mir - knapp am Geizhals vorbei schrammend - einen Tritt versetzen: "Sei doch nicht so knauserig oder gar geizig, hast ja im Moment genug Geld, kannst eh nichts mitnehmen, wenn deine Zeit gekommen ist". 
Geldsorgen? Im Moment nein.
Ja, im Moment habe ich, dank meiner genügsamen Lebenseinstellung, genug Geld. Bin weder von der Sozialhilfe noch von Ergänzungsleistungen abhängig. Ändern würde sich dies erst mit einem Umzug ins Pflegeheim, was ich mir natürlich überhaupt nicht wünsche. Zum Glück hat man mir während meiner Zeit im Kloster - in Frankreich und anderswo - die AHV regelmässig einbezahlt. Was die 2. Säule (Pensionskasse) betrifft, stand ich mit Einzahlungen in diese nach meiner Rückkehr in die Schweiz ganz am Anfang. Hätte mich zwar in diese einkaufen können, aber woher so viel Geld nehmen, um dem Zug der in meinem Alter schon längst Einzahlenden doch noch aufzuspringen? Daher blieben mir bis zur Pensionierung nur 14 Jahre, um mir in dieser Kasse ein kleines Alterskapital anzusparen - abzüglich der letzten knapp 3 Jahren, in denen ich entweder durch listiges Vorgehen einer Vorgesetzten hintergangen wurde, oder einfach zu wenig verdiente. Daher keine monatliche Rente aus der 2. Säule, sondern ein ausbezahltes kleines Kapital. Hingegen zahlte ich in diesen letzten Arbeitsjahren regelmässig in ein 3. Säule-Konto ein. So steht mir jetzt auch dieses Kapital zur Verfügung. Was meine AHV-Rente schliesslich ergänzt, sind 4 verschiedene kleine monatliche Renten aus Frankreich. Das Kloster zahlte in Frankreich für alle Mitglieder in eine, für Kirchenleute aller Religionen bestimmte Rentenkasse ein. Diese Rente erhalte ich nun jeden Monat, sie geht nicht ans Kloster zurück (zwischen 75.- und 85.- Fr/monatlich). Über eine andere Rente aus Frankreich muss ich manchmal lächeln: Als ich in Nizza nur 1½ Jahre als selbständige "infirmière à domicile" arbeitete, mein Einkommen des ersten Jahres gerade mal den Betrag der obligatorischen Einzahlung in die Rentenkasse dieser Berufsgattung ausmachte, hätte ich nie gedacht, dass mir das mal zugute kommen würde. Seit 2009 erhalte ich um die 70.- Fr/monatlich aus dieser Kasse. Damit ist mir bis heute 2016, die damalige Einzahlung schon längstens als Rente zurückbezahlt worden.
"Es muss nicht immer Kaviar sein"…..
heisst der Titel eines Buches. Nein, es muss nicht immer das Neueste, Beste, Modernste und was Reisen betrifft, das Weiteste sein. Als 2013 Erneuerung von Reisepass und ID-Karte anstand, erneuerte ich nur die ID-Karte. Will nur noch in ID-Karten-Länder - Europa - reisen. Und zwar reisen, nicht fliegen! auch wenn reisen per Bahn teuer, und fliegen viel zu billig ist - eine Schande!!!! 
(Gedankensplitter heute, 2018: Ist es bei der heutigen Vielfliegerei nicht allzu heuchlerisch, wenn mit der sogenannten CO2-Abgabe ein gutes Gewissen erkauft werden kann - "kann soviel fliegen wie ich will, hab ja meine CO2-Abgabe bezahlt"? Wird doch wissenschaftlich immer wieder darauf hingewiesen, dass unter anderem auch fliegen sehr negative Folgen für das Klima hat.)
"Warum in die Ferne schweifen, sieh, das Gute liegt so nah". Heute kann ich mich am kleinsten Spaziergang erfreuen, weil die Natur jeden Tag anders aussieht. Hier, nur 2 Minuten zu Fuss von meinem Wohnblock liegt ein wunderschönes Biotop ganz nah am Rhein. Die "Kraftwerk Birsfelden AG" - im Besitz des Areals - hat mit ihrem seit 2012 neuen Leiter, die Wichtigkeit solcher Kostbarkeiten an Biodiversität für Mensch und Tier endlich eingesehen. In den Jahren zuvor war das noch ganz anders. Sie wollten das Biotop austrocknen und ein 15-stöckiges Hochhaus hinstellen. An der Gemeindeversammlung war der Aufstand vorprogrammiert (eine der seltenen an welchen ich bisher teilnahm) und das Projekt haushoch (hoch wie das vorgesehene Hochhaus) abgelehnt. Was gibt es Schöneres als dort übers Jahr das Leben der Vögel, Frösche, Enten, Libellen zu verfolgen.
Ich besitze immer noch die gleichen Möbel, Geschirr, usw. wie vor, inzwischen über 20 Jahren. Viele Kleider sind ebenso alt - wenn ich denn noch reinpasse.... - gehöre zur Generation: "dieses tut es noch, da muss nichts Neues her, oder, dieses Kleid kann ich selbst ändern, erweitern (z.B. Hosen) oder flicken". Ganz schlimm (finde ich) sind heute extra kurzlebig programmierte Geräte - TV, PC, Handys, Drucker, Kühlschränke, Waschmaschinen - um ja den Konsum am Laufen zu halten.
Ich sage nur: schlimme Resourcen-Verschwendung, giftige Produktionsstätten und Abfallberge in fremden Ländern, galoppierende Umweltverschmutzung.... Sind wir wirklich glücklicher dabei????

 

 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Eine Grosstante gibt ihren Führerschein ab
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19.  Ich darf alt werden.

Eine Grosstante gibt ihren Führerschein ab
Ein grosses Glück, dass die Kinder meines Bruders Guido - alle 3 verheiratet - in Birsfelden oder nahe bei Birsfelden wohnen. Staunend verfolge ich die Entwicklung ihres Nachwuchses und geniesse die Kleinen - inzwischen sind es 6. Diese kleinen Kinder nur geniessen wie ich es mir erlauben kann, können natürlich deren Eltern nicht. Dass diese oft ganz schön im Stress sind um Kinder, Beruf, Partnerschaft und einiges mehr unter einen Hut zu bringen, bekomme ich auch mit. Heute, Juni 2018, zähle ich insgesamt tatsächlich schon 22 Grossnichten/Grossneffen.
Mit 69 verzichte ich freiwollig auf den Führerschein.
Den Führerschein hatte ich 1973 in Frankreich erworben. Die erste Aus- oder Weiterbildung die mir das Kloster bezahlte. Ich hatte die Oberin gleich nach dem Noviziat darum gebeten. Richtig stolz auf mich war ich damals, als ich den Ausweis nach nur ca. 10 Lehr-Fahrstunden und gleich nach der ersten Prüfung erhielt. Andere Nonnen seien 2 oder 3 x bei der Prüfung durchgefallen bis sie endlich das begehrte Papier in Händen hielten, sagte man mir nach meinem Erfolg. Im Kloster bin ich da und dort mit verschiedenen Autos gefahren, besonders in den Jahren als "infirmière à domicile". Hatte nie Probleme mit anderen Modellen als dem bis dahin bekannten zu fahren. Ein eigenes Auto besass ich im Kloster natürlich nie, und danach nur für kurze Zeit - genau 8 Monate - 1 Jahr vor meiner Pensionierung. (s. Kapitel: Neubeginn in der Schweiz, Seite: 2½ harte Jahre.) Die Zunahme des Verkehrs in der Schweiz der letzten 20 Jahre ist bedenklich, um nicht zu sagen, unheimlich. Oft, wenn nicht meistens, genügt ein Auto pro Haushalt nicht mehr. Wer in solchem Verkehr mithalten will, muss ein Auto nicht nur besitzen, sondern regelmässig fahren um nicht ängstlich zu werden, vorausschauend zu bleiben, sich nie stressen zu lassen. Dass ich mir kein eigenes Auto mehr leisten will/kann, dazu hatte ich mich längstens entschieden. Doch was ist mit dem Führerschein? Eine Zeit lang zögerte ich: will/kann ich ohne Führerschein leben? Könnte er mir eines Tages nicht doch noch nützlich sein? Angehörige meinten: "Behalt ihn doch, weisst nie ob du ihn nicht doch mal im Notfall brauchst". Ich meine, genau in einem Notfall könnte ich ihn erst recht nicht brauchen, denn wo Not ist, ist Stress, also doppelter Stress für jemand der sonst nicht mehr fährt. Meine Schwestern meinten: "Du kannst hin und wieder mit unserem Auto fahren, um dran zu bleiben". Auch hier: "hin und wieder" geht bei diesem Verkehr nicht mehr. Mit etwas Wehmut verabschiede ich mich schliesslich von meinem Führerschein. Mich von diesem "Fetzen Papier" zu trennen, kostet mich dann doch einiges an Überwindung, trotz aller Überlegungen zuvor. Vor dem Briefkasten-Schlitz zögere ich eine ganze Weile - soll ich oder soll ich doch nicht? - bevor ich mich von diesem Ausweis schliesslich trenne. Auf diesen Ausweis verzichten war wie ein Stück von mir abtrennen, loslassen; ich werde es nie mehr besitzen. Ein Ding (Ausweis) loslassen ist ja erst der Anfang: in den kommenden Jahren wird noch viel "Loszulassendes" - und nicht nur Dinge - dazukommen, also üben, üben, üben.....


(1) Januar 2016: Grossneffe Manuel und Grossnichte Nathalie
Januar 2016: Grossneffe Manuel und Grossnichte Nathalie

 



(2) 2016: Grossneffen Manuel und Simon, Grossnichte Nathalie

2016: Grossneffen Manuel und Simon, Grossnichte Nathalie

Erhaltener Kommentar:  24.06.2016 - 21.03 Uhr von Maria Luise Kunz-Segessenmann
Jöö, wie härzig Maria, chasch Di also a Dine Neffe und Nichte erfreue, das isch schön! E ha grad über ne Schtund Di Bricht glääse und ha scho Pflotschauge. Jetz gohn i is Bett. Super bis da hi. Be gschpannt uf die nächschte Sitte. MaLu 
 

 

 

 

 

 

Wer rastet rostet. Neugierig wie eh und je.
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19.1.  Ich darf alt werden. – Wer rastet rostet. Neugierig wie eh und je..
Wo immer ich mich auf der Welt aufhielt, mindestens ein Musikinstrument musste dabei sein. Meistens spielte ich dann trotzdem - aus Zeitmangel oder was auch immer - leider zu wenig darauf. Schade, sage ich heute. Die Blockflöte hat mich überallhin begleitet, weil sie klein ist und mir den richtigen Ton gibt wenn ich die Saiten der Gitarre, der Mandoline oder der Zither korrekt stimmen will. In jungen Jahren begleiten mich Mandoline und Blockflöte. In Thailand ersetzt eine Ukulele die Gitarre. In England hingegen hatte ich Blockflöte, Gitarre und Zither dabei. Dort kamen sie endlich öfters zum Einsatz, besonders während den Monaten in Heronbrook-House. So richtig virtuos bin ich auf keinem dieser Instrumente geworden. Aber Lieder begleiten, oder auf der Zither besinnliche Momente hervorzaubern, das ging und geht recht gut, sei es mit Gitarre oder heute eher mit der Zither.
Die Zither zum Klingen bringen.
Jetzt, im fortschreitenden Alter spiele ich vor allem auf der Zither, z.B. bei speziellen Gottesdiensten oder Anlässen während der Advents- und Weihnachtszeit. So etwa bei Gottesdiensten im Kreis einer kleinen Gemeinde - 15-20 Personen - in der Krypta der Kirche, morgens um 6 Uhr. Oder wie letztes Jahr, als Hintergrundmusik zu einem festlichen Abendessen im Altersheim (Demenz-Abteilung). Zweimal schon wurde ich für Hintergrundmusik anlässlich einer Kunstausstellung gefragt. Dabei spielte ich an 2 Tagen jeweils während mindestens 6 Stunden fast ununterbrochen Musik. Der Raum klein, passte gut für diese leise/feine Musik. Ich sass ganz hinten, durch Stellwände fast ganz verdeckt. Wenn Besuchende, durch das Labyrinth aus Bilder-Wänden geschlendert, meine Ecke erreichten, staunten sie, erst jetzt erkennend, dass "live" Musik gespielt wurde. Eine Dame sagte es rundheraus: "Oh, ich dachte, da laufe eine CD". Und natürlich spiele ich oft einfach so für mich selbst improvisierte Melodien, je nach Stimmung melancholisch oder fröhlich.

31.12.2016: Ein spezieller Silvesterabend: das erste Mal die Rolling Stones wirbeln sehen.
Die eigene Lebensgeschichte auf www.meet-my-life.net schreiben ist nicht alles. Man kann sich auch mehr oder weniger intensiv, oft staunend, in das Leben anderer Autoren/innen hineinlesen. Wenn da einer schreibt wie er eines Tages Fr. 900.- (VIP-Ticket) für ein Live-Konzert der Rolling Stones bezahlt hatte, sagte ich mir: hoppla, da muss was dran sein bei diesen Stones. Was ich nämlich bei diesem Autor über sein Leben las und fortlaufend lese, zeigt das Gegenteil eines durchgeknallten, verschwenderischen, "ewig-jung-bleiben-wollenden" Alten - uralt ist er noch lange nicht.... - wie man es bei einer solchen "Geldverschwendung" vielleicht denken könnte. Also muss es etwas anderes sein was ihn dazu bewog diesen Preis zu bezahlen. Als das Fernsehen am Silvesterabend das ganze Stones-Konzert in Kuba (2016) ausstrahlt, will ich es wissen. Natürlich hatte ich in jungen Jahren von dieser Band gehört, genauso wie von den Beatles. Aber in meinem damaligen frommen Umfeld waren solche Bands verpönt, oft sogar als "Teufels Bands" angeprangert. Wenn ich damals überhaupt die Möglichkeit hatte Musik ab Radio oder LP - später Kassetten - zu hören, bevorzugte ich klassische Musik. Dieser Silvesterabend bot mir eine (letzte?) Gelegenheit den Rolling Stones mal so richtig zuzuhören, sie, wenn auch nur per Bildschirm zu sehen. Habe mir das ganze Konzert angeschaut und.... Überraschung, ich fieberte tatsächlich mit. Staunte über das Künstlerische auch in dieser Art Musik (und Show), welche sogar eine "Alte" wie mich noch begeistern konnte. Staunte einerseits über die Fitness dieser inzwischen - und nach über 50 Jahren immer noch zusammen auftretenden - alten "Knacker". Staunte andererseits, wie sie dabei nach so vielen Jahren anscheinend noch viel Spass dabei hatten und sehr menschlich miteinander umgingen. 50 Jahre: ich hätte sie also schon mit 22 hören können (s. frommes Umfeld), musste 72 werden bis ich sie das erste Mal hörte/sah. Vielleicht ihr allerletzter Auftritt? Allein auf meinem Sofa sitzend, war es für mich das Ereignis des Abends. Toller Ausklang des Jahres 2016.
Ballade an den Ufern des majestätischen Rhein.
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19.1.  Ich darf alt werden. – Wer rastet rostet. Neugierig wie eh und je..

Ballade an den Ufern des majestätischen Rhein.
Überschwängliche Freude, tiefe Verzweiflung: des Lebens gleiche Medaille. Beide rauben dir Schlaf und Appetit. Beide ziehen dich hinein, in dein tiefstes, einzigartiges Menschsein - wenn du willst.... Wenn du willst, dazu bereit bist, kann dir eine solche Zeit - vor allem eine schmerzliche - von Nutzen sein indem du dich fragst: Was möchte sie dir über dich selbst offenbaren? Will sie dir vielleicht einen in dir noch verborgenen Schatz zeigen? Dir neue Erkenntnisse für dein weiteres Leben aufdecken? Dich verstehende, mitfühlende, dich begleitende Freunde/Freundinnen, eine Seltenheit. Eine lebenslange Illusion. Keinem Menschen ist es je möglich, den andern voll und ganz zu verstehen. Irgendwo, irgendwie enttäuscht oder überrascht der/die Andere immer. Also wirst du dir deines Alleinseins bewusst, nimmst dieses Wort auseinander: All-Ein, alles im Einen. Du hast alles in dir. In dir ist alles. Wandernd, meditierend, entdecke ich ein Lebewesen, mir so ähnlich; denn auch ich bestehe zu mindestens 75% aus ihm: lebendiges Wasser.
Der Rhein, mein Beschützer und Freund.
Majestätischer, unvergleichlicher Rhein, fliessend, sprudelnd die kleine Schwester Birs aufnehmend. Bei Hochwasser wild tosend am Birsfelder Rheinfall (Kraftwerk). Ich liebe dich! Bist noch ganz rein an deiner Quelle entsprungen. Hast dir, total vergnügt, deinen Lauf selbst bestimmt, auf deinem Weg Leben hervorbringend und unterstützend. Bis man dir, zwängend und stauend, dein heutiges Bett anlegte. Menschen! Nimmst unsern Müll und Giftmüll auf ohne etwas einwenden zu können. Menschen! Seit tausenden von Jahren, ohne innezuhalten, fliesst und strömest du, alles tragend, alles ertragend, ohne Murren einfach deine Aufgabe erfüllend. Sagst noch „tut mir leid“ wenn du mal über die Ufer trittst in Basel.
An deinen Ufern begleite ich dich.
Du ziehst, ja treibst mich voran, zeigst mir wie alles Lebendige fliesst. Keine Momentaufnahme des Lebens kannst du, kann ich zurückhalten. Du rufst mir zu: „Deine quälenden Gedanken? Das war gestern! Du hast sie mir anvertraut. Sie sind zu einem weiteren Puzzleteil im Meer des Menschseins geworden“. Noch und noch höre ich dich rufen: „Schau nach vorn, ich mach’s dir vor: das grosse Unendliche erwartet dich“.
An deinen Ufern schreite ich dir entgegen.
Du wirst nicht müde, auf mich zukommend, mir Schritt für Schritt deine Arme weit zu öffnen. Umarme mich fest lieber Rhein. Könnte ich schwimmen, ich würde in deine Umarmung eintauchen, mich vergessend und vertrauend von dir beschützen und liebkosen lassen. Nur nicht stürmisch solltest du sein. Stürmisch wie ich dich nachts bei Hochwasser höre, wenn alle anderen Geräusche verstummen. Wenn Sehnsucht hochkommt. Sehnsucht, zugleich schmerzhaft und mich lebendiger werden lassend; als könnte man sich nur im Schmerz wirklich lebendig fühlen.... Weißt du was lieber Rhein, Andere fragten mich erstaunt: „Was ist heute los mit dir? Du sprühst ja vor Leben.“ Danke lieber Rhein! Hab Nachsicht mit uns Menschen, die wir blind auf dieser Erde umherstolpern, vergessend, dass nur Deinesgleichen unser aller Überleben sichert. 


(1) Birsköpfli in Birsfelden: von links fliesst die Birs in den Rhein.
Birsköpfli in Birsfelden: von links fliesst die Birs in den Rhein.

 



(2) Rhein: Blick von der Kraftwerksbrücke nach Basel. Am linken Ufer Birsfelden

Rhein: Blick von der Kraftwerksbrücke nach Basel. Am linken Ufer Birsfelden

 

 

Facebook: soll ich, soll ich nicht?
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19.1.  Ich darf alt werden. – Wer rastet rostet. Neugierig wie eh und je..

Facebook: soll ich, soll ich nicht?
Mai 2016: Facebook: davon gehört, darüber gelesen, eingeordnet unter "Social Medias". Nie reingeschaut was hinter diesem Namen so abläuft. Wollte es eigentlich gar nicht wissen, dachte: ist halt für die Jungen, die sogenannten "digital natives". Dachte ich würde, wie viele meiner Generation, schon genug herausgefordert mit E-mails, Smart-/i-phones, Whats- und anderen Apps. Stolz darauf, den Einstieg in's Computer/Internet-Zeitalter vor 20 Jahren gerade noch geschafft zu haben. Dachte, dies sollte bis zu meinem Ende genügen. Was bei der aktuell galoppierenden IT-Entwicklung noch alles kommen würde, wäre bestimmt in Zukunft nichts mehr für mich. So dachte ich. Aber, neugierig wie eh und je will ich es trotzdem wissen, will - wenigstens - Facebook noch kennen lernen (inzwischen ist auch Facebook schon "alt"). Ist dieses Medium wirklich so gefährlich, oberflächlich, entblössend, unpersönlich, echte Begegnungen verhindernd, wie ich oft höre? Will ich überhaupt zu den "followers" dieses super-hyper-reichen Zuckerberg gehören, mich an seinem "noch-reicher- werden" beteiligen? Soll ich - soll ich nicht - mich registrieren? Ich steige ein, melde mich an, gebe aber nur ein absolutes Minimum von mir preis. Allzu gläsern will ich dann doch nicht werden. (Werden es ohnehin früher oder später, können es nicht verhindern.) Ist alles halb so schlimm, stelle ich bald fest. Wie bei allem, und bei Facebook im Besonderen, kommt es drauf an, was ich daraus mache, wie ich mich dabei verhalte. Was mich als Erstes erstaunt und belustigt sind die vielen, wie aus heiterem Himmel hereintrudelnden Freundschaftsanfragen. Diese anzunehmen oder eben nicht, mir freigestellt. Bin auf keinen Fall auf Abenteuer aus. Unbekannte sind mir suspekt. Hingegen kann es passieren, dass unerwartet neue Bekanntschaften entstehen oder ehemals Bekannte wiedergefunden werden. Letzteres mir einige Male passiert und mich gefreut hat.
Aller Augen auf den kleinen Bildschirm glotzend.
Nein, soweit wird es bei mir nicht kommen. Die Natur, echte Menschen sind mir viel wertvoller als eine virtuelle Welt. Weiss nun wenigstens warum so viele Menschen dauernd in diese kleine Glotze glotzen. Kann nur wegen Facebook, oder Instagram, oder Twitter, oder? oder?... sein. Weiss jetzt auch wie viele Stunden man damit zubringen - vertrödeln? - kann nur um dies und das zu lesen, zu teilen, zu "liken", usw. 
November 2016:
Also überzeugen tut mich dieses Facebook nicht: Schnipsel Kommentar hier, Schnipsel Kommentare zum Kommentar dort. Echter Austausch kann das ja wohl nicht sein, bestimmt nicht für mich. Wörter und Sätze werden hin- und hergeschoben, bei welchen man anscheinend total vergisst. dass - wie es auf Französisch so schön heisst: "c'est le ton qui fait la musique" - der Ton die Musik ausmacht. Nichts, gar nichts kann einen echten Austausch mit einem echten Menschen ersetzen. Offenbart sich doch dabei mit jedem gesprochenen Wort - dem Ton der Stimme, der Gestik - sein Menschsein. Missverständnisse, schon mit einem echten Gegenüber nie ganz ausgeschlossen, ereignen sich bestimmt noch viel öfter mit diesen hin und her geschobenen Wort-Schnipsel. 
Fazit: Kommunizieren können wir heute über e-mails, SMS, Facebook, Messenger, WhatsApp, Twitter, Instagram, und-und-und.... in Sekundenschnelle - kein Bangen mehr oder Warten auf Antwort. Verstehen wir uns deshalb besser? Werden wir dabei nicht oberflächlicher, gefühlsmässig ärmer, sogar unmenschlicher, daher einsamer? 
 
 
 
 
Doch noch ein "Kind......-le"
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19.1.  Ich darf alt werden. – Wer rastet rostet. Neugierig wie eh und je..

Doch noch ein "Kind......-le"
Februar 2018: Nicht mehr in einem Buch lesen, des Nachts kein schweres Buch halten und umblättern müssen - und dabei die Hände abfrieren, weil die Heizung im Schlafzimmer immer ausgeschaltet ist: Tempi passati. Jetzt kann ich auch kuschelig unter der Decke lesen, kommt nicht drauf an ob auf dem Rücken liegend oder auf welcher Seite auch immer. Angenehm, purer Luxus. Ein Kindle (E-book Reader) macht dies möglich. Aber bis ich mit diesem Gerät zufrieden und es nun voll geniessen kann.... was für ein dorniger Weg! Natürlich, wie ich immer wieder ausdrücklich betone: "nicht der Rede wert" (unsere kleinen Luxusprobleme!), angesichts der Menschen, die jeden Tag ums Überleben kämpfen müssen.
Meine erste Online-Bestellung.
Nie zuvor hatte ich irgendeinen Gegenstand online bestellt, hatte ja auch bis dahin keine Kreditkarte. Und eine solche brauche man für online-Einkäufe, habe ich mir sagen lassen. Also zuerst Kreditkarte beantragen. Wurde mir nach ein paar "Klicks" auf dem PC ohne Probleme gewährt. Dann also los: im virtuellen Shop einen Kindle in den "Einkaufswagen" schmeissen, Kreditkartennummer eingeben und 2 Tage später dieses "Kind...le" im Milchkasten. Kurz darauf jedoch meine ich, meinen online-Einkauf bereuen zu müssen: An wen sich wenden, wenn das Ding nicht läuft wie es nach "Rezept" eigentlich laufen sollte? Online ist online, da oben irgendwo in der Wolke. Keine direkte Ansprechperson da, wenn sich dieser Kindle partout nicht online schalten will um z.B. ein Buch herunterzuladen (zum Lesen brauche ich kein WLAN aber um Bücher herunterzuladen schon). Nach langem Suchen im riesigen Urwald des Online-Anbieters mit Tausenden Gadgets für Konsumwütige, ausser, ja genau, ausser einer direkten mail-Adresse oder Tel.Nr. (kam mir vor wie das Suchen einer Stecknadel im Heuhaufen), konnte ich mich dann doch noch - der Hilfe eines Bekannten sei Dank - über den scheinbar defekten Kindle bei einer Person beschweren. 2 Tage später: neuer Kindle in meinem Milchkasten, mit demselben Problem: keine Verbindung über mein WLAN möglich!
"Kind"-le ist nicht krank. Etwas anderes war es. 
Soll ich resignieren, mich damit abfinden, Bücher halt nur per PC mit nachfolgendem Transfer auf Kindle herunterladen? Oft, zu oft resigniere ich zu schnell (eher eine meiner sogenannten Schattenseiten). Aber wo ein Wurm drin ist, "wurmte" es in mir weiter. Muss partout herausfinden wo und was dieser Wurm frisst. Also los, husch-husch zur Quelle, heisst, mit zuvor abmontiertem Modem/Router zu meinem Netzwerkbetreiber: Neue Konfiguration, kleine Ein- oder Umstellung. Wieder zu Hause: Anschluss des neu konfigurierten Routers und Bravo, Kindle jetzt online. Dann oh Schreck: Totaler Internet-Black out auf meinem PC. 1-2 Tage ohne Internet! Entzugserscheinungen! Kaum auszuhalten, stelle ich fest. So schnell bin also auch ich abhängig (nicht nur die Anderen) von dieser so selbstverständlich in unser Leben integrierten Technik. Ich hätte nie geglaubt, dass auch ich Entzugserscheinungen haben könnte. Am nächsten Tag mit Sack und Pack, sprich mit Apple-PC, Modem, Kindle, Handy unterm Arm oder sonst wo (kein elektronisches Gerät zu Hause gelassen), per Bus zurück zum Netzwerkbetreiber. Nach einer Stunde hatte der nette Techniker alle Probleme behoben. Muss sagen, einen besseren Service kann man sich kaum vorstellen (Absolut keine Kosten für mich, auch nicht für das neue Modem). So schrecklich down ich mich auf dem Hinweg fühlte, so stark jubilierte ich auf dem Heimweg. Alles läuft seither! Kind-le nun schön brav, geht online ("schön im Gänsemarsch") wenn ich es will. 


(1) Mein Kindle "Voyage" soll hier seinen Platz haben. Vielleicht ist das Dasein solcher "Gadgets" in einigen Jahren und mit der galoppierenden Schwindsucht der IT-Branche schon "out".
Mein Kindle "Voyage" soll hier seinen Platz haben. Vielleicht ist das Dasein solcher "Gadgets" in einigen Jahren und mit der galoppierenden Schwindsucht der IT-Branche schon "out".

 

Wiedersehen nach 55 Jahren! ---- Gast auf dem gelben Stuhl im TV-Studio.
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19.2.  Ich darf alt werden. – Wiedersehen nach 55 Jahren! ---- Gast auf dem gelben Stuhl im TV-Studio..
Überraschungen im Leben sind einfach der Hammer! Sind umso schöner, wenn total unerwartet - wären ja sonst keine Überraschungen. Nichts mehr erwarten, von niemandem, sich nur noch überraschen lassen. Seit einiger Zeit versuche ich jeden Tag mit diesem Motto zu beginnen: "Heute nichts erwarten - Überraschungen willkommen". Erwartungen = Stress, überrascht werden = überschwängliche Freude...... natürlich gibt es auch leidvolle bis traurigste Überraschungen = Leben.
Begegnung mit Heidi Gisler (verheiratete Föhn) nach 55 Jahren!
Heidi hatte einen Bericht über mich (mit Foto) in einem Magazin entdeckt. Sie habe nur kurz gezögert (ob ich denn wirklich diese Maria von damals sei?), habe sich - trotz allerletztem Kontakt vor 55 Jahren, trotz Null-Adresse von mir in besagtem Magazin - umgehend in ihre alten Fotos vergraben und mir 2 davon als Kopie, mit "erinnerst du dich" beschriftet, ihrem handgeschriebenen Brief beigelegt. "Klar erinnere ich mich", rief ich am Abend durchs Telefon. Seit 1961, unserem gemeinsamen Jahr im Welschland, hatten wir nichts mehr voneinander gehört. Ein Treffen unumgänglich. Im Mai 2017 verwöhnen mich Heidi und ihr Mann mit 3 unvergesslichen Tagen voller Schönheit und Genuss. Ganz verschiedene Lebenswege haben wir eingeschlagen: Heidi hat einen Bauern, Landwirt in 5. Generation in den Bergen oberhalb Schwyz, geheiratet, hat 8 Kinder geboren, mit inzwischen 22 Grosskindern und, immer noch Bäuerin, unterstützt weiterhin Sohn und Schwiegertochter auf dem Hof. (Nur mit dem Ertrag vom Hof kann die Familie ihres Sohnes nicht leben.) Ihr "Daheim" wunderschön: ein 250 Jahre altes grosses Bauernhaus ausserhalb des kleinen Dorfes Aufiberg. Und was finde ich in diesem Haus, im mir zugewiesenen Schlafzimmer wieder - seit 55 Jahren - seit wir beide in jenem alten Gemäuer in St. Maurice hausten, nie mehr Benötigtes? Genau! einen Nachttopf unterm Bett. Schallend muss ich lachen. Ebenso laut giggelt Heidi. Die ausgetretene Treppe runter sei nachts viel zu gefährlich, auch sie und ihr Mann würden sich eines Nachttopfs bedienen. Kein Problem für mich. Am Morgen dann meine erste Tat: den vollen "Hafen" runtertragend nochmals Gelächter auslösen. Heidi ist nie gereist, nie geflogen, nie viel herumgekommen, aber sie strahlt unendlich viel Zufriedenheit aus, möchte kein anderes Leben gelebt haben. Während 3 Tagen und schönstem Wetter nahmen sie mich mit auf den Stoos und mit dem Sessellift (meine bevorzugte Bergbahn) auf den Fronalpstock. Unvergleichliche Aussicht über See und Berge, dazu Mittagessen da oben. Alles mir geschenkt, keinen Rappen wollten sie mir - trotz langem "Gstürm" meinerseits - abnehmen. Das Gleiche anderntags mit anderem Programm. Für mich waren es Tage tiefen Einblicks ins Leben unserer Bergbauern. Liebe Heidi, alles, besonders Eure Grosszügigkeit, einfach grossartig! Hast zwar kein Internet aber per Telefon und mit einer schönen Karte hatte ich dir dies mitgeteilt.

Im TV-Studio: Gast auf dem gelben Stuhl. (September 2017) 
"Panem et circenses" (3. Jahrh. die Römer) - Konsum und Unterhaltung (2017)
       Der Einladung gefolgt, Reise hinter die Kulissen,
       mal nicht vor sondern in der TV-Glotze sitzen.
       Wie sieht's dort aus, wie ist der Ton?
       Die (Talk) Show must go on....
                 Nichts da mit ernst-sein, du Naive,
                 Unterhalten sollst du, nichts da, mit Tiefe.
                 Schall und Rauch, Spass und Bauch.
                 Programmiert: Oberflächlichkeit garantiert.
                 Nichts da mit ernst-sein, du Naive....
                          Kameras aus, der Spuk vorbei, frustriert?
                          Nein, Begegnungen erst jetzt echt.
                          Wo kommst du her, wo fährst du hin?
                          Wie siehst du deines Lebens Sinn?
                                   Mitternacht vorbei, wir reden noch, wir lachen noch,
                                   Reden über Menschen, die sonst fallen in ein Loch
                                   wenn nicht tagtäglich unterhalten vom Moloch (TV).
        Bin um eine Erfahrung reicher.
        Zuschauer meines Auftritts bestimmt nicht weiser. 
        Wollen es auch gar nicht sein, wollen Unterhaltung und Schein.
        Das war's dann wohl, bereue nichts, 
        auch wenn's mir absolut nicht entspricht.
        Neugier gestillt, Spass gehabt und mit echten Begegnungen gelacht.
 
6. Dezember 2017: Habe mir diese (meine) Talkshow-Sendung - heute ausgestrahlt - natürlich angeschaut. Sehr komisch, sich selbst reden und gestikulieren zu sehen/zu hören. Im echten Leben sehen einen ja nur die Anderen. Selber sieht man nicht wie man rüber kommt. Eine von mir "eingeweihte" Nachbarin meinte: "Du hast so viel mit den Händen geredet, das kannte ich an dir gar nicht" (Klar, Lampenfieber muss sich irgendwo, irgendwie abkühlen). Wie war das eigentlich damals, als Menschen den Spiegel noch nicht kannten? Eigentlich konnten sie ihr Aussehen, ja sogar ihre Art sich zu bewegen oder zu reden, nur durch Feedbacks von Andern erahnen. Also braucht es das "Du" um dem "Ich" in seiner eigenen Wahrnehmung näher zu kommen? Es scheint so zu sein. Würden wir sonst nicht zu Ego-Robotern? Wie sie anscheinend im Silicon Valley eben entstehen?

Leserin-Kommentar: 04.07.2018 - 15.26 Uhr, von Maria Luise Kunz-Segessenmann
Hallo Maria, nun hatte ich wieder einmal Zeit Deine Aktivitäten zu studieren. Toll, was Du alles erlebt hast! Bei uns ist in letzter Zeit nicht mehr viel los, weil Peters Parkinson recht zugeschlagen hat. Er kann nun ab morgen nach Tschugg in die Kur, wo sie hoffentlich die Krankheit ein wenig zum Stillstand bringen können, oder dass Peti sich wieder sicherer bewegen kann. ICH hatte auch einige Sachen zu überstehen. Etwas was mich belastet ist, dass ich eine Herzkranzverkalkung habe die mir zu schaffen macht. Ich muss halt jetzt meinem Mann sehr beistehen, wenn er so steif ist, besonders am Morgen, braucht er sehr Hilfe. Manchmal fällt mir das schwer. Unsere Tochter sagte, ich solle doch mit ihnen für 10 Tage nach Schottland kommen, Papi sei ja nun gut versorgt. Ich habe das mit schlechtem Gewissen mit meinem Mann besprochen und er sagte: Geh, vielleicht ist es das letzte Mal, dass Du reisen kannst. Nun geht also Peter vom 5.7.-26.7.nach Tschugg und ich vom 14.7.-25.7.nach Schottland. Ich kann es kaum glauben, dass ich mal fliegen werde. Ich war schon mal mit meiner Schwester in Lanzarote vor VIELEN JAHREN, aber seitdem war ich fast immer zu Hause. DIR liebe Schulfreundin wünsche ich noch viele erquickliche Schreibstunden und grüsse Dich herzlich. Deine Maria Luise 
Unterwegs mit Neffe Lukas und Grossneffe Maurice.
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19.3.  Ich darf alt werden. – Unterwegs mit Neffe Lukas und Grossneffe Maurice..

MACH ES WIE DIE SONNENUHR, ZÄHL DIE HEITREN STUNDEN NUR.
(Deutsches Sprichwort)
(Natürlich nicht eine mit Solarenergie funktionierende Uhr, wie sich vielleicht Digital-Natives, verloren in ihrer virtuellen Welt, eine Sonnenuhr vorstellen. Hoffentlich bleiben uns hier und dort echte Sonnenuhren noch lange erhalten.)

Dieser 19. April 2018 zählt eindeutig zu meinen heiteren Stunden.
Wie schon an anderer Stelle geschrieben, können oder wollen sich einige der heutigen jungen Väter wenigstens einmal wöchentlich einen "Papi"-Tag herausnehmen. Natürlich könnte man jetzt einwenden: kann sich, einmal mehr, nur eine Elite leisten, heisst jene, deren Budget gross genug, deren Frau auch oder sogar mehr arbeitet, usw. Aber auch jene die es sich leisten können, müssen es auch noch wollen. Was in vielen Männer-Hirnen noch lange keine Selbstverständlichkeit ist. Mann, könnte schief angesehen, als "weibisch", als Pantoffelheld "deklassiert" werden: "Wo bleibt da meine Männlichkeit, wenn ich einen Kinderwagen schiebe", usw. Darum macht es mich glücklich, wenn ich bei meinem Neffen und den beiden Männern meiner Nichten, hier in der Nähe wohnend, zusehen darf wie innig und selbstverständlich sie sich ihrem Nachwuchs widmen. Das geht dann manchmal so weit wie ich es gerade gestern erlebt habe: Zu Besuch bei Nichte Nora. Die 2-jährige Amira trippelt umher, ich sitze am Küchentisch meiner Nichte gegenüber, die ihre 2-Monate alte Sarina stillt. Amira ist nicht "fremdscheu", sie kennt mich, ich spiele mit ihr eine Weile das "Bauklötzchen-Spiel". Plötzlich tönt es aus ihrem Mund: "Maria weg!" Seltsam, was ist passiert? Kurzen Blickwechsel mit Nora. Diese scheint verstanden zu haben: "Amira, sagst du das, weil Maria auf dem Stuhl sitzt wo Papi gewöhnlich sitzt?" "JA!" Bestimmter hätte es nicht tönen können. Sie liebt ihren Papa, das stelle ich immer wieder fest, wenn ich dort bin. Miguel, Partner meiner Nichte Nora, hat Amira, seine Erstgeborene, eingewickelt in ein Tuch - dank Papi-Tagen - viele Stunden auf seiner Brust, herumgetragen. 
Nun aber zum 19. April.
Einige Tage zuvor spontaner Anruf von Neffe Lukas: "Hast du Lust mit mir und Maurice, bald 5-jährig, den Zürcher Zoo zu besuchen." Wer hätte da keine Lust!
Dieser 19. April 2018 ist statt ein Frühlings- schon ein Sommertag (um 25° warm). Kurz muss ich an April 2017 denken: sehr frostige Wintertage, minus Temperaturen, immense Frostschäden an Kirsch- Apfelbäumen und Reben. Sehe noch vor mir die in brauner Starre verfrorenen Kirschbäume im oberen Baselbiet. Und nun, ein Jahr später, der perfekte Tag (noch nicht zu heiss) um durch den Zürcher Zoo zu bummeln. Den Basler Zoo kenne ich gut, den Zürcher Zoo hingegen kannte ich kaum. Hatte vor Jahren mal mit Freundin Ursula vor allem die Masoala-Halle besucht. Muss schon sagen, ich war tief beeindruckt! In meiner Kindheit hörte ich vom Basler Zolli als dem Schönsten der Schweiz. Vielleicht war das damals so, ich selber hatte ihn nie gesehen. Aber heute ist der Zürcher Zoo wegen seiner breiteren Vielfalt an Tieren eindeutig sehenswerter. Ist ja auch nicht besonders erstaunlich, erfreut sich doch der Zürcher Zoo einer viel grösseren noch nutzbaren Umgebung als Basel. Mehr nutzbares Terrain heisst nicht nur mehr verschiedene Tierarten, sondern auch deren tiergerechtere Haltung. Eigentlich kann es in Zoos gar keine absolut tiergerechte Haltung geben und doch habe ich nirgends Tiere gesehen, die sich den lieben langen Tag wie in einem Käfig den Kopf oder sich selbst dauernd hin und her, auf und ab bewegten. Mit meinem Neffen diskutieren wir dieses Thema während wir durch den Zoo schlendern. Ich kenne Leute die absolut gegen Zoos sind. "Aber", meint Lukas: "Wie anders wäre es möglich Erwachsene wie Kinder auf die Dringlichkeit des Schutzes solcher Tiere in ihrer Wildnis aufmerksam zu machen, wenn es keinen Ort gäbe, wo man sie kennen lernen kann?" Grossneffe Maurice stellt sich noch keine solchen Fragen, staunen, immer wieder staunen genügt ihm. Und ich staune wie oft und wie schnell er kleinste Tiere noch vor uns entdeckt, z.B. im Masoala-Wald wo es ihm vor allem die Chamäleons angetan haben und er sich ihrer Ansicht nur mit Mühe und weiteren (Tier-) Versprechen entreissen lässt: Papi, ich habe den doch noch gar nicht fertig angeschaut". 
Nach dem Zoo noch "meet-my-life.net" in Bronze!
Hatte ich nicht irgendwo gelesen, dass es am Zürichberg eine Ausstellung mit Bronzefiguren von Freddy Air Röthlisberger gebe? Name der Ausstellung: "Mingeri Lüt", Berndeutsch für gewöhnliche, einfache Leute. In Bronze gegossenes Leben wie es im letzten oder vorletzten Jahrhundert bei uns in der Schweiz noch gelebt wurde oder gelebt werden musste, um zu überleben. Lukas ist vor der Heimfahrt einverstanden, einen Abstecher dorthin zu machen, ist ja nur 5 Minuten vom Zoo entfernt. Auf einer Bank sitzend, mit fantastischem Blick über Zürichsee und Berge ass er mit Maurice sein z'Vieri, während ich von Bronze zu Bronze pilgernd staunend und ergriffen diese Werke betrachte. Ja, so muss es mal gewesen sein, dacht ich mehr als einmal. Beim bronzenen Glarner "Schabzigermannli" angekommen, erinnerte ich mich, dass dieser auch regelmässig bei uns zu Hause vorbeikam und ihm Mutter jedes Mal einen Schabziger-Käse abkaufte. Sie konnte seiner Freundlichkeit nicht widerstehen. Dieser Plattform hier gedenkend ging mir durch den Kopf: Ein Name wie "Meet-my-life in Bronze" würde sich für diese Ausstellung auch gut eignen. 

Leser-Kommentar: 02.09.2018: 
Liebe Maria Oh ja, das war wirklich ein wundervoller Tag im Zoo Zürich. Maurice erzählt noch heute immer wieder davon. Vom Elefantenkalb, dem die Mutter half, vom Pfau, den Pinguinen und von Jumbo, der grossen Schildkröte. ER wünscht sich, schon bald wieder einmal nach Zürich in den Zoo zu fahren! Schön, dass du uns auf diesem Papa-Tag-Ausflug begleitet hast! Wir freuen uns auf viele weitere gemeinsame Ausflüge! Herzliche Grüsse (auch von Maurice) Lukas

 

Noch etwas Zeit, bitte!
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19.4.  Ich darf alt werden. – Erkenne dich selbst..

Noch etwas Zeit, bitte!
Gibt mir das Leben noch etwas Zeit?..... dann los:
Wie ein Schmetterling
Schwing dich befreit empor.
Schwere und Nebel besiegt
Erwartet dich der Chor.
 
Chor der Farben
Chor der Düfte
Chor der Klänge
Chor der Erinnerungen.
 
Lass sie leuchten
Lass sie sprühen
Lass sie tönen
Dich mit deinem Leben versöhnen.
 
Vieles versäumt
Vergeblich geträumt
Liebe vermisst
Nie geküsst.
 
Nichts mehr erwarten
Dankend empfangen
Zeit am Vergehen
Ewig das Sehnen....
Komme was komm.

Kommentar: 28.11.2019 von Ehrich Bohli
Liebe Maria, was für schöne, poetische und tiefschürfende Gedanken zu DEM Thema für viele Autorinnen und Autoren auf meet-my-life.net. (Natürlich auch für mich selbst!). Ich hoffe, Du kannst Dich noch lange selbstironisch "von aussen" betrachten. Gratuliere und grüsse herzlich

Kommentar: 28.10.2017 von Gertrud Hug-Suhner
Liebe Maria, was für ein schönes Gedicht! Ich wünsche gut Flug als Schmetterling und immer wieder die Leichtigkeit, dein reiches Leben von oben herab zu betrachten und dich am Guten zu erfreuen. Gertrud

Sich selbst immer besser kennen lernen ist nie zu Ende.
.... im Alter erst recht nicht. Wann, wenn nicht jetzt drängt oder ruft mich niemand und nichts mehr zwingend von mir selbst weg - sofern ich dies denn will - und akzeptiere, dass in Kürze das Leben auf dieser Erde auch ohne mich weitergehen wird. Hier erinnere ich mich spontan an den Abend vor meiner Krebs-Op. - 01.02.1996 - im Uni-Spital Basel. Auf einem Bildschirm flimmerten ununterbrochen Live-Bilder vom Basler Marktplatz, aufgenommen von einer dort installierten Web-Cam. Sinnierend betrachtete ich eine Weile das Gewusel auf dem Platz: "Du kommst morgen unters Messer und da draussen kümmert das niemanden. Dort draussen leben und feiern sie einfach weiter", klang es wehmütig in mir. Genau so wird es bei meinem Ableben auch sein. Wie wird man sich meiner erinnern, wenn überhaupt? Darum sehe ich das Alter in einem langen Leben wie ich es erleben darf als grosszügiges Angebot zum Innehalten. Diese einmalige Chance will ich so gut ich kann nutzen. Und was fördert das Innehalten am besten? Nein, nicht so sehr freudige Ereignisse, als viel mehr das was ich "Stolpersteine" nenne. Alles was mein "ruhig dahinfliessendes Leben" aufwühlt: überbordende, längst überwunden geglaubte Gefühle, Kritikempfindlichkeit, Ungeduld, Unbedächtigkeit, usw. Stolpersteine werfen dich nicht zwingend um, können dich aber für eine Weile zum Innehalten zwingen, machen dadurch dein Leben sogar spannend, trotz Alter. Perfekt werde ich nie sein, muss ich auch nicht, wäre zu langweilig. Aber gelassen, mehr noch, humorvoll mein Dasein leben, das ist es, was ich in meinen letzten Jahren anstrebe.

INNEHALTEN (ein wunderbares Wort) will heissen: "sich im Innern aufhalten" oder auch, "Halt im Innern finden" (mein Inneres hält mich).
Und WAS hält mich, wenn ich mich im Innersten aufhalte? Benennen kann ich es nicht.
Es ist eine Erfahrung. Die Erfahrung erquickender Ruhe nach einem Sturm; und in dieser Stille das sanfte Flüstern von Einsichten, welche mein verletztes, überhebliches, eingebildetes, unbelehrbares Ego auf den Platz zurückrufen wo es hingehört: "Was quälst du dich klitzekleines Sandkorn unter Milliarden von Sandkörnern im unendlichen Universum?"

Stolpersteine (Beispiele)
Wenn längst überwunden geglaubte Gefühle Herz und Kopf erneut zerzausen.
Einsicht: Hey! Du lebst noch, weil noch des Fühlens fähig. Und wenn du erst deinen, in vielen Erfahrungen aufgebauten Seelenschutz-Panzer bröckeln lässt, bist du wieder verletzlich wie damals als Kind. Also steh ich zu solchen Gefühlen, verdränge oder verleugne sie nicht. Mich der Illusion einer Besserung mit Alkohol, Tabletten oder Drogen hingeben? Nein, ich würde damit den Panzer nur wieder zukitten. Meine letzten Jahre will ich aber als offene und zugängliche Frau erleben. "Leidenschaft die Leiden schafft" gehört nun mal zum Menschsein. Sie entzieht sich unserem "alles-unter-Kontrolle-halten-wollen", lässt mich oft nackt, leer und hilflos zurück. Aber ist dies nicht unser aller Realität? Haben wir, hab ich denn total vergessen, dass Menschsein, oder besser, Mensch werden, niemals auf einer "rosa-Wolke-7" stattfinden kann? Wie verwöhnt, ich doch bin, dies in gewissen Situationen zu vergessen. Nämlich dann, wenn ich glaube, meine Einzigartigkeit auf dieser Erde nicht mehr ertragen zu können (will immer noch, allzu oft, "wie die Anderen" sein - "Schafe! ja nicht ausbüxen!"...). Wenn ich meine, etwas Wichtiges im Leben verpasst, nicht gelebt zu haben; nicht so gelebt zu haben wie es in unseren Breiten die grosse Mehrheit tut. Hier, denke ich, hilft nur das Innehalten: ganz bei mir sein, aus meinem inneren Reichtum schöpfen. Es ist gut so wie es ist; ich bin gut so wie ich bin; mein Leben war gut so wie es war. (Eigentlich hasse ich diese Art von Aussagen, sie tönen so.... so kitschig.... und doch scheinen sie hier zu passen.) Über sich selbst von ganzem Herzen lachen zu können ist, besonders in meinem Alter, ein äusserst erstrebenswertes Ziel. Schaffe ich das noch?...  spätestens auf dem Sterbebett? Oder doch schon heute? Wenn es mich z.B. bei meinen fast täglichen Rhein-Wanderungen in ungesehenen/ungehörten Momenten - würde sonst wohl als Irre wahrgenommen - einfach so überkommt zu singen, laut Selbstgespräche zu führen, oder ich mich "auf den Arm" nehme, sprich: mich auslache, nachdem ich mich so richtig bemitleidet habe. 

Kritikempfindlichkeit.
Einsicht: Wer bin ich, dass man mich nicht kritisieren darf? Die Welt taumelnd, am Zerbrechen (2017): Menschen die zu Tausenden menschenunwürdig unter Bomben, giftigen Gasen, faulem Wasser, usw. überleben oder sterben, und du, die kleine Maria, nimmst dich so wichtig, dass du dich über eine Lappalie übermässig entrüstest. Warum rege ich mich auf, wenn gewisse Personen nicht einverstanden sind, meine hundsgewöhnliche Lebensgeschichte online geschrieben zu sehen? Für 99,99% der Menschen hier zu Lande bin ich eh eine Unbekannte, daher also von sehr Wenigen gelesen. Nichts rechtfertigt mein Entrüstet-sein angesichts der kolossalen Probleme der aktuellen Welt. Nada! Der Sturm ist vorüber. Sollte es wieder passieren (Kritik), werde ich "cool und smiling" bleiben, tief durchatmen, mich in Geduld üben. Schliesslich mich des grossen Ganzen erinnern in welchem ich ein Staubkorn bin. Also was solls! Humor täte mir auch gut, aber darin bin ich noch nicht sehr geübt.
Taizé-Treffen in Basel.
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19.4.  Ich darf alt werden. – Erkenne dich selbst..

Taizé-Treffen in Basel.

Taizé-Treffen in Basel: 28.12.2017-01.01.2018
Seit mehreren Monaten war die Rede von diesem Treffen, zu welchem sich jedes Mal tausende Jugendliche an einem zuvor bestimmten Ort treffen, dieses Jahr in Basel. So richtig Kenntnis davon nahm ich erst durch die grosse Anzahl Jugendlicher mit ihrer Sprachen-Vielfalt, überall unterwegs in der Stadt und im Umkreis. Anblick welchen man heutzutage viel öfter in kinderreichen Ländern wie in Asien oder Afrika, aber nicht in unserer überalterten Gesellschaft gewohnt ist. So etwas wie freudige Hoffnung überkam mich bei diesem Anblick. Teilgenommen an ihren öffentlichen Gebetszeiten in der grossen St.Jakobs Halle oder in verschiedenen Kirchen, habe ich nicht. Hingegen hörte ich beim Spazieren am Rhein plötzlich ein leises Singen. Dabei erkannte ich sogleich die typische Taizé-Musik (vor etwa 10 Jahren war ich mal für ein paar Tage in Taizé). Ich schaute genau hin: Da stand eine etwa 30-jährige Frau aus Basel am Rhein. Ich blieb stehen und hörte ihr eine Weile zu (hätte am liebsten mitgesungen). Schliesslich näherte ich mich ihr lächelnd und... es entstand ein interessantes Gespräch über Gott und die Welt (wie man gemeinhin sagt), welches trotz Kälte - beide stehend am Rheinufer - etwa eine Stunde dauerte. Ein "Generationen-Gespräch". Ich staunte wie selbstsicher und bestimmt sie unsere heutigen (Welt)- Probleme ansprach und mit Gleichgesinnten konkret nach Lösungen nicht nur sucht, sondern konkret zu leben versucht. Natürlich tönte für mich vieles nach Idealismus. Muss es ja, sonst wäre es nicht schön, jung zu sein.... Andererseits fiel mir auf wie sehr sie, trotz anscheinender Selbstbestimmtheit, Halt sucht in der Religion. Sie meint, Jugendliche würden "Wegweiser" brauchen, um die Orientierung nicht zu verlieren. Sie selber staunte über was ich ihr von meinem Leben erzählte. Staunte vor allem, als ich ihr ganz natürlich folgen konnte als sie von Facebook, WhatsApp, Instagram, Followers, Influencers redete. "Ah, Sie wissen was das alles ist", rief sie ein paar Mal erstaunt, "meine Grossmutter hat keine Ahnung davon". Oder als wir ernsthaft von der Zuwanderung sprachen: sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen, oft aus zuvor vom Westen ausgebeuteten Ländern kommend. Dass ich solche Menschen als Bereicherung und nicht als Gefahr, ja sogar als Chance für unser Land sehe, so wie sie auch - (Kinderarmes Land, wenig Junge in unseren Gefilden) - erstaunte sie. Ihre Grossmutter habe immer Angst vor all diesen Fremden....... Wahrlich ein gutes Gespräch.

Kommentare: 04.01.2018:
Liebe Maria Gerne habe ich deine letzten Seiten wieder gelesen, gerade zum Jahreswechsel. Ich fand das hervorragend wie du diesen Kontakt mit dieser jungen Frau aufgenommen hast und über das Leben und deren Haltung, dich mit Zuversicht unterhalten hast. Zuversicht am Jahreswechsel - geht das? Eine merkwürdige Frage, dennoch häufig zu hören. Als ob Zuversicht etwas Fragwürdiges sei. Oder Luxus. Oder gerade jetzt völlig fehl am Platz. Und doch kann die Antwort nur lauten: Ja, mit Zuversicht ins neue Jahr - trotz alledem! Ich wünsche dir Maria, möge es Zuversicht, Gesundheit, Inspiration und viele bereichernde Momente bringen. Herzlich Ursula

06.01.2018:
Hallo liebe Maria und für mich JUGENDFREUNDIN, Ich wünsche Dir noch ein wunderbares NEUES JAHR, voller neuer Erkenntnisse und Freuden. Ja, Du hast Ahnung von Whats App usw. Ich bin dumm, habe ein altes Handy für Sehbehinderte, weil ich ohne Brille ca. 10 % sehe. Du hast mir noch nicht geantwortet auf mein Schreiben wie Deine Talkshow gelaufen ist, in der meine Tochter auch war. Dir alles Liebe und weiterhin so schöne Aufgaben bei den Senioren. Leider habe ich mit meinem Parkinsonkranken Peter immer mehr zu tun, da er Vieles nicht mehr selbst erledigen kann. Herzliche Grüsse Maria Luise = Marlis

"Religio": Mit was oder mit wem verbunden?
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20.  Religion? Heute weiss ich...... dass ich nicht weiss

"Religio": Mit was oder mit wem verbunden?

Leben ist Veränderung oder wie es oft heisst: "Alles fliesst". Nichts ist beständig. Unser Körper verändert sich jeden Tag. Heute weiss man, dass sich alle unsere Zellen im Abschnitt von 7 Jahren total erneuern. Natürlich nicht alle zur gleichen Zeit und nie mehr so perfekt und frisch wie damals, als ich aus der Mutter heraus purzelte. Auch in unseren Zellen hinterlässt das Leben seine Spuren und Narben. Bin trotzdem alle 7 Jahre irgendwo und irgendwie erneuert.... Könnte diese stete Veränderung - "Fluss des Lebens" - einer der Gründe sein warum Menschen anscheinend das Bedürfnis haben, sich an irgendwas, irgendwem oder an einer sogenannten definitiven "Wahrheit" festzuklammern? Woher unsere Angst vor geistig-mentaler Veränderung? Wenn es schon unser Körper zustande bringt, warum könnte es für unseren Geist, unser Denken, nicht auch so sein - wenn wir es denn zulassen? Warum nicht einfach leben, im "Fluss des Lebens"? Fragen, die ich so stehen lasse, weil, wie ich denke, jede/r für sich selbst eine Antwort darauf suchen und eventuell finden soll. Hier versuche ich etwas von meinen eigenen - bescheidenen! - Überlegungen zu beschreiben: Religion - rückverbunden oder die verlorene Verbindung wieder finden - gehört eigentlich ganz natürlich zum Leben. Jedoch nicht so wie wir sie seit hunderten von Jahren verstehen. Für mich heisst dies zuerst und vor allem: reconnected to myself: die Verbindung mit meinem Innersten wieder aufnehmen, welche wir durch allzu viele Äusserlichkeiten – things to do - immer mal wieder verlieren. Meine Erfahrung zeigt, dass, wenn wieder verbunden mit mir selbst, ich gleichzeitig mit dem Leben an sich, mit allen und allem Lebenden, rückverbunden bin. Nichts Lebendiges kann mir dann egal sein, alles ist Teil von mir. Leider wurde der Begriff "Religio" (Religion) ziemlich am Leben vorbei – statt wieder Verbindung zum Innersten suchen - "ausgelagert", für Gott und Götter jeglichen Glaubens, für von Menschen gegründete Institutionen abstrahiert und konfisziert. Schade. Ist es deshalb für uns - besonders hier im Westen - so schwierig uns mit unserer Umwelt, mit Tieren, Pflanzen, usw. rückverbunden zu fühlen, sie deshalb zu respektieren und zu schützen?

 

Papst - Dogmen - beten - beichten.
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20.1.  Religion? Heute weiss ich...... dass ich nicht weiss – Glauben in der Kindheit: ganz natürlich wie die Eltern..

Papst - Dogmen - beten - beichten.
Der römisch-katholische Glaube als fester Bestandteil meiner Kindheit/Jugend, bis weit ins Erwachsenenalter hinein: Was und wie in der katholischen Kirche geglaubt wird hätte ich in jenen Jahren nie in Frage gestellt. Bei uns zu Hause galt der Papst als heiliger Mann. Bis heute bleibt er für viele Katholiken der "heilige Vater", der Stellvertreter Gottes auf Erden. Was er sagt, und wie er lebt kann demzufolge nur heilig sein. Die Nachricht vom Tode Papst Pius XII. am 9. Okt. 1958 stürzte mich als 14-jährige, in tiefe Trauer. Dieses Datum muss sich so intensiv in mein Gedächtnis eingebrannt haben, dass ich mich heute 2017 spontan daran erinnere - nicht danach googeln muss. Ich las alles was nach seinem Tod in Zeitung und Magazinen - bei uns natürlich nur katholisch inspirierte Presse - über ihn geschrieben stand, schnitt alle den Texten beigefügten Fotos aus und sammelte sie in einem Heft - etwa so wie Jugendliche heute Fotos von ihren Idolen aufhängen. Monatelang sah ich mir diese Bilder immer wieder an, andächtig trauernd um diesen "göttlichen" heiligen Vater. 
An sogenannten Dogmen durfte nie gerüttelt werden. Wenn ein Papst diese verkündet hatte, galten sie als wahr und unumstösslich. Mein Vater besonders darauf bedacht, dass sie von uns - vor allem von meinen heranwachsenden, kritischer werdenden Brüdern - nicht in Frage gestellt werden. Den 10 Geboten der Bibel hat die katholische Kirche zusätzliche "kirchliche Gebote" beigefügt, z.B.: jeden Sonntag den Gottesdienst besuchen, an diesem Tag nicht arbeiten (Mutter seufzte hin und wieder: "Warum gilt dieses Gebot eigentlich nicht für uns Mütter?"), Freitag kein Fleisch essen, vorgeschriebene Fasttage einhalten, kein Kommunionempfang ohne vorher gebeichtet zu haben, und wenigstens einmal im Jahr - vor Ostern - beichten, usw. - erinnere mich nicht an alle. Demzufolge der sonntägliche Kirchgang bei uns eine Selbstverständlichkeit, nie im Geringsten in Frage gestellt. Habe deswegen bei uns nie jemanden meckern gehört. Während meiner Primarschulzeit ging ich dazu noch 2 x wöchentlich um 7h, vor Schulbeginn, zum Schülergottesdienst. Jeweils mit der Hoffnung der Pfarrer möge ihn feiern und nicht der Vikar, galt doch meine Aufmerksamkeit mehr dem Pfarrer als dem Gebet, wollte etwas Besonderes für ihn sein, hoffte/träumte er möge mich speziell beachten oder mich wenigstens wahrnehmen. Fantasie kennt keine Grenzen. So war das meistens für mich während den Gottesdiensten in jungen Jahren.
Beten gehörte ganz natürlich zum Alltag.
Vor jeder Mahlzeit beteten wir, und soviel ich mich erinnere sogar auch danach. Dies hat mir erst kürzlich ein Cousin bestätigt, welcher nach einem z'Vieri bei uns - wohlverstanden, nur nach einem z'Vieri - sehr erstaunt war, als wir danach nochmals beteten. Wir durften den Tisch erst nach dem Schlussgebet verlassen. Wenn Vater abends nach Hause kam, beteten wir nach dem Abendessen oft gemeinsam den Rosenkranz in der Stube. Dabei sass ich meistens auf meinem Lieblingsplatz, dem Kachelofen. An Tagen, wenn im Weltgeschehen tiefschwarze Wolken aufzusteigen schienen wurde dieses Gebet besonders intensiv. Und solche Tage gab es einige in jenen Jahren (1950-er, 60-er). Der kalte Krieg omnipräsent, drohte mehr als einmal heiss zu werden. Der Einsatz von Atomwaffen schien beinahe unumgänglich. Mehr als einmal schlüpfte ich ängstlich ins Bett: Werden sie sich getrauen heute Nacht eine solche Bombe abzuwerfen? Trotz Angst empfand ich dieses Gebet meistens als sehr mühsam und langweilig. Im Schnecken-Tempo gebetet - zum Verzweifeln langsam - kein Ende in Sicht. Meine Geduld arg strapaziert: Ein Vaterunser, 10 Ave Marias mit angehängten "Sätzli" aus dem "Freudenreichen", dem "Schmerzhaften" oder dem "Glorreichen", zum Schluss ein "Ehre sei dem Vater"........ Und alles begann - noch 4-mal - wieder von vorn.
Als wir klein waren kam Mutter vor dem Einschlafen in unser Zimmer und betete mit uns: „Schutzengel mein, lass mich dir empfohlen sein. Tag und Nacht, ich bitte dich, beschütz, regier und leite mich. Hilf mir leben gut und fromm, dass ich zu dir in den Himmel komm. Amen“
Beichten
Einige Monate vor der ersten Kommunion hielt der Pfarrer Beichtunterricht. Eine Art Sündenkatalog gebe es da zu beachten. Zuerst die schweren, auch Todsünden genannten Sünden: Mord, Raub, Betrug, Ehebetrug, usw. Dann die sogenannten lässlichen Sünden. Vor allem um Letztere ging es bei uns Kindern: Bin ich ungehorsam gewesen - hab ich Mutter zu wenig geholfen - hab ich gelogen - geflucht - gestohlen - meinen Bruder/meine Schwester geschlagen oder mit ihnen gestritten? usw. usw. Gebeichtet wird im sogenannten Beichtstuhl, eine Art dreiteiliger Schrank mit 3 Türen (in manchen Kirchen die beiden äusseren Teile nur mit einem Vorhang versehen). Der Priester sitzt hinter der mittleren, mit einem kleinen Fenster versehenen Tür. Der/die Beichtende kniet sich im rechten oder im linken Teil hin - je nachdem welcher frei ist - und wartet bis der Priester die Klappe in der Zwischenwand zurückschiebt, heisst, er ist bereit die Beichte zu hören. Es gibt in der Schweiz noch vereinzelt Kirchen - besonders jene für Ausländer, oder jene für streng traditionelle Katholiken - wo so gebeichtet wird. Gläubige welche weiterhin eine persönliche Beichte vorziehen, sitzen heute viel öfter in einem kleinen Raum mit Tisch und Stühlen, dem Priester gegenüber. Doch in Ländern wie z.B. Italien, werden oben beschriebene Beichtstühle in den meisten Kirchen auch heute noch benutzt. Viele Jahre hindurch, besonders in meiner ausgehenden Kindheit und Jugend, ging ich alle 14 Tage beichten. Später 1 x im Monat bis die Kirche - wegen Priestermangel - gemeinsame Bussfeiern an Stelle von 1 zu 1 Beichten erlaubte. Längst habe ich mich vom einen wie vom andern - sehr erleichtert - distanziert. Positive Erinnerungen an meine "Beicht-Zeit" sind etwa, als mir ein Priester nach Anhörung der "Sünden" als Erstes sagte: "Jetzt sitze ich schon den ganzen Nachmittag in diesem Beichtstuhl, habe Unmengen an Beichten gehört, und Ihre ist die erste richtige Beichte die ich heute höre". An drei verschiedenen Orten, bei drei gänzlich verschiedenen Priestern habe ich dies gehört. Ich staunte nicht schlecht, fragte mich was ich denn anders mache als andere. Einer hat es mir gesagt: "Sie leiern nicht einfach einen Sündenkatalog herunter. Sie erwähnen ganz bestimmte persönliche Verhalten oder Reaktionen, denen Sie auf den Grund gehen wollen, indem Sie sich fragen: Warum habe ich dies oder jenes getan, gesagt, verschwiegen, oder nicht getan". Ein anderer meinte nach der Anhörung ganz unvermittelt: "Sie haben mir nun einiges über Ihre negativen Seiten gebeichtet, jetzt will ich auch von Ihren guten Seiten etwas hören." Ich war so baff, dass ich nichts fand.... Heute noch staune ich über diese Einmaligkeit (weiss sogar den Namen jenes Priesters noch), hatte weder zuvor noch danach je wieder so etwas erlebt.
Mein persönlicher Tipp wie eine Beichte - wenn überhaupt; ein Besuch bei einem Berater, Supervisor oder Psychotherapeut würde es auch tun - sein sollte/könnte. Hier ist er: "Umgekehrt beichten": Auf keinen Fall "Sünden" in den Vordergrund stellen, sondern zuerst alles was ich gut gemacht habe, meine Talente, alles Lobenswerte, ansprechen. Ach, was würde Mann/Frau da nicht an Selbstwert, Selbstvertrauen gewinnen. Aber eben, die Kirche würde dann bestimmt sagen, dies fördere den Stolz, und Stolz ist ja eines der 7 Laster.... Ach Menschheit! 
Hier ein lebenspennendes und passendes Zitat von Nelson Mandela.
"Am tiefsten sitzt uns nicht die Angst vor der eigenen Unzulänglichkeit, sondern die Angst vor übermässiger Macht. Es ist unser Licht, nicht unser Dunkel, das uns am meisten erschreckt. Wir fragen uns: Wer bin ich, dass ich genial, grossartig, begabt und legendär sein soll? Dabei sollten wir uns fragen: Wer bin ich, dass ich es nicht sein soll? Ihr seid alle Kinder Gottes. Wer sein Licht unter den Scheffel stellt, leistet der Welt keinen Dienst. Was nützt es der Welt wenn wir uns klein machen, nur damit sich andere neben uns nicht unsicher fühlen? Wir sollen alle erstrahlen wie Kinder Gottes. Wir wurden geboren, um den Funken des Göttlichen in uns zu offenbaren, das heisst, unser ganz eigenes Potenzial der Welt zur Verfügung zu stellen. Das Göttliche ist nicht nur in manchen, es ist in jedem von uns. Und wenn wir unser Licht erstrahlen lassen, dann lassen wir unbewusst zu, dass das auch andere tun. Haben wir uns von unserer Angst befreit, befreit unser Dasein automatisch auch andere."
(
Es entspricht genau dem, was ich hier meine. Bitte dieses Zitat immer wieder lesen, es lohnt sich.) 

 

 



 
 
Ernsthaftigkeit: Gott sieht alles. Was aber ist mit den andern, den (Lebens)-Lustigen?
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20.1.  Religion? Heute weiss ich...... dass ich nicht weiss – Glauben in der Kindheit: ganz natürlich wie die Eltern..

Ernsthaftigkeit: Gott sieht alles. Was aber ist mit den andern, den (Lebens)-Lustigen?

Ausgelassen feiern kam mir lange suspekt vor. Wenn's irgendwo hoch zu- und herging hielt ich mich zurück. Alkohol trank ich bei solchen Gelegenheiten äusserst spärlich. Aus Angst die Selbstkontrolle zu verlieren war ich nie betrunken. Auch nie so etwas wie beschwipst oder angeheitert. Habe ich deswegen etwas verpasst im Leben? Rausch? Rausch der Sinne? Vielleicht. Wie sagt doch das Sprichwort: "Was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss".
Wenn's während der Primarschulzeit im Klassenzimmer oder auf dem Pausenplatz zu- und herging wie „im hölzernen Himmel" verdrückte ich mich. Wenn die Buben in der 5./6. Klasse umher tobten, einzelnen Mädchen hinterher rannten und unter die Röcke guckten, war ich schockiert..... und froh, dass sie sich für mich nicht interessierten. Gott konnte angesichts solchen Treibens nur zornig sein. Hin und wieder ging ich nach der Schule für einen Moment in die, der Schule gegenüberliegende Kirche und dankte Gott, dass ich nicht so bin wie die andern. Nicht so wie jene die immer übertrieben, sich über alles lustig machten, die nie zur Kirche gingen. So richtig fröhlich oder auch mal lustig wurde ich nur beim Singen. Der Gedanke, ich könne Gott nur gefallen, wenn ich mich ernst und gesittet verhalte, begleitete mich noch während Jahren nach meinem Eintritt ins Kloster. Heute sage ich: zum Glück führte mich der Weg ins Kloster nach Frankreich. In einem früheren Kapitel habe ich schon beschrieben, wie sehr sich meine Einstellung zu "Gott und Religion" durch die Lebensart der Franzosen, langsam, aber sicher zu verändern begann. Einerseits kam ich dort in Kontakt mit gläubigen Menschen, die das Leben voll genossen und ohne "Wenn und Aber" auch mal ausgelassen feierten. Andererseits mit Menschen ohne Bezug zu irgendeinem Glauben, welche trotzdem ein ernsthaftes, sinnvolles, in ethischen Werten fundiertes Leben führten. (s. Kapitel: Klosterfrau in Frankreich, Seite: "Annecy".....)
Eine Bekannte mit welcher ich damals einen speziellen Gottesdienst vorbereitete, brachte es auf den Punkt: Als ihr bei der Vorbereitung eine meiner Ideen viel zu ernst schien meinte sie: "Stell dir doch mal einen freudvollen, ja sogar lustigen Gott vor und nicht diesen ernsten schnell erzürnten "Mann" den man uns beigebracht hat". War für mich so etwas wie ein AHA- oder Schlüssel-Erlebnis. Ab diesem Moment wurde mir Eines klar: Wenn schon ein Gott - oder wie auch immer man ES nennen mag - dann ist diesem bestimmt nichts fremd was ein Menschenleben, wo und wie auch immer, ausmacht. 
Ist Gott gerecht?
Diese Frage trieb mich je länger desto mehr um. Je länger ich als Ordensfrau lebte, desto mehr stellte ich das von Eltern und Kirche übernommene Gottesbild in Frage. (Ja, eventuell Lesende, auch eine Klosterfrau kann und darf - sollte sogar - ihr Gottesbild in Frage stellen). Hält "er" uns wie Marionetten in seiner Hand? Spielt "er" mit uns? Was mich oft erzürnte, war die Tatsache, dass er den Einen zu geben schien und den Andern nicht. Die Einen werden in eine reiche Welt hinein geboren, haben im Leben alle nur möglichen Chancen. Andere hingegen sind und bleiben Maus-arm im Elend, ohne geringste Chance je davon loszukommen. Einmal war ich von mir selbst überrascht als ich es wagte, diese Art von Gott beim Namen zu nennen: "Dieser Gott ist doch total ungerecht", warf ich dem Priester bei einem Gespräch entgegen. Er wusste keine Antwort darauf, schaute mich nur, Kopf schüttelnd, verständnislos an. 
(Was ich auf dieser Seite geschrieben habe, entspricht in etwa meiner Art zu glauben in den Jahren 1970-1985: damals existierte der "Gott da oben" noch für mich.) 

 

 

 

 

"Glaubst du an Gott?" wurde ich gefragt.
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20.2.  Religion? Heute weiss ich...... dass ich nicht weiss – Aufbruch, Öffnung, selber denken..

"Glaubst du an Gott?" wurde ich gefragt.

Seit Bestehen der Menschheit treibt uns in allen Glaubenssystemen oder Weisheiten diese Frage um. In allen wird auf verschiedenste Art und Weise eine Antwort darauf gesucht oder versucht. Sogar Wissenschaftler/-innen suchen seit einiger Zeit nach dem sogenannten Gottes-Teilchen (ist wahrscheinlich gar kein "Teilchen"). Sie suchen nach Erklärungen für dunkle Materie, dunkle Energie, schwarze Löcher, usw. Darüber Geschriebenes oder z.B. in einer TV-Sendung ausgestrahlt Bilder und Erklärungen, verfolge ich jeweils sehr interessiert, soweit ich es denn verstehe. Wer von uns kann sagen es werde ihm nicht schwindlig, wenn er zu den Sternen hochschaut - nicht nur wegen der Kopfverrenkung... - wissend, dass das was er sieht, gemessen an der Weite des Alls, vielleicht dem Umfang eines Sandkorns entspricht? Umgekehrt ist es vom Kleinen bis zum Kleinsten ebenfalls so. Auch da wird es einem schwindlig, wenn man versucht zu verstehen was ein Nano, ein Quark, ein Higgs-Bosom, etc. ist. Angesichts solch Unfassbarem, Unverständlichem, Geheimnisvollem gibt es für mich nur einen Weg: Verstummen, still bewundern und danken für das, aus dieser "Suppe" irgendwie irgendwo zaghaft, unendlich langsam entstandene und weiterhin existierende Leben; jedes gesprochene Wort wäre eines zu viel.
"Glauben Sie an Gott?"
hatte mich, prompt und ohne Voranmeldung, Hr. Z. Journalist, anlässlich eines Interviews gefragt. Auf den vorangehenden Seiten habe ich schon einiges über dieses Thema geschrieben. Wenn ich hier nochmals darauf zurückkomme, dann nur um etwas für mich Wichtiges anzufügen. Ganz am Anfang der Bibel steht der Satz: "Und Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbild, Mann und Frau erschuf er sie." (Gen. 1,27) EBENBILD, was heisst das anderes als dass wir Gott gleich sind (der Keim des Göttlichen in uns). Also Gott-gleich, also göttlich. Das Göttliche, was immer es ist, will keine Untertanen, sondern gleichwertige Gegenüber. Also liegt die volle Verantwortung für mein Leben, und indirekt auch für unsere Welt, einzig und allein bei mir, bei jedem von uns. Dafür gibt es auf Französisch ein eindrückliches Sprichwort: „Chaque âme qui s’élève, élève le monde“.(Jede Seele, die sich erhebt, - erwacht, erkennt - erhebt - verbessert - die Welt). Für mich würde ich es so übersetzen: "Je mehr du Mensch bist, umso mehr wird man es um dich herum auch werden". Und da alles Lebendige zusammenhängt, voneinander abhängig ist, kann Göttliches erscheinen, ..... oder eben nicht.
Januar 2017: Oh, vielleicht bin ich auf dieser Seite in meinen Gedanken etwas "ausgerutscht". Spottet nicht! Wem von uns ist es möglich Unaussprechliches auszusprechen? Kann mir z.B. jemand etwas wirklich Sinnvolles über die Liebe sagen? Nicht wahr Leser/in, du bist sprachlos! ...... ich auch!
Gut wäre es, und heilsam für die Welt, wenn wir schon als Kinder unseren Selbstwert erfahren und zum selber denken angespornt würden. Wenn wir von Anfang an lernen würden mit uns selbst ehrlich zu sein. Auf diese Weise wären (sind) wir bestimmt besser gewappnet fürs Leben; besser vorbereitet um unser ganz eigenes Potenzial zu erkennen und zu entwickeln, und bereit, dafür auch die volle Verantwortung zu übernehmen.
Was ich hier den kommenden Generationen wünsche, sagt ein grosser Mann sehr treffend und viel besser als ich es je könnte: Nochmals Nelson Mandela!
"Am tiefsten sitzt uns nicht die Angst vor der eigenen Unzulänglichkeit, sondern die Angst vor übermässiger Macht. Es ist unser Licht, nicht unser Dunkel, das uns am meisten erschreckt. Wir fragen uns: Wer bin ich, dass ich genial, grossartig, begabt und legendär sein soll? Dabei sollten wir uns fragen: Wer bin ich, dass ich es nicht sein soll? Ihr seid alle Kinder Gottes. Wer sein Licht unter den Scheffel stellt, leistet der Welt keinen Dienst. Was nützt es der Welt wenn wir uns klein machen, nur damit sich andere neben uns nicht unsicher fühlen? Wir sollen alle erstrahlen wie Kinder Gottes. Wir wurden geboren, um den Funken des Göttlichen in uns zu offenbaren, das heisst, unser ganz eigenes Potenzial der Welt zur Verfügung zu stellen. Das Göttliche ist nicht nur in manchen, es ist in jedem von uns. Und wenn wir unser Licht erstrahlen lassen, dann lassen wir unbewusst zu, dass das auch andere tun. Haben wir uns von unserer Angst befreit, befreit unser Dasein automatisch auch andere." (Nelson Mandela)

 

 

 

 

 

 

 

"Gott" hat viele Namen oder besser: Keinen!
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20.2.  Religion? Heute weiss ich...... dass ich nicht weiss – Aufbruch, Öffnung, selber denken..

"Gott" hat viele Namen oder besser: Keinen!
Dankbarkeit ist das Grösste und Beste was ich rückblickend auf mein Leben empfinde und auch immer wieder ausspreche. Dankbar für etwas vom Wichtigsten im Leben: Bildung. Diese erfolgte für mich seit jeher vor allem beim Lesen, aber auch durch stetes, neugieriges Offenbleiben für andere Kulturen, Andersgläubige, oder generell anders Denkende. Besonders Letztere haben meine persönliche Einstellung betreffend Gott, Religion und Kirche im Laufe meines Lebens sehr verändert. Dass eine solche Veränderung in meinem Leben nicht selbstverständlich war, erkennt man beim Lesen der vorangegangenen Kapitel. Heute verstehe ich das Leben im Allgemeinen wie im Speziellen als ein einziges grosses Ganzes, ein Rück-verbunden-sein (= Religio) mit Allen und allem was lebt. Alle - und alles - lebt in gegenseitiger Abhängigkeit. Sind wir uns unserer Verantwortung für diese Lebens-Verbundenheit bewusst? Leider erinnern wir uns meistens - bewusst oder unbewusst - zu wenig dieser Tatsache. 
Beim Wort Bildung müssten wir uns in Europa endlich Gedanken machen. Hat unser seit Jahrhunderten gewachsenes Bildungssystem - vielleicht das Beste der Welt um Wissenschaftler, Techniker, Ingenieure, Spitzenärzte, Wirtschaftskapitäne hervorzubringen - nicht das Wesentlichste ausgelassen, nämlich aus intelligenten Tieren - die wir ja eigentlich (immer noch) sind - endlich Menschen zu formen? Wer jetzt protestiert dem erwidere ich: "Pardon, so lange wir Völker mit Waffen beliefern um diese (Völker und Waffen) später mit noch mehr Waffen zu vernichten, sind wir keine Menschen". Und man könnte noch unzählige Beispiele unseres "nicht-Fortschritts" als menschliche Wesen anfügen. Werden meine Gross-Nichten/Neffen es erkennen, besser machen? Wünsche es ihnen von Herzen (2017).
"Gott" hat viele Namen, oder besser.... keinen.
Wie auch immer man ES nennen mag - alles erzeugende Energie - unvorstellbar hohe Schwingung - unendliche Kraft - alles umfassende Liebe - eines bin ich mir sicher: "dort oben" gibt es..... Niemanden. Die treibende Kraft, Energie, Schwingung, Liebe, kurz: das Leben, ist in mir, verbindet mich gleichzeitig mit allem Lebendigen. Einfach weil ich sonst nicht (niemand von uns) hier wäre. Am besten wird mir dies beim Atmen bewusst. Ich kann mir selbst nicht befehlen: "hier und jetzt atme ich", oder "jetzt will ich nicht mehr atmen". Nein, denn ES (das Leben) atmet in mir.
Wie wunderbar hört sich doch folgende indische Weisheit an:

Gott (das Leben) schläft im Stein, 
atmet in der Pflanze, 
träumt im Tier,
erwacht im Menschen.
Oder anders:
Gott (das Leben) ruht im Herzen der Steine, 
atmet mit den Bäumen, 
träumt mit den Pferden 
und erwacht mit den Menschen.

Selber denken: mein Hang zu Skepsis und Neugier half mir dabei
Erst spät im Leben habe ich entdeckt dass ich es liebe, hin und wieder alles bis dahin als unumstösslich Verstandene in Frage zu stellen. Nie hätte ich mich mit Parteien-Politik beschäftigen können. Sie ist mir zu sehr auf eine, jeweils einseitige, Meinung fokussiert. Dies wurde mir bewusst (ist mir bis heute präsent) als ich als Ordensfrau in Frankreich "im Ghetto" (Arbeiter/Migranten-Vorort) von Bonneville lebte. Damals wollte eine Kämpferin für die Rechte der "Arbeiterklasse" unbedingt, dass ich mich als Klosterschwester für die Arbeiter und gegen die "Ausbeuter" sprich, Unternehmer engagiere. Es war die Zeit, als ich als infirmière à domicile (Spitex) meine Pflegeaufgabe bei jeder "Klasse" verrichtete, beim Unternehmer wie beim Arbeiter. So lernte ich eines Tages auch die Sorgen einer Unternehmerfamilie kennen: Arbeiter die dauernd auf mehr Lohn pochten aber bei der Arbeit schlampten, zu spät erschienen, usw. Danach war bei mir Schluss mit "Klassenkampf".
Gerne lese ich hin und wieder auch wissenschaftliche Bücher, oder sehe mir im Fernsehen Sendungen an in denen es um neue Entdeckungen geht. Zum Beispiel, über die Entwicklung des Lebens auf der Erde, der Entstehung des Universums, was, und wie in anderen Kulturen gelebt wird, oder, um beim Thema "Glauben" zu bleiben, wenn es um neue Erkenntnisse rund um die Bibel oder der christlichen Glaubenssätze geht. Ungefähr bis in die 1950-er Jahre gab es in der katholischen Kirche den sogenannten "Index", das heisst, gewisse Bücher oder kritische Schriften durften nur mit der Erlaubnis Roms gelesen werden. Ein guter Katholik befolgte dies indem er, bevor er etwas las, sich vergewisserte, dass der Stempel "nihil obstat" (nichts einzuwenden) im Buch stand. Was mich "auf die Palme" treibt sind Aussprüche wie: wir haben es immer so gemacht - so schreibt es die Kirche vor - die Kirche will, dass man dies und das, so und so glaubt, zelebriert, feiert, usw. Schon öfters konnte ich mich nicht zurückhalten und rief: "Wenn ihr schon glaubt, mit der Taufe und später der Firmung Gottes Geist erhalten zu haben, dann solltet ihr doch ebenso glauben, dass dieser Geist hier und heute in jedem/r von uns wirkt. Was heisst: dieser Geist will auch heute durch uns kreativ und erneuernd wirken". Blieb auf meinem Input sitzen, niemand schien zu verstehen.... 
Erhaltener Kommentar: 09.09.2017:
Liebe Maria, ich sehe, Du bist wieder voll im Element. So warst Du schon in der Schule, wenn Du von was überzeugt warst, hast Du laut, Deine Meinung dazu gesagt. ICH war von der stilleren Sorte, obwohl ich immer die schlechteste Note hatte im Betragen - meine Schwatzhaftigkeit. Bei uns zu Hause war nur EINE Meinung wichtig, nämlich die des Patriarchen. Ich wünsche Dir viel Freude beim Schreiben und grüsse Dich herzlich Deine Marie Lu = Marlis

 
Ist "Wort Gottes" wirklich Gottes Wort?
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20.2.  Religion? Heute weiss ich...... dass ich nicht weiss – Aufbruch, Öffnung, selber denken..

Ist "Wort Gottes" wirklich Gottes Wort?
Glaubensquelle: ein Buch, oder die vielen Bücher der Bibel.
Quizfrage: wie viele Bücher gibt es in der Bibel?
Als Kind und Jugendliche hatte ich zu Hause nie eine Bibel in Händen gehalten. In jenen Jahren war es noch nicht lange her, dass gewöhnliche Katholiken die Bibel überhaupt lesen durften (kommt uns heute total abstrus vor), nur ein Priester imstande den Gläubigen die Bibel zu "erklären", natürlich wie er - oder besser Rom - sie verstand und den Gläubigen vermittelt haben wollte. Zum Glück kam Luther und übersetzte sie erst mal ins Deutsche. Trotzdem vergingen in der Folge nicht nur Jahrzehnte, sondern Jahrhunderte, bis die Bibel bei gewöhnlichen Katholiken Einzug halten durfte, und bis gewöhnliche Katholiken überhaupt etwas in der Kirche (ausser der Predigt) verstanden - bis zum 2. Vatikanischen Konzil (1962-1965) fast alles auf Latein. Erhalten Reformierte zur Konfirmation ihre eigene Bibel? Ich vermute, dem ist so. Zu meiner Erstkommunion erhielten wir ein kleines Holzkreuz und ein Messebuch mit Liedern und den immer gleichbleibenden Messetexten, welche wir beim Lateingemurmel des Priesters auf Deutsch mitlesen konnten.   
Während meinen 2 Jahren in einer Glaubensschule in Fribourg (1982-1984) hatte ich die Bibel tatsächlich von A bis Z gelesen. Muss sagen, eine kleine "Meisterleistung" bei dieser unglaublichen Anzahl kleinst-gedruckter Seiten. Und natürlich las ich sie nicht nur, sondern studierte sie: gleiche Texte verschiedener Autoren vergleichen, dem Exegeten (Bibelforscher) zuhören, seine neusten Erkenntnisse erfassen, versuchen die Botschaft der jeweiligen Autoren mit ihrer Zeit und ihrem Umfeld zu verknüpfen (damalige historische Ereignisse), usw. Was ich dabei als Erstes erkannte: Alle Bibeltexte, von welchem Autor auch immer
geschrieben, alles ist, sage-und-schreibe, "Menschen-Wort". (Oder habe ich da irgendwas falsch verstanden?)
Ketzerisch?
Bin ich ketzerisch, wenn ich meine: So wie ich heute Erinnerungen und besondere Ereignisse aufschreibe, haben jene Autoren ihre Erinnerungen an aussergewöhnliche oder auch gewöhnliche Ereignisse aufgeschrieben, und diese dabei aus ihrer subjektiven, persönlichen Sicht/Erfahrung interpretiert. Das heisst, ihre (Glaubens) Überzeugung sollte viele, viele, Andere auch überzeugen. Sie waren ja Gelehrte, konnten reden und vor allem schreiben. Darf ich noch weiter "ketzerisch" sein? Wer hat all diese Texte wie, und wie oft, weiter übersetzt? Nur ein kleines Beispiel: vor etwa 10 Jahren habe ich für die Arbeit einer Schwägerin eine ganze Menge Seiten vom Deutschen ins Französische übersetzt und dabei festgestellt, wie schnell ein gewähltes Wort, ein Satz, je nach Formulierung, anders gedeutet werden kann, oder wie bei Übersetzungen der Zustand (mental, emotional) oder das individuelle Verständnis der Übersetzenden unbewusst mit einfliesst. Aha, und jetzt? Wo bleibt "Gottes-Wort"?    
Etwas weniger ketzerisch sage ich: Wenn schon "Wort-Gottes", dann war und ist auch mein Leben - meine Erfahrungen, meine Gedanken, meine Taten, usw. - "Wort-Gottes". Ist es nicht jedes Leben? Auch das, aus meiner Sicht, schlimmste? Hat uns nicht jedes Leben etwas vom "Allumfassenden" zu sagen? Das "Allumfassende" (Gott, Geist oder was auch immer) "spricht", "schreibt" weiter, auch heute! Also liebe Schreibende auf meet-my-life.net: ihr seid auch dabei, schreibt weiter: "die Geist-Kraft weht wo und wie sie will".
(Jetzt muss ich stoppen, mir wird "schwindlig"......)
 
Der Tod: definitives Ende oder vielversprechender Anfang?
Seite 127
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20.3.  Religion? Heute weiss ich...... dass ich nicht weiss – Der Tod: Ende oder Anfang?.

Der Tod: definitives Ende oder vielversprechender Anfang?
Als Kind glaubte ich ganz klar was meine Eltern und generell mein damaliges Umfeld glaubten. Nach dem Tod gebe es drei Varianten: Himmel, Hölle und irgendwo dazwischen das Fegefeuer. Sofort in den Himmel kämen nur jene, die entweder ganz heilig gelebt (wer entscheidet was ein "heiliges Leben" ausmacht?) oder ihr Leben für eine "heilige Sache" geopfert hatten (welche "heilige Sache"?). In unserer Hausbibliothek gab es viele Beispiele solcher Heiliger zu lesen. Unweigerlich - und ohne Aussicht auf Gnade - in die Hölle kämen die ganz Bösen. Alle andern, also die Allermeisten von uns, erwarte für eine längere oder kürzere Zeit - je nach Sündenlast - im Fegefeuer die Reinigung, unumgänglich um Gott würdig zu begegnen. Die Reinigung vollziehe sich mittels einer schmachtenden, zermürbenden Sehnsucht nach dem Himmel. 
Und wie verhält es sich dann, wenn ich diese "schmachtende, zermürbende Sehnsucht" schon Zeit meines Lebens erlebe, zwar nicht Sehnsucht nach dem "Himmel", sondern nach Liebe, Anerkennung, vor allem nach Liebe? Weshalb soll ich noch "auf der anderen Seite" weiter danach lechzen?  
Endlich im Himmel angekommen erwarte uns als Erstes eine Enttäuschung: das Ende der "Reise" sei noch nicht erreicht, der Himmel auf mehrere Ebenen aufgeteilt. Wer im Leben viel gebetet, Opfer gebracht und freiwillig auf vieles verzichtet habe, könne im Himmel mit einem Platz auf höherer Ebene rechnen (näher bei Gott). Zu einer solchen Vorstellung des Himmels hatte sich Mutter - vor meinem Eintritt ins Kloster - einmal so geäussert: "Glaub nur nicht, dass dir, nur weil du ins Kloster gehst, automatisch einer der obersten Plätze im Himmel zusteht. Ich, die ich 8 Kinder geboren und aufgezogen habe, werde ganz sicher dort oben viel höher sitzen als du". Vielleicht nur ein Scherz von ihr? Ich weiss es nicht. Oder war selbst für sie - eine sehr gläubige Frau - eine solche Vorstellung von Himmel, nur Hirnen gewisser (hirnverbrannten) Theologen entsprungen? 
Ich lass mich überraschen..... oder eben nicht.
Wird überhaupt etwas nach dem Tod sein? Wenn ja, was? Überlasse eine Antwort lieber dem Leben selbst, dem Unbekannten zu welchem unser Gehirn keinen Zugang hat. Fände den kleinsten Ansatz einer Antwort meinerseits als anmassend. Verstehen wir Ursprung und Lauf des Universums? Verstehen wir des Lebens Entstehung? Verstehen wir überhaupt uns selbst? Fragen über Fragen welche ich, limitierter Mensch, nie werde beantworten können. Jeder noch so kleine Ansatz einer Antwort - von Wissenschaft usw. - bringt gleichzeitig auch neue Fragen. Im Laufe meines Lebens, durch meinen Beruf immer mal wieder mit dem Tod konfrontiert, gab es Zeiten in denen mir - auch ich muss mal sterben - absolut egal war was nachher sein wird. Konnte mir sogar vorstellen dass dann wirklich alles zu Ende ist. Na ja, ich war jünger, und wenn man jung und gesund ist, sieht man den eigenen Tod in weiter Ferne. Heute denke ich zwar immer noch an ein eventuell definitives Ende - 70/80 Jahre gelebt und... fertig, definitives Lichterlöschen - könnte mir aber auch eine Wiedergeburt vorstellen. Warum nicht? Dies denken - erfahren - Millionen Menschen vieler Kulturen seit Jahrtausenden, lange vor dem Christentum. Mein beseeltes Wesen würde dadurch wieder Gelegenheit (oder Gnade) erhalten weiter zu lernen. Weiter lernen auf dem Weg der Menschwerdung, was da heisst: göttlich werden. Für mich haben uns Jesus und andere weise Frauen und Männer genau dies gezeigt und vorgelebt: Mensch werden, Mensch sein. Und was ich persönlich denke: Wir können es nur hier, in unserer zu Materie gewordenen Energie (oder Schwingung) lernen. Unser Leben ist ja so kurz, das Universum und seine Zeit (gibt es "dort" überhaupt noch Zeit?) unendlich. Wäre es nicht auch so etwas wie Gerechtigkeit, wenn uns eine zweite (dritte) Chance gegeben würde, unsere Talente weiter zu entwickeln, andern helfen weiterzukommen - oder ganz einfach selbst mehr Mensch zu werden, indem ich Andern helfe es mehr zu werden? Heute 2016 forschen Wissenschaftler nicht mehr nur über ein Universum sondern reden schon von vielen gleichzeitig bestehenden Universen da draussen. Einige erst am Entstehen, andere am Verschwinden. Ach Menschheit! was wissen wir schon wenn wir uns anmassen, dieses oder jenes - Himmel, Hölle, ewige Glückseligkeit, Wiedergeburt, Leben auf einem anderen Planeten, usw. - als Wahrheit festzulegen? Ist es vielleicht weil wir Geheimnisvolles in unserer Beschränktheit nicht aushalten können? Dies meine Gedanken zum Thema: Tod und dann?
Hierzu habe ich irgendwo untenstehende Geschichte gelesen, welche etwas sehr deutlich macht: wir wissen nicht was sein wird, können es (vielleicht) nur ahnen (oder träumen):

Ungeborene Zwillinge halten im Mutterleib folgendes Zwiegespräch:
Zwilling I: "Glaubst du wirklich an ein Leben nach der Geburt?"
Zwilling II: "Aber natürlich, wir wachsen hier drin und werden stark für das, was uns draussen erwartet".
Z.I: "Quatsch, es kann kein Leben nach der Geburt geben. Wie sollte das denn aussehen?"
Z.II: "Das weiss ich nicht. Vielleicht ist es draussen hell und wir essen mit dem Mund?"
Z.I: "Ich habe nie solchen Unsinn gehört. Mit dem Mund essen, was für eine verrückte Idee!"
Z.II: "Es gibt sicher eine Möglichkeit. Es wird eben alles anders sein."
Z.I: "Du spinnst! Es ist noch nie jemand von "nach der Geburt" zurückgekehrt."
Z.II: "Stimmt, wie das Leben nach der Geburt aussieht weiss niemand. Aber dass wir unsere Mutter sehen werden und sie sich um uns kümmert, das weiss ich."
Z.I: "Mutter? Jetzt sag bloss nicht, dass du an eine Mutter glaubst! Wo soll die denn sein?"
Z.II: "Na hier, überall um uns herum. Wir leben in ihr und durch sie. Ohne sie können wir nicht existieren."
Z.I: "Papperlapapp! Von einer Mutter habe ich noch nie etwas gesehen, deshalb kann es sie nicht geben."
Z.II: "Doch! Manchmal, wenn wir ganz still sind, kann ich sie singen hören oder spüren, wenn sie unsere Welt streichelt."

Erhaltener Kommentar: 24.06.2016 - 21.26 Uhr, von Maria Luise Kunz
Die Zwillingsgeschichte ist super!
Ist die Vorstellung von Wiedergeburt/erneutem Materialisieren wirklich so absurd?
Seite 128
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20.3.  Religion? Heute weiss ich...... dass ich nicht weiss – Der Tod: Ende oder Anfang?.

Ist die Vorstellung von Wiedergeburt/erneutem Materialisieren wirklich so absurd?
Woher, warum, oder wie kommt es, dass wir in uns Sehnsucht empfinden?
Sehnsucht scheint uns nie verlassen zu wollen. Sie fliesst durch unser ganzes Leben. Kaum sind unsere elementarsten Bedürfnisse gesättigt - sobald wir das Glück haben nie mehr einen täglichen Überlebenskampf führen zu müssen - zeigt sie sich erst recht (sobald wir alles Nötige zum (Über) Leben haben): Sehnsucht nach Vollkommenheit, dauerhafter Gesundheit und Glück, nach Unendlichkeit, Ewigkeit, nach absolutem Erkennen und gänzlichem verstanden werden in allen Belangen. Sehnsucht nach einem ergänzenden Du, und natürlich immer und überall, Sehnsucht geliebt, anerkannt, geschätzt zu werden. Wo oder wie entsteht also dieses überwältigende Gefühl in uns? Wir versuchen es mit Streben nach Macht, nach Geld, nach Besitz, nach einem perfekten Körper (besonders heute 2017, verstörender Trend), nach Sex, zu "stillen", oder "murksen" es mit Alkohol, Drogen, Tabletten ab. Aber wenn ich mit mir selbst ehrlich bin, erkenne ich bald, dass sie sich eben durch nichts ausschalten lässt. Daher meine Frage: Sind wir wirklich schon "fertige" Menschen, wenn wir gleichzeitig keine Ahnung haben, warum, woher und wie es kommt, dass wir ein Leben lang "Sehnsucht-Getriebene" sind?
Bei ihrem Erforschen des Universums versuchen Wissenschaftler unter anderem auch der Bedeutung von Energie - sogar schwarzer Energie - näher zu kommen. Materie wie wir sie kennen, könnte der letzte "verfestigte" Zustand - die langsamste Schwingung - von Energie sein, habe ich schon gehört oder gelesen. Energie - Schwingung - in ihrem ursprünglichsten reinsten Zustand, als Ursprung jeglicher Existenz? Unendlichkeit kennt - scheinbar, so genau weiss man es (noch) nicht - keine Zeit. 
(Nächste Frage: was ist Unendlichkeit? woher dieses Wort, wer hat es "erfunden"? Wessen Geist ist es entsprungen?) 
Zeit kennen (eventuell) nur wir. Könnte es also sein, dass wir auch anders existieren könnten als nur in der Materie? Dass ich gleichzeitig hier (endlich) und dort (unendlich) existiere, darum im "Hier" mein scheinbar unversiegbares Sehnen nach "Dort?"
(Ganz klar, oben wie nachfolgend Geschriebenes sind heute, 2017, ganz persönliche Gedankengänge oder Vorstellungen wie es sein oder "weitergehen" könnte. Gedanken sind frei, können nach weiteren Entdeckungen jederzeit weitergesponnen werden. Warum sie nicht trotzdem aufschreiben? Ich bleibe eine Suchende)
Darum hier nochmals persönliche Überlegungen zum Thema Wiedergeburt 
Gewissen, mehrheitlich östlichen Vorstellungen von Wiedergeburt (Hinduismus, Buddhismus) kann und will ich mich nicht anschliessen. Weder der Vorstellung als Tier wieder geboren zu werden - als Folge eines abscheulichen Lebens zuvor - noch der Vorstellung, auf Grund eines schlechten "Karmas" zurückzukommen um "positive Punkte zu sammeln", kann ich folgen. Letzteres im Buddhismus vordergründig: Gutes "Karma" erarbeiten, z.B. durch tägliches "Füttern" vorbeiziehender Mönche am frühen Morgen, welchen untertänigst, sich vor den Mönchen niederkniende Frauen Reis oder/und Gemüse in ihre hingehaltenen Essgefässe füllen (in Thailand allgegenwärtig), oder eine Buddha-Statue mit feinen 24-karätigen Goldplättchen schmücken, oder sogar Pagoden bauen, auch wenn es deren schon XX-viele gibt, wie z.B. in Myanmar (zuvor Burma). Kann auf keinen Fall der Vorstellung folgen, Reiche, Herrschende, Priester, usw. hätten es "geschafft", müssten darum untertänigst verehrt, ihre Befehle oder Ansichten nicht in Frage gestellt werden. Kann noch viel weniger die Tatsache verstehen, dass es vor allem im Hinduismus keine Fürsorge, sprich: Nächstenliebe gibt, ausser - vielleicht - für die absolut Allernächsten: "Wenn du im Schlamassel, krank, verunfallt, behindert bist, ist das deine Schuld, warst im vorigen Leben ein schlechter Mensch, musst jetzt büssen". In Indien z.B. die "Unberührbaren", die niedrigste Kaste - ja keinen Kontakt mit denen.
Meine ganz persönliche Vorstellung von Wiedergeburt (wenn es denn eine gäbe...) geht ausschließlich in Richtung: wirklich und immer mehr Mensch werden. Hat in meinen Augen nichts mit Schuld, Sühne oder Busse zu tun, sondern mit EVOLUTION, mit spiritueller/mentaler/emotionaler Evolution. Schon etliche Male und von verschiedenen Seiten habe ich gehört, dass wir gegenwärtig höchstens 20% unserer gesamten Hirnkapazität nutzen, zu nutzen wissen. Also was? Auf Anhieb gelingt es uns nicht (oder nur vereinzelten Ausnahmen - Jesus z.B. - welche vielleicht nicht das erste Mal hier waren...), in einem einzigen kurzen Leben mehr Mensch zu werden, wenigstens bis heute nicht: siehe den, mehrheitlich von uns verursachten, Zustand der Welt - siehe unsere nie versiegende Waffenproduktion - unsere Gier nach Geld und Macht: "Geld, Geld über alles" - siehe unser disconnected-sein mit unserer Umwelt und Natur, usw. usw.
(Beende hier meine - ketzerischen? unverständlichen? unausgegorenen? einer kranken Fantasie entsprungenen? - Gedankengänge. "Schwindel" erfasst mich wieder - s. auch Seite: "Wort Gottes" etc. - weiss schlussendlich nur, dass ich nicht weiss.... möchte aber unendlich gerne wissen!) 
Eine Cousine nimmt ihr Sterben selbst in die Hand
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20.4.  Religion? Heute weiss ich...... dass ich nicht weiss – Eine Cousine nimmt ihr Sterben selbst in die Hand.
Letzter Brief an eine Cousine.
März 2017: Liebe Silvia
Oberflächlich kenne ich dich schon lange, wir sind ja Cousinen. Wirklich kennen und schätzen gelernt habe ich dich erst vor sechs Monaten. Damals hast du mir eine e-mail mit Betreff: "Berühmt" geschickt, nachdem du mich in einem Magazin entdeckt hattest. "Wenn du willst kannst du auf meet-my-life.net mehr über mich lesen", mailte ich dir umgehend zurück. "Komm bald, ich möchte dich gerne sehen", kommt von dir zurück nachdem du auf "meet-my-life" fleissig gelesen hattest. Ich komme zu dir, geniesse mit dir 3 äusserst schöne Tage. Mit nur wenigen Menschen ist solch guter Austausch möglich wie wir ihn erlebten, gell. Aus Cousinen sind Freundinnen geworden. "Es soll sehr bald ein Wiedersehen geben", verabschiedeten wir uns. Ich freue mich darauf.
2 Monate später: Du rufst mich an: "Maria, ich muss dich so bald wie möglich sehen. Der Krebs sitzt in mir, bevölkert meinen Darm, auch schon die Leber, mein Ende scheint nahe, meint der Arzt." Ich bin völlig geschockt: WIR SIND IM GLEICHEN JAHR GEBOREN!!!! schreit es in mir. Hast mir schon früher gesagt, du seist bei "Exit" angemeldet. Nun hättest du dich entschieden, keine, aber auch gar keine der vom Arzt vorgeschlagenen Therapien über dich ergehen zu lassen: Chemo, OP, wieder Chemo, dann wieder OP, dann nochmals Chemo. Nein, willst du nicht. Ich verstehe dich, würde es genauso machen - sage ich heute - mich an meine eigene Erfahrung mit Chemo erinnernd. 
Du hast dich entschieden, im vollen Bewusstsein entschieden, mit "Exit" zu gehen. ***
Ohne einen Augenblick zu zögern komme ich zu dir, treffe dieselbe Frau wie vor ein paar Monaten. Du hättest einiges an Gewicht verloren, sagst du. Mir erscheinst du als die gleiche Frau: du kochst, magst essen, trinkst guten Wein, pflegst liebevoll dein Heim. Alles genau so wie bei meinem ersten Besuch. Sogar zusammen gejasst haben wir wieder mit deinem Mann. Alles so normal. Nichts deutet auf das Ungeheuer hin, das in dir wächst und wächst. Und doch, es ist da, zeigt sich besonders auf unserem kurzen Spaziergang bei welchem du schnell müde wirst. Zwar erfreust du dich noch des Lebens, dennoch ist dein ganzer Fokus auf deinen bevorstehenden Abschied von dieser Welt gerichtet. Während ich versuche, dich auf Behandlungsmöglichkeiten hinzuweisen wie sie heute in der Palliativ-Medizin angewandt werden, hattest du dich längstens entschieden wie du gehen willst. Kein Spital, kein "Sterbe-Hospiz", willst du. Du bittest mich, dir beim Schreiben deiner Todesanzeige behilflich zu sein. Du organisierst dein Begräbnis beim Bestattungsinstitut. Gemeinsam besuchen wir die Kirche wo unser Abschied von dir stattfinden soll. Für diesen hast du Musik und Texte selbst gewählt: "Yesterday" von den Beatles, "von guten Mächten wunderbar geborgen" (D. Bonhöfer), "s'het dehei e Vogel gsunge" (J. Reinhard) und zum Schluss, "Memory" aus "Cats". Als ich die Texte deiner Wahl aus der Schrift höre: Rom. 8, 38-39: "Nichts.... aber auch gar nichts (im Leben) kann uns von der Liebe Gottes trennen", muss ich weinen. Wie ein Flash sehe ich beim Zuhören mein eigenes Leben vor mir. Oder dein zweiter Text: Joh. 14, 1-9: ....."im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen, sobald ich dort bin werde ich auch euch einen Platz reservieren...usw." Hast Letzteren gewählt weil du einige Wochen zuvor, nach langer Suche, deine so sehr gewünschte kleinere Wohnung in deiner geliebten Stadt Solothurn gefunden hattest. Diese dann aber wegen deiner Krankheit absagen musstest. Ein grosser Schmerz für Dich!
Zeitweise kommt mir dies alles so... so... surreal vor. Mir ist als leide ich mehr als du. "Maria, stell dir vor wie viel mir erspart bleibt, wenn ich bald gehe", sagst du immer wieder. Deine Nächsten munterst du auf, lädst sie mehrmals ein, wie um sicher zu sein, dass sie dich dann im Frieden gehen lassen. Schliesslich gehöre ich zu den ganz Wenigen die deinen Tag X kennen. Bestimmt werde ich bei deiner Abschiedsfeier zugegen sein. Liebe Silvia, du wühlst so viel in mir auf. Wir sind gleich alt, es könnte mich sein statt dich. Ich bewundere deine Stärke angesichts deines Vorhabens. Wie schnell sich doch im Leben, von einem Tag auf den andern, alles verändern kann. Vor 6 Monaten dieses schöne, kurze, aber intensive Wiedersehen welches wir noch sehr lange wiederholen wollten. Unvergesslich wird es, wirst du mir bleiben. Dafür danke ich dir! Beim Verlassen der Kirche meintest du: "Ich möchte so gerne dabei sein, bei eurem Abschied von mir". "Aber du bist doch dabei", erwiderte ich, "irgendwo, irgendwie, wirst du dabei sein". Auf Wiedersehen meine liebe Silvia.
Mai 2017: Am 24. April - deinem 73. Geburtstag!... - um 13 Uhr trinkst du den tödlichen "Saft". Am 27. April stand ich an deinem Sarg in der Spitalkapelle in Estavayer. Du wollest nicht dass so etwas wie dein Lebenslauf gelesen wird, wie dies oft der Fall ist bei einem Begräbnis. Doch ich konnte nicht anders: es war mir eine Herzensangelegenheit der versammelten Trauergemeinde eine kurze Botschaft über die letzten Monate, während denen ich dich begleiten durfte zu hinterlassen. Diese glich, mit einigen Änderungen oder Zusätzen, in etwa obigem Brief an dich. Da die halbe Trauergemeinde französisch-sprechend war, las ich die Botschaft auch noch auf Französisch: Mein letzter Gruss und Dank an dich.
 
*** Exit: Name einer Organisation für aktive Sterbehilfe, manchmal auch "begleiteter Suizid" genannt. 
 
 
Aus der Kirche ausgetreten bin ich bis heute (trotzdem) nicht
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20.4.  Religion? Heute weiss ich...... dass ich nicht weiss – Eine Cousine nimmt ihr Sterben selbst in die Hand.

Aus der Kirche ausgetreten bin ich bis heute (trotzdem) nicht

"Austreten aus der Kirche": seltsame Bezeichnung. Hier in der Schweiz heisst dies ja nur, keine Kirchensteuer mehr bezahlen. So etwas gibt es z.B. in Frankreich nicht - wenigstens damals, in den Jahren 1970-1990, wie es heute ist weiss ich nicht. "Eintreten" tut dort das Kind via Eltern bei der Taufe (wie bei uns), katholisch getauft, also katholisch, ohne je eine Steuer entrichten zu müssen. Ob dann nach obligatorischem Religionsunterricht, Kommunion und Firmung, im Verlauf des Lebens weiter "praktiziert" wird - Kirchgang, Empfang der Sakramente, usw. - spielt in Frankreich keine Rolle. Mit dem Vorweisen des Taufscheins kann jede/r Katholik/-in die Dienste der Kirche in Anspruch nehmen - z.B. katholisch heiraten - ohne je Steuern bezahlt zu haben. In Frankreich kann man also nicht aus der Kirche "austreten". Mann/Frau geht einfach nicht mehr hin wenn es nicht mehr passt, oder wieder hin wenn es wieder passt. In den letzten 20 Jahren (2016) war ich einige Male nahe dran den Schritt zu tun: aus der Kirche austreten (die Steuern nicht mehr bezahlen). Innerlich hatte sich bei mir so einiges an Wut und Unverständnis angestaut über jene, die da regelmässig "Wasser predigen und Wein trinken". Hin und wieder machte ich mir deswegen "Luft" indem ich rief: "Mehr als 2000 Jahre sind vergangen und noch haben wir Jesu Botschaft nicht verstanden!" („Wir“: ich zähle mich dazu) Das ganze fromme Getue behagte mir nie. Gottesdienste (Messen) langweilten beinahe immer und seit jeher. Tun es immer noch, darum nehme ich nur selten daran teil. Jedes Mal beschleicht mich das Gefühl, dass das was Menschen wirklich leben/erleben, darin zu wenig Platz findet. Und dann erst die Sprache! Die verwendeten Sprachausdrücke - schon lange kein Latein mehr - zeigen die Diskrepanz zwischen Leben und Verkündigung besonders krass. 
2 Brüder als Theologen
Einer der Gründe warum ich trotzdem bis heute dabei blieb ist die Tatsache, dass es - von der Kirchensteuer bezahltes - gutes Personal gibt in dieser Kirche. So wie zwei meiner Brüder. Ein anderer Grund ist die Tatsache, dass mit meinem Steuergeld auch viel Gutes getan wird, sei es in der Pfarrei selbst oder für andere karitative Zwecke. Durch meinen Bruder, während 20 Jahren Theologe und Kirchgemeindeleiter in Birsfelden, wurde mir bestätigt, dass alles Geld der Kirchensteuer auch wirklich in und für Birsfelden ausgegeben werde.  

Seit 2013 endlich einen christlichen, weil menschlichen Papst. Oder besser umgekehrt: Ein überaus menschlicher und darum christlicher Papst.
Seit meiner Geburt ist Franziskus der 7. Papst den ich erlebe. In meinen Augen ist er von diesen 7 wirklich der "Christlichste". Vielleicht ist es Anmassung meinerseits so etwas zu sagen, aber so sehe ich ihn. Alle andern (ausser Johannes XXIII. 1958-1963) sind im könig-kaiserlichen Getue und Gehabe des Mittelalters stecken geblieben. Martin Luther, Jan Hus, Giordano Bruno und viele andere verbrannte "Ketzer" können sich ob einem solchen Papst (vielleicht) endlich in ihren Gräbern freuen (müssen sich darin nicht mehr umdrehen…). Ich staune immer wieder, dass dieser Papst überhaupt noch lebt. Eben habe ich ein Buch gelesen: "Der Kämpfer im Vatikan", geschrieben von einem deutschen Journalisten, welcher seit 30 Jahren im Vatikan ein- und ausgeht und die Päpste auf ihren Reisen begleitet. Papst Franziskus habe im Vatikan (Kurie) eine epochale Veränderung eingeleitet, auf die viele in seiner Umgebung stinksauer seien, schreibt er zum Beispiel.
Dieser Papst gibt Hoffnung in dieser, aus den Fugen geratenen Welt. Aber.....  - ja, leider gibt es doch ein „aber“ - ob er Zeit genug hat die vielen Missstände in der Kirche - jahrhundertealte Verkrustungen, Stillstände, Frauenverachtende Ansichten - zu verändern? Das muss ich leider bezweifeln. Um die vielen zubetonierten Strukturen und Dogmen aufzubrechen bräuchte es wahrhaftig mehr als nur eine Bombe (so-zu-sagen). Aber schlussendlich findet "Kirche sein" an der Basis statt. Das heisst, dort wo sich Menschen zum Gebet versammeln, sich über ihr Leben austauschen, vom Alltag innehalten und zusammen versuchen ihr Leben so gut wie möglich nach Jesus Vorbild auszurichten.
Januar 2019:
3 Jahre sind vergangen, seit ich Obiges schrieb. Papst Franziskus lebt noch, enttäuscht mich jedoch je länger je mehr. Nicht die Art wie er sein Papst-sein lebt enttäuscht mich. Noch ist er der genügsame - Pomp, Glanz und Gloria abhold - bescheidene Jesus-Nachfolger. Aber einige seiner jüngsten Aussagen entsprechen ganz und gar nicht seinem, während Jahren, verkündeten Ruf für mehr Mitgefühl und Barmherzigkeit. Hat er jene Texte selbst geschrieben? wurden sie ihm aufgezwungen, und von wem? Ich weiss es nicht und werde es nie wissen. Hingegen was ich weiss: Es interessiert mich nicht mehr. Für mich ist die "Allein-Seligmachende" nur noch Erinnerung.


 

 

 

 

 

 

 

 
 
"Kreuz und Quer" als Titel: "what else"
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21.  Nachgedanken

"Kreuz und Quer" als Titel: "what else"
"Kreuz und Quer" als Titel, fiel mir irgendwann irgendwie einfach zu, ganz spontan, ohne langes Hin-und-Her. Obwohl: ganz am Anfang fand ich den berühmten Satz des Augustinus (einer der frühen Kirchenväter: 354-440) zutreffend für mein Leben: Unruhig ist mein Herz bis es ruht in dir - in mir. Letzteres von mir angefügt: "in dir" wohnt "in mir", kann nicht aussen gefunden werden. Doch bald schien mir dieser Satz zu lang für einen Titel. Sollte diese Lebensgeschichte mal gedruckt werden, würde er sich als Untertitel gut eignen. Im Moment schreibe ich nur online. Wird wahrscheinlich für den Rest meines Lebens so bleiben - mein Altersgeld zu knapp für einen Selbst-Druck. Ich meine, ein Titel soll kurz und prägnant sein. Genau dies war der Moment als mir das "Kreuz" einfiel. Warum eigentlich?

Das "Quer"?...... meldete sich erst später...
Also "Kreuz": Heute noch staune ich, wie sich als erste Erinnerung spontan eine Geschichte mit einem zerbrochenen Kreuz meldete, als ich vor etwa 10 Jahren beginnen wollte mein Leben aufzuschreiben, es aber schliesslich bleiben liess. Die Geschichte handelt von einem morschen schräg-stehenden Kreuz auf dem Friedhof, welches ich mit meiner Schulfreundin Ursula - beide 11-jährig - wieder in die Senkrechte stellen wollte und es dabei unter unser beider Gewicht - beide an einem Seitenarm aufgehängt - zerbrach.
(s. auch Kapitel: Scheue, heimlifeisse Primarschülerin, Seite: Schulfreundinnen) 
Also könnte doch "das Kreuz mit dem Kreuz" ein geeigneter Titel sein, dachte ich, damals, vor 10 Jahren. Und jetzt, da mein Wunsch zu schreiben Wirklichkeit wurde, ist dieses "Kreuz" noch immer da, einfach so.... und, ohne gross zu überlegen, gesellte sich ganz natürlich das "Quer" dazu. Eigentlich, rückblickend auf mein Leben mit seinen vielen "Hin-und-Hers" nicht erstaunlich. Also "Kreuz und quer" wie es im geläufigen Sinn für hin-und-her, für Chaos, Unbestimmtheit, Unordnung gebraucht wird. Je mehr ich mich jedoch mit diesem Titel auseinandersetzte, umso mehr sah ich darin einen tieferen Sinn. Sehe das Leben meiner Mutter vor mir. "Im Kreuz ist Heil" hatte sie sich als eingemeisselte Inschrift auf ihrem Grabstein gewünscht. Mit dieser Inschrift versehen steht dieser seit 1999 und wahrscheinlich nur noch für wenige Jahre da. Gewöhnliche Gräber werden ja nach 20-25 Jahren "ausgehoben", verschwinden. Platz muss her für die nächste Generation. "Im Kreuz ist Heil", symbolisch für das Leben meiner Mutter, welche für ihre Familie auf vieles verzichten musste.
Leiden gehört zum Leben, aber man soll es nicht suchen...
Ja, ich wurde in meinem Leben "kreuz und quer" herumgeschickt oder entschied mich selbst, "mich-herumzuschicken". Was mir aber viel wichtiger erscheint ist eine andere Aussage: Immer mal wieder hörte ich in meinem Leben: "Jesus hat auch gelitten", deshalb könne ich nicht einfach davonlaufen, wenn mir etwas schwerfällt, oder ich mich an einem Ort in meiner Haut nicht wohl fühle. Ein langer Weg bis ich lernte (bis heute noch nicht ausgelernt) auf meine innere Stimme zu hören; bis ich mich getraute, endlich meinen ureigenen Weg zu gehen. Einmal diesen Weg eingeschlagen gibt es kein Zurück. Ich stellte mich quer dem  Gedanken "in diesem Jammertal" (Text eines Kirchenliedes) unbedingt leiden zu müssen um erstens dem jenseitigen Fegefeuer zu entgehen und zweitens einen heiligeren/höheren Platz im Himmel zu ergattern (jawohl, so glaubten wir frommen Katholiken damals. Gar nicht wenige tun es heute noch). Leiden gehört nun mal zum Leben. Unausweichlich schnappt es sich früher oder später jede und jeden von uns. Suchen müssen wir es auf keinen Fall (es kommt von selbst). Hier, in unseren Gegenden im Luxus haben wir die Möglichkeit uns jegliches Leiden erträglicher zu machen. Aber was ist mit den andern mindestens 80% der Weltbevölkerung?
Das Kreuz, Sinnbild des Lebens.
Warum eigentlich, sehen wir im Kreuz nur Leiden und Tod? Klar, Jesus starb am Kreuz genauso wie hunderte, wenn nicht tausende Anderer im damals von den Römern besetzten Palästina. Hätte man Jesus enthauptet, wäre dann nicht eine Guillotine zum Symbol für Leiden und Tod geworden? Bestimmt nicht das Kreuz. Aber eben, seit 2000 Jahren ist und bleibt dieses Symbol - Zeichen für Folter, Leid und Tod - tief in uns verankert. Aber schauen wir uns doch selbst mal genau an, wenn möglich im Spiegel: Kerzengerade dastehen, Kopf hoch, Arme beidseits in die Waagrechte gestreckt, was sehen wir? Oder was sehen wir, wenn wir Ost-West-Nord-Süd, oder wenn wir Erde-Wasser-Luft-Feuer/Licht denken? Eben.... Leben, unser Dasein kurz und klar beschrieben durch ein Kreuz. In diesem Sinne möchte ich das Kreuz als Sinnbild des Lebens rehabilitieren. Frechheit meinerseits? Wenn ja, würde das "Quer" für "Quer-Denkende" ausgezeichnet passen. Also eine weitere mögliche Interpretation meines Titels. ("Honi soit qui mal y pense".)

Erhaltener Kommentar: 14.06.2016 - 12.36 Uhr, von Erich Bohli
Ich finde es ist ein toller Titel - auch weil er verschiedene auf Ihre Leben passende Interpretationen zulässt. Und erst noch kurz und einprägsam ist. Macht sich auch gut auf unserer Sponsorenseite ... (smile).
 

Kommentar: 17.11.2020 von Ursula Odermatt
Hallo Frau von Däniken danke für ihren Schreibkommentar für mein Vorwort.Ich habe erst begonnen und es fasziniert mich sehr zu schreiben. Auch zu lesen, nur fehlt mir Zeit da ich noch arbeite im Kloster Ingenbohl. Ihr Austritt aus dem Kloster habe ich gelesen, sie haben auf ihr Herz gehört. Sehr spannend ihr Leben ,werde bestimmt ihre ganze Biografie lesen bei Gelegenheit. Herzlich Ursula Odermatt 

 

 

Mein Leben wird Geschichte.
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21.  Nachgedanken

Mein Leben wird Geschichte.
Alle auf diesen Seiten geschilderten Erinnerungen und Ereignisse sind aus meiner heutigen, subjektiven Perspektive geschrieben. Einige, betreffend Eltern und Familienleben wurden mir von Geschwistern erzählt, bestätigt oder vervollständigt. Dabei sollte eigentlich klar sein, dass das Schreiben einer Lebensgeschichte immer lückenhaft bleiben wird, handelt es sich doch nicht um einen Tatsachenbericht. Man kann höchstens als Tatsache beschreiben was z.B. gestern passiert ist. Doch auch eine Begebenheit von gestern würde ich aus persönlicher Sicht bewerten, andere aber mit ihrer Wahrnehmung wieder anders beurteilen. Was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen wird im Gehirn jedes Einzelnen anders registriert und eingeordnet. Fazit: "Lebensgeschichte", oder: ein Leben wird Geschichte.

Ich wollte nicht nur, ich musste schreiben.......
...... und dabei - unvorhergesehen - so etwas wie: "mein Leben nochmals leben".
Meine Erfahrung ist diese: Wenn ich zuhöre wie jemand sein Leben erzählt - und dies ist eine meiner liebsten sozialen Beschäftigungen - kribbelt es mir durch alle Poren; immer mehr will ich wissen, immer tiefer eindringen, in Gründe und Abgründe eines Lebens. Aber wer hört denn heute wem und wie lange, beim Erzählen seiner Lebensgeschichte, noch zu? Also beschloss ich, schreibend mich mir selbst zu erzählen, ohne zu ahnen, dass es auch in ein "Sich-selbst-nochmals-erleben" ausarten könnte. Aber so war es schliesslich, es hat mich in vielen Belangen erleichtert und gutgetan. Erst die Erkenntnis, dass ich vor allem für mich selbst schreibe, und mir dies gut tut, hat mich beflügelt und mich vorangetrieben. Auch ohne Buch steht nun das hier Geschriebene meinen indirekten Nachkommen - Nichten/Neffen, Grossnichten/-neffen - jederzeit zur Verfügung. 
Warum öffentlich?
Warum ich denn mein Leben öffentlich aufschreiben wolle, wurde ich gefragt, nachdem ich hier zu schreiben begonnen hatte. Warum denn nicht? Fragte ich zurück. Weder bin ich eine VIP noch Star noch Prinzessin noch Maffia-Boss; niemand wird sich darum reissen, mein "verbuchtes" Leben zu lesen. Warum also Bücher drucken, die dann niemand liest? Da scheint mir Papier viel zu wertvoll (zerzauste und zerstampfte Bäume!), mit welchem wir heutzutage ach so sorglos umgehen. Wer erinnert sich daran, dass man vor 30 Jahren, beim Einzug des Computers glaubte, nun sei das fast "Papierlos-Büro-Zeitalter" - Juhui - angebrochen? Fehlgeschlagen! wie bei Vielem was man nur "glaubt". Heute wird viel mehr Papier verbraucht/verschwendet als je zuvor. Und dies nicht nur weil wir uns in Jahrtausenden noch nie so fruchtbar zu vermehren wussten. Eher weil uns unser Verbunden-sein mit Umwelt und Natur auf weiten Strecken abhandengekommen ist.
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Erhaltene Kommentare: 14.06.2016 - 12.48 Uhr, von Erich Bohli
Genauso hatten wir es uns vorgestellt - eigentlich ist eine Autobiographie ja nie fertig. (So lange man lebt - und dann können sich erst noch die Biographen zu Wort melden ....). So viel man auch schreibt, das gelebte Leben ist nie ganz fassbar. Deshalb fallen einem bei jedem Durchlesen - tatsächlich auch bei den Texten anderer Autoren - immer neue Erinnerungen zu.

29.06.2016 - 08.48 Uhr, von Erich Bohli
Ihre Überlegungen zum autobiographischen Schreiben würden jeder wissenschaftlichen Abhandlung gut anstehen. Sie bestärken uns in unseren Annahmen, auf denen wir meet-my-life.net gründet und konzipiert haben. Und ist zugleich Motivation, auf diesem Weg weiterzufahren. Ihre Lebensgeschichte ist ein Bijoux auf meet-my-life.net.
Rasante Veränderungen
Seite 133
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21.  Nachgedanken

Rasante Veränderungen
1944 bin ich geboren. Weite Teile Europas... ein Trümmerhaufen. Ich mit dem Privileg, in einem vom Krieg verschonten Land aufzutauchen. Seither, also über 70 Jahre schon (2016), nur "Aufstieg". Die Jahre zusehends "fetter" werdend (wenigstens für eine grosse Mehrheit hier zu Lande). Früher hörte man gelegentlich den Spruch: "Auf 7 fette werden 7 magere Jahre folgen". Heute bei uns im Westen also schon das 10-fache an fetten Jahren. Warten vielleicht magere Jahre auf unsere Nachkommen? Werden sie damit umgehen können, und wie? Heute besteht anscheinend noch kein Bedarf es zu lernen. Alles "läuft rund" bei uns, in unserer auf Konsum ausgerichteten Gesellschaft; auch betreffend handfester Kriege - nicht bei uns, in entlegenen Ländern - welche uns durch Waffenexporte noch mehr bereichern. Gewisse Meinungen, nur Kriege oder Revolutionen seien in der Lage markante Veränderungen in einer Gesellschaft hervorzubringen, könnte man angesichts der rasanten Veränderungen in den mindestens letzten 20 Jahren, bezweifeln. Ich hingegen meine: in Friedenszeiten ist alles möglich, sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Nur nutzen wir Menschen diese Chance viel zu wenig, oder besser, am falschen Ort oder Gebiet. Kaum ist Frieden, fängt das Säbelrasseln erneut an, irgendwo, nur nicht bei denen die Waffen produzieren (wie könnten sie auch dort produziert werden wo alles schon zerbombt ist...). Die Waffenproduktion - unsern Wohlstand finanzierend - ist weltweit eines der lukrativsten Geschäfte, vergessen wir dies nie!
Einige Veränderungen der letzten Jahrzehnte habe ich herausgepickt. (Weitere überlasse ich gerne andern Schreibenden.) 
Personal Computer (PC), Internet, Mobiltelefon.
Was als erstes auffällt sind nicht die vielen Veränderungen, sondern wie rasant diese stattfinden. Hätte mir vor 30 Jahren - 1986 - jemand gesagt, dass ich mal einen PC mein Eigen nennen und darauf schreiben würde, ich hätte ihn kopfschüttelnd ausgelacht, vielleicht dabei, den Zeigefinger an die Schläfe tippend: "Du spinnst" gerufen. Vor etwas über 20 Jahren das Internet? "Ja, was ist denn das?" 1995 kaufte ich meinen ersten PC - hatte zuvor während einigen Monaten dafür gespart. Beim Kauf fragte ich als Erstes ob er Internet-tauglich sei. Er war's, aber wie l-a-n-g-s-a-m! und mit den damals bekannten Geräuschen.... und teuer war der! hat um die 4'500.- Fr. inkl. Bildschirm und Drucker gekostet. Im Vergleich zu heute eine unglaubliche Summe. Ihn zu bedienen hatte ich, ohne je einen Kurs besucht zu haben schnell gelernt, worauf ich bis heute stolz bin. Erhielt Tipps von links und rechts, wenn ich mal nicht weiterwusste.
Vor 20 Jahren ein Mobiltelefon?
Vielleicht schon, aber wirklich nur zum Telefonieren. Bald konnte man auch kurze Mitteilungen schreiben damit, SMS genannt. Und bald zuckte fleissigen Schreibern, auch wenn sie nicht schrieben, der Daumen.... vielleicht sogar im Schlaf? Bleibt mir bis heute ein Rätsel wie sie so schnell auf dem kleinen Ding rumtippen können. Heute Smartphone (intelligentes Telefon) genannt, fragt man besser zuerst nach ob man mit diesem überhaupt noch telefonieren kann, denn diese kleine Glotze ist nichts anderes als ein Taschen- oder Hosensack-Internet. Ungefähr 30 Jahre ist es her als wir uns vor eher "klobige" Heim-PC/Bildschirme setzten, staunend was die alles konnten. Und heute? Tragen wir ihn einfach so, ganz selbstverständlich mit uns herum, in der Tasche, im Hosensack. Da staunt ihr, Eltern, Grosseltern, Urgrosseltern, dreht euch vielleicht im Grab um?
Von der Spar- zur Konsum- zur Schulden-Gesellschaft.
Nicht sparen bringe die Wirtschaft voran, sondern konsumieren, hört man heute 2017 immer wieder. Eine solche Einstellung "kotzt" mich an (Pardon). So weit sind wir also verkommen.  Seit jeher neige ich - vielleicht zu heftig - in Richtung: "nur-das-Nötigste-kaufen", dies oder das kann ich noch reparieren, ändern oder flicken. Trotzdem, wenn ich an unsere nur noch kurzlebigen Produkte - vom Eisschrank über Wasch-Abwaschmaschinen bis zu Computer, Drucker, Handy, TV, usw. - und deshalb an die immer grösser werdenden (oft giftigen) Abfallberge denke, wird mir schlecht. Arme Erde! Arme Umwelt! wie lange verkraftet sie dies noch? Gäbe es wirklich keine - vor allem in der Wirtschaft - Alternativen? Und dann erst die sich gleichzeitig anhäufenden Schulden? Wie werden unsere Nachkommen mit unserem, ihnen hinterlassenen Schuldenberg umgehen? (Hier denke ich z.B. auch an den Abbau der AKW's welcher Milliarden verschlingen wird, man uns aber bis heute vorgaukelt Atomstrom sei der sauberste und billigste Strom.)   
Die heutige Mobilität geht...... bis zum geht-nicht-mehr.
Gibt es heute überhaupt noch Europäer, welche in Musse ihre freie Zeit verbringen können, ohne sich frustriert - etwas verpasst haben - zu fühlen, weil sie noch nicht hier hingefahren oder dort hingeflogen sind? Ein besonderes Sonntags-Vergnügen zu Beginn der 1950-er Jahre war für meinen älteren Bruder und für mich, uns auf ein Mäuerchen in der Nähe unseres Hauses zu setzen und die vorbeifahrenden Autos zu zählen. Damals fuhren erst wenige Autos auf der Durchgangsstrasse Olten-Zürich und es gab noch keine Autobahnen. Manchmal hatten wir Papier und Bleistift dabei und notierten die Autos nach Kantonen.
Für die Umwelt geht alles zu schnell, sie leidet.
Ehrlich gesagt bin ich pessimistisch, was die Zukunft unseres Planeten betrifft. Die Rücksichtslosigkeit gegenüber allem was uns trägt, ernährt und Freude bereitet nimmt nicht ab, sie nimmt zu. Diese Biografien auf meet-my-life sollen in 100, 200 Jahren noch zu lesen sein? Wird dann überhaupt noch jemand hier sein, um sie lesen zu können? Nur flüsternd meine ich: ich fürchte nein, wenn wir so weitermachen. Jedes Mal, wenn ich meine kleinen Grossnichten/-neffen sehe frage ich mich, wie diese z.B. in nur 50 Jahren die Spätfolgen unserer heutigen Entscheidungen und unserer Art zu leben bewältigen werden. (Denke vor allem an Nuklearabfälle, Klima, Wassermangel, Plastikmüll usw. usw.)
Nov. 2017 Gedankensplitter: 
Und was wäre, wenn? Vor ein paar Monaten hatten wir in unserem Wohnblock um die Mittagszeit während einer Stunde einen totalen Stromausfall (Unaufmerksamkeit eines Arbeiters bei Bauarbeiten in der Umgebung). "Nirgends kann ich das kleinste Feuer machen, um wenigstens heisses Wasser für Tee oder Suppe zu kochen", wurde mir bewusst. Ganz selbstverständlich - "alles funktioniert" - leben wir dahin. Ehrlich, mir wurde an jenem Tag etwas mulmig beim Gedanken, was sein könnte wenn alle Stecker - verbrecherisch gewollt, oder Ausfall im "Maschinenraum" - gezogen würden. Wir sind uns einfach nicht bewusst - verdrängen es - wie anfällig, trotz aller Sicherheitsmassnahmen, technische Erfindungen und Einrichtungen sind. An jenem Tag hätte ich gerne in einem Haus mit richtigem Ofen oder Cheminée gewohnt.    
Vielen Dank für das Leben.
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21.  Nachgedanken

Vielen Dank für das Leben.
Vielen Dank für das Leben sage ich, denn:
"J'ai tellement failli ne pas être" war ein häufiger Ausspruch des Philosophie-Lehrers zu meiner Zeit in einer Fribourgischen Glaubensschule (1982-1984). Man kann es ungefähr so übersetzen: "Ich hätte ebenso gut nicht sein können" oder "nur um Haaresbreite habe ich es geschafft überhaupt zu leben". Will heissen: Leben ist keine Selbstverständlichkeit. Die Erde hätte weiter weg oder näher der Sonne kreisen können (zu kalt oder zu heiss für Leben) - Dinosaurier hätten überleben können - Atome hätten sich, statt sich zu lebensspendenden Molekülen zu vereinen, anders verhalten können, usw. Leben ist nicht selbstverständlich. Erst recht nicht wenn man wie ich lange genug leben darf, um noch Zeit zu haben seine Erinnerungen aufzuschreiben.
Wem kann oder soll ich danken?
Welche Namen nennen? Ganz wenige Personen nenne ich mit Namen in meiner Geschichte. Soll ich hier nun Namen nennen? Nein, will das Risiko einer Klage wegen Persönlichkeitsverletzung nicht eingehen. Mich bei Verstorbenen bedanken? Nein, höchstens in Gedanken. Verallgemeinerungen wie "ich danke allen" oder "vielen" hasse ich. Etwas erstaunt stelle ich im Nachhinein fest: Es gibt nur wenige Menschen, welchen ich von ganzem Herzen danken würde/könnte/möchte. Sollten jene die mir im Leben Gutes getan oder gewollt hatten dies hier je lesen, dürfen sie sich meiner grossen Dankbarkeit gewiss sein. Und vielleicht geht oft vergessen, dass man auch jenen Menschen danken sollte, von denen man denkt, sie hätten einem nur Probleme oder Lebenskrisen verursacht. "Musste" ich nicht genau solchen Menschen begegnen? Menschen, welche mir unabsichtlich - manchmal auch absichtlich - vermeintliche Stolpersteine auf den Weg legten? Haben nicht genau diese Menschen mich in meinem Menschsein/Mensch-werden mehr gefördert als es z.B. anerkannte Freunde hätten tun können? Auch diesen Menschen - sollten sie dies je lesen - bin ich zu Dank verpflichtet.
 
Meine spezielle Dankes-Hymne:
(hier werden einzelne Personen genannt, welche mir besonders am Herzen liegen. Deren Namen soll stellvertretend auch für jene gelten, welche ihr Menschsein auf ähnliche Weise leben wie sie.)    

To every human being around the world like you:
Paul, Jean, Derek, Robina, Anne, Letizia, Jeanne, Muriel, David, Ruth und FREDI "for your unconditional love":
YOU ARE THE FRIENDS I WILL CHERISH FOREVER. 
Once in a long while someone special walks into your life and really makes a difference.
They take the time to show you in so many little ways that you matter.
They see and hear the worst in you, but don't walk away;
in fact, they may even care more about you.
Their heart breaks with yours, their tears fall with yours, their laughter is shared with yours.
You remember their words, their looks, their expressions, you remember how much of themselves they gave - nut just to you, but to all.
You remember the strength that amazed you, the courage that impressed you, the grace that inspired you and the love that touched you.

Abschliessend noch speziellen Dank an die Erfinder von meet-my-life.net: Hr. Bohli, Hr. Messerli, Hr. Bitterli. Ohne sie wäre das Schreiben meiner Lebensgeschichte ziemlich sicher nur ein frommer Wunsch geblieben.

Erhaltene Kommentare: 26.04.2016
, von Ursula Baur
Liebe Maria Ich danke Dir von ganzem Herzen für Deine ausführliche Lebensbiografie. Es hat mich unglaublich berührt, Erinnerungen geweckt, zum Nachdenken und Weiterdenken angeregt, zum inneren Kompass zu finden. Du warst ein sehr offener, hellsichtiger, kritischer und aufgeschlossener Mensch. Gerne möchte ich Dein Gedankengut in weiteren Lebenslagen zu unserer Zeit "Zeichen der Zeit", wie Du sie im letzten Abschnitt erwähnt hast, weiterlesen können. Also nochmals ein grosses Kompliment und vielen Dank für Deine Offenheit. Ursula
22.07.2016, von Monika Slamanig
Liebe Maria, gestern haben wir uns auf Facebook gefunden, heute hab ich deine Biografie gelesen (anstatt mich meinem Schreiben zu widmen). Ein grosses Kompliment, dieser Text ist von herausragender Qualität, sowohl sprachlich als auch inhaltlich, eine einzigartige, bewegte Lebensgeschichte, offen, aber ohne Larmoyanz erzählt, bewegend, weil sie weit über die eigene Befindlichkeit hinaus an grosse Themen anrührt, die so Allgemeingültigkeit bekommen. Diese Biografie würde es verdienen, in einem anerkannten Verlag veröffentlicht zu werden. Es bräuchte nicht einmal viel Lektorat. (diese Kommentarfunktion holpert ein wenig). Ein lieber Gruss, Monika
31.01.2017 - 17.08 Uhr, von Gast (anonym)
Gestern habe ich am Radio SRF erstmals von dieser Netzseite gehört, und Ihr Name wurde speziell und lobend erwähnt - zu Recht! Ich habe gebannt viele Seiten Ihrer Lebensgeschichte geradezu verschlungen, Kompliment! Sie schildern Ihr reiches, verschlungenes Leben so anschaulich und gekonnt, wirklich schön und berührend. Alles Gute! Eine beeindruckte Leserin
18.07.2018, von Ruth Pfetzer
Super, super, habe es genossen, Deine Seiten zu lesen. In Liebe Ruth
01.11.2020 von Fredi 
Eines Tages - schon bald - werde ich alle 134 Seiten von "Kreuz und Quer" gelesen, verschlungen, einverleibt haben ... Doch ich gehe wunder gerne noch weit darüber hinaus und möchte von dir noch ganz viele neue Geschichten hören. Besser noch: sie zusammen mit dir erfinden, gestalten, erleben! Oberwil, 1.11.2020 
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